America 2200 - Alfred Wallon - E-Book

America 2200 E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Amerika im Jahr 2200 nach einem verheerenden Krieg: Die großen Städte und die Infrastrukturen großer Teile des Landes sind zerstört. Vor allem in den sogenannten Grenzländern herrschen Gewalt und Tod, denn der Kampf ums tägliche Überleben fordert seinen Preis. In dieser Welt wächst der junge Ryan Foster auf. Ryans Leben ändert sich von einem Tag zum anderen, als er und seine Eltern in Dragtown einer Gruppe von zwielichtigen Männern begegnen, deren Interesse er ungewollt weckt. Frank Dobbs und seine Kumpane sind auf der Suche nach dem legendären General Luther Collins. Es heißt, er habe gegen Ende des letzten Krieges irgendwo im Westen einen gewaltigen Schatz versteckt, der den Finder zu einem mächtigen Mann machen würde. Angeblich hat der untergetauchte General auch noch einen Sohn, der irgendwo unter einem anderen Namen leben soll. Sind es nur Legenden, oder beinhalten sie womöglich auch noch mehr? Zu diesem Zeitpunkt ahnt Ryan noch nicht, dass auch sein Leben sich auf tragische Weise völlig verändern wird und dass es eine Verbindung zwischen ihm und General Collins gibt. Im Grand Canyon stellt das Schicksal die Weichen. Die AMERICA 2200 -Trilogie Buch 1: Zerstörte Hoffnungen Buch 2: Sidon – Stadt ohne Gnade Buch 3: Düstere Legenden

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Seitenzahl: 573

Veröffentlichungsjahr: 2025

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In dieser Reihe bisher erschienen:

e401 Andreas Zwengel Der zweite Krieg der Welten

e402 Diverse Raumschiff Promet Sammelband 01

e403 Alfred Wallon America 2200

e404 Alfred Wallon Der Ufer der Ewigkeit

America 2200

Alfred Wallon

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* * *

Copyright © 2023 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Grafik & Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

20.02.2025 e403

ISBN: 978-3-68984-327-4

Inhalt

Erstes Buch - Zerstörte Hoffnungen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Zweites Buch - Sidon: Stadt ohne Gnade

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Drittes Buch - Düstere Legenden

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Über den Autor

Erstes Buch - Zerstörte Hoffnungen

KapitelEins

Das Wetter änderte sich schlagartig. Von Westen her zogen dichte Nebelschleier in Richtung der kurvigen und holprigen Straße. Noch waren sie ein gutes Stück entfernt – aber es würde nicht mehr lange dauern, bis die weißlichen Schleier die Stelle erreicht hatten, wo die beiden Männer auf ihren Pferden das Gelände durchkämmten und wachsam nach allen Seiten spähten.

Ryan bemerkte den sorgenvollen Blick seines Vaters, der den aufziehenden Nebel beobachtete. Was er entdeckte, gefiel ihm nicht.

»Das sieht nicht gut aus«, murmelte er. »Wir sollten so schnell wie möglich umkehren. Wenn der Nebel weiter in unsere Richtung zieht, bedeutet das Gefahr.«

»Und was ist mit den Rindern?«, wollte Ryan wissen. »Wenn wir jetzt die Suche abbrechen, werden wir sie nie wieder finden. In den Salznebeln verlieren sie ganz die Orientierung und dann ...«

Sein Vater wusste, was Ryan ihm damit sagen wollte. Die Bewohner des Grenzlandes kannten die Gefahren der nahe gelegenen Teersümpfe. Schon bei normalem Wetter war es riskant, in dieses schwer zugängliche Gebiet einzudringen. Denn dort lauerten namenlose Schrecken, die jeder der Farmer und Siedler in dieser einsamen Gegend genau kannte.

Deshalb war es besser, rasch umzukehren und darauf zu hoffen, dass sich die Salznebel wieder verzogen. Denn mit dem Nebel wagten sich auch die grausamen Geschöpfe aus den Tiefen der Sümpfe heraus. Sie hatten schon so manchen getötet, der sich zu lange hier draußen aufhielt.

»Wir könnten es trotzdem schaffen, wenn wir uns beeilen«, meinte Ryan und schaute seinen Vater auf eine Art und Weise an, die diesem einen leisen Fluch entlockte.

»Junge, mir gefällt das nicht«, gab Paul Foster zu bedenken. »Deine Mutter wird sich Sorgen machen. Sie hat die Nebel bestimmt auch schon bemerkt.«

»Aber wenn wir die Rinder nicht wiederfinden, bedeutet das einen herben Verlust für uns«, beharrte Ryan auf seiner Meinung. »Du hast selbst gesagt, dass es ein hartes Jahr für uns werden wird – oder?«

»Junge, manchmal frage ich mich wirklich, woher du diesen Mut nimmst«, erwiderte sein Vater. »Aber gut – ich bin einverstanden. Du folgst dem Lauf der Straße und ich sehe mich da drüben etwas um. Aber achte darauf, dass du nicht zu tief ins Gebüsch vordringst, sonst ...«

»Kümmere dich nicht um mich – ich passe schon auf«, winkte Ryan ab. »In einer halben Stunde treffen wir uns wieder hier.«

Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Zügel frei und trieb es mit einem sanften Druck seiner Schenkel an. Auch sein Vater ritt langsam weiter und war schon bald aus Ryans Blickfeld verschwunden. Keine Hufschläge mehr, keine sonstigen Geräusche – auch der Wind ließ jetzt wieder nach.

So war das immer, wenn die Salznebel aufzogen. Dann änderte sich das Wetter innerhalb einer Stunde. Auch die Temperatur stieg deutlich an – je näher der Nebel kam. Ryan wusste, was das bedeutete. Er und sein Vater hatten nicht mehr viel Zeit. Mit jeder weiteren Minute wuchs die Gefahr, der sich die beiden Männer aussetzten, solange sie sich in dieser Zone aufhielten. Niemand würde ihnen dann helfen können, denn es war ein ungeschriebenes Gesetz für die Grenzlandbewohner, Fenster und Türen zu schließen, wenn die Salznebel aufkamen (und zu beten, dass der Kelch diesmal an ihnen vorüberging).

Ein nervöses Schnauben durchbrach die Stille. Ryans Tier schien irgendetwas zu beunruhigen. Sofort zügelte Ryan das Pferd. Alles, was er sah, waren nur verdorrte Büsche und wild wucherndes Gestrüpp jenseits der alten Straße, die diesen Namen in Wirklichkeit gar nicht mehr verdiente, denn der Asphalt war an unzähligen Stellen aufgebrochen. Die Natur hatte sich im Lauf der Zeit wieder das zurückgeholt, was die Menschen ihr einst abgerungen hatten.

Selbst mit dem schweren Geländewagen, den sein Vater besaß und der wie durch ein Wunder immer noch funktionierte, war es ziemlich mühsam, über diese holprige Straße zu fahren. Angeblich war das in den alten Zeiten einmal ganz anders gewesen. Aber Ryan wusste nicht viel darüber. Nur das, was sein Vater ihm erzählt hatte und was in den wenigen Büchern geschrieben stand, die es noch gab. Paul Foster besaß einige davon und hütete sie so sorgsam wie seinen Augapfel. Ryan hatte schon sehr früh Lesen und Schreiben gelernt, weil sein Vater vehement darauf bestanden hatte. Andere junge Burschen in Ryans Alter kümmerten sich jedoch nicht mehr darum. Sie verschwendeten keine Gedanken an die Vergangenheit, sondern kämpften stattdessen jeden Tag aufs Neue ums Überleben.

Ryans Gedanken brachen ab, als er jenseits der Büsche plötzlich ein leises Scharren hörte. Sekunden später sah er zwei Rinder, die sich bei seinem Anblick tiefer in die Büsche zurückzogen. Der aufziehende Nebel schien sie ganz nervös gemacht zu haben.

»Vater!«, rief Ryan und drehte sich im Sattel um. »Komm her – ich habe die Rinder gefunden!«

Seine Stimme klang seltsam hohl und dumpf, weil die Nebelschleier immer näherkamen.

Du solltest besser umkehren und zusehen, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen! riet ihm seine Vernunft. Oder bist du wirklich scharf darauf, diesen schrecklichen Geschöpfen Auge in Auge gegenüberzustehen? Das überlebst du ganz sicher nicht.

Lautes Knacken der Äste seitlich hinter ihm ließ Ryan zusammenzucken. Automatisch fuhr seine rechte Hand zum Gewehr, das er aus dem Futteral am Sattel zog. Erst als er den Reiter erkannte, entspannte er sich etwas.

»Da drüben!«, rief Ryan seinem Vater zu und wies mit der Linken in die Richtung, wo er die beiden Rinder hatte verschwinden sehen. »Vielleicht finden wir dort auch die anderen.«

»Hm ...«, grübelte Paul Foster stirnrunzelnd. »Da drüben beginnen die Teersümpfe, Junge.«

»Das weiß ich auch«, antwortete Ryan ein wenig schärfer, als er das eigentlich beabsichtigt hatte. »Deshalb müssen wir die Sache schnell erledigen.«

Er dirigierte sein Pferd einfach zu den Büschen hinüber. Das Tier wurde zwar immer nervöser, aber Ryan trieb es unbarmherzig weiter an. Er hörte, wie sein Vater hinter ihm fluchte, ihm aber dann ebenfalls folgte.

Mittlerweile waren die Nebelschleier noch dichter geworden. Die Sicht betrug nur noch hundert Yards – an manchen Stellen sogar noch weniger. Vater und Sohn mussten aufpassen, welchen Weg sie nahmen, sonst würden sie sich genauso im Nebel verirren wie die ausgebrochenen Rinder.

Die Luft war feucht und trieb Ryan den Schweiß auf die Stirn. Es roch streng und faulig. Je weiter sie in das Gebüsch eindrangen, umso feuchter und matschiger wurde der Boden. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Teersümpfe ganz nahe waren.

»Da sind sie!«, rief Ryan und atmete erleichtert auf, als er die Rinder weiter rechts entdeckte. Sie standen alle in der Nähe einer Gruppe von Büschen und bewegten sich nicht von der Stelle. »Wir treiben sie zurück – los!«

Wieder war es Ryan, der zuerst die kleine Herde erreicht hatte und dann versuchte, die Tiere aus dem Nebel zu treiben. Das gelang ihm aber erst mit Hilfe seines Vaters, der von der anderen Seite kam. Beide waren so beschäftigt mit ihrer Arbeit, dass sie die glucksenden Geräusche jenseits der Nebelwand gar nicht mitbekamen. Nur die Pferde spürten, dass irgendetwas geschah. Sie schnaubten nervös und bäumten sich unter den Zügeln so plötzlich auf, dass die Rinder Angst bekamen und wieder die Flucht ergriffen. Aber zum Glück in die richtige Richtung – weg aus den Sümpfen.

»Verdammt, was ist denn nur mit den Pferden los?«, rief Paul Foster wütend und versuchte sein Tier zu bändigen. Er war ein erfahrener Reiter und kannte sich mit Pferden aus. Aber diese plötzliche Wildheit hatte er bei diesem Pferd noch nicht erlebt. Normalerweise war es lammfromm und gehorchte ihm aufs Wort. Aber jetzt?

In dieser Sekunde schoss plötzlich ein schwarzer Schatten aus den Nebelschleiern. Paul Fosters Augen weiteten sich vor Schreck, als er etwas sah, was eigentlich gar nicht existieren durfte. Aber noch bevor er diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte, bohrte sich eine klauenbewehrte Hand auch schon in den Hals seines Pferdes und riss es mit brachialer Gewalt zur Seite.

Das Tier wieherte schrill im Todeskampf und schlug mit den Vorderhufen aus. Sein Reiter konnte sich nicht mehr länger im Sattel halten und wurde abgeworfen. Hart schlug er auf dem Boden auf und beobachtete, wie sein Pferd von einer haarigen, muskelbepackten Kreatur getötet wurde. Aus der aufgerissenen Kehle spritzte Blut empor, während das Tier zusammenbrach und nur noch schwach mit den Läufen zuckte.

All dies geschah innerhalb weniger Sekunden. Paul Foster war wie gelähmt vor Angst. Er sah, wie das schreckliche schuppige Geschöpf ihn mit seinen unmenschlichen roten Augen erfasste. Gleich würden ihn die Krallen zerreißen – aber in diesen entscheidenden Sekunden war er völlig gelähmt vor Angst!

* * *

Ryan brauchte nur Bruchteile von Sekunden, um den Ernst der Lage zu erfassen. Sein Vater war in Gefahr. Er musste ihm helfen – rasch!

»Wirf dich zur Seite, Vater!«, brüllte Ryan und eröffnete das Feuer auf die albtraumhafte Kreatur. Die Kugel traf die Bestie in den breiten Rücken und stieß sie nach vorn. Sie wankte und taumelte dabei auf Paul Foster zu. Mit ausgestreckten Klauenhänden, deren scharfe Krallen den Tod versprachen!

Ryans Vater wollte noch ausweichen, aber es gelang ihm nicht ganz. Die rechte Pranke streifte seine Schulter und riss dort eine blutige Wunde, die Paul Foster vor Schmerz laut aufschreien ließ.

Ryan drückte noch zwei Mal ab. Das Geschöpf wurde vom Einschlag der Kugeln herumgerissen. Aus dem weit aufgerissenen Rachen kam ein grässliches Röcheln und in den Augen blitzte es noch einmal kurz auf. Dann brach das Wesen aus den Sümpfen zusammen und bewegte sich nicht mehr. Unter dem haarigen Körper breitete sich eine Blutlache aus, und ein pestilenzartiger Gestank stieg in Ryans Nase, der ihn anwiderte. Aber die Gefahr war gebannt – und nur das zählte.

Ryan stieg aus dem Sattel und strich seinem Pferd sanft über die Nüstern. Diese kurze Geste schien das Tier wieder zu beruhigen. Auch wenn es nach wie vor argwöhnisch auf die Stelle blickte, wo das schreckliche Geschöpf zusammengebrochen war.

Vorsichtig näherte sich Ryan jetzt diesem Platz. Er blieb immer noch misstrauisch und ließ das Gewehr nicht sinken. Aber dann begriff er, dass keine Gefahr mehr drohte.

»Hilf mir, Junge!«, erklang die stöhnende Stimme seines Vaters. »Wir müssen weg von hier, bevor ...«

Rasch ging Ryan zu ihm und half ihm beim Aufstehen. Paul Foster biss die Zähne zusammen und wankte noch ein wenig. Er musste große Schmerzen haben, denn die Klauen hatten eine stark blutende Wunde gerissen.

»Halb so schlimm ...«, murmelte Foster, als er die besorgten Blicke seines Sohnes bemerkte. »Ich schaffe das schon.«

Auch wenn Ryan nicht ganz davon überzeugt war, so behielt er seine Zweifel jetzt für sich. Stattdessen stützte er seinen Vater und ging mit ihm zurück zu dem zweiten Pferd, das noch sehr nervös war. Aber es gehorchte seinem Herrn und ließ es zu, dass Paul Foster sich mit einem lauten Stöhnen auf seinen Rücken zog und Ryan anschließend hinter ihm aufsaß.

Gerade als Ryan dem Pferd die Zügel freigeben wollte, erklangen plötzlich schmatzende und glucksende Geräusche von jenseits der Nebelwand. Nur wenige Augenblicke später zeichneten sich die Konturen von weiteren plumpen Gestalten zwischen den weißlichen Schleiern ab.

»Weg hier!«, rief Paul Foster. »Schnell!«

Ryan trieb das Pferd mit einem lauten Ruf an. Das Tier begriff und fiel sofort in einen schnellen Trab. Was hinter Ryan geschah, konnte er nur ahnen. Aber er wollte das eigentlich gar nicht mehr wissen.

Sekunden reihten sich zu endlosen Minuten, bis das Pferd und seine beiden Reiter endlich wieder sicheres Territorium erreicht hatten. Auch die Nebelschleier lichteten sich wieder und gaben den Blick auf das Band der alten Straße frei. Die Straße zu sehen – das bedeutete auch weitere Sicherheit. Denn noch keines dieser finsteren Geschöpfe hatte sich jemals soweit aus den Teersümpfen herausgewagt. Zumindest hatten weder Ryan noch sein Vater jemals davon gehört.

Auch die Rinder waren inzwischen aus den Sümpfen zurückgekommen und befanden sich jetzt auf der anderen Seite des verwitterten Asphaltbandes.

Ryan hörte seinen Vater leise stöhnen und spürte das klebrige Blut, das aus seiner Schulter tropfte. Er vergewisserte sich aber erst noch einmal, dass ihnen wirklich keine weitere unliebsame Überraschung mehr drohte. Erst dann wagte er es, seinem Vater aus dem Sattel zu helfen. Paul Foster war sehr geschwächt, denn er spürte mittlerweile den Blutverlust. Mit beiden Händen krallte er sich an der Mähne des Pferdes fest, während Ryan die Satteltasche öffnete und ein Tuch mit Verbandszeug herausholte. Überleben konnten nur diejenigen, die stark und entschlossen waren. Auch wenn Ryan noch ein junger Mann war, so hatte ihm sein Vater doch schon alles beigebracht, um in dieser Wildnis überleben zu können. Dazu gehörte auch das Wissen, wie man Verbände anlegte.

Ryan stoppte auf diese Weise erst einmal die Blutung der Wunde. Der dankbare, aber sichtlich erschöpfte Blick seines Vaters sagte ihm mehr als viele Worte. Dann half er Paul Foster wieder in den Sattel zu steigen und saß hinter ihm auf.

Sofort lenkte er sein Pferd auf die Rinder zu und trieb die Tiere mit einem lauten Ruf an. Während Paul Foster versuchte, das Gleichgewicht im Sattel zu halten, sah er zu, wie sein Sohn die Rinder zurück zur heimatlichen Farm brachte. Das Pferd gehorchte ihm aufs Wort. Ein Lächeln schlich sich in die Züge des Vaters, als er das sah.

Ryan ist schon sehr gut für sein Alter, dachte er, während er das allmählich stärker werdende Brennen in der Wunde zu ignorieren versuchte. Auf den Jungen kann man sich wirklich verlassen ...

* * *

Der Weg zurück bis zur heimatlichen Farm kam ihm wie eine halbe Ewigkeit vor, obwohl es gerade mal zehn Meilen waren. Eine Strecke, die man mit dem alten Pick-Up-Truck in kurzer Zeit zurücklegen konnte. Zu Pferd dauerte es etwas länger – und jetzt, mit seinem verletzten Vater vor sich im Sattel, musste er umso langsamer reiten.

Die Nebelzone lag weit hinter ihm und war nur noch ein schwacher Streifen am Horizont. Wenig später tauchten die Gebäude der heimatlichen Farm vor Ryan auf. Mittlerweile hatte sich der Wind wieder gedreht und sorgte zum Glück dafür, dass der Nebel nicht weiter in Richtung Flachland zog. Sonst hätte es wirklich ernsthafte Probleme für die Grenzlandbewohner gegeben – besonders für diejenigen, die auf den abgelegenen Farmen lebten und nicht den Schutz einer Ortschaft wie beispielsweise Dragtown besaßen.

Die kleine Rinderherde folgte dem Pfad bis zur Farm. Ab und zu versuchte eines der Tiere auszubrechen, aber Ryan erkannte das sofort und verhinderte das, indem er das Pferd anspornte und den störrischen Tieren den Weg versperrte.

Ryan hörte seinen Vater leise stöhnen. Der Verband war feucht geworden. Es wurde jetzt höchste Zeit, dass er sich ausruhte. Ryan konnte nur hoffen, dass die Krallen der Sumpfkreatur seinen Vater nicht mit einer schlimmen Krankheit infiziert hatten – sonst gab es wirklich keine Rettung mehr. Der nächste Arzt war weit entfernt, und ob er in solch einer Krisensituation überhaupt kommen würde, das war nicht sicher. In diesen Zeiten dachte jeder erst einmal an sich – und dann nach langer Zeit an die übrigen Mitmenschen in diesem zerstörten Land.

Die Blicke des jungen Mannes schweiften über die Senke, in der die kleine Farm lag. Er sah das wuchtige Holzhaus und die dicht daneben liegenden Schuppen und Stallungen. Sein Vater hatte es mit den eigenen Händen erbaut, und er war stolz darauf, dass seine Familie hier ein Zuhause hatte. Weit abseits der anderen Städte und Ansiedlungen, wo es nichts Gutes gab. Zumindest hatte Ryan seinen Vater immer wieder so reden hören, wenn das Wort auf Städte wie Dragtown fiel.

»Es ist ein Sündenpfuhl, Junge«, hatte Paul Foster zu ihm gesagt. »Dort bringen sie sich gegenseitig für ein Stück Brot um. Mörder und Ausgestoßene halten sich dort auf – sei froh, dass du hier bei uns lebst.«

Er hatte Ryan bei diesen Worten auf eine Art und Weise angesehen, die ihn immer sehr nachdenklich gestimmt hatte. Als wenn sein Vater ihm damit irgendetwas Wichtiges andeuten wollte – was Ryan aber dennoch nicht verstand. Er hatte deshalb nur hilflos mit den Schultern gezuckt und sein Vater hatte wissend gelächelt. So war es immer gewesen.

Jetzt öffnete sich die Tür des Farmhauses und eine untersetzte Frau trat ins Freie. In ihren Händen hielt sie eine Waffe und war fest entschlossen, beim geringsten Anzeichen von Gefahr sofort davon Gebrauch zu machen. Betty Foster war eine resolute Frau, die genau wusste, was es bedeutete, am Rande der Zivilisation zu leben. Denn das Grenzland hatte seine eigenen Gesetze – vor allen Dingen, wenn man vergaß, dass die Teersümpfe nicht weit entfernt lagen. Und was sich jenseits davon erstreckte, das wusste niemand.

»Paul!«, hörte Ryan seine Mutter rufen, als sie ihn und den Verletzten erkannte. Sie warf die Waffe zu Boden und eilte mit schnellen Schritten auf das Pferd zu. Sorge stand in ihren Gesichtszügen, als sie den blutigen Verband ihres Mannes sah.

»Es sieht schlimmer aus, als es ist, Mutter«, versuchte sie Ryan zu beruhigen, während er rasch vom Pferd stieg und dann seinem Vater aus dem Sattel half. Paul Foster war mittlerweile so schwach, dass er schon halb bewusstlos war und sich mit eigener Kraft nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er bekam nur noch am Rande mit, dass er schon zurück auf der Farm war.

»Mach die Tür auf, Mutter«, bat Ryan sie. »Er muss sich hinlegen.«

»Natürlich«, murmelte Betty Foster und beeilte sich, die Bitte ihres Sohnes zu erfüllen. Ryan stützte seinen Vater und brachte ihn schließlich ins Zimmer seiner Eltern, wo er ihn sofort aufs Bett legte. Dass die Laken jetzt blutig wurden, spielte in diesen Minuten keine Rolle.

»Kümmere du dich um die Rinder und das Pferd, Ryan«, sagte seine Mutter. »Du kannst mir später erzählen, was geschehen ist. Überlass das andere mir.«

So war seine Mutter eben. Zielstrebig und akkurat, wenn es darauf ankam. Ryan wusste, dass sie alles für ihren Mann tun würde. Weitere Hilfe benötigte sie jetzt nicht. Also ging Ryan rasch ins Freie.

Bei den Rindern brauchte er nicht mehr viel zu tun. Sie hatten von selbst den Weg zurück in den Korral gefunden. Als wenn gar nichts geschehen wäre und der Ausbruch gar nicht stattgefunden hätte. Ryan bemerkte es nur aufgrund des zerstörten Zauns. Der musste heute noch repariert und stabilisiert werden, sonst gingen die Rinder in der nächsten Nacht wieder durch.

Ryan brachte sein Pferd in den Stall und sattelte es ab. Er rieb das Tier trocken und versorgte es, bevor er wieder hinausging. Sein Weg führte ihn nun in den Schuppen, wo er Hammer und Nägel holte. In der Nähe des Korrals lagen bereits zur Ausbesserung vorgesehene Bretter. Ryan und sein Vater hatten schon vor zwei Wochen darüber gesprochen, dass der Zaun dringend repariert werden müsste. Gleich morgen früh hatten sie damit anfangen wollen. Leider einen Tag zu spät, so dass das Verhängnis seinen Lauf genommen hatte.

Ryan spuckte in die Hände und machte sich ans Werk. Er war hartes und schnelles Arbeiten schon von Kindesbeinen an gewohnt. Dieses Leben hatte seinen Körper gestählt und seine Muskeln geformt. Für seine fünfundzwanzig Jahre wirkte er doch etwas älter, weil das Leben hier draußen alles andere als einfach war. Trotzdem hätte Ryan es nie gegen etwas anderes eingetauscht – auch wenn er gerade in den letzten Wochen immer wieder hinüber zum weiten Horizont geschaut hatte. Mit einem fast schon sehnsüchtig zu nennenden Blick.

So war es auch jetzt wieder. Gedankenverloren blickte er zu den fernen Hügeln und wünschte sich insgeheim, irgendwann einmal herauszufinden, was sich dahinter befand. Aber im Moment gab es dafür keine Chance, denn er wurde auf der Farm gebraucht. Bei diesem kargen Leben in einer Welt, die mit jedem verstreichenden Jahr immer schneller aus den Fugen geriet, war es dringend notwendig, dass man sich jederzeit auf den anderen verlassen konnte. So wie Ryans Eltern auf ihren Sohn.

Deshalb vergaß er seine Träumereien und konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit. Er reparierte die morschen Stellen mit einer Geschicklichkeit, als hätte er jahrelang nichts anderes getan. Hätte er sich jetzt die Zeit genommen und zurück zum Farmhaus geschaut, dann wäre ihm wahrscheinlich aufgefallen, dass ihn seine Mutter mit einem stillen Lächeln bei der Arbeit beobachtete.

Zwei Stunden später hatte Ryan alles hinter sich gebracht und atmete erleichtert auf. Nachdem er das Werkzeug wieder im Schuppen verstaut hatte, ging er zurück zum Farmhaus und war erleichtert, von seiner Mutter zu hören, dass es dem Vater allmählich wieder besser ging.

»Er schläft«, sagte Betty Foster. »Lass ihn ruhen – du kannst morgen früh nach ihm sehen. Ich möchte nicht, dass er jetzt wieder aufwacht. Er hat viel Blut verloren und muss erst einmal neue Kräfte schöpfen. Ryan, was ist eigentlich genau passiert?«

Die letzten Worte klangen vorwurfsvoll. Ryan spürte das – aber er wich dem prüfenden Blick seiner Mutter dennoch nicht aus. In kurzen Sätzen schilderte er, was sich in den Salznebeln zugetragen hatte. Seine Mutter schlug erschrocken beide Hände vors Gesicht, als sie alles erfuhr. Immer wieder schüttelte sie den Kopf.

»Ryan – du weißt doch ganz genau, was es bedeutet, jede Vorsicht außer Acht zu lassen«, tadelte sie ihn. »Das waren die Rinder nicht wert.«

»Und wenn wir sie verloren hätten?«, fiel ihr Ryan ins Wort. »Wovon sollten wir dann im Winter leben? Oder hast du vergessen, dass wir einen Teil des Fleisches eintauschen müssen, um über die Runden zu kommen? Nur daran habe ich gedacht, Mutter.«

»Schon gut«, winkte diese ab. »Ich glaube dir ja, dass du es nur gut gemeint hast. Aber die Teersümpfe sind gefährlich – denn keiner von uns weiß, welche schrecklichen Dinge sich dort sonst noch verbergen. Sei froh, dass nicht noch Schlimmeres geschehen ist. Ich hätte es nie ertragen können, wenn dir oder deinem Vater etwas zugestoßen wäre.«

»Ich bin alt genug, um selbst auf mich aufzupassen, Mutter«, erwiderte Ryan mit gezwungener Ruhe. Denn er mochte es nicht mehr, dass seine Mutter ihn so stark in seine Schranken verwies. »Mach dir keine Sorgen – es ist ja nichts passiert.«

»Dieses Mal nicht, Junge«, sagte die Mutter abschließend. »Und dafür danke ich Gott.«

* * *

Ryan konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Immer wieder wälzte er sich auf seinem Lager hin und her. Schließlich öffnete er die Augen und setzte sich im Bett auf. Irgendetwas hatte ihn geweckt – aber er wusste nicht, was es war.

Silbernes Mondlicht schien durch das Fenster und erhellte einen Teil des Raumes, den Ryan bewohnte. Es war ein kleiner, aber halbwegs gemütlicher Platz, wo der junge Mann nach getaner Arbeit seinen Gedanken und Wünschen des Öfteren freien Lauf ließ. Er brauchte ab und zu solche Momente, und die Anwesenheit anderer störte ihn dabei nur. Deshalb hatte er sich auch an diesem Abend frühzeitig zurückgezogen.

Auf einmal hörte er die Stimme seines Vaters. Eigenartigerweise hatte sie einen ziemlich zornigen Tonfall. Was Betty Foster darauf zu erwidern hatte, konnte Ryan nicht verstehen. Aber es klang irgendwie beschwichtigend. Als wenn sie mit allen Mitteln versuchte, ihren aufgebrachten Mann wieder zu beruhigen. Und zwar so, dass niemand – oder genauer gesagt Ryan – etwas davon mitbekam.

Das machte diesen natürlich umso neugieriger. Rasch erhob er sich von seinem Lager und schlich sich auf leisen Sohlen zur Tür. Er öffnete sie vorsichtig und spähte in die Stube hinein. Dann bemerkte er, dass die gegenüberliegende Tür, die ins Schlafzimmer seiner Eltern führte, nicht ganz geschlossen war. Deshalb konnte er das hitzige Gespräch jetzt klar und deutlich verstehen.

»Du hättest ihn sehen sollen, Betty«, hörte er seinen Vater sagen. »Er war blitzschnell mit dem Gewehr. Wie jemand, der das schon im Blut hat. Verstehst du?«

»Damit hat er dir das Leben gerettet, Paul«, hielt ihm seine Frau entgegen. »Und nur das zählt für mich. Du weißt doch, dass es noch niemand geschafft hat, diesen grässlichen Geschöpfen lebend zu entkommen. Ist das denn gar nicht wichtig für dich?«

»Natürlich«, versicherte er ihr. »Aber ich habe noch nie gesehen, wie kaltblütig und entschlossen der Junge in den entscheidenden Sekunden reagierte. Ich hatte es zwar gehofft, dass es nicht so ist – aber in diesem Augenblick war Ryan wie er.«

Schweigen. Einige Sekunden lang war das Gespräch unterbrochen. Dann meldete sich seine Mutter mit einem Seufzer wieder zu Wort.

»Niemand kann sein eigenes Blut verleugnen, Paul. Wir sollten dankbar für all die Jahre sein – denn niemand von uns kann in die Zukunft sehen.«

Ryan runzelte die Stirn. Worüber sprachen seine Eltern eigentlich? Eigenes Blut? Was hatte das um Himmels Willen nur zu bedeuten? Er begann sich allmählich Sorgen zu machen.

Genau in diesem Moment hörte er Schritte und trat sofort wieder zurück. Dann schloss sich die Tür zum Zimmer seiner Eltern. Was die beiden danach miteinander besprachen, konnte Ryan nicht mehr verstehen. Minuten später war es ganz still.

Ryan zog sich daraufhin auch wieder in sein Zimmer zurück. Aber er war viel zu aufgeregt, um jetzt gleich wieder einschlafen zu können. Er blieb noch fast eine Stunde wach und blickte aus dem Fenster hinaus auf die mondhelle Ebene. Es war ein karges und einsames Land – aber Ryan hatte von Kindesbeinen an nie etwas anderes kennengelernt. Es war ein einfaches Leben, das er führte – aber wenigstens hatten seine Eltern und er ein Auskommen. Auch wenn es recht bescheidener Art war.

Schließlich streckte er sich wieder auf dem Bett aus und schloss die Augen. Den Rest der Nacht über suchten ihn ziemlich wirre Träume heim. Träume, in denen eine schattenhafte Gestalt eine zentrale Rolle spielte, die ihm aus weiter Ferne immer wieder zurief: »DU BIST NICHT VON IHREM BLUT!«

KapitelZwei

Es war noch früh am Morgen, als Ryan zusammen mit seinen Eltern den Geländewagen belud. Die Sonne war erst vor einer knappen Stunde hinter den Hügeln aufgegangen und die Kälte der vergangenen Nacht noch allgegenwärtig. Ryan fühlte sich müde und ausgelaugt, denn er hatte nicht gut geschlafen und grübelte jetzt im Stillen noch über die seltsamen Träume nach, die er durchlebt hatte.

Auch sein Vater war wortkarg und ziemlich mürrisch heute. Aber vielleicht lag das an der Wunde, die ihm noch zu schaffen machte. Sein Gesicht war blass und die Augen lagen in den Höhlen. Er wirkte wie jemand, der eine schwere Krankheit noch nicht auskuriert hatte und demzufolge eigentlich ins Bett gehörte.

Darauf konnte Paul Foster jedoch keine Rücksicht nehmen. Die Fahrt nach Dragtown war schon einige Tage überfällig. Denn es wurden neue Werkzeuge benötigt, sowie einige andere Dinge, die das Leben auf der abgelegenen Farm etwas leichter machten. Die Familie hatte Gemüse und frisches Fleisch dabei, für das sie ganz sicher Abnehmer finden würden.

Nur ob sie die benötigten Werkzeuge in Dragtown bekommen würden – das war eine ganz andere Frage. Denn es gab weit und breit keine Fabriken mehr, wo solche Geräte noch hergestellt wurden. Industrie existierte nur noch in Legenden und in den Erinnerungen der Alten, die dies wiederum von ihren Großeltern gehört hatten.

»Seid ihr soweit?«, wollte Paul wissen und schaute zu seiner Frau und Ryan.

»Lass mich fahren, Vater«, schlug Ryan vor. »Du brauchst noch Ruhe.«

»Junge, der Geländewagen kann manchmal ziemlich tückisch sein«, gab er zu bedenken. »Du hast ihn doch erst zwei Mal gefahren.«

»Hauptsache, wir kommen ans Ziel«, hielt ihm Ryan entgegen. »Wenn du unterwegs am Steuer vor Erschöpfung zusammenbrichst, ist keinem von uns geholfen.«

»Gut«, stimmte ihm sein Vater schließlich zu. »Aber sei ja vorsichtig – wir brauchen die alte Kiste noch.«

Zwischenzeitlich hatte Ryan am Steuer des Wagens Platz genommen und inspizierte unter den kritischen Blicken seines Vaters das Armaturenbrett. Der Zündschlüssel steckte schon und Ryan drehte ihn im Schloss herum.

Mit einem Stottern sprang der Motor an, gefolgt von einer dunklen Qualmwolke, die aus dem Auspuff schoss und die Luft verpestete. Das lag an dem Gemisch, mit dem die alte Kiste betankt worden war. Reines Benzin war knapp geworden. Die meisten Besitzer von Motorfahrzeugen streckten es, auch wenn der Motor dadurch langsam, aber sicher, krepierte.

Ryan löste die Bremse und gab etwas zu abrupt Gas, so dass der Wagen heftig zu rucken begann. Sein Vater runzelte argwöhnisch die Stirn, gab sich aber dann zufrieden, als er sah, wie sein Sohn den Geländewagen schließlich unter Kontrolle bekam und vom Hof fuhr.

Ryan bemerkte die angespannten Mienen seiner Eltern. Die Farm allein zu lassen, bedeutete immer ein Risiko. Aber Paul Foster war noch angeschlagen und brauchte heute die Hilfe seiner Frau, um alles in Dragtown erledigen zu können. Es war schon ein Risiko gewesen, sie zurückzulassen, als er mit Ryan in die Teersümpfe geritten war.

Dragtown lag gut sechzig Meilen entfernt. Ryan und seine Familie konnten nur hoffen, dass in der Zwischenzeit die Farm nicht von Plünderern heimgesucht wurde. In den Grenzländern musste man solche Gefahren in Kauf nehmen. Es gab genug Entwurzelte, die sich abseits der wenigen Städte aufhielten und nur ihre eigenen Gesetze akzeptierten.

Die Farm verschwand allmählich am Horizont, während Ryan den Geländewagen über den aufgerissenen Asphalt der alten Straße lenkte, die genau nach Dragtown führte. Auch wenn Ryan den größten Schlaglöchern ausweichen konnte, so wurden sie dennoch alle heftig durchgeschüttelt, was seinem Vater ab und zu ein leises Stöhnen entlockte.

Je länger Ryan am Steuer saß, umso sicherer fuhr er. Als hätte er nie etwas anderes getan. Trotzdem war Wachsamkeit geboten. Es vermittelte ein Gefühl von Sicherheit, schussbereite Waffen bei sich zu haben. Wenn es darauf ankam, würde er sie rasch zur Hand haben.

Ryans Interesse galt jetzt einem plötzlich aufleuchtenden Blinklicht in alarmierend roter Farbe. Gleichzeitig fing der Motor auf einmal an zu stottern.

»Auch das noch«, brummte Paul, als er das sah. »Halt den Wagen an, Ryan – sofort!«

Ryan tat, was sein Vater ihm sagte. Er fuhr den Geländewagen an den rechten Straßenrand. Mit einem blubbernden Geräusch erstarb der Motor und Ryan befürchtete Schlimmes.

»Ich werde mal nach dem Rechten sehen. Komm mit, Junge!«

Der ältere Mann stieg aus dem Wagen und blickte direkt in die grelle Morgensonne. Das Licht war zu dieser Zeit besonders intensiv. Kurz darauf machte er sich an der Motorhaube des Geländewagens zu schaffen und hob sie hoch.

Ryan war immer noch nicht aus der Vielzahl von Kabelverbindungen und einzelner Elemente schlau geworden. Er konnte sich gar nicht vorstellen, dass es einmal Menschen gegeben hatte, die so eine Maschine überhaupt hatten planen und bauen können.

»Das Öl ist heiß geworden«, stellte Ryans Vater nach kurzem Suchen fest. »Wir müssen warten, bis sich der Motor wieder abkühlt. Sonst bleibt uns die Kiste womöglich ganz stehen.«

Auch das noch! seufzte Ryan innerlich. Jetzt waren er und seine Eltern gezwungen, in dieser Einöde auszuharren. Wer weiß wie lange! dachte er voller Ungeduld, weil er sich insgeheim doch auf Dragtown gefreut hatte. Denn das Leben in der Stadt stellte einen krassen Gegensatz zu dem auf der einsamen Farm dar, auf der er aufgewachsen war.

»Nur nicht ungeduldig werden«, versuchte Paul Foster Ryan zu besänftigen. »So was passiert ja nicht zum ersten Mal. Wir kriegen das schon wieder hin und ...«

Er brach mitten im Satz ab, als er plötzlich eine Gestalt vor dem flimmernden Horizont oben auf einer Anhöhe bemerkte. Sie stand dort regungslos und schien die Insassen des alten Geländewagens schon seit geraumer Zeit beobachtet zu haben.

»Was ist denn, Paul?«, wollte Betty Foster wissen.

»Gib mir das Gewehr, Betty«, erwiderte Paul knapp. »Und steig in den Wagen – jetzt gleich. Hörst du?«

In seiner Stimme klang eine Schärfe an, die Betty zur Vorsicht mahnte. Vor allen Dingen, als sie nun auch hinauf zur Hügelkuppe sah und bemerkte, dass dort auf einmal drei Gestalten standen. Dabei blieb es aber nicht. Nur wenige Sekunden später erklang plötzlich das satte Brummen mehrerer Motoren, und dann tauchten zwei Fahrzeuge auf, die sehr verwegen aussahen.

Sie waren genauso wuchtig und robust gebaut wie der Geländewagen der Fosters, nur wesentlich besser in Schuss. Die Männer, die eben noch wie Salzsäulen auf der Anhöhe verharrt hatten, stiegen jetzt in die Wagen. Dann setzten sich die Fahrzeuge in Bewegung und fuhren hinunter in die Senke. Genau auf die Straße zu – und zu der Stelle, wo Ryan den Geländewagen eben angehalten hatte.

Ryan spürte die Anspannung seines Vaters und zögerte jetzt nicht mehr, das zweite Gewehr rasch an sich zu nehmen. Sein Vater gab ihm zu verstehen, dass er Position auf der anderen Seite des Kühlers beziehen sollte, damit wenigstens Ryan halbwegs geschützt vor einem plötzlichen Angriff war.

Je näher die beiden Fahrzeuge kamen, umso mehr Einzelheiten konnte Ryan erkennen. Was er sah, gefiel ihm nicht. Seine Unruhe wuchs, als er die Männer registrierte, die im Wagen saßen. Sie hatten allesamt bärtige und verschlagene Gesichter. Und sie waren bewaffnet!

»Bleib ganz ruhig, Junge!«, riet Paul Foster. »Wir dürfen uns nur nicht anmerken lassen, was wir denken. Ist das klar?«

»Ja, Vater«, versicherte ihm Ryan und bemühte sich, nach außen hin gelassen zu bleiben. Abwartend sah er zu, wie die beiden Wagen nur wenige Meter vor Paul Foster stoppten. Die Motoren liefen weiterhin gleichmäßig mit einem satten Geräusch – ein erneutes Zeichen dafür, dass die Männer viel Zeit und Arbeit investiert haben mussten, um die Fahrzeuge in Ordnung zu halten. Und sie schienen zu wissen, wo und wie man ohne Probleme an Benzin kommen konnte!

Zwei der Männer stiegen aus, raue Gesellen mit stoppelbärtigen Gesichtern. Ihre Kleidung war staubig und an mehreren Stellen geflickt. Nur die Waffen, die sie trugen, waren sehr gepflegt. Ein seltsamer Gegensatz, den Ryan natürlich sofort bemerkte. Genauso wie das Grinsen eines der beiden Männer. Groß und muskulös war er, und auf seinem blanken tätowierten Schädel hatten sich Schweißtropfen gebildet.

Der zweite Mann war etwas kleiner und kräftiger. Aber er schien hier das Sagen zu haben. Denn nur eine knappe Geste beendete das Grinsen des Größeren sofort.

»Ist ja richtig viel los heute Morgen«, meinte der Mann mit einem Lächeln, das jedoch seine Augen kalt bleiben ließ. »Wohin geht denn die Reise?«

»Ich wüsste nicht, was euch das angeht«, erwiderte Paul Foster und hob bei diesen Worten den Lauf seines Gewehrs ein wenig an. Genau in die Richtung, wo der untersetzte Mann stand. »Lasst uns in Ruhe – verstanden?«

»Der ist aber bissig – fast noch schlimmer als ein Wolfshund, Frank!«, lachte einer der Männer aus dem linken Wagen. »Vielleicht sollten wir ihm ein bisschen die Krallen stutzen ...«

»Halt deinen Mund, Clovis!«, wies ihn der Untersetzte zurecht, den der andere Frank genannt hatte. »Ich entscheide hier, was zu tun ist – klar?«

Er wartete gar nicht eine Antwort des vorlauten Kumpans ab, sondern schaute wieder zu Paul. Die Frau im Inneren des Geländewagens registrierte er nur ganz beiläufig. Und auch das Gewehr in Fosters Händen schien gar keine Rolle für ihn zu spielen. Stattdessen richtete er seine Blicke auf Ryan und musterte ihn sehr gründlich von Kopf bis Fuß.

»Ist was, Mister?«, wollte Ryan jetzt von ihm wissen, weil ihm der Blick des Mannes nicht gefiel.

»Wie heißt du, Junge?«, kam auf einmal die Gegenfrage.

»Ich wüsste nicht, warum er seinen Namen nennen sollte«, fiel Ryans Vater dem Mann ins Wort. »Wir wissen ja auch nicht, mit wem wir es zu tun haben.«

Während die letzten Silben über seine Lippen kamen, hob er den Lauf des Gewehrs noch etwas höher, so dass jetzt jeder erkennen konnte, dass er mit der Waffe auf den Anführer dieses verwahrlosten Trupps zielte. Und seine Miene drückte keinen Zweifel aus, dass er auch abdrücken würde.

»Ich bin Frank Dobbs«, erwiderte der Untersetzte mit einem abfälligen Lächeln. »Meine Freunde und ich sind auf dem Weg nach Dragtown. Wollen Sie sich uns nicht anschließen?«

»Wir kommen schon allein klar«, antwortete Foster kopfschüttelnd. »Es ist nicht das erste Mal, dass wir dorthin fahren. Ist sonst noch was?«

Man konnte erkennen, dass Dobbs noch eine brennende Frage hatte. Aber angesichts der auf ihn gerichteten Waffe wollte er keinen weiteren Streit provozieren. Deshalb kam es umso überraschender für Dobbs – und erst recht für Ryans Vater, als der junge Mann plötzlich hinter dem Geländewagen hervortrat.

»Ich heiße Ryan, Mister«, sagte er zu Dobbs. »Sind Sie jetzt zufrieden?«

»Ich glaube schon«, erwiderte der mit einem schmierigen Grinsen. »Dann wünsche ich dir und deinen Eltern noch eine angenehme Reise nach Dragtown. Passt aber auf euch auf. Man kann nie wissen, welches Gesindel man unterwegs trifft.«

Die letzten Worte wurden von einem meckernden Lachen begleitet, das die Kumpane von Dobbs ansteckte. Die ganze Szene war irgendwie surreal. Für Ryan schien es so, als wenn dieser Mann namens Frank Dobbs etwas ganz Bestimmtes von ihm gewollt hatte. Etwas, worüber er noch nicht klar und deutlich gesprochen hatte. Verwirrt sah er zu, wie Dobbs und der andere Mann wieder in den Wagen stiegen und sich die Fahrzeuge nur wenige Augenblicke später in Bewegung setzten.

Staub und Dreck wurden von den wuchtigen Reifen emporgewirbelt und die Sicht verschlechterte sich. Als Ryan wieder klarsehen konnte, waren die beiden Fahrzeuge schon zwischen den Hügeln verschwunden.

»Was waren das denn für komische Typen?«, murmelte er vor sich hin.

»Kerle, die mit Vorsicht zu genießen sind, Junge«, antwortete sein Vater, weil er Ryans Worte gehört hatte. »Denen traue ich nicht von hier bis da.«. Er vollzog mit der linken Hand eine entsprechende Geste. Das sagte mehr als viele Worte.

»Warum wollten die wissen, wer ich bin, Vater?«, ließ Ryan jetzt nicht locker und bemerkte zu seinem Erstaunen, wie Paul Foster den Blicken seines Sohnes auswich.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte er eine Spur zu rasch. »Es spielt auch keine Rolle – die Burschen sind auf und davon. Ich denke, wir sollten jetzt auch weiterfahren.«

Mit diesen Worten verstaute er die Waffe im Inneren des Wagens und nickte seiner Frau beruhigend zu. Währenddessen war Ryan auch schon eingestiegen und startete den Wagen. Er atmete erleichtert auf, als der Motor diesmal mit einem satten Brummen gleich kam und keine weiteren Stottergeräusche mehr von sich gab.

Sofort gab er wieder Gas und setzte die Fahrt nach Dragtown fort. Immer weiter in Richtung Westen ...

* * *

»Verdammt – pass auf!«, rief der bullige Crocker, als er bemerkte, dass Dobbs das Lenkrad plötzlich nach links riss. Zum Glück hatte Dobbs aber noch rechtzeitig gegengesteuert und bekam den Wagen wieder unter Kontrolle.

»Was ist los, Frank?«

Crocker rieb sich nervös über den buschigen Bart, als er seinen Kumpan beobachtete. Der hielt das Lenkrad mit verbissener Miene fest und schien schon wieder ganz in Gedanken versunken zu sein. Wie jemand, der gar nicht bei der Sache war.

»Hast du den Jungen gesehen, Crocker?«

»Ein vorlauter Typ war das, Frank«, meinte Crocker. »Du hättest besser zulassen sollen, dass ihm Clovis eins auf die Schnauze gibt.«

»Du Idiot!«, fuhr ihn Dobbs mit wütender Stimme an. »Bin ich denn nur von Trotteln umgeben? Hast du denn gar nichts bemerkt?«

»Der Junge hatte auch ein Gewehr – na und?«, erwiderte Crocker achselzuckend, während Dobbs den Wagen weiter nach Westen steuerte. Das zweite Fahrzeug war unmittelbar hinter ihnen. Aber sie fuhren alle abseits der Asphaltstraße. Auf diese Weise würden sie viel Zeit gewinnen und noch vor dem Mann, der Frau und dem Jungen namens Ryan in Dragtown sein. Für Dobbs war das ganz wichtig, denn dies stellte den ersten Teil eines Plans dar, den er bereits im Stillen ausgeklügelt hatte. Wovon seine übrigen Kumpane natürlich noch nichts wussten.

»Hast du seine Augen gesehen, Crocker?«, versuchte es Dobbs noch einmal und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung einige Schweißtropfen von der feuchten Stirn. »Ist dir die Art und Weise aufgefallen, wie er das Gewehr hielt und uns anschaute? Ich bin sicher, dass wir auf der richtigen Spur sind.«

»Was?«, entfuhr es jetzt dem erstaunten Crocker. »Du willst doch nicht etwa behaupten, dass dieser Junge ...?«

»Ich behaupte gar nichts«, fiel ihm Dobbs ins Wort. »Ich versuche nur, aus meinen Beobachtungen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das liegt doch auf der Hand, oder?«

»Also scheinen die Gerüchte doch zu stimmen«, setzte Crocker jetzt die Gedankengänge seines Kumpans fort. »Du hattest wieder mal den richtigen Riecher, Frank.«

»Und genau deshalb werden wir in Dragtown abwarten, bis die beiden Alten und der Junge in die Stadt kommen. Wenn sich meine Vermutung dann bewahrheitet, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir unserem Ziel ganz nahe sind.«

»Manchmal geht das Schicksal eben überraschende Wege«, meinte Crocker in einem Anfall von Philosophie. »Da sucht man mehr als drei Jahre lang nach einer verwertbaren Spur und kleinen Hinweisen – und dann wird einem praktisch des Rätsels Lösung auf einem silbernen Tablett serviert.«

Er grinste abfällig, als er für sich im Geiste ausmalte, was das für Konsequenzen hatte.

»Der alte Kershaw hat also nicht gelogen, als er uns von einem Kind erzählte«, fuhr er fort. »Aber warum dieses Versteckspiel die ganzen Jahre über?«

»Was weiß ich?«, entgegnete Dobbs. «Es spielt ja auch keine Rolle mehr, was damals geschehen ist. Wichtig ist nur der Junge. Den müssen wir ganz genau beobachten. Und durch ihn finden wir dann auch Luther Collins.«

»Falls er überhaupt noch am Leben ist, Frank.«

»Das ist mir egal«, winkte Dobbs ab. »Ich will nur den Schatz finden, den er beiseitegeschafft hat. Dann gehört uns die restliche Welt, alter Junge! Und die Geheimnisse, die sie noch birgt.«

»Kein schlechter Gedanke«, schmunzelte Crocker. »Dann hat diese ganze Plackerei ein Ende.«

»Genau so wird es sein«, versprach ihm Dobbs mit einem entschlossenen Unterton in der Stimme. »Verlass dich drauf.«

* * *

Wie viel Zeit verstrichen war, seit Ryan mit seinen Eltern die Farm verlassen hatte, konnte er nur schätzen. Auf jeden Fall war die Sonne schon ein gutes Stück in Richtung Süden gestiegen und stand jetzt fast im Zenit. Die Luft flimmerte über dem bröckeligen Asphalt und trieb den Insassen des Geländewagens den Schweiß auf die Stirn.

Zum Glück hatten sie Wasser mit dabei und konnten ihren Durst löschen. Ryan hoffte, dass die Fahrt durch die Einöde bald vorbei sein würde. Außer der Begegnung mit diesem Dobbs und seinen Kumpanen waren sie unterwegs auf keine einzige Menschenseele gestoßen. Manchmal hatte Ryan geglaubt, dass er und seine Eltern die einzigen Überlebenden dieser Welt waren. Die Abgeschiedenheit des Grenzlandes wurde in Momenten wie diesen ganz besonders deutlich.

Nachrichten über das, was in den einstigen Zentren des weiten Landes geschah, drangen nur spärlich bis zur Farm durch. Es spielte auch keine grundlegende Rolle, denn das Leben der Bewohner des Grenzlandes drehte sich ohnehin um völlig andere Dinge. Wer jetzt glaubte, sich zum neuen Herrscher emporschwingen zu wollen und versuchte, einen weiteren Krieg anzuzetteln, sollte es ruhig tun. Solange man die Menschen hier in Ruhe ließ, war alles andere völlig gleichgültig.

In einer Zeit, wo es keine Infrastruktur mehr gab und jeder nur noch an sich dachte, galt nur noch eins: Überleben um jeden Preis. Dieser unmissverständliche Grundsatz bestimmte weite Teile des Lebens in den Grenzländern. Denn Sicherheit gab es nur in größeren Orten, wo sich ein Teil der Menschen zu Gemeinschaften zusammengerauft hatten.

Deshalb war Ryan umso erleichterter, als am fernen Horizont die ersten Häuser von Dragtown auftauchten. Für einen jungen Mann wie ihn, der den größten Teil seines Lebens in der Einsamkeit verbracht hatte, wirkte ein Ort wie Dragtown wie die sprichwörtliche Verheißung.

Zu beiden Seiten der arg in Mitleidenschaft gezogenen Straße erhoben sich Dutzende von Gebäuden. Einige waren noch ganz gut in Schuss – andere wiederum wirkten wie Ruinen, in denen schon seit Äonen kein menschliches Wesen mehr gewohnt hatte. Das Mauerwerk war von Gestrüpp und Unkraut überwuchert, aber die angrenzenden Nachbarn schien diese Verwahrlosung nicht im Geringsten zu interessieren. Ein weiteres Indiz dafür, dass hier wirklich nur jeder an sich selbst dachte.

Ryan wurde unruhig, als er die Menschen auf der Straße sah. Er war eine solche Ansammlung nicht gewohnt und blickte immer wieder von links nach rechts, während er den Geländewagen weiter in Richtung Stadtmitte steuerte. Weitere, teilweise abenteuerlich anmutende Gefährte kamen ihm entgegen – manche von ihnen waren recht waghalsige Konstruktionen, die nur ahnen ließen, wie das Fahrzeug im Urzustand einmal ausgesehen haben mochte. Aber es gab so gut wie keine Ersatzteile mehr, und wenn der Besitzer nicht wollte, dass sein Fahrzeug eines Tages ganz den Geist aufgab, dann musste er eben besonders erfinderisch sein.

»Fahr weiter nach links, Ryan«, riss ihn die Stimme seines Vaters aus den Gedanken. »Da vorn ist schon Richardsons Store.«

Ryans Blicke folgten dem Hinweis. Dann erkannte auch er das Gebäude, in dem sich der Handelsposten von Mark Richardson befand. Von außen wirkte das Haus, als würde es jede Sekunde in sich zusammenstürzen. Die Mauern waren alt und verwittert. Große Risse zogen sich vom Dach bis zum Fundament hin und an etlichen Stellen war der Putz abgebröckelt. Dem Besitzer schien das jedoch nichts auszumachen – Hauptsache, sein Geschäft florierte.

Dass dies auch der Fall war, davon konnten sich Ryan und seine Eltern nur wenige Augenblicke später selbst überzeugen. Als sie den Wagen direkt vor dem Eingang anhielten, kam gerade eine Gruppe von Männern heraus, die alle schwere Säcke mit sich schleppten. Die Art und Weise, wie sie sich gegenseitig zu grinsten, ließ auf ein gutes Geschäft schließen, das sie offensichtlich gemacht hatten. Wer jedoch Mark Richardson gut kannte, der wusste, dass es hier nur einen gab, der ordentlich Profit gemacht hatte. Nämlich Richardson selbst.

»Hallo Paul!«, begrüßte er Ryans Vater mit einem Grinsen. »Dich habe ich ja schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wie geht es dir da draußen in der Wüste?«

»Wir sind alle noch am Leben und schlagen uns immer wieder aufs Neue durch, Mark«, erwiderte Foster und drückte die Hand des Storebesitzers. »Ich habe einige Sachen dabei, die du gut gebrauchen könntest. Am besten wirfst du gleich mal einen Blick darauf.«

»Mache ich gleich, Paul«, versicherte ihm Richardson. »Aber zuerst muss ich auch mal deine Frau begrüßen. Hallo, Mrs. Foster. Geht’s Ihnen gut? Mann, Ryan – du bist groß und kräftig geworden, Junge.«

Bei jedem anderen hätte Ryan verstimmt reagiert, weil er diese gönnerhafte Art nicht mochte. Aber die Worte aus Richardsons Mund waren ehrlich gemeint, und deshalb nickte ihm Ryan freundlich zu und half seiner Mutter beim Aussteigen. Währenddessen war Richardson schon beim Wagen und inspizierte das, was Paul Foster ihm mitgebracht hatte.

»Frisches Fleisch und Gemüse – das kommt genau zur rechten Zeit, Paul«, nickte der Storebesitzer anerkennend. »Was willst du dafür haben?«

»Das weiß ich, wenn ich mich in deinem Laden umgesehen habe. Was hast du an Werkzeug vorrätig?«

»Gütiger Himmel – du bist ein hoffnungsloser Optimist, Paul Foster«, schüttelte Richardson fassungslos den Kopf. »Werkzeug ist knapp geworden in diesen Tagen. Ein Hammer kostet verdammt viel – über Sägen und Äxte wollen wir gar nicht erst reden.«

»Wir werden uns schon irgendwie einig«, meinte Paul Foster abwinkend und betrat dann zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn den Store. Insbesondere für Ryan war es so, als sehe er einen fremden Planeten. So viele unterschiedliche Waren auf engstem Raum hatte er schon lange nicht mehr begutachtet. Da standen Säcke mit Mehl und Zucker neben Kisten mit Metallteilen. Einige Regale weiter links befanden sich Konserven mit undefinierbarem Inhalt, deren Alter man nur noch schätzen konnte. Danach schlossen sich weitere Regale mit Kleidungsstücken an – aber natürlich keine Neuware.

»Seht euch ruhig um«, meinte Richardson. »Ihr findet weit und breit keine größere Auswahl als bei mir. Die Leute wissen das zu schätzen.«

»Mark, ich weiß schon, dass du was verkaufen willst«, unterbrach ihn Foster. »Aber du brauchst uns nichts aufzuschwatzen. Wir werden schon was finden – darauf kannst du dich verlassen.«

In diesem Augenblick betraten zwei Männer den Laden. Paul Foster und sein Sohn drehten sich um und blickten in stoppelbärtige Gesichter, die nichts Gutes verhießen. Ryan erkannte die Kerle sofort wieder. Sie gehörten zu Dobbs Leuten, und die Art und Weise, wie sie sich jetzt am Ausgang postiert hatten, zeigte, dass Ärger in der Luft hing.

»Sieh mal einer an!«, meinte derjenige, der schon beim ersten Zusammentreffen einen Streit hatte provozieren wollen. Clovis war sein Name, wie sich Ryan jetzt wieder erinnerte. »Wie klein die Welt doch manchmal ist – so sieht man sich also wieder.«

Sein Kumpan grinste hämisch und genoss diesen Moment, wo sie beide zusammen ihre Stärke zeigen konnten.

»Könnt ihr euch das denn überhaupt leisten?«, höhnte er weiter. »Hier gibt es nämlich nichts umsonst.«

»Hört mal, ich will hier keinen Streit!«, versuchte Richardson die aufkommende Spannung zu beseitigen. »Das sind ordentliche Menschen.«

»Überlass das besser uns«, wies ihn Clovis zurecht. »Wir haben genügend Menschenkenntnis.«

Während er das sagte, tastete seine rechte Hand nach einem scharfen Dolch, den er in seinem Gürtel trug. Seine Augen funkelten wütend, und es bedurfte nur noch eines weiteren Anstoßes, um eine handfeste Auseinandersetzung zu beginnen.

»Ich kann für mich selbst sprechen, Mark«, ergriff nun Paul Foster das Wort. Obwohl er seine Verletzung noch längst nicht auskuriert hatte, so war ihm doch klar geworden, dass er jetzt und hier keinen Rückzieher machen durfte, wenn er sein Gesicht nicht verlieren wollte. »Reden wir mal Klartext«, wandte er sich seufzend an Clovis und seinen Komplizen. »Was wollt ihr wirklich von uns?«

»Nichts«, erwiderte Clovis und trat urplötzlich einen Schritt nach vorn. Dabei stieß er Foster hart mit dem Ellenbogen zur Seite. So unerwartet, dass Foster wankte und aufstöhnte vor Schmerz. Er konnte sich gerade noch an einem Balken abstützen, sonst wäre er mit Sicherheit zusammengebrochen.

Clovis lachte gehässig auf, als er den Farmer taumeln sah. Aber dieser Triumph reichte noch nicht aus für ihn, um seine Stärke zu zeigen. Urplötzlich trat er einen Schritt auf Foster zu und holte mit der rechten Faust zu einem weiteren Schlag aus.

Dazu kam es jedoch nicht mehr. Denn Ryan stellte sich ihm unvermittelt in den Weg und blockte den Schlag des Kerls mit dem Arm ab. Bruchteile von Sekunden später versetzte er Clovis einen schmerzhaften Tritt in den Unterleib.

Sein Gegner vergaß daraufhin jede weitere Feindseligkeit. Er fiel auf die Knie und griff mit beiden Händen nach der schmerzenden Stelle. Dabei stieß er Laute aus, die dem Jaulen eines Hundes verdammt nahekamen.

Währenddessen hatte Ryan bereits nach einem Messer gegriffen, das auf der Ladentheke lag. Oder besser gesagt auf den Brettern, die so etwas wie eine Theke darstellen sollten. Sofort riss er es hoch und richtete es gegen den zweiten Mann, der schon im Begriff gewesen war, ihn anzugreifen.

»Versuch es und du bist tot«, warnte ihn Ryan mit gefährlich leiser Stimme – und das warnte den Schläger. Denn der Ausdruck in Ryans Augen jagte ihm einen Schauer der Furcht über den Rücken. »Los – pack deinen Kumpan und sieh zu, dass du von hier verschwindest. Was ist? Bist du immer noch nicht weg, du Ratte?«

Der Mann hatte Angst – das konnte man ganz deutlich erkennen. Er konnte Ryans zornigem Blick nicht länger standhalten und vergaß sofort jede weiteren feindlichen Absichten. Stattdessen beugte er sich über seinen stöhnenden Begleiter und versuchte ihm auf die Beine zu helfen. Was alles andere als eine leichte Sache war, denn Clovis jammerte immer noch gotterbärmlich. Ryan hatte ihn schlimm getroffen.

»Raus mit euch!«, drohte Ryan den beiden besiegten Gegnern. »Und traut euch nicht noch einmal in unsere Nähe. Habt ihr das jetzt begriffen?«

»Ja ... ja ...«, murmelte der Spießgeselle von Clovis, der diesen immer noch stützen musste. Dann wandte er sich rasch ab und verließ zusammen mit Clovis den Laden. Ryan blickte ihnen noch so lange nach, bis er wirklich sicher sein konnte, dass die beiden Halunken nicht noch einmal auf dumme Gedanken kamen. Erst dann wandte er sich wieder seinem Vater zu.

Betty Foster hatte zwischenzeitlich ihrem Mann geholfen. Staunend hatten die beiden mit angesehen, wie rasch Ryan die Initiative ergriffen hatte. Die Blicke, die sie sich jetzt zuwarfen, stimmten Ryan sehr nachdenklich. Weil sie ihn wieder an das nächtliche Gespräch erinnerten, von dem er zwar einen Teil mitbekommen, aber dennoch nicht verstanden hatte, um was es eigentlich ging.

»Also, das ist doch ...«, murmelte Mark Richardson kopfschüttelnd. »Junge, denen hast du aber gezeigt, wo es langgeht. Das werden die sich hoffentlich merken.«

»Das wäre auch besser«, erwiderte Ryan. »Das nächste Mal geht es nicht so glimpflich aus für diese Bastarde.«

Sein Blick ging hinüber in Richtung der Fenster, von wo aus er die andere Straßenseite sehen konnte. Nur wenige Yards entfernt standen die restlichen vier Männer von Dobbs Truppe. Sie wussten natürlich schon längst Bescheid.

Aber noch zögerten sie. Sie wagten es wohl nicht, in aller Öffentlichkeit Revanche zu fordern. Was aber nicht bedeutete, dass sie sich mit dieser Niederlage zufrieden geben würden. Ryan las das in den nachdenklichen Blicken seiner Eltern. Es kümmerte ihn jedoch nicht, weil er im Recht gewesen war. Derjenige, der seiner Familie etwas antun wollte, würde es immer mit ihm zu tun bekommen.

Für einige Sekunden lang hing noch betretenes Schweigen im Raum, bis sich schließlich Paul Foster räusperte.

»Wir sind hierhergekommen, um einige wichtige Dinge zu besorgen, Mark«, wandte er sich an den Besitzer des Ladens. »Meine Frau hat eine Liste gemacht – Betty, gib sie ihm bitte.«

Diese nickte nur und drückte Richardson ein zerknittertes Blatt Papier in die Hand. Dieser überflog die Zeilen und runzelte dabei die Stirn.

»Ich glaube, da müssen wir nochmal reden, Paul«, sagte er seufzend. »Was du mir zu bieten hast, reicht nicht ganz aus, um alles auf der Liste einzutauschen und ...«

»Mark, ich brauche neues Werkzeug – und du hast es vorrätig«, fiel ihm Paul Foster ins Wort. »Also, was ist jetzt?«

»Naja«, brummte Richardson. »Da dein Sohn verhindert hat, dass diese Kerle hier womöglich alles kurz und klein geschlagen hätten, will ich mal nicht so sein. Der Handel gilt, Paul. Sucht euch aus, was ihr braucht.«

»Danke, Mark«, murmelte der Farmer. »Komm, Ryan, bringen wir es rasch hinter uns. Ich will nicht länger als nötig hierbleiben.«

Ryan konnte seinen Vater gut verstehen. Der Zorn über die Demütigung steckte noch tief in ihm. In Dragtown gab es niemanden, der für Recht und Ordnung sorgte. Jeder dachte nur an sich – und ein Leben in diesem Schmelztiegel war alles andere als einfach für jemanden, der sich nicht wehren konnte.

»Es heißt, dass jenseits der Berge die Strahlung stärker geworden ist«, meinte Richardson zu Paul Foster, während er ebenfalls mit anpackte, um die gewünschten Waren bereitzustellen. »Wenn der Winter anbricht, wird es eine Menge Ärger geben. Die starken Stürme könnten die Strahlung über das Gebirge bringen.«

»Von wem hast du das gehört?«, wollte Foster wissen.

»Das hat mir Anse Taylor erzählt«, erwiderte Richardson ausweichend. »Er kennt diese Region und war auch schon mal fast auf der anderen Seite. Der Alte spürt sowas, und ich habe mich bisher immer auf ihn verlassen können, Paul.«

Foster nickte nur. Er kannte Taylor ebenfalls flüchtig. Anse Taylor war ein verschrobener eigenbrötlerischer Mann, der fern abseits der Farmen und Ansiedlungen hoch oben in den Bergen lebte und ganz allein sein Dasein fristete. Er kam nur ein- bis zweimal im Jahr herunter in die Ebene – ansonsten mied er den Kontakt mit anderen Menschen.

»Gibt es denn niemanden, der das verhindern könnte?«

»Wer denn, Paul?«, stellte Richardson die Gegenfrage. »Die Menschen in den Grenzländern sind völlig auf sich selbst gestellt. Niemand von uns weiß genau, ob es irgendwo anders noch funktionierende Systeme gibt, die eine weitere Katastrophe verhindern können. Und selbst wenn das noch so wäre – glaubst du wirklich, dass irgendjemand einen Finger für uns rühren wird?«

»Wahrscheinlich nicht«, seufzte Foster. »Aber wir haben ja gelernt, uns selbst durchzuschlagen. Vielleicht gelingt es uns auch diesmal wieder. Pass auf dich auf, Mark. Das Leben in Dragtown ist nicht einfach.«

»Unkraut vergeht nicht«, versicherte ihm der Ladenbesitzer und verabschiedete sich von Paul Foster und seiner Familie mit einem freundlichen Lächeln und einem kurzen Händedruck. Er begleitete sie noch hinaus ins Freie und sah zu, wie sie in den Wagen stiegen.

»Bis zum nächsten Mal!«, rief er, während Ryan sich wieder ans Steuer setzte und den Wagen startete. Wenige Sekunden später fuhr der Geländewagen los und ließ Dragtown hinter sich. Mit jeder weiteren Meile, die sie zurücklegten, fühlte sich Ryan erleichtert.

* * *

Mark Richardson fluchte wie ein Kesselflicker, als eine schwere Kiste seinen Fingern entglitt und mit einem dumpfen Poltern auf den Boden fiel. Sofort beugte sich der Ladenbesitzer hinab und stellte mit einem erleichterten Aufatmen fest, dass der Inhalt bis auf wenige Stücke heil geblieben war. In dem Karton hatten sich Gläser befunden, die zwar schon einige Risse und Sprünge hatten – aber er hatte sie billig eintauschen können und war fest entschlossen, sie mit einem ordentlichen Gewinn wieder an den Mann zu bringen. Glas war begehrt in diesen Tagen – zumal in den Grenzländern niemand mehr wusste, wie es überhaupt hergestellt wurde.

Richardson wollte gerade die zersprungenen Gläser aussortieren, als er plötzlich hörte, wie jemand den Laden betrat. Rasch erhob er sich wieder und wurde blass, als er erkannte, wer seine neuen Kunden waren. Nämlich die beiden Männer, die durch den jungen Ryan eine spürbare Niederlage hatten einstecken müssen.

Sie waren jedoch nicht allein gekommen, sondern hatten auch noch ihre übrigen Kumpane mitgebracht. Einer von ihnen postierte sich jetzt direkt vor der Tür und behielt die Straße im Blickfeld, während die anderen sich mit neugierigen Blicken im Laden umschauten. Bis auf den Mann namens Clovis, dessen Helfershelfer – und einen dritten, untersetzten, der offensichtlich der Anführer dieser Kerle war.

Kalte Blicke richteten sich auf den Ladenbesitzer. Wie bei einer Spinne, die ihr Opfer bereits auserkoren hatte und nur noch auf den richtigen Moment wartete, um ihm endgültig den Todesstoß versetzen zu können.

»Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?«, fragte Richardson und zwang sich, weiterhin ruhig zu bleiben, obwohl die Furcht seine Hände zittern ließ. »Schauen Sie sich in Ruhe hier um – ich bin sicher, dass Sie etwas finden werden, was Ihnen gefällt. Es gibt keinen besseren Laden bis zum anderen Ende der Ebene. Und jenseits der Teersümpfe sowieso nicht mehr.«

»Das glaube ich dir gerne, mein Freund«, erwiderte der Untersetzte und spuckte auf die groben Holzdielen. »Ich bin sogar ganz sicher, dass wir hier fündig werden. Denn du wirst uns nämlich einige Fragen beantworten.«

»Fragen?« Mark Richardsons Stimme nahm auf einmal einen schrillen Unterton an. »Ich verstehe nicht, was das soll.«

Der Untersetzte gab dem Mann neben ihm einen kurzen Wink. Urplötzlich trat dieser einen Schritt auf Richardson zu und packte ihn am Kragen seines verwaschenen Hemdes. Er blickte in ein mitleidloses, sehr brutal wirkendes Gesicht.

»Vielleicht müssen wir ein wenig deutlicher werden«, hörte Richardson die Stimme des Anführers. »Wenn du Frank Dobbs reinlegen willst, musst du dir schon was Besseres einfallen lassen. Also – wer waren die Leute, die eben bei dir im Laden waren?«

Als Richardson nicht gleich antwortete, zuckte die linke Hand des Mannes, der ihn am Kragen gepackt hatte, nach vorn und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige, die ihn vor Schmerz aufschreien ließ. Aber das dauerte nur wenige Sekunden, denn jetzt presste sich die schwielige Hand seines Peinigers direkt auf Richardsons Mund. So fest, dass dieser kaum atmen konnte.

»Mein Kumpel Crocker ist ein Mann, der keine Zeit hat«, klärte ihn Dobbs mit einem kalten Grinsen auf. »Er kann sehr gemein werden, wenn man ihm etwas vorgaukeln will. Also was ist jetzt?«

Während die letzten Worte über seine Lippen kamen, gab er dem muskulösen Crocker einen kurzen Wink, und der ließ Richardson nun wieder frei. Der Ladenbesitzer keuchte heftig und hielt sich mit beiden Händen an der Theke fest, während jetzt Dutzende von Gedanken durch seinen Kopf jagten. Denn er hatte mittlerweile begriffen, wie ernst die Lage war.

»Nicht mehr schlagen«, murmelte er hastig und zuckte zusammen, als Crocker mit der rechten Hand erneut ausholte. »Ich rede ja schon.« Er räusperte sich kurz, bevor er weitersprach. »Paul und Betty Foster. Ihnen gehört eine Farm am Rande der Teersümpfe. Zwei Stunden von hier entfernt in östlicher Richtung. Ihr Sohn heißt Ryan.«

»Interessant«, meinte Dobbs und verschränkte beide Arme vor der Brust. »Was weißt du über den Jungen?«