Als Sachse zu den Chagga -  - E-Book

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Beschreibung

Der gebürtige Dresdner Bruno Gutmann (1876-1966) ist einer der bekanntesten und zugleich einer der umstrittensten Missionare der Leipziger Mission. Von 1902 bis 1938 wirkte er mit Unterbrechungen am Kilimanjaro im heutigen Tansania. Seine Lehren wirken bis heute nach. Bei den Chagga wird Gutmann nach wie vor hoch verehrt. 1963 wurde er von den lutherischen Gemeinden mit dem Ehrentitel "Wasahuye O Wachagga" ("Pate der Chagga") ausgezeichnet. Als Missionar erforschte und dokumentierte er Bräuche und mündlichen Überlieferungen, die er nach seiner Rückkehr nach Deutschland in umfangreichen Bänden veröffentlichte. In der Kultur der Chagga mit ihren ausgeprägten sozialen Bindungen spiegelte sich für Gutmann das biblische Idealbild christlicher Nächstenliebe. Für ihn galt das Lebensmodell der Chagga als erstrebenswert, nicht die seiner Auffassung nach im Werteverfall begriffene Gesellschaft in Deutschland. Daher verteidigte er die Chagga-Kultur auch gegenüber kolonialen Einflüssen. Anlässlich seines 50. Todestages fand am 16./17. Dezember 2016 im Leipziger Missionswerk ein Symposium zu seinem Leben und Wirken statt. Aus sehr verschiedenen Perspektiven wurde Gutmanns Wirken in Ostafrika und darüber hinaus sein ganzes Leben neu in den Blick genommen. In diesem Band sind die Vorträge des Symposiums, weitere Aufsätze über Gutmann und auch ein Originaltext von Bruno Gutmann versammelt.

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Leipziger Beiträge zur Interkulturellen Theologie

Herausgegeben im Auftrag des Evangelisch-Lutherischen Missionswerkes Leipzig e.V. Band 2

Inhaltsverzeichnis

Fredrick Shoo – A Word of Appreciation

Daniel Keiling – Ein Wort zum Gruß

Ravinder Salooja – Einführung

I: Gutmann in Afrika

William O. Obaga – Die Anfänge der Arbeit der Hersbruck-Leipziger Mission in Kenia und Bruno Gutmanns missiologische Auswirkungen auf das Chagga-Luthertum

Adam Jones – Gutmann als Protokollant: Die Ältestenratsprotokolle von Kidia, Masama und Mwika 1926-27

Joseph W. Parsalaw – Miss. Gutmann’s Footprint on the Slopes of Mt. Kilimanjaro Among the Chagga

Daniel Uphaus – Bruno Gutmanns Mission am Kilimanjaro

Godson S. Maanga – Bruno Gutmann: Missionary and Visionary Chagga Grandfather

II. Gutmann in Deutschland

Matthias Ahnert – Bruno Gutmann am fränkischen Kilimanjaro

Gerhard Richter – Splitter. Auswahl aus Briefen Bruno und Elisabeth Gutmanns

Tillmann Prüfer – Der Heilige Bruno

Bruno Gutmann – Die Gottesfrage zwischen Schwarz und Weiß

III. Reflexionen und Wirkungen

Petra Albert – Kritische Blicke auf Bruno Gutmann

Ilona Gruber Drivdal – Die Übersetzung von Gutmanns Werken ins Englische

Klaus Fiedler – Bruno Gutmanns konservative Modernität

Karolin Wetjen – Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche. Bruno Gutmann als Missionswissenschaftler

Christel und Arnold Kiel – Offene Fragen, die in die Zukunft weisen

Anhang

Chronologische Biografie

Bibliografie

„Als Sachse zu den Chagga“ – Symposium zum 50. Todestag von Bruno Gutmann

Verzeichnis der Autor*innen

Fredrick Shoo – A Word of Appreciation

It is a privilege and honour to have been given an opportunity to write a word of appreciation to the contributors who wrote articles to fulfil the requirement of the symposium on Rev. Dr. Bruno Gutmann. I humbly receive this opportunity in gratitude. I congratulate all contributors that through their time, skill and experience have enabled this book to appear in its present form.

Rev. Dr. Bruno Gutmann is a prolific figure in the mission field. His reputation is highly esteemed among the Chagga people and indeed, the Evangelical Lutheran Church in Tanzania Northern Diocese.

The first group of four missionaries from Leipzig Mission Germany arrived here in 1893 namely, Emil Mueller, Robert Fassmann, Gerhardt Althaus and Albin Boehme. These were stationed around the slopes of mountain Kilimanjaro stretching from Machame to Marangu. Fassmann who was stationed at Kidia Old Moshi got sick after 7 years. Bruno Gutmann arrived in 1902 to replace Fassmann. His mission approach became a threat to the senior ones. Somehow the western world counted everything which was done by Africans as heathen and barbaric. This implies that they were supposed to throw away their heritage and adhere to Western civilization. Gutmann contended that Missionaries have to differentiate between “Christianity and civilization”. They have to respect peoples’ culture for the Gospel message tobe relevant. Eventually he managed to preserve Chagga dance (Mtingo). Gutmann emphasized that if the Gospel does not touch the roots of a people it will be like planting a tree in the bottle. He worked hard to learn the language and Chagga customs. In Old Moshi he studied their customs and traditions which eventually lead him to have high command on Chagga language. He was honoured as “The Grandfather of Wamochi’’. Secondly, he was stern to colonialism. He was warned several times to avoid criticizing the German authority. He hated how colonizers introduced forced-labor through taxation. It is interesting to notice that one day he took to court one Mr. Sauerbrunn who exploited two Africans by not paying their wage. Together with another pastor in Meru, they sent a note to the king of Germany on behalf of the African families who were forced to work in big farms. At last the King decided to elevate the burden by forbidding women to work in those farms.

Lastly, Gutmann credited the African social ties. He discovered that there was no vacuum in the society. Every widow, orphan or a person in need was attended through a clan, neighbourhood or age-mate. So to him this qualifies the second part of the Decalogue as far as the word of God is concerned. Gutmann teaches that Jesus summarized the Biblical teaching in two sentences: to love God by heart and to love your neighbour. Therefore, Chagga life style embodied more traits of Christianity than it was in his home land. The several volumes he wrote had an intention of teaching the missionaries of all ages to be careful when we are evangelizing in foreign land.

To commemorate the life of this missionary is like asking big questions in our ministry today: Why is the Church in Africa and Asia syncretistic and superstitious? Is materialism and individualism a Christian way of life? What kind of colonialism we have today? How successful has enculturation and contextualization been?

May the life of this servant of the Lord awaken us all as we labour in God’s vine yard.

Rt. Rev. Dr. Fredrick O. Shoo, Presiding Bishop ELCT

and Head of Evangelical Lutheran Church in Tanzania, Northern Diocese

Daniel Keiling – Ein Wort zum Gruß

Bruno Gutmann ist einer der bekanntesten und zugleich einer der umstrittensten Missionare der Leipziger Mission, dessen Tätigkeit vor 100 Jahren unter den Wachagga am Kilimanjaro in Tansania bis heute nachwirkt. Anlässlich seines 50. Todestages fand am 16./17. Dezember 2016 im Leipziger Missionswerk ein Symposium zu seinem Leben und Wirken statt. Aus sehr verschiedenen Perspektiven wurde Gutmanns Wirken in Ostafrika und darüber hinaus sein ganzes Leben neu in den Blick genommen. In diesem Band sind die Vorträge des Symposiums, weitere Aufsätze über Gutmann und auch ein Original-Text von Bruno Gutmann versammelt. Als Tansania-Referent, der erst im Jahr 2020 seinen Dienst im Leipziger Missionswerk begonnen hat, habe ich die Beiträge mit großem Interesse gelesen.

Im Namen des Leipziger Missionswerkes möchte ich allen herzlich danken, die am Symposium im Jahr 2016 teilgenommen, Vorträge gehalten und uns anschließend ihre Vorträge oder Aufsätze für diese Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben! Ich freue mich ganz besonders, dass durch die Beiträge von Prof. Godson S. Maanga (von der Fachhochschule der ELCT-Nord-Diözese für Bibel und Theologie in Mwika) und Prof. Dr. Joseph W. Parsalaw (Rektor der Tumaini-Universität in Makumira) zwei explizit tansanische Stimmen aus der heutigen Zeit zu Wort kommen, durch welche die hohe Wertschätzung, die Bruno Gutmann an seiner ehemaligen Wirkungsstätte im Norden Tansanias bis heute besitzt, deutlich zum Ausdruck kommt.

Ruth Prüfer und Tillmann Prüfer, die uns als direkte Nachfahren Bruno Gutmanns Zugang zu seinem Nachlass ermöglicht haben, sowie weitere Angehörige der Familie Gutmann haben dem Symposium wiederum eine ganz eigene persönliche Note verliehen, die für das Gelingen der Tagung von großem Wert war.

Ein besonderer Dank gilt auch Pfarrerin i.R. Dr. Christel Kiel und Pfarrer i.R. Arnold Kiel, ohne deren Engagement die Herausgabe dieses Tagungsbandes nicht möglich gewesen wäre. Beide waren in den 1970er Jahren für die Leipziger Mission in Tansania tätig. Als Teilnehmer und kritische Zuhörer während des Symposiums haben sie nicht nur „offene Fragen, die in die Zukunft weisen“ formuliert, sondern im Nachgang zum Symposium auch die Beiträge für diese Veröffentlichung gesammelt und redigiert. Direktor Ravinder Salooja, der im Sommer 2016 seinen Dienst im Missionswerk aufgenommen hatte, gebührt großer Dank für die Organisation des Symposiums und die sorgfältige Redaktion dieses Bandes.

Daniel Keiling, Tansania-Referent im Leipziger Missionswerk

Ravinder Salooja – Einführung

„Unter der Fülle der Personalakten im Archiv unserer Gesellschaft verdient ein Schriftstück besondere Beachtung. Es ist das vom Juni 1894 stammende Aufnahmegesuch, das der damals 18jährige Kopist bei der Gemeindeverwaltung zu Pieschen bei Dresden Bruno Albrecht Gutmann an die Missionsanstalt zu Leipzig richtete.“1 – so beginnt die Würdigung, mit der die Leipziger Mission Bruno Gutmann zu dessen 75. Geburtstag 1951 ehrt, und schreibt weiter: „In einer kalliographisch vorbildlichen Handschrift, die seiner damaligen Berufsausbildung alle Ehre macht, trägt er die Bitte vor, bei der Eröffnung der nächsten Klasse in das Missionsseminar eintreten zu dürfen.“2 Leider verhindern es die „gegenwärtigen spannungsvollen Führungen Gottes im Werke der Leipziger Mission, […] erkennbar an den nach Indien weit offenen Türen und der kleinen Kraft der heimischen Missionsgemeinde“3, dass die Leipziger Mission 1951 eine größere Publikation zu Ehren Gutmanns auflegt: Die Teilung Deutschlands wirft ihre Schatten voraus.

2016 hatte sich diese Situation verändert: Nach Wende, Wiedervereinigung und Neuaufnahme des operativen Geschäfts der Leipziger Mission im Konzert der anderen Missionswerke in Deutschland, die nun nicht mehr ideell als West-Statthalter im Namen der Leipziger Mission tätig sein mussten, war es möglich geworden, Bruno Gutmann mit einem Symposium zu seinem 50. Todestag zu ehren. Die hier vorliegende Publikation dokumentiert die am 16./17. Dezember 2016 auf Einladung des Evang.-Luth. Missionswerks Leipzig gehaltenen Beiträge. „Als Sachse zu den Chagga“ war die Veranstaltung betitelt, und so erstreckten sich die Beiträge auf die Zeit, die Bruno Gutmann in beiden Ländern verbrachte, Deutschland und Tansania, sowie auf das, was dazwischen liegt. Ergänzt wird der Symposiums-Band durch Perspektiven, die 2016 nicht zur Sprache kamen.

Rückblickend betrachtet ist man versucht, die Wirkung, die Bruno Gutmann entfaltete, bereits in den frühen Selbstaussagen zu finden. Die Festschrift zum 75. Geburtstag zitiert nach Nennung einiger äußerer Daten wie Tag und Ort von Geburt, Taufe und Konfirmation weiter aus dem Bewerbungsschreiben. Gutmann schrieb, dass der Hausmann des Gemeindeamtes „gar bald [erkannte], dass in mir ein Disputiergeist lebe, der durch Widerspruch in Feuer und Flamme geriete.“4 Die Leipziger Mission hat sich durch diesen selbst attestierten Widerspruchsgeist nicht abschrecken lassen. Vielmehr kommentiert die Festschrift das so: „Wie hat er damals schon an sich gearbeitet, seine reichen Anlagen zu entfalten!“5, und fährt dann fort: „Intensives und methodisches Lernen setzt dann von Ostern 1895 auf dem Missionsseminar ein, das er zu sechsjährigem Studiengang bezieht.“6

Die Entscheidung der ursprünglich Dresdner Mission unter ihrem Direktor Karl Graul zum Umzug der Missionsgesellschaft in die Universitätsstadt Leipzig 1848 verhilft ihr zum Anschluss an die wissenschaftlichen Diskurse ihrer Zeit. Das prägt die Leipziger Mission ebenso wie ihre Mitarbeiter*innen. Denn anders als die Handwerker-Missionare etwa der Gossner-, der Hermannsburger und auch der altehrwürdigen Basler Mission sind die Leipziger Missionare akademisch exzellent gebildet, und das Missionsseminar in der Karolinenstraße, der heutigen Paul-List-Straße, ermöglicht bei Bedarf auch die nötige Vorbildung für die weitere akademische Qualifizierung. Diesen Weg geht auch Bruno Gutmann, der aus verarmten Verhältnissen stammend die für die Universität notwendigen Vorqualifikationen nicht mitbringt, als er ins Missionsseminar aufgenommen wird.

1902 wird Gutmann zusammen mit anderen Absolventen des Missionsseminars nach Mamba am Ostkilimanjaro entsandt und nach einer zweijährigen Einführungszeit nach Machame am Westkilimanjaro versetzt. Nach einem Heimaturlaub 1908-09 und kurzzeitiger Rückkehr nach Machame kommt er noch im selben Jahr nach Alt-Moshi. „Fortan ist sein Lebenswerk aufs engste mit Alt-Moshi verknüpft, und noch heute sehen die Moshileute in ihm ihren geistlichen Vater, Apostel und Missionar“,7 schreibt Ernst Jäschke in der Einführung zu den gesammelten Aufsätzen.

Während des Heimaturlaubs 1909 erscheint in Leipzig Gutmanns erstes Werk „Dichten und Denken der Dschagganeger“. Spätestens hier wird deutlich, dass Gutmann interdisziplinär ausgerichtet ist, und das darf man wohl auch zu Recht als ein Ergebnis der Ausbildung im Leipziger Missionsseminar und an der Leipziger Universität bezeichnen, ist hier doch die Verbindung zur Ethnologie bzw. Anthropologie gegeben. Natürlich sind in jedem Missionsseminar die Absolventen auch mit Blick auf Sprache und Kultur des Ziellandes ausgebildet worden – die Ausstellung „Mission: Um Gottes willen!“ im Untergeschoss des Leipziger Missionshauses zeigt exemplarisch anhand von Indien bzw. Tamil Nadu, welches Anschauungsmaterial den Zöglingen seinerzeit zur Verfügung stand. Mit den Forschungsinstituten für Psychologie, Universalgeschichte und Völkerkunde (mit denen die Namen von Wilhelm Wundt, Karl Lamprecht und Karl Weule verbunden sind) nahm Leipzig jedoch eine führende Rolle8 ein und bot den Missionaren, die sich hier bildeten, einen großen wissenschaftlichen Rahmen. Das gilt auch für Bruno Gutmann, der seine soziologischen und ethnologischen Kenntnisse und Methoden aus den Studienjahren in der Zeit des Heimaturlaubs 19081909 weiter ausbaut.9

Ab 1909 setzt Bruno Gutmann in dem aufgrund der Bahnstation Moshi zu Alt-Moshi gewordenen Kidia „sein inzwischen entwickeltes Konzept des Gemeindeaufbaus systematisch in die Tat um“10. Grundlage dafür sind seine Anerkennung der vorhandenen sozialen Strukturen und seine Hochschätzung der Kultur der Chagga, verbunden mit dem Gefühl einer Verantwortung für die Bewahrung dieser ihrer Kultur11 vor der heranziehenden, von Gutmann sehr kritisch beurteilten westlichen Zivilisation. Nötig dafür ist seitens Gutmann, wie Bochinger schreibt, ein „tiefes, liebevolles Einfühlen in die ‚Volksseele‘“12. Gutmann gelingt dieses: Er fühlt sich hinein in die Volksseele bzw. lässt sich hineinfühlen durch den Lehrältesten Mlasan Njau, der ihn über Jahre hinweg frühmorgens in die Lehren der Chagga mit hineinnimmt: „Ganz früh am Morgen, noch vor dem Morgengrauen, betrat er jeweils Gutmanns Studierzimmer, ging zunächst zum Fenster, dann zur Tür und vergewisserte sich, daß kein Zuhörer und Zeuge da sei. Dann erst hockte er sich hin, in seine Decke eingehüllt, und diktierte Wort für Wort“13, berichtet Ernst Jäschke. Dem Hineinfühlen in die Kultur der Chagga entspricht auf der Seite der deutschen Sprache eine sprachschöpferische Tätigkeit die für Gutmann notwendig ist, um das Gemeinte umfänglich auszudrücken.14 Der Frage, ob und wie dieses Einfühlen Gutmanns gelungen ist, widmen sich verschiedene Beiträge in diesem Band.

Bruno Gutmanns Tätigkeit am Kilimanjaro ist im gesamten Kontext der Anfänge der Leipziger Missionsarbeit im Gebiet der heutigen Staaten Kenia und Tansania zu sehen. Das Zögern der Leipziger Missionsgesellschaft mit Blick auf eine kolonialmissionarische Tätigkeit führt zunächst zur Gründung der eigenständigen Hersbrucker Wakamba-Mission – etwas, das in Leipzig auch als Affront verstanden wird.15 Erst der Leitungswechsel in der Leipziger Mission von Julius Hardeland zu Karl von Schwartz16 1891 führt 1892 zur Entscheidung Leipzigs, in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika ein zweites Gebiet für die Missionstätigkeit anzugehen.

Bis 1938 bleibt Gutmann in Moshi, unterbrochen von der Repatriierung von 1920-1925 durch die Regelungen des Versailler Vertrags und einem Heimaturlaub 1930/31. Die Rückkehr aus einem weiteren Heimaturlaub 1939 wird durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs verhindert.17 So landet Bruno Gutmann im fränkischen Ehingen am Hesselberg. Briefe Bruno Gutmanns – sowie einer von Elisabeth Gutmann, der den oft unterschätzten Beitrag der Ehefrauen der Missionare für die Arbeit ihrer Ehemänner deutlich sichtbar werden lässt – an die Kinder in Deutschland haben bereits den Teilnehmer*innen des Symposiums einen Einblick in eine privat-persönliche Sphäre gewährt, die auch sonst erst langsam in der missionswissenschaftlichen Forschung erschlossen wird. Das war nur möglich dadurch, dass Ruth Prüfer, eine Enkelin Gutmanns, uns nicht nur die Briefe für das Symposium zur Verfügung gestellt, sondern diese auch aus der Handschrift des Großvaters in ein praktisches Computerdokument übertragen hat. Deshalb sei ihr und der weiten Familie Gutmann an dieser Stelle ein großer Dank ausgesprochen. – Tillmann Prüfer, der Urenkel Bruno Gutmanns, ließ die Anwesenden des Symposiums mit einer Lesung aus seinem Buch „Der Heilige Bruno“ Anteil nehmen an der Bedeutung, die der unbekannt-berühmte Vorfahre für ihn gewann. Dem Rowohlt-Verlag danken wir für die Abdruckgenehmigung von Auszügen aus diesem Buch.

Immer wieder wird erwähnt und betont, dass Gutmanns zivilisationskritische Sicht biografisch verortet sei: die Wirtschaftsdepression der 1870er Jahre, die das kleine Familienunternehmen der ursprünglich ländlichen Familie in den Bankrott führte; der das Überleben sichernde Familienzusammenhalt; die aus der Landflucht resultierenden Slums der überforderten Städte mit medizinisch und schulisch unterversorgten Bewohnern usw.18 Das ist sicherlich nicht falsch, aber zeichnet noch nicht das ganze Bild. Denn Gutmann war auch Teil einer Geistesströmung, die mit den Gedanken und Worten von Spenglers „Untergang des Abendlands“ die Moderne des 20. Jahrhunderts als Zerstörung des „eigentlichen“, „wahren“ Lebens wahrnahm. In den von dieser Moderne noch nicht oder erst ganz am Rande erreichten Chagga fand Gutmann die verlorene Vergangenheit seiner eigenen Welt.

Diese Dokumentation des Symposiums ist eine wie man heute sagt extended version. Wir sind dankbar, dass mit Godson S. Maanga und Joseph W. Parsalaw zwei anerkannte Experten aus Tansania Perspektiven beigetragen haben, die zeigen, wie sehr das Ansehen und Erbe von Bruno Gutmann bis heute geschätzt wird. Joseph W. Parsalaw beschreibt die Bedeutung Gutmanns im Kontext der Leipziger Missionsarbeit in Nordtansania und auch dessen partiellen Widerstand gegen Kollegen; Godson S. Maanga bietet als Schriftsteller und als Chagga Einblicke in einen mehr emotionalen Zugang zu Bruno Gutmann. Deutlich wird, dass das, was Gutmann von ihrer Tradition schriftlich festgehalten hat, für die Chagga unersetzbar und deshalb heute unschätzbar wertvoll ist. Karolin Wetjen konnte 2016 leider nicht am Symposium teilnehmen; deshalb sind wir besonders erfreut, dass wir mit freundlicher Genehmigung des Franz Steiner Verlags den Abschnitt über Bruno Gutmann aus ihrer Arbeit „Mission als theologisches Labor“ abdrucken dürfen. Petra Albert war am Symposium als Teilnehmerin eines Podiumsgesprächs beteiligt. Es freut uns sehr, dass wir im Zuge dieser erweiterten Dokumentation des Symposiums einen Abschnitt aus ihrer wichtigen Arbeit über Bruno Gutmann aus dem Jahr 1996 wiedergeben können.

Die Annäherung an Gutmann heute ist schwierig: Seine Sprache rückt ihn in die Nähe zu deutsch-nationalem und nationalsozialistischem Gedankengut. Nach dem Aufwind rechtspopulistischer, rechtsradikaler und rechtsextremistischer Bewegungen und Parteien in Deutschland seit 2016, dem Attentat auf die Synagoge in Halle 2019 und auf eine Shisha-Bar in Hanau 2020 halten wir es für wichtig, sich erneut mit der Frage zu beschäftigen, wie Gutmann zum Nationalsozialismus stand. Diese Symposiums-Dokumentation kann das leider nicht leisten. Deshalb aber kommt in der Mitte auch Bruno Gutmann selber zu Wort mit dem Vortrag „Die Gottesfrage zwischen Schwarz und Weiß“, den er 1942 vor der Brandenburgischen Missionskonferenz gehalten hat. Wir drucken diesen Vortrag in voller Länge ab, weil er Gutmanns Denken gut wiedergibt.

Die Formulierung offener Fragen am Schluss dieses Buches, in der auch Beiträge der Teilnehmer*innen aus dem Abschlussgespräch ihren Ort finden, setzt einen Doppelpunkt zur weiteren Beschäftigung mit Bruno Gutmann. Wir würden uns freuen, wenn die kritische Forschung Gutmann wieder verstärkt in den Blick nimmt. Vielleicht leisten das Symposium von 2016 und dessen hiermit nun vorliegende „Dokumentation plus“ dazu einen Beitrag.

Literatur

Bochinger, Christoph, Ganzheit und Gemeinschaft. Zum Verhältnis von theologischer und anthropologischer Fragestellung im Werk Bruno Gutmanns (Religionswissenschaft Bd. 3), Frankfurt 1987.

Fleisch, Paul, Hundert Jahre lutherischer Mission, Leipzig 1936.

Jäschke, Ernst, Ein Leben für Afrikaner, in: Gutmann, Bruno: Afrikaner – Europäer in nächstenschaftlicher Entsprechung. Gesammelte Aufsätze, anläßlich des 90. Geburtstags von Bruno Gutmann herausgegeben von Ernst Jäschke, Stuttgart 1966, S. 11-31.

Jäschke, Ernst, Gemeindeaufbau in Afrika. Die Bedeutung Bruno Gutmanns für das afrikanische Christentum (Calwer Theologische Monographien, Reihe C: Praktische Theologie und Missionswissenschaft, Bd. 8), Stuttgart 1981.

Küchler, Martin, D. Dr. Bruno Gutmann. Lebenslauf und Würdigung der Lebensarbeit D. Dr. Bruno Gutmanns, Erlangen 1951.

Salooja, Ravinder, Arusha und die Evangelisch-Lutherische Mission zu Leipzig, in: Vom Geist bewegt – zu verwandelnder Nachfolge berufen. Zur Weltmissionskonferenz in Tansania, Hg. EMW – Evangelisches Missionswerk Deutschland e.V., Übers. Christoph Anders, Michael Biehl und Helge Neuschwander-Lutz, Nr. 83, Weltmission heute, Hamburg 2018, S. 82–87.

Streck, Bernhard, Kurze Geschichte des Instituts für Ethnologie der Universität Leipzig, 2016, http://www.about-africa.de/kunst-und-kontext/ausgabe-05-2013/655-kurzegeschichte-des-instituts-fuer-ethnologie-der-universitaet-leipzig (abgerufen am 13.12.2016).

Wrogemann, Henning, Interkulturelle Theologie und Hermeneutik. Grundfragen, aktuelle Beispiele, theoretische Perspektiven (Lehrbuch Interkulturelle Theologie / Missionswissenschaft Bd. 1), Gütersloh 2012.

1 Küchler, Gutmann, S. 4.

2 a.a.O.

3 Ebd., S. 3.

4 a.a.O.

5 a.a.O.

6 a.a.O.

7 Jäschke, Leben, S. 17.

8 Streck, Geschichte.

9 Bochinger, Ganzheit, S. 18. Jäschke, Gemeindeaufbau, bezeichnet Wilhelm Wundt sogar als „seinen [Gutmanns] verehrten Lehrer“ (S. 34).

10 Bochinger, Ganzheit, S. 18.

11 Bochinger, Ganzheit, S. 18;19ff.

12 Bochinger, Ganzheit. S. 20.

13 Jäschke, Gemeindeaufbau, S. 47.

14 Jäschke, Gemeindeaufbau, überliefert, dass „ein Germanistik Professor einmal gesagt haben [soll], dass seit den Gebrüdern Grimm Mitte des 19. Jahrhunderts, die sich besonders um das deutsche Sprachgut verdient gemacht haben, Bruno Gutmann der erste Deutsche gewesen sei, der wieder sprachschöpferisch tätig war.“ (S. 51). So auch Bochinger, Ganzheit: „Gutmann benutzt eine eigentümliche Sprache. Er hat zahlreiche Wortverbindungen selbst geprägt und verwendet Begriffe in einem spezifischen, sonst nicht gebräuchlichen Sinn. Auch fehlt es nicht an Äquivokationen und sprachlichen Ungenauigkeiten, die zu Mißverständnissen führten.“ (S. 23).

15 Fleisch, Hundert Jahre, S. 247.

16 Salooja, Arusha, S. 82.

17 Küchler, Gutmann, S. 13; Bochinger, Ganzheit, S. 19.

18 So z.B. Wrogemann, Interkulturelle Theologie, S. 265f, mit Bezug auf die Publikationen von Fiedler, Bochinger und Hoekendijk.

I: Gutmann in Afrika

William O. Obaga – Die Anfänge der Arbeit der Hersbruck-Leipziger Mission in Kenia und Bruno Gutmanns missiologische Auswirkungen auf das Chagga-Luthertum

Als kenianischer Lutheraner durch die lange Verbindung zur Mission Hersbruck-Leipzig möchte ich zu Beginn die Generationen von Missionaren seit dem 19. Jahrhundert würdigen, die einen großen Beitrag zum Wachstum des Christentums in Ostafrika geleistet haben. Wenn wir über Bruno Gutmanns Wirken am Kilimanjaro nachdenken, feiern wir auch viele andere, einschließlich der hier Anwesenden, die in der jüngeren Vergangenheit Missionare sind oder waren. Es ist daher passend und etwas sehr Besonderes, dass wir hier in Leipzig zum Symposium über Bruno Gutmanns Leben und Werk im Norden Tansanias während des frühen 20. Jahrhunderts zusammentreffen. Gutmann gilt noch immer als einer der größten Missionare der Leipziger Mission des frühen 20. Jahrhunderts. Ich zolle der Arbeit der Leipziger Mission seit ihren Anfängen als Mission in Indien im 19. Jahrhundert besondere Anerkennung. Wir erkennen an, dass der Beitrag der Leipziger Mission zur Missionsarbeit im Ausland mehr als bedeutend war. Wir stellen außerdem fest, dass ihre Arbeit in Ostafrika eine nahtlose Fortsetzung der Sondierungsinitiativen war, die die Hersbrucker Mission in Kenia von 1886 bis 1893 durchführte. Vor diesem Hintergrund kommt Bruno Gutmann ins Spiel, dessen Vermächtnis wir heute feiern.

Die Hersbrucker Mission und die Anfänge des Luthertums in Kenia

Der Beginn der lutherischen Kirche in Ostafrika während des späten 19. Jahrhunderts ist verbunden mit den Vorarbeiten der Church Missionary Society (CMS) in den 1840er und 1850er Jahren unter der Leitung des deutschen Pioniermissionar Johann Ludwig Krapf (1810-1881). Krapf, der lutherische Pastor aus Tübingen, gilt als der Vater der Anglikanischen Kirche in Kenia, die er 1844 im Auftrag der CMS gründete.19 Der zweite Lutheraner, Johannes Rebmann (1820-1876), ebenfalls aus Württemberg, kam 1846 in Kenia an.20 Während Rebmann später die Entwicklung der CMS-Mission vorantrieb, die Krapf begonnen hatte, unternahmen beide beträchtliche Anstrengungen, um eine anglikanische Kirche in Nordtansania zu gründen. Dies ebnete den Weg für die Arbeit der lutherischen Missionen im späteren 19.Jahrhundert. Die Arbeit dieser beiden lutherischen Missionare war der Beginn des modernen Christentums in Ostafrika. Daher würden die lutherischen Missionen schließlich in die Fußstapfen dieser beiden großen Pioniere treten.

Krapf und Rebmann waren die ersten Europäer, die das Innere Ostafrikas erreichten, wo sie, Hunderte von Kilometern von der ostafrikanischen Küste entfernt, in Kontakt mit vielen Gemeinschaften kamen. 1846 begannen sie mit der Entwicklung der ersten Missionsstation Ostafrikas in Rabai bei Mombasa. Diese Station wurde später zum Sprungbrett für eine Reihe von missionarischen Aktivitäten, die sich nach Krapfs Tod 1881 intensivierten. Krapf und Rebmann gründeten die heutige anglikanische Kirche Kenias, die sich später in ganz Ostafrika ausbreitete. Krapfs Tagebücher, die 1860 als Buch veröffentlicht wurden,21 enthüllten der europäischen Welt die Natur der Menschen, Kultur und Landschaft Ostafrikas. Britische Missionsgesellschaften dominierten später diesen protestantischen Anfang, denn Krapf hatte sich vergeblich darum bemüht, deutsche Missionsgesellschaften nach Ostafrika einzuladen.22

Rebmann war 1876 in Korntal bei Stuttgart gestorben, aber es war Krapfs Tod an derselben Stelle 1881, der bei deutschen lutherischen Missionsgesellschaften ein plötzliches Interesse weckte. Vor 1881 waren englische Missionsgesellschaften in Ostafrika ebenso aktiv wie schwedische und amerikanische Missionsgesellschaften gegen Ende des Jahrhunderts. Matthias Ittameier (1847-1938) aus Hersbruck ergriff die Initiative und nahm mit der Leipziger Mission Verhandlungen über dieses Ziel auf. Er arbeitete auch mit Pastor Ludwig Doll (1846-1883) aus Neunkirchen am Rhein zusammen, der 1882 die Neunkirchener Missionsgesellschaft gründete, die eine Reformiert-orientierte Glaubensmission war.23 Die beiden stimmten überein, dass die Neukirchner Mission in die Region des Tana-Flusses (heute Tana-Delta) gehen sollte, um mit den Oromo zu arbeiten, während die Hersbrucker Mission sich in der Ukambani-Region niederließ. Dr. Krapf hatte die beiden Regionen, das Taita-Taveta und das heutige nördliche Tansania, seit den 1840er Jahren für Missionsarbeit priorisiert. In den frühen 1880er Jahren hatte Ittameier erwartet, dass beide Regionen unter das Gebiet von Deutsch-Ostafrika (jetzt Tansania) fallen würden, da sich Deutschland auf den Erwerb kolonialen Territoriums in Ostafrika vorbereitete. Ittameier war davon überzeugt, dass die Missionsarbeit vor der kolonialen Besetzung beginnen sollte. Wie die Leipziger Mission sollte auch Ittameier keine koloniale Rolle spielen, denn er hatte eine innere Suche nach persönlichem Gewissen als Antwort auf Krapfs vorherige Einladungen an deutsche Missionsgesellschaften, sich in Ostafrika zu engagieren, entwickelt.

Es kann auch argumentiert werden, dass als die deutsche Regierung Pläne zur Kolonialisierung Ostafrikas machte, Ittameier mehr Selbstvertrauen und Antrieb für die Überseemission gewann, da Ittameier erwartete, dass Ukambani und Tana River Teil des deutschen Territoriums werden würden. Das passierte nie, doch die Missionsarbeit in einem deutschen Kolonialgebiet glich der Verbindung von Kirche und Staat in Deutschland. Die andere deutsche Missionsgesellschaft, die Neukirchener Mission aus Nordrhein-Westfalen, begann 1887, ein Jahr nach der Ankunft der Hersbrucker Mission in Ukambani. Diese Mission sollte mit den Oromo-Leuten des Tana-Deltas zusammenarbeiten, diente aber stattdessen der benachbarten Pokomo-Gemeinschaft. Für diese Betrachtung beschränken wir uns jedoch auf die Verbindung zwischen Hersbruck und Leipzig in der Anfangszeit der lutherischen Kirche Ostafrikas, die Pfarrer Bruno Gutmann schließlich nach Nord-Tansania bringen würde.

Wir haben erwähnt, dass die Leipziger Mission an Ostafrika interessiert war, aber in den 1880er Jahren aufgrund ihrer missionarischen Verpflichtungen in Indien zu der Zeit noch nicht bereit war. Es war daher noch nicht so schnell, wie es Ittameier gewollt hatte möglich, nach Ostafrika zu ziehen. Ittameiers Ungeduld führte ihn zur Gründung der Hersbrucker Missionsgesellschaft. Hersbruck war der Name der Pfarrei bei Nürnberg, in der er damals als Pfarrer wirkte. Diese junge Missionsgesellschaft begründete 1886 in Ukambani im Südosten Kenias ein Missionsfeld. Als die kolonialen Grenzen 1888 feststanden und 1990 in Kraft traten, befand sich die Hersbrucker Mission auf britischem Territorium (jetzt Kenia). Dennoch war die Arbeit in Ukambani weiterhin erfolgreich. Nach dem Helgoland-Vertrag von 1890, der die derzeitigen Grenzen von Tansania und Kenia verhandelte, war die Leipziger Missionsgesellschaft motiviert, 1893 nach Ostafrika zu ziehen.

Bei ihrer Gründung entsandte die Hersbrucker Missionsgesellschaft zwei junge Missionspfarrer, Johann Bach (1858-1888) und Johannes Hofmann (18661946), als Pioniermissionare nach Ukambani. Sie kamen am 25. September 1886 in der CMS-Missionsstation in Rabai an, wo sie drei Tage lang empfangen und beherbergt wurden. Am 28. September 1886 kamen sie in Jimba an, wo sie ihre erste Missionsstation starteten.24 Es ist anzunehmen, dass diese die früheste lutherische Missionsstation in Ostafrika ist. Bach erlag 1888 der tropischen Malaria, doch Hofmann überlebte die Verheerungen des Klimas und konnte für die nächsten drei Jahrzehnte die Vorhut der Arbeit in Ukambani bilden. Diese Arbeit wurde jedoch während des Ersten Weltkrieges unterbrochen.

Die Gründung der Missionsstation Jimba war ein bedeutender Schritt. Sie lag in der Nähe der alten CMS-Missionsstation in Rabai und der methodistischen Station in Ribe, Ostafrikas ersten beiden Missionsstationen. Die Lutheraner aus Bayern konnten aus den vier Jahrzehnten Erfahrung der Pioniermission viel lernen. Außerdem war Jimba der Mittelpunkt zwischen der Küstenregion und Ukambani. Dort empfingen sie viele Wakamba-Leute. Dorthin kamen auch Menschen von einigen Küstengemeinden und von den integrierten „befreiten Sklaven“, die gemeinhin als „Bombay Africans“ bekannt sind. Die Kiswahili-Sprache wurde aufgrund der gemischten Bevölkerung, die nach Jimba kam, als Arbeitssprache der Gemeinschaft aufgenommen. Die älteren Missionen in Rabai und Ribe benutzten ebenfalls Kiswahili, und die Lutheraner erhielten einige der anfänglichen Ressourcen, wie Kirchenlieder, von Rabai. Dazu gehörten mehrere deutsche Lieder, die Johannes Rebmann zuvor übersetzt hatte, als er für die Missionsstation in Rabai verantwortlich war. Die Bedeutung von Jimba wird auch durch die allerersten lutherischen Taufen Kenias am Laetare-Sonntag 1890 deutlich. Dies waren wahrscheinlich die ersten getauften Lutheraner in Ostafrika.25

Innerhalb eines Jahres nach der Gründung der Missionsstation Jimba wurde 1887 eine zweite Station in Mbungu unter der Leitung von Johann Bach eröffnet. Diese neue Station war der ultimative Start der Missionsarbeit unter den Wakamba. Die nächste Station war Ikutha (1891), die mittig, hin zum nördlichen Ende des Kitui Distrikts lag. Zu diesem Zeitpunkt verhandelten die Hersbrucker Mission und die Leipziger Mission eine Fusion. Diese Fusion trat 1893 in Kraft.26 Im selben Jahr nahm die Leipziger Missionsgesellschaft ihre Arbeit in der Kilimanjaro-Region im Norden Tansanias auf. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Hersbrucker Missionsgesellschaft geschlossen und von der erfahreneren Leipziger Missionsgesellschaft übernommen.

Die Leipziger Mission: Kontinuität in Kenia und Anfänge in Nordtansania

Nach einer Phase der Konsolidierung am Kilimanjaro unternahm die Leipziger Missionsgesellschaft eine weitere Expansion in Ukambani nördlich von Kitui. In kurzer Folge wurden neue Missionsstationen in Mulango (1899), Myambani (1901) und Mivukoni (1902) eingerichtet, wobei noch weitere Stationen vorgesehen waren. Jenseits von Ukambani war auch eine Expansion in Richtung Kikuyuland, Embu und andere Gebiete Zentral-Kenias in Richtung Mount Kenya geplant. Mehrere gewichtige Faktoren verlangsamten jedoch diese Vision und brachten die Ambitionen der Leipziger Mission zum Erliegen. Dies wurde im Heimbüro in Leipzig als Entmutigung über die langsame Reaktion der Kamba-Leute auf das Evangelium empfunden. Diese Wahrnehmung wurde durch die vergleichsweise hohe Resonanz im Chaggaland unterstützt. Diese Entmutigung blieb in Leipzig trotz der Anerkennung der kolonialen Regierung im Jahr 1905 als die zweitgrößte Einrichtung in Kenia nach der CMS-Missionsgesellschaft. Leipzigs Bezugspunkt bei vergleichenden Umrechnungszahlen war ein Schlüsselelement niedriger Motivation.

Der zweite entscheidende Faktor war, dass sich die Leipziger Missionsgesellschaft weigerte, an der Tagesordnung der Kikuyu-Missionskonferenz von 1913 teilzunehmen. Diese berühmte Konferenz zielte darauf ab, in Kenia eine einheitliche einheimische Kirche zu schaffen, an der alle protestantischen Missionsgesellschaften des Landes beteiligt waren. Von ihrem konservativen lutherischtheologischen Standpunkt aus betrachtete die Leipziger Missionsgesellschaft dies als unpraktisch, eine Position, die auch von römisch-katholischen Missionsgesellschaften eingenommen wird. Diese Entwicklung und andere Faktoren brachten die Leipziger Mission dazu zu glauben, dass ihre Zukunft in Kenia zum Scheitern verurteilt wäre. Leider hat sich die von den enthusiastischen protestantischen Kirchen vorgeschlagene Einheitsgemeinde auf Dauer nie verwirklicht. Der dritte und im Endeffekt für die Arbeit der Leipziger Mission in Kenia katastrophale Faktor war der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Ab 1915 lehnten die britischen Kolonialbehörden in Kenia die Rückkehr deutscher Missionare ab. Unterdessen wurden die deutschen Missionare in Kenia im Dezember 1914 von den Briten gefangen genommen und in Indien als Kriegsgefangene interniert.27Die Kolonialbehörden versteigerten die Liegenschaften der Leipziger Mission in Kenia ohne Rücksprache mit dem Heimbüro und übertrugen 1915 das Eigentum der Leipziger Missionsstationen auf andere nicht-lutherische Missionen: Jimba zur CMS und den Rest zur Africa Inland Mission (AIM). Die AIM, eine neuere evangelikale Mission aus den USA, wurde durch diesen Schritt gestärkt. Zu dieser Zeit gab es Missionsstationen in Jimba (gegründet 1886), Ikutha (1891), Mlango (1899), Myambani (1901) und Mivukoni (1902). Die Station in Mbungu (1887) hatte bereits im Jahr 1899 wegen verschiedener Umstände einschließlich des Tods des Pioniers Johann Bach und wegen Bevölkerungsrückgang geschlossen.

Obwohl die Missionsstationen Leipzigs 1915 den amerikanischen und britischen Missionsgesellschaften übergeben wurden, sind die Fußspuren der Mission Hersbruck-Leipzig und der Geist, der die Missionsarbeit in Ukambani inspirierte, im kollektiven mündlichen Gedächtnis der Generationen von Kenianern in Ukambani lebendig geblieben. Darüber hinaus existieren die meisten der von den beiden lutherischen Missionsgesellschaften errichteten Strukturen noch, während die Vergangenheit ihrer lutherischen Anfänge bis heute die mündlichen Erzählungen der Kamba-Menschen prägt. Jenseits der Grenze von Ukambani entwickelte sich die Arbeit Leipzigs in Tansania unter den Chagga um den Berg Kilimanjaro herum weiter, in der Region um den Kilimanjaro sowie den Regionen Meru, Pare, Arusha und Singida.28 In die zentrale Kilimanjaro-Region Chaggaland wurde 1902 Missionar Bruno Gutmann (1876-1966) entsandt, weniger als zehn Jahre nach Beginn der dortigen Missionsarbeiten. Gutmanns einzigartiger Missionsansatz hat Kirchenhistoriker schon lange fasziniert. Im nächsten Abschnitt wenden wir uns Bruno Gutmanns Arbeit, seiner Missionstheorie und seinen Auswirkungen auf die Kirche und Menschen im Chaggaland zu.

Bruno Gutmann im Chagga-Land: Seine missionarische Auswirkung (19021938)

Bruno Gutmann ist einer der bekanntesten Leipziger Pioniermissionare in Ostafrika. Er diente dort zwischen 1902 und 1938. Wenige deutsche Missionare des 19. und 20. Jahrhunderts haben so viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten wie Bruno Gutmann. Er ist besonders berühmt für seine intensiven Studien der Chagga-Religion, Chagga-Gesellschaft und der Bräuche der Chagga, die er christianisieren wollte, um den Glauben der Christen an die Chagga-Gesellschaft zu festigen. Er erreichte Chaggaland im Jahr 1902, nur neun Jahre nach der Ankunft der Leipziger Missionsgesellschaft in Ostafrika. Er gehörte daher zu den Pionieren, die zu der Zeit zwischen der Erstarrung der Ukambani-Mission in Kenia durch die Leipziger Missionsgesellschaft und ihrer Pionierarbeit im Norden Tansanias kamen.

So wurde Gutmann vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einer der stabilisierenden Persönlichkeiten der Leipziger Frühphase im Chaggaland. Darüber hinaus trat mit Bruno der Missionsdienst in das „goldene Zeitalter“ der Missionsgesellschaft ein, als das Christentum durch merkliches Wachstum in Ostafrika vielversprechend erschien. Das Chagga-Volk war nicht offen gewesen während der frühen Vorstöße der beiden Pioniermissionare Ostafrikas unter der CMS-Missionsgesellschaft Johannes Rebmann und Johann Ludwig Krapf, welche sie in den 1840er und 50er Jahren besuchten. Die neueren Vorstöße der CMS von 1885 stießen jedoch auf Zustimmung, und eine anglikanische Gemeinde begann sich in Moshi zu entwickeln. Der Kolonialismus in dieser Zeit aber führte ab etwa 1892 zu einem Misstrauen der deutschen Kolonialbehörden gegen den englischen CMS-Missionar in Moshi. Aus diesem Grund verhandelte die CMS in London eine Übernahme durch die Leipziger Mission. Die Übernahme im Jahre 1893 erwies sich als der passendste Schritt, und Bruno Gutmann sollte in Leipzigs Pionierphase nach Moshi ziehen.

Bemerkenswert ist, dass die Gemeinden der zentralen Kilimanjaroregion 1963 ungewöhnlicherweise Gutmann mit dem Ehrentitel „Wasahuye O Wachagga“ („Pate der Chagga“) würdigen.29 Dieser ehrenvolle Titel wurde ihm noch zu Lebzeiten verliehen, und er ist bedeutsam auch für dieses Symposium. Gutmann war ein einzigartiger Charakter in seinem beständigen Bemühen, das traditionelle Verwandtschaftssystem der Chagga als Vehikel für die Entwicklung einer Volkskirche in der Chagga-Gesellschaft zu verstehen. Gutmann leistete diese Pionierarbeit zu einer Zeit in der Geschichte Afrikas, als ein solches Konzept nicht nur für die missionarische Welt einzigartig war, sondern auch gegen die etablierten negativen Einstellungen von Missionaren gegenüber der afrikanischen Kultur anging. Gutmann hatte viel Spielraum, um aus der Weisheit zu lernen, die in den bestehenden Missionstheorien, -modellen und -methoden aus fast einem Jahrhundert missionarischer Aktivitäten in Afrika gesammelt worden waren. Der Standardmissionsansatz war das Verbot vieler afrikanischer Traditionen und kultureller Praktiken. Missionare vor Bruno Gutmann hatten die Vorstellung, dass das Christentum in Afrika niemals Fuß fassen würde, ohne für einen völligen Bruch mit uralten Bräuchen, Praktiken und Systemen der Vergangenheit einzutreten. Die Traditionen afrikanischer Gesellschaften, auf die die Missionare trafen, beinhalteten das Vorherrschen von Hexerei, Ehrfurcht vor den Vorfahren, Übergangsriten wie Beschneidung, religiöse Riten wie Regenmachen oder Opfern und Musik, einschließlich Trommeln und Tanzen. Offenbar dachten einige Missionare, afrikanische Unterkünfte seien auch unmoralisch.30

Viele Gutmann-Gelehrte haben häufig seine Methode in Bezug auf Einflüsse der deutschen Romantik betrachtet. Diese Einschätzung trifft zu vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Ideen von Wilhelm Wundt (1832-1920), Friedrich Naumann (1860-1919), Karl Graul (1814-1864) und Gustav Warneck (1834-1910).31 Von Wundt hatte Gutmann die Idee der moralischen und psychologischen Faser der „Urgesellschaft“ verinnerlicht, wie sie in Sprache, Mythos, Kunst, Gesellschaft, Recht, Kultur und Geschichte wahrgenommen wird. Diese Theorie beeinflusste Gutmanns Interesse am Studium des gesamten Chagga-Systems des „Urlebens“, einschließlich der Sprache und der Sitten der Chagga. Von Friedrich Naumann wurde Gutmann durch die Idee des Nationalismus, des Gemeinwesens und der Verbindung von „Blut und Boden“ beeinflusst. Obwohl diese Einflüsse nationalistische Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft hatten, ermöglichten sie es Gutmann jedoch, das Evangelium im Gemeinschaftsleben der Chagga zu verwurzeln.

Die Vorstellungen von der Notwendigkeit, die Clan-, Nachbarschafts- und Altersklassensysteme zu erhalten, spiegelten sich in Gutmanns Initiativen unter den Chagga wieder. Anstatt die bestehenden gesellschaftlichen Systeme und Normen, die die traditionelle Chagga-Personalität, -Identität und das Sein als Gemeinschaft definierten, zu zerstören, bemühte sich Gutmann, sie in neue christliche Seins- und Identitätssysteme im Gemeinschaftskontext der Chagga zu verwandeln. Dieses Denken wurde durch Karl Grauls interessante Vorstellung zementiert: „Die Kirche ist der Ort der Reinigung des nationalen Charakters und der Stammesbräuche.“32 Für Graul bestand die Aufgabe der Mission darin, aus den zunächst nichtchristlichen Gesellschaften neue Volkskirchen zu bauen, damit diese im Boden verwurzelt seien (d.h., bodenständig).33 Wie Graul führte Gutmanns Studium der Sprache und Sitten der Chagga ihn zu der Feststellung, dass die Gemeinde bereit war, als Grundlage einer neuen, tief verwurzelten Gemeinschaft aufzutreten.

Darüber hinaus gestaltete Bruno Gutmann seine Vision nach Gustav Warnecks Theorie, die eine Weiterentwicklung von Grauls Konzept der Verwurzelung im Boden war.34 Gutmann übernahm Gustav Warnecks Ideen, die bereits zur Grundlage der Leipziger Missionsarbeit am Kilimanjaro geworden waren. Zusammengefasst besagte Warnecks Idee, dass das Evangelium in jedem Teil einer Gesellschaft oder Nation (Volk) in den Idiomen der Landessprache (Volkssprache) und durch die nationalen Gebräuche (volkstümlich) so gepredigt werden sollte, dass jede Sphäre des nationalen Lebens unter den Einfluss des christlichen Glaubens kommt. Dies schließt Respekt für die Älteren und Pflege der Familien- und Clanstrukturen, die die natürlichen und fundamentalen Institutionen der Gesellschaft (Volksgemeinschaft) sind, ein. Natürlich lehnte diese Idee die isolierten Wohngemeinschaften für Christen, die in jenen Tagen vorherrschten, und die christliche Konvertiten aus ihrer sozialen Umgebung entwurzelten, ab. Die Art und Weise, wie Gemeinden am Kilimanjaro seit Gutmanns Zeit ihr Selbstverständnis entwickelt haben, spiegelt dieses Denken wider.

Gutmanns anthropologischer Zugang zur Theologie zielte darauf ab zu zeigen, dass die grundlegenden Chagga-Urbindungen dem „nahe kamen, dass Christus seinen Jüngern befohlen hat, einander zu lieben“.35