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Die attraktive Polizeischülerin Ashley Montague und Detective Jake Dilessio wissen, dass sie den Serienkiller, der für eine Reihe brutaler Morde an Frauen verantwortlich ist, so schnell wie möglich dingfest machen müssen. Denn der Täter führt sie mit falschen Fährten an der Nase herum und ist ihnen immer einen tödlichen Schritt voraus.
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Seitenzahl: 645
Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Heather Graham
Am Anfang war der Tod
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Rainer Nolden
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Cora Verlag GmbH & Co. KG,
Axel-Springer-Platz 1, 20350 Hamburg
Deutsche Erstveröffentlichung
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Picture Me Dead
Copyright © 2003 by Heather Graham Pozzessere
erschienen bei: Mira Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V., Amsterdam
Konzeption/Reihengestaltung: fredeboldpartner.network, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Titelabbildung: by GettyImages, München
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprise S.A.,
Schweiz Satz: Berger Grafikpartner, Köln
ISBN 978-3-95576-174-5
www.mira-taschenbuch.de
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
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Am Anfang war der Tod
Die Mordkommission von Miami steht vor einem schier unlösbaren Rätsel. Noch immer ist der brutale Killer nicht gefasst, der für eine Serie grausamer Morde an Frauen verantwortlich ist. Der seltsame Verkehrsunfall eines scheinbar Drogensüchtigen wirft plötzlich ein neues Licht auf die schrecklichen Taten. Denn die hochbegabte Polizeischülerin Ashley Montague und Detective Jake Dilessio vermuten, dass der Mörder auch hier seine Finger im Spiel hat. Da wird erneut eine entsetzlich verstümmelte Frauenleiche gefunden. Und ein schrecklicher Verdacht keimt in Ashley auf.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in das Zimmer, das vom Mondlicht nur schwach erleuchtet wurde. Unvermittelt war ihr bewusst geworden, wo sie sich befand – und dass ein Mann neben ihr lag. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren, während sie versuchte, sich an die Ereignisse der vergangenen Stunden zu erinnern. Vergeblich. Ihr Gedächtnis war wie ein weißes Blatt Papier. Dabei hatte sie geglaubt, so vorsichtig zu sein und sich so geschickt zu verhalten. Stattdessen war sie geradewegs in eine Falle gelaufen.
Angespannt lauschte sie. Seine regelmäßigen und tiefen Atemzügen sagten ihr, dass er eingeschlafen war.
Jetzt war sicher nicht der richtige Augenblick, um darüber nachzugrübeln, was sie getan hatte und in welch unangenehme Lage ihre Nachforschungen sie gebracht hatten. Ihr blieb keine Zeit, sich Gedanken über die Folgen ihrer Handlungen zu machen. In diesen Sekunden sollte sie besser nur an eines denken.
An Flucht.
Vorsichtig rollte sie sich auf die Seite. Geräuschlos schlüpfte sie aus dem Bett und zog sich so leise wie möglich an.
„Wo willst du denn hin?“
Sie fuhr herum, eine Silhouette im Mondlicht. Auf einen Ellbogen gestützt, beobachtete er sie aufmerksam.
Mit einem aufgesetzten Lächeln ging sie zurück zum Bett, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Stirn. „Was für eine Nacht“, bemerkte sie leichthin. „Wow! Ich habe auf einmal eine unbändige Lust auf Eis bekommen. Und auf Kaffee. Mir ist ganz schwindlig im Kopf“, setzte sie hinzu. Hoffentlich kamen ihm ihre nächtlichen Gelüste nicht verdächtig vor. Jetzt, wo sie es gerade bis hierhin geschafft hatte: ins innerste Heiligtum.
„In der Tiefkühltruhe ist ganz bestimmt Eis. Und Kaffee haben wir auch immer vorrätig.“
„Ich möchte nicht irgendein Eis. Ich will etwas von der neuen Sorte, die es bei Denny gibt“, entgegnete sie. „Gott sei Dank hat er rund um die Uhr geöffnet. Außerdem … nun ja, weißt du, es ist schon ein etwas merkwürdiges Gefühl für mich, hier zu sein. Bei dir.“
Sie richtete sich auf, schlüpfte in ihre Schuhe und griff nach ihrer Schultertasche, die sich seltsam leicht anfühlte.
„Es tut mir Leid“, sagte er sehr ruhig. „Aber du gehst nirgendwo hin.“
Im Dunkeln stand er auf. Sie wusste, auch ohne ihn deutlich sehen zu können, dass er einen außergewöhnlich muskulösen Körper hatte. Es wäre ein Fehler, seine Kräfte zu unterschätzen. Sich in Form zu halten, gehörte zu den bevorzugten Leidenschaften in seinem Leben. Ein paar andere kamen noch dazu.
„Ich möchte doch nur ein Eis“, beharrte sie.
Langsam ging er zu ihr hinüber. Sein Gesichtsausdruck war nicht grimmig, sondern eher mitleidig. „Du lügst. Ich glaube, du hast bekommen, was du wolltest, wonach du gesucht hast. Tut mir Leid, aber du gehst jetzt nicht weg.“
Sie griff in ihre Ledertasche und tastete nach ihrer Waffe.
„Die Pistole ist nicht mehr drin“, sagte er leise.
Er kam noch einen Schritt näher. Die Waffe war tatsächlich verschwunden. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis kam die Panik, und ihre Gedanken überschlugen sich. Sie musste weglaufen. So schnell wie möglich von hier verschwinden.
„Was hast du mit mir vor?“
„Ich möchte dir wirklich nicht wehtun.“
Dieser Mistkerl. Bestimmt wollte er ihr nicht wehtun. Er wollte sie nur umbringen.
Wieder trat er einen Schritt auf sie zu. Blitzschnell beschloss sie, ihre Tasche als Waffe zu benutzen. Gekonnt ließ sie sie um ihr Handgelenk wirbeln und traf ihn mitten ins Gesicht. Dann machte sie einen Satz auf ihn zu und rammte ihm ihr Knie mit aller Kraft zwischen die Beine. Sie hörte ihn nach Luft schnappen; dann brach er zusammen.
Sie stürmte aus dem Schlafzimmer.
Voller Panik lief sie durchs Haus, auf der Suche nach dem Ausgang. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Jemand versperrte ihr den Weg. Jemand, den sie sehr gut kannte. Vor Verblüffung blieb ihr den Mund offen stehen. Mit dieser Person hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Und nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich – deshalb war sie enttarnt worden; deshalb wussten sie, wer sie wirklich war.
„Du Miststück“, zischte sie.
„Aber jetzt wenigstens ein reiches Miststück.“
Sie hatte den Geschmack von Galle im Mund, und die Wut raubte ihr fast den Verstand. Jetzt wusste sie, in welch große Gefahr sie sich gebracht hatte. Vor Abscheu und Zorn brachte sie kein Wort hervor.
Es würde nichts an den Tatsachen ändern, die sie herausgefunden hatte.
Ihr Instinkt und ihr gesunder Menschenverstand gewannen die Oberhand. Jetzt konnte sie nur noch eines tun – sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.
Wie von Furien gehetzt, rannte sie los.
Sie durchquerte die Eingangshalle, erreichte die Haustür, drehte mit zitternden Fingern den Schlüssel herum und war im Freien. Keine Alarmsirene schrillte.
Natürlich nicht. Alarm würde nur … die Polizei aufmerksam machen.
Sie musste sich zusammenreißen, um nicht hysterisch zu werden.
Sekunden später lief sie die Einfahrt hinunter. Vom Haus hörte sie Schritte, die immer näher kamen.
Ihr war klar, dass sie es nicht bis zur Garage schaffen würde, um ihren Wagen zu holen. Bis dahin hätten sie sie schon längst erwischt. Sie musste laufen und konnte nur hoffen, so schnell wie möglich auf die Straße zu gelangen.
Vielleicht begegnete sie einem Frühaufsteher, der bereits mit seinem Wagen unterwegs war.
Sie hastete über die lang gestreckte Einfahrt, erstaunt darüber, dass sie so schnell laufen konnte, wenn es nötig war. Nein, nicht wenn es nötig war. Sondern weil sie verzweifelt war. Während sie versuchte, nicht an Tempo zu verlieren, kramte sie in ihrer Tasche nach dem Handy. Na bitte! Da war es ja.
Sie wählte die Nummer der Polizei. Nichts geschah. Das Handy hatten sie ihr gelassen. Doch den Akku hatten sie herausgenommen.
Unermüdlich sprintete sie weiter, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, mit ihren Kräften Haus zu halten. Adrenalin und Instinkt trieben sie vorwärts – und der Wille, zu überleben.
Plötzlich vernahm sie ein rasselndes Geräusch. Es klang schrecklich in ihren Ohren.
Dann merkte sie, dass es ihr eigener Atem war, der nur noch stoßweise ging. Na wenn schon! Es war ihr gelungen, aus dem Haus zu fliehen, womit die anderen vermutlich nie gerechnet hatten. Ein kleiner Sieg. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, so weit wie möglich zu kommen und Hilfe zu finden, ehe sie sie erneut erwischten.
Sie schluckte hart und ignorierte das Brennen in ihren Lungen und die glühenden Schmerzen in ihren Muskeln. Darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen, denn sie hatte noch einen weiten Weg vor sich. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte mit letzter Kraft gegen die Welle von Hysterie an, die über ihr zusammenzuschlagen drohte.
Endlich hatte sie die Straße erreicht. Wie dunkel die Nacht auf dem Land sein konnte! Sie war in der Großstadt aufgewachsen, und dort war es immer hell gewesen. Hier draußen dagegen …
Sie war noch nicht weit gekommen, als die Schmerzen in den Muskeln sie erneut zu lähmen drohten. Ihre Lungen standen in Flammen.
Unvermittelt tauchten Lichter in der Dunkelheit vor ihr auf und blendeten sie. Ein Wagen! Genau in dem Moment, als sie Hilfe so bitter nötig hatte, kam ein Wagen die Straße entlang. Stolpernd blieb sie stehen und konnte nicht fassen, dass ein Wunder geschehen war. Sie lief zur Fahrertür. „Gott sei Dank! Rutschen Sie rüber. Machen Sie schnell.“
Sie spürte den Pistolenlauf, der von hinten in ihre Rippen gepresst wurde.
Und sie hörte sein Flüstern. Er war nicht einmal außer Atem.
„Das Spiel ist aus.“
Sie erstarrte und blickte den Fahrer an. Sah das lächelnde Gesicht, das sie sofort erkannte. Das Herz sank ihr in die Magengrube.
Sie betete und flehte um Vergebung für ihre Sünden. Stolz und Überheblichkeit waren ihre schlimmsten.
Oh Gott, ja. Viel zu viel Stolz. Und Dickköpfigkeit. Sie hatte die Wahrheit allein herausfinden wollen – und sie hatte auch die Ehre für sich allein gewollt.
Die Ehre! Was für eine lächerliche Vorstellung – unter diesen Umständen.
Erstaunlich, dass jemand mit einer solchen Überheblichkeit so verängstigt sein konnte.
Nur keine Panik! Gib nicht auf! redete sie sich ein. Tu jetzt bloß das Richtige. Erinnere dich an die Tricks, benutze deinen gesunden Menschenverstand. Verhalte dich psychologisch geschickt. Tu all das, was du gelernt hast …
Um das hier zu überleben.
Und bete. Ihr taten all die Menschen Leid, denen sie Unrecht zugefügt und die sie verletzt hatte.
„Gehen wir“, sagte er eisig.
„Erschieß mich doch hier.“
„Nun, das könnte ich wirklich. Aber erst mal tust du, was ich dir sage. Solange du lebst und atmest, kannst du hoffen, nicht wahr? Selbst wenn es nur eine verschwindend geringe Hoffnung ist, dass du den Spieß vielleicht noch herumdrehen könntest. Also los, steig ein! Setz dich neben den Fahrer, sofort. Und keine schnelle Bewegung. Ich bleibe dicht hinter dir.“
Sie tat, was er von ihr verlangte. Er hatte Recht. Sie würde wirklich bis zur letzten Sekunde kämpfen, bis zu ihrem letzten Atemzug. Er schob sie auf den Beifahrersitz, während er auf der Rückbank Platz nahm. Die ganze Zeit hielt er die Pistole auf sie gerichtet. Fieberhaft überlegte sie. Was hatte er vor? Wie wollte er es anstellen, jeden Hinweis darauf, dass sie hier gewesen war, zu beseitigen?
Als sie auf das Haus zufuhren, öffnete sich das Garagentor. Der Wagen bremste, und er zog sie heraus. Er bedeutete ihr, vor ihm herzulaufen. „Ich denke, es ist Zeit für einen weiteren Ausflug.“
Sie warf ihm einen Blick zu.
Er lächelte sie grimmig an.
„Leider wird es dein letzter sein.“
Die Tür ihres eigenes Wagens stand offen. Die Mündung der
Pistole bohrte sich hart in ihren Rücken, und sie stieg ein. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Denn er hatte Recht: Sie würde nicht aufgeben, solange sie atmete. Solange sie hoffen konnte.
Jemand, den sie nicht kannte, ein schweigender Komplize, erwartete sie. Als man sie auf den Fahrersitz zwang, nahm der Mann hinter ihr Platz.
Er selbst setzte sich neben sie und befahl ihr loszufahren.
Hoffnung …
Mit einer Drehung des Zündschlüssels war sie ihrem Tod ein kleines Stück näher gekommen.
Sie musste sich an die Hoffnung klammern.
Um sich von ihrer Angst abzulenken, redete sie. Und auch, damit die anderen nichts von ihrer Angst spürten. Sie sollten keineswegs merken, wie ihr zumute war.
„Ihr seid wirklich die miesesten Schweine, die ich kenne. Das alles hatte doch nichts mit Religion zu tun. Ihr habt so viele Menschen getäuscht, indem ihr ihnen das Seelenheil versprochen habt.“
„Ach, zu dumm. Jetzt hast du uns erwischt. Kluges Mädchen. Viel zu klug. Aber doch nicht klug genug, um den Wald vor lauter Bäumen zu sehen.“
Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und versuchte, das Gesicht der Person zu erkennen, die hinter ihr saß. War das möglicherweise ihr Verräter? Sie war ja so dumm gewesen! Sie hätte die Wahrheit erkennen müssen … aber selbst die anderen hatten nicht das Geringste geahnt. Schließlich gab es ja keinen Grund, etwas so Abscheuliches von einem Menschen zu erwarten, der nach außen hin so anständig wirkte.
Ein Schauder fuhr ihr über den Rücken. Hätte sie doch bloß etwas gemerkt …
Sie klang ungeduldig und herrisch, als sie das Wort ergriff. „Ihr könntet beide noch aus der Sache herauskommen, ohne dass ihr die Todesstrafe befürchten müsstet. Lasst mich zum Polizeirevier fahren. Erzählt die Wahrheit. Ich bin sicher, dass man über das Strafmaß verhandeln kann.“
„Wir können dich unmöglich laufen lassen“, sagte der Mann neben ihr, und seine Stimme klang gefährlich leise. „Es tut mir Leid.“
In diesem Moment wurde ihr klar, dass er ihr tatsächlich keinen Schmerz zufügen wollte. Dass es ihm wirklich Leid tat, was er mit ihr tun würde. Und gleichzeitig erkannte sie, dass er nicht derjenige war, der hier das Sagen hatte.
„Wenn mir etwas passiert, ist die Sache noch längst nicht vorbei. Dilessio wird hinter euch her sein, bis zu seinem letzten Atemzug.“
Ein wütender Laut hinter ihr ließ sie zusammenzucken. Vielleicht sollte sie besser den Mund halten. „Dilessio wird nicht das Geringste beweisen können.“
„Dazu werden sie dich erst finden müssen“, schaltete sich der Mann auf dem Beifahrersitz mit unverändert leiser Stimme wieder ein.
Er hatte selber Angst, das spürte sie ganz deutlich. Und ihr wurde bewusst, dass sie noch nicht einmal einen Bruchteil von dem herausgefunden hatte, was hier wirklich vor sich ging.
Jetzt war es sowieso zu spät dafür.
Kluges Mädchen. Wirklich!
Während sie den Anweisungen folgte, die sie zu ihrem Ziel bringen sollten, begann sie, stumm zu beten. Sie bat Gott, sie gnädig aufzunehmen und ihr die vielen Sünden zu vergeben, die sie begangen hatte.
Einen Ausweg gibt es vielleicht noch, überlegte sie. Gas geben, gegen einen Baum fahren und alle mit in den Tod reißen.
Gerade als sie es tun wollte, wurden ihr die Hände vom Lenkrad gerissen. Der plötzliche Druck auf ihre Finger war so schmerzhaft, dass sie ihre Absicht vergaß. Der Wagen rollte aus.
„In Ordnung. Hier können wir stehen bleiben“, sagte der Mann auf dem Rücksitz.
Ihre Hände taten immer noch höllisch weh. Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren, und überlegte, wie sie die beiden Männer überwältigen könnte, denen sie auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
Es gab keine Möglichkeit.
Oh Gott …
Der Schlag kam unvermittelt. Ihr Kopf wurde von hinten mit brutaler Gewalt gegen die Windschutzscheibe geschleudert. Als alle Lichter ausgingen, als sogar der Schmerz zu einem gnädigen Nichts wurde, klang seine Stimme aus weiter Ferne an ihr Ohr. Sie war so vage wie das Vergessen, das sich in ihr ausbreitete und sie in Empfang nahm.
„Ich wollte dir wirklich niemals wehtun. Es tut mir so Leid. Es tut mir wirklich Leid.“
Bitte, Gott, vergib mir.
Ihre Gedanken konzentrierten sich auf das Gebet.
Die Worte zerfielen in Einzelteile wie die Splitter eines zerbrechenden Glases.
Und dann gab es nur noch die Dunkelheit.
Fünf Jahre später
Erst später gestand Ashley sich ein, dass der Vorfall wenigstens zum Teil ihre Schuld gewesen war. Irgendwie hatte er ihr auch einen leichten Schreck versetzt. Und Erschrecken hatte zumindest entfernt etwas mit Angst zu tun. Nur ungern gab sie zu, dass Kleinigkeiten ihr Angst bereiten konnten. Es passte einfach nicht zu der Lebensweise, die sie für sich gewählt hatte.
Also …
Ja, es hätte durchaus ihre Schuld sein können. Aber es war noch nicht einmal sechs Uhr morgens. Einige von Nicks Stammgästen kamen in der Tat manchmal sehr früh. In der Morgendämmerung klopften sie an die Tür, weil sie wussten, dass er bereits aufgestanden war. Allerdings hatte sie nicht im Entferntesten damit gerechnet, einem von ihnen bereits vor Sonnenaufgang über den Weg zu laufen.
Es war noch dunkel. Für einige Leute also mitten in der Nacht.
Außerdem hatte sie gerade das Handy am Ohr. Beim Signalton hatte sie mit einem Anruf von Karen oder Jan gerechnet, die sich erkundigen wollten, ob sie schon wach und unterwegs war. Und obwohl sie mit ihrem Kaffee, ihrer Handtasche, ihren Schlüsseln und ihrer Reisetasche bepackt war, hatte sie den Anruf beantwortet. Am anderen Ende war allerdings weder Karen noch Jan, sondern ihr Freund Len Green, der schon seit einiger Zeit bei der Polizei arbeitete und ihr Vorwärtskommen wohlwollend beobachtete – ganz so, als wäre er ihr Vater. Er hatte angerufen, weil er wusste, dass sie in wenigen Minuten losfahren würde. Er wolle ihr noch einen fantastischen Urlaub wünschen, hatte er ihr auf seine ironische Art zu verstehen gegeben. Und außerdem sicher gehen, dass sie früh genug aus den Federn gekommen war, um Jan und Karen rechtzeitig abzuholen, für die Ashley den Chauffeur spielen wollte. Lachend bedankte sie sich bei Len und gab ihm mit leicht pikiertem Unterton zu verstehen, dass sie immer rechtzeitig wach wurde. Beiläufig erzählte er ihr, dass er möglicherweise nach der Arbeit mit ein paar Freunden, die bei der Feuerwehr arbeiteten, ebenfalls nach Orlando fahren würde, und dass sie sich vielleicht treffen könnten. Als sie die Haustür öffnete, hielt sie das Handy noch in der Hand und drückte auf die Taste, um das Gespräch zu beenden.
Niemand hatte an die Tür geklopft. Sie hatte kein Geräusch gehört. Voll und ganz damit beschäftigt, dass ihr die Gepäckstücke nicht aus der Hand fielen, hatte sie die Tür geöffnet und war hinausgestürmt.
Mit ziemlich viel Schwung.
Und geradewegs in ihn hineingelaufen.
Er stand im Schatten des Hauses und war im fahlen Licht des Morgens kaum zu erkennen. Fast hätte sie laut aufgeschrien, als ihre Reisetasche auf seine Füße fiel. Eine der Keksdosen, die sie auf dem Unterarm balancierte, landete auf dem Boden. Der Kaffeebecher, der sich in ihrer Hand den Platz mit dem Schlüssel teilen musste, rutschte ihr aus den Fingern, und die heiße Flüssigkeit ergoss sich über sie beide.
„Verdammt!“
„Verdammt!“
Er trug ein kurzärmeliges Jeanshemd, dessen oberste Knöpfe offen standen, so dass der Kaffee seine Brust verbrühte. Unwillkürlich stieß er einen Fluch aus – zur selben Zeit wie sie. Sie hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und trat schnell einen Schritt zurück. Aber da er offenbar nicht die Absicht hatte, sie zu bedrohen, beschloss sie, ihren Schrei zurückzuhalten.
Er sah aus wie einer der braun gebrannten Schönlinge, die den ganzen Tag am Strand herumlungerten.
„Was, zum Teufel …?“ stotterte sie.
„Ja – was zum Teufel?“ wiederholte er und strich über das
Hemd, auf dem der Kaffee einen braunen Fleck hinterlassen hatte.
„Ich wollte zu Nick.“
„So früh am Morgen?“
„Entschuldigen Sie bitte, aber er hat mich ausdrücklich gebeten, ‚so früh am Morgen‘ zu kommen.“
Der Mann war ziemlich sauer. Einer von Nicks Freunden vermutlich. Sie trat noch einen Schritt zurück und musterte ihn stirnrunzelnd von oben bis unten. Sie hatte ihn schon einmal gesehen. Aber er war nicht oft hier gewesen. Er gehörte nicht zu den Typen, die die Bar bevölkerten und jeden Sonntag die Footballübertragungen im Fernsehen verfolgten. Er war ruhiger. Eigentlich hatte er immer sehr nachdenklich gewirkt – jedenfalls die wenigen Male, die sie ihn überhaupt bemerkt hatte. Entsprechend gekleidet, hätte er Heathcliff aus Emily Brontës „Sturmhöhe“ sein können, der gedankenverloren übers Moor lief. Bisher hatte er immer gesessen, wenn sie ihn wahrgenommen hatte. Jetzt bemerkte sie, dass er ziemlich groß war – fast einsneunzig. Er hatte dunkles Haar, dunkle Augen, markante Gesichtszüge und war irgendwo zwischen Ende zwanzig und Mitte dreißig. Er machte den Eindruck, als würde er viel Zeit im Freien verbringen. Allerdings sahen viele Leute rund um den Yachthafen so aus: tief gebräunt und durchtrainiert. Was nicht zu übersehen war bei seinen abgeschnittenen Jeans und dem offen stehenden Hemd. Wahrscheinlich hatte er es nur hastig übergestreift, um den Gesetzen von Florida Genüge zu tun. Die verlangten nämlich von den Besuchern einer Bar oder eines Restaurants, Hemd und Schuhe zu tragen. Dabei stand er gar nicht vor dem Eingang des Lokals, sondern war zur Hintertür gekommen, die zu den Privaträumen führte.
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