Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In Sankt Augustine, dem romantischen historischen Städtchen sind die Bürger beunruhigt. Ein entflohener Häftling soll sich in der Gegend aufhalten. Als dann ein Mord geschieht, hilft die Journalistin Abigail Mühlberg dem Kommissar bei der Aufklärung. Eine Liebesgeschichte bewegt die Herzen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 204
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Inhaltsangabe
„Als die kleine Welt zerbrach“ ist der 22. Band der Romanreihe „Liebe und mehr“.
In Sankt Augustine, dem romantischen historischen Städtchen sind die Bürger beunruhigt. Ein entflohener Häftling soll sich in der Gegend aufhalten. Als dann ein Mord geschieht, hilft die Journalistin Abigail Mühlberg dem Kommissar bei der Aufklärung. Eine Liebesgeschichte bewegt die Herzen.
„Wer in Sankt Augustine hat eigentlich immer diese tollen Ideen, Abigail?“ erkundigte sich Carla bei mir. „Ist das der Bürgermeister, Herr Schneider, der sich immer wieder neue Events ausdenkt?“
Ich überlegte kurz. „Manchmal war das Gemeinschaftsarbeit. Die historischen Umzüge, das Rosenfest und „das große Spiel“ wurden von den Rossinis, dem Bürgermeister und unserer lieben Spenderin, der guten Frau Ackermann ins Leben gerufen. Dieses Sommerfest mit dem Namen „Sole del Sud“ hat eigentlich die Schlossherrin selbst, Adelaide ins Leben gerufen.“
Carla lächelte. „Ja, „Sonne des Südens“, die beiden Rossinis haben wirklich viel Fantasie. Diese Überraschung war bestimmt für ihren Mann gedacht, oder?“
„Ja, genau. Moro hat jetzt im August Geburtstag. Für dieses Fest hat sie das ganze Spektakel organisiert.“
„Und was ist das jetzt genau? Was muss man tun, um da mitzumachen, und um einen Preis zu gewinnen?“
„Wenn du irgendetwas herstellen kannst, egal aus welchem Material, aus Holz, Ton, Knetmasse, Metall oder sogar aus Müll, irgendetwas, das zu dem Thema „Italienische Geschichte“ passt, dann kannst du am Wettbewerb teilnehmen, der im Schloss stattfindet.“
„Ach, und diese Sachen werden dann in einem Saal ausgestellt?“ Sie nippte an ihrem Wasserglas und blinzelte in die Sonne, die zu uns auf die Schlossterrasse herüber schien.
„Genau. Ausgestellt und dann von der Jury beurteilt.“
Carla freute sich. „Hört sich gut an. Ich werde mir auch etwas überlegen, und Bernhard ist immer sehr kreativ. Als Gärtner wird er bestimmt etwas aus Blumen zaubern.“
„Eine gute Idee. Ich wüsste auch schon etwas für dich“, überlegte ich.
„Prima. An was hast du gedacht?“
„An deine fantastischen Kuchen oder Plätzchen. Du könntest eine Torte backen mit Julius Caesar obendrauf“, schlug ich ihr vergnügt vor.
Sie lachte. „Das mit dem Kuchen ist keine schlechte Idee. Aber für Caesar habe ist gar nichts übrig. Den finde ich etwas größenwahnsinnig, wie noch viele Feldherren nach ihm. Wie wäre es denn mit der Aphrodite, die in der Schlagsahne sitzt?“ Ich hob die Augenbrauen. „Bis auf, dass Aphrodite eine griechische Göttin ist, gar nicht schlecht. Bei den alten Römern hieß sie Venus, aber von der haben wir ja bereits einen Brunnen im Park. Ich weiß nicht, ob das dann so originell wäre.“
„Du hast Recht, Abigail. Vielleicht forme ich aus Marzipan Romulus und Remus und die Wölfin, von der sie gesäugt wurden.“
Ich nickte. „Das hört sich doch schon wettbewerbsfähig an“, fand ich. „Aber für alle, die nichts basteln wollen, gibt es ja noch den Wettbewerb im Märchenpark.“
„Etwas mit Märchen? Ich wollte schon immer eine Prinzessin sein.“
„Nein. Auch hierbei geht es um die Geschichte des Landes Italien. Es gibt kleine Aufführungen oder auch nur lebende Skulpturen.“
Carla riss die Augen auf. „Lebende Skulpturen? Mit Batterie oder Strom?“
„Nein. Menschen, die sich zu einem Standbild verkleiden und eine bestimmte Haltung einnehmen. Es gibt sie als lebende Statuen oder Living Dolls. Eine Gruppe hat sich bereits angemeldet.“
„Ach, die kenne ich. Die stehen immer in verschiedenen großen Städten herum, und man erschrickt sich, wenn sie sich plötzlich bewegen. Und was stellt diese Gruppe dar?“ „Die Menschen sind die Figuren eines alten italienischen Brettspiels. Das stell ich mir ganz hübsch vor. Es heißt „Gioco dell Oca“, das Spiel der Gans. Ich kenne es nicht, aber ich stelle es mir hübsch vor, wenn die Menschen auf einem Spielbrett als Gänse verkleidet herumhüpfen.“
„Kennst du denn schon jemanden aus unserem Kreis, der da mitmacht? Irgendjemanden vom Schloss?“
„Die werden sich bestimmt alle noch anmelden“, vermutete ich. „Bisher hat sich nur der Tierarzt Clemens bei mir angemeldet und Maria, seine Freundin, die Tiermedizin-Studentin, die ihm auch in der Arztpraxis hilft.“
„Oh ja, die beiden kenne ich gut, dass ist das Liebespaar, über das so viele sprechen, weil er so viel älter ist als sie. Was stellen die beiden denn dar? Romeo und Julia?“
Ich lächelte. „Nein. Das ist doch eine unglückliche Liebesgeschichte. Die passt nicht zu den beiden. Sie spielen das Liebespaar Venus und Mars aus der römischen Mythologie. Die beiden durften wenigstens miteinander glücklich sein.“
„Aber auch nicht sehr originell“, fand Carla. „Weißt du denn schon, was ihr macht, du und Ermanno?“
„Ehrlich gesagt, auch da habe ich noch gar keine Ahnung. Vielleicht raffe ich mich auch noch dazu auf, irgendetwas zu basteln. Es ist ja noch ein bisschen Zeit.“
Sie riss die Augen auf. „Nur noch drei Tage! Da müssen wir uns beeilen. Schmecken dir diese Plätzchen?“ Sie zeigte auf das duftende Gebäck, das in einer Glasschale vor uns stand.
„Himmlisch! Und ich weiß, ich muss dich gar nicht erst wegen eines Rezeptes fragen, du verrätst deine geheimnisvolle Mischung sowieso nicht.“
Die Schlossherrin Adelaide trat zu uns auf die Terrasse. Ihre Stimme klang aufgeregt. „Ich muss euch etwas Schreckliches sagen. Niklas war eben hier, und es wurde auch in den Medien bekannt gegeben. Aus der nahe gelegenen Justizvollzugsanstalt ist ein Straftäter entflohen. Seine Exfrau Malu wohnt hier in Sankt Augustine und die Polizei ist gerade bei ihr, um mit ihr zu reden und sie eventuell auch zu beschützen.“
Carla hob die Augenbrauen „Warum beschützen? Hat er ihr einmal etwas angetan? Ist er ein Mörder?“
„Er muss eine ganze Liste an Straftaten besitzen. Ziemlich viele Betrügereien und meines Wissens auch Diebstahl. Irgendjemand hat ihn auch beschuldigt wegen eines versuchten Mordes. Malu hat sich wohl vor kurzem von ihm getrennt. Ich denke, das passt ihm sicherlich nicht.“
„Dann sollte sie vielleicht besser untertauchen“, überlegte Carla.
„Genau das meint unser guter Kommissar Niklas Meyer auch. Und er hat mich gefragt, ob wir sie hier inzwischen im Schloss aufnehmen können. Das muss natürlich dann geheim bleiben.“
„Das ist eine gute Idee. Und was hast du gesagt, Ada?“
„Ich glaube, dass keiner von den Schlossbewohnern etwas dagegen hat. Deswegen habe ich ihm gesagt, dass er sie hierher bringen darf. Moro ist auch damit einverstanden. Hier sind die ganzen Künstler, die auch ein bisschen aufpassen können, dass es Malu gut geht.“
Carla sah die ältere Dame erwartungsvoll an. „Weißt du denn etwas über sie? Wie alt ist sie, und was macht sie so? Hat sie einen neuen Partner gefunden?“
„Sie ist circa vierzig Jahre alt und arbeitet in einer großen Fabrik im Industriegebiet von Wittentine. Ich glaube nicht, dass sie einen neuen Partner hat, sonst hätte sie sicherlich auch bei ihm unterkommen können“, vermutete Adelaide.
Carla dachte nach. „Oh, das muss nicht sein. Ich glaube, dann wären gleich zwei Leute in Gefahr. Wer weiß, ob dem Straftäter das so gefällt, wenn seine Frau einen Neuen hat. Wie heißt er denn? Vielleicht habe ich schon einmal etwas von dem Fall gehört.“
„Er heißt Linus Schwaetzer, und ich erinnere mich an einen der Fälle, die damals in der Zeitung gestanden haben. Unter anderem hat er auch eine Anlagefirma gegründet und viele Menschen um ihr Vermögen gebracht. Aber er ist wohl sehr vielseitig. Er muss auch ein gewalttätiger Mensch sein, der ab und zu ausrastet.“
Carla schüttelte sich. „Wie schrecklich! Er darf nicht erfahren, dass sie hier ist. Das könnte uns allen dann nicht gut bekommen. Aber vielleicht hat er sich auch mit dem Gedanken abgefunden, dass sich seine Frau von ihm getrennt hat. Weißt du darüber etwas, Adelaide?“
„Genau das hat er nicht. Und deswegen ist die Polizei auch momentan bei Malu und trifft mit ihr Vorsorgemaßnahmen. Ich denke, ich werde jetzt vorsichtshalber mal ein Bett im Gästetrakt beziehen.“
„Nein, Ada! Das musst du wirklich nicht. Ich werde das für dich erledigen und Abigail hilft mir bestimmt, das Zimmer zurechtzumachen.“
Die Schlossherrin freute sich. „Das ist lieb von euch. Dann kann ich mich ein bisschen um Moro kümmern. Heute geht es ihm so gut, dass er mit mir ein paar Schritte draußen im Park spazieren gehen möchte. Wir werden den Rollator mitnehmen, da fühlt er sich sicherer.“
„Brauchst du noch Hilfe?“ erkundigte ich mich.
„Danke! Damit kommen wir gut klar. Aber es ist mir schon eine Hilfe, wenn ihr das Fremdenzimmer herrichtet. Also, bis später dann!“
***
Nachdem wir im Gästetrakt das Zimmer gesäubert und das Bett frisch bezogen hatten, stellten wir noch allerlei Knabbereien in einer Schale auf den Tisch. Bernhard brachte einen Strauß frischer Rosen aus dem Gewächshaus, die Carla in einer Vase drapierte.
„Bevor Adelaide mit der Schreckensnachricht kam, hatte ich gerade eine Idee für den Wettbewerb. Aber nach dieser erschreckenden Geschichte ist mir die Lust vergangen. Wenn diese Malu hier bei uns wohnen wird, sind wir doch auch in Gefahr, wenn ihr Mann, der Häftling davon erfährt“, befürchtete Carla.
„Ich glaube, der Kommissar schickt uns ein paar Leute ins Schloss“, tröstete ich sie. „Ich bin sicher, dass hier alles beobachtet wird. Und seit den letzten Geschehnissen gibt es hier auch überall Überwachungskameras.
Da wird sich wohl keiner trauen, hier hineinzugehen. Aber jetzt hast du mich neugierig gemacht. Welche Idee hattest du für den Wettbewerb?“
„Ich wollte einen Kuchen backen, der die Form von Italien hat, einen Stiefel mit dem Stein von Sizilien. Und überall dort, wo die großen Städte sind, wollte ich die historischen Bauwerke aus Marzipan darauf setzen. Als Untergrund wollte ich blauen Karton nehmen, das soll dann das Meer darstellen. Und ich weiß, dass es für alle Freunde von Miniatureisenbahnen eine durchsichtige Folie gibt, die eine wellenartige Prägung hat. Das könnte dann wie ein bewegtes Mittelmeer aussehen.“
„Das ist eine fantastische Idee!“ lobte ich sie. „Damit hast du Chancen. Vielleicht sollten wir dieser Malu auch den Vorschlag machen, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Falls sie den Kopf dafür hat, könnte es sie etwas ablenken.“
Es klopfte an der Tür, und ich erschrak. „Ob das schon Malu ist?“
Auf unser einstimmiges „Herein“ zeigte sich ein dunkler Lockenkopf im Türspalt. Er gehörte zu einer jungen, hübschen Frau, deren schlanker Körper in Jeans und einer weißen Rüschenbluse steckte.
„Seid ihr fleißig für die Frau des entflohenen Häftlings?“
Carla nickte. „Ja, und wer bist du?“
„Ich gehöre zu den neu angekommenen Gästen, die sich seit gestern Abend hier im Schloss befinden. Wir sind die neuen Kunststudenten, die die nächsten beiden Semester hier wohnen werden.“
„Und wer ist wir?“ wollte Carla wissen.
„Ich bin Hanna und werde mich auf die Malerei konzentrieren. Dann gibt es da noch Isabell, sie arbeitet mehr im Bereich von Skulpturen, und die beiden Italiener mit dem Schwerpunkt Fotografie. Das sind Francesco und Roberto. Sie sind Freunde von der berühmten Teresa, der Künstlerin aus Sizilien, die hier im Schloss sehr gut bekannt ist.“
Ich nickte. „Teresa ist eine Freundin, nicht nur von mir, sondern auch vom Schlossherrn Moro Rossini und seiner Ehefrau Adelaide. Wir haben schon allerlei miteinander erlebt und auch schon einige Schrecken ausgestanden. Wenn Francesco und Roberto Freunde von ihr sind, dann werden sie sicher auch ganz schnell unsere Freunde werden.“
Hanna nickte eifrig. „Oh ja! Sie sind wahnsinnig nett, und besonders dieser Francesco. Er sieht aus wie ein römischer Gott.“
Carla grinste. „Aha! Er gefällt dir also. Habt ihr euch schon miteinander bekannt gemacht?“
„Frau Rossini hatte uns gestern Abend in die Schlosskirche eingeladen zu einem Willkommensessen. Euch beide habe ich gar nicht gesehen. Aber Adelaide hat von euch gesprochen, auch dass ihr gestern unterwegs gewesen seid.“
Ich nickte. „Wir haben im ganzen Ort Anmeldeformulare für den Wettbewerb verteilt, erst überall dorthin, wo man etwas auslegen darf, wie zum Beispiel an der Kasse des Märchenparks, und dann später in die Haushalte. Da waren wir dann bis fast spät in die Nacht unterwegs. Aber zu zweit hat es Spaß gemacht, wir haben uns prächtig unterhalten. Da wussten wir zum Glück noch nicht, dass hier ein Straftäter unterwegs ist. Gestern schien uns die Welt noch in Ordnung zu sein.“
„Richtig“, erinnerte sich Hanna. „Das wollte ich euch auch noch fragen. Habt ihr vielleicht ein Anmeldeformular für mich? Ich würde auch ganz gern bei dem Wettbewerb mitmachen.“
„Ich werde dir gleich eins besorgen“, versprach ich ihr. „Hast du schon eine Idee, bei welcher Sparte du mitmachen möchtest? Möchtest du etwas herstellen oder dich lieber selbst darstellen.“
„Zum Selbstdarstellen wird mir der Mut fehlen“, befürchtete sie. „Ich denke, ich werde etwas basteln. Ich bin mir aber noch nicht ganz sicher. Was haltet ihr von einem Leporello?“
Carla sah sie erstaunt an. „Was ist denn das? Ein Leporello?“
„Ein Faltbuch, manchmal ist es aus Papier oder aus einem Karton hergestellt. Im Grunde genommen ist es ein ganz langer Streifen, der in gleichmäßige Teile gefaltet wird. Ich dachte dann an Zeichnungen oder auch alte Fotografien von einer italienischen Stadt. Sagen wir mal Mailand. Da könnte man dann aus allen Jahrhunderten Bilder zeigen, von der Gründung des Ortes bis zum heutigen Zeitpunkt.“
„Was für eine super tolle Idee!“ fand Carla. „Das könntest du dir sogar patentieren lassen und dann dort in dieser Stadt zum Verkauf bringen.“
„Ach, für den Verkauf interessiere ich mich nicht so“, teilte uns Hanna mit. „Eher schon für die Reisepreise nach Italien. Da ist doch allerhand Erfreuliches dabei. Eine Woche Rom, das ist schon etwas. Und dann auch noch für zwei Personen.“
Carla hob die Augenbrauen. „Für zwei Personen? Hast du einen Freund?“
Ihre Augen leuchteten. „Noch nicht. Ich bin nur gerade frisch verliebt.“
„Lass mich raten!“ Carla blinzelte schelmisch. „Es handelt sich um Francesco.“
Hanna seufzte. „Ja, aber leider interessiert er sich wohl mehr für Isabell. Und Isabell interessiert sich für Francesco und Roberto, und scheint sich in der kurzen Zeit am gestrigen Abend noch nicht entschieden zu haben, für wen sie sich mehr interessieren soll.“
„Dann hast du noch Chancen“, tröstete ich sie. „Dann würde ich das Leporello aufgeben.“
Sie sah mich entsetzt an. „Warum denn das?“
„Weil du dann besser mit Roberto eine lebende Statue darstellen kannst. Irgendein altes, historisches, italienisches Liebespaar. Davon gibt es doch bestimmt genug. Und wenn ihr dann so zusammen eine Weile herumsteht, dann könnt ihr euch näher kommen.“
Sie lachte. „Du bist ganz schön raffiniert. Aber leider sieht das zu aufdringlich aus. Ich werde ihn nicht danach fragen können.“
„Oh, wenn es nur darum geht! Dann lass mich das nur machen! Ich könnte dir da ein bisschen behilflich sein.“
Sie eilte auf mich zu und umarmte mich. „Wahnsinn! Wenn du das für mich tust, gewinnst du einen Extrapreis.“
In diesem Augenblick klopfte es erneut. Diesmal suchte uns Adelaide auf. Mit blassem Gesicht teilte sie uns eine neue Schreckensnachricht mit. „Es ist ganz fürchterlich. Was ist denn nur los? So viel Schreckliches in so kurzer Zeit! Niklas war gerade hier, und ich dachte schon, er würde Malu zu uns bringen. Aber nein, hier im Ort ist schon wieder etwas Schlimmes passiert. Seit einigen Tagen arbeitet in der Polizeiwache eine neue Polizeibeamtin. Recht jung ist sie noch. Und diese Melanie hat man gerade erschossen aufgefunden, mit ihrer eigenen Pistole. Irgendwann heute Morgen in der Frühe muss es passiert sein. Also treibt dieser Linus schon sein Unwesen hier.“
Einen Moment lang standen wir alle wie erstarrt.
Carla fasste sich als Erste. „Dann hat er ihr die Pistole entwendet und sie damit erschossen. Wie grauenvoll! Dann müssen wir hier wohl auch auf alles gefasst sein.“
Adelaide schüttelte den Kopf. „Nein. Niklas will hier im Schloss Beamte postieren. Malu soll Personenschutz bekommen. Und außerhalb des Schlosses darf natürlich niemand wissen, dass diese Frau sich hier bei uns versteckt. Sicher wird der Täter zuerst in ihrer Wohnung nachsehen. Wahrscheinlich hat er sich die Pistole besorgt, um dort auch Malu zur Rechenschaft zu ziehen. Dort wird allerdings dann die Polizei auf ihn warten.“
Ich seufzte. Dann wollen wir hoffen, dass dieser Linus nichts davon erfährt. Er kann nur in die Falle gehen, wenn er ganz sicher ist, seine Frau am gewohnten Ort vorzufinden. Dann hoffe ich einmal, dass sich alle sehr vorsichtig verhalten. Hat er denn schon versucht, mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen?“
Adelaide hob kurz die Schultern. „Ich weiß es nicht. Einzelheiten weiß ich auch noch nicht. Niklas hat uns nur schon einmal Bescheid geben wollen, damit wir vorgewarnt sind und weil er natürlich auch jetzt noch einmal mit Malu besondere Vorsichtsmaßnahmen besprechen möchte, bevor er sie zu uns bringt. Ich habe nur so viel mitbekommen, dass sie sich im Moment an einem geheimen Ort aufhalten, um niemanden zu gefährden.“
Hanna runzelte die Stirn. „Dann hoffe ich aber jetzt, dass alles gut geht. Einen Aufenthalt im Schloss habe ich mir viel romantischer vorgestellt.“
Carla schenkte ihr einen bedauernden Blick. „Wir haben hier schon eine ganze Menge miterlebt. Und trotzdem ist es noch ziemlich harmlos, wenn man an all diese Dinge denkt, die hier im Schloss geschehen sind, als es damals im Mittelalter noch eine Burg war. Da können wir von Glück reden, dass man keine Zeitreisen in die Vergangenheit machen kann. Wie uns die hübsche kleine Amerikanerin neulich offenbart hat, gab es hier in diesem Gebäude in früheren Zeiten schon mehr als einmal Mord und Totschlag. Und heute haben wir wenigstens den tüchtigen Kommissar Niklas und meine kompetente Freundin Abigail, die ihm häufig tapfer zur Seite gestanden hat.“
Ich blinzelte sie an. „Aber in diesem Fall hoffe ich doch, dass Linus jetzt möglichst bald in die Falle der Polizei tappt. Ein Mord reicht mir. Ich freute mich nämlich gerade schon so sehr auf diesen fantasievollen Kunstwettbewerb zu Ehren des besonderen Sommerfests. Da bin ich nämlich gar nicht so begierig auf Mörder und detektivische Recherchen.“
Hannas Augen leuchteten. „ So furchtbar das auch ist, ich finde das wahnsinnig spannend. Ich habe nämlich so etwas noch nie erlebt und kenne das nur aus Romanen und aus Filmen. Und ich bin auch schon riesig neugierig auf die Frau des Verbrechers.“
***
Sie musste nicht lange warten. Wenige Minuten später führten der Kommissar und Carlas Ehemann Bernhard, der Schlossgärtner und Klarinettenspieler, eine junge Frau zu uns in das Fremdenzimmer.
Mit ihrer Erscheinung und ihrem blonden Lockenkopf erinnerte sie mich an die amerikanische Filmschauspielerin, die seinerzeit ein großes Idol gewesen war und ganz nebenbei auch für ihren Sexappeal berühmt war. Die beiden Herren verabschiedeten sich rasch mit der Entschuldigung, noch einiges erledigen zu müssen.
„Ich bin Malu Gärtner“, stellte sich die Fremde nach der Begrüßung selbst vor. „Wundert euch nicht, dass ich anders heiße als mein gerade geschiedener Mann. „Gärtner“ ist mein Mädchenname. Und ich bin euch riesig dankbar, dass ich hier bei euch untertauchen darf. Ich hoffe, ich störe eure Gemeinschaft nicht allzu sehr.“
„Warum solltest du stören?“ fragte Hanna geradeheraus. „Meinst du etwa, weil du keine Kunststudenten bist?“
Die junge Frau nickte. „Genau deswegen. Ich bin nur eine ganz einfache Frau. Und ihr seid bestimmt alle ganz anders als ich.“
„Ach, Unsinn!“ schimpfte Hanna. „Viele von uns sind aus ganz einfachen Verhältnissen. Ja, vielleicht wollen einige von uns einmal etwas Besseres werden, aber das ist ja nicht verkehrt. Für dich ist es erst einmal wichtig, dass du außer Gefahr bist. Und bei der Gelegenheit kannst du uns gern einmal über die Schulter schauen, wie wir uns hier abrackern, um etwas mehr oder weniger Gescheites auf die Beine zu stellen. Du bist eine fleißige Frau, vor dir muss man den Hut ziehen.“
„Wenn ich euch nicht störe, würde ich euch gern einmal zuschauen bei dem, was ihr macht und lernt. Bisher ist mir nämlich noch nie die Gelegenheit geboten worden.“
„Möchtest du jetzt erst mal lieber allein sein, oder können wir dir noch etwas helfen?“ erkundigte sich Carla.
„Ich habe nur ein bisschen Handgepäck mit dabei“, teilte uns Malu mit. „Die paar Teile räume ich selbst in den Schrank. Aber ich freue mich über eure Gesellschaft. Das lenkt mich etwas ab. Ich bin nämlich furchtbar nervös, müsst ihr wissen. Könnt ihr euch vorstellen, welche Angst ich hatte? Und als mir der Kommissar eben vom Mord der Polizistin berichtete, ist es mir richtig schlecht geworden. Denn wenn er jetzt diese Pistole hat, dann ist es für ihn ganz leicht, mich aus einem Abstand heraus zu töten.“
„Die Polizei hofft, dass er zu deiner Wohnung fährt und dort in die Falle geht. Denn sicher wird er die Waffe bei sich tragen. Und das ist dann ein Beweis. Man wird an seinen Fingern feststellen, dass er geschossen hat.“
Malu zeigte einen zweifelnden Gesichtsausdruck. „Er ist schlau. Er wird Handschuhe getragen haben. Und ob er die Waffe direkt beim ersten Mal dabei hat, ist auch fraglich. Vielleicht will er auch erst einmal auskundschaften, ob ich ganz allein lebe.“
„Tust du das denn?“ erkundigte sich Hanna geradeheraus.
„Ja, wenn man mit solch einem Mann verheiratet war, dann wird man vorsichtig. Da halte ich mich dann doch lieber erst einmal von anderen fern. Nein, ich habe keinen Freund. Das ist mir im Moment zu heikel.“
Carla nickte. „Das kann ich mir gut vorstellen, dass du jetzt erst einmal die Nase voll hast. War er denn auch gewalttätig?“
„Ja, immer wenn er ausrastet, weiß er nicht mehr, was er tut. Er ist gemeingefährlich, und man kann ihm wirklich nicht trauen. Dabei merkt man das ihm oft gar nicht an. Er wirkt ziemlich ruhig und harmlos. Aber wenn man ihn näher kommt, entdeckt man seine kriminelle Seite. Ich hätte viel früher wegziehen und möglicherweise auswandern sollen. Dann wäre jetzt keiner in Gefahr.“
„Warum hast du es nicht getan?“ fragte Hanna. „Wie lange war er denn jetzt im Gefängnis?“
„Er war jetzt drei Jahre in der Justizvollzugsanstalt, aber er hätte noch einige Jahre absitzen müssen. Ich hatte kein Geld, um irgendwohin umzuziehen. Mit meinem Arbeitslohn kann ich mir nicht viel leisten. Das reicht nur so gerade zum Leben.“
„Schade, dass du unsere liebe Frau Ackermann nicht vorher kanntest“, überlegte Carla. „Die hätte dir bestimmt geholfen.“
Malu machte große Augen. „Wer ist denn das? Eine neue Mutter Theresa?“
Carla lächelte. „Das ist eine reiche, ältere Frau, die viel mehr Geld hat, als sie ausgeben kann. Sie hat nur eine einzige Nichte, und die lebt glücklich und gut versorgt mit ihrem Mann in Philadelphia. Sie als berühmte Schauspielerin und er als Filmregisseur. Die beiden haben selbst genügend Geld zur Verfügung und sind nicht auf die Tante angewiesen.“
Malu staunte. „Und diese Frau verschenkt Geld?“
„Sie ist sehr hilfsbereit“, wusste ich. „Wenn sie irgendjemanden in Not sieht, dann greift sie ein. Wir haben hier in drei Tagen ein besonderes Fest mit dem Namen „Sole del Sud“, und das heißt „Sonne des Südens“. Da gibt es einen Wettbewerb für die beste Darstellung zum Thema „Altes Italien“. Und dafür hat sie wundervolle Preise gestiftet. Damit möchte sie nicht nur die Künstler hier motivieren, sondern auch alle anderen Menschen, irgendetwas herzustellen oder darzustellen. Falls du dich bis dahin etwas beruhigt hast und dich hier sicher fühlst, kannst du auch gerne mitmachen.“
„Mein Chef hat mir im Moment Urlaub gegeben, weil er sich auch Sorge um mich machte. Er meint, dass ich hier im Schloss unter Polizeischutz am besten aufgehoben bin. Vielleicht kann ich mich tatsächlich wieder ein bisschen fangen in eurer netten Gesellschaft. Denn einen Preis könnte ich auch immer ganz gut gebrauchen, weil es bei mir im Leben eben immer nur ganz einfach zugeht. Dann freut man sich schon einmal über irgendetwas Besonderes.“
„Ich werde dir auf jeden Fall ein Anmeldeformular vorbeibringen“, versprach ich ihr. „Und deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Man darf etwas basteln aus einem ganz beliebigen Material, und man darf sich allein oder mit anderen als lebende Statue im Märchenpark postieren. Das kann ich dir allerdings momentan nicht raten. Denn der Park ist groß. Da bin ich nicht sicher, ob dein Exmann nicht vielleicht heimlich dort hinein gelangen könnte, um dir dort aufzulauern.“
Sie rollte die Augen. „Das will ich dann lieber vermeiden. Notfalls könnte man diese Figuren ja auch hier in irgendeinem großen Saal auftreten lassen. Das ist sowieso etwas weniger risikoreich. Im Märchenpark könnte es auch regnen.“
„Wir haben den Wetterbericht schon eine Weile vorher beobachtet“, verkündete Hanna. „Aber man merkt wirklich, dass du gewohnt bist, mit einem gefährlichen Menschen zu leben. Du denkst auch im Alltagsgeschehen immer an jedes mögliche Risiko.“
Malu seufzte. „Ja ich musste immer sehr vorsichtig sein, um nicht irgendetwas heraufzubeschwören. Ich wünschte, das könnte ich hier bei euch vergessen. Wer von euch macht denn bei diesem Wettbewerb mit?“
„Wir haben eben schon darüber gesprochen“, teilte ihr Hanna mit. „Wir wollen alle mitmachen. Ich denke, für mich ist der Park ideal. Vielleicht werde ich eine der Sabinerinnen, die im alten Rom geraubt wurden.“
„Das hört sich aber doch gefährlich an“, fand Malu. „Das ist nichts für mich.“