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Eine idyllische Katzengeschichte Mit einem lauten Scheppern tritt oder vielmehr springt der Kater Mephistopheles ins Leben der Erzählerin, und von da an ist es mit ihrer Ruhe vorbei. Kein Blumentopf, kein Schälchen Milch, kein Sofakissen und keine frischgebügelte Bluse sind vor Stoffele sicher. Zum Glück kann er sprechen, so daß einer höchst gebildeten Konversation mit der Schriftstellerin wenig im Weg steht. Die ganze Welt läßt er sich von ihr erklären, und seine Wißbegierde wird eigentlich nur von seiner Eitelkeit übertroffen. Er ist nun mal ein waschechter Kater. Die ganze Welt dreht sich um ihn.
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Seitenzahl: 199
Eva Berberich
Alles für den Kater
Mit Illustrationender Autorin
|5|Für Karl Heinz Seidl
ch saß, gemütlich hin- und herschaukelnd, in meinem Schaukelstuhl, als es laut schepperte.
»Mörder!« schrie ich. »Man guckt doch, wo man hinspringt!«
»Sieht man nicht von draußen«, sagte der Mörder.
»Mein schöner Kaktus!« jammerte ich.
»Macht nix.« Der Mörder saß auf dem Fensterbrett, wo soeben noch der Kaktus gestanden hatte. »Kaktusse mag ich sowieso nicht. Gemeines Pack. Kaktusse stechen. Ich hatte mal einen hintendrin. Zwei Tage lang. Konnte nur stehen.«
»Einen ganzen Kaktus?«
»Einen Dorn. Hat saumäßig weh getan.«
Der Mörder war schwarz, hatte spitze Ohren, Gluhaugen und einen Schwanz mit einem weißen Tupfen am Ende.
Ich schnüffelte. »Komisch riechst du. Komm mal her!«
Er duckte sich. »Haust du?«
»Ich hau höchstens ab«, sagte ich, »wenn ich einen großen Hund seh.«
»Ich auch!« Und schon streckte er mir den Kopf |10|entgegen. »Zwischen den Ohren hab ich’s am liebsten.«
Ich streichelte ihn. »Heißt du irgendwie?«
»Mephistopheles.« Der Mörder sprang auf den Schreibtisch und fegte mit seinem Schwanz ein paar Blätter auf den Boden. »Wie der weltberühmte, schreckliche, mächtige, furchtbare, teuflische Teufel.«
»O Gott!« Ich zog meine Streichelhand zurück.
»Freunde nennen mich Stoffele. Mach weiter!«
»Das klingt auch viel lieber«, sagte ich und streichelte weiter.
Der Mörder, der Stoffele hieß, legte die Ohren nach hinten. »Lieb? Ich bin äußerst wild und sehr gefährlich. Fürchte dich ruhig! Manchmal krieg ich vor mir selber Angst. Achtung, ich fauche.«
Er fauchte so, daß ich, wenn ich ein Tiger gewesen wäre, den Schwanz eingezogen und noch ein bißchen Fauchen geübt hätte.
Stoffele sah mit Wohlgefallen meine gesträubten Haare. »War ich gut?«
»Ziemlich.«
Sein Schwanzende klopfte auf den Tisch. »Hast du ziemlich gesagt?«
»Ich meine überwältigend.«
»Find ich auch. Und ich bin der Schrecken aller Mäuse, Vögel–«
»Und Blumentöpfe. Ich habe dich aber noch nie hier in der Gegend gesehen.«
|11|»Bin ja vor ein paar Minuten erst gekommen. Was ist das hier für ein Kaff?«
»Oberweschnegg. Das ist aber kein Kaff. Es hat mindestens vierunddreißig Häuser, fünfzehn mehr als Unterweschnegg. Ober- und Unterweschnegg gehören zu Höchenschwand, dem höchstgelegenen Dorf im Schwarzwald, direkt am Himmel, wo immer und ewig die Sonne scheint.«
»Es regnet«, sagte Stoffele. »Schon seit einer Woche.«
»Nur, weil sich der Regen verguckt hat.«
»Irgendwelche Sehens- und Hörwürdigkeiten?«
»Es gibt glückliche Tag-und-Nacht-auf-der-Weide-Kühe mit Gebimmel und–«
»Gebimmel?« Stoffele legte die Ohren flach an. »Warum bimmeln die?«
»Erstens, weil unsere Kühe überdurchschnittlich musikalisch sind, zweitens, weil es den Fremdenverkehr fördert, und drittens, weil sie sich freuen, daß es sie gibt.«
»Ich freu mich auch, daß es mich gibt«, erklärte Stoffele. »Aber ohne Gebimmel. Weiter! Sag was über die Leute.«
»Wir haben hier solche und solche.«
Stoffele nickte düster. »Kenn ich. So ist er nun mal, der Mensch! Und krachmäßig?«
»Es geht. Leute, die mit ihrem Radio das ganze Dorf beschallen, auch wenn es die andern stört, gibt’s überall.«
|12|»Hundemäßig?«
»Mehrere Pinkel- und Bellhunde, solche, die einem gern in den Garten scheißen, sowie ein paar freundlich schwanzwedelnde. Mit denen kann man reden.«
»Katzen- und katermäßig?«
»Da sind wir reich bestückt.«
»Sonstiges?«
»Frau Hug, meine Eierfrau, hat einen Gartenzwerg. Ein wahrer Riese mit Loch im Socken.«
»Oh! Rechts oder links?« fragte Stoffele.
»Warte mal – links – warum?«
»Linksgelochte Gartenzwergsocken bedeuten etwas.«
»So? Was denn?«
»Daß der linke große Zeh zu lang ist. Und das bedeutet wieder etwas.«
»Hochinteressant!«
»Aber was das bedeutet, weiß ich nicht mehr.«
»Und rechtsgelochte?«
»Unwichtig«, sagte Stoffele wegwerfend. »Weiter!«
»Die Post kommt bei uns oft schon um vier Uhr mittags.«
Das war ihm eher egal. »Wettermäßig?«
»Etwas rauh. Wir liegen fast tausend Meter hoch. Mehrere Jahreszeiten. Einmal im Jahr Frühling, dann Sommer, dann Herbst, dann Winter. Letzterer ausgiebig.«
|13|Stoffele folgte mit den Augen einem Ahornblatt, das langsam bodenwärts schwebte.
»Bald wird es schneien«, sagte ich. »Wer dann kein Haus hat–«
»Du hast eins. Du bist ja kein armer Teufel.«
»Zeig mal! Bist du Kater oder Katze?«
Stoffele fuhr beleidigt zurück. »Ein Kater. Was denn sonst?«
»Du könntest doch genausogut eine Katze sein.«
»Quatsch! Ich könnte nicht mal, wenn ich wollte. Und wollen tu ich natürlich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil Kater wichtiger sind.« Er saß auf einmal ganz aufrecht da. »Kater sind das Wichtigste auf der ganzen Welt.«
»Woher weißt du das?«
»Das weiß doch jeder Kater. Ohne uns läuft nix.«
»Ha!« sagte ich. »Ohne Katze hättest du meinen Kaktus nicht hinuntergeschmissen und säßest nicht auf meinem Schreibtisch. Weil es dich gar nicht gäbe.«
Stoffele legte den Kopf schief. »Wieso?« fragte er mißtrauisch.
»Weil es einen erst gibt, wenn man geboren wird.«
»Mich auch?« fragte Stoffele.
»Dich auch.«
|14|Er sah mich nachdenklich an. »Wie geht so was?«
»Ganz einfach«, sagte ich. »Deine Katzenmama hat ein Ei gelegt und–«
»Kohlrabenschwarz?«
Ich nickte. »Mit einem weißen Tupfen. Und dann hat sie dich ausgebrütet. So was weiß man doch. Du bist kein aufgeklärter Kater, lieber Stoffele!«
»Aber Kater sind trotzdem wichtiger«, verkündete er. »Weil ich einer bin. Miau!«
Ich strich über seinen dicken Kopf und schnupperte an seinem Fell. Er roch wirklich komisch.
»Weihrauch«, sagte Stoffele. »Ich komm nämlich aus einem Pfarrhaus mit einer Kirche nebendran, die hat oben einen großen runden Deckel. Damit er nicht abhaut.«
»Wer sollte denn abhauen?«
»Der liebe Gott. Ist doch klar.«
»Das muß Sankt Blasien sein. Die Deckelkirche ist der nicht unberühmte Dom.«
»Auch recht«, sagte Stoffele. »Der Pfarrer hat mich Mephistopheles getauft. Er kannte sich gut aus mit Teufeln. Er war ganz nackelig und wabbelig.«
»Nackelig und wabbelig? Der Pfarrer?«
»Nackelig oben auf dem Kopf. Wabbelig um den Bauch herum.«
»Es heißt nackt. Oder nackig.«
|15|Stoffele bestand auf nackelig. »Sonst paßt es nicht zu wabbelig.«
Das sah ich ein. »Haben dich die Kirchenmäuse dorthin gelockt?«
Er seufzte. »Nein, die Kirchenkatze. Das Kirchenkätzchen. Kirchenschätzchen. Weißbefellt. Samtpfotig. Schnurrig. Zierlich geschwänzt. Miauuuuu!«
»Und hat der Pfarrer seinen Segen dazu gegeben?«
Stoffele verdrehte die Augen. »Nix Segen. Seinen Schlappen. Den hat er nach mir geschmissen. Weil ich ihm zu laut gesungen hab, nachts. Dem hab ich’s aber gezeigt. Hackfleisch hab ich aus dem gemacht.«
Er leckte sich die Schnauze.
»Aus dem Pfarrer?« fragte ich erschrocken. »Wo die Kirche doch so unter Priestermangel leidet!«
»Aus dem Schlappen. Dann bin ich ausgewandert. Über die sieben Berge. Zu dir. Vom Weihrauch ist mir auch immer schlecht geworden. Und vom ewigen Glockengebimmel. Sei mal still!«
»Wieso?«
»Mein Magen sagt gerade was. Er sagt, ein bißchen warme Milch wär jetzt nicht schlecht. Aber ohne Weihrauch und Bimmelei.«
Ich holte ihm welche und goß sie in eine kleine Schale ohne Henkel, dafür aber mit Blümchenmuster.
|16|Stoffele sah es mit Wohlgefallen. »Das Auge schlabbert mit«, erklärte er und probierte. »Geht!«
Ich füllte das Schüsselchen dreimal.
»Hast du was frei?« fragte er zwischen zwei Schlabbern. »Bett, Hängematte, Sofa, Sessel, Schaukelstuhl, Körbchen. Mit was Weichem drin.«
Ich zeigte ihm meinen alten grauen Pullover. Aber den wollte er nicht, weil Grau ihm nicht stehe. Lieber einen roten. Ich holte meinen roten Pullover.
Stoffele musterte ihn abschätzig. »Der hat ja ein Loch.«
»Damit frische Luft reinkommt«, erklärte ich. »Dieser Pullover ist eine Sonderanfertigung für Katerkörbchen.«
»Dann will ich mal nicht so sein. Außerdem kann man da seinen Schwanz hindurchstecken, und auf der anderen Seite guckt er wieder raus, was sehr erfreulich ist. Der braucht viel frische Luft. Ich probier’s mal mit euch dreien.«
»Wieso drei?«
Stoffele rieb seinen Kopf an meiner Hand. »Mit dem Körbchen, dem Pullover und dir. Was liegt dort neben der Kaffeetasse?«
»Ein Blatt. Ich schreibe nämlich Geschichten. Ab und zu. Wenn mir was einfällt.«
»Steht aber nix drauf«, sagte er.
»Mir fällt halt nix ein«, sagte ich.
Stoffele sah mich an. Dann legte er den Kopf |17|schief und überkreuzte elegant die Vorderpfoten. »Schreib über mich!«
Ich mußte lachen. »Entschuldige, aber das ist ausgeschlossen. Kater kommen nicht an.«
»Was kommt an?« fragte Stoffele.
»Etwas Fetziges. Blutiges. Science-fiction. Horror. Mit möglichst viel Action und amerikanischen Wörtern drin. Hier sagt keiner mehr Grüß Gott!«
»Wen grüßen sie dann?« fragte Stoffele.
»Niemand. Die Bauersfrauen rufen einander jetzt ›hi‹ zu, was wie ›hai‹ klingt. Und die Kinder sind ›kids‹. Die haben’s nicht gern lustig, sie wollen ›fun‹. Und ›bikes‹ statt Fahrräder. Im Gemeindeblättchen stand neulich, Todtmoos sei voller highlights. Man kann dort eine bike-tour für kids machen, geführt von einem tour-leader, außerdem gibt’s ein moonshine bordercross auf spezieller bordercross-Streckemit viel background sowie ein snowdown on bike. Wer reiten will, steigt auf ein horse und ist happy, fällt er herunter, ist das horse happy, weshalb es auch happy horse heißt.«
»Vielleicht liegt dieses tote Moos in Amerika, und du hast es nur nicht gemerkt?« fragte Stoffele.
»Es liegt mitten im Hochschwarzwald.«
»Aber warum reden die moosen Toten so?«
»Sie glauben, je amerikanischer einer daherquasselt, desto mehr wird er von allen bewundert. Ich fürchte, mein armer Stoffele, für einen Kater interessiert sich hier kein Schwein.«
|18|Stoffele hob die Pfote. »Quatsch! Jedes intelligente Geschöpf, das kein Schwein ist, interessiert sich für Kater. Ich tu’s ja auch. Besonders für einen–«
»Namens Stoffele«, sagte ich. »Schön! Ich versuch’s mal. Was soll ich schreiben?«
Stoffele saß kerzengerade, mit funkelnden Augen. »Schreib: Mörder! Man guckt doch, wo man hinspringt!«
»Kommt mir bekannt vor.«
»Klar!« sagte Stoffele. »So hat’s mit uns angefangen. Vor zehn Minuten.«
»Und nun?« fragte ich.
»Nun geht’s mit uns weiter.«
»Da bin ich aber gespannt!«
»Ich auch«, sagte Stoffele und bezog sein Körbchen.
ch jätete Unkraut. Verscheuchte die Schnecken aus dem Salatbeet. Putzte die Fenster (na ja, nur eins). Sortierte das Gerümpel für den Sperrmüll. Kaufte Fleischbüchsen ein. Für ihn.
Stoffele lag zusammengekringelt im Schaukelstuhl und machte ein Nickerchen. Wachte kurz auf, nahm ein paar Häppchen, rollte sich auf die andere Seite, schlief weiter. Erwachte, schlabberte ein paar Schlückchen, ging einmal ums Haus herum, kam wieder herein, bestieg den Schaukelstuhl, schlief weiter. So ging das den ganzen Tag.
Ich stemmte die Hände in die Hüften und hielt ihm einen Vortrag.
»Ich rackere mich ab, und du – was machst du? Liegst herum und pennst.«
Stoffele riß die Schnauze auf und gähnte.
»Pfote vors Maul! Ich möchte wissen, wovon du müde sein könntest.«
Abermaliges, ausführlicheres Gähnen.
»Hast du die Schlafkrankheit?«
»Ein Kater braucht nun mal viel Schlaf«, erklärte Stoffele mit fest zugezwickten Augen.
|20|Ich setzte mich an den Computer, haute in die Tasten und schrieb eine böse schwarze Geschichte, vierpfotig, mit Schwanz. Der Schluß gefiel mir nicht. Auch Anfang und Mitte ließen zu wünschen übrig. Der Briefträger brachte mir einen Brief vom Finanzamt, und Schokoladenkekse – ich bevorzuge die bitteren – waren auch keine mehr da.
Stoffele schnurrte vor Behagen.
»Mit mir hast du das große Los gezogen«, sagte ich. »Mußt keine Geschichten über irgendwelche Kater schreiben–«
»Nicht über irgendwelche. Nur über einen. Über ihn. Mephistopheles, den schwarzen Kater mit der weißen Schwanzspitze.«
»Mußt keine Rechnungen bezahlen, und warme Milch kriegst du, wann immer du willst. Seit deinem Einzug hier hast du noch nichts Konstruktives getan. Du bist nur zur Verzierung da, liegst den ganzen Tag auf der faulen Haut und läßt mich arbeiten.«
Stoffele öffnete das linke Auge und sah mich verständnislos an.
»Du bist mir wirklich keine große Hilfe.«
Stoffeles rechtes Auge blickte schräg.
»Warum machst du dich nicht ein bißchen nützlich?«
»Nützlich?« fragte Stoffele erstaunt. »Was ist das?«
|21|»Das bedeutet, daß man etwas Sinnvolles tut. Sich seinen Lebensunterhalt verdient. Arbeitet. Sich abrackert.«
»Warum?«
»Weil es in der Bibel steht. ›Im Schweiße deines Angesichts sollst du deine Brekkies verdienen.‹«
»Katermäßig gedacht«, sagte Stoffele, »reicht es, wenn es einen gibt. ›Nützlich‹ scheint mir kein katergerechtes Wort zu sein.« Und dann, sanft, aber nachdrücklich: »Kater sind keine Abracker. Kater sind zum Bedienen da.«
»Sehr vernünftig! Dann bring mir mal die Nuß, die du gestern hinters Sofa gerollt hast. Ich komm da nicht hin.«
»Nur Hunde holen Sachen. Kater nie.«
»Aber du hast soeben erklärt, Kater seien zum Bedienen da.«
»Die Kater«, erklärte Stoffele milde, »sind da, um von den Menschen bedient zu werden. Das ist allgemein bekannt. Das war schon immer so. Und das wird immer so bleiben. Solange es Kater und Menschen gibt. Miau!«
»Gestern hast du im Wäschekorb übernachtet. Auf meiner frischgebügelten Bluse.«
»Kater liegen nicht gern auf Falten«, sagte Stoffele.
»Und heute morgen hast du mich um sechs Uhr aus einem wunderschönen katerlosen Traum gebrüllt. Mein Bett war so warm.«
|22|»Meine Pfoten nicht. Die haben sich furchtbar erkältet. Hingen voller Eiszapfen.«
»So geht’s nicht weiter«, sagte ich entschlossen. »Du mußt dein Leben ändern.«
»Wer sagt das?«
»Rilke. Er spricht mir aus der Seele.«
»Dein Seelenrilke soll mir den Buckel–«
»Stoffele! Wo Rilke nicht nur ein berühmter Dichter ist, sondern auch Träger eines höchst eindrucksvollen Schnauzers!«
»Größer als meiner?« fragte Stoffele kühl.
Ich verneinte zähneknirschend.
»Da hast du’s!« Er schleckte die Pfote ab und strich damit wohlgefällig über den Bart.
»Ich entwerfe eine Hausordnung.«
Stoffeles Schwanzspitze bewegte sich heftig hin und her.
Ich setzte noch einen drauf. »Auch Schiller ist meiner Meinung. Er hat in seinem Gedicht von der Glocke glaubhaft, weil in Versen, versichert, daß die Ordnung etwas Heiliges, äußerst Segensreiches sei. Und daß sie ›herein von den Gefilden, rief den ungezähmten Wilden‹. Damit meint er ohne Zweifel dich, mein Lieber.«
»Glocke?« Stoffele zog die Lefzen hoch. »Ich hab was gegen Bimmelei. Sag das deinem ordnungsfimmeligen Dichter, wenn er mal hier aufkreuzt.«
»Er weilt nicht mehr unter uns.«
|23|»Das hat er nun von seiner Ordnung«, sagte Stoffele zufrieden. »Ich weile noch.«
»Keine Widerrede! Die Hausordnung muß her. Und an die hältst du dich.« Ich setzte mich hin und schrieb eine
Hausordnung für Kater:
Man betritt das Haus nur mit vier sauberen Pfoten.
Flöhe bleiben draußen.
Brekkies gehören in den Teller und werden ab sofort nicht mehr in der Küche herumgejagt.
Auch sauer gewordene Milch schmeckt, ist gesund und gilt als Köstlichkeit.
Brüllen vor meinem Schlafzimmerfenster, weil man rein will, ist nicht vor acht Uhr morgens gestattet.
Bevor man einen Baum hinaufklettert, ist zu überlegen, ob man auch allein wieder herunterkommt.
Der Schaukelstuhl, den meine Oma mir vererbt hat, ist nur für Menschen da. Ich leg mich auch nicht in dein Körbchen.
Das geblümte Kissen gehört mir.
Mit den Krallen aus Decken, Bezügen und Vorhängen gezogene Fäden von hinten wieder hereinziehen!
|24|Man trampelt anderen Leuten nicht auf dem Bauch herum, wenn die gerade gegessen haben.
Ich habe gesprochen!
Ich hängte die Hausordnung über Stoffeles Körbchen, das in der Küche steht, und las sie ihm vor. Einmal von vorn nach hinten, einmal von hinten nach vorn.
»Kapiert?«
Stoffeles Schwanz peitschte hin und her.
»So!« sagte er. »Und jetzt komm ich.«
»Aber du bist doch schon da. Und wie!«
»Jetzt kommt meine Hausordnung. Schreib auf!«
Das tat ich. Und hier ist sie, Stoffeles
Hausordnung für Menschen:
Bevor man den Kater streichelt, Hände waschen.
Streicheln ist nur mit dem Strich, nie gegen ihn gestattet.
Ich mag nun mal keine Sauermilch. Die Milch muß lauwarm sein und ohne Fliegen drin.
Der Schaukelstuhl ist für den Kater freizuhalten oder zu räumen, wenn dieser es wünscht.
Will der Kater frühmorgens oder sonst herein, sagt man nicht »Saukater« zu ihm. Man |25|begrüßt ihn mit den Worten: »Da bist du ja endlich, mein lieber Stoffele.«
Ist der Kater naß, hat man ihn mit einem frischen, sauberen Handtuch abzurubbeln.
Man zieht den Kater nicht am Schwanz.
Ist es kalt, hat eine Wärmflasche im Körbchen zu liegen.
Der Kater bestimmt selbst, wann er raus und wieder rein will.
Du sollst keinen andern Kater neben mir haben!
Miau!
»Die hängst du über dein Bett«, verlangte Stoffele. Das tat ich denn auch.
Am nächsten Tag fiel mir ein ausgezeichneter Schluß für meine Geschichte ein. Auch die Mitte veränderte ich, und der Anfang ist der beste, den ich je geschrieben habe. Der Briefträger brachte mir eine Geldüberweisung von DM 82.50, und dann stand lieber Besuch vor der Tür mit einer Tüte voll frischer Nußhörnchen.
Abends lag Stoffele im Schaukelstuhl und machte sein gewohntes Nickerchen. Ich sammelte die beiden Hausordnungen ein, drehte sowohl den rilkeschen als auch den schillerschen Buchrücken zur Wand, entzündete ein schönes Feuer im Kamin, |26|schob den Schaukelstuhl davor, setzte mich bescheiden auf den Rand, Stoffele rutschte ein bißchen, und wir schauten zu, wie die zwei Blätter verbrannten.
Dann teilte er mir mit – um das ein für allemal zu klären–, warum Kater so viel Schlaf brauchen.
»Nämlich zum Kämpfen«, sagte er mit Funkelaugen. »Zum Mäusefangen. Zum Befreien einer schönen Katzenprinzessin. Zum Erforschen unbekannter Gärten, Länder, Urwälder und« – schiefer Blick zum Bücherregal – »von Gefilden, wie der ordentliche Dichter sagt. Dazu braucht ein Kater gewaltig viel Schlaf.«
»Aber das kannst du doch alles in der Zeit tun, in der du wach bist.«
Stoffele sah mich empört an. »Willst du, daß ich mir die Ohren zerfetzen lasse? Daß eine zickige Katzenprinzessin mir eins auf die Nase haut? Ein Elefant mich zertrampelt? Ein spießiges Nashorn mich durchbohrt, eine Schlange mich umschlängelt?«
Nein, das wollte ich nicht.
»Na, siehst du! Darum erledigt ein intelligenter Kater die gefährlicheren Abenteuer im Schlaf. So bleiben die Ohren ganz und der Bauch auch, was ihnen viel lieber ist. Mir ebenfalls.«
Ich sah ein, das hatte etwas für sich.
Stoffele machte die Augen zu, ich schlug ein Buch auf.
|27|»Na?« fragte ich, als er sich reckte und streckte. »Wie ist es dir ergangen? Kehrst du als Sieger heim?«
»Dem Tode knapp entronnen«, sagte Stoffele. »Er war hinter mir her.«
»Wer?«
»Dieser Mauserich. Sauriergroß. Ein Schwanz wie ein Drahtseil. Bin grad noch rechtzeitig aufgewacht. Und du? Hast du auch im Schlaf gekämpft?«
»Gelesen hab ich.« Ich hielt ihm mein Buch vor die Nase. »Da erlebe ich die unglaublichsten Abenteuer, und meine Ohren bleiben ganz. Wie deine. Lesen ist für mich wie für dich Schlafen.«
Stoffele nickte weise. »Das ist«, sagte er, »wie wenn man den Pelz gewaschen kriegt, aber man wird dabei nicht naß. Und jetzt brauch ich eine kleine Stärkung.«
Er marschierte zum Schüsselchen und ließ nichts übrig. Dann rollte er sich wieder in meinem Schoß zusammen: »Der Kampf geht weiter!«
ir saßen am Fenster und guckten hinaus, wie wir es gern tun, ich innen, die Ellbogen aufgestützt, Stoffele außen auf dem Fensterbrett, müffchenmachend, und harrten der Dinge, die da kommen würden.
Zuerst keuchte ein Jogger mit rotem Stirnband vorbei und fragte, wo zum Kuckuck denn bloß der Schluchsee sei. Weil erso schwitzte und mich dauerte, sagte ich: »Grad um die Ecke!« und dachte: Daß es noch zwölf Kilometer sind, wird er schon merken.
Dann erkundigte sich ein Schweizer, wo denn die meisten Pfifferlinge und Steinpilze wüchsen, und ich schickte ihn in ein Waldstück, wo es außer Farn und Moos rein gar nichts gibt.
Ein Holländer wollte wissen, warum es hier so bucklig sei, Holland sei überhaupt nicht bucklig. Ich erklärte ihm, das liege an den Bergen. Aber das Waldhaus-Bier – »smakt heerlijk verfrissend« – und das Kirschwässerle vom Indlekofer und die lebendfrischen Forellen im »Engel« in Heppenschwand lobte er sehr.
|29|»Frißt der die lebendig?« brüllte Stoffele mir ins Ohr, aber das verstand der Holländer nicht, weil er schon weg war, in Richtung »Engel«.
Dann rannte Prinz vorbei, pinkelte an meine Birke und bellte Öhlers Nora ein verliebtes Ständchen. Und ein Feriengast aus Husum mit roten Strümpfen, Tirolerhut und Landkarte wollte wissen, ob’s hier Wildschweine gebe, und war erleichtert, als wir ihm versicherten, in letzter Zeit kaum, und wenn, seien sie nur schweinisch und nicht sehr wild.
Er dankte und warf noch einen scheelen Blick auf das Schild, das ich auf Stoffeles Wunsch am Gartenzaun befestigt hatte.
»Achtung! Beherzter Kater!« war da zu lesen.
Stoffele riß den Rachen auf – er sagt Rachen dazu–, gähnte und meinte: »Langweilige Gegend!«
»Aber ruhig und friedlich«, sagte ich. »Und hier oben im Schwarzwald ist’s gesünder als drunten.«
»Was ist ›drunten‹?«
»Die Rheinebene. Dort ist es im Sommer furchtbar schwül. Und im Herbst so neblig, daß du deinen eigenen Schwanz nicht mehr vor den Augen siehst.«
»Meiner ist hinten«, sagte Stoffele. Und wo er recht hat, hat er recht.
»Woher weißt du denn«, fragte er, nachdem sich immer noch nichts Aufregendes getan hatte, »wie’s drunten ist?«
|30|»Weil ich dort aufgewachsen bin. Meine Schwester Ulrike lebt heute noch in Offenburg. Mit einer getigerten Hex und mit Peterle, der ist schwarz wie du.«
»Mit oder ohne Schwanzfleck?«
»Ohne.«
Stoffele guckte verächtlich. Von schwanzflecklosen Katern hielt er grundsätzlich nichts.
»Offenburg liegt in der Ortenau, da gibt’s viele Weinberge und an Fasnacht den Hexenball, wo ich, auch als Hex, immer bis morgens früh um sechs – aber das war vor deiner Zeit.«
»Hat es viel Zeit vor meiner Zeit gegeben?« wollte Stoffele wissen.
»Jede Menge. Etwa fünfzehn Milliarden Jahre.«
»So lange haben alle auf mich gewartet«, sagte Stoffele andächtig.
»Nicht alle.«
»Nicht? Wer hat nicht auf Stoffele gewartet?«
»Ich.«
»Du?« Seine Schwanzspitze zitterte. »Hast nicht gewartet? Hast nicht gejammert und geseufzt: Mein lieber Stoffele, wann kommst du endlich? Dein Milchschüsselchen ruft nach dir, dein Körbchen wartet?«
»Nein. Ich wußte ja nicht, daß du einmal neben mir zum Fenster hinausgucken und die Schnauze–«
»Rachen, bitte!« sagte Stoffele eisig.
|31|»Daß du den Rachen aufreißen und gähnen würdest.«
Stoffele erhob sich, sprang hinunter, mitten in die Stiefmütterchen, und verschwand um die Hausecke.
Abends saß er wieder auf dem Fensterbrett und sah düster hinaus in den Garten.
»Willst du rein?« fragte ich.
Stoffele wandte sich um. Sein Blick ging mir durch Mark und Bein.
»Deine Milch ist noch warm. Ich hab auch frisches Brot hineingebrockt, das magst du doch.«
Stoffele legte den dicken Kopf auf die Pfoten und schwieg eindrucksvoll.
»Sei doch nicht so! Natürlich hab ich nicht an dich gedacht, als du noch nicht bei mir warst. Aber seit du da bist, denke ich ununterbrochen an dich. Dafür sorgst du schon. Und nun komm!«
Stoffele seufzte und sah zum Mond. Sein Fell schien mir matt. Stoffeles Fell, meine ich. Der Mond hat ja keins.
»Ohne dich«, sagte ich, »kann ich mir mein Leben gar nicht mehr vorstellen. Ohne dich wäre die Welt um zwei Ohren ärmer.«
Stoffele drehte sich mir wieder zu. Ganz langsam.
»Und erst dein Schwanz! Wenn es den nicht gäb! Arme, schwanzlose Welt! Komm!«
|32|Stoffeles Schwanzspitze zeigte erfreulich nach oben.
»Mit deinem Rachen bist du der Schrecken aller Mäuse.«
»Schnauze genügt«, sagte Stoffele bescheiden.
Ich kam in Fahrt. »Und erst dein Schnurrbart! So was findet man bei keinem anderen Kater. Die können alle einpacken.«
Stoffele richtete sich auf und strich mit der linken Pfote über sein Barthaar.
»Dann der weiße Fleck an deiner Schwanzspitze! Er erleuchtet die ganze Welt. Besonders hier im dunklen Schwarzwald. Und am besondersten in Oberweschnegg.«
Stoffele machte einen wunderschönen Buckel und betrat erhobenen Schwanzes das innere Fensterbrett.
»Dein Milchschüsselchen ruft nach dir«, sagte ich. »Dein Körbchen wartet.«
Bald lag er drin und schnurrte.
iau!« sagte Stoffele.
»Wie recht du hast«, sagte ich und drehte das Blatt um.
»Es regnet«, sagte Stoffele. Ganz laut.
»Ich seh’s«, sagte ich und schrieb weiter.
»Mit Tropfen«, sagte Stoffele. Sehr deutlich.
»Was du nicht sagst!« Ich schrieb weiter.
»Von oben nach unten regnet es.«
»So regnet es meistens.«
Stoffele sprang auf den Schreibtisch. »Schreibst du über mich?«
»Ich schreibe einen Brief. Es ist dringend. Stör mich nicht!«
Er setzte sich auf den Brief. »An wen?«
»Das geht dich gar nichts an. Runter mit dir! Laß mich weiterschreiben. Es ist sehr, sehr dringend!«
Stoffele legte die Ohren flach an. »Ich will aber wissen, an wen du einen Brief schreibst. Ich hab keine Geheimnisse vor dir. Nie! Wenn ich einen Brief schreiben tät, würd ich dir sofort sagen, an wen.«
|34|»Es ist mein Brief, nicht deiner«, sagte ich. »Gib Ruh! Außerdem kannst du gar nicht schreiben.«
Stoffele schniefte. »Ich krieg nie einen Brief.«
Ich schrieb weiter. Mitleidslos.