"Am Beispiel meines Bruders" von Uwe Timm. Ein Beitrag zur literarischen Erinnerungskultur - Hans-Georg Wendland - E-Book

"Am Beispiel meines Bruders" von Uwe Timm. Ein Beitrag zur literarischen Erinnerungskultur E-Book

Hans-Georg Wendland

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Beschreibung

Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Literatur, Werke, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (Deutsches Seminar), Sprache: Deutsch, Abstract: In den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die zwischen 1933 und 1945 und vor allem während des zweiten Weltkriegs verübten Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft in der Öffentlichkeit kaum kontrovers diskutiert. Die Adenauer-Regierung verfolgte eine Strategie der Wiedereingliederung erfahrener Funktionseliten in den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Westdeutschlands. Anstatt sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, nahm man eine Haltung des so genannten „kollektiven Beschweigens“ ein – eine Haltung des „Nicht-darüber-Sprechen“ , die Uwe Timm in seinem Buch als „Feigheit“ und „Totschweigen“ anprangert. Diese Arbeit beschäftigt sich mit Uwe Timms Erzählung 'Am Beispiel meines Bruders' und stellt sich die Frage, inwiefern dieser Text einen Beitrag zur literarischen Erinnerungskultur leistet.

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Inhalt

 

1. Vom Vergessen und Verschweigen zum Erinnern

2. „Am Beispiel meines Bruders“ als Beispieltext der literarischen Erinnerungskultur

3. Zwischen Nähe und Ferne: Das Beziehungsgeflecht der Figuren und der zeitgeschichtliche Hintergrund

3.1 Der Vater

3.2 Die Mutter

3.3 Die Schwester

3.4 Der Bruder

4. Zusammenfassende Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

 

1. Vom Vergessen und Verschweigen zum Erinnern

 

„Kollektives Beschweigen“ statt kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

 

In den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden die zwischen 1933 und 1945 und vor allem während des zweiten Weltkriegs verübten Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft in der Öffentlichkeit kaum kontrovers diskutiert. Angesichts der von den Machthabern der Nazidiktatur angerichteten Gräuel und unter der Bürde einer als traumatisch empfundenen Vergangenheit stellten sich viele auf die Seite der Opfer und waren allenfalls Mitläufer, aber nicht Mittäter und Mitverantwortliche gewesen. Die Adenauer-Regierung verfolgte eine Strategie der Wiedereingliederung erfahrener Funktionseliten in den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Westdeutschlands. Anstatt sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, nahm man eine Haltung des so genannten „kollektiven Beschweigens“ ein (vgl. Hermann Lübbe „Vom Parteigenossen zum Bundesbürger über beschwiegene und historisierte Vergangenheiten“, 1980) – eine Haltung des „Nicht-darüber-Sprechen“ , die Uwe Timm in seinem Buch als „Feigheit“ und „Totschweigen“ anprangert. (BB 133) „Unter diesen Rahmenbedingungen wurde in den 50er und 60er Jahren die Last der traumatischen Vergangenheit zunächst durch Vergessen entsorgt bzw. anästhesiert.“ (Assmann, A.: Von kollektiver Gewalt ..., 43) Uwe Timm erteilt hierzu Primo Levi das Wort, der in seinem Buch „Die Untergegangenen und die Geretteten“ (1990) in diesem Schweigen „die tiefste Schuld der Deutschen“ sieht. (BB 106) „Dieses Totschweigen war schrecklicher als das langatmige Reden derjenigen, die sich mit dem Wir-haben-nichts-gewußt zu entschuldigen suchten.“ (Ebd.) Dabei gab es einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland im Umgang mit der Frage nach Schuld undVerantwortung. Im Westen konzentrierte man sich auf den Wiederaufbau und den wachsenden individuellen Wohlstand und neigte dazu, die Verbrechen des Dritten Reiches mit den an Deutschen während der Flucht verübten Verbrechen zu verrechnen (Relativierung der Schuld). Aufgrund der sowjetischen Unterscheidung zwischen dem „guten“ deutschen Volk und seiner „verbrecherischen“ Führung, wähnte man sich im Osten auf der guten Seite eines mit dem sozialistischen Aufbau beschäftigten Arbeiter- und Bauernstaates. Die Aufarbeitung von Faschismus und Krieg wurde damit zur Sache Westdeutschlands erklärt.

68er Studentenbewegung, „Historikerstreit“ und „Erinnerungskultur“

 

Die sogenannte 68er Studentenbewegung setzte sich zum Ziel, das zu hinterfragen, „was verschwiegen und verdrängt worden war“ (AE 77) und protestierte dagegen, dass „immer schneller und selbstverständlicher“ die politisch Verantwortlichen der NS-Diktatur „in die Ämter, Schulen, Führungspositionen der Wirtschaft [und] die Gerichte“ (ebd. 96) zurückkehrten. Durch diese Protestbewegung und die „Empörung und Wut“ (ebd. 77), die sie bei vielen jungen Menschen auslöste, entstand ein Generationenkonflikt, der auch in Uwe Timms Biografie eine bedeutende Rolle spielt und in „Am Beispiel meines Bruders“ Berücksichtigung findet. Im Zuge des Mitte der achtziger Jahre einsetzenden „Historikerstreits“[1] veränderten sich die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Von „Vergessen“ oder „Verschweigen“ erfolgte nun eine begriffliche Schwerpunktverlagerung zu „Erinnern“. Statt von „Vergessen“, „Schlussstrich“, „Vergangenheitsbewältigung“ und „Wiedergutmachung“ (vgl. Assmann, A.: Von kollektiver Gewalt ..., 44), sprach man jetzt von einer „Kultur des Erinnerns“ und prägte somit den neuen Begriff der „Erinnerungskultur“. (Ebd.) Damit wurde die „Schlussstrichmentalität“ aber keineswegs aus dem Wege geräumt. Nach wie vor meldeten sich Stimmen zu Wort, die argumentierten, dass mit dem Bekenntnis zur Schuld am begangenen Unrecht und der darüber empfundenen Reue die Bürde der Vergangenheit nun aber wirklich abgetragen sei und man sich dem weiteren Ausbau einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zuwenden sollte.[2]

 

„Erinnerungsliteratur“ und „Degradierung der Väter“

 

Seit den neunziger Jahren verwendet man in Ergänzung zum Begriff „Erinnerungskultur“ den Begriff „Erinnerungsliteratur“. (Vgl. beispielsweise Assmann, A.: Wem gehört die Geschichte? 222) Dabei geht es um Bücher, „in denen sich die Autoren mit den Verstrickungen der eigenen Familie in die Verbrechen der NS-Zeit auseinandersetzen“ und „die im Spannungsfeld zwischen autobiographischem Erleben und 'großer' Zeitgeschichte angesiedelt sind.“ (Bellmann 6) Unter dieser Rubrik findet man beispielsweise eine kritische, unter dem Schlagwort „Väterliteratur“ bekannt gewordene literarische Strömung mit Werken wie das schon 1980 von Christoph Meckel[3] erschienene Buch „Suchbild. Über meinen Vater“, in dem sich der Autor auf der Grundlage von Tagebüchern seines Vaters dessen Taten während der NS-Zeit stellt, um das bisherige Bild vom Vater zu dekonstruieren, das nach dem Krieg von allem Schuldhaften gereinigt worden war. Man findet aber auch apologetische Texte wie das Buch von Ingeburg Schäfer und Susanne Klockmann mit dem nachdenklich machenden Titel „Mutter mochte Himmler nie“ (1999), in dem das Wirken des Vaters der beiden Autorinnen – ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und hoher SS-Führer – nicht etwa hinterfragt und problematisiert, sondern er als moralisch aufrechter Mann gewürdigt wird. Dabei nehmen die Autorinnen eher eine Opferperspektive ein. Sie betonen nicht so sehr die Unmenschlichkeit des NS-Systems, sondern das Leid der Familie. Uwe Timm spricht in diesem Zusammenhang von einer „Degradierung der Väter“ (BB 69), die bereits gleich nach dem verlorenen Krieg einsetzte und tiefe Spuren im Selbstverständnis der Betroffenen hinterließ. Gerade deswegen habe er aber eine „intensive Auseinandersetzung“ (Bartels: „Ich wollte das in aller Härte“ ..., 2) mit dem eigenen Vater angestrebt. Durch diese „Erinnerungsarbeit“ sei schließlich „ein großes Verständnis für ihn entstanden“ (ebd.), ohne ihn in irgendeiner Weise in Schutz nehmen zu wollen.