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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Auf dem Marktplatz von Maibach hatte sich eine Gruppe von Neugierigen angesammelt. In ihrer Mitte zeigte ein Clown seine Kunststücke. Die Kinder lachten und klatschten in die Hände. Da zog der Clown seine Perücke vom Kopf. Vorstellung beendet, hieß das. »Mach doch weiter«, riefen ein paar Zuschauer. Es waren hauptsächlich Kinder. Doch der Clown schüttelte den Kopf. »Jetzt ist Flipp an der Reihe«, sagte er laut und deutete auf einen kleinen weißen Zwergpudel. Inzwischen ging die kleine Angi mit einem Körbchen die Reihe der Zuschauer ab. Jeder warf ein paar Münzen in das Körbchen. Die Kinder nur zehn oder zwanzig Cent, manche Erwachsenen sogar einen Euro. »Wie heißt du?«, fragte ein Bub neugierig. »Angi«, sagte das Mädchen. Eigentlich hieß es Angelika, aber niemand nannte es so. »Und wie alt bist du?«
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Seitenzahl: 138
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Auf dem Marktplatz von Maibach hatte sich eine Gruppe von Neugierigen angesammelt. In ihrer Mitte zeigte ein Clown seine Kunststücke. Die Kinder lachten und klatschten in die Hände. Da zog der Clown seine Perücke vom Kopf. Vorstellung beendet, hieß das.
»Mach doch weiter«, riefen ein paar Zuschauer. Es waren hauptsächlich Kinder.
Doch der Clown schüttelte den Kopf. »Jetzt ist Flipp an der Reihe«, sagte er laut und deutete auf einen kleinen weißen Zwergpudel.
Inzwischen ging die kleine Angi mit einem Körbchen die Reihe der Zuschauer ab. Jeder warf ein paar Münzen in das Körbchen. Die Kinder nur zehn oder zwanzig Cent, manche Erwachsenen sogar einen Euro.
»Wie heißt du?«, fragte ein Bub neugierig.
»Angi«, sagte das Mädchen. Eigentlich hieß es Angelika, aber niemand nannte es so.
»Und wie alt bist du?«, fragte der Junge weiter.
Der Kleine hatte fünfzig Cent in den Korb geworfen. Deshalb blieb Angi stehen und antwortete auf seine Frage: »Ich werde fünf.«
»Gehörst du zu denen da?« Der Junge deutete mit dem Kopf zu dem Planenwagen mit dem abgemagerten alten Pferd davor.
Angi nickte. » Der Clown heißt Ricardo«, sagte sie. »Und der Pudel Flipp. Er kommt jetzt dran.«
Doch der Hund interessierte den Jungen nicht. Was sollte ein Hund schon können? »Und was macht ihr, wenn eure Vorstellung hier beendet ist?«
»Dann setzen wir uns auf den Wagen und fahren weiter«, sagte Angi.
Der fremde Junge staunte mit großen Augen. »Wie ein richtiger Zirkus?«
Angi nickte. »Ja. Wir sind jeden Tag woanders.«
»Mensch, das muss ja toll sein«, sagte der Junge begeistert.
Doch Angi fand es gar nicht so toll. Sie hätte lieber ein richtiges Zuhause gehabt, eine Wohnung, in die sie jeden Abend hätte zurückkehren können.
»Da seid ihr ja ein richtiger kleiner Wanderzirkus. Verdient ihr viel Geld?«
Traurig schüttelte Angi den Kopf. »Nein, wir verdienen nicht viel.« Das Mädchen wusste, manchmal reichte es gerade nur für das Notwendigste. Für ein paar trockene Brötchen und einen Beutel Milch.
»Und wo übernachtet ihr?«, fragte der Junge weiter.
»In dem Planenwagen da.«
»Das ist toll! Einfach toll!« Der Junge klatschte in die Hände. »Ein richtiges Abenteuer. Ich würde sofort mitmachen.«
Ricardo, der mit bürgerlichem Namen Richard Winter hieß, rief nach Angi. Sofort kam sie zurück. »Es ist nicht viel«, sagte sie kleinlaut und reichte ihm das Körbchen.
»Macht doch nichts.« Seine Hand strich zärtlich über ihr blondes Haar.
Wieder spürte Angi, wie seine Finger zitterten. Ricardo war schon zweiundsiebzig, und Angi hatte dauernd Angst um ihn. Wenn er stirbt, habe ich niemanden mehr, dachte sie auch jetzt wieder. Dann bin ich ganz allein. Allein mit Flipp.
Sie beobachtete den Zwergpudel, der soeben mit einem dreifachen Salto durch die Luft wirbelte. Die Zuschauer tobten vor Begeisterung. Sie klatschten und verlangten nach mehr. »Ein richtiger kleiner Artist ist unser Flipp«, murmelte Ricardo. Er selbst hatte dem Pudel die Kunststücke beigebracht.
Der Bub, der sich vorher schon mit Angi unterhalten hatte, kam jetzt wieder zu ihr. »Warum tretet ihr nicht in einem richtigen Zirkus auf?«
Angi senkte den Blick. »Weil uns niemand nimmt. Ricardo ist schon alt. Außerdem hat er ein krankes Herz.«
»Wenn ich Zirkusdirektor wäre, würde ich euch sofort nehmen«, sagte der Bub.
Angi lächelte ihn an. Von ihm wanderte ihr Blick zu einer Gruppe von Kindern, die eben erst gekommen war. »Die sind aus Sophienlust«, sagte der Bub.
Angi schaute ihn fragend an. »Was ist Sophienlust?«
»Ein Kinderheim. Ganz in der Nähe.« Er schaute zur Kirchturmuhr empor. »Ich muss mich verdünnisieren.«
»Was musst du?«, fragte Angi.
»Ich muss nach Hause. Sonst setzt’s ein Donnerwetter. Seid ihr morgen wieder hier?«
Angi nickte.
»Gut, dann komme ich morgen wieder. Wiedersehen.«
»Wiedersehen.« Angi schaute ihm nach. Wahrscheinlich geht er nach Hause zu seinen Eltern, dachte sie. Es muss schön sein, wenn man Eltern hat, zu denen man gehen kann.
Ricardo rief jetzt nach ihr. »Du musst Flipp ablösen.«
»Ja«, sagte Angi und trat zu dem Seil, das Ricardo einen halben Meter über dem Boden aufgespannt hatte. Mühelos balancierte sie drüber. In der Mitte drehte sie sich sogar und blieb Bruchteile von Sekunden auf einem Bein stehen. Die Zuschauer klatschten, und Ricardo zwinkerte anerkennend mit den Augen.
Darüber freute sich Angi immer besonders, denn Ricardo geizte mit Lob. Nur selten lobte er Flipp oder Angi.
»Hast du das gesehen?«, sagte ein Mädchen in der Gruppe der Kinder, die neu hinzugekommen waren.
Pünktchen, so hieß die Angesprochene, nickte. »Toll, wie sie das macht. Sieh nur, jetzt tanzt sie sogar.«
Vicky und Angelika bewunderten staunend Angis graziöse Sprünge. »Ich möchte auch so tanzen können«, sagte Vicky.
Damit reizte sie Nick zum Lachen. »Du und tanzen. Da müsstest du erst einmal zehn Pfund abnehmen.«
Entrüstet drehte sich Pünktchen zu Nick um. »So direkt brauchst du es ihr nun auch wieder nicht zu sagen.«
»Doch«, widersprach Nick ihr. »Dann nimmt sie es sich vielleicht zu Herzen, und stopft nicht den ganzen Tag Süßigkeiten in sich hinein. Das ist doch überhaupt nicht gesund.«
»Aber es schmeckt gut«, rief Vicky trotzig.
Schnell legte Pünktchen ihren Arm um die mollige Vicky. »Sieh mal den Hund an! Ich glaube, der will auch etwas vorführen.«
Da hatte Flipp schon seinen ersten Salto geschlagen. Die Kinder feuerten ihn mit begeisterten Zurufen an. »Der ist ja einmalig«, staunte Nick.
»Süß ist er.« Pünktchen wandte keinen Blick von dem niedlichen weißen Pudel. Ich möchte ihn streicheln, dachte sie. Und Nick überlegte, wer den Hund trainiert haben mochte. Ob es der alte Mann gewesen war, der sich jetzt eine Clownmaske überstreifte? Der muss doch mindestens schon siebzig sein, dachte Nick. Er sonderte sich von der Gruppe ab. Während die anderen über Ricardos Albereien lachten, umrundete er den Planwagen mit dem Pferd. Richtig romantisch ist das, dachte er. Da fahren sie doch glatt mit einem Wagen über Land. Er schaute hinüber zu dem kleinen Mädchen, das jetzt mit einem Körbchen von Zuschauer zu Zuschauer ging. Manche entschlossen sich nur zögernd, etwas hineinzuwerfen, aber die meisten gaben spontan und gern. Nick beschloss, einen Euro seines Taschengeldes zu opfern. Er winkte die Kleine zu sich.
Angis Augen weiteten sich, als sie sah, dass der Junge einen Euro hineingeworfen hatte. »Danke«, sagte sie und deutete sogar einen Knicks an.
Nick musste lächeln. »Ist das alles, was du zusammenbekommen hast?« Er zeigte in das Körbchen. Darin lagen außer Nicks Eurostück nur noch zwei Fünfzigcentstücke, ansonsten Fünf- und Zehncentstücke.
Angi nickte. »Mehr kriegen wir nie.«
»Wie wollt ihr denn davon leben?«
Angi senkte den Kopf. Sofort tat sie Nick leid. Er opferte noch einen Euro seines Taschengeldes.
Darüber erschrak Angi fast. So viel hatte ein Kind noch nie gegeben. Selbst die Erwachsenen hatten es nur selten getan.
Als Angi sich bedankte, geriet sie ins Stottern.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken«, wehrte Nick verlegen ab. »Ihr tut ja schließlich etwas dafür.« Er deutete auf Ricardo, der inzwischen alle Kinder zum Lachen gebracht hatte. »Ist er früher einmal in einem Zirkus aufgetreten?«
»In einem großen sogar«, sagte Angi stolz. »Er heißt Ricardo. Und das hier ist Flipp.« Sie beugte sich zu dem Pudel hinab, der zu ihr gekommen war.
Nick streichelte den Hund ebenfalls. »Du bist ja ein richtiger kleiner Artist, Flipp.«
Aufmerksam musterten ihn die dunklen Knopfaugen. Dann sprang Flipp an Nick hoch.
»Er mag dich«, sagte Angi begeistert. »Das macht er nur bei Leuten, die er mag. Und Fremde mag er meistens nicht.« Sie lief zurück, um Ricardo das Körbchen zu bringen.
»Die Vorstellung ist beendet«, sagte Ricardo laut und nahm die Perücke mit der halben Gesichtsmaske ab.
»Sieh mal, Ricardo, da sind zwei Eurostücke drin.« Angi reichte dem Alten das Körbchen. Erst in diesem Moment bemerkte sie, wie schwer er atmete. »Tut dir dein Herz wieder weh?«, fragte sie ängstlich.
Ricardo schüttelte den Kopf. »Ich bin nur ein bisschen müde. Wir machen für heute Schluss.«
»Ja. Du musst dich hinlegen und ausruhen«, sagte Angi besorgt.
Die Zuschauer zerstreuten sich.
*
Der Clown Ricardo, Angi und Flipp waren an diesem Nachmittag Gesprächsthema Nummer eins in Sophienlust. Die älteren Kinder hatten allen von der Vorstellung auf dem Marktplatz erzählt.
»Das muss ich unbedingt sehen«, rief Henrik.
Heidis Augen wurden groß und kugelrund, als Pünktchen den Pudel beschrieb. »Tante Ma, Tante Ma!« Sie lief zu der Heimleiterin, die sie in der Halle wusste. »Können wir nicht morgen Nachmittag nach Maibach fahren und uns den Hund und den Clown ansehen?«
Else Rennert zögerte mit der Antwort.
»Bitte, Tante Ma.«
»Also gut, ich werde mit Schwester Regine darüber sprechen«, gab die Heimleiterin nach.
Inzwischen wurde die Kinderschwester bereits von Henrik bearbeitet. »Wir könnten doch morgen Nachmittag mit dem Bus alle nach Maibach fahren«, bettelte er. »Es ist ungerecht, wenn nur die Großen den Zirkus sehen dürfen.«
»Es ist doch gar kein richtiger Zirkus«, widersprach Pünktchen. »Nur ein Clown, ein Hund und ein Mädchen.«
»Egal«, krähte Henrik. »Ich will sie auch sehen!«
»Meinetwegen«, seufzte Schwester Regine. »Ihr lasst mir sonst ja doch keine Ruhe.«
»Hurra!«, schrie Henrik. »Wir fahren morgen in die Stadt.« Er lief zu den anderen, die ihn sofort begeistert umringten. »Hoffentlich sind sie morgen auch noch da«, meinte er besorgt.
Doch Nick tröstete ihn. »Ganz bestimmt.«
*
Am nächsten Nachmittag wurde Nick von Angi und Flipp schon wie ein alter Bekannter begrüßt. »Das sind meine Freunde«, sagte er und deutete in die Runde.
»So viele?«, fragte Angi staunend.
Henrik drängte sich nach vorn. Er wollte auch mitreden. »Wir wohnen alle in einem Kinderheim«, erzählte er. »Dort haben wir auch einen Hund. Der ist viel größer, aber natürlich nicht so geschickt.« Er betrachtete Flipp, der die vielen Kinder neugierig beäugte. »Wann zeigt er uns seine Kunststücke?«, wollte Henrik wissen.
»Gleich«, versprach Angi. »Aber zuerst ist Ricardo dran.«
Der alte Mann hatte bereits seine Perücke aufgesetzt. Weil diesmal mehr Leute da waren, verlängerte er seine Nummer. Er versuchte auf einen Stuhl zu steigen, von dem er immer wieder herunterfiel. Die Kinder lachten und feuerten ihn begeistert an.
Doch Ricardos Kräfte ließen schnell nach. Seine Bewegungen wurden müde. Das merkten sogar die Kinder. »Ist er schon alt?«, fragte Heidi leise.
Schwester Regine nickte. »Er ist bestimmt schon sehr alt.« Viel zu alt für so einen Auftritt, fügte sie in Gedanken hinzu. Ricardo tat ihr leid. Man sah, wie schwer ihm jede Bewegung fiel. Wenn er sich fallen ließ, kam er nur schwerfällig wieder hoch. Trotzdem versuchte er es immer wieder. Das begeisterte Kinderlachen feuerte ihn an.
»Jetzt bin ich dran, Ricardo«, sagte Angi leise.
Sie sah, wie schwer er schon atmete.
Er nickte und verbeugte sich. Dabei riss er die Perücke vom Kopf.
Die Kinder applaudierten laut. Neugierig beobachteten sie Angi, die jetzt auf das Seil stieg. Geschickt und sicher balancierte sie von einem Ende zum anderen.
»Ist das schwer?«, fragte Heidi.
»Du kannst es ja hinterher einmal probieren«, schlug Henrik vor.
Damit war Heidi sofort einverstanden. »Aber ob ich das darf?« Sie schaute fragend zu Schwester Regine empor.
Die zuckte mit den Schultern. »Wir können ja fragen.«
Angi war jetzt in der Mitte des Seiles stehen geblieben. Sie hob einen Fuß vom Seil, drehte sich auf dem anderen schnell um die eigene Achse.
»Toll!«, riefen die Kinder und klatschten.
»Ich dachte schon, sie fällt herunter«, sagte Heidi atemlos.
Angi lief jetzt ganz schnell über das Seil. Das sah so einfach aus, dass Heidi beschloss, es auf jeden Fall auch zu probieren.
»Jetzt kommt der Hund dran«, rief Henrik und beugte sich gespannt vor.
Ricardo hatte Flipp hochgehoben, damit jeder ihn sehen konnte. Jetzt stellte er ihn auf die Bretterkiste, die als Podium diente. Sekundenlang blieb Flipp unbeweglich stehen und schaute in die Runde – ganz der große Artist. Dann sprang er so plötzlich in die Luft, dass die Kinder vor Vergnügen quietschten.
Henrik staunte mit offenem Mund. »Der ist ja ne Wucht.«
Flipp schlug jetzt seinen dreifachen Salto, und die kleinen Zuschauer tobten vor Begeisterung. Immer wieder feuerten sie den Pudel an, bis Flipp plötzlich stehen blieb, dann seine Beine von sich streckte und sich hinlegte.
»Jetzt will er nicht mehr«, erklärte Angi dem Publikum. Sie streichelte Flipps weiches Fell. Dann nahm sie wieder ihr Körbchen und machte damit die Runde.
Ricardo hatte sich auf seinen Stuhl hinter dem Planwagen gesetzt.
»Darf ich einmal auf das Seil steigen?«, fragte Heidi.
Angi nickte und beobachtete, wie die Kleine versuchte, sich auf dem Seil zu halten. Es gelang ihr nicht. Auch den anderen Mädchen, die es versuchten, glückte es nicht.
»Dabei sieht es so einfach aus«, sagte Pünktchen erstaunt. »Wie machst du das bloß?«, fragte sie Angi, die mit einem Körbchen voller Kleingeld zurückkam.
Diesmal hatte die Kleine besonders viel bekommen. Erfreut wollte sie es Ricardo bringen, doch Pünktchens Frage hielt sie zurück.
»Ich übe jeden Tag«, antwortete sie. »Schon seit drei Jahren. Meine Mutti hat mich schon aufs Seil gestellt, als ich gerade erst laufen lernte.«
Pünktchen nickte. »Darum kannst du es so gut.«
»Hast du keine Angst, herunterzufallen?«, fragte Heidi.
»Nein«, sagte Angi und schüttelte den Kopf. »Ich möchte das Seil gern noch höher haben, aber Ricardo erlaubt es nicht.«
Sie nahm Flipp auf den Arm und hielt ihn über das Seil. Sofort versuchte der Hund alle vier Pfoten daraufzustellen. Es gelang ihm. Er blieb sogar ein paar Sekunden lang darauf stehen, aber als die Kinder klatschten, zuckte er zusammen und sprang in Angis Arme. Von dort turnte er auf ihre Schultern, schnellte in die Luft und landete wieder in ihren Armen.
Hingerissen schauten die Kinder zu. Flipp hatte alle Herzen im Sturm erobert. Nun wollte ihn jedes Kind streicheln. Mit dem gnädigen Blick eines großen Künstlers ließ er es über sich ergehen.
»Ich möchte ein Bild von ihm schießen«, rief Fabian, der seinen Fotoapparat mitgebracht hatte. »Stellt euch alle neben ihn. Du auch«, sagte er zu Angi.
Die Kinder umringten den Pudel und Angi und schauten mit ernsten Gesichtern geradeaus. Fabian knipste zweimal. Dann machte er auch noch ein Foto von dem Pferd mit dem Planwagen.
Während sich die anderen Zuschauer zerstreuten, blieben die Kinder von Sophienlust bei Angi und Flipp stehen. Sie erzählten von dem Kinderheim und vom Tierheim Waldi & Co. Dadurch überwand Angi ihre Scheu und erzählte nun auch von sich und Ricardo.
Das eröffnete den Kindern eine völlig neue Welt. »Am liebsten würde ich mit euch fahren«, sagte Henrik.
»Ich auch«, rief Fabian.
Pünktchen hatte eine andere Idee. Sie lud Angi und Flipp nach Sophienlust ein.
Angis Augen leuchteten auf, aber nur für einen Moment. »Wir fahren ja morgen schon weiter«, sagte sie dann traurig.
»Schade«, meinte Pünktchen. Auch die anderen bedauerten es.
»Und wann kommt ihr wieder nach Maibach?«, wollte Henrik wissen.
Angi zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Das bestimmt Ricardo.« Suchend drehte sie sich um.
»Er sitzt hinter dem Wagen«, sagte Nick. Dort hatte er den Clown gesehen.
Als Angi zu ihm kam, war Ricardo auf seinem Stuhl eingenickt. Sie wollte wieder davonschleichen, doch da öffnete er die Augen.
»Fahren wir morgen früh schon weiter?«, fragte Angi.
Ricardo nickte. »Das müssen wir ja. Sonst kommen wir nicht voran.«
Angi ging zurück zu den Kindern und erzählte ihnen von Ricardos Entschluss. Daraufhin verabschiedeten sich die Sophienluster Kinder von ihr und Flipp.
»Das nächste Mal musst du uns aber besuchen«, verlangte Henrik treuherzig.
Angi versprach es. Bedauernd schaute sie den Kindern nach.
Ricardo trat nun neben sie. »Warst du schon einmal in einem Kinderheim, Ricardo?«, fragte Angi.
»Das weiß ich nicht«, antwortete er verblüfft. »Warum fragst du?«
»Ach, nur so.« Angi bohrte ihre Schuhspitze in den Sand. »Es ist doch bestimmt lustig, wenn man immer so viele Freunde zum Spielen hat.«
»Ja«, murmelte Ricardo und dachte wieder einmal daran, dass dieses Zigeunerleben für ein fast sechsjähriges Mädchen eigentlich nicht das Richtige war. Wie es weitergehen sollte, wenn Angi erst in die Schule gehen musste, wusste er nicht. Und was aus ihr werden sollte, wenn er einmal nicht mehr lebte, daran mochte er gar nicht denken.
Flipp begann zu bellen. Das hieß: Ich bin hungrig.
Angi lief zum Wagen, um die Tüte mit den Hundekuchen zu holen. Sofort sauste Flipp mit wehenden Ohren hinter ihr her. Er wusste genau, wo Angi sein Futter aufbewahrte. Erwartungsvoll setzte er sich auf die Hinterläufe. Die Vorderpfoten hielt er brav nebeneinander in die Luft.
Angi ließ einen Keks fallen. Flipp schnappte ihn aus der Luft und schlang ihn hinunter.
»Friss doch langsam«, mahnte Angi.
Doch der Hund machte schon wieder ›Männchen‹ und bettelte mit den schwarzen Knopfaugen. Also ließ Angi einen zweiten Keks fallen.
So ging es weiter, bis Ricardo kam.