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Ein Polaroid, das sich rückwärts entwickelt. Eine Autofahrt, die zum Alptraum wird. Ein kleines Mädchen verschwindet vor den Augen ihrer Mutter. Ein berauschender Abend mit einer schrecklichen Entdeckung. Die Veränderung eines Familienvaters mit fatalen Folgen. Fünf Kurzgeschichten, die mit unseren alltäglichen Ängsten spielen.
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Polaroid 16
Sarah 43
Todesangst 72
Versteckt 99
Dämonen 127
Danke 167
Content Notes 172
ANGST
Ben Kohler
Buchbeschreibung:
Ein Polaroid, das sich rückwärts entwickelt. Eine Autofahrt, die zum Albtraum wird. Ein kleines Mädchen verschwindet vor den Augen ihrer Mutter. Ein berauschender Abend mit einer schrecklichen Entdeckung. Die Veränderung eines Familienvaters mit fatalen Folgen.
Fünf Kurzgeschichten, die mit unseren alltäglichen Ängsten spielen.
Über den Autor:
Ben Kohler, 1982 in Illertissen geboren, arbeitet hauptberuflich als Digital Product Consultant in München. In frühen Jahren absolvierte er ein Volontariat bei der Illertissen Zeitung und arbeitete dort anschließend einige Zeit als freier Redakteur. Er schreibt Kurzgeschichten, die er auf seinem Blog veröffentlicht. Im August 2019 erschien sein erstes Buch »The Agile Attitude«. Zwei Romanveröffentlichungen sind für 2021 geplant.
ANGST
Kurzgeschichtenband
Ben Kohler
1. Auflage, 2020
© 2020 Alle Rechte vorbehalten.
Vertreten durch
Dr. Martin Bethke
Storyvents
Böttcherstrasse 7
21335 Lüneburg
https://benkohler.de
Für meine Frau. Ich liebe dich.
Dieses Buch enthält Inhaltswarnungen / Content Notes auf der letzten Seite.
Siehe auch:
https://www.benkohler.de/angst
Kurzgeschichten sind so eine Sache.
Auf der einen Seite zu kurz, um als eigenständiges Werk veröffentlicht zu werden, auf der anderen Seite thematisch oft zu weit voneinander entfernt, um in einem Buch zu erscheinen.
So sammelten sich im Laufe der letzten Jahre einige Geschichten an, die allesamt ganz unten in meiner digitalen Schublade lagen und auf ihren großen Tag gewartet haben. Dieser ist jetzt gekommen, ohne dass es Absicht oder gar geplant gewesen wäre.
Alle Erzählungen entwickelten im Laufe des Schreibprozesses eine Art Eigenleben (was mir, offen gestanden, bei allem passiert, was ich schreibe). Sie wuchsen, veränderten sich und erzählen am Ende ihre eigene Tragödie. Und wer bin ich, meinen Geschichten sagen zu können, wie sie entstehen, fortlaufen oder enden sollen? Also lasse ich den Dingen ihren Lauf, lasse mich von ihnen fesseln und in ihren Bann ziehen und bin jedes Mal selbst überrascht, wohin sie mich am Ende führen.
Corona hat vielen von uns, mich eingeschlossen, mehr Zeit verschafft als uns vielleicht lieb war (oder immer noch ist), und wie nutzt man diese Zeit als Autor am besten? In dem man schreibt? Auch, natürlich. Ich nutzte die gewonnene Zeit, alte Geschichten hervorzuziehen, in meiner digitalen Ablage Ordnung zu schaffen und auszusortieren. Dabei fiel mir auf, dass es offenbar doch ein paar dieser Kurzgeschichten geschafft hatten, sich einem Thema zu verschreiben.
So entstand die Idee zu diesem Kurzgeschichtenband. Jede Erzählung beschäftigt sich mit dem Grundthema Angst. Geboren sind sie aus meinen eigenen Ängsten heraus, sind also sehr präsent und, wenn man so will, alltäglich und allgegenwärtig.
Insgesamt haben es fünf Kurzgeschichten in diesen Band geschafft.
Die Erste, Polaroid, ist zugleich die älteste von ihnen. Die Idee dazu entstand 2017, als ich nachts in meinem dunklen Badezimmer stand und ein seltsames Tropfgeräusch hörte, dessen Ursprung ich nie ausmachen konnte.
Die Inspiration für Sarah lieferte meine Tochter, als wir von einem Familientreffen nachhause fuhren und sie unvermittelt anfing, unheimliche Grimassen zu schneiden.
Meine Tochter war es auch, die Todesangst beeinflusste, weil ich in dieser Geschichte die mir ständig gegenwärtige Angst ihres plötzlichen Verschwindens verarbeitet habe.
Versteckt schrieb ich im Zuge einer Ausschreibung für eine Anthologie. Sie wurde nicht aufgenommen und schlummerte beinahe ein Jahr lang auf meinem Rechner, bis ich begann, sie komplett zu überarbeiten und nun davon überzeugt bin, dass sie es verdient hat, veröffentlicht zu werden.
In der letzten Geschichte, Dämonen, verwandelt sich ein liebevoller und liebender Familienvater in die schlimmste Version seiner selbst.
Wir alle kämpfen mit den unterschiedlichsten Ängsten. Das Treibholz in unserer Seele aber, die auslösenden Faktoren, sind vermutlich bei allen Menschen gleich. Ich bin davon überzeugt, dass auch Du eigene Ängste in den Geschichten wiederentdecken wirst.
Begib Dich in die Abgründe Deiner ganz eigenen Angst. Ich wünsche Dir dabei viel Vergnügen.
Dein Ben Kohler
Immer diese Blase. Im Alter wird es schlimmer, sagt man. Aber Tom Leander hätte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde. Anfang vierzig, nicht gerade das, was man als Alter bezeichnen würde. Und doch muss Tom dem Badezimmer mindestens einmal pro Nacht einen Besuch abstatten.
Er sieht auf die Uhr, 4.14 Uhr. Verdammt. In weniger als zwei Stunden klingelt der Wecker. Diese Drecksblase! Hätte sie die zwei Stunden nicht noch aushalten können? Offensichtlich nicht. Tom spürt den Druck, die Spannung in seinem Unterleib. Wenn er sich jetzt mit dem Finger gegen die Bauchdecke schnippen würde, er könnte für nichts garantieren.
Es ist kalt – typisch für Januar. Er mag das so. Im Schlafzimmer heizt er nie. Die kalte Luft hilft Tom, zur Ruhe zu kommen, seine Gedanken zu sortieren. Er zieht die Decke zur Seite, spürt für einen kurzen Augenblick die sich bildende Gänsehaut, als die Kälte seine nackten Beine umschließt, und steht dann auf. Jetzt aber schnell, denkt er. Toms Schlafzimmer ist im Obergeschoss, unter dem Dach. Er mag die Schrägen, die vier großen Dachfenster, die ihm in klaren Nächten einen malerischen Blick auf den Himmel offenbaren. Eine alte Holztreppe führt nach unten in den Wohnbereich. Die drittletzte Stufe knarzt, es ist ihm egal. Er ist allein. Keine Frau, keine Kinder. Er ist gerne Single. Niemand, der ihm vorschreibt, wie er sein Leben zu leben hat.
Ohne Licht geht er bis ins Badezimmer. In seiner Wohnung kann er jeden Weg blind gehen. Er wohnt seit über zehn Jahren hier und hat seit seinem Einzug nichts verändert. Beständigkeit mag er, sie gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit. Tom setzt sich auf die Toilette, das Licht lässt er ausgeschaltet. Der Mond wirft einen schwachen, bläulichen Schein durch das Fenster, das genügt vollkommen. Nur nicht zu wach werden, denkt er. Er schließt die Augen, entspannt sich und entleert seine Blase.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Ein rhythmisches Tropfen. Es ist ihm vorher nicht aufgefallen. Mit geschlossenen Lidern und völliger Dunkelheit klingt es wie ein Donnern.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Er öffnet die Augen, beugt sich, so weit er kann, nach vorne, um den Lichtschalter zu erreichen, schafft es und betrachtet sein hell erleuchtetes Badezimmer.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Der Wasserhahn ist es nicht, kein Wassertropfen zu sehen, der sich an dem kleinen Sieb gebildet und ins Waschbecken hätte tropfen können. Er blickt nach links, zur Dusche. Die Glasscheibe sollte er mal wieder gründlich reinigen, denkt er und macht sich in Gedanken eine Notiz für den nächsten Tag. Tom beugt sich noch einmal nach vorne, um den Duschkopf sehen zu können. Nichts, kein Wasser, kein Tropfen.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Er sieht sich um. Es gibt in seinem Badezimmer nichts, was dieses Geräusch hätte erklären können. Aber es klingt so nah, als wäre es – in seinem Kopf?
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Wird es lauter, oder bildet er sich das nur ein? Warum ist ihm das zuvor nie aufgefallen? Gibt es das nur in seiner Vorstellung? Ist er überhaupt wach? Sitzt er wirklich auf der Toilette, oder träumt er womöglich? Er zwickt sich in den Oberschenkel – autsch!
Er steht auf, zieht sich die Shorts nach oben und betätigt die Spülung. Um sicherzugehen, betrachtet er den Wasserhahn und den Duschkopf abermals aus der Nähe. Nichts. Er dreht das Wasser am Waschbecken auf und wäscht sich die Hände. Im Spiegel betrachtet er sein müdes Gesicht. Zu früh, definitiv zu früh. Er braucht dringend Schlaf. Die dunklen Ringe unter seinen grünen Augen leuchten wie zur Bestätigung in einem besonders düsteren Farbton.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Da ist es wieder, der Hahn war noch aufgedreht. Er schließt ihn, geht zur Dusche und dreht dort ebenfalls das Wasser auf.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Er stellt das Wasser wieder ab, schüttelt den Kopf, fasst sich an die Stirn und beschließt, wieder ins Bett zu gehen. Er wird sich das morgen in Ruhe ansehen, jetzt, mitten in der Nacht, kann er ohnehin nichts ausrichten.
Er liegt im Bett, die Decke bis ans Kinn hochgezogen und betrachtet den Nachthimmel durch das Dachfenster direkt über ihm. Was ist das? Er kann es sich nicht erklären, hat dieses Geräusch nie zuvor in seiner Wohnung gehört.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Es hört nicht auf, scheint sogar mit jedem Mal lauter zu werden. Er dreht sich auf die andere Seite, schließt die Augen und presst ein Kissen auf das rechte Ohr. Die Uhr zeigt 4.36 Uhr – er muss schlafen! Ein arbeitsreicher Tag liegt vor ihm. Sein Job verlangt höchste Konzentration, ein Fehler könnte buchstäblich Menschenleben gefährden, auf jeden Fall sein eigenes. Er mag die Arbeit als Psychiater und die Betreuung von Straftätern ist für ihn die Königsdisziplin. Gewalttätige, psychisch kranke Menschen. Psychopathen, Soziopathen und alles dazwischen.
Plitsch. Plitsch. Plitsch.
Es macht ihn wahnsinnig. Er wirft sich auf die andere Seite, presst das Kissen jetzt gegen das linke Ohr und kneift die Augen ein paarmal so fest zusammen, dass sie schmerzen. Auf dem Inneren seiner Augenlider schimmern die Umrisse seines Schlafzimmers, wie Nebel über einem Feld im Herbst. Aber es hört nicht auf, wird lauter und lauter. Der Mond legt das Zimmer in dasselbe, bläuliche Licht wie sein Bad. Die Luft ist kalt, auf den Dachfenstern liegt eine dünne Schneeschicht, dicke Flocken fallen vom Himmel. Der Wind verwirbelt den frischen Schnee auf den Scheiben. Es hat etwas Anmutiges und sehr Beruhigendes. Er schließt die Augen, seine Lider sind schwer und er merkt, wie der Schlaf die Oberhand über seinen Körper zurückgewinnt.
Plitsch! Plitsch! Plitsch!
Er schreckt hoch. Auf dem Wecker steht in grünen, großen Ziffern 4.37 Uhr.
Plitsch! Plitsch! Plitsch!
Er schwingt die Beine aus dem Bett, schaltet das Licht ein, streift sich ein T-Shirt über, schlüpft in seine Jeans und geht die Treppe nach unten. Die drittletzte Stufe knarzt, Tom nimmt es kaum wahr.
***
Frank Delbenhorst ist knapp siebzig Jahre alt, hat volles, graues Haar und stahlblaue, tiefe Augen. Sein Blick ist durchdringend, beinahe einnehmend. Er ist hager, groß gewachsen und hat einen übertrieben aufrechten Gang, wie man ihn sonst nur bei Schwimmern oder Reitern zu sehen bekommt. Sicher ist er als junger Kerl ein Frauenheld gewesen. Nun aber sitzt er seit mehreren Jahren in der geschlossenen psychiatrischen Anstalt und wird diese erst nach seinem Tod wieder verlassen.
In jener Nacht schläft er nicht. Frank sitzt am Fenster und blickt in den Himmel. Es hat zu schneien begonnen. Die großen, trockenen Flocken tanzen im Wind und verwirbeln vor seinem Fenster zu Mini-Tornados. Diejenigen, die auf die Scheibe treffen, schmelzen sofort und hinterlassen kleine Bäche, die das Fenster nach unten laufen. Er betrachtet die winzigen Rinnsale und schließt mit sich selbst Wetten ab, welche zuerst am unteren Fensterrahmen ankommen wird.
Zwischen Zeige- und Ringfinger seiner rechten Hand klemmt eine Zigarette. Sie brennt nicht, rauchen ist innerhalb der Klinik untersagt, aber sie beruhigt Frank. Dass sie aus Holz ist, stört ihn nicht, es geht ihm nur um die orale Befriedigung und das Gefühl, sie zwischen den Fingern zu halten. So sitzt er da, die Minuten verstreichen, aber er hat keine Eile.