Alte Feinde - Layla Winter - E-Book

Alte Feinde E-Book

Layla Winter

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Beschreibung

"Alte Feinde" ist das Ende der humorvollen Fantasy-Saga, die mit "Keine Strasse" ihren Anfang nahm: Clash of Charakters, absurde Ereignisse und pointierte Dialoge, alles mariniert in ätzender Magie.

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Für Seraina

Liebe Vera, danke fürs Korrigieren

Inhaltsverzeichnis

Was bisher geschah:

Verbündete

Ein klagendes Gespenst

Belessegors Fehler

Belessegors Lieblingstier

Hochzeitsvorbereitungen

Oreanturs Fehler

Meerjungfrauenmet

Ein rotes Kleid für den Beschützer

Kleiner, heller Stern

Alek'Andors Problem

Ein Köder für Nymur

Kretzettas Fleckenwasser

Ein Gähnen vom Schwarzkliff

Die Würde des Tisches

Putzige Böötchen

Nymurs Freunde

Streit um Haustiere

Trophäe im Goldfischglas

Die Wirkung des Frühlings

Ein Wiegenlied aus der Tiefsee

Alte Feinde

Königlicher Kniefall

Epilog

WAS BISHER GESCHAH:

Verbittert hat sich der alte Zauberer Oreantur in einen Turm im Herzen eines Waldes zurück gezogen, wo er nun mit seinen Gehilfen Urg und Nymur lebt. Nymur ist noch einen Tick zu jung, um zu wissen, dass er schwul ist, und Urg zeichnet sich durch ein Down-Syndrom aus. Seit einigen Tagen hat der Turm noch einen weiteren Bewohner: den jungen Caron, der seinen eigenen Angaben zufolge als Küchenjunge in Alek’Andors Armee gedient hat, ehe er von dort geflohen ist.

Alek’Andors Heer bewegt sich genau auf das Tal des alten Oreanturs zu. Mit ihm reitet der schwarze Magier Belessegor, der über seine eigene kleine Armee befiehlt. Angeblich sollen Belessegor und seine Magier nur dabei helfen, Strassen zu bauen, doch der Schwarzmagier scheint sein eigenes Süppchen zu kochen.

Oreantur, der die Abgeschiedenheit seines Tals sehr schätzt und eigentlich nur seine Ruhe haben will, hat nach langem Zögern nun endlich den Kampf gegen Belessegor aufgenommen – viel zu spät, wie sich die Gute Fee Larelessa empört, die Oreantur schon seit Längerem vor dem schwarzen Magier gewarnt hat. Hauptgrund für Larelessas Sorge ist, dass Belessegor nicht nur am Schlachtgeschehen Teil nimmt, sondern die Welt auch mit seinen Züchtungen beglückt (eine dieser Haifischfrauen hat er sogar geheiratet).

Dafür hat die Fee aber eine andere Verbündete gefunden: Tzarynathra, Oreanturs alte Schülerin, die ihrereseits vor Belessegor geflohen ist, und nicht unweit des schrulligen alten Zauberers lebt.

Um den Bau der Strasse zu verhindern, ergreift Oreantur Gegenmassnahmen und zerstört den frisch gepflasterten Weg. Dies lässt sich jemand wie Belessegor natürlich nicht einfach so bieten, und nimmt nicht nur Nymur, sondern auch gleich noch Oreanturs Vogel als Geisel. Oreantur weiss davon allerdings noch nichts...

1. VERBÜNDETE

Der alte Zauberer Oreantur tigerte unruhig in der Küche herum. Er hatte einen Zaubertrank aufgesetzt, den er für weitere Schutzmassnahmen gegen Belessegor und seine Truppe von Strassenbauern einzusetzen gedachte. Nun wartete er ungeduldig darauf, dass die Brühe in dem Kessel über dem Feuer zu Kochen begann, aber natürlich fing sie nicht schneller an zu blubbern, nur weil Oreantur in der Küche herum hibbelte und ständig in den Kessel lugte.

Urg, der sich von der deutlich spürbaren Unruhe seines Meisters hatte anstecken lassen, stand mitten im Raum und knotete seine riesigen Finger. Nur Caron lehnte bleich an der Wand, hielt eine Tasse erkalteten Tees in den Händen und machte einen fast unnatürlich ruhigen Eindruck.

„Hätte Nymur nicht längst zurück sein müssen?“ fragte Oreantur in die Stille hinein. „Ich habe Melinéa vor über zwei Stunden losgeschickt.“

Urg zuckte nur die Achseln und murmelte, es werde ihm schon nichts passiert sein. Caron öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, wurde noch bleicher und schloss den Mund dann wieder. Oreantur, dem das nicht entgangen war, mass den jungen Mann mit einem sehr langen, nachdenklichen Blick, worauf Caron seine Augen senkte und auf seine Schuhspitzen starrte. Dem alten Zauberer fiel wieder ein, dass er dem Jungen etliche Fragen hatte stellen wollen, zum Beispiel, warum der Bengel so verdammt gut über Belessegors Pläne Bescheid wusste, doch ein plötzliches Zupfen an seinem Bewusstsein, das ihm die Nackenhaare aufstellte, machte ihm klar, dass der vorderste Bannkreis gebrochen worden war. Hastig warf er einen Blick nach seinem Zaubertrank, nur um festzustellen, dass die Flüssigkeit noch immer nicht zu brodeln begonnen hatte.

„Ich gehe besser nachsehen“ murmelte er zu sich selber, und als Urg und Caron ihn anblickten, erklärte er: „Der erste Bannkreis ist durchbrochen. Die anderen zu durchstossen dürfte noch seine Zeit in Anspruch nehmen, aber immerhin hat unser Gegner innert weniger Stunden die erste Hürde geknackt. Das spricht doch für ein beachtliches Potential.“ Er behielt für sich, dass es ihn selbst vermutlich Wochen gekostet hätte, überhaupt herauszufinden, wie solche Bänne zu brechen waren. Seines Wissensstandes nach gab es keinen direkten Gegenzauber, um die verhexten Bäume zu fällen, zu verbrennen oder sonstwie zu zerstören war nach seinen Kenntnissen der Magie schlicht unmöglich.

Caron presste die Hände fester um die Teetasse, um zu kaschieren, dass sie zitterten. Oreantur sah es nicht, denn er öffnete gerade das Fenster neben der Feuerstelle, und begann, sich zu verwandeln. Dieses Mal wählte er nicht den Körper eines Geiers, sondern den eines Falken, da er Wert auf grosse Schnelligkeit legte. Er war gerade dabei, von der Gestalt eines alten Mannes in die des Vogels zu verschmelzen, als sich vor ihm ein Pünktchen aus flüssigem Leuchten manifestierte. Der Tropfen floss in die Gestalt einer guten Fee, und im nächsten Augenblick stand Larelessas abgöttisch schöne Erscheinung mitten in der Küche. Urg japste auf. Der Zauberer hingegen stierte sie an und war sich nicht bewusst, dass er gerade wie ein ziemlich abartiger Hybrid aus Mensch und Vogel aussah. Larelessa hingegen konnte es kaum übersehen, und wirkte gelinde gesagt irritiert, bis sie begriff, was sie vor sich hatte. Der Zauberer, der wiederum in ihrer Mimik gelesen und daraus seine Schlüsse gezogen hatte, floss zurück in seine menschliche Gestalt.

„Was willst du hier?“, blaffte Oreantur.

„Etwas Schreckliches ist geschehen. Und ich habe Verbündete für dich gefunden.“ Sie hatte sich genau überlegt, in welcher Reihenfolge sie den Alten mit Informationsbröckchen zu füttern gedachte, damit er sie nicht wieder vor die Tür setzte.

Als Oreantur sie mit hochgezogenen Brauen anstarrte, um ihr damit zu verstehen zu geben, dass er gerne mehr hören würde, erklärte sie behutsam:

„Eine alte Freundin von dir hat sich erst kürzlich im Schwarzkliff niedergelassen. Ich bin ihr zufällig begegnet, und sie wäre sicher bereit, dir zu helfen.“

Oreantur blickte sie mit durchdringendem Misstrauen an. „Ich habe keine Freunde, und schon gar keine Freundinnen“, raunzte er. „Ich lebe allein“. Urg blickte ihn bei diesen Worten traurig und auch ein wenig empört an. Weder der Alte noch die Fee achteten auf ihn, während der Zauberer bissig fortfuhr: „Und was sind die schlechten Neuigkeiten?“ Larelessa blickte ihn durchdringend an und meinte: „Belessegor ist hierhergekommen und geht nun gegen dich vor, wie ich es vorausgesagt habe.“ Caron verschüttete ein bisschen Tee, aber nur Urg bemerkte es. Larelessa sprach indes weiter: „Er hat den ersten Bannkreis gebrochen. Und dann hat er deinen Lehrling, der zusammen mit deinem Falken von oben aus alles beobachtet hat, vom Himmel geholt und entführt.“

„Er hat Nymur und Melinéa?“, stiess Oreantur hervor. Die wenigen rotblonden Haare am Kinn, die ihm über die Befriedigung gewachsen waren, endlich wieder einmal etwas anständiges zu tun zu haben, fielen aus und der weisse Bart hing traurig schlaff hinunter. Kaum einen Moment später begann er sich zitternd zu sträuben. „Ich hole die da raus!“, schnaubte Oreantur, „und wenn ich seine ganze verdammte Magierturppe in den Boden rammen muss.“ Der Alte schäumte vor Wut, nicht nur wegen des Jungen und des Vogels, sondern vor allem auch, weil Belessegor es tatsächlich geschafft hatte, den ersten Bannkreis innert kürzester Zeit zu knacken.

„Das wäre unklug“, betonte Larelessa, „Du bist einer der Wenigen, die Belessegor Paroli bieten können, und wie schon erwähnt habe ich die perfekte Verbündete für dich. Jemanden nämlich, gegen den er allein auch keine Chance hätte.“ Der Zauberer quittierte das Kompliment mit wohlwollender Aufmerksamkeit. „Wer?“ wollte er wissen.

Larelessa schüttelte lachend den Kopf. „Das glaubst du mir nie. Du wirst dich schon vorstellen müssen.“

„Woher weiss ich, dass das keine Falle ist?“

„Was hätte ich davon, dir Fallen zu stellen?“ fragte die Fee zurück. Beinahe unmerklich schienen Teile ihres Schneefallkleides zu schmelzen.“Ich bin aufgetaucht und habe dich gewarnt, als mir klar war, dass Belessegor und Alek'Andor nach Norden ziehen würden. Ich habe dich um Hilfe gebeten, und du hast meiner Schwester geholfen, also stehe ich ohnehin noch in deiner Schuld. Und vor allem“ sie warf das wunderhellgoldene Haar in den Nacken, das ohnehin schon in dem unfühlbaren Windhauch anbetungswürdig gewogt hatte, „bist du der grösste Zauberer nach Zoroaster, und du könntest so ziemlich jede Falle, die ich dir zu stellen vermag, mit Leichtigkeit zerschmettern.“ Das enganliegende Wirbelweiss ihres Kleidchens wurde noch weniger, und die drei Männer im Raum fühlten sich mit einem Mal um einiges tatkräftiger.

Oreantur, der nach Einwänden gesucht und auch einen gefunden hatte, setzte mit einem „ich weiss nicht...“ an, doch in diesem Moment flatterte eine Fledermaus durch das offene Fenster hinein. Alle starrten das Tier, da es im hellen Sonnenschein doch sehr deplaziert wirkte, als es sich schwungvoll auf dem Tisch niederliess.

Larelessa stellte etwas pikiert fest, dass Urg sie keines Blickes mehr würdigte, seit das Tier hinein geflogen war.

„Ich bringe Kunde von Belessegor“ erklärte die Fledermaus wichtigtuerisch und mit so hoher Stimme, dass sie gerade noch so hör- und ertragbar war. „Er lässt den mächtigen Zauberer, der hier in diesem Turm wohnt, herzlich grüssen und teilt ihm mit, dass er einen frechen, kleinen blonden Bengel und einen überheblichen Vogel gefangen hat, und dass sie vorerst seine Geiseln sind. Er rät euch, hochverehrter Zauberer, dringend davon ab, eine überstürzte Befreiungsaktion zu starten, da der Junge sehr gut bewacht ist und da der wehrte Belessegor, solltet ihr es doch versuchen, den Vogel töten und den Jungen foltern wird. Er wird mit euch, verehrter Zauberer, gern über die Bedingungen für die Übergabe der Geiseln sprechen, sobald Alek'Andors Soldaten die Strasse bis zu eurem Turm hin gelegt haben.“ Die Fledermaus machte eine kleine, höfliche Verbeugung und schwang sich wieder in die Luft, um notfalls schnell fliehen zu können.

Oreanturs Gesicht schien in dem Sturm weissen Haars zu verschwinden. Dann aber senkte sich der Bart, und Urg erschrak, als sein Meister sprach, denn diese ruhige Eiseskälte war schlimmer als jedes Zetern:

„Richte deinem Meister aus, dass ich seine Botschaft zur Kenntnis genommen habe und nun über eine angemessene Reaktion nachdenken werde.“ Er machte eine abfällige, wedelnde Handbewegung, um die Fledermaus zu vertreiben, die dem Wink nur zu gerne folgte.

Alle drei starrten Ore an, der sich zu Larelessa umwandte und fauchte: “Nun, zeig mir meine Verbündeten!“ Ehe er aufbrach nahm er sich noch die Zeit, Urg und Caron anzuraunzen, gefälligst hier im Turm auf ihn zu warten.

Larelessa nutzte ihre eigenen Kräfte um sich und den Alten zu teleportieren, denn wie sie ihm einmal erklärt hatte, lag den Feen die Teleportation im Blut, während es bei Zauberern reine Kopfsache war. Und Oreanturs Kopf war zur Zeit ziemlich aufgewühlt und abgelenkt.

Tzarynathra war gerade dabei gewesen, den Schwarzkliff in ein Heim umzuwandeln. Sie hatte die Teppiche auf den Böden ausgebreitet, einige Bilder an die Wände gehängt und ein völlig nutzloses, aber adrettes Beistelltischchen dekorativ an einer besonders scharfkantigen Wand platziert, an der ohnehin kein Bild würde haften können. Danach stellte sie noch eine Vase auf das Tischchen und konstatierte etwas missmutig, dass sie die Blumen dafür wohl selber pflücken musste. Bedienstete zu haben hatte eben doch sein Vorteile, erkannte sie.

Sie war gerade einen Schritt zurückgetreten um ihr Werk zu begutachten, als sie ein alarmierendes Sirren aus der verborgenen Kammer hörte.

Besuch oder Angriff? Schoss es ihr durch den Kopf, als sie in die Kammer stürzte, dicht gefolgt von der Erkenntnis, dass es ausser Larelessa ja gar niemanden gab, der sie besuchen kommen würde.

Und tatsächlich erkannte sie auf einer der magischen Glasflächen die gute Fee, und hinter ihr sah sie eine Gestalt, die ihr das Herz schneller schlagen liess. Oreantur, noch immer deutlich älter, als er hätte erscheinen müssen, aber gleichzeitig sichtlich verjüngt, stapfte mit der ihm ureigenen Mürrischkeit durch den Wald. Mochte sein Bart noch weiss sein, die Falten in seinem Gesicht schienen etwas weniger tief, und vor allem sein Gang liess ihn stärker und agiler wirken. Hatte sie ihn vor einigen Tagen noch gebückt schlurfend in seinem Turm beobachtet, so schritt nun ein Mann über die Glasfläche, dem man deutlich ansah, dass er stolz darauf war, von den wilden Kriegern im Hohen Norden abzustammen.

Tzarynathra verlor keine Zeit. Sie rannte in ihr Gemach und riss sich dabei das Band vom Kopf, das ihre blonde Lockenpracht bisher zweck-mässig zusammengehalten hatte. Als sie vor dem Spiegel angekommen war, steckte sie den Zauberstab in ihr Haar, worauf es sich selbst kämmte, um sogleich voluminös über die Schultern zu fallen. Danach deutete sie mit dem Stab auf ihren Körper, und ein erstes Kleid erschien. Ganz auto-matisch hatte sich Tzarynathra in den Prunk einer Königin gekleidet, was sie nun aber zu pompös dünkte. Also hexte sie sich das nächste Gewand auf den Körper, ein süsses, prinzessinenhaftes Sommerkleidchen, worauf ihr einfiel, dass Ore ja kein Rosa mochte.

Als Oreantur und Larelessa sich der Vordertür des Schwarzkliffs genähert hatten, wurde diese plötzlich geöffnet. Fassungslos blickte der Zauberer auf den Anblick, der sich ihm bot: Vor ihm stand eine der schönsten Frauen, die er in seinem ganzen Leben je gesehen hatte. Natürlich kannte er Tzarynathra und wusste um ihr Aussehen, doch nach Jahrhunderten der Einsamkeit erschlug ihn ihr Anblick beinahe.

So vergass er für einen Moment lang sogar Nymur und Melinéa, und starrte nur noch seine alte Schülerin an. Sie trug ein unschuldiges, weisses Kleid in der Art, wie sie Bauernmädchen zu Festen anziehen, mit einem blauen Band, dass das beige Mieder zusammenhielt. Die blonde Mähne wallte in prachtvollen Locken über ihre Schultern, und er vermeinte, einen schweren, verführerischen Duft von ihr wahrnehmen zu können.

Ore öffnete den Mund um eine Begrüssung zu stammeln, doch Tzarynathra überrumpelte ihn, indem sie sich ihm buchstäblich an den Hals warf.

„Oreantur“ rief sie glücklich, umarmte ihn und küsste ihn auf beide Wangen, worauf der Alte knallrot wurde und einige weisse Häärchen in seinem Bart beschlossen, wieder die ursprüngliche Farbe anzunehmen. „Geht es dir gut?“

„Ja“ sagte Ore automatisch, und dann, als die wahre Bedeutung der Frage zu seinem von ihr benebelten Hirn durchgesickert war, „oder eher: nein. Belessegor zieht gegen mich in den Krieg, und er hat Nymur und Melinéa entführt.“

Eine steile Falte erschien zwischen Tzarynathras Augen. „Wer ist Nymur? Und warum entführt Belessegor deinen Vogel?“

„Es ist alles meine Schuld“ seufzte Oreantur, „Ich hiess sie, die Situation zu beobachten. Ich hätte wissen müssen, dass Nymur – das ist mein Lehrling - Belessegor nicht gewachsen ist, aber ich dachte, hoch im Himmel oben sei er sicher.“

Tzarynathra strich ihm über den Oberarm. „Es ist nicht deine Schuld. Du bist so ein mächtiger Zauberer, dass du automatisch davon ausgegangen bist, dass Belessegor keine Gefahr darstellt.“ Oreantur warf sich in die Brust und die rotblonden Häärchen an seinem Kinn wölbten sich stolz nach vorne.

„Und jetzt bekämpfst du ihn also?“ Wollte Tzarynathra wissen, „oder bist du zu Verhandlungen bereit, um deinen Lehrling frei zu kaufen?“

„Belessegor wird nicht mit sich handeln lassen.“ Warf Larelessa rasch ein. „Und so böse wie er geworden ist, wird er den jungen Nymur wohl schon getötet haben.“

„Nein“ widersprach Ore, „du kennst ihn zu schlecht. Er wird so wertvolle Geiseln wie Nymur und Melinéa nicht einfach so umbringen. Er wird die beiden als Druckmittel gegen mich einsetzen wollen.“ Einen Moment lang dachte er nach. „Melinéa ist vermutlich in weitaus grösserer Gefahr als Nymur. Abgesehen davon, dass sie mein Vogel ist, hat sie für Belessegor kaum einen Wert. Nymur hingegen ist ein junger Zauberer, der in einigen Jahren grosses Potential haben wird. Nach allem, was du mir erzählt hast“, er blickte zu Larelessa hinüber „rekrutiert Belessegor solche Leute, seit er in Alek'Andors Kriegen mitkämpft. Er wird den Jungen nicht töten wollen, er will ihn mir eher abspenstig machen.“ Larelessa sah nicht allzu erfreut über diese Schlussfolgerung aus.

„Dann befreien wir deinen Vogel und deinen Lehrling“ schlug Tzarynathra eifrig vor. „Larelessa lenkt Belessegor und seine Zauberer ab und du schleichst dich ins Lager und befreist den Jungen. Vielleicht nehmen wir vorher auch noch einen der Soldaten gefangen, damit sie uns etwas über die Zauberer in ihrem Heer erzählen können.“

Oreantur liess sich diesen Plan durch den Kopf gehen.

„Mit dem, was der Schwarzkliff alles in petto hat, kannst du Belessegor weitaus besser ablenken als ich.“ warf die Gute Fee ein.

„Der Schwarzkliff hat etwas in petto?“, echote Oreantur.

Larelessa zwinkerte Tzarynathra zu.

„Warum zeigst du ihm nicht die geheime Kammer? Ich lass' euch beide

vorerst mal allein und versuche herauszufinden, was mit Nymur und

dem Vogel wirklich geschehen ist.“

Sie verwandelte sich in flüssiges Licht, um gleich darauf zu verschwinden.

„Komm mit“, quietschte Tzarynathra aufgeregt und trat über die

Schwelle ihres neuen Domizils. Oreantur folgte ihr.

2. EIN KLAGENDES GESPENST

Belessegor und seine monströse Angetraute arbeiteten noch den ganzen Rest des Nachmittags bis die Bannkreise Oreanturs schliesslich gebrochen waren. Metaphorisch gesprochen sprengte sie einen Riss in eine Mauer, während er die restlichen Steine entsorgte. Hinter ihnen war ein Trupp Soldaten damit beschäftigt, die zerstörte Strasse wieder neu zu legen. Knapp fünfzig Hexen und Zauberer, die alle zu Belessegors Truppe gehörten, standen grösstenteils unnütz herum. Eigentlich hätten sie beim Strassenbau helfen und gleichzeitig die Soldaten vor magischen Angriffen schützen sollen, aber da sie für das erste wenig Begeisterung erübrigen konnten und das zweite inexistent war, vertrieben sich mindestens fünfundvierzig von ihnen die Zeit damit, den Wald anzuschauen oder über nicht anwesende Mitglieder der Truppe zu tratschen.

Als der Abend dämmerte, durchbrachen der schwarze Magier und seine Gattin den letzten Bannkreis, und stiessen plötzlich auf eine Strasse von ganz genau der Art, wie sie hinter ihnen verlegt wurde. Es war das letzte Stück des ersten Weges, der bereits so tief im Wald lag, dass Oreantur es nicht für nötig gehalten hatte, ihn auch noch zu zerstören. Die Soldaten und Magier, die mit der Reparatur – beziehungsweise dem Neubau – beschäftigt gewesen waren, arbeiteten nun umso schneller, denn allgemein war man der Meinung, Feierabend zu haben, wenn sich die neue Strasse wieder ohne Unterbrechung durch den Waldrand zog. Belessegor indes betrachtete mit der selbstlosen Glückseligkeit, die die Liebe aller Couleur auszeichnet, wie die hereinbrechende Dunkelheit seine Gattin aufblühen liess. Schweigend spazierten die beiden Hand in Hand über die frischen Pflastersteine durch den friedlichen Wald, bis die Kreatur an seiner Seite plötzlich die Nüstern blähte.

„Hier riecht es nach Blut“, verkündete sie ihm, und er nickte, denn er hatte mit dieser Reaktion gerechnet.

„Ja, der Hauptmann, der Bericht erstattet hat, hat gesagt, dass-“, er brach ab und grinste, als er sich an die Reaktion des gestandenen Kriegers erinnerte. Er hatte de facto gar nichts gesagt. Er hatte eine Geste gemacht, als wolle er einen weichen Gegenstand mit beiden Händen zusammen-quetschen und dabei einen lautmalerischen Schmatzlaut von sich gegeben. „dass irgend ein Zauber mehrere Soldaten hat implodieren lassen“, improvisierte Belessegor, und seine Frau quittierte dies wiederum mit einem Nicken. „Wir werden sehen“, sagte sie mit einer Gleichgültigkeit, wie sie wohl nur ein schlachterprobtes Monstrum an den Tag legen kann.

Schliesslich fanden sie das erste Fleischhäufchen, das einmal ein Mensch gewesen war. Eine Waldratte tat sich daran gütlich, doch noch ehe sich das arme Tier versah, baumelte es bereits am Schwanz über einem freudig gebleckten Haifischmaul und wurde fallen gelassen. Belessegor schaute seiner Gattin belustigt zu, während sie den Happen verspeiste. Seines Wissens nach hatte sie noch nie zuvor Ratte gegessen.

„Mundet es?“, fragte er neckisch

„Ein bisschen fade“, gestand sie, nachdem sie die Ratte herunter geschluckt hatte. „Von allen Errungenschaften der Menschen halte ich Sauce für eine der besten“. Daraufhin machte Belessegor einige Witze über Raubtiere und Domestizierungsprozesse, was seine Gattin nicht besonders witzig fand.

Ein gutes Stück hinter Belessegor und seiner Frau waren noch einige Soldaten unterwegs, weil sie unnützerweise den Befehl erhalten hatten, den wichtigen Zauberer zu eskortieren. Dies lag zum einen daran, dass der Hauptmann den schwarzen Magier gerne im Blick behielt (da ihm dies die Illusion von Kontrolle ermöglichte), und zum andern hatten die Offiziere die Situation durch den Tod Zarellas falsch eingeschätzt. So zog der Hauptmann tatsächlich ernsthaft in Betracht, zehn Männer mit Schwertern wären in der Lage, Belessegor besser zu beschützen als dieser sich selber.

Den Soldaten war gelinde gesagt nicht sehr wohl bei dieser Aufgabe.

Sie sahen nur die Fleischhäufchen und spürten nicht wie Belessegor, dass derjenige, der den Zauber gewirkt hatte, schon lange nicht mehr hier weilte, oder dass seine Zauberkraft eher an die Gefährlichkeit eines Hammers als an die eines Schwertes erinnerte, geschweige denn, dass man von Urg eigentlich nichts zu befürchten hatte, wenn man nicht gerade ihn oder etwas, das ihm lieb war, angriff.

Einer von ihnen, ein Mann mittleren Alters und nicht gerade ausgeprägter Schläue, schlich etwas abseits der Gruppe, da er automatisch annahm, dass ein potentieller Angreifer sich zunächst die Gruppe vornehmen würde. Ausserdem war er einer von der Sorte, die Unbekanntem oder gar Furchteinflössendem grundsätzlich nur mit einer Emotion begegneten: Aggression. So pirschte er also gut zwei Meter hinter den anderen Soldaten über die frisch gelegte Strasse und hielt sein Schwert gezückt. Unbewusst hoffte er sogar darauf, ein Reh möge aus dem Wald hüpfen und ihm vor die Klinge springen. Er hätte sich um einiges besser gefühlt, wenn er etwas zum Töten gehabt hätte.

Unweit dieses Mannes stand ein Baum, der sich etwas von den anderen Bäumen in seiner Umgebung unterschied. Jahrhundertelang hatte er schla-fend eine Existenz als normale Eiche gefristet, bis er vor vier Tagen geweckt worden war. Danach hatte er immer noch friedlich da gestanden, aber eine erhöhte Wachsamkeit an den Tag gelegt, wie sie nun einmal Wächtern zu eigen ist. Als nun der Soldat mit seinem deutlich spürbaren Aggressionspotential auf eben jenen Baum zu schlich, definierte ihn der Baum automatisch als Bedrohung und kam seiner Aufgabe nach. Er beugte sich vornüber, packte den kreischenden Mann mit den Ästen und stopfte ihn in das mit hölzernen Zähnen bewehrte Loch, das dort gewachsen war, wo die meisten Äste aus dem Stamm sprossen.

Die anderen Soldaten, und auch Belessegor und seine Gattin waren durch die Schreie aufmerksam geworden und starrten nun alle den Baum an, der nun wieder ruhig dastand und aussah, als könne er kein Wässerchen trüben. Die Soldaten drängten sich nun alle ängstlich zusammen und versuchten, möglichst viel Abstand zwischen sich und die Bäume zu bringen, was ein bisschen schwierig war, da sie sich ja mitten im Wald befanden. Nicht einem schoss es durch den Kopf, dass sie alle den menschenfressenden Baum passiert hatten, ohne dass ihnen Unheil widerfahren war.

Belessegor löste sich als erster aus seiner Erstarrung und rannte auf seinen kurzen, fetten Beinen auf den Baum zu. Begeistert musterte er ihn aus sicherer Entfernung, dann, als er sich seiner Sache sicher war, trat er ohne Scheu auf den Baum zu.

„Was ist das bloss?“, zischte einer der Soldaten.

„Ein menschenfressender Baum“, erklärte eine tiefe, heisere Stimme. Der Soldat fuhr herum und sah, dass es Belessegors Frau war, die ihm geantwortet hatte. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Er hatte das Ding noch nie zuvor sprechen gehört, und dass ihre Stimme so unmenschlich klang, machte ihre Gesamterscheinung nicht gerade erträglicher. Sie schien diesen Gedanken seiner verschreckten Mimik anzusehen, denn sie erklärte mit einem leichten Lächeln, das ihr Haifischgebiss verbarg: „Er sieht wie ein normaler Baum aus, bis ihm etwas zu nahe kommt, das er als potentielle Gefahr empfindet.“ Und mit einem breiteren Lächeln fügte sie sehr doppeldeutig hinzu: „Wieder einmal ein Lebewesen, das beweist, dass man Dinge nicht nur nach ihrem Äusseren beurteilen sollte.“

Der Mann, mit dem sie gesprochen hatte, senkte den Blick und wünschte, sie möge ihre lila Augen von ihm abwenden.

Belessegor hatte sich dem Baum inzwischen so weit genähert, dass er die Rinde berühren konnte. Er sprach zu dem Baum, und machte dabei einen äusserst höflichen Eindruck. Schliesslich verbeugte er sich leicht, und der Baum liess etwas zu Boden fallen. Belessegor bückte sich danach und hob es auf, glücklich wie ein Kind, das ein Spielzeug gefunden hat. Er verbeugte sich noch einmal und sagte laut „Vielen Dank“, dann trippelte er zu den Soldaten zurück und verstaute dabei sehr sorgfältig das, was von dem Baum gefallen war, in einer seiner Gürteltaschen.

„Wenn wir wieder im Lager sind“, erklärte er der Gruppe glücklich, „brauche ich so schnell wie möglich einen Blumentopf.“

„Gehst du jetzt unter die Gärtner?“ neckte ihn seine Gattin.

Belessegor schenkte ihr ein breites Grinsen und tätschelte liebevoll auf die Gürteltasche mit dem Samenkorn darin.

Hinter dem kleinen Trupp Soldaten, der Belessegor und seiner Gattin gefolgt war, war ein einzelner Zauberer durch den Wald geschlendert. Am Nachmittag dieses Tages waren die Magier von Belessegors Truppe dazu verdonnert worden, in übermässig starkem Aufgebot die Soldaten zu unterstützen, die mit dem Bau der Strasse weiter machten, beziehungsweise von neuem beginnen mussten. Alek'Andor mochte keine Verzögerungen, und wenn sich seine Männer schwer damit taten, in einem offensichtlich verzauberten Wald eine Strasse zu legen, dann hatten sich Belessegors Magier eben zu fügen. So zumindest hatten die Generäle entschieden, und da Belessegor selbst nicht anwesend gewesen war, hatten sie sich auch getraut, ihre Befehle so zu kommunizieren. Folglich war nun ein Grossteil der magischen Truppe ebenfalls in den Wald gekommen, wobei einige tatsächlich beim Bau der Strasse geholfen hatten, die meisten aber nur dumm herumgestanden und sich gelangweilt hatten. Meister im untätigen Herumlungern war natürlich Harkun gewesen. Wie üblich, wenn er eigentlich ernsthaft arbeiten wollte, trug er auf seinem Kopf das Gespinst aus Silber, Kupfer und magischen Steinen, das die Laien oft mit einem Küchensieb gleichsetzten – sehr zum Ärger Harkuns, der sich dadurch stets selber daran erinnern musste, wie ernst und erhaben die Kunst der Nekromantie doch war. Er hatte diesen Hut, wie er ihn nannte, selbst entwickelt, nach einem alten Buch mit einem Rezept für magische Ringe und seiner langjähriger Erfahrung als Nekromant, und es verdross ihn, dass der Preis für seine Erfolge beim 'Tote beschwören' darin bestand, Gelächter über sich ergehen zu lassen.

Da er allerdings, auch ohne dass jemand Witze über seinen küchensiebartigen Hut machte, ein mürrischer Griesgram war, hatte niemand etwas dagegen gehabt, als er nach getaner Arbeit nicht mit den anderen Soldaten zurück zum Lager geritten war, wie es die übrigen Magier getan hatten.

So wanderte er allein durch den Wald und betrachtete die keinen Häufchen zerfetzten Fleisches, die einmal Menschen gewesen waren. Noch nie zuvor hatte er Überreste vor sich gehabt, deren Seelen so schnell aus ihren Körpern gesprengt worden waren, und er befand die Fleischhäufchen alle für sehr interessant.

Plötzlich wurden die Steine, die so in die siebartige Konstruktion auf seinem Kopf eingebettet waren, dass sie seine Kopfhaut berührten, sehr heiss und fühlten sich an, als würden sie leicht vibrieren. Harkun blickte sich um. Hier musste nicht nur ein Gespenst sein, sondern die Seele eines Zauberers. Zauberin, verbesserte er sich automatisch, da er die Aura der Seele allmählich zu erkennen glaubte, während er nun schneller durch den Wald schritt. Ein leises, verzweifeltes Weinen, das wohl nur er hören konnte, wurde über das Silber und die Hämatite auf seinem Schädel direkt an seine Hörnerven gesandt.

Harkun eilte an den Soldaten vorbei, dann an Belessegor und seiner Gattin, die immer noch in der Nähe des menschenfressenden Baumes standen. Harkun grüsste seinen Befehlshaber mit einem knappen Grunzen, die übrigen Personen ignorierte er. Schliesslich fand er, wonach er gesucht hatte: Über einem Fleischhäufchen, neben dem ein deplaziertes Honigtört-chen lag, schwebte der Geist eines jungen Mädchens und weinte bitterlich. Sie sah aus, als wäre sie aus blauem Licht geformt, das aber nur eine sehr schwache Leuchtkraft hatte. Dort, wo ihr physischer Körper Schatten auf sich selbst geworfen hätte, war sie dunkelblau verfärbt. Nur das Weiss ihrer Augen und Zähne waren von richtig glimmendem hellblau, während ihr einstmals rotblondes Haar fast dieselbe Farbe hatte, aber eben nicht richtig zu leuchten vermochte. Neben ihr schwebte ein winziges blaues Pünktchen, und es dauerte einen Moment, bis Harkun begriff, was er da sah.

„Guten Abend, Zarella“, sagte er in so liebevollem und sanften Tonfall, wie ihn wohl noch kein Lebender von Harkun je gehört hatte.

Sehr langsam hob Zarella den Kopf. Ihre Züge hellten sich ein bisschen auf, als sie sah, wer zu ihr gesprochen hatte.

„Meister Harkun?“, unwillkürlich schoss es dem mageren Griesgram durch den Kopf, dass dieses Mädchen ihn noch nie zuvor mit seinem Titel angesprochen hatte. „Ich bin tot, oder?“, Harkun nickte.

„Oh Harkun“, jammerte Zarella, liess jedes bisschen Zurückhaltung fahren und fiel dem Nekromanten um den Hals, wobei ihre Arme aber durch seinen Körper hindurch glitten, als wäre er aus Luft. Sie begann wieder zu weinen. Harkun wusste irgendwie nicht so recht, was er sagen sollte. Zarella war gewiss nicht das erste klagende Gespenst, das ihm unterkam, aber sie war das erste, dass er schon als Lebende gekannt hatte. Ausserdem, so gestand er sich ein, hatte er das Mädchen früher eigentlich nicht sonderlich gemocht. Sie war ihm immer etwas hochnäsig erschienen. Ausserdem hatte sie sich zusammen mit ihrem Freund, der sich dann als kleiner Verräter entpuppt hatte, hinter seinem Rücken über seine Erfindung lustig gemacht, und ihn Küchensieb-Totenhorcher genannt. Jetzt tat sie ihm nur noch leid. Vor allem um des blauen Pünktchens willen, das neben ihr schwebte.

„Belessegor“, rief er in den Wald und der Magier wandte sich um.

„Zarella ist hier“, rief Harkun, aber Belessegor zuckte nur die Schultern. „Ja, ich weiss, bedauerlich. Sie war heute zum Strassenbau eingeteilt worden. Ich dachte, etwas frische Luft und anständige Arbeit tut dem Mädchen gut, aber...“, er brach ab und zuckte nochmal die Achseln, um sich dann wieder seiner Gattin zuzuwenden.

„Nein“, rief Harkun, „sie ist immer noch hier.“

Belessegor drehte sich wieder um, diesmal mit deutlich mehr Interesse. Hastig trippelte er auf Harkun zu und blieb vor dem Honigtörtchen stehen. Er blickte auf das Fleischhäufchen, das heute Morgen noch ein junges Mädchen gewesen war, als könne er plötzlich erkennen, was ihm vorhin entgangen war. Dann sah er Harkun, der einen Punkt etwa zwei Meter über ihren Überresten anstarrte. Wortlos zog sich der Nekromant seinen metallenen Hut vom Kopf und hielt ihn Belessegor hin. Dieser zog sich den hohen Hut und die Lederkappe vom Kopf, setzte sich Harkuns Konstruktion auf und machte die obligate Bemerkung zur Kleidsamkeit von Küchensieben. Harkun ignorierte ihn. Er konnte Zarella jetzt nur noch als sehr verschwommenen, blauen Schemen wahrnehmen, doch konnte er sie immer noch laut weinen hören. Belessegor hingegen sah, hörte und fühlte mit einem Schlag, wie vor ihm ein todtrauriges, junges Mädchen schwebte. Das blaue Pünktchen neben ihr war seiner Aufmerksamkeit entgangen.

„Ich bin tot“, teilte Zarella Belessegor mit, als sie dessen Blick bemerkte. „Ja“, sagte Belessegor höflich, „das tut mir leid.“

„Könnt ihr das wieder rückgängig machen?“, fragte Zarella schniefend.

Belessegor zuckte ehrlich die Achseln. „Ich weiss es nicht. Möglich wäre es. Aber bislang waren die Erfolge...“, er zögerte und rang um eine diplomatische Antwort, „.gemischter Natur“. Harkun schnaubte wissend.

„Allerdings habe ich es noch nie mit einem toten Zauberer zu tun gehabt.“ schob Belessegor nach. „Das könnte die Erfolgschancen drastisch erhöhen.“ Er blickte Harkun an, als bitte er diesen, seine Meinung zu der Theorie zu äussern. Harkun dachte nach und kam zu dem Schluss, das Belessegor vielleicht recht haben könnte. Normalerweise stiessen eine zurückgebliebene Seele und ein fremder, frisch verstorbener Körper sich gegenseitig ab, aber wenn man beides verhexte, liess sich eine Verbindung herstellen, die allerdings entweder zu fragil war oder sonstige negative Konsequenzen mit sich brachte. Er hatte sich einige Male mit den Ergebnissen von Belessegors Experimenten herumplagen müssen – magisch potente Untote, die vor sich hinfaulen und mit ihrer Zauberkraft nichts gescheites anzufangen wissen, machen auch einem Nekromanten keinen Spass – aber da Zarella wusste, wie sie Magie durch ihren Körper leiten konnte, wäre es vielleicht tatsächlich möglich, sie in einen Zustand zurück zu holen, der sie nicht automatisch zu einer Plage für ihre Mitbürger machte.

Er gab ein zustimmendes Knurren von sich.

Belessegor suchte kurz in einer seiner Taschen herum, dann fand er ein fast leeres Fläschchen Schnaps. Er leerte es in einem Zug und streckte es Zarella hin. „Tut mir leid, das ich nichts Sauberes habe. Aber ich halte es doch für sinnvoll, dich erst einmal wie alle andern zu verkorken, bis wir einen passenden Körper gefunden haben.“ Zarella schniefte. „Und was ist mit meinem Baby?“

Belessegor blinzelte sie irritiert an. „Du hast ein Kind?“

„Nein“, heulte Zarella und deutete auf das winzige blaue Pünktchen, das noch so klein war, dass es kaum als Seele erkennbar gewesen war.

Belessegor unterdrückte das Bedürfnis, laut zu fluchen und entschied, möglichst rational zu bleiben. „Ich glaube nicht, dass das geht“ erklärte er ruhig und liess einen erneuten Weinkrampf über sich ergehen. Er tauschte einen Blick mit Harkun und stellte überrascht fest, dass der sonst so verbitterte Mann richtiggehend von Mitleid erfüllt wirkte.

In unsäglicher Trauer glitt Zarella schliesslich in das Fläschchen, das Belessegor ihr nach wie vor hinhielt. Noch ehe die beiden Zauberer reagieren konnten, war das blaue Pünktchen ihr hinterher geschwebt. Belessegor, der mit der Situation emotional ziemlich überfordert war, da er sonst nur die Seelen verstorbener Soldaten verkorkt hatte, zögerte, den Korken in den Flaschenhals zu stecken.

Armes, dummes kleines Mädchen. Dachte er bei sich. Zuerst läuft dir der Kindsvater davon, und dann bringst du es nicht über dich, nach deinem Tod diese Welt zu verlassen. Irgendwie hatte er das Bedürfnis, dem Mädchen zu verstehen zu geben, dass er es nicht einfach wie die anderen Fläschchen ins Regal stellen würde, sondern der Angelegenheit die angemessene Wichtigkeit zumass. Harkun musste ähnliche Regungen verspürt haben, denn er fragte mit seinem üblichen Mangel an Feingefühl: „Weisst du denn überhaupt, wer der Vater war?“ Belessegor zuckte zusammen und stak den Korken in den Flaschenhals. Aber der unterdrückte nicht den Schrei, den der Geist in der Flasche ausstiess: „Caron! Und der elende Feigling ist abgehauen, kaum als ich es ihm erzählt habe.“

3. BELESSEGORS FEHLER

Die Hexenherrin Tzarynathra hatte schon immer ein Talent dafür gehabt, Menschen für sich einzunehmen. Sie konnte in all ihrer Prinzessinnenhaftigkeit eine hinreissende Persönlichkeit manifestieren, und dass sie fantastisch aussah, tat der ganzen Sache keinen Abbruch. Der aufgesetzte Widerstand generellen Missmuts, den Oreantur zur Schau stellte, um sich seine Umwelt vom Leibe zu halten, hatte mit dem ersten ihrer Begrüssungsküsschen Risse bekommen und war mit jedem Schlag ihrer langen Wimpern weiter geschmolzen, während sie ihm die geheime Kammer zeigte.

„Das ist ja sagenhaft“, staunte Ore, als er begriffen hatte, wozu der Raum diente. „Von hier aus können wir das ganze Tal verteidigen“, Er starrte auf einen winzigen, weissen Strich am südlichen Rande des Tals, das für den Beginn einer frisch gelegten Strasse stand. Neben diesem leuchteten plötzlich je drei dunkelviolette Linien auf, die sich sogleich in drei Bögen übereinander über die Strasse spannten. „Sieh dir das an“, murmelte er Tzarynathra zu, „der alte Fuchs hat doch tatsächlich die Strasse geschützt.“ Das ärgerte Oreantur mehr, als er zugeben mochte, denn er war automatisch davon ausgegangen, dass er das Stück neu gelegte Strasse wieder zerstören würde. „Zeig mir diese Stelle!“ befahl Tzarynathra der Kammer und deute auf die weisse Linie.

Eine der Glaswände erwachte und zeigte aus der Vogelperspektive den Waldrand und das Stück Strasse. Einige schwarze Punkte bewegten sich darauf. „Zeig mir Belessegor!“, sagte Ore im gleichen Ton wie Tzarynathra, und die Glaswand flirrte und offenbarte nun den Blick auf einen kleinen, dicken Zauberer, der mit seinem Gehstock herumfuchtelte und offenbar Beschwörungen sprach. Neben ihm stand etwas, das wie eine zerfetzte schwarze Wolke aussah, die sich nicht ganz dazu durchringen konnte, zu einem kleinen Taifun zu werden. Während Oreantur sich noch fragte, was das wohl sein mochte, erschienen auf dem Modell des Tals unmittelbar neben der Strasse weitere Linien in dunkelviolett.

„Und er schützt sie ziemlich gut“, kommentierte Tzarynathra.

Ore starrte auf die magischen Mauern, die Belessegor empor riss, und auf die Bewegungen, die er dazu mit seinem Gehstock machte. Allmählich gewann ein vager Verdacht an Substanz, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Belessegor hatte einen Fehler gemacht.

Ein Kringeln lief durch seinen inzwischen rotblond melierten Bart. „Ich muss vor Ort nachsehen, um genau zu wissen, wie ich etwas ausrichten.“

Tzarynatra berührte ihn am Oberarm und machte grosse Telleraugen. „Geh nicht, wenn dir nun etwas passiert.“ Oreantur wandte sich wieder dem Modell zu, liess ihre Hand aber wo sie war.

Sein Blick verfing sich in der Miniatur seines Tals, das – ganz wie das Original – im Südosten etwas abfiel, und auf die beiden Bäche, die unweit der neuen Strasse durch den Wald mäandrierten. Einige Male verbreiterten ie sich zu kleinen Tümpeln, in denen Oreantur winzige lila Punkte schimmern sah. „Was ist das?“, fragte er Tzarynathra, doch der Raum antwortete an ihrer Stelle und zeigte die Eier auf dem Grund des Wassers.

„Die rühren sich nicht“, erklärte Tzarynathra. „Ich hab's ausprobiert. Ich glaube, es ist ihnen hier zu kalt.“ Ein kleiner Teil von ihr machte sich Sorgen, dass Ore jetzt auf 'Tzarynathras Winter' zu sprechen kommen würde, doch dieser schüttelte nur den Kopf und erklärte, es gäbe ja auch im Hohen Norden Irrlichter, und die hier – er deutete auf die Eier - „schlüpfen wohl eher nicht, weil ihnen der Wasserdruck nicht passt.“ „Aber ansonsten hast du da einiges in petto“, er deutete hie und da auf kleine Markierungen auf der Miniatur und liess ihr Anblick auf den magischen Glasflächen erscheinen. Allmählich begann sich das Bild einer kleinen Armee von Kreaturen abzuzeichnen, die durchaus in der Lage waren, den Schwarzkliff für Jahrzehnte zu schützen. Aber leider nur den Schwarzkliff und nicht das gesamte Tal, das offenbar als Austragungsort für potentielle Kampfhandlungen vorgesehen war und Ores Turm damit mitten in eine Gefahrenzohne brachte.

Er sprach den Gedanken laut aus und Tzarynathra erwiderte neckisch, er könne ja zu ihr ziehen, da der Schwarzkliff schliesslich gross genug sei.

„Nein“, meinte Ore mit vertrauter Garstigkeit, „ich bleibe in meinem Turm“, und als sie ihn mit grossen Augen ansah, brummte er: „Du kannst mich ja besuchen kommen.“

„Wenn du vorher ein Bad nimmst“, neckte ihn Tzarynathra.

Ore quittierte diese Bemerkung mit erhabenem Schweigen und starrte wieder auf das Modell des Tals.

„Wenn wir hier“, er deutete einen Halbmond an, der die südliche Seite des Tals bedeckte, „alles an Getier wecken, das uns zur Verfügung steht, und ich gleichzeitig ein paar Bänne um meinen Turm lege, dann sollte das Belessegor doch eine Zeitlang aufhalten.“ Als Tzarynathra den Mund öffnete, fuhr er schnell fort: „Ich weiss, dass es ihn nicht stoppen wird, aber er wird Zeit und Kraft brauchen, weil er sich jeden Stein in der Strasse erkämpfen muss.“

Tzarynathra schien nicht begeistert. „Das wird nicht reichen. Jedenfalls nicht für lange.“

„Hast du eine bessere Idee?“

„Du ziehst zu mir. Hier können wir uns ideal verteidigen, und dein Diener wird uns beiden von Nutzen sein.“

„Ich habe keine Diener“, sagte der Zauberer prompt patzig.

Sie sah ihn scheel an. „Ich bin neulich als Spatz um deinen Turm herum geflogen und habe durch die Fenster hinein gespäht. Du warst in deinem Turm am Lesen, ein blonder Junge hat ein bisschen herumgezaubert und irgend eine Brühe angerührt, die nach Rosenwasser roch, und ein junger Mann hat draussen Holz gehackt. War das kein Diener?“

„Urg ist-“, Oreantur brach ab, um sich die Erklärung zu sparen, welchen Platz er in der Gesellschaft des Turms einnahm und welche nicht. So schloss er: „Urg ist kein Diener. Er war mein Lehrling, aber er hat Mühe mit dem Lernen und kann kaum lesen, darum erledigt er den Haushalt. Aber ich schätze ihn. Ausserdem war er es, der den ersten Schlag gegen Belessegor geführt hat.“ Und er erzählte ihr, wie Urg einen Trupp Strassenbauer vernichtete hatte.

Tzarynathra schien enttäuscht, da sie nun keinen Bediensteten erwarten konnte, und so hatte sie einen hervorragenden Vorwand, um einen anbetungswürdigen Schmollmund zu ziehen und Ore die kalte Schulter zuzudrehen.