An der Schwelle zur Unendlichkeit - William Peters - E-Book

An der Schwelle zur Unendlichkeit E-Book

William Peters

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  • Herausgeber: Ansata
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Neue, berührende Erkenntnisee aus der Sterbeforschung: Wie Nahtoderfahrungen eröffnen auch seelisch geteilte Sterbe-Erfahrungen einen völlig neuen Blick auf das Mysterium des Todes ...
Ein Mensch stirbt und ein anderer Mensch erfährt das innere Erleben des Sterbenden seelisch mit, wie auf einer gemeinsamen Reise: solche »geteilten Sterbe-Erfahrungen« sind als scheinbar unerklärliches Phänomen des menschlichen Bewusstseins gar nicht selten und dennoch bisher eher unbekannt ...

William Peters ist Psychotherapeut und Direktor des »Shared-Crossing-Projects«. Über achthundert solcher nahtodähnlichen Erfahrungen hat er bisher dokumentiert sowie detailliert untersucht und erforscht. Hier beschreibt er seine spannendsten Fälle. Dabei teilt er die verblüffenden Erkenntnisse, die sich über die Natur des menschlichen Bewusstseins, über das Sterben und ein mögliches Weiterleben nach dem Tod ergeben.

Peters faszinierende Forschungen machen Mut, nehmen die Angst vor dem Sterben und helfen zu verstehen, was uns alle irgendwann am Ende unseres irdischen Lebens erwartet ...

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Seitenzahl: 390

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DASBUCH

Ein Mensch stirbt – und ein anderer Mensch erfährt das innere Erleben des Sterbenden wie am eigenen Leib: solche »geteilten Sterbe-Erfahrungen« sind gar nicht selten und dennoch ein scheinbar unerklärliches Phänomen …

William J. Peters ist Psychotherapeut und Direktor des Shared-Crossing-Projekts. Über achthundert dieser geteilten Sterbe-Erfahrungen hat er bisher dokumentiert und detailliert untersucht. Hier beschreibt er seine spannendsten Fälle und teilt die verblüffenden Erkenntnisse, die sich über die Natur des menschlichen Bewusstseins, über das Sterben und ein mögliches Weiterleben nach dem Tod ergeben.

Ganz ähnlich wie Nahtoderfahrungen eröffnen auch geteilte Sterbe-Erfahrungen einen völlig neuen Blick auf das Mysterium des Todes. Diese faszinierende Forschungen machen Mut und helfen besser zu verstehen, was uns wohl alle irgendwann am Ende unseres irdischen Lebens erwartet …

DERAUTOR

William J. Peters ist der Gründer des Shared-Crossing-Projects und Leiter der damit verbundenen Forschungsinitiative. Er gilt als weltweit führend auf dem Gebiet der Studien zu geteilten Sterbe-Erfahrungen und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Erfahrungen am Lebensende. Zuvor arbeitete Peters als ehrenamtlicher Hospizhelfer im Zen-Hospice-Project in San Francisco sowie als Lehrer und Sozialarbeiter in Mittel- und Südamerika. Er ist praktizierender Therapeut für Trauer und Hinterbliebene und ist Absolvent der Graduate-School-of-Education in Harvard und der UC Berkeley. Seine Wirken ist geprägt von seiner therapeutischen Einzel- und Familienarbeit, von persönlichen Erfahrungen mit Tod und Sterben in verschiedenen Kulturen und von den Erfahrungen seiner Familie mit dem Lebensende.

Weitere Informationen:https://www.sharedcrossing.com

William J. Peters

mit Dr. Michael Kinsella

An der

Schwelle

zur

Unendlichkeit

Geteilte Todeserfahrungen

Wie Menschen den Tod ihrer

Lieben miterleben

Einblicke in die Unsterblichkeit der Seele

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt

von Juliane Molitor

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »At Heaven’s Door: What Shared Journeys to the Afterlife Teach About Dying Well and Living Better« bei Simon & Schuster.

Die in diesem Buch vorgestellten Informationen und Empfehlungen sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Dennoch übernehmen der Autor und der Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendwelcher Art, die sich direkt oder indirekt aus dem Gebrauch der hier beschriebenen Anwendungen ergeben. Bitte nehmen Sie im Zweifelsfall bzw. bei ernsthaften Beschwerden immer professionelle Diagnose und Therapie durch ärztliche oder naturheilkundliche Hilfe in Anspruch.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten,so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2022 by The Shared Crossing Project, LLC

All Rights Reserved. Published by arrangement with

the original publisher, Simon & Schuster, Inc.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

by Ansata Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Karin Weingart, Berlin

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung

eines Motivs von © titoOnz/iStock/Getty Images Plus

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-28992-8V001

www.Integral-Lotos-Ansata.de

www.facebook.com/Integral.Lotos.Ansata

Meiner Mutter, Carolyn Peters, für ihre gleichbleibende

Unterstützung in allen Höhen und Tiefen meines Lebens.

Sie hat mir eine ungewöhnliche Leichtigkeit im Umgang

mit dem Tod vorgelebt und die Bereitschaft, da zu sein,

wenn andere den Kopf einziehen.

Meinem Vater, Robert Peters, für seine beispiellose Disziplin

und Charakterstärke. Sein Unternehmergeist hat mich

darin bestärkt, auf mich selbst zu vertrauen und mich stets

mit dem zu beschäftigen, worauf es am meisten ankommt.

Inhalt

1.   Was führt Sie her?

2.   Ein flüchtiger Blick in den Himmel

3.   Ins Licht

4.   Trost

5.   Lotse werden

6.   Engel

7.   Traumata

8.   Die vielen Varianten der geteilten Todeserfahrung

9.   Unverhoffte Geschenke

10.   Gespräche

11.   Vorbereitungen auf den Tod

12.   Das Schweigen brechen

13.   »Werde ich dergleichen wohl auch erleben dürfen?«

Anhang 1: Die Shared-Crossing-Forschungsinitiative

Anhang 2: Das Shared-Crossing-Projekt

Dank

Die Autoren

1   Was führt Sie her?

Was führt Sie her?

Diese Frage stelle ich jedem Menschen, der durch die Tür tritt, weil sie alle kommen, um über den Tod zu sprechen – die universellste aller menschlichen Erfahrungen, aber auch die, über die zu sprechen uns am schwersten fällt.

In der modernen westlichen Kultur haben wir ein angespanntes Verhältnis zum Tod. Unsere Sprache ist voller Redewendungen zum Thema »Angst vor Tod und Sterben«. Anbieter von Fitnessprogrammen, Pflege-, Schönheits- und kosmetischen Verfahren werben damit, sie könnten uns helfen, »die Uhr zurückzudrehen«, und implizieren damit, dass wir imstande wären, das unvermeidliche Ende des Lebens fernzuhalten. Die modernen Naturwissenschaften sind in dieser Hinsicht noch eindeutiger: Die Medizin tut in der Regel alles in ihrer Macht Stehende, um dem Tod zu widerstehen, und das ist der Hauptgrund, weshalb wir Hoffnung haben. Offensive medizinische Verfahren, die das menschliche Leben verlängern, werden oft als Beweis für unsere Liebe zu einem anderen Menschen betrachtet. Wir sprechen dann gern von möglichen »Wunderheilungen« und »einmaligen Chancen«. Viele, darunter nicht wenige Ärzte, fühlen sich schuldig, wenn sie nur daran denken, dass jemand sterben könnte. Und ist es dann doch so weit, bringen wir unser Mitgefühl am häufigsten in Sätzen wie »Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust« zum Ausdruck.

Und kein Zweifel: Es ist ein großer Verlust. Aus dem Leben zu scheiden, geliebte Angehörige und Freunde zu verlassen macht sowohl traurig als auch Angst. Obwohl viele von uns an ein angenehmes Leben nach dem Tod glauben – Umfragen legen nahe, dass dies für etwa 80 Prozent der Bevölkerung gilt –, ist es absolut verständlich, dass der Tod Beklemmungen hervorruft. Noch schlimmer ist, wie gnadenlos er zuschlägt – oft ohne jede Vorwarnung. Und in den letzten Jahren war der Tod überall. Die verheerenden Verluste durch die Corona-Pandemie haben viele Menschen ganz plötzlich zu trauernden Hinterbliebenen gemacht, obwohl sicher viele dachten, noch alle Zeit der Welt mit ihren Lieben vor sich zu haben.

Doch sosehr wir auch mit dem Tod zu kämpfen haben – nicht wenige von uns quälen sich noch mehr mit der Trauer. In unserer Kultur ist es für viele, auch für die Angehörigen medizinischer Berufe, seit Jahren Usus, die Trauer zeitlich begrenzen zu wollen. Sobald eine bestimmte Zeit vergangen ist, ermutigen wir die Hinterbliebenen, ihr Leben wieder aufzunehmen und fortzuführen, oder geben ihnen, etwas weniger höflich, zu verstehen, dass sie nun aber wirklich »darüber hinwegkommen« müssen.

Für die Menschen, die zu mir kommen, sind das zutiefst unbefriedigende Ratschläge. Und ich sehe das genauso. Daher möchte ich den bescheidenen Vorschlag machen, unseren Umgang mit dem Tod zu überdenken. Und ich bitte Sie dafür zunächst, einmal alles beiseitezulassen, was Sie über das Ende des Lebens wissen oder zu wissen meinen.

Seit mehr als zwanzig Jahren spreche ich mit Menschen über den Tod und das Ende des Lebens, beginnend beim Verlust neugeborener Babys über den junger Erwachsener bis hin zum Verlust der alten Eltern. Dabei sprechen wir über natürliche Todesfälle – Krankheit, Altersschwäche – ebenso wie über traumatische – Unfall, Tod durch Medikamentenmissbrauch, Selbstmord. Und all diese Gespräche haben ein Thema gemeinsam: eine Verbindung, die der lebende Mensch im oder um den Moment des Todes zu dem oder der Verstorbenen spürte. Die Hinterbliebenen sind alles gesunde, vitale Menschen, die weiterhin ein aktives Leben führen. Für einen Moment aber standen sie mit einer anderen Person in Verbindung, die in diesen Augenblicken ihre letzte Reise antrat.

Allmählich erkannte ich diese Momente als »Shared Crossings« (»gemeinsame Übergänge«), und sie bedeuten, dass keiner von uns diese Erde einsam verlässt. Keiner von uns muss oder wird diese Reise allein antreten. Wie ich mir da so sicher sein kann? Weil immer mehr Überlebende Zeuge waren und es gespürt haben. Und ein paar von ihnen haben sogar einen Teil der Reise ins Jenseits mit der sterbenden Person zusammen gemacht.

Diese Shared Crossings nehmen viele Formen an. Manche visualisieren die scheidende Person auf die eine oder andere Weise; andere haben eine Vielzahl von Empfindungen oder spüren die Anwesenheit unbekannter Energien oder sogar geliebter Menschen, die längst zu den Toten zählen. Manche sehen ein helles Licht oder auch einen Tunnel. Wieder andere haben vielleicht das Gefühl, ein Teil der Reise zu sein – oder mit der Erde verbunden zu bleiben. Ihnen allen gemeinsam sind die kraftvolle Erfahrung, die ungewöhnlich intensive Erinnerung und oft auch das überwältigende Gefühl, dass die Zeit, wie sie sie kennen, stehen geblieben ist. Viele berichten zudem von dem intensiven Gefühl, etwas einfach zu »wissen«, ohne die geringste Ahnung zu haben, woher dieses Wissen stammt. In nicht wenigen Fällen hatte die überlebende Person nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der Tod ihres Angehörigen oder ihrer Freundin unmittelbar bevorstehen könnte, und erfuhr erst später vom Tod dieses Menschen.

In dem Maße, in dem die Anzahl meiner Gesprächspartner wuchs, die ein Shared Crossing erlebt hatten, fielen mir mehr sich wiederholende Muster auf. Eine Frau in West Virginia und eine in Australien hatten sehr ähnliche Erfahrungen rund um den Verlust eines Babys gemacht. Eine erwachsene Tochter in Kalifornien und eine in Pennsylvania; eine Frau in Alabama und ein Mann in Spanien. Keine dieser Personen kannte die anderen, und doch sprachen sie eine gemeinsame Sprache. Immer wieder stellte ich fest, dass der Moment der Verbundenheit, den sie erlebt hatten, auch ihr Leben und die Art, wie sie es weiterführen wollten, drastisch verändert hatte. Er hatte ihnen Einsichten beschert. Etwas zum Abschluss gebracht. Entscheidungen am Lebensende erleichtert. Und er hat die Trauer gelindert.

Denken wir nur an Gail O., eine erwachsene Frau in Florida:

»Ich war mit meinem Vater zusammen, und wir aßen gegrillte Käsesandwiches. Er war der Ansicht, dass das Krankenhaus die besten gegrillten Käsesandwiches der Welt machte.« Plötzlich bekam ihr Vater einen Krampfanfall. Gail rief nach Hilfe, und als das medizinische Team kam, wurde sie von einer Krankenschwester in einen kleinen Raum am Ende des Flurs begleitet. Dort standen ein Schreibtisch und ein paar Stühle. Gail erinnert sich, dass sie sich hinsetzte, und dann »war ich ganz unerwartet an zwei Orten gleichzeitig. Ich saß in dem kleinen Wartezimmer des Krankenhauses, war aber gleichzeitig an diesem unglaublich schönen Tag auch draußen im Freien. Es wehte eine leichte Brise, ich sah eine Landstraße und hörte sogar Vögel singen! Ich sah zwar niemanden, aber ich wusste, dass ich nicht allein war. Ich hatte das Gefühl, dass ich auf einer Reise war und jemanden irgendwohin begleitete. Und weil es so ein schöner Tag war, spielte es auch keine Rolle, wo die Reise hinführte.« In einer leichten Kurve bog Gail von der Straße ab, und »wir kamen an ein riesiges Tor. Dahinter stand ein gigantisches Herrenhaus. Das Ganze kam mir vor wie eine Art Country Club oder ein besonderer Treffpunkt. Und dann hörte ich Stimmen: ›Schnell! Schnell! Wir müssen uns beeilen! Walter kommt, und er ist schon fast da!‹

Walter – das war der Name meines Vaters.«

Bei seinen Freunden und Kollegen lief Walter unter »Wally«. Aber seine verstorbenen Eltern, Tanten und Onkel hatten ihn konsequent Walter genannt. Als Gail zum Herrenhaus hinüberschaute, »waren sie alle da und eilten umher, um sich auf etwas Wichtiges vorzubereiten. Die Leute brachten Blumen, stellten Tische hin und legten Tischdecken darauf.« Sie konnte sogar das Klirren von Porzellan hören. »Es war eine erstaunliche Erfahrung, ganz so, als würde ein Ehrengast erwartet.«

Gail erinnert sich: »Dann spürte ich, wie eine … Anwesenheit … eine Präsenz durch das Tor trat. Mein Vater! Ich hätte mich ihm gern angeschlossen, wusste aber, dass ich das nicht durfte. Ich schaute mich um – und war sofort wieder in dem kleinen Zimmer.« Sie war vollkommen wach und bewusst geblieben, einfach nur präsent, sowohl dort als auch auf ihrer Reise.

»Im nächsten Moment kam ein Arzt herein. Er schaute sehr traurig drein und sagte: ›Es tut mir leid, er ist hinübergegangen.‹ Und ich erwiderte nur: ›Das ist völlig in Ordnung. Er ist auf diese Party gegangen!‹ Das war mir absolut klar. Der Arzt warf mir nur einen seltsamen Blick zu und ging wieder. Aber ich wusste, was passiert war. Ich hatte meinen Vater ein Stück des Weges in den Himmel begleitet.«

Gails Erfahrung ist nicht einzigartig. Sie hat sogar einen Namen. Wir bezeichnen sie als Shared Death Experience (»geteilte Todeserfahrung«). Dieser Begriff wurde von Dr. Raymond Moody in seinem Buch Glimpses of Eternity (2011) populär gemacht. Der Definition nach tritt eine geteilte Todeserfahrung auf, wenn eine Person stirbt und ein Angehöriger, ein Familienmitglied, eine Freundin, Bezugsperson oder jemand, der zufällig anwesend ist, bezeugt, am Übergang vom Leben zum Tod beteiligt gewesen zu sein oder die Anfangsstadien des Eintritts in ein Leben nach dem Tod mit dem Sterbenden zusammen erlebt zu haben.

Diese Erfahrungen sind keineswegs neu. Seit Tausenden von Jahren berichten Menschen, die dem Tod nah sind, von lebhaften Visionen, einem wohltuenden Licht oder davon, bereits verstorbene Angehörige gesehen zu haben. Seit den 1960er-Jahren durchgeführte Forschungsstudien haben ergeben, dass mehr als 50 Prozent der Sterbenden solche Erfahrungen machen. Die medizinische Wissenschaft hat versucht, dieses Phänomen zu erklären, und vermutet, es sei das Ergebnis verschiedener Störungen im Gehirn, etwa aufgrund von Sauerstoffmangel, Unterbrechungen im Blutfluss, Serotoninrezeptoren oder einer Aktivierung der primitiven Kampf-oder-Flucht-Reaktion.

Geteilte Todeserfahrungen aber sind etwas ganz anderes. Sie treten bei Personen auf, die dem physischen Tod selbst noch lange nicht nah sind. Und während einige dieser Erfahrungen, wie die von Gail mit ihrem Vater, in einer medizinischen Krisensituation gemacht werden oder wenn der Lebende im selben Raum ist wie der Sterbende, treten viele andere ein, wenn der davon Betroffene weit weg ist und oft nicht einmal weiß, dass ein Todesfall unmittelbar bevorsteht oder gerade eingetreten ist. Tatsächlich scheinen diese geteilten Todeserfahrungen bei Menschen, die weit voneinander entfernt sind, häufiger vorzukommen, als wenn der lebende und der sterbende Mensch Seite an Seite sind. Die Naturwissenschaften, wie wir sie kennen, können geteilte Todeserfahrungen bisher weder wegerklären, noch haben sie eine physiologische Erklärung dafür.

Was also kann eine Erklärung liefern?

Diese Frage steht im Mittelpunkt dieses Buches.

Als Leiter des Shared-Crossing-Projekts hatte ich das Privileg, mehr als achthundert verschiedene Fälle von geteilter Todeserfahrung überprüfen und untersuchen zu können. Und unsere Forschung legt nahe, dass hinter dem Tor des Todes ein angenehmes Nachtodleben auf uns alle wartet.

Das müssen Sie mir aber nicht einfach glauben. Auf den folgenden Seiten dieses Buches finden Sie bemerkenswerte Geschichten von Menschen, die mit einem anderen gemeinsam ein Stück des Weges gegangen sind, der in den Tod führt. Ich werde untersuchen, was diese transformativen Erfahrungen für das Ende des Lebens, für die Pflege, für Trauer und Heilung bedeuten. Damit hoffe ich, einiges an der Art und Weise, wie Sie sich den Tod vorstellen und ihn verstehen, ändern zu können. Vielleicht stellen Sie sogar fest, dass Sie selbst oder jemand, den Sie kennen, eine geteilte Todeserfahrung gemacht haben, möglicherweise aber keine Worte fanden, das Geschehene zu identifizieren oder zu beschreiben.

Vor allem aber hoffe ich, dass diese Erkundung uns allen helfen kann, uns in jeder Phase des Lebens auf einen guten Tod vorzubereiten.

***

Seit Anbeginn der menschlichen Zivilisation ist der Tod ein wesentlicher Bestandteil unseres Zusammenlebens. Vieles von dem, was wir über antike Völker und Gesellschaften wissen, entstammt ihren Grabstätten. So wissen wir etwa, was sie gegessen haben, wie sie ihren Wein und ihre Nahrung lagerten, was ihre Handwerker hergestellt haben. Wir kennen ihre Mythen, können sagen, welche Kleidung sie trugen und welche Waffen sie in ihren Kriegen einsetzten.

Überall – vom Königreich Ur über das alte Ägypten, vom dynastischen China bis nach Mittelamerika – wurde der Tod von aufwändigen Ritualen und gemeinsamen Motiven begleitet. Jede Zivilisation glaubte an irgendeine Form von Leben nach dem Tod. Gräber wurden häufig mit allen möglichen Gegenständen ausgestattet, die den Verstorbenen in die nächste Welt begleiten sollten. In einigen Fällen wurden Familienmitglieder und Diener der Reichen, ja sogar Hunde getötet, damit sie die Verstorbenen auf der Reise ins Jenseits begleiten konnten.

»Begleiten« ist in diesem Zusammenhang ein bedeutsames Wort. Denn in jeder dieser Zivilisationen, die durch weite Ozeane, unwirtliche Wüsten oder gewaltige Bergketten voneinander getrennt sind, hat man sich den Übergang vom Leben zum Tod als Reise vorgestellt. Die alten Mesopotamier, die im heutigen Irak lebten, erzählten die Geschichte von der Göttin Ishtar, die durch sieben Tore gehen musste, um in die Unterwelt zu gelangen. Die Begräbnisriten für die Elite dieser Kultur konnten bis zu sieben Tage dauern. Die alten Griechen hatten eine sehr genaue Vorstellung vom Fluss Styx, an dessen Ufer der Fährmann Charon darauf wartete, die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt bringen zu können. Auch die Ägypter glaubten, dass ihre Toten mit dem Boot reisten und sieben Tore passieren mussten, um die Halle der Vollständigen Wahrheit zu erreichen, wo sie von den Göttern gerichtet wurden. In Mittelamerika glaubten viele Gesellschaften an die zyklische Natur von Leben und Tod. Eine der ältesten bekannten Bestattungsmasken zeigt ein zweigeteiltes Gesicht: halb lebendig, halb skelettiert. In Gräbern wurden häufig sterbliche Überreste von Hunden gefunden. Sie sollten die Menschen auf ihrer Reise ins Jenseits begleiten.

Ähnlich signifikant ist die Menge der Gesellschaften, in denen die Existenz einer Seele beziehungsweise Essenz jenseits des physischen Körpers anerkannt wurde. Dieser Glaube an eine lebendige Seele geriet zu einem zentralen Grundsatz vieler großer Weltreligionen, wie Judentum, Christentum und Islam, während der Buddhismus das Konzept der mehrmaligen Wiedergeburt für sich in Anspruch nahm. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod ist auch fester Bestandteil der drei monotheistischen Hauptreligionen des Westens. Der Buddhismus hat seine eigenen Totenbücher. Das vielleicht berühmteste unter ihnen, das Tibetische Totenbuch, wird Menschen, die mit dem Tod konfrontiert sind, oft von Mönchen und anderen vorgelesen, um sie auf dem Weg aus diesem Leben durch die »Bardo«-Zustände zu geleiten.

Die westlichen Religionen Christentum, Judentum und Islam haben jeweils eigenen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. Der Islam bietet eine ausführliche Beschreibung des Paradieses, einschließlich der Vorstellung fröhlicher Zusammenkünfte und der Wiedervereinigung mit Freunden und geliebten Menschen in den Palästen, die Gott für sie errichtet hat. Im Laufe mehrerer Jahrhunderte entwickelte das frühe Judentum bestimmte Ansichten über das Leben nach dem Tod und sogar die Auferstehung. Und zu den wichtigsten Lehren des christlichen Glaubens gehört die von der Existenz eines himmlischen Königreichs, in das die Gläubigen mit überwältigendem Wohlwollen aufgenommen werden. Das ganze irdische Leid wird wettgemacht durch das Paradies, das im Leben nach dem Tod wartet. Das mittelalterliche Christentum machte die Vorbereitung auf das Jenseits zum zentralen Sinn des Lebens auf der Erde. Die Mittelalterforscherin Alixe Bovey, die für die British Library über »Death and the Afterlife« (»Tod und Jenseits«) schreibt, erinnert uns: »Die Zeit wurde in Namenstagen gemessen, den Todestagen heiliger Männer und Frauen. An Ostern, dem heiligsten Fest im christlichen Kalender, feierte man die Auferstehung Christi von den Toten. Die Landschaft wurde von Kirchen dominiert … und der Kirchhof war die Hauptbegräbnisstätte.« Gebete rund um den Tod gehörten zum Standard in den mittelalterlichen Stundenbüchern, um den Eintritt ins Paradies zu sichern. In der Frührenaissance war es bei den Reichen sehr in Mode, ein »Memento Mori« mit sich zu führen, eine kostbare Kleinskulptur, die sie stets an die ausgleichende Macht des Todes erinnern sollte.

Abgesehen von der Kraft und Bedeutung dieser religiösen Traditionen gab es jahrhundertelang gute Gründe, das Leben nach dem Tod in den Mittelpunkt zu stellen, denn der Tod stand im Mittelpunkt. Die Lebenserwartung im antiken Griechenland und Rom betrug etwa 30 bis 35 Jahre. Bis zum Jahr 1800 schwankte sie in Europa zwischen 30 und 40 Jahren. Zwar gab es einige Glückliche, die ein hohes Alter erreichten, das Leben vieler junger Menschen wurde jedoch durch Krankheiten, Unfälle und Verletzungen verkürzt. In den USA lag die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern und Frauen im Jahr 1900 unter 50 Jahren. Diese harten Fakten spiegelten sich in der Lebensweise der Menschen wider.

Selbst die herrschaftlichen Häuser unserer Großeltern- und Urgroßelterngeneration waren so gebaut, dass auch der Tod darin Platz fand. Die Leichen der Verstorbenen wurden oft in der guten Stube (engl. parlor) aufgebahrt. Der Begriff »Wohnzimmer« (engl. living room) tauchte erst nach dem Ende der Spanischen-Grippe-Pandemie von 1918 auf, als im Ladies’ Home Journal angeordnet wurde, die gute Stube der Toten zu »beleben«. Arme Familien aus der Arbeiterklasse versuchten, in Bestattungsfonds einzuzahlen, um sich die Beerdigungen ihrer Kinder leisten zu können. Im 19. Jahrhundert bediente man sich sogar der neuen Kunstform der Fotografie, um den Toten visuelle Denkmäler zu setzen. In einer Art und Weise, die uns heute geradezu morbide vorkommen mag, wurden die Verstorbenen häufig vollständig bekleidet, aufrecht sitzend oder stehend und zusammen mit ihren lebenden Familienmitgliedern für ein letztes Gruppenporträt in Szene gesetzt.

Weil aber der medizinische Fortschritt einerseits und große Verbesserungen in Sachen (Arbeits-)Sicherheit sowie bessere Hygiene und Ernährung andererseits eine immer längere Lebensdauer ermöglichen, wurde der Tod mit der Zeit verdrängt und verschwand immer mehr aus dem Blickfeld. Heute fällt es uns leichter, über Sex zu sprechen als über den Tod. Wie viele von uns haben schon je mit den Eltern, Partnern, Freunden oder Kindern ein ehrliches, offenes und kompromissloses Gespräch darüber geführt, was sie sich für das Ende ihres Lebens wünschen?

Und doch werden wir alle sterben.

In Bezug auf das Thema Tod hätte aus mir leicht einer dieser »Frag nicht, sag nichts«-Typen werden können. Ich wuchs in Kalifornien auf, und bis ich siebzehn war, beschränkten sich meine Begegnungen mit Tod und Sterben auf entfernte Verwandte, deren Ableben mit katholischen Ritualen geehrt wurde, die sich genauso unheilverheißend wie beängstigend anfühlten.

Der 29. Dezember 1979 veränderte für mich alles. Es war auf einem Skiausflug am Lake Tahoe. Nach drei Tagen Schneesturm hatten sich die Wolken verzogen, und die Sonne schien am tiefblauen Himmel hoch über der Sierra. Ich ging nach draußen, völlig fasziniert von den anderthalb Meter langen Eiszapfen, die gefährlich von der Dachrinne am Haus meines Freundes John herabhingen. Plötzlich löste sich einer davon und krachte auf den Gehweg, kaum einen Meter von mir entfernt auf dem Boden auf. Später habe ich mich oft gefragt, ob das nicht vielleicht ein Omen war.

Im typischen Überschwang von Teenagern fuhren John und ich nach Squaw Valley und machten uns sofort auf den Weg den Berg hinauf zur höchsten Abfahrt, immer auf der Suche nach frischem Pulverschnee. Es war zwar erst ein paar Tage her, seit ich das letzte Mal Ski gefahren war, aber ich stand zunächst ein wenig neben mir und hatte Mühe, meinen Rhythmus zu finden. Auf dieser speziellen Abfahrt ging ich leicht in die Hocke, um mehr Geschwindigkeit zu bekommen, bis sich meine Skier hinten zu kreuzen begannen. Nach einer Überkorrektur kreuzten sich die Bretter schließlich vorn, und ich wurde in die Luft geschleudert. Eine Sekunde lang war es berauschend, aber mein Körper drehte sich weiter, bis ich auf den Boden knallte und im unteren Rücken ein heftiges Knirschen wahrnahm.

Plötzlich war alles dunkel und still. Beinahe so, als wäre in meinem Körper der Strom abgeschaltet worden. Als ich wieder etwas zur Kenntnis nahm, realisierte ich, dass ich auf meinen mit Schnee bedeckten Leib starrte. Dann entfernte ich mich allmählich von meinem Körper und der Erde und stieg in den Himmel auf. Es kam mir ganz natürlich und angenehm vor. Aus meinem neuen Blickwinkel sah ich erst das Skigebiet Squaw Valley, dann Lake Tahoe und dann ganz Reno. Als ich noch höher stieg, kamen die San Francisco Bay, die Colorado Rockies und dann die gesamten kontinentalen Vereinigten Staaten in Sicht. Dann der Atlantische und der Pazifische Ozean und schließlich der Planet Erde, wie ich ihn von Satellitenbildern kannte. In diesem Moment verstand ich plötzlich, wie ungeheuer wichtig Interaktionen sind. Denn jedes Wort, jede Tat, jeder Gedanke hinterlässt einen unauslöschlichen Eindruck.

Dann raste ich auf ein strahlendes, leuchtend goldenes Licht zu. Ich bemerkte, dass ich im Sterben lag, und mir kam die verheerende Erkenntnis, dass ich mein Leben verschwendet hatte. Ich flehte das Licht an, das ich als Gott identifizierte (da ich katholisch erzogen wurde, brachte ich das Licht mit Gott in Verbindung): »Bitte lass mich nicht sterben! Ich habe meine Aufgabe in diesem Leben noch nicht erfüllt! Bitte! Lass mich zurückkehren!« Während ich von dem warmen, liebevollen, allwissenden, lebendigen Licht umarmt wurde, begann sich mein Flug zu verlangsamen. Unvermittelt brach er ab, und ich erhielt die Nachricht »Mach etwas aus deinem Leben«.

Als Nächstes spürte ich einen unerklärlichen Schub und wirbelte zur Erde zurück. Nun raste alles in umgekehrter Richtung – die ganze Schönheit dieser Reise spulte sich jetzt rückwärts ab. Ich fragte mich, wie ich jemals in meinen Körper zurückkehren oder ihn auch nur finden sollte. Dann ragte der Berg vor mir auf. Ich war mir des Schnees bewusst, der mich umgab, konnte aber meine Glieder nicht spüren. Ich flehte: »Bitte lass mich nicht gelähmt sein.« Ein feiner Energieschub durchströmte mich. Es fühlte sich an, als stünde ich unter der Dusche. Ich spürte, wie der heiße Wasserstrahl auf meinen Kopf traf und dann über den ganzen Körper wanderte. Während ich anfing, mit den Fingern und Zehen zu wackeln, schlug ich die Augen auf und sah die Schneekristalle auf meiner Brille. Mein denkender Geist war ganz ruhig, doch ich wurde von Dankbarkeit überwältigt. Dann hörte ich das Geräusch von Skiern, die auf mich zuglitten, und John, der plötzlich rief: »Wow! Was für ein Abgang!«

Damit war ich wieder ganz in diesem menschlichen Bereich. Der Raum, in dem ich mich noch kurz zuvor befunden hatte, verflüchtigte sich. Ich stand langsam auf und kam nicht einmal auf die Idee, dass ich ernsthaft verletzt sein könnte. Und dass ich gerade eine sogenannte Nahtoderfahrung gemacht hatte, wäre mir schon gar nicht in den Sinn gekommen. Doch als ich den Schnee abschüttelte, bemerkte ich, dass sich mein Rücken sehr starr anfühlte.

Beim Aufstehen am nächsten Morgen stellte ich fest, dass ich mich nur noch unter quälenden Schmerzen bewegen konnte. Ein Orthopäde ließ Röntgenaufnahmen von meiner Wirbelsäule machen und maß den Abstand zwischen meinen Lendenwirbeln. Bei dem Unfall hätte ich mir um ein Haar die Spinalnerven zerquetscht und wäre querschnittsgelähmt gewesen. Die Diagnose lautete: Kompressionsfraktur der Lendenwirbel- und Iliosakralgelenke im unteren Rücken. Der Arzt passte mir ein starres Korsett an, das ich die nächsten drei Monate tragen musste.

Ich hatte angenommen, dass damit alles erledigt wäre, doch in Wirklichkeit war nichts mehr wie zuvor. Nach dem Unfall hatte ich chronische Schmerzen und eine Behinderung. Meine bisherige Identität als sportlicher, gesunder, nonkonformistischer junger Mann entglitt mir.

Ich versuchte, meine einmal eingeschlagene Laufbahn als College-Student an der University of California in Berkeley fortzusetzen. Aber 1984, als ich 22 Jahre alt war, machte ich eine Reise durch Europa und wachte eines Morgens ganz früh im Nachtbus auf, in Südjugoslawien. Als ich durch die Vorhänge spähte, sah ich Hunderte von verzweifelten, bettelnden Augen, die mich durch einen schmalen Spalt im Stoff direkt anstarrten. Verschleierte muslimische Frauen standen dicht gedrängt in einer Gruppe, streckten die Arme aus und flehten um Essen und Geld. Die schiere Menge an Menschen und ihre Verzweiflung rührten mich zu Tränen. Mein 22 Jahre alter Verstand begriff, dass ich helfen musste, wenn nicht diesen Frauen, dann Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilten.

Nach meinem College-Abschluss im Jahr 1985 reiste ich als Mitglied der Jesuit International Volunteers nach Belize, Guatemala und Peru. In Peru unterrichtete ich in einem Zentrum für Aymara-Indianerkinder aus den Anden. Diese Kinder waren vor Gewalt und Hungersnot geflohen und lebten nun als Flüchtlinge in der Stadt Tacna. Kinder, von denen einige erst vier Jahre alt waren, sahen sich gezwungen, selbst für ihre Nahrung zu sorgen. Die meisten waren Zeugen unzähliger Gewalttaten gewesen, und ihre Familien und Gemeinschaften waren durch einen Bürgerkrieg und eine Hungersnot auseinandergerissen worden. Niemand sprach vom Tod, aber er war allgegenwärtig – ein unsichtbarer Stalker, der ständig auf der Lauer lag.

Eines Morgens servierte ich gerade Porridge, als Rolando, ein etwas altkluger Zehnjähriger, auf mich zukam und mich ganz sachlich fragte: »Señor Bill, sabe que el hermanito de Andreas se murió anoche?« (Señor Bill, weißt du, dass das Brüderchen von Andreas letzte Nacht gestorben ist?)

Ich hatte noch nichts davon gehört. Ein paar Tage später sah ich Maria, die Mutter des verstorbenen Jungen. Sie saß mit anderen Aymara-Indianerinnen zusammen, die wie sie Wollsocken und Pullover strickten. Ich ging auf sie zu, um ihr mein Beileid auszusprechen. Die Frauen führten ein angeregtes Gespräch. Ich wartete auf eine Gesprächspause. Dann sagte ich Maria, wie leid mir ihr Verlust tue, und fragte, ob ich ihr irgendwie helfen könne. Maria schaute beiläufig in meine Richtung, sah mir aber nicht in die Augen und antwortete nicht. Unbeholfen formulierte ich die Frage um. Maria schien ein wenig verärgert. Wieder schaute sie in meine Richtung und sagte: »Señor Bill, fragen Sie all die Frauen hier, ob sie ein Kind verloren haben.« Leticia, die gegenüber von Maria saß, schaute auf und sagte: »Ich habe eine Tochter verloren, die fünf Jahre alt war.« Hortensia fügte hinzu: »Mein Sohn ist bei der Armee gestorben.« Eine andere Frau namens Gloria sagte: »Ich habe zwei verloren. Einer meiner Jungs ist in einem Fluss ertrunken und mein Mädchen am Fieber gestorben.«

Ich war fassungslos. Als sie ihr Gespräch in ihrem aymaranischen Dialekt fortsetzten, musste ich mir eingestehen, dass mir die Beziehung dieser Frauen zu Tod und Sterben ebenso fremd war wie die Sprache, die sie sprachen.

Nachdem ich in die Gegend um San Francisco zurückgekehrt war, schrieb ich mich an der Graduate Theological Union in Berkeley ein und studierte Systematische Theologie und Philosophie, um besser zu verstehen, was ich während meiner Freiwilligenarbeit erlebt hatte. Ich war auch eine Zeit lang als Sozialarbeiter bei der St. Anthony’s Foundation im Stadtteil Tenderloin beschäftigt. Meine ursprüngliche Absicht hatte darin bestanden, mit den vielen Einwanderern zu arbeiten, die aus Mexiko sowie Mittel- und Südamerika hier ankamen, bald aber wurde ich mit der Aids-Epidemie konfrontiert, die Tausende von schwulen Männern das Leben kostete und mit Isolation, Entfremdung sowie einem Gefühl von Scham, Schuld und Verwirrung einherging.

Brad lernte ich kennen, als er Ende dreißig war. Er hatte blaue Augen, ausgeprägte Wangenknochen und eine dichte Mähne, war obdachlos und lebte in einer Notgemeinschaft mit anderen infizierten Männern in einem verlassenen Loft. Brad schaute gelegentlich bei der St. Anthony’s Foundation vorbei, um Essen und Vorräte zu holen, und wir kamen immer wieder ins Gespräch. Dabei ging es anfangs um ganz alltägliche Dinge, mit der Zeit aber unterhielten wir uns auch über Persönliches. Eines Tages bat Brad bescheiden um mehr Essen, weil jemand aus seiner Gemeinschaft im Sterben lag und alle anderen Mahnwache hielten. In dem Zusammenhang sprach er offener über die vielen Freunde, die er seine Brüder nannte und die er durch das Virus verloren hatte.

Brad kam anderthalb Wochen lang jeden Tag, um Essen zu holen. Und jedes Mal erzählte er ein wenig mehr darüber, was er gerade erlebte. Er hatte die Rolle einer Art Sterbehebamme übernommen und begleitete seinen todgeweihten Freund, während er die gesamte Gemeinschaft mit der Weisheit und dem Wissen zusammenhielt, das er dadurch erworben hatte, dass er andere beim Sterben begleitet hatte. Eines Morgens war Brad schon da, als das St. Anthony’s gerade seine Türen öffnete. Seine Augen waren rot und geschwollen. Er sagte: »Randy ist letzte Nacht gestorben.« Ich bat ihn, sich zu setzen, und er beschrieb mir Randys letzte Momente.

Wie Brad mir erzählte, hatten er und ein paar andere Männer sich im dritten Stock des halb fertigen Gebäudes, in dem sie wohnten, versammelt. Randy lag neben einem kleinen Feuer, das sie sorgfältig entzündet hatten. Als das Feuer zu pulsieren begann, sah Brad eine strahlend weiße Lichtkaskade. Zunächst dachte er, das kleine Feuer sei außer Kontrolle geraten, doch dann erkannte er, dass dies ein anderes Licht war und dass es von oben kam. Er fühlte sich ganz leicht und spürte ein deutliches Ziehen im Herzen. Als er sich umschaute, stellte er fest, dass die ganze Gruppe auf Randy fixiert war.

In diesem Moment schien sich das Gebäude vom Dach her zu öffnen, und er beobachtete, wie die Silhouette von Randys Körper durch eine Lichtsäule nach oben stieg. Der körperlose Randy warf ihnen einen letzten Blick zu. Er war nun jünger, gesünder und lebendiger als der kürzlich verstorbene Körper, den er unter sich zurückließ, und bedankte sich bei ihnen allen. Dann stieg er ins Licht auf und war verschwunden. Während er verschwand, löste sich der Lichtzylinder auf. Die Männer bildeten einen Kreis um Randys Leiche, hielten sich an den Händen und weinten.

Randys von HIV verwüsteter und von Kaposi-Sarkom-Läsionen gezeichneter physischer Körper war alles, was übrig blieb, »Wir haben nicht einmal nach einem Puls gesucht. Es war klar, dass der Randy, den wir kannten und liebten, in seinem Seelenkörper an einen anderen Ort gereist war, lebendig und wohlauf.«

Ich zweifelte keinen Moment an der Wahrhaftigkeit von Brads Erzählung. Nachdem ich ein paar Minuten schweigend dagesessen hatte, fragte ich ihn: »Wie kannst du dich bei dieser Sache so wohlfühlen? Wie kannst du das so nüchtern sehen?«

Er schaute mir direkt in die Augen und sagte: »Ich habe Dutzende meiner Brüder sterben sehen, und viele dieser Fälle waren ähnlich. Etwas überlebt dieses schreckliche Schicksal und lebt weiter.« Brad hielt inne. »Ich weiß, dass unser Leben ein glückliches Ende nimmt, und das gibt mir viel Frieden und Trost. Ich vertraue darauf, dass ich meine Brüder irgendwann wiedersehe.«

Ich sah Brad in den nächsten Monaten noch ein paarmal, aber nachdem seine Gemeinschaft aus dem Gebäude, in dem die Männer Unterschlupf gefunden hatten, verdrängt worden war, wurden seine Besuche seltener. Er und seine Gruppe zogen in eine Unterführung und dann noch einmal woandershin, und er kam nicht mehr nach St. Anthony. Aber Brad hinterließ bei mir sowohl einen nachhaltigen Eindruck als auch eine Reihe von Fragen über das Sterben.

Etwa ein Jahr nach meinem Erlebnis mit ihm sah ich mich wieder mit dem Tod konfrontiert. Im Februar 1993 erkrankte ich an einer seltenen Blutkrankheit unbekannter Ursache – der diopathischen thrombozytopenischen Purpura.

Ich befand mich auf der Intensivstation des Kaiser Hospitals in Oakland und schwebte über meinem physischen Körper. Ich erinnere mich, dass ich von der Decke herunterschaute und den Schwestern zuhörte, die über die vier Patienten auf der Intensivstation redeten. Ich hörte, wie eine Krankenschwester einen gesunden, jungen Patienten mit einer seltenen Blutkrankheit beschrieb. Sie ging zu seinem Bett. Ich schaute in sein Gesicht und rief mir selbst völlig überrascht zu: Ach du Scheiße, das bin ja ich!

Ich erinnere mich, dass ein Arzt, ein Hämatologe, an mein Krankenhausbett trat. Er rief sanft meinen Namen, und ich erinnere mich, dass ich, während ich die Szene von oben beobachtete, dachte: Will ich wirklich zurück in diesen Körper? Während ich dieser Frage noch nachhing, beschloss ich, zumindest zu versuchen, dem Arzt eine Antwort zu geben. »Ja, Doktor.« Während ich diese Worte sprach, schien sich mein physischer Körper wieder anzufüllen. Es fühlte sich fast an wie Sand, der in einer Sanduhr nach unten rieselt. Und es war genau das Gefühl, das ich vierzehn Jahre zuvor bei meiner ersten Nahtoderfahrung auf der Skipiste gehabt hatte. Dann kehrten allmählich die Empfindungen in meinen Körper zurück. Ich fühlte mich vollkommen erschöpft, aber das Bewusstsein war wieder in meiner menschlichen Form angekommen.

Wie über meine erste Nahtoderfahrung habe ich auch über dieses Erlebnis mit niemandem gesprochen, aber ich erinnere mich, eine Erkenntnis gewonnen zu haben, und zwar die, dass ich nicht mein physischer Körper bin. Und dass alles, was ich als »Ich« bezeichnete, unabhängig von meinem Fleisch und Blut existierte.

Danach interessierte ich mich immer mehr für das Ende des Lebens. Ehrenamtlich schloss ich mich dem Zen Hospice Project of San Francisco an und arbeitete auch auf der Hospizstation des Laguna Honda Hospitals. Dies war eine 24-Betten-Station hauptsächlich für mittellose Sterbende. Hier durfte ich meine erste geteilte Todeserfahrung machen.

Ich betreute Ron (nicht sein richtiger Name), der sich gern Abenteuergeschichten vorlesen ließ, besonders die von Jack London. Ron baute schnell ab und war schon halb bewusstlos, als ich ihm ein Kapitel aus Jack Londons Ruf der Wildnis vorlas. Plötzlich merkte ich, dass ich über meinem Körper schwebte. Ich schaute hinüber und sah, dass auch Ron über seinem Körper schwebte. Als wir uns anschauten, sah ich, dass Rons Augen leuchteten. Sein Gesicht wirkte quicklebendig und strotzte vor Gesundheit, vollkommen anders als die Hülle von einem Mann, die dort im Bett lag. Dieser neue Ron schenkte mir ein strahlendes Lächeln, als wollte er sagen: Schau dir das an. Ist das nicht cool? Hier hänge ich gern ab. Hier oben ist alles ganz wunderbar. Wenig später war ich wieder in meinem physischen Körper, saß wie angewurzelt auf meinem Stuhl und las Ron vor, während seine Augen geschlossen blieben. Kurz danach verstarb er.

Ähnliche Erfahrungen habe ich mit Sterbenden und ihren Angehörigen auf der Hospizstation gemacht. Wie viele andere Hospizarbeiter habe auch ich festgestellt, dass wir anscheinend in eine andere Dimension eintreten können, in der Raum und Zeit anders funktionieren, sobald der Schleier zwischen diesem und dem nächsten Leben dünner wird.

Im Oktober 2009 nahm ich an einem Workshop mit dem Titel »Soul Survival« am Omega Institute for Holistic Studies teil. Raymond Moody, der Mann, der die westliche Welt mit Nahtoderfahrungen (NTEs) vertraut gemacht hatte, präsentierte seine neue Forschung zu geteilten Todeserfahrungen (GTEs) (Shared Death Experiences). Als Dr. Moody über GTEs sprach, fing ich am ganzen Körper an zu zittern. Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Wusste aber genau, wovon er sprach, weil ich diese Erfahrungen ja selbst auch gemacht hatte. Moody beschrieb die geteilte Todeserfahrung in Bezug auf mögliche Phänomene, die dabei auftreten, als identisch mit der Nahtoderfahrung. Für mich traf das den Nagel auf den Kopf, weil sich meine beiden Nahtoderfahrungen ganz ähnlich angefühlt hatten wie die geteilten Todeserfahrungen, die ich ebenfalls gemacht hatte. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die Beschreibung, die Raymond Moody von ihnen gab, mein Leben verändert hat. Denn jetzt hatte ich endlich einen Namen und einen Kontext für das, was ich gespürt und miterlebt hatte.

Die meisten erfahrenen Psychotherapeuten können bestätigen, dass die Klienten, die wir brauchen, irgendwie zu uns finden, und es gibt ganze Phasen in unserer beruflichen Laufbahn, in denen unsere Praxen von einem bestimmten Typ Klient oder Klientin frequentiert werden. Manchmal erscheinen nur noch Menschen, die mit Traumata zu tun haben. Ein anderes Mal taucht eine Flut von Ratsuchenden auf, die alle Probleme im Zusammenhang mit Untreue zu bewältigen haben. In meinem Fall war es so: Kaum war ich vom Omega-Institut nach Hause zurückgekehrt, hatte ich einen massiven Zustrom von Klient*innen, die mit verschiedenen Themen rund ums Ende des Lebens konfrontiert waren. Viele von ihnen waren selbst dem Tod geweiht, einige begleiteten als Betreuer den Sterbeprozess eines geliebten Menschen. Und wieder andere kämpften mit tiefgreifenden existenziellen Fragen rund um Tod und Sterben: »Was passiert mit mir und meinen Lieben, wenn wir sterben?«, »Geht es nach dem Tod noch irgendwie weiter?«, »Werde ich meine Lieben jemals wiedersehen?«

Ende 2011 ging es in etwa 60 Prozent der Sitzungen in meiner Praxis direkt um die Auseinandersetzung mit dem Lebensende, mit Trauer und Verlust sowie mit existenziellen Fragen rund um die Angst vor dem Sterben. Trotzdem war ich mir immer noch nicht sicher, ob andere ebenso am mysteriösen Prozess des Todes und an der Frage nach einem möglichen Leben nach dem Tod interessiert waren wie ich. Obwohl ich mich in Zusammenhang mit meiner Arbeit im Hospiz, als Sozialarbeiter und als Freiwilliger im Ausland jahrelang sowohl intellektuell, spirituell und kulturell als auch beruflich mit diesem Thema beschäftigt hatte, war ich sehr aufgeregt, als ich im Herbst 2011 die Bildung einer achtwöchigen Pilotgruppe mit dem Titel Life Beyond Death? (»Gibt es ein Leben nach dem Tod?«) ankündigte. Ich erinnere mich, dass ich dachte, für den Fall, dass meine Kollegen und Klienten dieses Thema als »abwegig« empfinden würden, könnte dies das Ende meiner Karriere als Familientherapeut einläuten.

Zu meiner Überraschung stieß das Gruppenangebot schnell auf positive Resonanz. Ich hatte beschlossen, ein fünfzehnminütiges Vorgespräch zu führen, bevor ich die finale Gruppe zusammenstellte. Nach ein paar peinlichen Momenten stellte ich die entscheidende Frage: »Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Sterben und Tod und einem eventuellen Leben nach dem Tod gemacht?«

Ich habe schnell gemerkt, dass ich für jedes Vorstellungsgespräch eine ganz Stunde einplanen muss. Die Menschen sprachen über ihre Erfahrungen mit dem Tod, über ihre Ansichten und Gefühle dazu, was eine wahre Flut schmerzlicher, tiefgreifender und oft mystischer Erfahrungen freisetzte. Ich hatte zwar viele Jahre als Therapeut gearbeitet, aber diese Gespräche waren ganz anderer Natur. Die Menschen wurden dabei richtig lebendig. Für viele war es das erste Mal, dass sie ihre Erfahrungen mit jemandem teilen konnten, und für diese Gelegenheit zeigten sie sich überaus dankbar. Ich wiederum fühlte mich gesegnet, als stünde ich auf heiligem Boden, während ich mir diese beeindruckenden und herzerwärmenden Geschichten anhörte. Für mich wurde es eine bewegende und tiefgreifende Übung.

Die Pilotgruppe hatte schließlich acht sehr engagierte Mitglieder – drei Männer und fünf Frauen, allesamt Babyboomer. Wir sprachen in aller Offenheit über das Sterben, den Tod und alles, was dahinterliegt. Die Teilnehmenden tauschten sich über ihre Gefühle und Ängste rund um dieses große Mysterium aus. Häufig weckten die Erfahrungen des einen Gruppenmitglieds vergessene Erinnerungen bei einem anderen. Woche für Woche vertieften sie ihre Beziehungen untereinander und zu diesem bisher kulturell tabuisierten Thema.

Am Ende des Workshops sagten viele, ihr Verhältnis zum Tod habe sich grundlegend verändert und es falle ihnen nun leichter, mit Freunden und in der Familie über dieses Thema zu sprechen. Die Gruppenmitglieder merkten scherzhaft an, die Leichtigkeit, mit der sie in unserer todesphobischen Kultur über den Tod diskutierten, mache sie zu »sozialen Albatrossen«. Bei unserem letzten Treffen bedankten sich alle für eine wirklich unvermutete, lebensverändernde Erfahrung. Ich konnte mich da nur anschließen, denn auch mich hatte unsere gemeinsame Arbeit verändert.

Die »Life Beyond Death?«-Gruppe bestärkte mich in meinen Überzeugungen in Sachen Vorbereitung auf den Tod und offene Gespräche über das Thema. Meine Mailbox war voll mit Nachrichten wie dieser: »Ich bin Mary. Meine Freundin Samantha, die im Herbst Ihren Todeskurs besucht hat, hat mir von Ihrer Gruppe erzählt. Ich hatte übrigens ein ungewöhnliches Erlebnis mit meiner Mutter, als sie starb …«

Der Erfolg dieser Workshops sowie die schiere Anzahl transformativer Erfahrungen rund um den Tod geliebter Menschen, die geteilt wurden, veranlassten mich, das Shared-Crossing-Projekt zu starten – Crossing für den Übergang von diesem menschlichen Leben an einen anderen Ort und Shared für eine Erfahrung, die eindeutig mit den Lieben geteilt wurde. Ich sah in dem Projekt eine Möglichkeit, diese aufkeimende Gemeinschaft zu erweitern und zu unterstützen.

Die Mission des Shared-Crossing-Projekts war breit gefächert und doch einfach: Es ging darum, Menschen für die tiefen und heilenden Erfahrungen zu sensibilisieren, die Sterbende und ihre Angehörigen am Ende des Lebens machen können, und darüber aufzuklären. Doch als wir es mit immer mehr Fällen von »geteilten Todeserfahrungen« zu tun bekamen, stieß ich allmählich auch auf Muster, Ähnlichkeiten und Typologien. Dies waren nicht einfach emotionale Erfahrungen; sie konnten studiert und analysiert werden. Und genau das haben wir getan. Ich habe Michael Kinsella hinzugezogen, um mir bei der Überprüfung und Recherche zu helfen. In diesem Buch gebe ich weiter, was wir herausgefunden haben, und mache deutlich, was wir alle aus dem Studium von geteilten Todeserfahrungen lernen können.

Unser Forschungsteam hat aber auch ein übergeordnetes Ziel. Wir möchten einen heiligen Raum schaffen, in dem Sterbende und ihre Angehörigen am Lebensende gemeinsam eine bewusste und liebevolle Erfahrung machen können.

Alles, was unsere Recherchen zutage gefördert haben, deutet darauf hin, dass uns hinter der Tür des Todes ein gutes Leben erwartet. Bitte lassen Sie uns nun gemeinsam einen intensiven Blick durch diese Tür werfen.

Geteilte Todeserfahrungen. Die Grundlagen

Es gibt zwei Arten von geteilten Todeserfahrungen:

1.  die am Krankenbett. Dabei hält sich diejenige Person, die die Erfahrung macht, physisch bei der sterbenden auf.

2.  die aus der Entfernung. Dabei ist derjenige, der die Erfahrung macht, woanders, etwa auf dem Krankenhausflur. Aus der Ferne gemachte geteilte Todeserfahrungen können die Form eines langen oder flüchtigen Abschieds annehmen und entweder zum Zeitpunkt des Todes oder kurz davor beziehungsweise danach gemacht werden.

2   Ein flüchtiger Blick in den Himmel

Liz H. hatte Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Und obwohl sie als Lehrerin in Wheeling, West Virginia, arbeitete, hatte der Hausarzt ihr sicherheitshalber den Besuch einer Spezialklinik in Pittsburgh, Pennsylvania, empfohlen, eine Autostunde entfernt. Sie erinnert sich lebhaft an diese Reise, deren Zweck es war herauszufinden, »ob sich ein Embryo eingenistet hatte«.

Auf der Autobahn wurden sie und ihr damaliger Ehemann Mark Zeugen eines schweren Unfalls, bei dem zwei Autos kollidiert waren. »Es war sehr schlimm«, erinnert sie sich. »Wir hätten rechts ranfahren und anhalten sollen, aber ich wollte keinesfalls meinen Termin verpassen. Weil ich doch so unbedingt schwanger werden wollte.« Sie hielten nicht an, und als sie an den Wracks vorbeifuhren, sah Liz einer Frau in einem der kaputten Autos direkt ins Gesicht. »Sie schaute mich an und ich sie, und die Zeit blieb stehen.« Liz hat das Gesicht der unbekannten Frau nie vergessen.

Liz ist eine echte Granate: schnell in ihren Bewegungen, energisch, temperamentvoll, bestens geeignet, die Aufmerksamkeit ihrer Schüler und Schülerinnen dauerhaft an sich zu binden. Doch in ihren Worten schwingt auch suchende, fragende Nachdenklichkeit mit.

Der Arzt hatte an diesem Tag großartige Neuigkeiten: Wie das Ultraschallbild zeigte, erwartete Liz Zwillinge. »Ich erinnere mich noch«, sagt sie, »dass mein Schwager damals zu mir meinte: ›So friedlich und ruhig habe ich dich ja noch nie erlebt. Die Schwangerschaft scheint dich richtig erstrahlen zu lassen‹, und genau so war es auch.« Sie befolgte alle Empfehlungen für werdende Mütter: kein Koffein, kein Alkohol, sofort das Zimmer verlassen, sobald sich jemand eine Zigarette anzündet …

Der Geburtstermin war für Mitte April errechnet. Für eines der Babys hatten Liz und Mark in Dankbarkeit für die Gnade Gottes bereits den Namen Grace ausgesucht. »Auch inspiriert von Grace of My Heart. Den Film selbst habe ich gar nicht so gemocht, den Titel dafür umso mehr.« Das andere Baby sollte Nicolas heißen. »Gegen Ende des Jahres war allenthalben der Zauber der Weihnacht zu spüren, sodass ich Mark fragte: ›Wie wäre es mit Nikolaus?‹« Er war einverstanden, wünschte sich aber die französische Version, also Nicolas.

Ende Januar fuhren Liz und Mark nach Morgantown, West Virginia, um einen Termin bei einem Geburtshelfer für Hochrisikoschwangere wahrzunehmen. »Dort wurde mir geraten, erst gar nicht noch mal nach Hause zu fahren«, erinnert sie sich. Die Entfernung, die Gefahr von Eis und schlechtem Wetter machten die Heimkehr zu gefährlich. Das Paar zog in ein Hotel, und Liz sollte – abgesehen von den Kontrollterminen im Krankenhaus – strikt Bettruhe halten.

Am Valentinstag genossen sie und Mark ein schönes Abendessen auf ihrem Zimmer – weiße Tischwäsche inklusive. »Wir haben ein Foto gemacht, und auf dem sah ich aus wie ein Wal, weiß ich noch. Kein Wunder: Ich war 1,53 Meter groß und in Erwartung von Zwillingen, wirkte also auch 1,53 Meter breit.« Plötzlich ging der Feueralarm los, und eine Durchsage befahl, das Gebäude sofort zu verlassen. Die Aufzüge waren bereits außer Betrieb. »Ich sagte zu Mark: ›Vielleicht ist das ja gar nicht unbedingt nötig. Am besten rufen wir bei der Rezeption an und fragen mal.‹« Er aber hielt es für das Beste, das Zimmer sofort zu verlassen. »Also habe ich mich die neun Treppen runtergequält.«

Als die beiden in der Lobby ankamen, erfuhren sie, dass eine Bodennebelmaschine, die bei einer Tanzveranstaltung zur Bespaßung der Besucher eingesetzt worden war, den Rauchmelder ausgelöst hatte. »Wir hätten das Zimmer also gar nicht verlassen müssen.«

Am nächsten Tag kamen Freunde zu Besuch. Liz erinnert sich an einen schönen, ruhigen, möglicherweise zu