Der Kater, der nicht reden wollte - Eva Berberich - E-Book

Der Kater, der nicht reden wollte E-Book

Eva Berberich

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Beschreibung

»Ohne Katze wär das Paradies kein Paradies!« Bei der Erzählerin, ihrem Dauerfreund Konrad und der Oberkatze Schlumpel ist ein Kartäuserkaterkind in Oberweschnegg eingezogen und sorgt für allerlei Wirbel. Mit seinem Katercharme wickelt Schnuff jeden um den Finger, doch Konrad macht sich Sorgen. Warum spricht der kleine Kater nicht mit ihm? – Neue warmherzige und bezaubernde Geschichten aus der erprobten Feder von Eva Berberich. Wer bis jetzt kein Katzenfreund war, wird spätestens mit Schnuff bekehrt!  

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Eva Berberich

Der Kater, der nicht reden wollte

Mit Illustrationen der Autorin

Gesicht gesträubt: die Iris weit:

ein unentschlüsselbarer Blick:

auf kleinen Pfoten läuft ein Stück von Leben

mit uns durch die Zeit.

Günter Kunert

Wir vier

m Anfang war der Teufel. Mephistopheles. Stoffele. Der schwarze Kater mit der weißen Schwanzspitze, dem ich – wie er zu sagen pflegte – zugelaufen war, der ein Jahr lang mein Leben bereichert hat und vom Dach gefallen ist, als er mir einen Stern vom Himmel herunterholen wollte.

Ein Taugenichts, Faulpelz und Macho, wie er längst im Buche steht (nachzulesen in ›Alles für den Kater‹, dtv 25187) und den ich geliebt habe. Und weil keiner, der mal von einer Katze als Lebensgefährte erwählt wurde, mehr ohne Katze sein kann, denn eine Katze sticht für ihn jedes andere Haustier aus, ob Elefant, Boa Constrictor oder Stallhase, folgte ihm, nach Einhaltung der Trauerzeit, Schlumpel, sein rotbepelztes, grünäugiges Enkelkind, eine wahre Schmuddelkatz, verschmust, raffiniert und blitzgescheit, die seither mein Leben teilt, das ich wiederum mit Konrad teile. Aber nicht immer, nur an den Wochenenden und wenn Konrad bei uns auf dem Land urlaubt.

Konrad und Schlumpel haben nach anfänglichen Machtkämpfen, die Konrad natürlich verloren hat, eine Art Burgfrieden geschlossen und kommen inzwischen ganz manierlich miteinander aus. Aber da Schlumpel nun mal meine Schlumpel ist, wuchs in Konrad die Sehnsucht nach, wie er sagte, »was Eigenem«; dieses Eigene brachte er eines Tages aus dem Tierheim mit, und wir nannten es Schnuffel.

Schnuffel ist also hauptsächlich Konrads Kater und männliche Verstärkung, mit ihm fühlt er sich meiner Katze und mir eher gewachsen. Schnuffel heißt so, weil er, als er im Alter von zehn Wochen bei uns einzog, seine Umgebung hauptsächlich mit der Nase erkundete. Das verbindet ihn mit Marseus van Schrieck, einem bemerkenswerten holländischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts, dem seine Künstlerkollegen den Spitznamen »Snuffelaer« gaben, weil er durch Wald und Flur zog, überall nach Schlangen, Lurchen, Kröten, Eidechsen, Fröschen, Insekten und Pilzen herumschnüffelte und, was er gefunden hatte, auf seinen Bildern ins rechte Licht setzte. Wer’s nicht glaubt, der kann ja im Lexikon nachschauen.

Schnuffel malt jedoch nicht, Schnuffel schnuffelt nur, das aber ebenfalls mit Inbrunst. Und zwar bei Schlumpel und mir auf dem Land in Oberweschnegg. Denn Konrads Stadtwohnung ist nicht katertauglich. Auch hätte Konrad dort keine Zeit für ihn und außerdem Angst um seine wertvollen Bücher, in denen Schnuffel, nachdem Konrad ihm das Lesen beigebracht hätte, herumschmökern würde, womöglich mit dreckigen Pfoten.

Aber Konrad zahlt reichlich Alimente in Form von Dosenfutter und Leckerli, da lässt er sich nicht lumpen.

Schnuffels Erziehung übernahm zunächst einmal Schlumpel, wobei sie recht autoritär vorging, was sein musste, wie sie mir immer wieder erklärte, wenn sie ihn verdroschen hatte. Schnuffel gedieh dabei ausgezeichnet. Nur –

Konrads Stirn legte sich in Sorgenfalten. »Er sagt immer noch nichts. Ob er stumm ist?«

»Ist er nicht«, beruhigte ich ihn. »Ich hab auch lange nichts gesagt. Nur gebrüllt. Und ich konnte erst mit fünf ein anständiges S herausbringen.«

Abgesehen von seiner mangelnden Redelust war Schnuffel wirklich eine Freude und Augenweide. Was Katzenkinder immer sind, wenn man nicht allzu sehr an einwandfreien Polstermöbeln, unbefleckten Teppichen, unzerschlissenen Kissen und unzerkauten Vorhangfransen hängt, an den Schätzen also, die, so steht’s geschrieben, sowieso Rost und Motten fressen werden.

Schnuffel ist ein kleiner Kartäuser mit gelben Bernsteinaugen und einem kurzen mausgrauen Wuschelpelz. Ein richtiger Handschmeichler.

Schnuff

ch stand vor der Haustür. »Schlumpel!«, rief ich, »komm schnell, Fleischbällchen!«

Schlumpel ließ mich erst ein bisschen warten, obwohl ich genau sah, dass sie hinterm Johannisbeerbusch lag und hackfleischbällchenlüstern die Ohren spitzte. Aber eine Katze, die auf sich hält, rennt nicht gleich los, wenn man sie ruft. Sie wartet eine kleine Weile, dann schlendert sie daher, schnuppert an einer Rose, begrüßt einen Schneck, betrachtet sinnend den Schubkarren und lauscht dem melodischen Klang des nachbarlichen Rasenmähers. Es soll aussehen, als komme sie freiwillig und ganz zufällig mal eben vorbei. Doch einer kam gerannt: Schnuffel. Ein kleiner Kater kennt die Rituale halt noch nicht so gut.

»Dich mein ich nicht, Schnuffel, ich meine Schlumpel. Du warst schon dran, bist pumpsatt und hast den Ranzen voll.«

Aber Schnuffel guckte, als fühle er sich gemeint. Und da ging mir auf, warum.

»Konrad«, sagte ich abends, »wir sind vielleicht bescheuert!«

Konrad fühlte sich nicht gemeint. »Wieso bist du bescheuert?«

»Wie heißt meine Katze?«

»Wie soll sie schon heißen? So, wie sie aussieht und guckt: Schlumpel.«

»Und wie heißt dein Kater?«

»Wie soll er schon heißen? So, wie er sich benimmt: Schnuffel.«

»Und fällt dir dabei was auf?«

Konrad fiel nichts auf.

»Sag mal die beiden Namen hintereinander.«

»Schnuffel«, sagte Konrad. »Schnuffel und Schlumpel und Schlumpel und Schnuffel.« Und dann fiel der Groschen: »In beiden steckt ein u. Und sie klingen gleich lang.«

»Deshalb fühlen sich beide gemeint, wenn ich rufe. Weil ihre Namen so ähnlich klingen.«

Konrad dachte nach. Und weil er klug und weise ist, fand er eine Lösung für das Problem: »Schlumpel können wir nicht umtaufen, die ist an den Namen gewöhnt. Aber Schnuffel ist noch lernfähig. Wir nennen ihn einfach Schnuff. Das ist kurz und knapp und nicht mit Schlumpel zu verwechseln.« Er probierte den Namen aus. »Schnuff!«, rief er in allen Tonarten und Stimmlagen, »Schnuff! Schnuff! Schnuff!«

Schnuff kam, was Konrad beeindruckte, kriegte ein Leckerli, was Schnuff beeindruckte; und so übten die beiden eine Stunde lang. Schnuffs Bäuchlein wurde immer runder vor lauter Leckerli, und dann spuckte er auf den Wohnzimmerteppich, was Konrad so mitnahm, dass er sich außerstande fühlte, den Teppich wieder sauber zu machen, weshalb ich – na ja.

So wurde aus Schnuffel Schnuff.

Weg

eugier kennt keine Grenzen. Und Schnuff war die verkörperte Neugier. Eines Morgens zog er wieder aus, wie Hänschen klein in die weite Welt hinein – sprich Oberweschnegg–, nur ohne Stock und Hut, und abends kam er nicht mehr heim.

Konrad, der mich immer zur Mäßigung anhält, wenn Schlumpel mal weg ist, und den es geniert, wenn ich »Schlumpel, Schlumpel!« rufend durch Wies und Feld renne, Konrad drehte am Telefon fast durch.

»Ich hab’s geahnt. Hab ich’s nicht geahnt? Ihr habt nicht aufgepasst, ihr beiden. Ein Fall von sträflicher Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. So ein kleines Geschöpf. Hilflos, angewiesen auf Liebe, menschliche Fürsorge und–«

»Reg dich nicht auf! So hilflos ist Schnuff gar nicht. Der kann sich schon seiner Haut wehren.«

»Verirrt hat er sich«, sagte die Konradstimme dumpf. »Und er kann nicht mal sagen, wo er hingehört, wenn ihn einer findet, halb verhungert oder schwer verletzt. Mit gebrochenem Schwanz und zerfetztem Ohr. Weil er ja den Mund nicht aufkriegt.«

»Ach was, hier kennt ihn doch jeder.«

»Ein tätowiertes Ohr hätt er gebraucht, ein Halsband mit seinem Namen drauf, eine Nummer, einen Chip, ich hab’s dir schon ein paar Mal gesagt, aber du hörst mir ja nie zu.«

»Wenn er wieder da ist, kriegt er einen Kinderausweis«, versprach ich. »Mit unveränderlichen Kennzeichen: Kater, klein, grau, stumm, auf den Namen Schnuff hörend – oder auch nicht.«

»Und ein Glöckchen um den Hals«, forderte Konrad. »Am Sonntag komm ich. Wenn er bis dann nicht da ist, weiß ich nicht, was ich tu. Mein Blutdruck–«

Seine Stimme klang gebrochen. Dann war Konrad weg.

»Aber Konrad weinet sehr, hat ja nun kein Schnuff nicht mehr . . .«

Das alte Kinderlied zog mir, leicht abgewandelt, wieder durch den Sinn, und mir wurde ganz flau.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich meine Katze.

Schlumpel schlug Müffchen vor, wie jedes Mal, wenn ein Problem zu lösen war.

»Du weißt genau, dass ich das nicht hinkrieg«, sagte ich.

Und also machte nur Schlumpel Müffchen, was ihr gut stand und, wie jede Katze und jeder Katzenmensch weiß, das Nachdenken fördert.

»Na«, fragte ich, »ist dir was eingefallen?«

Dem war nicht so. Schlumpel gähnte.

»Du hast nicht nachgedacht, Schlumpel, du hast gepennt.«

Dem war so. Aber den seinen gibt’s der Herr offenbar halt doch im Schlaf, denn –

»Ich hab ihn gesehen«, sagte Schlumpel.

»Du? Wen?«

»Schnuff.«

»Wann denn?«

»Vorhin.«

»Und wo?«

»Im Traum.«

»So, so. Und wo steckt er?«

»Draußen.«

»Wo draußen?«

»Im Garten.«

»Wo im Garten?«

»Im Vogelhäusle.«

»Mach Sachen! Wie ist er da hinaufgekommen?«

»Mit den Pfoten. Er hat ja vier Stück.«

»Was tut er dort?«

»Er hockt drin.«

»Und was macht er drin?«

»Dumm gucken.«

»Warum guckt Schnuff dumm?« An diesem Satz hätte Konrad seine Freude gehabt. So viele u, in jedem Wort eins.

»Weil er was gemerkt hat.«

»Was denn?«

»Dass er keiner ist.«

»Dass er kein was ist?«

»Kein Vogel. Dass er nicht einfach fortfliegen kann.«

»Schnuff hat gedacht, er sei ein Vogel?«

»Der denkt nix«, sagte Schlumpel. »Der ist blöd.«

»Ist er nicht. Er ist halt noch klein, das warst du auch mal.«

»Klein schon«, sagte Schlumpel. »Aber blöd nicht. Nicht mal im Traum.«

»Wie lange hockt er schon im Vogelhäusle, klein, blöd und stumm?«

»Weiß ich nicht.« Sie rollte sich wieder zusammen, legte den Schwanz über den Kopf, um mir kundzutun, sie bedürfe noch dringend der Ruhe.

»Schlumpel, du weißt es ganz genau.«

»Der hockt dort seit gestern«, klang es durch den Schwanz.

»Er hätt doch erfrieren können«, sagte ich vorwurfsvoll. »Im Garten liegt schon Schnee. Du bist eine Rabenstiefmutter.«

»Er hat seinen Pelzmantel an. Und drinnen im Vogelhäusle ist’s schön trocken.«

»Aber er muss doch Hunger haben.«

»Körner sind gesund.«

»So ein Quatsch.«

»Sagst du doch immer.«

»Ja, aber nur für Vögel.«

»Bist du ein Vogel?«

»Natürlich nicht.«

»Du frisst auch Körner.«

»Weil sie gesund sind. Aber warum ist er nicht wieder runtergekommen?«

»Er hat Schiss.«

»So hoch droben ist das Vogelhäusle doch gar nicht. Höchstens eins sechzig. Konrad hat es nicht höher befestigt, damit ich mit der Kehrschaufel das Futter hineinschütten kann. Also: Vor wem hat Schnuff Schiss?«

»Vor mir.«

Ich schob den Schwanz von Schlumpels Kopf: »Guck mich an! Was hast du ihm getan?«

»Nix.«

»Du schwindelst.«

»Ich hab ihm nur gesagt, wenn er runterkommt, verhau ich ihn.«

»Aber warum denn?«

»Damit er’s weiß.«

»Damit er was weiß?«

»Wer zuerst frisst. Nämlich ich.«

»Und du glaubst, er weiß es jetzt?«

»Klar.« Schlumpel schleckte sich zufrieden die Schwanzspitze. »Meine Erziehung!«

»Du bist ein ganz autoritäres Miststück«, sagte ich empört.

»Was sein muss, muss sein«, sagte Schlumpel. »Unser Konrad hat ja keine Ahnung von Erziehung.«

So pflegt sie ihn nämlich zu nennen. Unseren Konrad.

»Wo warst du denn, mein armer kleiner Schnuff?«

Konrad saß im Musiksessel, seinen wiedergefundenen Kater im Arm. Der schnurrte ihm was ins beglückte Ohr, schleckte ihm die Nase ab und sagte kein einziges Wort.

»Er war im Vogelhäusle, lieber Konrad.«

»Aber was hast du bloß dort gesucht?«

Schnuff verweigerte die Antwort und guckte einfach nur kühn.

»Schlumpel hat ihn gefunden«, sagte ich. »Und gerettet. Bedank dich bei ihr!«

»Fisch oder Fleisch?«, fragte Konrad. Er pflegt nämlich auch ihr ab und zu Leckerli mitzubringen, um gut Wetter zu machen.

»Beides«, sagte Schlumpel.

Zum Abendessen speisten Konrad und ich Kartoffelsalat und Wienerle, Schlumpel saß drunten vor ihrem Schüsselchen mit »Lachsstückchen hochfein an Soße«, in gebührendem Abstand hinter ihr hockte Schnuff, schön ordentlich Pfot bei Pfot, guckte ihr die hochfeinen Lachsstückchen vom Teller und schluckte.

»Komisch«, sagte Konrad, »wie der sich zurückhält. Obwohl er sich dauernd das Maul, die Schnauze – das Schnäuzchen schleckt.«

»Er genießt eben eine ausgezeichnete Kinderstube«, sagte ich. »Vermutlich denkt er: Ladies first! Bedank dich bei Schlumpel.«

Konrad füllte Schlumpels Schüsselchen gleich noch mal mit Leckerli. Als sie damit fertig war und kein Lachsstückchen mehr übrig, nur noch etwas Soße, gestattete sie Schnuff, das Schüsselchen leer zu schlecken.

Gespensterballade

or dem Fenster hing die Dämmerung. Schnuff hatte jede Menge Schneeflocken gefressen, hockte nun im Körbchen und guckte mich unverwandt an. Irgendwie leise flehend.

Das ist sein Geschichtengesicht, denn Schnuff ist, wie bisher alle unsere Katzen, wild auf Geschichten. Noch wilder ist er auf den Zirkus, den wir dabei aufführen, auf das ganze Drumherum, das Gesichterschneiden, Stimmeheben, Augenrollen, Herumfuchteln.

»Muss es gerade jetzt sein?«

»Muss!«, sagte sein Schwanz – wenigstens der redet mit uns – und zeigte in einer sanften Kurve leicht nach oben.

»Also dann eine Geschichte für Schnuffs Schwanz«, sagte ich, schob den Apfelkuchen in den Backofen und befahl dem Zeitgockel, nach fünfundvierzig Minuten zu krähen. Sollte er es, wie letztes Mal, vergessen, lande er im Römertopf. »Was darf’s denn sein?«

»Was mit Grusel«, sagte Schlumpel. Sie lag auf dem Lattenrost überm Heizkörper, ließ die Pfoten durch die Spalten hängen und röstete den Bauch. »Der dort oben erzählt ihm auch oft eine.«

Der dort ist Herr E.T.A.Hoffmann – das ist der mit dem ›Kater Murr‹–, der im dritten Regal der Bücherwand mit seinem Gesamtwerk vertreten ist und zu dem Schnuff eine innige Zuneigung gefasst hat. Jetzt weiß ich also, warum er so gern dort oben hockt. Nicht umsonst ist Hoffmann als »Gespensterhoffmann« in die Literaturgeschichte eingegangen.

»Aber Schnuff grault sich doch nie. Der tut nur so.«

»Wegen dir«, sagte Schlumpel durchaus pragmatisch, »damit du dich freust. Und wenn du dich freust, machst du hinterher eine hochfeine Büchse auf. Und dann freut Schnuff sich.«

Noch so klein, dachte ich, und schon so gewieft! Zündete die dicke Erzählkerze an, begab mich in Konrads Musiksessel– Schnuff sprang aus Sicherheitsgründen auf meinen Schoß – und begann mit gedämpfter Stimme: »Es war einmal ein Schloss, das stand . . .«

». . . sehr grau und alt«, erklang es von der Tür her, »mittendrin im tiefsten Wald. Mit dicken Mauern, hohem Turm trotzt es jedem wilden Sturm. Drei Raben hört man nächtlich krächzen, hört auch die alten Bäume ächzen. Hört die klugen großgeäugten grauen Eulen im verfallenden Gemäuer greulich heulen.«

Auch Schnuff äugte groß: »Heul mal!«, baten seine Augen. »Ächz mal!«

Konrad ächzte und heulte: »Kraraaaaaaaa! Huhuuuuuuuu!«

Es war beeindruckend. Für mich tut er das nie.

»Verzieh dich!«, sagte ich. »Du störst!«

Konrad ging vor Schnuff, der ihn fasziniert anstarrte, in die Knie: »In den Bäumen sieht man manchmal ganz weit oben droben« – Schnuff folgte seinem an die Decke zeigenden Finger – »einen dicken runden Vollmond seine gelben Träume träumen. Und im Schlossteich, schwarz und sumpfig, stöhnt es dumpfig, bumpfig, schlumpfig. Und die Raben, diese alten schlauen Knaben, kreisen immer um den Turm bei Wind und Sturm: der Nachtkrabb, der Waldkrabb, der Mondkrabb.«

»Halt den Schnabel!«, sagte ich. Konrad ließ sich uns gegenüber auf das Sofa fallen und hielt die Hand auf den Schnabel.

»Es war ein Spukschloss«, erzählte ich weiter, »in dem aber niemand mehr rumspukte. Das alte Gespenst war leider erlöst worden, nun war das Schloss ganz allein, und nachts langweilte es sich. Raben, sagte das Schloss, ein Gespenst muss wieder her!«

Konrad entriss mir das Wort. »›Wie soll’s denn sein? Groß oder klein?‹, krächzten die Raben.« Er blinzelte Schnuff zu. Der sprang auf seinen Schoß und himmelte ihn an, was Konrad gewaltig beflügelte: »›Ein Kettenklirrer?‹, krächzten die Raben, ›ein Durchdiegängeirrer? Ein Imverliesverreckler? Ein Sichimschrankversteckler? Ein Kratzandermauer? Ein Liegaufderlauer? Ein Wurgler? Ein Gurgler? Oder ein toller Augenroller?‹« Noch nie hatte ich ihn so die Augen rollen sehen. Er war ein Talent. Schnuff rollte begeistert mit.

»Gib nicht so an!«, sagte ich, und zu Schnuff: »Hier geht’s weiter!« Und als er wieder auf meinem Schoß saß: »›Ist mir wurscht‹, sagte das Schloss, ›Hauptsache es spukt!‹ Die Raben flogen davon und krächzten: ›Schlossgespenst gesucht. Einmalige Gelegenheit. Bitte melden! Bitte melden!‹ Es meldeten sich jede Menge Gespenster.«

»Die Gespenster freuten sich sehr und zogen den Raben hinterher«, sagte Konrad beschwörend, was Schnuff als Aufforderung betrachtete, wieder auf seine Knie überzuwechseln. »Das Schloss fanden sie toll, ganz wundervoll.« Dann putzte er sich die Nase, was ich ausnutzte, Schnuff ein Katzengutsel hinhielt, und schon saß er wieder auf meinem Schoß.

»›Prima Schloss!‹, sagten sie, ›hier bleiben und spuken wir, alle miteinander.‹«

»Huhuuu!«, brüllte Konrad.

»Du heulst wie ein Wolf, nicht wie ein Gespenst«, sagte ich kühl und hielt Schnuff fest, der schon wieder auf dem Sprung war. »›Bitte nicht!‹, jammerte das Schloss, ›eins reicht. Raben, was mach ich bloß?‹ Die Raben waren für ein Probespuken. ›Der beste Spuker‹, krächzten sie, ›darf bleiben.‹ In der nächsten Nacht sollte das große Spuken stattfinden. Da hatten die Gespenster noch viel zu tun.«

»Was?«, fragten Schnuffs Funkelaugen.

Konrad zwinkerte ihm zu, aber ich legte den Arm fest um ihn.

»Ketten schmieren«, sagte Konrad beschwörend. »Mit Knochen schön klappern. Heulen üben und stöhnen und ächzen und schauerlich lachen und heiser krächzen. Auf Schlabbergewänder Blutflecken machen. Wie trägt man zierlich den Kopf unterm Arm? Wie kreischt und heult man, dass Gott erbarm? So wenig Zeit, die muss man nutzen, die Vampirzähne sauber putzen. In dunklen Eckchen sucht man Versteckchen. Übt Augengefunkel und Munkeln im Dunkel. Und . . .«

»Reicht«, sagte ich. »Um Mitternacht ging’s los. Eine Stunde lang spukten sie wie verrückt. Der Mond war längst in Ohnmacht gefallen. Nur ein Gespenst muckste sich nicht. Es lag im rot-weiß karierten Himmelbett, in dem Ritter Konrad« – ich deutete anklagend mit dem Finger auf mein Gegenüber – »der da ist sein Ururururenkel – als böser Gatte seine Gemahlin meuchlerisch abgemurkst hatte.«

Schnuffs Schwanz wurde zu einer aufgeplusterten Bürste.

»Komm her«, lockte Konrad, »dann erfährst du Genaueres!« Er raschelte zusätzlich mit der grünen Katzentabs-Büchse, und schon hatte er ihn. »Weil«, sagte Konrad triumphierend, »diese Gattin alle Türklinken verbäbbt hatte. Die Kerzen nie löschte, wo die doch so teuer waren. Das Schlafzimmerfenster immer sperrangelweit aufriss, sodass dem armen Konrad dauernd die ritterliche Nase lief. Und noch so ein paar Sachen. Drum hat Ritter Konrad sein Weib völlig zu Recht erwurgelt. Verzurgelt. Zergurgelt. Auf diesem Bett, rot-weiß kariert, ist es passiert.« Er kraulte Schnuff hinter den Ohren.

»Aber das Gespenst«, sagte ich, »schlief wie ein Sack.«

Schnuff wechselte den Schoß. »Warum?«, fragte sein Schwanz.

»Es hatte in der Gespensterschule, in der man anständig spuken lernt, nachsitzen müssen, wegen schwänzen. Es musste hundertmal den Satz schreiben: ›Vampir schreibt man mit V.‹ Nun schrieb es das Wort mit V, aber auch mit ie: Vampier. Todmüde vom Schreiben verschlief es die ganze Spukerei. Aber die Leute, die in der Nähe des Schlosses wohnten, erwachten von dem Heulen und Brüllen und Jammern und Stöhnen und Rumpeln und Pumpeln. Und sie schrien: . . .«

Konrad entriss mir das Wort und damit auch Schnuff: »Ha, schrien sie entzückt, im Schloss wird wieder gespükt. Da kann man nicht dösen, so ein Gespenst muss man erlösen.«

»Dann kriegt man nämlich einen Schatz«, erklärte ich.

Und Konrad: »Sie fuhren im Nu in Hosen und Hemden und knöpften sie zu, suchten auch Strümpf und passende Schuh. Und als Ohrenschutz eine warme Mutz.«

»Und dann?«, fragte Schnuffs Schwanz.

»Her zu mir!«, sagte ich, dann machte ich weiter: »Sie zogen also zum Schloss. Das kriegte einen mordsmäßigen Schrecken. Wenn die auf Gespensterjagd gehen und die ganze Erlöserei beginnt, ist’s aus mit meiner schönen Ruh, dachte es. Haut ab! rief es den Gespenstern zu, die Erlöser kommen, dann müsst ihr alle, alle in den Himmel! Bloß nicht! kreischten die Gespenster und suchten das Weite, und als die Leute vor dem Schloss standen, hörten und sahen sie kein Fitzelchen von einem Gespenst, dachten, sie hätten alles nur geträumt, und zogen heim. Und es war wieder totenmucksmäuschenstill.«

Mitten in die Mucksmäuschenstille hinein meldete der Zeitgockel, der Apfelkuchen sei so weit. Ich schaltete den Backofen aus, holte den Kuchen heraus, stellte ihn auf den gedeckten Tisch, und weiter ging’s: »Von dem Krach, den der Gockel gemacht hatte, war das Gespenst erwacht. Es rannte hinauf auf den uralten Turm, aber da war niemand Gespenstiges. Schön, sagte es, spuck ich halt allein. Holte tief Luft und spuckte in hohem Bogen vom Turm in den schwarzen sumpfigen dumpfigen Schlossteich hinunter.«

Konrad sprang auf und schlug mit den Flügeln: »Bravo!, schrien die Raben, die uralten Knaben, gut gespuckt, Kleiner, so wie du spuckt keiner!«

»Und ganz ohne Gedöns«, sagte ich, »ich meine, das Schloss, es ernannte das Gespenst feierlich zum Schlossgespenst und–«

»Halt!« Konrad wurde zur weisesten der Eulen und legte den Flügel über den Schnabel, »das geht nicht. Ein richtiges Gespenst, fällt mir gerade ein, spukt mit k. Nicht mit ck! Da haben wir den Salat. Was nun?«

Schnuff wusste es auch nicht und sah immer von einem zum andern.

»Ist mir wurscht«, sagte ich, »ich als Schloss seh das nicht so eng. Hauptsache, ich hab wieder ein Gespenst. Von mir aus kann es auch mit ck spuken.«

»Na schön«, sagte die weise Konradeule versöhnlich. »Und das Gespenst durfte bleiben und sich und den andern Anwesenden die Zeit mit Spucken vertreiben.«

»Was es heute noch tut«, sagte ich. »Und jeden Samstagmittag gibt’s Apfelkuchen mit Schlagsahne. Fürs Schloss, fürs Schlossgespenst, für die Eulen und die Raben. Das war die Geschichte von dem spuckenden Schlossgespenst in dem uralten Schloss.«

Ich stellte den Apfelkuchen auf den Tisch und ein Schüsselchen Schlagsahne.

Konrad schüttelte den Kopf ob dieses unpoetischen Schlusses. »So muss das klingen: In dem uralten Schloss hinter Eichen, Buchen und Tannen, Ahörnern, Ebereschen, Erlen, mehreren dichten Fichten und uralten Linden versteckt, wo es keiner entdeckt. Dem Schloss mit dem uralten Turm, um den kreisen noch immer drei uralte Raben, drei uralte urschlaue Knaben, bei Mondschein, bei Nacht und bei Sturm: der Waldkrabb, der Mondkrabb, der Nachtkrabb.« Und dann sagte er zu Schnuff noch: »Aus die Maus!«

Bei Maus fing Schnuffs Magen an zu knurren, und er verlangte – nonverbal, wie immer – mangels Maus dringend nach Schlagsahne, aber ohne Apfelkuchen. Was er auch kriegte. Für uns gab’s Apfelkuchen – ohne Sahne. Dann zog es ihn hinaus ins Freie.

»Wieso kannst du auf einmal in Versen reden?«, fragte ich Konrad. »Mit mir sprichst du immer nur in schlichter Prosa, was tief blicken lässt.«

Das verdanke er Schnuff, meinte er. Wenn der ihm in die Augen schaue, verspüre er, ganz anders als bei mir, Fähigkeiten, von deren Vorhandensein er bisher nichts gewusst habe. »Wirklich ein ganz besonderer Kater, mein Schnuff. Ach, wenn er doch nur endlich den Mund aufbrächte! Da ist er ja schon wieder.«

Schnuff hockte auf dem äußeren Fensterbrett und begehrte Einlass. »Schnuff muss«, sagte Schlumpel von der Heizung her. Sie fungiert nämlich zwischen Schnuff und uns als eine Art Dolmetscherin, die offenbar immer weiß, was ihn gerade im Innersten bewegt. »Aber draußen friert sein Hintern. Hier ist’s warm. Da muss Schnuff lieber.«

Bandscheibenvorfall

ber sechzig sein und keine Schmerzen haben«, sagte ich, »gilt als ungesund. Hab ich irgendwo gelesen. Sei also dankbar und zufrieden.«

»So ein Blödsinn.« Konrad rieb sich den Rücken, den unteren, wozu man Lendenwirbelsäule sagt, stöhnte und war kein bisschen dankbar.

Er war ja wirklich arm dran. Konnte nicht mehr gerade gehen und stehen. Hatte Schmerzen, große, übergroße Schmerzen. Liegen konnte er auch nicht mehr richtig.

»Bandscheibenvorfall«, sagte der Kernspintomograph, und die Ärztin sagte es auch und schickte ihn ins Krankenhaus. »Wie’s aussieht, kommen Sie um eine Operation nicht herum.«

Und also ging, schlich, humpelte, wankte, mit mir als Stütze, Konrad ins Krankenhaus, wo er erst mal zwei Wochen herumlag, weil man es zunächst noch mit Schmerzmitteln probieren wollte. So hing er also am Tropf, der arme Tropf, und siechte dahin; die Medikamente machten ihn immer dümmer, er konnte nicht einmal mehr lesen, und die Ärzte sagten, jetzt müsse er unters Messer.

»Was riskier ich dabei?«, flüsterte Konrad, der es genau wissen wollte und schon einiges Unerfreuliche gehört hatte über Bandscheibenoperationen, die Ärzte fast nie an sich selbst machen lassen, weil auch sie einiges Unerfreuliche darüber wissen.

»Och«, sagte der nette junge Arzt, »höchstens den Tod. Mehr nicht.«

»Jetzt aber mal im Ernst«, sagte Konrad matt.

Und der Arzt wiederholte freundlich: »Wie ich gerade gesagt hab: den Tod.«

Wir fanden, das genüge. Konrad quälte sich in seine Kleider, ich ließ ein Taxi rufen, und unter freundlichem Winken und Mitnahme seines Bandscheibenvorfalls fuhren wir wieder heim.

Zu Hause lag Konrad zunächst mal auf dem Sofa und kommandierte uns herum, wie damals, als er sich das Schienbein gebrochen hatte, beklagte sein Schicksal und befragte seine Bandscheibe, warum sie sich so gemein benehme.

»Ich könnt’s ihm sagen«, meinte Schlumpel.

»Sag’s ihm!«, forderte ich sie auf.

»Na, so, wie er rumläuft–«