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Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag
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Paul Heyse
Am Tiberufer
Novelle
Paul Heyse
Am Tiberufer
Novelle
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019 1. Auflage, ISBN 978-3-962811-07-5
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Es war tief im Januar. Der erste Schnee hing am Gebirge, und die Sonne, die hinter dem Nebel stand, hatte nur einen geringen Streif am Fuß der Höhen weggeschmolzen. Aber die Öde der Campagne grünte wie Frühling. Nur die gelichteten Zweige der Ölbäume, die hie und da in Reihen die gelinden Senkungen der Ebene hinab stehen oder eine einsame Capanne1 umgeben, und das niedere Gestrüpp, das bereift an den Straßen wuchert, empfanden den Winter. Um diese Zeit sind die zerstreuten Herden in die Hürden nahe bei der Hütte des Campagnuolen gesammelt, die gewöhnlich, im Schutz eines Hügels errichtet, mit Stroh bis auf den Boden dürftig genug vor dem Wetter verwahrt ist, und wer von den Hirten zu singen oder Flöte und Sackpfeife zu spielen versteht, hat sich aufgemacht, in Rom nachzügelnd als Pifferaro, den Malern zum Modell zu dienen, oder mit anderm Erwerb das arme, frierende Leben zu fristen. Herren der Campagne sind nun die Hunde, die in großen Rudeln die verlassene Weite durchstreifen, vom Hunger verwildert, von den Hirten nicht mehr streng bewacht, deren Armut sie nur zur Last fallen.
Gegen den Abend, als der Wind stärker wurde, schritt ein Mann durch die Porta Pia und wanderte den Fahrweg zwischen den Landhäusern hin. Der Mantel hing ihm nachlässig um die starken Schultern und der breite graue Hut saß tief im Nacken. Er sah nach den Bergen hinüber, bis der Weg tiefer ward und nur ein geringes Stück der Ferne zwischen den Gartenmauern durchblickte. Die Enge schien ihn zu beklemmen. Er verlor sich wieder unmutig in seine Gedanken, denen zu entrinnen er das Freie gesucht hatte. Eine stattliche Eminenz trippelte mit ihrem Gefolge an ihm vorbei, ohne dass er sie gewahrte und grüßte. Erst der nachfolgende Kardinalswagen erinnerte ihn an seinen Verstoß. Von Tivoli her rollten Karossen und leichtere Fuhrwerke voll Fremder, die es gelüstet hatte, die Berge und Kaskaden im Schnee zu sehen. Er warf keinen Blick auf die zierlichen Gesichter der jungen Engländerinnen, mit deren blauen Schleiern die Tramontane spielte. Hastig bog er von der Straße ab, links in einen Feldweg hinein, der erst Mühlen und Schenken vorüber lief und dann mitten in die Wildnis der Campagne hinaus führte.
Nun stand er einen Augenblick, tief atmend, und genoss die Freiheit des weiten winterlichen Himmels. Die gedämpfte Sonne schien rötlich herüber, hauchte die Trümmer der Wasserleitung an und färbte den Schnee am Sabinergebirge. Hinter ihm lag die Stadt. Aber nicht fern von ihm begann eine Glocke zu läuten, nur leise durch den widrigen Wind. Das machte ihn unruhig. Als wolle er dem letzten Laut des Lebens verwehren, zu ihm zu dringen, ging er vorwärts. Er verließ bald den schmalen Pfad, die Wellen der Ebene auf und ab kreuzend, schwang sich über die Stangen, die im Sommer die weidenden Rinder eingehegt hatten, und vertiefte sich mehr und mehr in die einsame Dunkelheit.
Es war eine tiefe Stille dort, wie mitten auf dem ruhigen Meer. Fast hörte man den Flügelschlag der Krähen, die über den Boden hin hüpften. Keine Grille sang, kein Ritornell eines heimwandernden Weibes drang von der fernen Straße bis zu ihm. Da ward ihm wohl. Er stieß den Stock mehrere Male hart gegen den Boden und freute sich an dem Ton, der ihm antwortete. – Sie spricht nicht viel, sagte er vor sich hin im Dialekt des gemeinen römischen Volks, aber sie meint es ehrlich und sorgt im Stillen für ihre plappernden Kinder, die sie mit Füßen treten. Dass ich sie nie wieder zu hören brauchte, diese windigen Schufte! Meine Ohren sind wund von ihren glatten Phrasen. Als wär’ ich nichts, als wüsst’ ich es nicht besser, woran diese Dinge hängen, von denen sie zu schwatzen wissen, während ich nichts verstehe, als sie zu schaffe. Und doch leb’ ich von ihnen und muss eine gute Miene machen, wenn die Fratzen mein Werk beschnüffeln! Accidenti! fluchte er in den Bart. – Ein Echo kam zurück. Er sah betroffen umher. Keine Hütte, kein Hügel war auf eine halbe Stunde im Umkreis zu sehen, noch konnte er einen Menschen nahe glauben. Er ging endlich weiter und dachte, ein Windstoß äffe ihn. Da klang es plötzlich wieder, näher und lauter. Er stand und horchte scharf. Bin ich einer Capanne nah, oder einem Schuppen, aus dem die Rinder brüllen? Es kann nicht sein – es klang anders – es klingt anders – und jetzt, jetzt – und ein Schauder schüttelte ihn – es sind die Hunde! sagte er dumpf.
Das Geheul kam näher, heiser wie von Wölfen, kein Bellen und Kläffen, sondern ein Gestöhn, rau vorgestoßen, das die Stimme des Windes in Eine ununterbrochene furchtbare Melodie zusammenwehte. Eine lähmende Kraft schien in ihr zu liegen. Denn der Wanderer stand regungslos, den Mund und die Augen starr geöffnet, das Gesicht der Seite zugewendet, von der der Schlachtruf der wütenden Tiere heranschwoll. Endlich richtete er sich gewaltsam in seinen Gliedern auf und sagte: Es ist zu spät, sie haben längst die Witterung, und bei dem falschen Zwielicht stürzt’ ich nach dem zehnten Schritt, wenn ich laufen wollte. Nun denn, wie ein Hund gelebt und von meinesgleichen umgebracht – es ist doch Sinn darin. Hätt’ ich ein Messer, macht ich’s meinen Gästen leichter. So aber – und er prüfte die starke Eisenspitze seines Stockes – wenn es ihrer wenige sind – wer weiß, ob mein Hunger nicht den ihren überlebt?
Er schlug sich den Mantel um, dass der rechte Arm frei wurde, und der linke, vielfach umwunden, zur Abwehr gerüstet war, und fasste den Stock. Mit kaltblütiger Entschlossenheit untersuchte er den Boden, wo er stand. Er fand ihn von Gras entblößt, steinig und hart. Sie mögen kommen, sagte er, und stellte sich fest gegen die Erde. Er sah sie jetzt und zählte in der Dämmerung, Fünf! zählte er, und da ein sechster! Sie rasen heran, wie der höllische Feind, dürre, hochbeinige Bestien. Wart! – und er hob einen starken Stein – man muss doch den Krieg ankündigen, wie es Brauch ist.
Damit schleuderte er den Stein gegen den vordersten, auf fünfzig Schritt hinaus. Ein verdoppeltes Geheul antwortete. Das Rudel hielt einen Augenblick im Jagen inne. Einer von ihnen lag zuckend am Boden.
Waffenstillstand! sagte der Mann. Seine Lippe zitterte, das Herz schlug tobend gegen den linken Arm, der den Mantel krampfhaft festhielt. Aber die Wimper über dem scharfen Auge zuckte nicht. Er sah seine Feinde wieder losbrechen und ihre Augen glänzen durch die Schatten. Zu Paaren kamen sie, der größte voran. Ein zweiter Stein, der diesen anflog, sprang von der knochigen Brust ab, und das gereizte Tier stürzte heiser aufmurrend gegen die dunkle Gestalt. Ein Ruck, und er lag rücklings auf dem Gestein, und der im Wirbel geschwungene Stock fuhr ihm gewaltsam gegen den offenen Rachen. – –
Ein Reiter sprengte durch das Grau der Winternacht, einige hundert Schritt dem Kampfe fern, über die pfadlose Campagne. Er spähte nach der Stelle, von der das Geheul in kurzen Pausen zu ihm kam, und sah einen Mann stehen, wanken, zurückweichen, wieder festen Fuß fassen, während die Feinde sich ablösten im Angriff und von allen Seiten auf ihn einstürmten. Dem zu Pferde grauste. Er stieß seinem Tiere die Sporen in die Seite und flog heran. Der Hufschlag drang dem Kämpfenden zu Ohren; aber es war, als ob der jähe Schreck der Hoffnung ihm plötzlich die Kraft bräche. Sein Arm sank nieder, seine Sinne verwirrten sich, er fühlte sich von hinten niedergerissen und taumelte zu Boden. Noch hörte er durch den Nebel des Bewusstseins einige Schüsse fallen; dann verfiel er in Ohnmacht.
Als er sich wieder ermannte und die Augen zuerst aufschlug, sah er das Gesicht eines jungen Mannes über sich, an dessen Knie sein Haupt lehnte und dessen Hand ihm mit ausgerauftem nassen Gras die Schläfe rieb. Das Pferd stand dampfend neben ihnen; ihm zu Füßen wanden sich zwei Hunde, blutig, im letzten Todeszucken.
Seid Ihr verwundet? hörte er fragen.
Ich weiß nicht.
Ihr wohnt in Rom?
Beim Tritone.
Der Andere half ihm sich aufrichten. Er vermochte nicht zu stehen, der linke Fuß schmerzte ihn heftig. Er war barhaupt, der Mantel in Fetzen, der Rock am Arm aufgerissen und blutig, das Gesicht blass und starr. Ohne zu sprechen, ließ er sich von seinem Retter stützen, der ihn die kurzen Schritte zu dem Pferde mehr trug als führte. Er saß endlich im Sattel, und der Andere fasste den Zügel des Pferdes und leitete es langsam nach der Stadt zu.
Bei der ersten Osterie2 außerhalb der Mauern hielten sie. Der junge Mann rief der Wirtin, dass sie Wein bringe. Als der Verwundete ein Glas geleert, belebten sich seine Züge, und er sprach:
Ihr habt mir einen Dienst geleistet, Herr. Vielleicht verwünsch’ ich ihn noch einmal, statt ihn Euch zu danken. Fürs erste dank’ ich aber. Man hängt nun einmal am Leben, wie an anderen schlechten Gewohnheiten. Man weiß, die Luft ist voll von Fieber und Fäulnis und nichtswürdigem Dunst der Menschen, und doch dünkt Jeden Atemholen eine gute Sache.
Ihr seid schlecht auf die Menschen zu sprechen.
Ich habe Keinen gefunden, der mich nicht für einen Dummkopf hielt, wenn ich gut von ihm sprach. Verzeiht, Ihr seid nicht aus Rom?
Ich bin ein Deutscher.
Gott segn’ es Euch!
Sie erreichten schweigend das Tor und lenkten ein nach Piazza Barberini. Der Verwundete wies auf ein kleines Haus im Winkel des Platzes, baufällig und dunkel. Als das Pferd vor der niedrigen Tür hielt, ließ sein Reiter sich niedergleiten, ehe der Andere ihn stützen konnte, brach aber hilflos zusammen. Es ist ärger als ich dachte, sagte er. Tut noch das und helft mir hinein, und da ist der Schlüssel. – Der junge Mann unterstützte ihn schweigend, rief einem Knaben, das Pferd zu halten, und einem müßigen Burschen, das Haus zu öffnen. Drinnen war es dunkel, die feuchte Kälte schlug ihnen unheimlich entgegen. Sie trugen ihn durch den Flur, wie er’s ihnen sagte, links in ein wüstes großes Gemach. Wo ist Euer Bett? fragte der Deutsche. – Wo Ihr wollt; aber legt mich lieber drüben an die Wand. Dort hinten ist die Mauer nicht zuverlässig. Dieser brave alte Palazzo, im Frühjahr wollen sie ihn niederreißen; ich glaube, er hat nicht die Geduld, es abzuwarten.
Und Ihr haltet es hier aus? –
Es ist die billigste Art, sich begraben zu lassen, sagte der Andere trocken. Ich spiele hier den Wirt für freies Quartier.
Indessen hatte der Bursch Feuer angeschlagen und die kleine Messinglampe angezündet, die am Fenster stand. Der junge Mann half dem Verwundeten auf eine Decke, über Stroh ausgebreitet, und deckte ihn mit dem zerrissenen Mantel notdürftig zu. Mit einem tiefen Atemzuge streckte sich die kräftige Gestalt aus und schloss die Augen. Der Deutsche gab dem Burschen Geld und trug ihm Verschiedenes auf; dann ging er ohne Abschied hinaus, warf sich aufs Pferd und ritt eilig davon.