Am Lebensende zu sich selbst finden - Julia Weber - E-Book

Am Lebensende zu sich selbst finden E-Book

Julia Weber

0,0
21,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die letzte Lebensphase - ein Fach- und (Selbst-)Hilfebuch Die Herausforderungen der letzten Lebensphase können Schwerstkranke erschüttern. Sie durchleiden ihren Alltag im Tunnelblick, in innerer Erstarrung und Handlungslähmung. Auch bei Angehörigen und professionellen Fachkräften im Bereich Palliative Care werden nicht selten innere Grenzen erreicht. Der Zugang zu den eigenen Bedürfnissen und zum eigenen Selbst kann regelrecht verschüttet sein. Julia Weber und Daniel Berthold zeigen anschaulich und einfühlsam, wie das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM®) Menschen unterstützen kann, die mit dem Thema Sterben in Kontakt kommen. Sie stellen den Lesenden Methoden des ZRM® zur Verfügung, die direkt auf die Aktivierung des Selbst zielen. Betroffene, Angehörige und Fachkräfte lernen, ihre Gefühle (wieder) wahrzunehmen und zu regulieren, den Überblick über die aktuelle Situation zu erlangen und selbstbestimmte, gute Entscheidungen zu treffen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Am Lebensende zu sich selbst finden

Am Lebensende zu sich selbst finden

Julia Weber, Daniel Berthold

Julia Weber

Daniel Berthold

Am Lebensende zu sich selbst finden

Methoden zur Stärkung des Selbstzugangs von Schwerstkranken, Angehörigen und Begleitern

Dr. Julia Weber

Institut für Selbstmanagement und Motivation Zürich

Spin-off der Universität Zürich

Scheuchzerstrasse 21

8006 Zürich

Schweiz

[email protected]

Dr. Daniel Berthold

Medizinische Klinik V,

Internistische Onkologie und Palliativmedizin

Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Gießen

Klinikstraße 33

35392 Gießen

Deutschland

[email protected]

Geschützte Warennamen(Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht.

Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich

um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright-Hinweis:

Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Psychologie

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41313004500

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Dr. Susanne Lauri

Bearbeitung: Maria Schorpp, Konstanz

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: Kohei Hara, Getty Images

Gesamtgestaltung, Layout und Illustrationen: Claude Borer, Riehen

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-95972-6)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-75972-2)

ISBN 978-3-456-85972-9

http://doi.org/10.1024/85972-000

Nutzungsbedingungen:

Der Erwerber erhält ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht, das ihn zum privaten Gebrauch des E-Books und all der dazugehörigen Dateien berechtigt.

Der Inhalt dieses E-Books darf von dem Kunden vorbehaltlich abweichender zwingender gesetzlicher Regeln weder inhaltlich noch redaktionell verändert werden. Insbesondere darf er Urheberrechtsvermerke, Markenzeichen, digitale Wasserzeichen und andere Rechtsvorbehalte im abgerufenen Inhalt nicht entfernen.

Der Nutzer ist nicht berechtigt, das E-Book – auch nicht auszugsweise – anderen Personen zugänglich zu machen, insbesondere es weiterzuleiten, zu verleihen oder zu vermieten.

Das entgeltliche oder unentgeltliche Einstellen des E-Books ins Internet oder in andere Netzwerke, der Weiterverkauf und/oder jede Art der Nutzung zu kommerziellen Zwecken sind nicht zulässig.

Das Anfertigen von Vervielfältigungen, das Ausdrucken oder Speichern auf anderen Wiedergabegeräten ist nur für den persönlichen Gebrauch gestattet. Dritten darf dadurch kein Zugang ermöglicht werden.

Die Übernahme des gesamten E-Books in eine eigene Print- und/oder Online-Publikation ist nicht gestattet. Die Inhalte des E-Books dürfen nur zu privaten Zwecken und nur auszugsweise kopiert werden.

Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhalt

Inhalt

Geleitwort von Maja Storch

Vorwort der Autoren

Das Lebensende als Herausforderung für Schwerstkranke, Angehörige und Begleiter

Teil I Theoretische Grundlagen des Zürcher Ressourcen Modells

Zwei Systeme: Der Verstand und das Unbewusste

Funktionen des Selbst

Das Selbst am Lebensende

Bilder sind die Treppe ins Selbst

Teil II Die Anwendung der ZRM-Methodenin Palliative Care

Praxisteil A Sterbende und Angehörige

Gefühle in Sprache übersetzen und kommunizieren

Die eigenen Gefühle regulieren

Die Reise zum Selbst

Entscheidungen akzeptieren

Sofortmaßnahme gegen unerwünschte Automatismen

Praxisteil B Professionelle Begleiter in Palliative Care

Professionelle Nähe

Mit Iconics arbeiten

Aufmerksamkeit auf Gelingendes

Am Lebensende gestärkt …

Literaturverzeichnis

Autoren

Für Professor Julius Kuhl, als Dank für seine umfangreiche und inspirierende Forschung zum Selbst.

Für meine Palliative-Care-Teams der Uniklinik Gießen, die schwerstkranken Menschen jeden Tag aufs Neue bewundernswerte Empathie und Fürsorge entgegenbringen.

Geleitwort von Maja Storch

Ich bin so froh, dass dieses Buch geschrieben wurde.

Julia Weber und Daniel Berthold haben sich einer Thematik angenommen, die viele Menschen gerne ausblenden, bis „es soweit“ ist. Dabei gehört das alles zum Leben dazu. Werden und Vergehen, Geburt und Sterben, Auftauchen und Abschied nehmen.

Im Prinzip ist jede Geburt auch ein Todesurteil. Was geboren wird, wird auch sterben, das ist gewiss. „Am Lebensende zu sich selbst finden“ ist ein behutsames Buch über den Umgang mit dieser Unausweichlichkeit. Schwerstkranke und ihre Angehörigen sind oft hilflos und sprachlos, wenn es um das Sterben geht. Das muss nicht sein.

Auch am Lebensende kann man sich damit befassen, mit welcher Haltung man sich auf die Reise begibt. Es ist möglich, zu jeder Lebensphase eine Haltung einzunehmen. So auch zu der über jemanden hereinbrechenden Nachricht oder zum Wissen, künftig mit einer unheilbaren Krankheit leben zu müssen, die allmählich vom Alltag Besitz ergreifen und ihn immer mehr dominieren wird.

Das Zürcher Ressourcen Modell ist eine Selbstmanagement-Methode, die es ermöglicht, in einem systematischen Verfahren an der eigenen Haltung zu arbeiten. In psychologischer Terminologie spricht man von „Selbstzugang“. Angesichts des Endes – sei es des eigenen oder das Ende von jemandem, den wir lieben – ist der Verstand immer überfordert. Helfen kann hier nur ein anderer Teil des psychischen Systems, das Selbst. Von hier aus kann Ruhe kommen, Gelassenheit, Loslassen können, möglicherweise sogar Zuversicht und vertrauensvolles Geschehenlassen. Fachpersonen, die sich im Rahmen der Palliativ Care mit Sterbenden und ihren Angehörigen befassen, können viel darüber erzählen, wie unterschiedlich sich der Aufbruch zur letzten Reise gestalten kann. Sie wissen auch, dass sie in solchen Situationen nicht mit platten Sprüchen aufwarten dürfen und dass billige Worte des Trostes keine echte Seelenresonanz erzeugen. Aber wie kann man helfen? Sich selbst und anderen?

Anhand konkreter Fallbeispiele aus der Praxis erklären Julia Weber und Daniel Berthold gut nachvollziehbar, wie das Zürcher Ressourcen Modell dabei hilft, das Selbst zu aktivieren. Das Selbst kann Wunder vollbringen, die spirituell-religiöse Menschen heiligen Kräften zuschreiben. Aber auch Agnostikerinnen und Agnostiker können Selbstzugang erlangen – und zwar in jeder Situation, egal, wie schwer und unerträglich sie gerade ist.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch viele gute Entwicklungen in die Wege leitet, und schicke meine guten Gedanken und Gebete an alle, die sich in den Text vertiefen.

Ich bin so froh, dass dieses Buch geschrieben wurde.

Aach, im Frühjahr 2020

Maja Storch

Vorwort der Autoren

In der Regel erreicht uns das Thema Sterben, solange wir nicht Betroffene sind, nur in entschärfter Form: In den Nachrichten stark abstrahiert und ohne Bezug zum eigenen Leben, in Hollywoodproduktionen – mit Unterhaltungsanspruch – emotional verfälscht und verflacht.

Dass Sie sich mit dem Inhalt dieses Buches auseinandersetzen, mag vielfältige Gründe haben. In jedem Fall aber steht es für Ihre Bereitschaft, eine Nahaufnahme des Themas Sterben zu wagen. Vielleicht befinden Sie sich in einer Situation, in der Sie dem Lebensende auf persönliche Weise sehr nahegekommen sind. Vielleicht ist ein Ausweichen nicht mehr möglich. Vielleicht werden Sie aber auch durch Ihre berufliche Tätigkeit in der Versorgung Schwerstkranker oder durch Ihr ehrenamtliches Engagement im Hospizbereich zur Lektüre veranlasst.

Die Haupthypothese dieses Buches bleibt in jedem dieser Fälle gleich: Eine Nahaufnahme des Sterbens lässt sich in ihrer emotionalen Auswirkung beeinflussen. Und: Wir sind auch starken negativen Emotionen nicht hilflos ausgeliefert. Um in der Metapher des Fotografierens zu bleiben: Es hängt vom Objektiv ab, wie das Motiv eingefangen wird – verschwommen, verzerrt oder gar bedrohlich vergrößert.

Das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM; STORCH & KRAUSE, 2017) stellt eine Auswahl an Methoden zur Verfügung, die es erlauben, auch dann noch den realistischen Blick beizubehalten oder zurückzuerlangen, wenn das einzufangende Motiv an Bedrohlichkeit kaum zu überbieten ist.

In den praktischen Teilen des Buches werden Sie Gelegenheit haben, diese Methoden am Beispiel verschiedener Protagonisten kennenzulernen. Die Protagonisten gehen in Anlehnung an echte Menschen und Schicksale aus unserer praktischen Arbeit hervor.

Beginnen wird das Buch mit einer Einführung in die Besonderheiten der Situation und der Versorgung Sterbender sowie in wichtige theoretische Grundlagen des ZRM.

Im Praxisteil A unseres Buches geht es um die Anwendung des ZRM bei Sterbenden und ihren Angehörigen. Hier werden Sie einen zusätzlichen Protagonisten kennenlernen, den Psychologen Bruno. Bruno wird in diesem ersten Teil des Buches bei der Arbeit mit Sterbenden und Angehörigen die Methoden des ZRM nutzen.

Die Versorgung Sterbender erfolgt in Teams, die die Pflege, Medizin, Psychologie, Musik- und Kunsttherapie, Soziale Arbeit, Seelsorge sowie Physio-, Ergo- und Logotherapie vertreten. Im Praxisteil B des Buches geht es um die Frage, wie Profis aus all diesen Berufsgruppen die Methoden des ZRM für ihre Arbeit sowie ihr persönliches Selbstmanagement und Wohlbefinden einsetzen können.

Uns ist es wichtig zu betonen, dass wir nicht zwischen Methoden für Betroffene beziehungsweise Angehörige und für professionelle Begleiter unterscheiden. Alle hier vorgestellten Methoden dienen der Aktivierung des Selbst und können von allen genutzt werden. Aus allen drei Bereichen werden wir Beispiele geben, wie mit ZRM-Methoden gearbeitet werden kann, um den Selbstzugang der Personen zu stärken und so die Ressourcen des Selbst für die Belastungen und Bedrohungen der letzten Lebensphase verfügbar zu machen.

Wir wünschen Ihnen beim Lesen nun viele hilfreiche und anregende Impulse, um dem Lebensende mit einem gestärkten Selbst begegnen zu können.

Julia Weber und Daniel Berthold

Luzern und Frankfurt am Main

Das Lebensende als Herausforderung für Schwerstkranke, Angehörige und Begleiter

Mit einer schweren Erkrankung treten große Veränderungen ins Leben. Sowohl aufseiten der Betroffenen als auch aufseiten deren Familien und Angehörigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn abzusehen ist, dass die Erkrankung zu einem vorzeitigen Tod des Patienten führt. Denn oft gehen solche Erkrankungsverläufe mit einem vielschichtigen Symptomgeschehen einher. Sterbende Menschen leiden häufig an körperlich stärksten Schmerzen, Luftnot, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Unruhe und Erschöpfung (Fatigue). Dazu kommen intensive und schnell wechselnde Gefühlslagen aus tiefer Betrübtheit, Traurigkeit, Verzweiflung, Furcht, Angst, Unsicherheit und Einsamkeit (BLOCK, 2006). Erkrankungen mit infauster Prognose, das heißt, ohne Aussicht auf Heilung, finden sich bei unterschiedlichsten Grunderkrankungen wie etwa Krebserkrankungen, Erkrankungen der Lunge (z.B. COPD) oder neurologischen Erkrankungen (z.B. ALS). Die Erkrankungsverläufe gestalten sich je nach Diagnose ganz unterschiedlich. Dazu kommen vielfältige Themen auf psychosozialer und spiritueller Ebene. Daraus ergibt sich, dass schwerstkranke und sterbende Menschen hochangepasst und engmaschig behandelt und begleitet werden müssen. Im Vordergrund steht dabei nicht die Heilung der Erkrankung, sondern die Linderung von Leiden.

Die Versorgung, die sich auf dieses Ziel spezialisiert hat, heißt Palliative Care beziehungsweise Palliativversorgung. In einem engeren Sinne meint Palliativversorgung vor allem die spezialisierte Palliativversorgung, die bei einem besonders intensiven Versorgungsanspruch zur Anwendung kommt. Palliative Care begegnet den vielfältigen Herausforderungen der neuen Lebenssituation mit einem möglichst multiprofessionell zusammengesetzten Team. Im besten Fall können verschiedene Berufsgruppen wie Pflege, Medizin, Psychologie und Seelsorge bei Bedarf kurzfristig hinzugezogen werden. Im Jahr 2016 fielen von insgesamt 910.000 in Deutschland verstorbenen Menschen 75.000 Menschen in diese Versorgungsgruppe. Dabei verteilen sich Palliativpatienten nicht nur auf Palliativstationen und Hospize. 2016 verstarben allein 25.000 Patienten zu Hause im Rahmen der sogenannten spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), auf die es in Deutschland seit 2007 einen gesetzlichen Anspruch gibt (BERTHOLD, GRAMM, GASPAR & SIBELIUS, 2017).

Dass es möglich ist, mithilfe einer so intensiven Versorgung im häuslichen Umfeld zu bleiben, ist sicherlich ein Fortschritt der Gesundheitsversorgung. In vielen Fällen entspricht dies dem Wunsch des erkrankten Menschen. Gleichwohl werden Sterbende, und vor allem ihre Angehörigen, zu Hause vor große Aufgaben gestellt: In kürzester Zeit muss eine hochaufwändige Versorgung in den Alltag integriert werden. Neben dem eigenen Gefühlschaos aus Sorge, Angst und Trauer übernehmen Familienmitglieder nahezu alle anfallenden pflegerischen, sozialen und koordinativen Aufgaben. Oft trifft dies die Angehörigen völlig unvorbereitet, denn die Versorgung Schwerstkranker wurde seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr in den geschützten Rahmen klinischer Einrichtungen verlegt (GRONEMEYER, 2007). Seitdem wird die häusliche Versorgung von Sterbenden nicht mehr von Generation zu Generation weitervermittelt, sodass Familien weder thematisch noch in ihrer Struktur auf die Betreuung eines schwerstkranken Familienmitglieds vorbereitet sind. Angehörige nehmen eine äußerst spannungsreiche Doppelrolle ein. Sie sind care-givers und care-recipients, Hilfegebende und selbst Hilfebedürftige zugleich (BRANDSTÄTTER & FISCHINGER, 2012). Studien konnten zeigen, dass pflegende Familienmitglieder psychisch oft stärker belastet sind als die Erkrankten selbst (PREISLER & GOERLING, 2016).

Auch auf professioneller Seite werden in Palliative Care nicht selten innere Grenzen erreicht. Denn die Begleitenden sind mit äußerst fordernden Themen konfrontiert und tragen zugleich eine hohe Entscheidungsverantwortung. Aufgrund falsch verstandener Nähe kommt es vor, dass mancher Mitarbeiter unter einem sogenannten „Compassion-Burn-out“ leidet. Andere wiederum, die sich – vielleicht aus einem Schutzbedürfnis heraus – zu sehr abgrenzen, empfinden Hilflosigkeit und Schwingungsarmut („Ich komme nicht richtig an den Patienten heran“). (vgl. Kapitel: Professionelle Nähe, Seite 133)

„Ich bin immer so betrübt in letzter Zeit“, klagt eine Krebspatientin ihrer Palliativpsychologin nach monatelangem und entbehrungsreichem Kampf. „Da würde ich gern mal nachhaken und Sie etwas fragen: Welche Gefühlslage würden Sie in Ihrer Situation denn für angemessen halten?“, entgegnet die Psychologin. Manchmal sind die unliebsamen Gefühle die „richtigen“. Weil sie zur Situation passen. Es geht niemals darum, Angst, Wut oder Traurigkeit einfach wegzuwischen. Gefühle wollen und müssen sich ausdrücken dürfen. Sie wollen vor allem gehört werden – von einem einfühlsamen Gegenüber.

Nun gibt es bei palliativen Erkrankungsverläufen denkbar viele Gründe für negative Gefühlslagen. Meist sind die Auslöser Themen, die sich drei Bereichen zuordnen lassen. Diese Themenbereiche lauten Bewältigung, Entscheidung und Vermittlung (BERTHOLD & GRAMM, 2019).

Im Themenbereich Bewältigung geht es darum, dass Patienten und Angehörige „mit etwas konfrontiert sind, mit dem sie umgehen müssen“. Dies können äußere, aber auch innere Ereignisse oder Widerfahrnisse sein, die jeweils danach drängen, bewältigt zu werden – oder ab einem gewissen Punkt: akzeptiert zu werden.

Im Themenbereich Entscheidung stehen Entscheidungen bevor, die aktiv getroffen werden müssen. Bei schwerer Erkrankung sind Entscheidungen oft weichenstellend und folgenreich. Manches Mal sind sie auch unumkehrbar. Besonders herausfordernd werden Entscheidungen auch dann, wenn eine Familie in der Verantwortung steht, stellvertretend für ihren Angehörigen entscheiden zu müssen.

Der dritte Themenbereich ist die Vermittlung. Hierunter fallen alle Themen, in denen es darum geht, dass Konflikte zwischen Menschen bestehen oder dass Kommunikation nicht gelingt. Gelingende Kommunikation ist am Lebensende keineswegs selbstverständlich. Missverständnisse können in der Kommunikation zwischen den Betroffenen und professionellen Begleitpersonen auftreten, aber auch in der Kommunikation zwischen Sterbenden und Angehörigen selbst.

Am Lebensende gibt es also eine Vielzahl sehr realer Belastungen und Bedrohungen. Dennoch sollte genau hingeschaut werden! Sind es gut nachvollziehbare Ängste und Sorgen, die Patienten und Angehörige zu einer „sinnvollen“ vorübergehenden Alarmbereitschaft verhelfen? Etwa wenn ein Patient berichtet, er leide unter schlaflosen Nächten, da eine schwierige Operation kurz bevorsteht.

Oder werden Patienten und Angehörige zu Hauptdarstellern eines Horrorfilms ohne die Möglichkeit, den Kinosaal zu verlassen? Schwerstkranke Menschen und ihre Angehörigen kennen die Situation nur allzu gut: Sie rutschen ab in Gefühlszustände, die sie nicht mehr beeinflussen können. Patienten bestätigen auf Rückfragen oft, dass sie sich wie in einem schlechten Film fühlen, aus dem sie aus eigenen Kräften nicht mehr aussteigen können. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von „Regression“. Man schrumpft auf einen Zustand der Hilflosigkeit zusammen. Das hat damit zu tun, dass Menschen während ihrer Erkrankung emotional labiler sind als in der Zeit, als sie gesund waren. Ähnlich geht es ihren Angehörigen. Die psychische Spannkraft ist reduziert. So genügen oft geringste Auslöser, sogenannte „Trigger“, die bei den Betroffenen direkt auf der Gefühlsebene wirken und ein inneres Szenario des Schreckens auslösen. Eine Palliativpatientin mit starker Luftnot berichtete einmal davon, dass sie immer dann in „ihr Loch“ falle, wenn sie ihrem Hund dabei zuschaue, wie dieser sich in sein Körbchen begebe, um sich eng in seine geliebte Hundedecke einzuwickeln. Das bloße Beobachten des Sich-Einwickelns löste bei der Patientin starke Beklemmungen aus.

Wenig Sinn macht es, in solchen Fällen zu empfehlen: „Sieh’ doch nicht alles so negativ!“ Denn das Denken und die Aufmerksamkeit sind nicht ohne Weiteres dem Willen unterworfen (KUHL, 2001). In gewissen Situationen sind diese Prozesse nicht mehr willentlich steuerbar, sondern folgen ihrer eigenen Logik. Es braucht hier also andere Strategien.

Richtig ist allerdings, dass die Gefühlslage einen großen Einfluss auf Aufmerksamkeits- und Denkprozesse hat – und diese wiederum auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit: „In einem negativen Befindenszustand […], z.B. bedingt durch intensives Bedrohungsempfinden, erlebt sich der Patient insgesamt als verändert, achtet anders auf seine Umwelt und denkt anders als in einem positiven Befindenszustand ohne Bedrohung bzw. ohne Bedrohungsempfinden“ (KUSCH, LABOUVIE & HEIN-NAU, 2013, S. 78). Ereignisse werden schneller als bedrohlich eingestuft, was die Alarmbereitschaft erhöht, was wiederum dazu führt, dass Ereignisse schneller als bedrohlich eingestuft werden. Es kann also zu einer regelrechten Abwärtsspirale kommen.

Hält ein solcher Befindenszustand über einen längeren Zeitraum an, so kann es passieren, dass sich die negative emotionale Lage auf diesem neuen Niveau einpendelt – sie „chronifiziert“ sich. Patienten und Angehörige geraten dann allmählich in eine innere Entfremdung zu sich selbst. Sie stehen wie neben sich.