Am Nerv der Beziehung - Michel Ackermann - E-Book

Am Nerv der Beziehung E-Book

Michel Ackermann

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Beschreibung

Impulse für die Praxis Kaum etwas wird zurzeit in Psychologie und Psychotherapie mit so viel Interesse aufgenommen wie die Polyvagaltheorie. Neben dem Umstand, dass sie nicht ganz einfach zu erfassen ist, liegt das an ihrem unstrittigen Neuigkeitswert. Als neurowissenschaftliche Theorie bringt sie den Körper deutlich konkreter ins Spiel, als das die "Besänftigungsstrategien" körpertherapeutischer Ansätze bisher getan haben. Michel Ackermann schlägt in diesem Buch die Brücke von der Familientherapie zur Polyvagaltheorie und macht deren wesentliche Neuerungen und Vorzüge erkennbar und verständlich. Als Leser:in lernt man Familie als "körperliches System" kennen, das sowohl – dysregulierend – für Probleme und Konflikte sorgen als auch – koregulierend – zu deren Lösung beitragen kann. Die Fähigkeit, den physiologischen Zustand des Körpers im sozialen Austausch miteinander, d. h. mittels Kommunikation, zu regulieren, steht im Mittelpunkt der Polyvagaltheorie: Wir können uns gegenseitig ein Gefühl der Sicherheit geben oder wir können uns gegenseitig in Alarmzustand versetzen, uns gegenseitig "runterbringen" oder "auf die Palme". Es ist dieser neurophysiologische Blickwinkel, von dem die besondere Inspiration dieses Buches ausgeht. Der Autor: Michel Ackermann, Dipl.-Musikerzieher (Komposition, Klavier); Systemischer Kinder- und Jugendtherapeut, Systemischer Familientherapeut (SG); Berufsschullehrer im Fach Sozialpädagogik; Dozent an der Polyvagal-Akademie; als Familientherapeut in privater Praxis und für das Berliner Institut für Familientherapie tätig, Schwerpunkt Krisenintervention/KJHG.

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Seitenzahl: 342

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Systemische Therapie und Beratung

In den Büchern der Reihe zur systemischen Therapie und Beratung präsentiert der Carl-Auer Verlag grundlegende Texte, die seit seiner Gründung einen zentralen Stellenwert im Verlag einnehmen. Im breiten Spektrum dieser Reihe finden sich Bücher über neuere Entwicklungen der systemischen Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Kindern ebenso wie Klassiker der Familien- und Paartherapie aus dem In- und Ausland, umfassende Lehr- und Handbücher ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse. Mit den roten Bänden steht eine Bibliothek des systemischen Wissens der letzten Jahrzehnte zur Verfügung, die theoretische Reflexion mit praktischer Relevanz verbindet und als Basis für zukünftige nachhaltige Entwicklungen unverzichtbar ist. Nahezu alle bedeutenden Autoren aus dem Feld der systemischen Therapie und Beratung sind hier vertreten, nicht zu vergessen viele Pioniere der familientherapeutischen Bewegung. Neue Akzente werden von jungen und kreativen Autoren gesetzt. Wer systemische Therapie und Beratung in ihrer Vielfalt und ihren transdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenhängen verstehen will, kommt um diese Reihe nicht herum.

Tom Levold

Herausgeber der Reihe Systemische Therapie und Beratung

Michel Ackermann

Am Nerv der Beziehung

Familientherapie und Polyvagaltheorie

2024

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Systemische Therapie und Beratung«

hrsg. von Tom Levold

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagmotiv: © Adobe Stock/ElenaMasiutkina

Redaktion: Veronika Licher

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2024

ISBN 978-3-8497-0547-3 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8499-7 (ePUB)

© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/ Dort können Sie auch unseren Newsletter abonnieren.

Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort

1 Familie – ein co-regulierendes oder dysregulierendes System

1.1 Familien im Kontext

1.1.1 Familien-Zeit

1.1.2 Familien-Bilder

1.2 Familiensprachen

1.2.1 Sprachlabor Familie

1.2.2 Emotionen und Sprache

1.2.3 Neurozeption – Emotion – Co-Regulation

1.3 Hintergrund und Vordergrund

1.3.1 Begriffe – Konzepte

1.3.2 Dysregulierende Beziehungen

1.3.3 Fallbeispiel 1

2 Familien zwischen Körper, Kommunikation und Verhalten

2.1 Körper sprechen in Beziehungen

2.1.1 Beziehungskörper

2.1.2 Social Engagement System

2.1.3 Don’t fall back … Fazit zum Social Engagement System

2.1.4 Beziehungssicherheit in Familien

2.2 Systemische Psyche

2.2.1 Kann das System Familie psychisch erkranken?

2.2.2 Subjekt im System

2.2.3 Unser Körper ist (k)ein duales System

2.2.4 Fallbeispiel 2

3 Bindung und Beziehung: zwischen Theorie, Metapher und Neurophysiologie

3.1 Anbindungen

3.1.1 Wir bleiben da – Wir gehen weg

3.1.2 Bindung – und was sie bedeuten kann

3.1.3 Familien-Bindung

3.2 Was wir uns durch die Sprache vorstellen können

3.2.1 Zwischen Bindung und Beziehung

3.2.2 Steinige Wege der Beziehungen in Familien

3.3 Beziehungssprachen

3.3.1 »Es ist kompliziert.«

3.3.2 Identität, Rolle und Bindungsthematik: Fallbeispiel 3

3.3.3 Was ist innen, was außen?

3.4 Polyvagaltheorie und Therapie

3.4.1 Systemische Anlagen der Polyvagaltheorie

3.4.2 Therapeutische Chancen der Polyvagaltheorie

3.5 Traumatische Kontexte

3.5.1 Die Verbindung – die Täuschung – das Trauma

3.5.2 Trauma

3.5.3 Trennung und Trauma (Fallbeispiel 4)

3.5.4 Traumata erkennen

3.5.5 Traumatische Erstarrung

3.6 Problem-Zonen

3.6.1 Wo ist jetzt das Problem?

3.6.2 »Bleiben Sie bitte geduldig …!«: Emotionen sind (nicht) das Problem.

3.7 Orte, Zeiten, Systeme

3.7.1 Standortbestimmung

3.7.2 Familie ist ein nervendes System – Familie hat ein Nervensystem

3.7.3 Systeme verhalten sich in uns

3.7.4 Familien im Fokus ihrer Aufmerksamkeit

3.8 Weitere Blickwinkel

3.8.1 Wie sehen wir uns in Familien?

3.8.2 Fallbeispiel 5

4 Wir erzählen Geschichten

4.1 Handlungsoptionen

4.1.1 Unser Körper zwischen Handlung und Sprache

4.2 System-Sprachen

4.2.1 Systeme und Narrative

4.2.2 Narrative, die uns beruhigen oder beunruhigen

4.3 Weitere Räume zwischen Sprach- und Körperlichkeit

4.3.1 Räume der Sprache

4.3.2 Die Wahrnehmung der Sprache und die Sprache der Wahrnehmung

4.3.3 Die Polyvagaltheorie – ein Narrativ zur Wahrnehmung unseres Körpers

4.4 Die Wahrnehmung der eigenen sprachlichen Identität

4.4.1 Fallbeispiel 6

4.5 Wir fühlen uns in der Sprache

4.5.1 Die fruchtbare Brache der Sprache

4.5.2 Sprachräume zwischen Emotionen, Ausdruck und Wahrnehmung

4.6 Reflexion

4.7 Tonalität offener Wendungen für ein Ende

Glossar

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Dieses Buch erkundet Räume familientherapeutischer Sprachen. Die Erkundung ist als schreibendes (Ver-)Suchen konzipiert. Es wird eine Suche sein, die stetig konstruiert, hypothetisiert und sprachlich neu formuliert. Dabei sollen Begegnungen im Raum der Familien, der Beziehungen und der Therapien möglich werden. Wir erleben diese – so ist es geplant – am »Nerv der Beziehung«, unter systemisch-therapeutischer, neurophysiologischer, philosophischer und praxisnaher Perspektive.

In diesen Räumen begegnen uns Alltagssprache ebenso wie therapeutische Fachbegriffe, bis hin zu wissenschaftlichen Begrifflichkeiten. Diese zeigen sich dort, wo es uns gelingt, ein besonderes Bewusstsein der Sprachlichkeit in ihnen zu erzeugen. Denn wir reden weniger im wortwörtlichen Raum der therapeutischen Praxis. Wir reden im Raum des Bewusstseins unseres Selbst, welches sich im Laufe unserer Selbstentwicklung durch Sprache selbst hergestellt hat – durch Sprache und ihre vielen Möglichkeiten, Identität [→ Identität] zu erzeugen –, indem sie in Sprache und Sprachlichkeit Unterschiede erzeugt, die bestenfalls auch »einen Unterschied machen«.

Die Erkundung familiensprachlicher Räume meint also die Erkundung der Räume unserer Selbsterkundung in therapeutischer Sprache. Letztere kann als prekär betrachtet werden, wenn wir in den therapeutischen Sprachräumen keinen sicheren Halt finden. Es geht dabei um eine Sicherheit, die den »Möglichkeitssinn« (Musil) der Sprache als Erlebbares in der Wirklichkeit verankert, eine Wirklichkeit, die wir »mit Gewissheit« als real annehmen können.

Um aber Gewissheit zu erlangen, braucht es, dies sei hier unterstellt, in solcher Sprachlichkeit die Verbindung zur Körperlichkeit unseres Selbst. Diese kann emotional [→ Emotion] aufgeladen oder auch überwiegend physisch wahrnehmbar sein, z. B. durch das schlagende Herz. Aber lassen sich der Körper und seine neurophysiologisch verankerte Steuerung in unserem Nervensystem als selbstsprechende Entität therapeutisch versprachlichen? Würden wir dabei nicht doch wieder in den Verästelungen sprachlichen Denkens landen, begleitet von der Sehnsucht, in Meditation, Achtsamkeit und allerlei verhaltensbezogener Selbstoptimierung uns selbst jenseits des Geredes in unserem Kopf als wie auch immer »wirklich« zu erleben? Für Menschen, die psychisch leiden, ist dies mehr als eine philosophische oder esoterische Frage.

»Reden reicht nicht« – dies scheint der schwer auflösbare Widerspruch zwischen einem denkenden Reden (im Außen der Therapie) und der oft verzweifelt »hinterherfühlenden« Innenwahrnehmung unseres Selbst, das sich noch immer nicht finden kann. Und es scheint so, als reiche auch eine therapeutisch sehr beredte Sprache (und ihr emotional gefärbtes Sprechen) in Therapie und Beratung oftmals nicht aus, um spürbare Veränderungen herzustellen. Zu viel mit-uns-selbstredend, haben wir noch immer zu wenig gelernt, unsere Sprachlichkeit als Medium der Annäherung, der Bindung und des gegenseitigen Auffangens zu nutzen, statt als einsames Selbstmitteilungsorgan oder auch als Beziehungsschutzwall. Wir haben vielleicht nicht gelernt, als sprachlich denkende Wesen die sprachliche Verbindung in einer integrierten Bindungs- und Beziehungssprache zu halten und zu stärken.

Mein eigener Zugang zu diesen Fragen war und ist einer der Sprachskepsis: Ich komme aus der Welt der Musik. Kommunikation als allgemeinere Grundlage unserer zwischenmenschlichen Beziehungen schien mir eine sicherere Grundlage zu sein als die Welt des Sprechens und der Sprache. Denn noch vor den Wörtern kommt unser aller Bedürfnis nach geteiltem Erleben einer wie auch immer angelegten Verbindung mit- und zueinander. Insofern lag die Polyvagaltheorie (PVT) auf einer Wegstrecke, die meine Suche ist, auf welchen Ebenen Sprache, Kommunikation und ihre körperlichen (physiologischen) Grundlagen dafür zusammenhängen. Die Polyvagaltheorie könnte in spezifischen Dreiecken (Triaden) therapeutischer Begrifflichkeit das fehlende Puzzleteil sein. Denn es fehlte der Körper, der mit ins (systemisch-therapeutische) Boot einsteigen sollte. Dafür wollte ich jedoch nicht auf die bekannten »Besänftigungsstrategien« körpertherapeutischer Ansätze zurückgreifen. Das mag abwertend klingen, soll aber lediglich darauf hinweisen, dass ich selbst »Indien« nicht kennenlernen wollte, indem Indien mein Reiseziel wäre (»Indien« soll hier für den Körper stehen). Im Gegenteil, vielleicht bliebe ich, irgendwo zwischen »Selbst« und »Wahrnehmung«, in meinen Sinneserfahrungen von Neu-Delhi an der Oberfläche stecken und machte Erfahrungen, die mir nur die Illusion einer Begegnung vermitteln würden. Bezogen auf das Körperthema hieße das, dass ich zwischen Oberflächenerfahrungen und einem Wissen aus Erfahrung um tiefere Zusammenhänge unterscheiden wollte; was nichts gegen existenzielle Oberflächenerfahrungen aussagen soll (was ist schon oben, was in der Tiefe?). Dennoch: In einer solchen Unterscheidungswahrnehmung ist ein Spaziergang durch den Wald (die Oberflächenerfahrung) mehr als nur ein Spaziergang: Er wirkt unmittelbar auf unser autonomes Nervensystem (ANS) ein und sorgt durch dort entstehende Entlastungen für eine veränderte (neurophysiologisch zu beschreibende) Kapazität, sich im Kontakt mit sich selbst und mit anderen sicherer zu fühlen. Mein Wissen um diese Wirkung wird dabei wiederum die Wirkung verbessern: Es geht um erfahrenes Wissen, nicht um Ratschläge. Es geht um mehr als den »mens sana in corpore sano«. Denn der »gute alte« Dualismus wird nicht nur irreführend, sondern im Zweifelsfall ruinös sein, wenn es um meine Chancen geht, in einem integrierten Bewusstsein meiner Selbst gesund zu bleiben. Die Polyvagaltheorie von Stephen Porges (Porges 2023) bietet hier, an dieser Stelle zwischen einem Körper, der auf »unerkannte« Weise sein (und mein) »psychisches Selbst« mit sich führt, und dem Wissen, dass wir darüber immer noch recht wenig wissen, veränderte Perspektiven, eine andere Perspektive der Wahrnehmung.

Als Familientherapeut können mich diese Themen nicht unberührt lassen. Denn in unserer Arbeit reden wir recht viel. Und die Erfahrung zeigt, dass das Reden oft nicht ausreicht, obwohl der sprachliche Austausch wichtig ist – mehr als das: Er hilft, Ideen und Geschichten miteinander zu entwickeln, Vorstellungen übereinander und Erwartungen aneinander in veränderten Wörtern und Sprachbildern zu verankern. Aber der Übergang zur Realität des Alltags, dem kommunikativen Handeln, bleibt oft schwer zu fassen. Es ist, als ob das Problem schelmisch um die Ecke schaut und uns suggeriert: »Reden reicht (aber) doch nicht …!« Was nun, was tun?

Wir haben nur die Chance, unser Selbst als verändert zu erfahren und in dieser veränderten Erfahrung unsere Beziehungen ändern zu können. Die veränderte Erfahrung braucht im Umgang, in der Kommunikation miteinander ein (bisher so nicht erfahrenes) Sicherheitsgefühl, mit und ohne Sprache. Unser Körper braucht das sichere Empfinden, eine Situation verändert erleben zu können, ohne damit in Stress, Angst oder Wut zu geraten. Eine solche »Sicherheitsanlage«, die in uns allen als sozialer Anker verfügbar ist, beschreibt die Polyvagaltheorie in Bezug auf unsere evolutionär ausgeprägten Möglichkeiten, soziales Miteinander als sicher und entspannend zu erleben. Ohne dieses Gefühl von Sicherheit, das mehr ist als ein oberflächliches (sic!) »Ich bin safe«, kann eine systemische Familientherapie nicht so wirksam sein, wie wir es erhoffen.

Dieses Buch soll nicht in erster Linie Wissen vermitteln. Es dient vielmehr und mit großer Leidenschaft: Ihrer Inspiration. Hier nun, um Ihr eigenes Sicherheitsgefühl für das Buch zu stärken, eine kurze Gebrauchsanleitung:

Mein Ziel war es weniger, nach dem eigenen Lesen vieler (eher mehr) Fachbücher, Essays, Studien, Blogbeiträge etc. eine quellengefütterte Wiedergabe all dieser Erfahrungen zu ermöglichen. Vielmehr habe ich, ganz wie in einem therapeutischen Prozess, Ahnungen und Hypothesen verfolgt, einerseits. Andererseits wurde der Versuch unternommen, die Gratwanderung zwischen wissenschaftlich konnotierten Begrifflichkeiten und ihrer unvermeidlichen Diffusion in der Alltagssprache

nicht

zu verschleiern – indem z. B. der Begriff »Emotion«

auch

in einem alltäglicheren Raum belassen wird, wo jede(r) das versteht, was der eigenen Erfahrung entspricht. Gleichzeitig gab es das Bemühen, unsere begriffliche »Alltagslogik« subjektiver (und damit wertvoller) Erfahrung mit aktuellen Forschungsständen abzugleichen – und in diesem Spannungsfeld kommt als »schwarmintelligentes« Allgemein- und Fachwissen Wikipedia hier und da auch mal zu Wort. Und es kann, wenn es denn gelingt, in diesem Prozess eine Sprache entstehen, die ihre Bedeutungsebenen nicht nur als Informationsträger erhält, sondern aus sich selbst heraus Bedeutungen generiert, die auf eine besondere Weise konkret bleiben – indem diese Sprache abstrakte Begrifflichkeiten weder meidet noch sie im Elfenbeinturm ihrer Herkunftsgenres belässt. Die Leserin und der Leser (und alle dazwischen … – der Raum des »Dazwischen« wird bedeutsam werden in diesem Buch) sollen weder durch fahrlässige Vereinfachung noch durch unnötige Verkomplizierung bevormundet werden. Sie sehen hier auch: »Schreiben allein reicht nicht …«

Dort, wo Anmerkungen, Begriffsdefinitionen und Hinweise auf aktuelle Forschungsstände nötig erschienen, wurden sie in Anmerkungen oder als weiterführende Literatur im Anhang zur Verfügung gestellt. Quellen im Sinne von Zitaten oder Bezüge zu Beschreibungen (oder Begriffen) anderer Autor:innen finden sich im Literaturverzeichnis.

Pfeile mit Begriffen wie [→ Sprache] verweisen auf das Glossar am Ende des Buches vor den Endnoten und dem Literaturverzeichnis.

Metaphern

sehe

ich als Sehnsuchtsinseln der Sprache. Habe ich aber den Flug gebucht und bin auf einer Schotterpiste im vermeintlichen Paradies gelandet (natürlich regnet es gerade und die Atmosphäre ist drückend), stelle ich möglicherweise fest: Meine Vorstellung über den Ort, das Wort oder einen Begriff war zu ungenau, vielleicht auch eine Täuschung. Ein Beispiel: Gerne werden heutzutage Gehirnareale, die unser Erinnerungsvermögen zu »beinhalten« scheinen, als »Speicher« beschrieben. Das liegt in unserer Welt allzu nahe. Erinnerung ist aber kein Ort einer Speicherung, sondern ein interaktiver neurobiologischer Prozess. Die Dinge sind leider (und glücklicherweise) komplizierter. Deswegen bleiben Metaphern ein Sehnsuchtsort

der Sprache;

wir wollen Bedeutungen und Konzepte ineinander überführen, aber eben auch die Wortwörtlichkeit der Bedeutung entlasten. Das ist, ich gestatte mir hier dieses

Mem

, »gut und richtig so«: denn »Bilder allein reichen nicht«. Aber sie sind sehr wichtig. Es bleibt kompliziert und ist, in mancher Hinsicht, auch wieder überraschend klar und einfach.

Schreiben bedeutet in diesem Buch ein formulierendes Erkenntnissuchen. Dabei gehe ich bewusst (und überwiegend) von Zusammenhängen aus, die sich in einem Feld zwischen »vermutlich allgemein bekannt«, »in dieser Formulierung weniger bekannt oder verstanden«, »vermutlich unbekannt oder nur ungenau verstanden« und »bestenfalls entdeckt und kreativ aktualisiert« bewegen. In diesem Feld gibt es zwischen Information und Redundanz gewissermaßen Phasenverschiebungen, die an manchen Stellen mitlesende und inspirierte Geduld erfordern. Denn Konzepte, die Inspiration und vertieftes Verstehen von Begrifflichkeiten und ihren Kontexten leisten können, erfordern meines Erachtens diese Gratwanderung aus wieder-holend-bestätigender (Weiter-)Formulierung und bestenfalls hoch informativer Umformulierung.

Die Thematisierung von »Sprache« im Kontext therapeutischer, psychologischer und biopsychologischer Begriffe erforderte in diesem Buch ein Einbeziehen von Perspektiven und Begriffen aus Fachgebieten wie der Emotionsforschung, der Persönlichkeitspsychologie, der Tiefenpsychologie, der Philosophie und anderer mehr. Dieser »genrefreie« Ansatz einer Beschreibung (oder besser: »Erschreibung«) der hier entwickelten Themen soll auch dem systemischen Ansatz dienlich sein. Ein systemisches Denken, das sich im »Glashaus« einer auf sich selbst gerichteten Sprache, ohne Bezug auf andere Fachrichtungen, bewegt, kann nach meinem Ermessen dem Risiko, redundant und überwiegend selbstbezüglich zu argumentieren, nicht gerecht werden.

Die Fallbeispiele in diesem Buch beruhen auf beruflichen Erfahrungen in der Familientherapie, sind jedoch im Einzelnen fiktiv bzw. stark abgeändert. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind, auch aufgrund einer (spezifisch differenten) Ähnlichkeit vieler familiärer Problemlagen, im Zweifelsfall möglich, aber nicht beabsichtigt.

Die eingerahmten Absätze sind i. d. R. eine Art Fazit des zuvor Gesagten.

Die kursiv gesetzten Passagen, teilweise mit Icons als spielerisches Hinweisschild, sind als vertiefende Erläuterungen gedacht. Sie können sie auch erst einmal überspringen und später zur Vertiefung lesen.

Michel Ackermann

Berlin, im April 2024