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In Siebenhäuser, einem kleinen Dorf im Bayerischen Wald, hadert der junge Redl damit, Bauer auf einem einsamen Waldhof zu sein. Ein Schicksal, das ihm so gar nicht mehr in die Zeit zu passen scheint. Der Wunsch auszubrechen wird so stark, dass er den Bau eines Hotels auf dem schönen Wiesenhang des Redlhofes in Angriff nimmt. Doch das Projekt misslingt und der Redlbauer droht alles zu verlieren. Erst jetzt erkennt er, dass es ein großes Glück ist, einen alten Hof und damit eine eigene Heimat zu besitzen.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2003
© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelfoto: Klaus G. Förg, Rosenheim
eISBN 978-3-475-54688-4 (epub)
Paul Friedl
Als das Kornfeld blühte
In Siebenhäuser, einem kleinen Dorf im Bayerischen Wald, hadert der junge Redl damit, Bauer auf einem einsamen Waldhof zu sein. Ein Schicksal, das ihm so gar nicht mehr in die Zeit zu passen scheint. Der Wunsch auszubrechen wird so stark, dass er den Bau eines Hotels auf dem schönen Wiesenhang des Redlhofes in Angriff nimmt. Doch das Projekt misslingt und der Redlbauer droht alles zu verlieren. Erst jetzt erkennt er, dass es ein großes Glück ist, einen alten Hof und damit eine eigene Heimat zu besitzen.
Das Tor neben dem Amtsschild des Notariats fiel dumpf nachhallend ins Schloß. Im leichten Schneetreiben drückte der alte Redlbauer den Hut auf das graue Haar und sah seine beiden Begleiter an. Ein wenig mißtrauisch und nachdenklich ruhte der Blick seiner hellen, blauen Augen auf dem Ludwig, seinem ältesten Sohn, und wanderte dann mit einem leisen Bedauern zu seinem Jüngsten, dem Hans.
„Jetzt ist es also soweit“, brummte er und schüttelte den Kopf. „Na ja, einmal hat es ja sein müssen.“
„Ist schon recht, Vater, wird dir ja nix fehlen. Sollst einen guten Austrag haben“, versicherte der Ludwig, der den Alten um einen Kopf überragte, und konnte ein zufriedenes Lächeln nicht verbergen, während der kleinere Hans, in sich gekehrt, den Rockkragen hochschlug und fröstelnd die Hände in die Hosentaschen steckte. Er und sein Vater steckten in schon etwas abgewetzten Anzügen, während der Ludwig einen neuen Mantel und eine Pelzmütze trug und weniger bäuerlich aussah als der Vater und der Bruder.
„Gehen wir zum Postwirt, der Bus fährt erst in zwei Stunden“, schlug der Ludwig vor.
„Derweil bin ich längst daheim. Ich gehe. Mag das Herumsitzen im Wirtshaus net“, entschloß sich der Hans und ging mit hochgezogenen Schultern im Schneetreiben davon, ohne noch ein Wort zu sagen oder sich noch einmal nach den anderen umzusehen.
„Also dann —“, stimmte der Redl seinem Ältesten zu.
Sie überquerten den Marktplatz und steuerten das Gasthaus „Zur Post“ an. Als sie in der warmen Wirtsstube das Bier vor sich hatten, meinte der Ludwig vorsichtig:
„Ganz einverstanden ist der Hans net mit der Übergab.“
„Mhm, kann sein.“
„Vier Tagwerk guten Grund und zwei Tagwerk schlagbaren Wald — dazu das Geld! Er kann damit doch zufrieden sein. Der Grund und der Wald werden dem Hof abgehen“, greinte der Ludwig, „aber ich sag nix dagegen. Soll er es haben.“
Wieder sah ihn der Alte prüfend an: „Wie hättest es dann du gemacht?“
Der Ludwig zuckte die Schultern.
„Statt dem Grund und dem Wald hätt ich ihm lieber noch fünftausend Mark mehr zugesprochen. Ein Häusl baut er sich sowieso, und ein Knauserer ist er auch, und er hat ja seinen Beruf.“
Mit einer müden Handbewegung wehrte der alte Redl ab: „Beruf? Ein Zimmerer ist nie das ganze Jahr in Arbeit. Wenn er sich net zwei Kühe halten kann, dann ist er nix.“
„Soll halt schauen, daß er eine gute Heirat macht“, bohrte der Ludwig weiter.
„Das ist net unsere, das ist seine Sach. Du hast den Hof und hast damit dein Auskommen. Daß der Hans dabei ein wenig hat zurückstehen müssen, ist mir net recht, aber so ist es halt. Und jetzt ist ausgeredet. Du bist der Redlbauer, und ich bin der Austrägler.“
Ein Bauer aus dem ihrem Dorf benachbarten Samerreut kam und setzte sich zu ihnen.
„Hab auf dem Gericht zu tun gehabt“, erzählte er. „Und ihr?“
„Heut hab ich übergeben“, brummte der alte Redl. „Einmal muß es ja sein. Als Wittiber ist man kein richtiger Bauer mehr. Der Ludwig hat ja vor drei Wochen geheiratet, und alt genug ist er auch.“
„Wir haben heut auch eine andere Zeit, und da muß man schauen, daß man mitkommt“, tat der Ludwig großspurig, und in den Augen seines Vaters stand wieder das Mißtrauen. Er lenkte das Gespräch auf den schneereichen Winter und als sich sein Ältester nicht irre machen ließ und wieder von der neuen Zeit und von notwendigen Umstellungen zu reden begann, schwieg der alte Bauer verdrossen und überließ die Unterhaltung den anderen. Schweigsam und geduckt saß er auch, als der Postwirt an den Tisch kam und dem Ludwig zur Übergabe viel Glück wünschte. Er redete auch nicht mehr, als sie mit dem Postbus am Mittag nach Hause fuhren.
Gegen den schneetragenden Wind und auf der matschigen Straße war der Hans Redl die anderthalb Stunden zu den Siebenhäusern gewandert und war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er das grobe Winterwetter kaum bemerkte.
Jetzt ging es also auf dem heimatlichen Hof auseinander. Jetzt war es geschrieben und besiegelt, und Haus und Hof gehörten nun seinem Bruder. Es war nicht viel und nicht wenig, was der Vater ihm, dem Zweiten, hatte verschreiben lassen. Er mußte damit zufrieden sein und war es auch. Nun war es aber auch an der Zeit, daß er sein eigenes Leben aufbaute, denn auf die Dauer würde nun für ihn kein Bleiben mehr auf dem Hof sein. Solange er ledig war, hatte er noch das Wohnrecht. Mit der Schwägerin, der Marie, war aber das Zusammenleben schwierig. Das hatte er in den drei Wochen, die sie nun auf dem Hof war, längst eingesehen. Sie war herrisch und sah in ihm nicht den Bruder ihres Mannes, sondern den Knecht, der ja im Winter sonst nichts zu tun hatte als auf dem Hof zu arbeiten. Umsonst natürlich.
Der Vater war so schweigsam und bedrückt gewesen. Was er sich wohl gedacht haben mochte? Ein Bauer sollte halt ohne Sorgen den Hof übergeben können. Er sollte die Gewißheit haben, daß sein Nachfolger mit gutem Bauerngewissen und festen Fäusten weiter wirtschaftete. Und dazu eine gute Bäuerin hat.
Da war sich der Vater nicht sicher.
Und er sollte halt wissen, daß der alte Bauer im Austrag geachtet und geehrt wird.
Wenn der Hans daran dachte, fröstelte ihn.
War ein trauriger Tag, und er hatte ein Gefühl, als ging er von einer Beerdigung heimzu. Gradso war es gewesen, als sie die Mutter eingegraben hatten. Der gleiche Wintertag und das gleiche Schneetreiben. Und dem Vater hatte es beim Heimgehen die Tränen in den grauen Bart gefroren. Mit keinem Wort hatte er um seine Bäuerin geklagt, aber er war seither nur noch ein halber Mensch.
Der Redl Hans war ins Rennen gekommen und hastete mit langen Schritten voran. Auf seinem Hut und seinen Schultern häufte sich der Schnee. Lautlos war der späte Vormittag und dunkel wie die einbrechende Nacht. Eine einzige, verwehte Fußspur führte vor ihm her durch den Wald, und die ansteigende Straße und der knöcheltiefe Neuschnee ließen ihn langsamer werden.
Es gingen wenig Leute zu den hochgelegenen Siebenhäusern. Einmal mußten dort oben wohl sieben Hofsiedler gewesen sein und dem Weiler den Namen gegeben haben. Fünf waren geblieben, die anderen hatten das karge Land und die strengen Winter vertrieben.
Auf der Höhe trat der Wald zurück und gab die Talhänge frei. Weit voneinander lagen die verschneiten Höfe, und herunten an der Straße war nur das Wirtsgütl des Xaver Waldhauser und gegenüber die Kapelle.
Auf den Hof wollte der Redl Hans nicht gehen, ehvor auch nicht der Vater und der Bruder daheim waren. Irgendwie war ihm das elterliche Haus fremd geworden. Er mußte auch beim Waldhauser einkehren. Der Wirt und seine Tochter wollten sicher wissen, wie die Übergabe aussah und was dem Jüngsten vom Redlhof zugeschrieben worden war. Jetzt, da alles klar war, konnte man auch besser über die Zukunft reden, die er sich mit der Waldhauser Resl aufbauen wollte. Das war alles noch nicht ausgesprochen. Jetzt aber war die Zeit dazu, und er konnte ihr und ihrem Vater zeigen, daß es ihm immer ernst gewesen war.
Bisher wußten die beiden jungen Leute nur, daß sie sich gern sahen, und weder sie noch er hatten sich mit anderen eingelassen.
Jetzt mußte er reden, und das tat er am besten gleich, damit er sich auskannte, wie es nun weitergehen sollte.
Er schüttelte den Schnee von Hut und Joppe, stampfte ihn von den Füßen und ging durch den Hausgang in die Gaststube. Der Raum war kalt, und an den Fenstern glitzerten Eisblumen. Kalter Rauch von Bier und Tabak lag in der Luft. In der Küche nebenan hörte er die Hausleute reden. Im Winter heizte der Wirt von den Siebenhäusern nur am Wochenende, und wer an anderen Tagen ein Bier trinken wollte, tat dies in der Küche.
Heute waren die Wirtsleute sich selber überlassen, nur der Postbote hatte eine kleine Pause gemacht und ging gerade wieder, als der Redl Hans in die Küche kam. Die Waldhauserin stand am Herd, ihr Mann las am Tisch die Zeitung, und die Resl war mit Flickzeug beschäftigt. Eine leichte Röte stieg in die Wangen des blonden, hübschen Mädchens. Sie legte rasch das Flickzeug zur Seite und stand auf.
„Hast du es jetzt hinter dir? Magst ein Bier?“
Er nickte, und sein nachdenklich verdrossenes Gesicht hellte sich auf.
„Jetzt weiß ich, wie ich dran bin“, meinte er erleichtert und setzte sich zum Waldhauser an den großen Tisch.
„Was ist also jetzt?“ wollte der Wirt wissen, doch der Hans wartete, bis die Resl aus der Gaststube mit dem Bier kam und sich mit sichtlicher Neugierde zu ihnen setzte.
Dann erzählte er, was der Vater ihm bei der Hofübergabe hatte zuschreiben lassen. Dann schwieg er verlegen und sah die Resl an. Erst als die Waldhauserin vom Ofen her sagte, daß der Hans eigentlich zufrieden sein könnte, schnaufte die Resl auf und fragte leise:
„Und was tust du jetzt?“
„Was ich tue?“ lachte er. „Ich baue mir ein Häusl herunten an der Straße, stelle mir zwei Kühe ein, und dann heirate ich. Deswegen bin ich ja gleich hergekommen zu euch. Ich glaube nämlich, daß wir zwei ganz gut zusammen hausen könnten, und ich meine auch, daß wir uns gut leiden können — und wenn du nix dagegen hast und der Vater und die Mutter auch net —“
Die Waldhauserin übernahm die Antwort: „Was sollte sie denn dagegen haben? Daß ihr zwei euch gern seht, das wissen wir schon lange, und sie ist bei dir gut aufgehoben.“
„Das meine ich auch“, bestätigte der Waldhauser, und die Resl nickte nur.
„Bleibst zum Essen da?“ fragte sie, begann den Tisch zu decken und scherzte: „Also krieg ich doch einen von den Redlbuben! Den Ludwig hätte ich net mögen. Hab auch nix gesagt, daß er mir einen Heiratsantrag gemacht hat. Hab ihn abblitzen lassen, weil er gleich grob geworden wäre und gemeint hat, ich lasse ihn bei der Nacht ein.“
„Davon hast du mir ja gar nix gesagt!“ entrüstete sich der Hans, und sie meinte etwas wegwerfend:
„Ist auch gar net der Rede wert gewesen!“ Lachend fuhr sie fort: „Erst am letzten Sonntag hat er in seinem Rausch wieder davon angefangen. Heut tät er sich noch scheiden lassen, wenn ich Redlbäuerin werden wollt.“
„So ein Schlawiner!“ ärgerte sich die Waldhauserin. „Das sagt er und hat erst so kurz geheiratet?“
„Die Marie wird ihm diese Mucken schon austreiben, das ist gerade die Richtige für ihn.“ Das stellte der Waldhauser deutlich fest und ließ damit erkennen, daß er davon nichts mehr hören wollte.
Draußen gingen der Redlbauer und sein Hoferbe vorbei, und auf diesen gemünzt, mäkelte die Wirtin:
„Daher kommt er wie ein Baron! Und der Alte hat net einmal einen Mantel!“
Leichthin meinte der Hans: „Ich hab ja auch keinen und bin doch net erfroren. Der Vater ist alleweil recht sparsam gewesen. Jetzt geh ich auch heim, und wenn es euch recht ist, komm ich am Abend noch auf ein Stünderl.“
„Komm nur“, blinzelte die Resl ihn launig an. „Unser Verspruch ist ja so schnell und glatt gegangen, daß wir uns noch lange net ausgesprochen haben.“
Da lief dem Hans die Röte ins Gesicht, und entschuldigend sagte er: „Hast schon recht, aber ich bin halt so ein Kampl, der das Schmusen und schöne Reden net gelernt hat. Aber du weißt ja eh, daß ich dich schon alleweil gern gehabt habe, schon wie wir noch in die Schule gegangen sind.“
Sie tätschelte leicht seine Wange und ging mit ihm bis vor die Haustür: „Ich weiß das. Also, komm am Abend.“
„Herrschaft, jetzt freut mich die Welt wieder!“
Sein rundes, volles Gesicht mit dem dunklen Bärtchen strahlte, als er über die Straße zur Kapelle ging und noch einmal zurückschaute.
Das Schneegestöber hatte nachgelassen und die Sicht zu dem hochgelegenen Redlhof freigegeben. Nach einigen Schritten blieb er stehen und sah auf die verschneiten Wiesen unten an der Straße zurück. Sie gehörten nun ihm, und dort mußte sich ein sauberes Einfamilienhaus mit Stall und Stadel fein ausnehmen. Er ballte die arbeitsrauhen Fäuste.
Die Feldsteine für das Fundament und das Bauholz konnte er noch im Winter anfahren. Dazu brauchte er seinem Bruder nicht mit Bitten zu kommen, denn alles konnte er vom Berg bringen und mit dem Holzziehschlitten anfahren. Und wenn der Frost aus dem Boden war, konnte er anfangen. Wenn es nur schon soweit wäre!
Je näher er dem Hof kam, desto gedrückter wurde seine Stimmung. An diesen Tagen hatte ihm vieles im Verhalten seines Bruders und seiner Schwägerin nicht gefallen. Sie hatten immer etwas zu tuscheln. Und in der vergangenen Nacht hatte er sie in der Schlafkammer drunten, in die sie nach der Hochzeit eingezogen waren, bis in seine Kammer hinauf streiten hören. Von Flitterwochen war bei den beiden wirklich nichts zu merken. Und was die Marie nicht hatte zur Ruhe kommen lassen, konnte er sich denken: die Angst, daß der Vater bei der Übergabe seinem Zweiten mehr zuschreiben lassen könnte, als sie ihm vergönnte. Jetzt würde sie es ja inzwischen erfahren haben, und wie sie es aufnahm, das würde er bald zu spüren bekommen. Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Schwägerin war gespannt, seit sie auf dem Hof war, obwohl er dafür keinen Grund wußte.
Mit dem Besen, den die neue Bäuerin vor die Haustür gestellt hatte, reinigte er die Schuhe vom Schnee, hängte im Hausgang den Hut an den neuen Kleiderrechen und ging in die Stube.
Sie saßen beim Essen, der Ludwig, die Marie, der Vater und die Hauserin. Zum Reden hatten sie wohl keine Lust, und sie neigten die Köpfe über die Teller, als wären sie sich fremd und wollten sich gegenseitig nicht ansehen.
Wortlos stand die alte Hauserin auf, um für den Hans einen Teller zu holen, doch er winkte ab und sagte kurz, daß er schon beim Waldhauser gegessen habe.
Der Ludwig sah auf und bemerkte spöttisch und hintergründig: „Aha!“ Und bissig setzte die Marie dazu: „Wenn es woanders besser ist wie bei uns, dann muß er halt woanders hingehen.“
Sie konnte das Sticheln und Spötteln. Das hatte er gleich nach ihrem Einzug erfahren, und er hatte sich schon darauf eingerichtet, dazu nichts zu antworten. Er setzte sich auf die lange Wandbank und rauchte eine Zigarette, während sie am Tisch schweigend zu Ende aßen.
Als erste erhob sich die Marie.
„Der Hans und der Vater schneiden am Nachmittag das Futter, und wenn noch eine Zeit bleibt, dann sollen sie das Brennholz im Schuppen drüben machen.“
Dem Hans lief es eiskalt über den Rücken, und er sah den fragenden Blick seines Vaters auf sich gerichtet. Sie verstanden sich.
Jetzt spielte sie die Bäuerin. Von jetzt an würde es nicht mehr heißen: Hans, sei so gut und schneide das Futter, oder: Vater, wenn es dir nix ausmacht, dann könntest ein wenig Holz hereintragen. Jetzt wurde befohlen.
Der Hans drückte den Zigarettenstummel in den Aschenbecher auf dem Fensterbrett, zuckte die Schultern und wollte aus der Stube gehen. Die zornige Stimme seines Vaters hielt ihn zurück.
„Hans! Wir ziehen heute schon um. Die Hauserin soll drüben im Austragshaus einschüren. Wenn du willst kannst du mitgehen. Im Stübl ist alleweil Platz auch für dich. Die Hauserin geht mit uns."
Der Ludwig war blaß geworden.
„Was pressiert denn so? Und die Hauserin brauchen wir auf dem Hof. Wirst doch net jetzt einen Streit anfangen?“
Bestimmt und ruhig entschied der alte Redl: „Das Austragshaus ist hergerichtet, und ob wir heut oder morgen umziehen, ist gleich. Wenn die Hauserin Zeit hat, und wenn sie will, kann sie euch helfen, bezahlen tu ich sie. Und der Hans wird so denken wie ich: Wenn die Arbeit hart ansteht, dann helfen wir auch. Jetzt aber seid ihr die Redlbauernleute, und anschaffen, ohne selber was zu tun, hat es bei uns nie gegeben.“
Böse zischte die Marie ihren Mann an: „Hab ich es dir net gesagt? Jetzt verdrücken sie sich, weil uns der Hof net vergönnt ist! Aber wir brauchen sie net! Eine Magd muß sowieso her. Der Hauserin ist die Arbeit eh nimmer von der Hand gegangen.“
Der alte Redl winkte dem Hans zu und sagte zur Hauserin: „Du kannst zum Abspülen dableiben, zum Umziehen brauchen wir dich net.“
„Das ist der Dank —“, hörten sie die Marie noch sagen, doch der alte Redl warf schon die Stubentür hinter sich zu und vernahm so nicht mehr, was die Schwiegertochter ihm als Undank ankreidete. Sie wußte es wohl selber auch nicht.
Draußen meinte der alte Bauer schmunzelnd zum Hans: „Hoffentlich kennt sie sich jetzt aus. Darauf hab ich gewartet, daß sie nun mit dem Anschaffen kommen möchte.“
Am Nachmittag zog der Redl ins Austragshaus, das kaum zwanzig Meter vom Hof in einer leichten Mulde stand und eine Wohnstube und zwei Kammern hatte. Der Hans hatte die bescheidenen Räume frisch geweißelt, und mit den dunklen Balkendecken und den kleinen Fenstern sahen sie, nachdem sie die kargen Möbel herübergebracht und die Betten aufgestellt hatten, recht gemütlich aus.
„Ist doch ein bisserl knapp“, entschied der Hans: „Ich bleib drüben. Alleweil kann die Marie auch net so sein. Einmal muß ihr ja der Ludwig doch zeigen, wer der Bauer ist.“
Der Vater gab ihm recht.
„Möcht auch keine Feindschaft, das tat net gut. Und mit der Arbeit können wir sie auch net hängen lassen.“
Vom Stadel herüber klang das zischende Rascheln der Häckselmaschine, und es besagte ihnen, daß der Ludwig sich nun selber zum Futterschneiden bequemt hatte.
„Brauche dich jetzt nimmer“, erklärte der alte Bauer. „Kannst hinübergehen und Holz machen.“
Als die Marie das Pochen der Holzaxt aus dem Schuppen hörte, ging sie hinüber.
„Ist net bös gemeint gewesen, Hans, ihr werdet uns doch net im Stich lassen?“
Ohne aufzusehen murrte der Hans: „Wir helfen schon mit. Vom alten Vater kannst du nimmer viel verlangen, und befehlen läßt er sich gar nix. Ich hab das auch net gern.“
Die Arme verschränkt, sah sie ihm zu. „Du wärst ein besserer Bauer als der Ludwig.“
„Er ist in der Landwirtschaftsschule gewesen, und ich bin ein Zimmermann und Maurer. Das wird wohl so recht sein und so sein müssen.“
„Wirst du auch ins Häusl hinüberziehen?“
„Nein!“
„Dann bin ich froh, und das dank ich dir. Wenigstens einen möcht ich im Haus haben, mit dem man reden kann.“
Er richtete sich auf und sah sie forschend an: „Ich glaube, daß man auch mit dem Ludwig reden kann.“
Ihr langes, schmales Gesicht mit der etwas hakigen Nase, den betonten Backenknochen und dem ausgeprägten, energischen Kinn war auch im Winter wie sonnengebräunt, und um den Mund lag ein harter Zug. Sie war keine Schönheit, hatte aber doch etwas Anziehendes und Besonderes, trotz der strengen Züge.
„Der Ludwig? Naja, er ist ja mein Mann, aber kein Mannsbild, sonst hätte er sich bei der Übergabe net so billig abspeisen lassen.“
Darauf wußte der Hans nichts zu antworten, und er wandte sich wieder dem Holzhacken zu, bis er merkte, daß sie wieder gegangen war.
Er konnte nicht sagen, daß sie ihm etwa unsympathisch wäre, er konnte nur ihre Herrschsucht nicht leiden.
Nun war alt und jung auf dem Redlhof getrennt. Der Ärger vom Mittag schien verflogen, denn zur abendlichen Stallarbeit war die Hauserin wieder herüber gekommen, und so schien alles wieder beim alten zu sein, nur der Altbauer kam nicht mehr zur Abendsuppe. Er und die Hauserin wollten also drüben im Austragshaus einen eigenen Haushalt führen. So saßen sie nur zu dritt in der Wohnstube des Hofes beisammen, und die Marie trug das Essen auf, war friedlich und redselig, und der Ludwig war sichtlich froh, daß es nicht noch mehr Verdruß gegeben hatte.
Beim Essen merkte der Hans bald, daß die Marie mit ihrer Freundlichkeit auf ein besonderes Anliegen zusteuerte. Sie rückte dann auch bald damit heraus.
„Hans, ich hab mir das so überlegt: Was tust du mit den Wiesen und dem Wald? Wenn du uns das verkaufst, brauchst du dich um das Zeug nimmer zu kümmern. Ich hab so viel mitgebracht, daß wir dir die Sache gut ablösen können. Der Hof braucht das.“
Betreten blickte der Ludwig auf seinen Teller, und der Hans war so überrascht, daß er sich erst auf eine Antwort besinnen mußte. Zögernd fragte er:
„Wie kommst du jetzt auf so was? Weißt doch, daß ich mir ein Häusl bauen und dann heiraten möchte.“
Ein wenig spöttisch meinte sie: „Heiraten? Hast du denn schon eine?“
„Die hab ich, Marie, und grad heut am Mittag ist es ausgemacht worden. Im Spätsommer heirate ich die Waldhauser Resl.“
„Dann kannst du ja einmal das Wirtsgütl übernehmen! Brauchst kein Haus bauen.“
Der Hans lachte. „Da könnt ich lange warten. Der Waldhauser ist erst ein Fünfziger — und ich möchte auch keinen Wirt machen. Das ist heute kein Geschäft mehr. Da in den Siebenhäusern schon gar net.“
Der Ludwig wollte wissen, ob das mit der Resl schon fest ausgemacht sei.
„Freilich, und das mit dem Hausbau auch.“
Mit hämischer Freude meinte die Marie: „Auf die Resl wärst ja du so scharf gewesen. Man hat mir das an unserm Hochzeitstag gesagt.“
„Red keinen Blödsinn“, wies der Ludwig sie zurecht. „Ich hab mich nach mehreren von den Mädels umgeschaut.“
Obwohl die Marie wieder umgänglicher wurde, kam keine gute Stimmung mehr auf.
Als der Hans sagte, daß er noch auf eine Halbe Bier zum Wirt gehen wolle, war die Marie schon wieder verärgert, und mit spürbarer Hinterhältigkeit fing sie an:
„Hätten aber doch noch etwas miteinander zu reden, und es wär besser, wenn alles ausgeredet wäre.“
Fragend sah der Hans ihr in das Gesicht und auf den harten Zug um ihren Mund. „Was ist noch?“
„Ich meine halt, daß jetzt doch alles ein wenig anders ist. Bis jetzt bist du auf der Bank gesessen und hast zur Familie gehört, nun bist du aber nimmer zum Haushalt gehörig. Und da meine ich, daß du uns ein Kostgeld zahlen mußt. Ist ja alles so sündteuer, und wir müssen auch schauen, wie wir durchkommen.“
Der Ludwig brauste auf: „Hat dich denn heute der Teufel? Für das Essen arbeitet er doch!“
„Ein kleines Kostgeld kann er trotzdem zahlen!“ bellte sie zurück.
„Ich kann mir einen anderen Kostplatz suchen“, sagte der Hans trocken und ging. Vor dem Haus vernahm er noch, wie sie drinnen weiter stritten.
Als er in der Nacht heimkam und leise ins Haus schlich, hörte er aus der ebenerdigen Schlafkammer die Marie keifen:
„Dir gehört ja das Hirn angebohrt! Läßt sich die besten Gründe nehmen und das schöne Stück Wald dazu! Meinst du, ich merke es net, daß dir das Wirtsmensch noch alleweil im Kopf umgeht und du am Hof kein Interesse hast? Jetzt weißt du wenigstens, daß du sie nie gekriegt hättest!“ Das häßliche Lachen konnte der Hans nicht ertragen, und er schlich in seine kalte Kammer hinauf.
Ist ein unguter Tag gewesen, überlegte er. Er begriff seinen Bruder nicht. Wenn der nicht bald reinen Tisch machte und der Marie zeigte, daß er der Bauer war, dann war ein gutes Wirtschaften auf dem Hof nicht möglich. Und der alte Vater tat ihm leid.
Er hatte eine unruhige Nacht und kam in den Wachpausen zu dem Entschluß, keine Stunde zu versäumen und mit allen Mitteln danach zu trachten, daß er aus dem Hause kam.
Wie er es gewohnt war, stand er gegen fünf Uhr morgens auf und ging nach unten. Vor dem Haus hörte er schon den Ludwig mit der Schneeschaufel scharren, und in der Stube machte die Marie die Morgensuppe. Sie begrüßte ihn gutgelaunt und lachte ihn an, als wäre am Vortag nichts gewesen. Geschäftig tat sie sich um, stellte die Suppe auf den Tisch:
„Willst du nachher net dem Ludwig im Stall helfen? Ich bin ein wenig erkältet, und ob die Hauserin kommt, weiß ich net.“
„Ist schon gut“, nickte er und war etwas verwirrt über die auffallende Freundlichkeit. Sie ließ ihn nicht aus den Augen:
„Hab gestern allerhand Unsinn dahergeredet. Das mit dem Kostgeld war net ernst gemeint. Brauchst natürlich keines zu zahlen.“
„Ich habe es aber so aufgefaßt, wie du es gesagt hast“, sagte er abweisend. „Hab mir überlegt, ob ich net beim Wirt in die Kost gehen soll.“
Sie stieß ihn derb an und lachte. „Geh weiter! Bei mir darfst du net so empfindlich sein! Ich hab halt oft so Zeiten, daß ich grob werde. Meine es aber net so.“
„Na ja, meinetwegen.“
Sie setzte sich und legte ihre Hand auf die seine.
„Ich weiß ja, daß du ein guter Kerl bist.“
Ihr Verhalten reizte ihn.
„Bei euch ist es ja heut nacht noch laut hergegangen in der Kammer. Hab es bis zu mir hinauf gehört.“
Ihr Gesicht wurde wieder hart.
„Pah, mit dem Ludwig muß ich mich alleweil streiten. Mit diesem Stockfisch kann man anders net reden. Der gibt einem ja kaum eine Antwort.“
Draußen stampfte der Ludwig den Schnee von den Stiefeln und kam in die Stube. Erstaunt bemerkte der Hans, wie sich das Gesicht der Marie schnell wieder entspannte. Zugleich kam auch die Hauserin, sagte, daß der Altbauer sie herüber geschickt hätte, und die Marie atmete auf.
„Das ist recht. Soll ja alles beim alten bleiben, und umsonst brauchst du ja net zu arbeiten. Den halben Lohn übernehmen wir.“
Dem Hans flüsterte sie zu: „Brauchst net in den Stall z gehen, weil die Hauserin da ist.“
Ihre Liebenswürdigkeit machte ihm Unbehagen, und er verließ die Stube, nachdem sie die Milchsuppe gegessen hatten.
Als sie mit der Stallarbeit fertig waren, die Hauserin mit der Melkmaschine gemolken hatte und er dem Ludwig half, die vollen Milchkannen zur Straße zu tragen, wo sie vom Molkereiwagen abgeholt wurden, äußerte er sich seinem Bruder gegenüber:
„In deinem Weib kenn ich mich net aus. Die ist alle Tage anders. Solltest ihr doch bald einmal beibringen, daß es so net geht, und wer der Bauer ist.“
Schulterzuckend murrte der Ludwig: „Was soll ich tun? Oft meine ich schon, ich muß ihr eine runterhauen. Das sag ich dir: Wenn sie es mir einmal zu dumm macht, dann kann sie was erleben!“
Auf dem Rückweg begann der Ludwig wieder:
„Du meinst vielleicht, ich hätte sie net heiraten sollen? Hat mich net der Vater so gedrängt? Hab ich net fast alle Tage anhören müssen, daß es Zeit zum Heiraten wäre? Ich gebe zu, ich hatte eine andere im Auge, und weil es damit nix gewesen ist, hab ich ihr zeigen wollen, daß ich auch eine andere finde. Meinst du, daß das leicht war? Wer will denn heute noch auf einen Bauernhof heiraten! Keine will die Arbeit mehr tun! Lieber heiraten sie einen Arbeiter und haben nur einen einfachen Haushalt. Der Kreutl von der Sparkasse hat sie mir zugebracht. Und vor der Heirat war sie ja lammfromm. Wirst wohl net glauben, daß ich Juhu schreien möchte vor lauter Glück! Merkst du net, daß sie dir mehr um den Bart streicht als mir?“
„Das bildest du dir ein“, wollte der Hans ihn beruhigen. „Sagen muß ich dir das aber schon, daß ich froh bin, wenn ich ein eigenes Dach über dem Kopf habe. Nix gegen dich, kannst auch alleweil mit mir rechnen, wenn du mich brauchst.“
„Ist gut.“
Da der helle Tag noch lange auf sich warten ließ, holte der Hans Zeichenpapier und Bleistift und skizzierte auf dem Tisch in der Wohnstube seinen Hausplan und rechnete aus, was er an Holz und Steinen brauchte, während der Ludwig sich auf das Kanapee legte, die Hauserin zum Altbauern in das Austragshaus ging und die Marie an schafwollenen Socken strickte. Interessiert sah sie ihm über den Tisch hinweg zu, kam zu ihm herüber und legte sich auf seine Schulter, um seine Zeichnung genauer zu betrachten. Er spürte ihren Atem und roch ein scharfes Parfüm. Ihre Hand drückte sie an seine Wange.
„So ein Häusl möchte ich auch! Zwei Kühe — das wär keine Schinderei, das könnte man leicht schaffen!“
Er zog die Schultern hoch und neigte den Kopf zur Seite, um ihr zu erkennen zu geben, daß ihre Zudringlichkeit ihm peinlich war. Sie quittierte es mit einem leichten Schlag und kehrte auf ihren Platz zurück. Vom Kanapee her meinte der Ludwig spöttisch:
„Vor ein paar Tagen hast du noch das Gegenteil gesagt: du möchtest keine Fretten, sondern einen großen Hof.“
Die Marie lachte spottend: „Man kann ja seine Meinung ändern.“
„Da hast du recht, das weiß ich jetzt auch“, gab der Ludwig zurück.
Dann hatten sie sich nichts mehr zu sagen, und als es vor den Stubenfenstern hell wurde, brummte der Hans erleichtert:
„Ich mache mich jetzt wieder übers Brennholz, und am Nachmittag schau ich mich im Wald nach dem Bauholz um.“
„Da geh ich mit“, entschloß sich der Ludwig, und die Marie bemerkte überflüssigerweise:
„Bleib aber in deinem Teil und schlag net unsere Bäume um.“
Dafür hatte der Ludwig nur ein belustigtes Lachen, und der Hans überhörte es.
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