0,00 €
Essay aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, Note: bestanden (sehr gut), Universität Luzern, Sprache: Deutsch, Abstract: Der antiken und mittelalterlichen christlichen Wallfahrt ist wesentlich gemeinsam, dass sich Menschen religiös motiviert auf Reisen begaben und diese Reisenden "peregrini" genannt wurden. Im Unterschied zur antiken Wallfahrt, welche sich weitgehend darauf beschränkte, individuell, ohne besondere Hilfen und frei besonderer kirchlicher Normierung die in der biblischen Tradition stehenden heiligen Stätten aufzusuchen und die Wege Christi nachzugehen, kannte das Mittelalter Massenwallfahrten und entsprechende Infrastrukturen, Ersatzwallfahrten, abendländische Wallfahrtsorte bzw. -zentren ausserhalb Roms, Wallfahrten zur Busse oder Ablasserlangung, eigene Unterkünfte, Kennzeichen, eigentliche Führer sowie besondere Schutznormen und Privilegien für Pilger und kirchliche Wallfahrtsverbote für Frauen. Die mittelalterliche Wallfahrt war im Vergleich zur antiken somit immer mehr nicht nur von religiösen, sondern auch – und immer mehr – offensichtlich von wirtschaftlichen und (kirchen-)politischen Interessen geprägt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Impressum:
Copyright (c) 2013 GRIN Verlag GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.
Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.
Jetzt beiwww.grin.com
Inhaltsverzeichnis
1 Bezeichnung der Wallfahrenden
2 Wallfahrtsziele
2.1 Palästina, insbesondere Jerusalem
2.2 Konstantinopel und übriger Orient
2.3 Rom
2.4 Weitere abendländische Wallfahrtsorte
3 Busswallfahrten und Wallfahrten zwecks Ablasserwerb
4 Strassen, Unterkünfte und Kennzeichen der Wallfahrer
5 Pilgerberichte und -führer
6 Rechtlicher Schutz der Wallfahrer
7 Wallfahrtsverbote für Frauen
8 Schlussfolgerung
Quellen und Literatur
Peregrinus heisst im klassischen und frühmittelalterlichen Latein der 'Fremde' ganz allgemein. Der Begriff bezeichnet hier jeden, der aus irgendeinem Grund unterwegs ist. Demgemäss waren in der damaligen antiken und frühmittelalterlichen Kirche religiös motivierte Reisen von peregrini ohne konkretes Ziel möglich. Erst als vom 8./9. Jahrhundert an religiöse Reisen zu heiligen Stätten zur vorherrschenden Form des Pilgerns im lateinischen Westen wurden, begann der Begriff peregrinus ab etwa dem 8. Jahrhundert zunehmend besonders denjenigen zu bezeichnen, welcher auf dem Weg zu solchen Stätten war. Eine spezifische Wallfahrts-Terminologie, in der peregrinatio (althochdeutsch wal[l]on, mittelhochdeutsch wal[le]vart) als zielgerichtetes Reisen zu bestimmten heiligen Orten verstanden wurde, entstand erst in der rechtlichen Absicherung der Romwallfahrt am Ende des ersten Jahrtausends. Ab dem 12. Jahrhundert galt ausschliesslich der Pilger zu einer heiligen Stätte als peregrinus.
In der Spätantike pilgerten Christen vornehmlich nach Palästina zu Orten, die mit der biblischen Tradition in Verbindung gebracht werden, und zu den Apostelgräbern. Im Frühmittelalter erweiterte sich der Kreis der Wallfahrtsziele.
Bis in die Spätantike massen die Christen der Wallfahrt nach Palästina keine hervorgehobene Bedeutung zu. Erst die Kunde vom Fund des Kreuzes Christi durch die Mutter des römischen Kaisers Konstantin (306-337), Helena, im Jahre 326 löste die Pilgerbewegung nach Palästina richtig aus. In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten unternahmen die Christen zunehmend Wallfahrten nach Palästina, um auf den Wegen Christi zu wandeln, seine Spuren zu finden, die in der Tradition des Alten oder Neuen Testaments stehenden Gräber zu besuchen und dort zu beten. Dabei erfreute sich die Jerusalem-Wallfahrt zunehmender Beliebtheit. Aufgrund dieser Entwicklung begannen in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts im alten Orient Wallfahrtszentren zu entstehen, welche im 5. und 6. Jahrhundert kontinuierlich zahlreicher wurden.
Die Abtrennung Syriens, Palästinas und Ägyptens vom oströmischen Reich durch die arabische Invasion (erste Hälfte des 7. Jahrhunderts) beendete diese Wallfahrten in den alten Orient nicht abrupt. Das in der Spätantike begonnene Interesse an Pilgerfahrten nach Palästina setzte sich im Frühmittelalter vielmehr trotz der islamischen Eroberung Jerusalems (637) fort. Die Wallfahrt nach Jerusalem, das iter hierosolymitanum, die in der Antike sehr grossen Zustrom hatte, wurde jedoch schwieriger und gefährlicher, die Pilgerreise aus dem Westen nach dem seit 638 von den Arabern beherrschten Palästina seltener und singulärer. Denn seit der arabischen Eroberung Syriens, Palästinas und Ägyptens konnten die aus dem Westen kommenden Pilger als Fremde nicht mehr, wie zur Zeit des spätrömischen Reiches, ungehindert aus Europa nach Palästina reisen, ohne eine Grenze zu überschreiten. Sie mussten nun die muslimischen Behörden zunächst um Einreisegenehmigungen bitten, wodurch das Mitführen eines Empfehlungsschreibens unerlässlich wurde. Der Bericht des pilgernden Bischofs Arkulf aus dem letzten Drittel des 7. Jahrhunderts vermittelt zwar noch den Eindruck, dass der christliche Wallfahrer aus dem Abendland damals nach wie vor frei und ohne Furcht vor irgendwelchen Repressalien in den islamischen Gebieten die heiligen Stätten des Christentums aufsuchen konnte. Gemäss späteren Pilgernachrichten änderte sich dies allerdings alsbald. Viele Pilger, aus dem Abend- wie aus dem Morgenland, unternahmen trotz wachsender Schwierigkeiten und Gefahren weiterhin Wallfahrten nach Palästina. Wegen der zunehmenden Widrigkeiten ging der Pilgerverkehr dorthin aber seit dem 8. Jahrhundert zurück. Erst als das wiedererstarkte Byzanz im 10. Jahrhundert erneut wie in der Antike das östliche Mittelmeer beherrschte und den weitgehend ungehinderten Pilgertransport garantierte, konnte das iter hierosolymitarum wieder den antiken Verhältnissen vergleichbar begangen werden. Daraufhin zog bis ins Spätmittelalter hinein – vornehmlich nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer (1099) – ein die spätantike Anzahl Wallfahrer weit übertreffender, kontinuierlicher Strom christlicher Pilger nach Palästina, das seit der Kreuzfahrerzeit als 'Heiliges Land' bezeichnet wird. Nachdem die Mamluken dieses Land (Ende des 13. Jahrhunderts) und die Türken die Balkanprovinzen (Mitte des 14. Jahrhunderts) erobert hatten, wurde es für die Christen allerdings abermals schwieriger, nach Jerusalem zu pilgern. Waren dort vom 4. bis etwa zum 12. Jahrhundert Aufenthalte von einem halben Jahr üblich, verringerte sich die Aufenthaltsdauer auf etwa 10-14 Tage im 14.-16. Jahrhundert, wesentlich mitbedingt durch die zunehmende Wallfahrtsorganisation und -betreuung durch die Franziskaner vom Berg Sion.
Die Anzahl der Heiligtümer, die man im Heiligen Land besucht haben musste, nahm seit der Spätantike über die Jahrhunderte immer mehr zu, doch lässt sich ein Kernbestand aus den überlieferten Pilgerberichten herauskristallisieren: Jerusalem, Bethlehem, Jericho, die Stelle der Taufe Jesu am Jordan, die Orte des Wirkens Jesu am See Genezareth, die Abrahams-Heiligtümer im Hebron und Mamre sowie seit dem 6. oder 7. Jahrhundert Nazareth.
Die Einnahme von Syrien, Palästina und Ägypten durch die Araber in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts leitete eine Rückentwicklung der Palästina-Wallfahrten und eine Zunahme der Pilgerreisen in die mehr abendländischen Gebiete des byzantinischen Orients ein. So wurde Konstantinopel nach dem 7. Jahrhundert neben Jerusalem ein grosser Anziehungspunkt für alle christlichen Pilger des Orients. Die anderen orientalischen Wallfahrtsorte des Christentums, die im eroberten Gebiet lagen, verloren nach und nach ihre Besucher aus fernen Ländern, verkümmerten, und verschwanden nach einigen Jahrhunderten schliesslich gänzlich. Die Wallfahrtsorte, in Konstantinopel und jene im übrigen Kleinasien konnten sich hingegen, über das Mittelalter hinaus, halten.
In der Spätantike und dem frühen Mittelalter war Rom mit seinen Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus der grosse Wallfahrtsort des Abendlands. Für den Pilger aus dem Osten wurde die Stadt hingegen erst im 6. Jahrhundert Wallfahrtsziel. Als sich der mit päpstlicher Billigung erstellte römische Katalog der Märtyrer- und Heiligennamen vornehmlich vom 7. Jahrhundert an verbreitete, begann diese an Rom orientierte Auswahl die Heiligenverehrung auch im übrigen Italien, in Gallien und England sowie im Frankenreich stark zu prägen, was die Attraktivität Roms für Pilger gegenüber der Antike weiter steigerte. So wurde die Stadt seit dem 7. Jahrhundert von Angelsachsen und seit dem 8. Jahrhundert auch von Franken orationis causa, um des Gebets an den Gräbern der Märtyrer und Heiligen willen, besucht. Erst im Hochmittelalter wurde unter den Christen eine gewisse Verminderung der Attraktivität der Wallfahrt ad limina apostolorum im Vergleich zur Antike erkennbar. Während in den Zeiten vor 1300 eher einzelne Christen individuell eine Rom-Wallfahrt unternommen hatten, entwickelte sich nach der Feier des ersten Heiligen Jahres 1300 eine klar als Wallfahrt abgrenzbare Form des Rombesuchs ohne andersartige Haupt- und Nebenabsichten, welche auch Pilgergruppen anzuziehen begann. Die Stadt Rom ist demgemäss erst seit dem Spätmittelalter ein spezieller Wallfahrtsort mit entsprechender Infrastruktur.
Im 5. und 6. Jahrhundert begann sich im gesamten Abendland eine Verehrung der einheimischen Märtyrer und Bekenner zu entwickeln. Der Zusammenbruch der mediterranen Verkehrsverbindungen im Frühmittelalter regionalisierte den Besuch heiliger Orte und machte Wallfahrten nach Palästina, Konstantinopel und in den übrigen Orient im Vergleich zur Antike zur Ausnahme. So bildete sich im Mittelalter in Europa eine grosse Anzahl an christlichen Pilgerstätten unterschiedlicher Bedeutung. Bekanntestes Beispiel ist die Wallfahrt ins spanische Santiago de Compostela zum Grab des Apostels Jakobus des Älteren. Sie kam seit dem 9. Jahrhundert zu den beiden grossen Pilgerzielen Jerusalem und Rom hinzu, zählte seit dem 13. Jahrhundert zu denperegrinationes maioresund befand sich von nun an mit Rom und Jerusalem auf einer Stufe.
Überdies nahm man in der Antike nur selten Überführungen von Reliquien vor und pilgerte man nicht zu Bildern, weshalb sich die Gläubigen auf lange, schwierige und kostspielige Wallfahrten begeben mussten. Ab dem Ende des 5. Jahrhunderts begannen die Christen dann aber nebst zu Gebeinen auch zu Bildern zu pilgern, welche die Heiligen repräsentieren, und nahmen vom 8. Jahrhundert an – aus Not oder Frömmigkeit – Überführungen von Heiligenreliquien aus Wallfahrtszentren zu. Nachdem man seit der Mitte des 8. Jahrhunderts in Rom bereitwillig römische Reliquien an Bittseller auszuteilen begann und in der Karolingerzeit (751-987) den ganzen Okzident mit solchen Gebeinen versorgte, füllte sich Europa nach und nach mit Kultstätten, die Pilger anzogen. Die Wallfahrt zu Bildern führte nach der arabischen Eroberung Palästinas (erste Hälfte des 7. Jahrhunderts) zudem dazu, dass es seit dem 9. Jahrhundert Wallfahrtsorte mit Nachbildungen des Grabes Jesu oder der Jerusalemer Grabeskirche vermehrt in den Gebieten des heutigen Deutschland, Frankreich, Italien und England gab. Aus Palästina und dem Orient kam erst durch die Kreuzzüge (1096-1396) eine Fülle von Reliquien nach Europa. Die Eroberung des Heiligen Landes und der Balkanprovinzen durch die Türken im Spätmittelalter brachte im Abendland immer häufigere 'Ersatzwallfahrten' zu Heiligenreliquien und – vor allem – zu den erwähnten Nachbauten mit sich. Im 15. Jahrhundert entstanden sodann die ersten nachgebauten Kalvarienberge mit Kreuzwegen.
Für die im Mittelalter häufig gewordenen Busswallfahrten findet sich in der Antike nur die Vorform des Fastend-Unterwegsseins. Die Wallfahrt als Busse erscheint erst seit der Einführung des Systems der kirchlichen Busstarife, welches sich in Irland im 6. oder 7. Jahrhundert auszubilden begann und durch iro-schottische Missionare alsbald auf Kontinentaleuropa übertragen wurde. Die ebenfalls erst im Mittelalter aufkommenden Pilgerreisen zur Erlangung eines Ablasses waren in der Antike gänzlich unbekannt.
Der 'Pilger von Bordeaux', der sich im Jahre 333 nach Jerusalem aufmachte, wählte für seine über 1'000 Kilometer lange Reise wie manche spätantike Wallfahrer den beschwerlichen Landweg nach Konstantinopel. Im Mittelalter, nach der Zurückdrängung des oströmischen Reichs (7. Jahrhundert), waren die dortigen spätantiken Pilgerwege zu Land den christlichen Wallfahrern hingegen versperrt. Erst nachdem Ungarns König Stephan der Heilige (997-1083) den christlichen Glauben angenommen hatte und gleichzeitig das Byzantinische Reich begann, den Balkan zu dominieren und dort für Ordnung in seinem Sinn zu sorgen, stand den Pilgern wie in der Spätantike auch der Landweg wieder offen. Nach der Eroberung des Heiligen Landes durch die Mamluken (Ende 13. Jahrhundert) und der Balkanprovinzen durch die Türken (Mitte 14. Jahrhundert) war dieser Landweg erneut behindert. Abgesehen davon, dass die seit der Spätantike sukzessive gewachsene Bedeutung Roms und die ab dem 9. Jahrhundert aufkommende Bedeutung Santiago de Compostelas die logistische Absicherung der Wege dorthin erforderte, waren die Pilgerstrassen im Mittelalter im grossen und ganzen dieselben wie in der Spätantike. Der Pilgertransport auf dem Mittelmeer war in der Zeit dessen teilweisen Beherrschung durch islamische Machthaber im 7.-10. und 13.-16. Jahrhundert gegenüber der Spätantike ebenfalls deutlich schwieriger und gefährlicher.
Die Unterkunft der Pilger wurde in der Antike wie im Mittelalter zum Teil durch die Gastfreundschaft von Privatpersonen des kirchlichen Lebens gewährleistet. In der Zeit zwischen 400 und 550 entwickelte sich diese christliche hospitalitas aber offenbar von der individuellen Ausübung zu einer institutionalisierten Massen-Hospitalitas. Die antike hospitalitas wurde seit dem frühen Mittelalter durch eine systematische Anlage von Xenodochien vervollständigt: Seit dem 6. Jahrhundert baute man im Abendland Pilgerunterkünfte (xenodochia), meist bei einem Kloster an den grossen Verkehrswegen. Pilgern, denen preiswerte oder gar unentgeltliche Unterkunft fehlte, kam zudem im Abendland ab dem 6. Jahrhundert die Regel des Benedikt von Nursia zugute, welche die ihr unterstellten Klöster zu Gastfreundschaft verpflichtete. In Italien entstanden seit dem 8. Jahrhundert überdies Pilgerspitäler. Nördlich der Alpen wurden solche erst ab dem 11. Jahrhundert errichtet, als die Klöster der steigenden Zahl der Wallfahrer nicht mehr gewachsen waren. Seit dem 12. Jahrhundert übten neu zunehmend auch städtische Spitäler und Hospize Gastfreundschaft für Pilger. Von der Spätantike bis etwa zu Beginn des 11. Jahrhunderts dürfte die Zahl der spontan aufbrechenden und kurzfristig planenden Individualpilger überwogen haben, danach mehr und mehr die Zahl der lange vorbereitenden, wohl organisierenden, kollektiv und insgesamt weniger riskant reisenden Wallfahrer.
Erst seit dem frühen Mittelalter wurde der Pilger durch besondere Kennzeichen identifiziert, nämlich vornehmlich Tragesack und Pilgerstab. Zuvor unterschieden sich die Pilger nicht von anderen Reisenden.
Während bereits in der Antike Pilgerberichte (Itinerarien) für Jerusalem und Palästina entstanden waren – so z.B. jener der Pilgerin Egeria gegen Ende des 4. Jahrhunderts –, wurden solche für Rom erst seit dem 7. Jahrhundert verfasst. Gesamthaft betrachtet sind die meisten der antiken Itinerarien im Vergleich mit den Pilgerberichten des späten Mittelalters ziemlich karg und stark auf die vom Berichtenden besuchten Wallfahrtsstätten konzentriert. Vorformen eines eigentlichen christlichen Pilgerführers entstanden erst im Frühmittelalter und zwar zuerst für Palästina und Rom. So sammelten Schreiber zu Beginn des Mittelalters, sicherlich seit dem 7. Jahrhundert, die Inschriften, die Papst Damasus (366-384) seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts in der Nähe der Gräber der als heilig gehaltenen Märtyrer in Rom anbringen liess und die Gründe ihrer Verehrung offiziell festlegten, als Hilfe für Wallfahrer. In der Folge, seit dem 7./8. Jahrhundert, wurden eigentliche Romführer für Wallfahrer verfasst. Auch Pilgerführer für Konstantinopel entstanden erst im Mittelalter.
Im altrömischen Recht wurde der Fremdling (peregrinus) besonders geschützt, nicht aber der Wallfahrer als solcher. Wohl seit Ende der Antike besassen Pilger jedoch einen Geleitbrief, der sie vor den zunehmenden Reisegefahren schützen sollte. Erst seit dem frühen Mittelalter wurde der Pilger, zunächst der Romwallfahrer, durch eigene rechtliche Privilegien (wie z.B. Friedensschutz durch Fürstenfrieden bzw. Treuga Dei-Bestimmungen der Gottesfriedensbewegung des 10.-12. Jahrhunderts und kirchlicher Schutz an Leib und Besitz durch das 1046-1075 regierende Reformpapsttum) begünstigt. Grund hierfür war, dass die seit der Spätantike sukzessive gewachsene Bedeutung Roms als Wallfahrtsziel die rechtliche Sicherstellung der Pilger erforderte. Nach dem Vorbild der Rompilger genossen seit der Wende zum 12. Jahrhundert auch die Jerusalemwallfahrer und die Besucher von Santiago de Compostela kirchlichen Rechtsschutz. Eine einheitliche Gesetzgebung zugunsten des Pilgers entstand erst im Mittelalter.
Seit der Antike liessen sich zahlreiche Frauen, anfangs besonders sozial höhergestellte, nicht vom Besuch heiliger Stätten in und ausserhalb von Palästina abhalten. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches wurde es für Frauen aber bedeutend riskanter, alleine zu wallfahren. So bat Bonifatius im Jahre 774 Cuthbert, den Bischof von Canterbury, ihnen jegliche Wallfahrten nach Rom zu verbieten, weil Angelsächsinnen zum gesuchten Freiwild für die kontinentalen Freudenhäuser geworden waren. Die verschärften Verbote der mittelalterlichen Kirche erschwerten den Frauen die Pilgerreise gegenüber ihren antiken Wallfahrtsmöglichkeiten deutlich. Schliesslich verweigerte man den Frauen sogar die Erlaubnis für Pilgerreisen überhaupt und riet ihnen, stattdessen 'geistige Pilgerfahrten' zu unternehmen.
Der antiken und mittelalterlichen Wallfahrt ist wesentlich gemeinsam, dass sich Menschen religiös motiviert auf Reisen begaben und diese Reisenden peregrini genannt wurden. Im Unterschied zur antiken Wallfahrt, welche sich weitgehend darauf beschränkte, individuell, ohne besondere Hilfen und frei besonderer kirchlicher Normierung die in der biblischen Tradition stehenden heiligen Stätten aufzusuchen und die Wege Christi nachzugehen, kannte das Mittelalter Massenwallfahrten und entsprechende Infrastrukturen, Ersatzwallfahrten, abendländische Wallfahrtsorte bzw. -zentren ausserhalb Roms, Wallfahrten zur Busse oder Ablasserlangung, eigene Unterkünfte, Kennzeichen, eigentliche Führer sowie besondere Schutznormen und Privilegien für Pilger und kirchliche Wallfahrtsverbote für Frauen. Die mittelalterliche Wallfahrt war im Vergleich zur antiken somit immer mehr nicht nur von religiösen, sondern auch – und immer mehr – offensichtlich von wirtschaftlichen und (kirchen-)politischen Interessen geprägt.
Brückner, Wolfgang: Art. Wallfahrt, in: Bruno Steimer (Hrsg.), Lexikon der Kirchengeschichte, Bd. 2: Ki - Z, Freiburg i.Br. 2001, Sp. 1745-1749.
Brückner, Wolfgang: Art. Wallfahrt. IV. Frömmigkeitsgeschichtlich, in: Walter Kasper/Karl Kertelge/Klaus Ganzer/Peter Walter/Wilhelm Korff/Konrad Baumgartner/Horst Bürkle (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Bd. 10: Thomaschristen - Zytomyr, Freiburg i.Br. 2001, Sp. 963-965.
Carlen, Louis: Wallfahrt und Recht im Abendland (= Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat 23), Freiburg i.Ue. 1987.
Chélini, Jean: Die Wallfahrten des Abendlandes im frühen Mittelalter (8.-10. Jahrhundert), in: Henry Branthomme/Jean Chélini (Hrsg.), Auf den Wegen Gottes. Die Geschichte der christlichen Pilgerfahrten, Paderborn 2002, S. 94-117.
Denzler, Georg/Andresen, Carl: Art. Wallfahrt, in: dieselben, Wörterbuch der Kirchengeschichte, München 1982, S. 625-629.