Als Hemingway mich liebte - Naomi Wood - E-Book

Als Hemingway mich liebte E-Book

Naomi Wood

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Beschreibung

Im Sommer 1926 fahren Hemingway und seine Frau Hadley von Paris in ihr Haus in Südfrankreich. Sie verbringen ihre Tage mit Schwimmen, Bridge, Drinks und Hadleys bester Freundin Pauline. Dass sie zugleich Hemingways Geliebte ist, scheint Mrs. Hemingway Nr. 1 in Kauf zu nehmen - vorerst. Bald ist klar: Weder sie noch Pauline wird die letzte Ehefrau sein. Basierend auf Briefen und anderen authentischen Quellen beschwört Naomi Wood nicht nur die immer wieder scheiternden Ehen des Schriftstellers herauf, sondern auch die Atmosphäre in den Kreisen der Bohème jener Zeit. Eine tragische, herzzerreißende, großartig erzählte Geschichte über das Scheitern vierer Frauen an einem charismatischen Mann und erfolgreichen Schriftsteller.

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Seitenzahl: 405

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Naomi Wood

Als Hemingway mich liebte

Roman

Aus dem Englischen von Gerlinde Schermer-Rauwolf und Robert A. Weiß

Hoffmann und Campe

Für Katherine

Hadley

1Antibes, Frankreich, Juni 1926

Alles wird jetzt à trois gemacht. Frühstücken, Schwimmen, Mittagessen, anschließend Bridge, dann Dinner und das Trinken am Abend. Es gibt immer drei Frühstückstabletts, drei nasse Badeanzüge, drei Kartenblätter, die fächerartig auf dem Tisch liegen bleiben, wenn das Spiel abrupt und ohne Erklärung endet. Wo immer sie auch hingehen, werden Hadley und Ernest von einer dritten Person begleitet: Diese Frau gleitet so mühelos zwischen sie wie die Schneide eines Messers. Es ist Fife, die Geliebte ihres Gatten.

Hadley und Ernest schlafen in dem großen, weißen Zimmer der Villa, während Fife unten nächtigt, in einem als Einzelzimmer gedachten Raum. In der Villa herrschen Stille und Anspannung, bis einer ihrer Freunde mit Seife und Lebensmitteln auftaucht, am Gartentor verharrt und sich fragt, ob man die drei vielleicht besser nicht stören sollte.

Sie lungern im Haus herum – Hadley, Ernest und Fife –, und obwohl jeder von ihnen weiß, dass sie sich alle elend fühlen, möchte keiner als Erster klein beigeben: weder die Ehefrau noch der Ehemann noch die Geliebte. So geht das in der Villa seit Wochen; wie Tänzer in unablässiger Bewegung versuchen sie, einander in die Erschöpfung zu treiben, bis einer zusammenbricht.

Schon am Morgen ist es warm, und das Licht lässt die weißen Baumwolllaken blau leuchten. Ernest schläft. Sein Haar ist immer noch gescheitelt wie am Tag, und seine Haut verströmt einen warmen, schweren Geruch. Hadley würde ihn deshalb necken, wenn sie in der richtigen Stimmung wäre. Um seine Augen überzieht ein Strahlenkranz von Fältchen die gebräunte Haut; Hadley kann sich gut vorstellen, wie er auf dem Boot mit zusammengekniffenen Augen angestrengt über den Bug späht, um den besten Platz zum Ankern und Fischen auszumachen.

In Paris ist er für seine Schönheit geradezu berühmt; es ist schockierend, was er sich alles erlauben kann. Sogar den Männern in ihrem Freundeskreis verschlägt es angesichts seines Aussehens die Sprache, sie schwärmen noch mehr für ihn als die Bardamen. Andere erkennen hinter dieser Fassade sein unbeständiges Wesen – mal sanftmütig, mal unbeherrscht. Man erzählt sich, er habe im Bal Musette einem Mann wegen einer groben Bemerkung die Brille von der Nase geschlagen. Sogar einige seiner engsten Freunde haben Bammel vor ihm – auch Scott –, obwohl sie älter und erfolgreicher sind, aber darauf kommt es anscheinend nicht an. Was für widersprüchliche Gefühle er bei Männern auslöst! Die Frauen sind da schlichter – sie drehen ruckartig den Kopf nach ihm um und schauen ihm so lange nach, bis er verschwunden ist. Hadley kennt nur eine, bei der sein Charme nicht verfängt.

Sie liegt im Bett und starrt an die Decke. Die Balken sind zerfressen. Sie kann förmlich sehen, wie sich die Würmer durch das Holz arbeiten. Lampenschirme schwanken, als würde großes Gewicht auf ihnen lasten, dabei bestehen sie nur aus Papier und ein paar Verbindungsstücken. Auf dem Frisiertisch glitzern fremde Parfumfläschchen. Das Licht knallt auf die Jalousien. Heute wird es wieder heiß.

Eigentlich möchte Hadley nichts lieber als zurück ins kalte alte Paris, in ihre Wohnung, die nach über Kohlenfeuer gebratener Taube und dem Pissoir auf dem Treppenabsatz riecht. Sie sehnt sich zurück in ihre enge Küche und das Badezimmer, wo die Feuchtigkeit Sporen an der Wand hinterlässt. Sie möchte ihr gewohntes Mittagessen aus gekochten Eiern auf dem Tisch, der so klein ist, dass man seinem Gegenüber an die Knie stößt. Wobei an ebendiesem Tischchen ihr Verdacht bestätigt wurde, dass er eine Affäre hat. Ich habe das Gefühl, Ernest und Fife mögen sich sehr, hatte Fifes Schwester bemerkt. Mehr brauchte sie nicht zu sagen.

Ja, Hadley wäre in diesem Moment lieber in Paris oder sogar in St. Louis, in diesen Städten mit aschgrauem Himmel und Schneeregen aus düsteren Wolken – überall, nur nicht hier, im violetten Licht des strahlenden Antibes. Nachts fallen Früchte mit dumpfem Aufprall ins Gras, und am Morgen findet sie die Orangen, aufgeplatzt und von Ameisen überrannt. Der Geruch rings um die Villa verstärkt sich. Und schon zu dieser frühen Stunde sind die Insekten zugange.

Hadley steht auf und geht vom Bett zum Fenster. Wenn sie die Stirn gegen die Scheibe presst, kann sie das Zimmer seiner Geliebten sehen. Fifes Fensterläden sind geschlossen. Unten schläft auch Bumby, ihr gemeinsamer Sohn, und kämpft gegen seinen Keuchhusten an, den coqueluche, der ausschlaggebend dafür war, dass sie überhaupt alle in diese Villa gezogen sind. Denn ihre Freundin Sara Murphy wollte Bumby nicht in der Nähe ihrer Kinder haben, weil sie befürchtete, sie könnten sich anstecken. Es war nett von den Fitzgeralds, ihnen für die Zeit der Quarantäne ihre leerstehende Villa zur Verfügung zu stellen – das hätten sie nicht tun müssen. Aber wenn Hadley im Haus umherschlendert und all die prächtigen Dinge anfasst, findet sie es schrecklich, dass ihre Ehe in von einer anderen Familie gemieteten Räumlichkeiten in die Brüche geht.

Doch der heutige Tag markiert das Ende ihrer Quarantäne. Die Murphys haben sie zu sich in die Villa America eingeladen, und so wird das unglückliche Trio zum ersten Mal in diesem Urlaub in Gesellschaft von Freunden sein. Hadley sieht der Party gleichermaßen aufgeregt wie beklommen entgegen: In der Villa ist etwas geschehen, was niemand sonst gesehen hat, so als hätte jemand die Matratze eingenässt, ohne sich zu dem rasch abkühlenden Fleck in der Mitte zu bekennen.

Hadley steigt wieder ins Bett. Ernest hat das Laken fest um sich geschlungen. Sie versucht, es ein Stück zu sich zu ziehen, damit er gar nicht erst merkt, dass sie zwischendurch weg war, aber seine Faust ballt sich um das Tuch. Schließlich küsst sie ihn auf den oberen Rand seines Ohrs und flüstert: »Du hast mir die Bettdecke geklaut.«

Anstatt zu antworten, zieht Ernest sie an sich. In Paris steht er gern früh auf und sitzt um neun in seinem Arbeitszimmer. In Antibes jedoch finden solche Umarmungen mehrmals täglich statt, als erlebten Ernest und Hadley noch einmal den ersten Rausch der Verliebtheit, obwohl sie beide wissen, dass in diesem Sommer womöglich alles zu Ende geht. Als sie neben ihm liegt, fragt sie sich, wie es dazu kam, dass sie ihn verloren hat. Aber vielleicht stimmt das nicht ganz – noch hat sie ihn ja nicht verloren. Vielmehr haben sich Fife und Hadley aufs Warten und Beobachten verlegt, als wollte jede von ihnen den nächsten freien Platz in einem Bus ergattern.

»Gehen wir schwimmen.«

»Es ist noch zu früh, Hash.« Ernests Augen sind noch geschlossen, aber hinter den Lidern zuckt es. Sie fragt sich, ob er jetzt, da er wach ist, seine beiden Frauen gegeneinander abwägt. Soll’s die Gattin sein? Oder die Geliebte? Geliebte oder Gattin? Das Flüstern des Unterbewusstseins beginnt.

Hadley schwingt die Beine über den Bettrand. Das Zimmer scheint dem Ansturm des Sonnenlichts nicht mehr lange standhalten zu können. Für diese Hitze fühlt sie sich zu dick. Das ganze Gewicht aus der Schwangerschaft hat sich bei ihr in Hüftpölsterchen verewigt; sie sind kaum mehr loszuwerden. Auch ihr Haar fühlt sich schwer an. »Ich habe die Nase voll von Antibes«, erklärt sie und schiebt eine Hand in ihren feuchten Nacken. »Sehnst du dich nicht auch nach Regen und grauem Himmel? Nach grünem Gras? Etwas anderem.«

»Wie spät ist es?«

»Acht.«

Ernest berührt sie an den Schultern.

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich kann einfach nicht.« Beim letzten Wort versagt Hadley die Stimme. Sie geht zur Frisierkommode und spürt, wie Ernest mit leidendem Blick ihren Bewegungen folgt. Im Spiegel zeichnen sich ihre Brüste spitz unter dem Nachthemd ab. Knochenfahles Licht erfüllt den Raum, als die Jalousien nach oben schnellen. Er zieht das Laken über den Kopf und sieht unter dem Bettzeug ganz winzig aus. Oft weiß sie nicht, was sie von ihm halten soll, ob sie ihn als Kind oder als Mann sieht. Er ist der intelligenteste Mensch, den sie kennt, dennoch neigt sie manchmal instinktiv dazu, ihn wie ihren Sohn zu behandeln.

Im Badezimmer ist es kühler. Die Wanne mit den Klauenfüßen ist verlockend. Am liebsten würde sie hineinsteigen und sich ein kaltes Bad einlassen. Aber sie spritzt sich nur Wasser in den Nacken und wäscht sich das Gesicht. Durch die Sonne ist ihre Haut von Sommersprossen übersät und ihr Haar röter geworden. Während sie sich mit einem Handtuch abtrocknet, denkt sie an den letzten Sommer in Spanien zurück. Sie hatten sich einen Stierkampf angesehen und waren dann in den Pool gesprungen. Anschließend hatte Ernest sie mit einem Tuch abgetrocknet: von den Fußknöcheln an aufwärts, zwischen den Beinen, dann die Brüste. Ihre Mutter hätte eine solche öffentliche Zurschaustellung gehasst. Intimitäten gehören ins Schlafzimmer, hätte sie gesagt, aber das machte es nur umso aufregender, als Ernest zärtlich jeden Zentimeter seiner Frau abtrocknete.

Als sie in jenem Sommer nach Paris zurückkehrten, wurden sie von Fife erwartet. Aber nichts – da war sich Hadley sicher – oder fast nichts war damals zwischen den beiden gewesen, bis kurz vor Ende des Jahres. Im Winter. Oder auch erst im Frühjahr. Was den Zeitablauf anging, war Jinny ziemlich vage geblieben. Wenn Ernest doch nur genug Verstand hätte, nicht einfach alles wegzuwerfen! Hadley lächelt in sich hinein – sie hört sich an wie eine dieser seufzenden Hausfrauen in den Zeitschriften, die sie insgeheim gern liest, auch wenn sie das Ernest gegenüber niemals zugeben würde.

Zurück im Schlafzimmer wirft sie ihm seinen Badeanzug zu, der über Nacht steif geworden ist. »Komm schon, Ernest.« Ein Arm taucht auf, um den Badeanzug entgegenzunehmen. »Gehen wir, bevor es zu heiß wird.«

Schließlich steht Ernest auf und steigt wortlos in den Badeanzug. Sein Hintern ist inzwischen das einzig Weiße an ihm. Es schmerzt sie zu sehen, was für ein attraktiver Mann er ist. Sie steckt Handtücher in eine Strandtasche, dazu ein Buch (ein Roman von E.E. Cummings, den sie vergeblich zu lesen versucht) und ihre Sonnenbrille, und sieht Ernest zu, wie er die Sachen anzieht, die er bereits am Vortag getragen hat.

Er nimmt einen Apfel von der Anrichte und hält ihn in der Hand.

Vor der Villa hängt, neben dem Lavendel in den Terrakottatöpfen, Fifes Badeanzug auf der Leine. Er schwingt hin und her, wartet auf ihre Arme und Beine und ihren sacht nickenden Kopf. Die Hemingways schleichen in ihrer Riviera-Uniform – Ringelhemden, Fischermützen mit Schild und weiße Shorts – an Fifes Zimmer vorbei, mit leisen Schritten auf dem Kies, um sie nicht zu wecken. Mr. und Mrs. Hemingway kommt es vor, als wären sie beide diejenigen, die eine Affäre haben.

2Paris, Frankreich, 1925–1926

Letztlich hatte sie ein Brief verraten.

Hadley und Fife unterhielten von Anfang an eine rege Korrespondenz. Sie gaben einander Kosenamen und tauschten sich über die kleineren Unannehmlichkeiten aus, die sie als Amerikanerinnen in Paris erdulden mussten. So erzählte Fife, die Hadley gern mit mon enfant ansprach, wie viele Überstunden sie bei der Vogue machen musste, wer sich beim Flirten als Langweiler erwiesen oder wie viel sie getrunken hatte – und dass sie noch immer betrunken war –, während sie in ihrer Wohnung in der Rue Picot auf die Royal-Reiseschreibmaschine auf dem Stutzflügel einhackte. Stets sprühten Fifes Briefe von herrlichem Witz. Hadley hingegen fiel es zuweilen schwer, im passenden Ton darauf zu antworten. Sie schrieb eben so, wie sie sprach.

Unter welchen Umständen Fifes Briefe entstanden, war stets offensichtlich. Verschütteter Gin hatte Flecken auf dem Papier hinterlassen, ein Strich aus Wimperntusche prangte neben dem Datum, oder verklemmte Schreibmaschinenhebel hatten Löcher hineingestanzt, weil – wie Fife im Postskript erklärte – irgendein Mann auf der Tastatur des Flügels gesessen hatte und sie sich nicht aufs Tippen hatte konzentrieren können. Wenn Hadley die Briefe las, sah sie im Geiste ihre schlanke, hübsche Freundin vor sich, Wermut trinkend und in jenem Kimono, den sie so gerne trug und in dem sie mit ihrer knabenhaften Figur fast verschwand.

Fife hatte Chinchilla getragen, als Hadley sie auf einer Party kennenlernte. Der Pelzmantel war an Hadley vorbeigerauscht und hatte sie in der Nase gekitzelt, während sich dieses elegante Mädchen einen Martini einschenkte. »Ups«, meinte sie, klopfte den Pelz ein bisschen aus und schenkte Hadley ein breites Grinsen, »tut mir leid. Das Ding ist öfter mal im Weg.« Fife trug Chinchilla, ihre Schwester Jinny Nerz.

Offenbar waren sie begüterte Frauen, auch wenn Hadley bei einem Blick auf ihre Hände bemerkte, dass sie nicht verheiratet waren. Als sie Ernest vorgestellt wurden, sagte er etwas Ungezogenes in der Art, dass er gern mit der einen Schwester im Mantel der anderen ausgehen würde. Welches Tierchen er bevorzugte, ließ er offen.

Nach der Party hatte Hadley ihren Mann gefragt, was er von dieser Pauline hielt, die alle Fife nannten. »Na ja«, sagte er, »sie ist nicht gerade eine üppige Südstaatenschönheit.« Womit er recht hatte. Kurzes schwarzes Haar, knochig und klein, aber mit bemerkenswerten Augen. Dunkel und hübsch und ziemlich keck, frei von jedem Selbstzweifel. Genau das gefiel ihr auf Anhieb an Fife: wie selbstsicher sie war, fast wie ein Mann.

Nachdem man sich in jenem Herbst noch einige Male im Dôme und im Select getroffen hatte, begann Fife, die Hemingways öfter zu besuchen. Sie war ihnen eines Abends im Club über den Weg gelaufen, und die Hemingways hatten sie zusammen mit anderen eingeladen, den Abend in ihrer Wohnung zu beschließen. Danach erschien sie regelmäßig bei ihnen, ganz so, als hätte sie Geschmack an ihrer bohemehaften Armut gefunden. Auch wenn die Wohnung kalt und schäbig war, nannte Fife sie »wahrlich ambrosisch«. Hadley war sich nicht ganz sicher, was das bedeutete und wie viel Ironie in dieser Bemerkung steckte.

Anfangs war es lustig gewesen: Die drei saßen abends beisammen und redeten über Bücher und Essen und Schriftsteller, die sie zwar als Menschen, aber nicht ihrer Werke wegen mochten. Für gewöhnlich verabschiedete sich Fife recht früh und meinte: »Ihr Kumpels braucht auch mal ein bisschen Zeit allein.« Es war damals sehr modern, sich und andere Frauen als Jungs, Burschen oder Kumpel zu bezeichnen. Hadley mochte es nicht.

Sobald Fife gegangen war, fühlte sich die Wohnung immer leer an. Hadley sah sich außerstande, witzige Bemerkungen über ihre gesellschaftlichen Kreise zu machen, und bei Ernest schien die Luft raus zu sein. Statt sich zu unterhalten, wie sie es normalerweise taten, zog Hadley sich nun früh zurück. Ernest blieb noch lange auf, arbeitete an einem Manuskript und trank allein.

Doch dann war unvermittelt Schluss mit den frühen Abschieden. Eines Abends blieb Fife sehr lange (»Oh, aber nur, wenn es euch Kumpels nichts ausmacht«), und am nächsten Abend sogar noch länger. Die Wohnung hallte von ihrem Gelächter wider, das so überschwänglich klang und wie aus der Pistole geschossen kam, dass Hadley nicht dagegen ankonnte.

Manchmal, wenn es spät geworden war und sie lange geplaudert hatten, ging Ernest hinunter und rief Fife ein Taxi. Hadley fragte sich, worüber die beiden redeten, Ernest und Fife, wenn sie da müßig an der Straßenecke standen, warm eingepackt gegen die Kälte, die Gesichter so eng beisammen, dass die Chinchillahärchen seinen Hals streiften.

Wann immer Hadley nun ein Zimmer betrat, war Fife schon da. Oft tat sie gerade etwas erschreckend Nützliches, hängte Wäsche auf die Leine oder spielte mit Bumby. Einmal wechselte sie auch ungefragt die Bettwäsche, was Hadley erzürnte – als ginge ihr Ehebett Fife irgendetwas an. Und auch als Hadley in jenem November an einer Erkältung litt, war Fife da, fütterte sie mit Brühe, machte ihr Wadenwickel und sorgte dafür, dass sie im warmen Bett blieb, während sie sich im Zimmer nebenan mit Ernest unterhielt.

Im Dezember gingen sie Skilaufen, und Fife kam nach. Ihre Unterbringung war kein Problem, als wäre schon ein Platz im Bett für sie reserviert. Vormittags arbeitete Ernest, während Hadley und Fife vor dem Kamin lasen oder mit Bumby spielten. Am Abend spielten sie zu dritt Bridge, wobei Hadley immer verlor, aber meist hatte sie so viel Sherry getrunken, dass ihr das egal war. Als Ernest im Januar vor seiner Abreise nach New York noch geschäftlich in Paris zu tun hatte, wusste Hadley, dass Fife sich mit ihm allein traf. In einem Brief, in dem sie Hadley als »Schätzenswerte« ansprach, schrieb Fife, dass sie Ernest nicht einmal bei seinen langweiligsten Tätigkeiten von der Seite wich. Hadley versuchte, sich aufs Skifahren und den Schnee zu konzentrieren.

Sie kehrte nach Paris zurück, als die Frühlingsblüten in schmutzigen Bächen die Rinnsteine hinabflossen und so viele Samen durch die Luft flogen, dass ihr die Augen brannten. Hadley glaubte, nun würde alles wieder wie früher werden. Schließlich gab es keinerlei Indizien: keine heimlichen Küsse, kein Parfum an seinem Mantel, keine Liebesbriefe. Nicht einmal Gerüchte waren ihr zu Ohren gekommen. Es war nur ein Flirt, und Fife schwatzte so unablässig von ihren Liebhabern, dass Hadley ihre Bedenken als grundlose Eifersucht abtat.

Vielleicht hätte sie in den Briefen ihrer Freundin mehr zwischen den Zeilen lesen sollen. Denn Fife hatte die Anspruchshaltung einer reichen Frau, die glaubte, ein Anrecht auf jegliches Objekt ihrer Begierde zu haben, schlicht, weil sie es wollte – egal ob es ein Fahrrad, ein Kleid von Schiaparelli oder der Ehemann einer anderen Frau war. Wie leicht es Fife doch fiel, andere zu bezaubern – und wie reizlos sie, Hadley, sich dadurch fühlte. Immer häufiger blieb sie ihr eine Antwort schuldig. Hadley, mon amour, wandte sich Fife in jenem Frühjahr an sie und fragte, warum die Briefe von ihrer Seite plötzlich ausblieben.

Halte dich von meinem Mann fern!, hätte Hadley ihr am liebsten geschrieben oder auch gesagt. Aber sie tat es nicht.

Der Brief, der die beiden verriet, war kaum mehr als eine Notiz.

Ernest hatte ihn in eines seiner Hefte in der Schublade gesteckt, wo er auch seine übrige Korrespondenz aufbewahrte. Nach dem Zwischenfall mit dem Koffer wusste er, dass Hadley dort nicht nachsehen würde. Im ersten Moment erkannte Hadley nicht einmal, dass es die Handschrift ihrer Freundin war, denn für ihre Briefe benutzte Fife normalerweise die von der Vogue ausgeliehene Schreibmaschine. Dieses Schreiben jedoch war in großen, krakeligen und kühn geschwungenen Lettern verfasst. Worum es ging, war Hadley bereits klar, bevor sie es gelesen hatte – weil es nur an Ernest adressiert war. Sonst schrieb Fife ihre Briefe immer entweder an Hadley oder an Hadley und Ernest, aber nie an ihn allein.

Cher Ernest,

findest Du nicht, dass Seb im Club ganz formidabel ausgesehen hat? Ich muss gestehen, er ist mir überaus sympathisch.

Fife

Wie sehr musste es ihm gefallen haben, dass Fife so unverhohlen seine Eifersucht anstachelte! Immer wollte er sich darin bestätigt sehen, dass er begehrt wurde. War dies ein Beweis dafür, dass die beiden eine Affäre hatten? Oder interpretierte sie etwas hinein, was da gar nicht stand?

Ernest rief aus dem Wohnzimmer nach ihr. »Hash?«

Mit zitternder Hand legte sie den Brief in das Heft zurück und schloss die Schublade. Im Wohnzimmer saß Ernest im Lichtkegel der Gaslampe und hatte jenes Stirnrunzeln aufgesetzt, das tiefste Konzentration verriet. Er trug Fäustlinge beim Schreiben: Mehr zu heizen konnten sie sich nicht leisten, ehe nicht einige seiner Artikel bezahlt waren. Hadley setzte sich ihm gegenüber in den einzigen anderen Sessel, den sie besaßen. Sie könnte ihn fragen. Ihn ganz unverblümt darauf ansprechen, ob da irgendetwas zwischen ihm und Fife war.

Stattdessen brach der Abend über Paris herein. Ernest arbeitete, blickte gelegentlich zu ihr auf und lächelte sie an, ganz in seine Welt der Worte versunken. Und sie fragte sich, wie es mit ihnen so weit hatte kommen können: ein unglückliches Paar mit Kind und möglicherweise eine Geliebte, die zwischen ihnen stand.

3Antibes, Frankreich, Juni 1926

Schon um neun Uhr morgens ist der Sand sengend heiß, und man verbrennt sich die Füße, wenn man zu lange auf dem Schieferstein steht. Ernest und Hadley sind allein, weit und breit keine Sonnenschirme, Picknicks oder Perlenketten.

Sie rennen platschend ins Wasser und schwimmen auf das Badefloß zu, das sich etwa hundert Meter vom Strand entfernt befindet. »Wer zuerst da ist!«, ruft er, und als er vor ihr ankommt, streckt er ihr von der Plattform aus eine Hand entgegen. Aber als sie danach greift, zieht er schnell den Arm zurück, und sie plumpst zurück ins Wasser. Den Mund voll Salzwasser geht Hadley unter. Sie spritzt mit dem Bein einen Schwall zu ihm hoch, er lacht und springt ins Wasser. Von unten herantauchend zieht er sie am Fußknöchel in die Tiefe. Als sie sich wehrt, steigt ein Meer aus Bläschen rings um sie auf. Knie prallen gegeneinander. Schließlich schafft sie es nach oben und an die Luft, indem sie sich auf seinen Kopf aufstützt und ihn nach unten drückt.

Auch Ernest taucht auf, schnappt nach Luft und grinst so breit, dass sich Fältchen über seine Wangen ziehen. Sie küsst ihn mit ihrem salzigen Mund und spürt das Kitzeln seines nassen Schnurrbarts auf ihren Lippen. Im Wasser sind sie gleich groß.

Sie schwimmen zu einem Platz am Ufer, wo schattenspendende Bäume bis übers Wasser ragen. Während Ernest sich auf die Felsen hinaufhievt, bleibt Hadley tretend im warmen grünen Wasser. Diese Sprungnummer haben sie im Lauf der letzten Woche perfektioniert. »Ist es hier gut?«

»Komm noch näher.«

Hadley richtet ihren Blick auf den Horizont. Antibes ist zweigeteilt wie ein sauber gekapptes Frühstücksei: eine Hälfte Himmel, die andere Hälfte Meer. Ihr gefällt das Spiel nicht besonders, aber sie lässt sich darauf ein. Am Patschen seiner Füße auf den Felsen erkennt sie, dass Ernest sich bereitmacht. Seine Nervosität überträgt sich auf sie. »Fertig?«

»Ja.«

Und dann sagt er ebenfalls »Fertig«, damit sie weiß, dass es losgeht.

Ernest hechtet direkt über ihren Kopf hinweg, so nah, dass sie das Pfeifen des Luftzugs hört, und landet neben ihr im Wasser.

»Bravo!«, sagt sie, als er triumphierend den Kopf aus dem Wasser streckt. Ihr gefällt sein Gesichtsausdruck, wenn er von ihr gelobt wird. Seine Zufriedenheit hat etwas Katzenhaftes – als wären ihre Worte ein Kraulen hinter den Ohren.

»Ich habe dich nicht berührt, oder?«

»Nein. Es waren noch ein oder zwei Zentimeter Platz.«

»Jetzt bist du dran«, meint er schelmisch.

Sie lächelt. »Du probierst es immer wieder, was?«

Er drängt sie nicht weiter. »Zurück zum Floß?«

Sie kommt vor ihm dort an und schwingt die Beine unter den Ponton, sodass sie mit den Füßen gegen die weichen Entenmuscheln unter dem Holz stößt. Ihre Zehen drücken die Weichteile platt. Inzwischen brennt ihr die Sonne auf den Kopf.

Als die beiden tropfnass die Plattform erklimmen, senkt sie sich ein paar Zentimeter unter ihrem Gewicht. Er zieht Hadley an sich – wieder eine dieser Antibes-Umarmungen.

»Ernest?« Er sagt nichts.

In Paris gingen sie oft spielerischer miteinander um, damit Ernest sich für seine Geschichten Notizen machen konnte, zu Körperhaltungen und den Winkeln von Ellbogen, Knien und Hals. Sie stellten jede Szene exakt nach, und er hielt sie dann in Worten fest. Nach dem ersten Entwurf nahmen sie erneut die geschilderten Posen ein und brachen dann vor Gelächter schier zusammen angesichts der Unmöglichkeit dessen, was er geschrieben hatte: gequetschte Arme, abgestorbene Beine oder ein plump gesetzter Fuß widersprachen allem, was er sich ausgedacht hatte. Zuweilen kam es ihr ziemlich unsinnig vor, dass er sich die Mühe machte, all das niederzuschreiben, nur um es danach wieder herauszustreichen. Aber das sei nun einmal seine Methode, beharrte er.

In Antibes schreibt Ernest nicht, was an sich schon bedenklich ist. Wenn seine Phantasie sich nicht auf etwas konzentrieren kann, gerät sie auf Abwege; sie neigt dazu, sich dort Anregungen zu holen, wo sie nichts zu suchen hat. Am liebsten wäre es Hadley, er würde sich jetzt für einen neuen Roman oder eine Geschichte begeistern und Fife ignorieren – ja, zur Not auch seine Frau, solange das Schreiben als Gegengift gegen dieses Weib wirkte.

Hadley streckt sich auf dem Floß aus und legt den Kopf auf die weiche Stelle seines Schenkels, wo die Haare vom Stoff der Hose abgerieben sind. Auf seiner linken Wade prangt eine Narbe, die an eine Feuerwerksrakete denken lässt: Er verdankt sie einer Granate aus dem Weltkrieg. Über den eigentlichen Moment der Verwundung spricht er nie, nur über die Zeit danach – wie die Ärzte in eine Schüssel neben seinem Krankenbett die Schrauben und Muttern und Nägel warfen, die sie aus seinem Bein holten, und dass er seinen liebsten Besuchern erlaubte, einen Granatsplitter als Glücksbringer mitzunehmen. Seine größte Leistung, erzählte er, sei es nicht gewesen, über seine Liebe zu der Krankenschwester hinwegzukommen, sondern die Ärzte zu überreden, ihm nicht das Bein abzusägen.

Manchmal wacht er nachts immer noch deswegen auf. Voller Angst, im Dreck begraben zu werden, in einem Schützengraben in Italien zu verbluten. Fröstelnd und schwitzend und panisch schreckt er hoch. Wenn sie ihm dann Wasser bringt, zittern ihm beim Trinken die Hände. Es quält sie, dass sie nichts für ihn tun kann. Und dass diese furchtbaren Nächte ihm noch tagelang nachhängen.

Geistesabwesend fährt sie mit dem Finger die Narbe entlang, er schiebt ihre Hand weg.

»Himmel, war ich gestern betrunken«, sagt er, dreht den Kopf zur Seite und blinzelt mit zusammengekniffenen Augen hinüber zum Strand. Versonnen spielt er mit einer ihrer Haarlocken.

»Ich merke es auch gerade«, erwidert sie. Ihr Badeanzug ist in der Hitze schon fast getrocknet. Sie fühlt sich angeschlagen vom Alkohol des gestrigen Abends und erschöpft vom Schwimmen.

Ernests Finger zieht eine Linie von ihrer Augenbraue zum Kinn. Dann gähnt er. Er trägt den Badeanzug mit den weißen Doppelstreifen über der Brust; vielleicht hat Fife ihn zum Kauf ermuntert. Für Hadleys Geschmack ist er ein bisschen zu protzig, aber die Vogue hat ihn wahrscheinlich für schick befunden.

Da zieht er die Träger über die Schulter und streift den Anzug bis zur Hüfte nach unten. »Ernest!«, ruft sie. »Wenn das jemand sieht!«

Mit einem Lachen tätschelt er sie am Kinn. »Hier ist doch keiner, Kätzchen«, entgegnet er. »Du solltest das auch machen.« Sie stupst ihn in die Seite, aber nicht fest. Schließlich hat sie schon von den Frauen gehört, die sich im Sommer in Paris halbnackt auf Hausdächern sonnen. Aber die sind von Beruf Dichterinnen und haben lesbische Beziehungen – keine sparsamen Hausfrauen aus dem Mittleren Westen, die Haushaltsbücher führen, so wie sie.

Auf dem Floß schaukelnd und mit der warmen Sonne im Gesicht, überkommt Hadley plötzlich das zornige Verlangen, Ernest ganz für sich allein haben zu wollen. Er ist doch ihr Ehemann und sie seine Ehefrau! Sie schlingt einen Arm um seinen Hals und setzt sich auf, um ihn zu küssen. »Ich liebe dich«, erklärt sie mit Nachdruck. Ja, sie würde alles tun, um ihre Ehe zu retten – sie lädt ja sogar die Geliebte ihres Mannes mit in den Urlaub ein. »Weißt du das?«

»Ich weiß es.« Er sagt das so seltsam, als wäre er eine Figur aus einer seiner Geschichten und nicht ihr Ehemann, Ernest Hemingway. Seine mechanisch klingende Antwort nimmt ihr den Mut. In diesem Moment fragt sie sich, ob sie nicht nur im Begriff ist, ihn zu verlieren, sondern ihn längst schon verloren hat.

Ein Schmerz bohrt sich in ihren Kopf, vielleicht eine Folge des gestrigen Trinkgelages. Das Floß wiegt sie in einen unruhigen Schlaf.

4Paris, Frankreich, April 1926

Hadley öffnet Fifes Schwester die Tür. Sie sieht zu, wie sich Jinny einen Weg zwischen den verstreuten Spielsachen von Bumby hindurch bahnt und eine Weile braucht, bis sie sich für einen Sitzplatz entschieden hat. Sie fühlt sich in dieser »ambrosischen« Umgebung sehr viel weniger heimisch als ihre Schwester. Schließlich nimmt sie am Fenster Platz, wo ihr ein Kirchturm vom Montparnasse über die Schulter blickt.

Der aus der Küche herüberziehende Wildgeruch ist Hadley peinlich. Oft geht Ernest in den Jardin du Luxembourg und schnappt sich, wenn der Gendarm gerade nicht hinsieht, die fetteste Taube und dreht ihr den Hals um. Dann schmuggelt er den Vogel in Bumbys Kinderwagen aus dem Park. Einmal hat er sogar eine Taube mitgebracht, die noch lebte. Daher nun also der Geruch aus der Küche. Nach diesem Winter konnte Hadley keine gebratenen Tauben mehr sehen und riechen.

Im Zimmer war nicht genug Platz für ein Sofa, nur für zwei abgenutzte Sessel – einen für Ernest, einen für Hadley. Eine dritte Sitzgelegenheit gab es nicht.

Den Glockenhut hatte Jinny sich so tief ins Gesicht gezogen, dass von ihren Augen kaum mehr zu sehen war als eine von der Hutkrempe überschattete schnelle Bewegung. Sie trug den Nerzmantel, zu dem Ernest seinen launigen Kommentar abgegeben hatte, als er die beiden Schwestern auf der Party kennenlernte. Jinny kaute unentwegt auf ihrer Unterlippe. Wahrscheinlich wusste sie, warum sie hergebeten worden war.

Fife, Jinny und Hadley waren gerade erst von einer Spritztour nach Chartres zurückgekehrt. Es war schon fast einen Monat her, seit Hadley Fifes heimlicher Brief an Ernest in die Hände gefallen war, doch sie hatte bisher mit niemandem darüber gesprochen. Aber jetzt war sie hier mit Jinny allein und entschlossen, die Wahrheit aus ihr herauszuholen.

»Wo ist Ernest?«, fragte Jinny. Dabei beugte sie sich so vor, dass ihre Knie über die Schuhspitzen hinausragten, während sie die Hände sittsam auf dem Schoß faltete.

»Ich denke, er ist noch in seiner Schreibstube. Er kommt in einer Stunde oder so.«

Allmählich senkte sich die Dämmerung herab, wodurch die Wohnung noch trostloser wirkte. Der Staub von der Sägemühle unten hatte sich als feine Schicht über all ihre Habseligkeiten gelegt. Hadley hatte es längst aufgegeben, das Sägemehl aus dem Zimmer fernhalten zu wollen. »Tut mir leid, dass es hier drinnen so kalt ist. Ernest hat wohl am Brennstoff gespart.« Hadley zündete den Ofen an und wärmte sich die Finger an den Flammen. »Es ist wunderbar, dass wir dich und deine Schwester dieses Jahr kennengelernt haben«, begann sie gemäß ihrem Text, an dem sie gefeilt hatte, seit sie in Jinnys Blechbüchsen-Citroën von Chartres nach Paris zurückgefahren waren. »Eine seltsame Vorstellung, dass es einmal eine Zeit gab, in der wir uns noch nicht kannten. Aber es waren doch einige Jahre, als es nur Ernest und mich gab … und dann kam Bumby. Inzwischen kann ich mir ein Leben ohne euch zwei Mädchen überhaupt nicht mehr vorstellen.«

Jinny schien im Begriff, etwas zu sagen, aber Hadley fuhr fort: »Wir haben uns richtig angefreundet, deine Schwester und ich. Und Ernest und Fife auch.«

Draußen vor dem Fenster erstreckten sich die schrägen Dächer von Paris, soweit das Auge reichte. Auf den Regenrinnen hockten Tauben – Bratgut. Wäre es ihr nicht doch lieber, es nicht zu erfahren? Weiterhin in Unwissenheit zu leben? Aber die Entdeckung des Briefes hatte ihre Sinne geschärft. Plötzlich fielen ihr verstohlene Blickwechsel auf dem Markt auf, sie hörte Klatsch hinter Bücherregalen, auf Partys redeten die Leute über sie. Und was das Abscheulichste war: Sie selbst wusste über den Zustand ihrer Ehe am allerwenigsten Bescheid.

Jinny hatte ihren Nerzmantel immer noch nicht abgelegt. Hadley schenkte ihnen zwei Tassen Tee ein und stellte sie auf den Tisch. Als sie sich hinsetzte, stießen ihre und Jinnys Knie zusammen. »Fife war seltsam, als wir von Chartres losfuhren.«

»Wie meinst du das?«

»Sie hat kaum ein Wort gesagt.«

»Kann schon sein.« Jinny blickte nicht von ihrem Tee auf.

»Sie war die ganze Fahrt über komisch. Erst hat sie geredet wie ein Wasserfall, dann ist sie in stundenlanges Schweigen verfallen.«

»Meine Schwester war schon immer anfällig für Stimmungsschwankungen.«

»Das war aber keine schlechte Laune.«

Dass Hadley sich entschieden hatte, Genaueres herausfinden zu wollen, lag weniger an Fifes Brief als an ihrem Verhalten in der Kathedrale von Chartres. In dem Gotteshaus hatte sie Fife dabei beobachtet, wie sie betete. Sogar von weitem konnte Hadley sehen, wie sich die Knöchel ihrer Finger, die sie über dem gesenkten Kopf hielt, weiß verfärbten. Fife sehnte sich verzweifelt nach etwas, das stand außer Frage, denn in all den Minuten, die sie dort saß, entspannten sich ihre Hände nicht ein einziges Mal. Wofür betete Fife so dringlich, woran konnte es dieser Frau mangeln, wenn nicht an einem Ehemann? Wie könnten die Worte ihres Gebets gelautet haben, wenn nicht Bitte, lieber Gott, mach, dass ich ihn kriege? Dann lösten sich Fifes Hände voneinander, und sie fasste Hadley unverwandt ins Auge. Und in diesem Blick lag nichts Frommes.

Nach dem Dunkel in der Kathedrale wirkte das Licht draußen grell. Irgendwie war Fife ihrer Schwester und Hadley zuvorgekommen, denn als die beiden hinausgingen, saß sie bereits rauchend am Eingang, in ihrem unförmigen Herrenmantel und mit aggressiv euphorischem Blick.

»Hör mal, ich gehe jetzt besser«, sagte Jinny und stand so abrupt auf, dass sie den Tee verschüttete. »Ach, du meine Güte, entschuldige. Ich hole einen Lappen.«

»Ist schon gut.«

»Bitte.«

Doch als Hadley zurückkam, betupfte Jinny bereits mit ihrem inzwischen braun verfärbten Taschentuch den Boden. »Diese Stimmungsschwankungen, die Fife hat«, wagte Hadley zu fragen, während sie auf Händen und Knien wie ein Hausmädchen mit dem Wischlappen zugange war, »haben die etwas mit Ernest zu tun?«

Jinny ging in die Hocke und richtete ihren schlanken Oberkörper auf. Auf ihren Lippen lag ein freudloses Lächeln. »Ja, ich habe das Gefühl, sie mögen sich sehr.«

Das sagte sie ganz leise und bedächtig, als wären sie wieder in der Kathedrale.

Hadley stand auf und wrang das Taschentuch über der Spüle aus. Dabei fiel ihr auf, wie sich ihr Ehering schmutzig verfärbte. »Ich weiß, es klingt verrückt«, meinte Jinny und trat zu ihr in die Küche, »aber Fife hat dich sehr gern. Wie ich auch. Was geschehen ist …« Jinny sah sich im Zimmer um, als suchte sie etwas, was die Absurdität ihrer Worte abmilderte, »das war ein Versehen. Das hat sie so nicht gewollt. Ich glaube, Ernest hat nun mal diese Wirkung auf Frauen. Sie … sie konnte einfach nicht anders.«

Als Ernest an diesem Abend nach Hause kam, erwartete ihn Hadley mit dem fertigen Essen und einer Flasche Muscadet. Während des Mahls war er sehr liebenswürdig und erkundigte sich auch ausführlich nach ihrem Ausflug und wie es Hadley zusammen mit den Pfeiffer-Schwestern in Chartres gefallen hatte. Bumby spielte zu ihren Füßen und freute sich, dass sowohl Maman als auch Papa wieder zu Hause waren. Nachdem Hadley den Jungen zu Bett gebracht hatte, sagte sie Ernest schließlich, was sie wusste.

Er wirkte erst betreten, dann wurde er wütend, weil sie dieses Thema angeschnitten hatte. Ihr war klar gewesen, dass er so reagieren, dass er versuchen würde, ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben – als wäre sie die Architektin dieser Affäre, indem sie sie zur Sprache brachte. »Was hättest du an meiner Stelle getan?«, entgegnete sie ihm. »Den Mund gehalten?« Sie nahm die Teller, spülte sie in der Küche und kehrte ins Zimmer zurück. »Gut«, sagte sie und spürte, wie Zorn in ihr aufwallte – was sie durchaus genoss. »Unter der Bedingung, dass du diese Angelegenheit klärst, werde ich kein Wort mehr darüber verlieren. Aber du musst mir versprechen, das in Ordnung zu bringen.«

Ernest versprach es. Und damit brach das große Schweigen an.

5Antibes, Frankreich, Juni 1926

Die Hitze des Tages erreicht ihren Höhepunkt. Das Floß treibt ab, bis sich die Kette strafft, die es in Strandnähe hält. Am Ufer summen die Insekten lauter, ihre Tonhöhe steigt, als würden sie langsam zerquetscht. Die Schatten der Bäume ergießen sich übers Wasser wie Essig auf Öl.

Während Ernest seine Kopfsprünge übt und Hadley sich auf dem Ponton sonnt, hören sie vom Strand her einen langen Pfiff. Eine Schwimmerin nähert sich. Obwohl sie noch weit weg ist und man ihr Gesicht nicht erkennen kann, weiß Hadley, dass es Fife ist. Mit ihren kräftigen Zügen zieht sie klöppelspitzenartige Wellen hinter sich her. Die Hemingways beobachten, wie sie stetig auf sie zukommt.

Fife zieht sich aufs Floß hinauf und lächelt. Nachdem sie einen Moment Atem geschöpft hat, sagt sie mit dem Anflug eines nachgeahmten britischen Akzents: »Hello, chaps. Ihr seid ja schon früh aufgestanden.« Sie hat einen klaren Blick und wirkt energisch, wie sie sich das Wasser aus dem kurzen Haar schüttelt. »Der Ladenbesitzer in Juan meinte, es ist für die Jahreszeit ungewöhnlich heiß. Ce n’est pas de saison, hat er gesagt. Oder bedeutet das ›außerhalb der Saison‹? Keine Ahnung. Aber er meinte, das seien keine Juni-Temperaturen.«

Eigentlich wollte Hadley gerade gehen – sie hat helle Haut und bekommt leicht einen Sonnenbrand –, aber jetzt muss sie bleiben, um über die Tugend ihres Mannes zu wachen. Zu dritt sitzen sie nun auf dem Floß und lassen die Beine ins Wasser baumeln. Ernest hat jenen mürrischen Gesichtsausdruck, den Hadley nicht an ihm gekannt hat, bevor sie nach Antibes gekommen sind. Sie ertappt seine Geliebte dabei, wie sie verstohlen einen gequälten Blick auf seinen Oberkörper wirft. Ernest ist in diesem gefährlichen Sommer braun gebrannt und noch attraktiver als sonst.

»Ich fühle mich heute Morgen ein bisschen schlapp«, bekennt Fife und richtet ihren Blick auf Hadley. Letzte Nacht haben sie lange zusammengesessen und getrunken und über gemeinsame Freunde getratscht – allerdings mit einer Boshaftigkeit, die auf die jeweils andere gemünzt war, das war ihnen sehr wohl bewusst. Zelda, Scott, Sara, Gerald, jeder musste dafür herhalten.

»Wir haben alle zu viel getrunken«, meint Hadley. »Ich weiß nicht, warum ich so früh aufgewacht bin.«

»Meine Frau hat es sich zur Aufgabe gemacht, mir den Schlaf zu rauben.«

Hadley betrachtet ihre blassen Füße im Meer. »Acht Uhr ist ja nicht gerade Morgengrauen.«

»Ich war noch nie eine Frühaufsteherin«, verkündet Fife und macht sich an den Schulterbändern ihres Badeanzugs zu schaffen. »Jinny war da immer anders.«

Das Licht spielt auf den Wellen, die ein angenehmes Glucksen von sich geben, wenn sie auf die Unterseite des Floßes treffen. Ernest entfernt sich ein Stück und streckt sich rücklings auf der Plattform aus. Hadley beobachtet ihn und weiß, dass er nur Minuten später einnicken wird. Wie leicht vermag ihr Gemahl sich doch aus dieser seltsamen Welt zu stehlen, die er selbst geschaffen hat! Obwohl sie zugeben muss, dass auch sie ihren Anteil an diesem Schlamassel hat. Schließlich war sie es, die Fife hierher eingeladen hat.

Fife, die Vogue-Korrespondentin mit Leib und Seele, schwatzt über ein Paar weiße Lederhandschuhe, das sie gestern in Juan-les-Pins entdeckt hat. »Nun, sie kosten nicht mehr als ein Laib Brot, also werde ich sie mir wohl leisten. Ich rufe den Ladeninhaber an, damit er sie mir zurücklegt. Ich lasse mir nicht gern etwas durch die Lappen gehen.«

Oft starren die beiden Frauen Ernest so lange an, wie sie es riskieren können, ohne von der anderen ertappt zu werden. Als würden sie ihm am liebsten das Salz von der Haut lecken.

Fife steht auf, legt die Fingerspitzen über dem Kopf aneinander – Hadley sieht ihren rundungslosen Schatten – und taucht ins Wasser ein. Es gibt nur ein ganz leises Platschen, als sie die Wasseroberfläche durchbricht. »Ich bin mir sicher, du könntest auch Kopfsprünge machen, wenn du es probieren würdest«, sagt sie zu Hadley, als sie sich zurück auf die Plattform hievt. An der Innenseite ihrer Schenkel läuft Salzwasser hinab, was Hadley ablenkt. »Versuch es doch mal.«

Fife sitzt so nah neben Hadley, dass sie ihren maillot auf der Haut spürt, die Wolle ist ein bisschen rau. Trotz der Hitze hat Fife eine Gänsehaut. Selbst wenn sie sich vorbeugt, sieht es aus, als hätte sie überhaupt keinen Busen, fällt Hadley auf. Wie kann Ernest eine so knabenhafte Kindfrau lieben?

»Ich will nicht. Ich habe Angst.«

»Wovor?«

»Dass ich mir etwas breche. Das Rückgrat. Den Hals.«

»Das wird nicht passieren, das garantiere ich dir.«

Ihr Sturz kommt ihr wieder in den Sinn. Sie erinnert sich, wie der Arbeiter im Garten in St. Louis zu ihr heraufgewunken hat; wie es krachte, als der Stuhl umfiel und sie den Halt verlor, wie sie vergeblich nach dem Fensterhaken langte, und dann die schreckliche Angst, als sie ins Bodenlose fällt, mit dem Kinn die Ziegelwand entlangschrammt, Blut im Mund schmeckt. Damals war sie sechs Jahre alt. Monatelang wurde sie in einem Kinderwagen herumgeschoben, weil man ihre Wirbelsäule ruhigstellen wollte, weshalb sie sich irgendwann fühlte, als hätte sie ihr ganzes Leben in einem solchen Wagen verbracht. Ihr ganzes Leben in dem unerträglich öden St. Louis! Dann kreuzte eines Abends bei einer Party in Chicago Ernest ihren Weg, unerwartet, ungebeten, und mit einem Mal tat sich ihr eine Welt voller Reichtümer und Möglichkeiten auf.

»Ich habe es einfach nie gelernt.«

»Kopfsprünge kann jeder, Dummchen.«

»Mein Rücken. Der hat mir schon immer Sorgen gemacht.«

»Du brauchst bloß die Arme hochzunehmen und die Knie zu beugen, dann zielst du auf die Stelle, wo du eintauchen willst, und springst kopfüber rein.« Fife gleitet im perfekten Winkel ins Wasser und taucht nass und bezaubernd wieder auf. Zum Glück, denkt Hadley, hat Ernest die Augen geschlossen. »Trau dich.«

Eigentlich will Hadley auf keinen Fall springen. Sie spürt, wie plump sich ihre Gestalt neben der gertenschlanken Fife ausnimmt. Und sie durchlebt noch einmal den Sturz, fühlt das Brechen ihres Kieferknochens, den Rostgeschmack durch den Riss in der Zunge. In einer aberwitzigen Phantasie stellt sie sich vor, wie sie sich durch den Sprung das Rückgrat bricht und von Ernest und Fife im Kinderwagen durch Antibes geschoben wird.

»Mach schon, Hash«, sagt Ernest, und die beiden Frauen, die dachten, er schliefe, drehen sich zu ihm um. Da er mit der Hand die Augen beschattet, können sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Nur zu.«

Wenngleich Hadley nicht springen will, ausstechen lassen will sie sich noch weniger. Falls sie bei der Party heute Abend ins Hintertreffen gerät, möchte sie wenigstens hier Eindruck machen. Vor ihr liegt der gleißende Strand. Neben ihr steht Fife. Sie krallt sich mit den Zehen am Rand des Floßes fest. Alles, woran sie denken kann, ist, wie ihr jeder einzelne Wirbel aus dem Rückgrat fliegt, als wären es Perlen, die sich von einer von Saras Halsketten lösen. Das Floß gerät ins Wackeln, als es das Ende seiner Kette erreicht. Hadley befürchtet, sie könnte das Gleichgewicht verlieren, bevor sie so weit ist.

Fife hält Hadley die Hände über den Kopf. »Arme hoch. Noch höher, Hash. Genau. Jetzt stell dir vor« – sie untermalt ihre Worte mit Gesten – »wie dein Kopf, dein Oberkörper, deine Hüften und dann deine Beine genau der Linie deiner Arme folgen.« Fifes Berührung fühlt sich so schauderhaft weichlich an, dass es Hadley ein Rätsel ist, wie Ernest das ertragen kann. Allein schon, um sich dem zu entziehen, springt sie.

Sie landet mit dem Bauch voran, ein perfekter Bauchklatscher, doch zumindest scheint sie sich nichts gebrochen zu haben. Eine Zeitlang bleibt sie unter Wasser, wo es still und warm ist und Ernest und Fife nicht mehr existieren. Ihr Haar fächert sich ringsum auf, als wäre es wieder lang, nicht so kurzgeschnitten nach dieser unvorteilhaften Flapper-Mode, die Ernest mag und sie abscheulich findet. Reglos verharrt sie noch ein Weilchen unter Wasser – Arme und Beine ausgestreckt, losgelöst, leer.

Als sie zum Luftschnappen hochkommt, verklebt ihr das Salz die Augen, sodass die Umrisse des Paars verschwimmen. Hadley blinzelt und sieht wieder klar: Die beiden blicken lächelnd zu ihr hinunter, strahlen sie aufmunternd an. Wieder taucht die Erinnerung an den Kinderwagen auf, und Ernest und Fife kommen ihr vor wie ein stolzes, gerührt grinsendes Elternpaar.

Hadley klettert aufs Floß und stellt sich tropfend über Ernest. Dann küsst sie ihn und überrascht ihn mit ihrer Zunge. Wahrscheinlich hat er immer schon gewollt, dass sie ein bisschen waghalsiger ist. »Nicht schlecht«, meint er.

»Der Sprung?«, fragt sie. »Oder der Kuss?«

»Beides.« Er lächelt zu ihr hoch. Aus dem Augenwinkel sieht Hadley Fife zusammenzucken und zum Strand hinüberschauen.

»Ich habe Hunger«, verkündet Hadley.

»Habt ihr nicht gefrühstückt?«, fragt Fife, noch immer von ihnen abgewandt.

»Ich esse nachher was«, erwidert Ernest und fährt mit den Fingern über Hadleys Rückgrat, als erinnerte auch er sich gerade an ihre Verletzung. »Ich gehe dann gleich mit euch zurück.«

Eine Weile herrscht Schweigen. Alle drei sitzen da, als warteten sie auf etwas. In der Ferne scheinen die Bäume und Hügel am Ufer zu verschwimmen, sie werden konturlos wie auf einer alten Fotografie. Dann steht Fife auf und springt ins Wasser – auch diesmal perfekt. Kaum ist sie aufs Floß zurückgeklettert, federn ihre langen Beine sie gleich wieder ins kühle Nass.

Ein ums andere Mal vollführt sie ihre Sprünge und demonstriert ihr Können, aber Hadley weiß, dass ihre Vorstellung nicht gut ankommt. Denn was Fife nicht hören kann oder nicht zur Kenntnis nimmt, ist, dass er jedes Mal noch lauter aufseufzt, wenn das Floß erneut zu schaukeln beginnt. Er möchte seinen Kater ausschlafen, denkt Hadley, und findet dieses possierliche Spektakel reichlich nervtötend.

Berechnend – denn sie weiß, dass er nicht mit Fife allein gelassen werden will – erklärt Hadley, sie habe Kopfschmerzen und werde deshalb zurückschwimmen. Gelegentlich fällt ihr auf, wie Ernest ein gequältes Lächeln aufsetzt, als wäre er sich nicht ganz sicher, was seine Geliebte angeht; als wüsste er nicht, ob er wirklich mit ihr allein sein möchte.

»Was ist mit Mittagessen?«, fragt Fife, während Tropfen in die Pfütze um ihre bemalten Zehennägel fallen. »Sollen wir nicht ins Dorf gehen?«

»Geht ihr zwei ruhig ohne mich.« Hadley schenkt Ernest ein Lächeln. »Wir sehen uns in der Villa.«

Und sie steigt die Leiter hinab, um zum Strand zurückzuschwimmen.

»Kommst du heute Abend zur Party?«, ruft Fife ihr von der Plattform nach.

Hadley dreht sich um, tritt Wasser und ruft: »Na klar! Quarantäne beendet! Hurra!« Sie winkt und verabschiedet sich mit ihrem strahlendsten Lächeln.

Von der Straße aus schaut sie aufs Meer hinunter. Das Floß ist ein regloser brauner Fleck. Die Augen zusammengekniffen, versucht sie, auf der Plattform die zwei Gestalten auszumachen. Vielleicht sind sie gerade schwimmen. Oder sie sind das Ufer hochgeklettert und treiben es miteinander, spüren die Hitze der prallen Sonne auf der Haut des anderen. Hadley empfindet Fifes Verlangen nach Ernest mit jeder Faser ihres eigenen Körpers.

Als sie Fife schrieb und sie einlud zu kommen, war sie davon ausgegangen, dass die Spannungen von Paris auch in Antibes anhalten würden. Sie dachte, dieser Urlaub würde die gegenseitige Zuneigung zerstören. Stattdessen war daraus ein langweiliges Wassertreten geworden: Unter der Oberfläche strampelten sich die Beine ab, während oben die Köpfe lächelten und nickten. Außerdem war ihr nie in den Sinn gekommen, wie oft Fife einen Badeanzug tragen würde. O nein, das hatte sie nicht bedacht.

6Antibes, Frankreich, Mai 1926

Als Hadley die Einladung an Fife schickte, tat sie es völlig gelassen. Als wäre die Einladung an Ernests Geliebte, den Urlaub mit ihnen zu verbringen, so alltäglich wie die Bestellung eines Kleides aus einem Katalog.

So lange Zeit allein zu sein hätte wohl jeden wirr im Kopf gemacht. Nur gelegentlich wurde die Quarantäne durch Besuche der Clique aus der Villa America unterbrochen: Scott und Zelda und Gerald und Sara brachten Eier und Butter und provenzalische Seife. Manchmal erschien Scott mit Blumen, worüber Hadley immer ein bisschen lächeln musste, und dann unterhielten sie sich über den Zaun hinweg über Bumbys Befinden.

Sara hielt sich in der Gruppe immer ganz hinten. Sie hatte Angst vor Bakterien und musterte Hadley mit skeptischem Blick, als könnte der coqueluche wie ein Floh aus ihren Kleidern zu ihr herüberspringen. Kaum hatte Sara von Bumbys Keuchhusten gehört, wurden sie mit allem Nachdruck aus der Villa America verwiesen. Ihre Verbannung zeigte Hadley nur einmal mehr, dass Mrs. Murphy sie vielleicht nicht direkt verachtete, aber ihr zumindest eher gleichgültig gegenüberstand. Auch wenn Sara die Arztrechnungen beglich und ihren Chauffeur regelmäßig mit Lebensmitteln vorbeischickte, hatte Hadley doch immer das Gefühl, sie lege ihr gegenüber eine gewisse Frostigkeit an den Tag. Hätte Fife Kinder gehabt, wäre sie bestimmt anders behandelt worden, da war sich Hadley sicher. Fife hätte man nicht so einfach ausquartiert.

Am Ende ihres Besuchs übergab die Gruppe immer ihren Korb mit Lebensmitteln und machte sich dann wie ein Schwarm Fische, der das Treiben am anderen Ende des Teichs beobachten wollte, auf den Rückweg zur Villa America. Ihre silbrigen Hautflecken und die mürrisch kalten Fischgesichter glitzerten im Licht der heißen Mittagsonne. Stets am besten gelaunt zeigte sich Scott, er rief noch fröhlich Adieu, wenn sie den Kiesweg hinuntergingen, und war schon vor Mittag betrunken. Hadley schaute ihnen nach, bis sie aus ihrem Blickfeld entschwanden, und malte sich aus, welch exquisite Gespräche drüben in der Villa America geführt wurden, wo man sich zum Dinner umkleidete und sich manchmal nicht einmal auszog, wenn man zu Bett ging.

Alle paar Tage tauchte die Clique auf, um die Quarantäne kurzzeitig aufzuheben, aber es war nicht das Gleiche, wie jemanden zum Reden zu haben. Denn die übrige Zeit war Hadley allein. Sie kümmerte sich um Bumby, solange er bettlägerig war, verbrannte Eukalyptusblätter, um seinen Husten zu lindern, goss die Rosen im Garten und wartete auf das nächste Erscheinen der Villen-Clique. Mit dem Cummings-Roman gab sie sich alle Mühe, verstand ihn aber nicht. Und Ernest ließ sich mit seinen Antwortbriefen Zeit. Er war in Madrid vollauf mit Schreiben beschäftigt, weshalb sie ihn nicht stören wollte. Wenn es einmal gut lief, musste er sich seiner Arbeit widmen, solange es nur ging, denn wer wusste schon, wann er mal wieder eine gute Phase haben würde? Er musste schreiben, denn sie brauchten das Geld. In jenen Tagen kreisten Hadleys Gedanken stets um dasselbe Thema: ihre Freundin, ihren Ehemann, seine Geliebte.