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Ein Schloss voller Geheimnisse und ein mysteriöser Todesfall: tauchen Sie ein in die athmosphärische Spannung und das mysteriöse Rätsel um den Tod des alten Grafen! Vor zehn Jahren starb Graf Walter von Schönenhausen auf mysteriöse Weise – doch das dunkle Geheimnis um seinen Tod ist bis heute ungelöst. Die Erbinnen des prächtigen Schlosses Schönenhausen, Agneta Lenzberry und Sonja Schiffer-Dohle, ahnen vermeidlich nichts von den finsteren Machenschaften, die sich hier erneut zusammenbrauen. Als der Detektiv Ludwig Calabrese seine junge Assistentin Carolin für Ermittlungen im Todesfall Schönhausen auf das Schloss schickt, gerät sie in ein Netz aus Lügen, Intrigen und verborgenen Geheimnissen. Wer sind die Menschen, die sich in dem alten Gemäuer versammeln? Und was haben sie mit dem geheimnisvollen Tod des Grafen zu tun? Mit einem scharfen Verstand und viel Mut begibt sich Carolin auf eine gefährliche Spurensuche in der ländlichen Idylle – doch schon bald spürt sie: Auch sie ist nicht sicher vor den dunklen Schatten der Vergangenheit. Die perfekte Krimi-Lektüre für Fans von Miss Marple oder Hercule Poirot!
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Seitenzahl: 169
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Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.
Siehe Wikipedia.
Sie veröffentlichte bisher circa 100 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.
Graf Walter von Schönenhausen verstarb vor zehn Jahren, doch vergessen ist er nicht.
Agneta Lenzberry und Sonja Schiffer-Dohle wohnen in dem schmucken Schloss Schönenhausen, das ihnen der Graf vererbt hat.
Der Detektiv Ludwig Calabrese schickt seine junge Angestellte Carolin in die ländliche Idylle, um nachzuforschen, ob Walter eines natürlichen Todes gestorben ist.
Im Schloss hat sich inzwischen eine Gruppe unterschiedlichster Personen eingefunden, und Carolin schöpft einen Verdacht …
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
„Warum gerade ich?“ frage ich meinen Chef ohne Umschweife. „In so einem alten Kasten mit zwei alten gelangweilten Damen verliere ich vermutlich alle Intuition.“
Ludwig streckt sich hinter dem Schreibtisch und kneift die Augen zusammen. „Ich könnte sagen, weil ich dein Chef bin und du meine Angestellte bist. Aber ich weiß, dass du dich mit einer so einfachen Antwort nicht zufriedengibst. Und hier ist mein ausführlicher Spickzettel für junge, unternehmungslustige Frauen von Mitte zwanzig: Der alte Kasten ist ein frisch renoviertes, historisches Gebäude, hübsch wie ein Lustschloss, und die beiden Damen sind gerade einmal in den Vierzigern. Du siehst also, ich erwarte nichts Unmögliches von dir.“
„Charly könnte mit Frauen dieser Altersgruppe viel besser umgehen“, versuche ich, ihn umzustimmen.
Ludwig setzt seine Brille auf, nur um mich über die oberen Ränder hinweg kritisch ansehen zu können. „Gerade weil er das so gut kann, möchte ich den Fall lieber jemandem übergeben, der sich emotional trocken hält. Du wirst mich nicht umstimmen können, weil du mit diesen Künstlerinnen sehr gut umgehen kannst, da bin ich ganz sicher. Du bist so schön diplomatisch!“
„Du meinst blöd“, antworte ich unumwunden. „Wenn ich da eine Art Hausdame spiele, soll ich mir vermutlich alles gefallen lassen.“
Er greift zum Kugelschreiber und fingert daran herum. „Das sind keine Bestien. Agneta Lenz ist eine berühmte Schauspielerin, und Sonja Schiffer-Dohle wurde bereits als Bildhauerin mehrfach ausgezeichnet. Da handelt es sich um gebildete Damen mit Stil.“
„Ich habe gelesen, dass alle beide ziemlich außergewöhnliche Star-Allüren kultivieren und jede von ihnen eine extravagante Diva verkörpert.“
Er fällt in die Vaterrolle. „Aber Kleines, damit hast du als Profi doch keine Probleme. Sieh es einfach als einen bezahlten Urlaub an, denn die Gegend ist dort zauberhaft schön, ein Paradies für Touristen.“
„Und du glaubst, dass ich für ein paar Ausflüge in die Umgebung Zeit haben werde?“
Ludwig setzt die Brille wieder ab, sein Blick ist gönnerhaft. „Ich habe deinen Arbeitsvertrag durchgelesen. Danach wirst du am Tag mehrere Freistunden zu deiner eigenen Verfügung haben.“
„Die ich natürlich für anderweitige Recherchen bitter notwendig haben werde“, füge ich hinzu. „Wen von beiden Frauen verdächtigst du denn mehr, den alten Grafen umgebracht zu haben?“
„Keine von beiden. Der Neffe des Verstorbenen, ein gewisser Arndt von Schönenhausen hat mir diesen Auftrag erteilt, weil er nichts vom Vermögen seines Onkels geerbt hat.“
„Und er wohnt auch dort?“
„Aber nein! Was denkst du denn, Carolin?! Er kennt die beiden Frauen kaum. Bei der Beerdigung hat er sie einmal kurz am Grab gesehen, mehr nicht.“
Ich seufze. „Und mich schickst du wirklich in die Höhle des Löwen?!“
„Kein Mensch glaubt daran, dass die beiden Frauen, die sich dort friedlich das Schlösschen teilen, etwas mit dem Tod das alten Grafen Walter von Schönenhausen zu tun haben. Ich erwarte eher einen Beweis von dir, dass sie unschuldig sind.“
„Und bei der Gelegenheit erwartest du von mir natürlich, dass ich dir Walters natürlichen Tod beweise. Vergiss nicht, ich bin keine Pathologin.“
Seine gute Laune drückt sich in einem breiten Grinsen aus. „Ich traue dir zu, dass du den wahren Mörder findest.“
Ich kann mein Stöhnen nicht mehr unterdrücken. „Ich wusste, dass du wieder einmal Hintergedanken hast.“
Seine Augen blitzen. „Ich leite ein Detektivbüro. Solltest du das vergessen haben?! Solche Gedanken gehören zu der Grundausstattung meiner notwendigen Talente für diesen Job.“
Ludwig reicht mir die Hand. „Ich habe dir ein dickes Spesenpolster überwiesen, das du auch für private Zwecke nutzen darfst.“
„Ich werde dich über den Kontostand auf dem Laufenden halten“, zische ich ihm zu und drehe mich um. „Und noch viel Vergnügen mit deinem Kugelschreiber!“
„Am Ende wird sich herausstellen, wer hier das größere Vergnügen hatte“, ruft er mir fröhlich hinterher.
Schloss Schönenhausen liegt in einer malerischen Berglandschaft, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man diese Aussichten missachten kann, wenn man hier wohnt.
Die grünen Alm-Wiesen mit den sich anschließenden dunklen Wäldern bieten dem Auge ein erholsames und gleichzeitig frisches Landschaftsbild. Für Überraschung sorgen die dahinterliegenden schroffen Felsen, die sich zu steilen Bergwänden verbinden und sich je nach Licht und Schatten in alle Farbtöne verwandeln. Im Augenblick grüßen sie mich in von der Sonne golden angehauchten Grautönen.
Inmitten eines gepflegten Parks finde ich das renovierte Anwesen, umgeben von hohen Akazien und einigen mächtigen Maronenbäumen.
Nachdem ich mein Auto auf dem etwas abseits liegenden Parkplatz abgestellt habe, spaziere ich mit meinem Rollkoffer über den laut knirschenden Sandweg.
Eine junge Frau mit langen blonden Haaren eilt auf mich zu und nimmt mir das Gepäck aus der Hand.
„Wie schön, dass ich jetzt eine Hilfe bekomme“, plaudert sie munter los. „Ich bin die Helene und war bis jetzt das Mädchen für alles, wenn die Putzfrau und die Köchin außer Haus waren. Aber jetzt bist du ja da, und ich muss mich nicht mehr zerreißen.“
Ich betrachte sie etwas genauer und stelle fest, dass sie sehr schlank ist.
Ob sie wohl von den beiden Ladys viel auf Trab gehalten wird?
„Dann weißt du also schon Bescheid, und ich wollte mich dir gerade vorstellen. Carolin heiße ich, und ich habe schon gehört, dass man im Schauspielmilieu keine förmlichen Anreden benutzt. Oder sind unsere beiden Chefinnen da anderer Meinung?“
Sie lacht. „Sie erwarten zwar von uns, dass wir sie mit dem nötigen Respekt behandeln, aber Agneta ist es gewohnt, auch von den kleinsten Komparsen mit „Du“ angesprochen zu werden.“
„Und die andere, die Malerin? Was ist mit der Sonja. Ist sie da auch so unkompliziert?“
„In diesem Bereich sind beide völlig normal, aber nur in diesem Punkt.“
Ich bleibe kurz stehen. „Jetzt machst du mich neugierig. „Wie meinst du das?“
„Die beiden sind eben Künstlerinnen, die sind anders als andere Leute. Beide sind sehr von sich überzeugt. Aber das müssen sie wohl auch, wenn sie andere Menschen überzeugen wollen.“
„Ein selbstsicheres Auftreten bringt wahrscheinlich mehr Erfolg“, vermute ich und gehe weiter. „Aber da du mich hier so fröhlich begrüßt hast, glaube ich, dass dich die Beiden nicht schlecht behandeln.“
Helene schmunzelt. „Da hast du absolut recht. Wenn die beiden nicht nett zu mir wären, hätte ich schon längst gekündigt. Ich mag so schrullige Menschen, die ihren eigenen Charakter haben. Und warum hast du dich jetzt für diesen Aufenthalt entschieden?“
„Ich finde es interessant, einmal solchen berühmten Frauen näherzukommen. Sag mal, was passiert wohl in dem Leben eines Menschen, damit er so erfolgreich wird. Denn das sind die beiden doch, oder?“
„Ja, sie sind beide erfolgreich und berühmt. Agneta bereitet sich gerade wieder auf eine neue, große Rolle vor, und Sonja arbeitet emsig an der Geburt einer großen Skulptur.“
„Das klingt spannend“, finde ich. „Und wie kommunikativ sind die beiden?“
„Da Agneta und Sonja gerade keinen Partner haben, ist ihnen bis jetzt meine Bekanntschaft sehr willkommen gewesen. Allerdings bin ich jetzt froh, dass du hier bist, dann verteilt sich das etwas, und ich kann meine Pausen besser einhalten. Übrigens, wenn du gar nicht weißt, was du machen sollst, ich kann dich überall mit hinschleppen.“
Erwartungsvoll sehe ich sie an. „Und an was hast du gedacht?“
„Im Nachbarort ist oft etwas los. Da gibt es Konzerte, ein kleines Theater, ein Kino und ein paar Diskotheken. Und wenn du dazu keine Lust hast, kannst du dich in der großen Bücherei mit Lesestoff eindecken. Ach ja, und das große Schwimmbad habe ich ganz vergessen.“
„Dann wird es mir hier mit Sicherheit nicht langweilig werden“, verrate ich ihr.
Wir sind an dem großen Tor angekommen, neben dem mehrere Blumenkübel aus Terrakotta Platz für bunt blühende Pflanzen bieten. Helene zieht einen Schlüssel aus einem Versteck.
„Nicht verraten! Das ist ein geheimer Ort, von dem niemand etwas weiß. Ein idealer Platz für den Ersatzschlüssel.“
Ich staune. „Hast du dieses Fleckchen ausgewählt, oder hat dort immer schon ein Schlüssel gelegen?“
„Schon immer“, antwortet Helene leichthin. „Aber momentan weiß niemand etwas von diesem Plätzchen. Die beiden Damen des Hauses nicht, und ganz sicher nicht die Köchin und die Reinigungsfrau. An diesem Versteck habe ich den Schlüssel gefunden, als ich hier mit meiner Arbeit begonnen habe.“
In meinem Kopf ertönt ein leiser Glockenton. Ich registriere: Dann konnte man hier also in früheren Jahren auch unbemerkt ein- und ausgehen, wenn man das Versteck kannte.“
Als ich im Schloss die vorwiegend hellen Stilmöbel betrachte, atme ich erleichtert auf. Meine Befürchtung, ich könnte hier auf alte düstere Reliquien aus der Ritterzeit treffen, bewahrheitet sich glücklicherweise nicht. Nicht eine einzige Ritterrüstung baut sich drohend vor mir auf, ja, nicht einmal eine einzige Waffe blitzt mir Gefahr verheißend entgegen, und so hoffe ich, dass ich auch von der Begegnung mit einem Schlossgespenst verschont bleibe.
Doch schon im nächsten Moment glaube ich wieder an Geister, als mir eine große schmale Gestalt in einem langen spitzen Kapuzen-Gewand und ohne Schuhe entgegenkommt. Träume ich vielleicht?
„Du bist bestimmt Carolin“, sagt das zauberhafte Wesen mit sanfter Stimme. „Ich bin Sonja und in einer wichtigen Mission unterwegs.“
Ich begrüße sie und warte, ob mir die schwache Stimme noch mehr zu sagen hat. Sie tut es.
„Sicher wirst du dich fragen, welcher Mission ich meine Zeit widme.“
„Das interessiert mich“, wage ich, ihr mit gedämpfter Stimme zu antworten.
„Ich sage den Menschen, wer sie sind“, fährt sie fort.
Ihre Worte wecken meine Neugier. „Bist du Psychologin oder Hellseherin?“
In ihrem Gesicht heben sich die tätowierten Augenbrauen. „Nein, meine Erkenntnisse gehen viel tiefer. Ich wecke die vergangenen Zeiten mit meinen Skulpturen. Dabei erfahren deine Zeitgenossen, wen oder was sie in ihren Genen tragen.“
Ein kleines, überraschtes „Oh“ entflieht meinem Mund, und ich hoffe, dass sie es nicht als Missbilligung deutet. „Also erschaffst du historische Köpfe.“
Durch ihr leichtes Kopfschütteln fällt die lose weiße Kapuze von ihrem Kopf und enthüllt ihr schwarzes lockiges Haar, das Kinn lang ihre Wangen streichelt.
„Ich befreie sie aus dem Marmorstein, in dem sie seit Jahrhunderten schlafen. Und auch du bist nicht frei von allem, was deine Vorfahren verbrochen haben.“
Was für eine düstere Vorstellung! Hoffentlich behauptet sie nicht noch, dass ich die Gene von Caesar und Kleopatra in mir trage.
„Vielleicht bin ich eine Nachfahrin der Mona Lisa“, wage ich ihr zu antworten.
„Natürlich hast du auch Gene von freundlichen Menschen in dir“, fährt sie gnädig fort. „Aber du solltest dir darüber im Klaren sein, dass alles in dir steckt: das Gute und das Böse.“
„Du sprichst von einem inneren Schweinehund?“ provoziere ich sie.
„Ich sehe schon, du hast kein künstlerisches Verständnis“, bemerkt sie mitleidig. „Wir haben nicht nur eine Gen-Kette, sondern auch eine lange Ahnen-Kette, die uns ihr Erbe vermacht haben. Auch heute stecken noch die kleinen und größeren Pythias und Ciceros in den modernen Menschen. Du darfst dir in den nächsten Tagen einmal den Museumsraum anschauen, in dem sich einige meiner Entdeckungen aufhalten. Du wirst sogar eine Art von Neandertaler darin vorfinden.“
„Und was sollen wir Menschen daraus lernen?“ frage ich naiv.
„Wir können sehr viel aus uns entwickeln, aber wir sollten auch immer sehr vorsichtig sein, denn unsere Vorgänger hatten oft raue Manieren. Es gibt Momente, da sind wir selbst über uns erstaunt, was in uns steckt.“
Wie meint sie das jetzt bloß? Ahnt sie, dass ich hier nicht nur als Hausdame meine Zeit verbringe? Ist das ein versteckter Hinweis darauf, dass in diesem Schloss doch nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Ist Walter doch eines gewaltsamen Todes gestorben?
Natürlich könnte ich sie direkt darauf ansprechen, aber das wäre sicher nicht klug. Es ist wohl besser, wenn ich mich erst einmal völlig arglos darstelle. Nein, in diese Falle, falls es eine ist, werde ich nicht hineintappen, beschließe ich.
„Hast du denn schon herausgefunden, wer dir die künstlerischen und handwerklichen Talente vermacht hat?“ frage ich stattdessen.
„Meine Eltern und Großeltern interessieren mich da weniger“, teilt sie mir mit. „Es geht mir um die ganz großen Ahnen, und da ist praktisch jeder mit jedem verwandt. Im Augenblick beschäftige ich mich mit den alten Fürsten, die hier einmal in diesem Schloss gelebt haben.“
Verblüfft betrachte ich sie und stelle jetzt erst fest, dass sie ein ausgesprochen apartes Gesicht hinter ihren wirren Haaren verbirgt. „Ich sehe nirgends Bilder oder Gemälde von den Ahnen.“
„Walter hat sie einmal seinem Neffen geschenkt. Aber ich benötige keine Bilder, obwohl sich ein Buch der Ahnen in der hiesigen Bibliothek befindet. Ich ahne die Ahnen“, behauptet sie jetzt sehr selbstsicher. „Dieses Schloss trägt überall ihren Stempel.“
Erneut sehe ich sie erstaunt an. „Es sieht alles so frisch renoviert aus. Tatsächlich fehlt mir jetzt die Vorstellungskraft.“
„Du bist eben keine Künstlerin. Menschen wie ich besitzen nicht nur Intuition, gepaart mit einem flexiblen Geist, sondern haben eine große Empathie, mit der sie sich nicht nur in andere Menschen, andere Wesen, wie zum Beispiel auch Tiere und Pflanzen, sondern auch in die scheinbar tote Materie einfühlen können.“
„Bist du eine Esoterikerin?“
Jetzt lacht sie mich aus. „Ich bin ein lebendiger Mensch und lebe meine gesamten Potenziale. Diese Lebewesen sind so geschaffen, dass sie nicht nur der Natur entspringen, sondern sich auch in ihr und mit ihr bewegen können. Ich bin genau wie du ein Teil der Natur, und die hat ihre Geheimnisse. Aber es schadet nichts, dass du anders bist. Die Erde ist rund und bunt, und jeder Mensch kann auf seine Art und Weise wichtig sein.“
„Und ich möchte gern als Hausdame wichtig sein“, antworte ich prompt. „Was soll ich für dich tun? Welche Aufgaben hast du dir für mich ausgedacht?“
„Du hast die nette Helene schon kennengelernt, sie ist eine reizende junge Frau. Aber mit unseren Sonderwünschen ist sie einfach überfordert. Was wir tun, Agneta und ich, dass tun wir ganz. Und wenn wir arbeiten, haben wir keine Zeit, etwas anderes zu tun. Nicht einmal einen Kaffee oder Kakao sind wir imstande, selbst zuzubereiten, während wir uns in der Ekstase unserer Beschäftigung befinden. Ja, während unseres künstlerischen Schaffens müssen wir regelrecht bedient werden.“
Ich nehme es mit Gelassenheit. „So steht es in meinem Arbeitsvertrag, und es macht mir Spaß, netten Menschen gefällig zu sein.“
Sonja sieht mich aus halb geschlossenen Augen durchdringend an. „So etwas macht dir Spaß?“
„Wenn man meine Arbeit in irgendeiner Form wertet, ja. Dankbarkeit ist schon ganz nett, aber manchmal reicht mir auch eine gute Bezahlung, mit der ich wertgeschätzt werde.“
Ein winziges Lächeln zeigt sich auf ihren Lippen. „Du bist praktisch veranlagt. Das bin ich nur mit den Händen, ansonsten verlangt die Kreativität ihren Raum in mir. Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen. In der Küche hat Bessy einen Imbiss für dich vorbereitet. Da kannst du dich erst einmal stärken, bevor du dich weiter umsiehst. Ich bin die nächsten Stunden im Atelier und möchte nicht gestört werden. Ich melde mich, wenn ich etwas brauche.“
Mit diesen Worten dreht sie sich um und lässt mich stehen.
Nachdenklich erinnere ich mich an meine Aufgabe, eine mögliche Mörderin zu finden, oder zu beweisen, dass die beiden Frauen nichts mit Walters Tod zu tun haben. Ich prüfe den Eindruck, den Sonja auf mich gemacht hat und frage mein Bauchgefühl. Vermutlich ist sie eine Egozentrikerin, aber hat sie auch kriminelle Energien? Wie war wohl ihre Beziehung zu dem Adeligen gewesen? Offenbar ist es zu früh, um wesentliche Rückschlüsse zu ziehen.
Agneta empfängt mich mit einer heftigen Umarmung. „Wie schön, dass du dich entschlossen hast, bei uns zu wohnen!“
Nachdem ich mich leicht irritiert wieder freigemacht habe, betrachte ich die schöne Frau mit den langen blonden Locken und der schlanken und doch weiblichen Figur. „Ihr seid beide sehr nett zu mir, genau wie Helene, und das hübsche Schloss mit der zauberhaften Landschaft drumherum gefallen mir sehr“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Nicht wahr?“ greift sie meine Worte auf. „Hier lässt es sich leben. Und im Moment stehe ich wieder einmal in einer Hoch-Phase, bin völlig motiviert, euphorisch und schwebe im siebten Himmel der Hoffnung. In meinem Beruf ist das ein ständiges Auf und Ab.“
Ich sehe sie erstaunt an. „Ich dachte, du bist eine berühmte Schauspielerin. Bist du da nicht ständig glücklich über das, was du geschaffen hast.“
Agneta schüttelt die blonden Locken. „Nein, so einfach ist das in meinem Beruf nicht. Wenn du ein Haus gebaut hast, dann kannst du es hinterher ansehen und anfassen. Es entfaltet seine Wirkung erst, wenn es ganz fertig ist, aber eine Filmrolle, die wächst in dir, wie in einem Huhn das Ei und man ist euphorisch, bis man es gelegt hat. Aber wenn der Film fertig ist, fällt man in ein tiefes Loch, denn das Ei wird dir weggenommen, und es wird von anderen verbraucht.“
Einen kurzen Moment lang bin ich sprachlos. Mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet. Soll ich jetzt etwas Tröstliches sagen? „Ich dachte, du bist dann sehr stolz auf das, was du gemacht hast. Wenn du willst, kannst du dir den Film doch auch immer wieder anschauen. Selbst ein Theaterstück kann aufgezeichnet werden, da ist es nicht für immer verloren.“
Sie verzieht das Gesicht. „Der fertige Film, die Aufzeichnung sind das eingefrorene Leben. Sie sind ein Stück Vergangenheit, die man künstlich erwärmen kann. Bist du glücklich über eine vergangene Liebe?“
Ich atme tief. „Sie kann als gute oder schlechte Erinnerung bleiben, aber du hast recht, manchmal denkt man wehmütig daran zurück.“
Agneta lächelt nachsichtig. „Siehst du, wenn ein Film fertig ist, fühlst du eine große Leere in dir und fällst in ein tiefes Loch. Da ist es gut, wenn du immer einen Anschluss-Film drehen kannst.“
„Und? Hast du nach diesem Projekt wieder etwas in Aussicht?“
„Ich habe ein Angebot vorliegen, aber ich weiß noch nicht, ob ich es annehmen soll.“
„Ist es ein schlechtes Thema? Etwas Unangenehmes?“ erkundige ich mich.
„Das Thema ist nicht das Problem, sondern der Regisseur. Er hat sehr viel Einfluss auf das, was man aus einer Rolle herausholen kann. Wie oft geht es um die Verwirklichung eines Traums. Es handelt von einer Frau, die von allen Seiten daran gehindert wird, ihren Weg zu gehen, aber es ist keine Biografie. Deswegen kann man sehr viel daraus machen.“
„Das hört sich spannend an, aber wenn dich der Regisseur einschränkt, verlierst du sicherlich den ganzen Spaß daran.“
Sie lächelt mich an. „Ganz genau, während ich in meiner aktuellen Rolle einen großen Spielraum habe. Der Regisseur liebt meine Interpretationen.“
„Ich kann mir vorstellen, dass du dann alles aus dir herausholen kannst“, folge ich ihren Gedanken. „Und was spielst du jetzt?“
„Eine Mörderin, die aus Eifersucht ihren Geliebten umgebracht hat.“
Einen kurzen Moment lang verschlägt mir Agnetas Antwort die Sprache. Wie passend, denke ich. Schnell fasse ich mich wieder. „Wie aufregend! Spielst du die eiskalte, nach Plan vorgehende Frau, oder ist es eine Rolle, in der du mit viel Temperament und flammenden Emotionen arbeitest?“
„Als Mary-Lou spiele ich eine Frau, die sich sehr gut vorstellen kann. Man erlebt sie oft als naives Dummchen. Aber in Wahrheit ist sie sehr berechnend, und sie plant den fast perfekten Mord.“
„Genial! Ich kann mir vorstellen, dass du hier gut deine eigene Raffinesse hineinlegen kannst, die einer echten Frau“, versuche ich, sie lobend weiter zu locken.
„Tatsächlich lässt mir unser Regisseur Kai gerade in diesem Punkt einen großen Spielraum. Deswegen kommen wir auch so gut miteinander aus.“
„Ist er dein Freund?“ frage ich spontan und hoffe, dass sie mir diese intime Frage nicht übelnimmt.