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In seinem ersten Theaterstück stellt Klaus Mann die Beziehung der zwei jungen Frauen Anja und Esther dar, die auf einem abgelegenen Stift leben. Mit den zwei jungen Männern Jakob und Kaspar schwelgen sie in melancholischen Gedanken, bis eines Tages ein Besuch eintrifft, der die Gefühlswelt der Gruppe ziemlich durcheinander bringt...Die Verwendung homoerotischer Andeutungen schaffte zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung einen Skandal."Anja und Esther" – ein Jugendstück in sieben Bildern, das den melancholischen Gegensatz zwischen dem wohlig Bekannten und dem aufregenden Unbekannten zeichnet. -
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Seitenzahl: 99
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Klaus Mann
EIN ROMANTISCHES STÜCK IN SIEBEN BILDERN
Saga
Anja und Esther
Coverbild/Illustration: Thanks to Levin Anton @levyphoto for making this photo available freely on Unsplash
https://unsplash.com/photos/LCGna0lESPk
Copyright © 1925, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726927689
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Die Szene ist ein altes Stift.
Das Stück spielt in der Gegenwart, am Ende eines Sommers.
Die Szene ist ein großer, dielenartiger Raum im Stifte. Im Hintergrunde eine große, breite Flügeltüre, die, wird sie geöffnet, in ein hinteres Zimmer schauen läßt. Links seitlich eine Glastüre, von der aus Stufen in den Park führen. Rechts seitlich eine kleine Türe nach dem Freien. Der Raum selbst ist dunkel getäfelt, sehr geräumig und wenig möbliert. Rechts, ganz im Vordergrund seitlich, ein schwerer, geschnitzter Lehnsessel. Über der großen Türe im Hintergrund ein in die Wand eingelassenes Kruzifix. Rechts und links von der Flügeltüre stehen zwei Kandelaber.
Es ist gegen Abend, wird rasch dunkel, doch ist bei Aufzug des Vorhangs die Bühne vollkommen hell.
Im Lehnstuhl vorne sitzt Anja. Sie trägt ein schlichtes, dunkles Kleid mit kleinem weißen Umlegekragen. Ihr Haar ist dunkel. — Die 6 kleinen Mädchen stehen in einer Reihe und in schwarze Trikots gekleidet mitten im Raum. Sie sind gerade beim Trainieren. Wenn der Vorhang aufgeht, haben sie alle in gerade Linie die weißen Beine hochgeworfen und die Arme weit ausgebreitet. Esther steht, als Lehrerin, vor ihrer Front, so daß sie dem Publikum den Rücken wendet. Sie läßt eine lange Gerte so scharf durch die Luft sausen, daß es zischt. Sie trägt ein graues, hochgeschlossenes Kleid, mit einem Lederriemen gegürtet. — Im Hintergrund, die Flügeltüre flankierend, sitzen gebückt auf zwei ganz niedrigen Schemeln die beiden alten Aufwartefrauen. Sie spielen zu den Übungen der Kinder eine Art von Begleitmusik, die eine auf einer mißglückten Flöte, die andere auf einer falschen Zither. Sie sitzen arbeitsam gebückt.
ESTHER (scharf zählend): Eins — zwei — und drei!!
(Die Gerte saust nieder, die Kinder senken die Beine, stehen gerade in Reih und Glied. Demungeachtet spielen die Aufwartefrauen weiter. Eine wimmernde und doch scharf-rhythmische Klagemusik.)
ESTHER (wendet sich): Jetzt könnt ihr ausruhen. Wir üben nachher noch den „Tanz in Schwarz“, die Schlußstellung wenigstens.
(Die Reihe der Kinder löst sich still auf. Sie setzen sich entweder einfach auf die Erde oder sie lehnen sich, wie erschöpft, an die Wand. Sie sehen alle etwas blaß aus. — Währenddem wimmert immerfort die Musik.)
ESTHER (zündet sich eine Zigarette an): Ich bin wirklich gespannt, wie es morgen nun klappen wird. Wichtig genug wäre es. — —
ANJA (wendet sich lächelnd an die Aufwartefrauen): Wenn es Ihnen nicht ganz besondere Freude macht weiterzuspielen, können Sie aufhören. Wir sind lange schon fertig.
DIE AUFWARTEFRAUEN (heben beide gleichzeitig den Kopf): Schon fertig? — Haben es wieder übersehen. — (Sie stehen auf, nehmen ihre Instrumente unter den Arm und humpeln dem Ausgang rechts seitlich zu.)
ESTHER (ihnen nach): Wir rufen Sie, falls wir noch etwas üben sollten.
DIE AUFWARTEFRAUEN (im Hinaushumpeln): Bitte schön, wir decken inzwischen den Tisch zum Abendessen.
ESTHER (zu Anja): Übrigens kann man die Wirkungsmöglichkeit der Tänze bei dieser grauenhaften Musik überhaupt nicht beurteilen. Morgen früh, bei der Generalprobe, wirst du erstaunt sein, wenn wir das Orchester aus der Stadt dahaben.
ANJA: Ich mag die Musik der Aufwartefrauen ja gerne. — Sie klingt, wie wenn die Tiere des Alten in den heißen Gewitternächten klagen.
ESTHER (sieht sie an): Ja — da hast du recht — —. Nur als Begleitung zu einem Gruppentanz ist sie nicht ganz das Richtige.
(Eines der kleinen Mädchen hat sich in aller Stille eine Zigarette angezündet.)
ANJA: Ruth hat eine Zigarette schon wieder zwischen den Fingern.
ESTHER: Sie kann es nicht lassen und der Alte hat ihr fünf Stück jeden Tag zugestanden. — Ich halte das Mißlingen oder das Glücken der morgigen Premiere immerhin für wesentlich, nachdem wir uns über ein Jahr vor der sogenannten Öffentlichkeit nicht produziert haben. ANJA: Das kommt, weil diese da erst etwas lernen mußten und weil von der vorigen „Generation“ ja nur wir beide noch da sind — und Jakob und Kaspar —.
ESTHER: Ja, das ist wahr —. Jetzt sind sie alle fort —. Wo sind sie hin — —?
ANJA (bricht ab): Wenn du den „Tanz in Schwarz“ wirklich noch üben möchtest, würde ich dir raten, bald anzufangen. Jeden Augenblick kann es zum Nachtmahl läuten.
ESTHER (wirft die Zigarette fort): Also dann — aufgestanden! (Sie ergreift die Gerte, stellt sich in Positur. Die Mädchen stehen rasch auf, bilden wieder eine Reihe.) ESTHER: Jetzt muß eine laufen und die Musikdamen holen. Ihr steht steif wie die Stöcke. — Lauf, Eliza, lauf! (Ein kleines Mädchen läuft hinaus.)
(Vom Parke her tritt der Alte ein. Ihm folgen die 6 Knaben. Der Alte bietet einen absonderlichen Anblick. Er trägt einen langen, weißen Vollbart und seine Beine sind von den Knien ab nackt und affenhaft dicht behaart. Sein Benehmen ist von einer starren und abgestorbenen Herzlichkeit. — Die Jungen haben kurze weiße Kittel an, mit braunen Riemen gegürtet und mit hellroter Borde am Halsausschnitt. Dazu kurze weiße Hosen und nackte Beine. Sie sind zwischen 12 und 14 Jahre alt.)
DER ALTE: Wolltest du die Kleinen noch üben lassen, Esther — Kind? (Fährt ihr übers Haar.) Ja, ja, ja — du bist unermüdlich. Aber ich muß sie dir leider entführen. Ich will mit ihnen allen zusammen vorm Nachtmahl ihr Schlußlied noch einmal probieren, das ging zuletzt ganz noch nicht so, wie es sollte. Morgen aber, vor der Generalprobe, möchte ich sie nichts mehr tun lassen, und heute nach dem Abendessen müssen sie schleunigst ins Bett.
ESTHER: Schade. —
ANJA (zum Alten): Nimm sie dir ruhig mit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß am „Tanz in Schwarz“ noch etwas besser zu machen wäre.
(Die kleine Eliza kommt wieder hereingelaufen.)
ELIZA: Da sind die Musikdamen —. (Die Aufwartefrauen kommen hinter ihr dreingehinkt.)
DIE AUFWARTEFRAUEN: Sind ja schon da — sind ja schon da — pressiert doch nicht so —
DER ALTE (dem kleinen Mädchen entgegen): Komme zu mir, Eliza. Still — bist ja ganz außer Atem —. Wie dein kleines Herz fliegt! — So, so, so — —
ESTHER (zu den Aufwartefrauen): Nein — gehen Sie nur wieder. Ich kann Sie leider nicht gebrauchen. (Die Frauen humpeln klagend davon.)
DER ALTE (bei Eliza): Wir singen unser Rosenlied nur noch einmal vorm Abendessen. Jetzt ist dein Herz wieder still. — Wir gehen zusammen in mein Studierzimmer. (Bei Esther.) Esther — Kindchen ist traurig, weil es jetzt nicht arbeiten mehr kann? Ei ei, ei — wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht?
ESTHER: Ach was — ich bin nur ein bißchen nervös, daß etwas danebengeht morgen.
DER ALTE: Wie sollt’ es, mein Lieb? Die Kindchen werden ihre Sache brav und niedlich machen. Eliza und Gimietto sind die Akkuratesse selbst, und die führen’s doch an. — Jetzt kommt mit dem Alten! (Er geht, Eliza an der Hand führend, hinaus. Die anderen Mädchen und die Knaben folgen.)
ESTHER: Ich bin fest davon überzeugt, daß der Rosenchor schon vorzüglich geht. Der Alte möchte nur mit Eliza zusammen sein, das ist ihm das Wichtigste.
ANJA: Laß ihm doch sein Vergnügen. Es tut niemandem weh, Eliza am wenigsten. Komm, setz’ dich auf die Lehne des Stuhles zu mir. — Jetzt singen die Kinder.
(Der Gesang setzt gedämpft ein.)
DIE KINDER SINGEN:
„Laßt uns singen und fröhlich sein
In den Rosen,
Mit Jesus und den Freunden sein!
Wer weiß, wie lange wir hie sollen sein
In den Rosen!
(Während des Gesanges sind Kaspar und Jakob an der Tür zum Park erschienen. Kaspar trägt einen hochgeschlossenen Anzug aus dunklem, aber nicht aus schwarzem Stoff.. Jakob ist ähnlich, aber extremer gekleidet — mit langen Manschetten und auffallend spitzen, vielleicht roten Schuhen.)
JAKOB: Schön singen sie.
ANJA: — Der zweite Vers. —
DIE KINDER SINGEN:
„Jesu Wein ist aufgetan In den Rosen.
Dort sollen wir all zur Minne gahn,
So mögen wir Herzensfreud’ empfahn
In den Rosen.
Er soll uns schenken den Zyperwein
In den Rosen,
Wir sollen alle trunken sein,
All von der süßen Minne sein
In den Rosen.“
(Jakob und Kaspar kommen jetzt mehr nach vorn.)
KASPAR: Ich wollte eigentlich mit den Jungen noch ein bißchen arbeiten, den letzten Tanz, den sie haben, zu dem ich sie anführe. Aber der Alte holte sie mir fort.
ESTHER: So erging es mir auch. Jetzt muß es ohne das gut sein.
KASPAR: Von dem Tanz, Esther, den du mit den Kindern einstudiert hast, verspreche ich mir die größte Wirkung eigentlich aus dem ganzen Programme. Er ist von jener höchsten und innigsten Zierlichkeit — ich weiß nicht, aber mir kommt es vor, als sei die Anmut hier auf einem Punkte angelangt, an dem sie zur Trauer wieder wird, die sie war.
ESTHER: Ich will Ehre mit ihm einlegen, für den Alten und für das Stift. — Anja meinte auch, daß er gut sei, ANJA: Wenn er die Leute nicht rührt, sind sie unzugänglich. Ich denke, daß er gerade die bösesten Vorurteile zerbrechen müßte. Gegen ihn kommen mir unsere „Grauen Engel“ fast wie spröde und abstoßend vor. — Wenn ich freilich den Alten mit den Kindern üben höre, ist es mir wieder, als müsse dieser Gesang alle am innigsten bewegen.
JAKOB: Ich schwanke immer noch, welche von meinen Chansons ich singen soll. Vielleicht könnte das Schminkelied als frivol und als zu leichtsinnig erscheinen. Sicherlich sind die Leute nicht aufs beste gestimmt gegen uns. Oberflächlichen Beurteilern könnte es vorkommen, als ginge gerade dieses Couplet über das konventionelle Kabarett in keiner Weise hinaus. — Was meinst du, Anja?
ANJA: Es ist so schwer zu raten. Mir ist es aber fast, als wenn die Intensität, mit der du dieses Lied gerade singst, den Vorwurf der Frivolität zum mindesten vernichten müsse.
JAKOB: Auf jeden Fall habe ich mich entschlossen, die Ballade vom toten Jüngling und vom bösen kleinen Mädchen nicht zu sprechen.
ESTHER: Ich glaube allerdings auch, daß diese Geschichte von der eiskalten Leichenbuhlschaft etwas gar zu hohe Anforderungen an das Begriffsvermögen der Leute stellt.
KASPAR: Wer für die nicht zu Ende zu denkende Traurigkeit des Leichenliedes keinen rechten Sinn hat, ist vielleicht gar imstande, es noch als unsittlich zu verschreien.
JAKOB: Trotzdem liebe ich die Ballade von all meinen Stücken am meisten.
ESTHER: Sorge macht mir auch immer noch die Aufnahme der ersten großen Pantomime. Ob sie nicht doch einerseits zu langwierig, andererseits zu gewagt in ihren erotischen Komplikationen ist? — Man darf nicht vergessen, daß sie fast den ganzen ersten Teil des Programms in Anspruch nimmt.
ANJA: Deine Vorsicht, glaube ich, geht zu weit. Den Primitivsten noch muß ihre Buntheit erfreuen.
KASPAR: Wie hübsch doch die Kostüme geworden sind! —
ESTHER: Ich habe mir sicherlich alle Mühe gegeben, als ich sie entwarf.
KASPAR: Und du wirst mir glauben, daß ich nicht so leichthin die „erotischen Komplikationen“, von denen du sprichst, mir ausgedacht habe. Mehr von mir, als zu denken ist, habe ich an dieses Spiel hingegeben.
ESTHER: Den Ernst unserer Arbeit wird hoffentlich niemand in Frage stellen. Bedenken habe ich nur wegen ihrer rein äußerlichen Wirksamkeit.
DIE KINDER SINGEN:
„Laßt herum die Gläschen gehn
In den Rosen,
So mögen wir fröhlich heimwärtsgehn
Und allezeit in Freuden stehn
In den Rosen.“
ANJA: Daß sie allezeit in Freuden stehen wollen — es rührt mich so —
JAKOB: Die Aufwartefrauen sagten mir, es wäre schon ausverkauft.
ESTHER: Ja, trotz des weiten Weges von der Stadt.
(Eine Schelle läutet.)
ANJA: Jetzt läutet es zum Abendessen.