Apo-Calypso - Ulrich Hackhe - E-Book

Apo-Calypso E-Book

Ulrich Hackhe

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Beschreibung

Sieben Novellen, formal bewusst im Stil des frühen 20.Jahrhunderts gehalten. Inhaltlich spielen sie in der Jetztzeit. Dreimal geht die Welt unter: Die Erde tut sich auf, der Himmel stürzt ein, Außerirdische rotten die Menschheit aus, und eine Sintflut verwüstet Norddeutschland. In weiteren Geschichten werden düstere, gesellschaftliche Dystopien beschrieben. Mit der Wiedereinführung von Sklaverei und Armenhaus versucht die Politik die Probleme in den Griff zu bekommen. Werden sich Beschäftigungsgesellschaften als Lösung erweisen? Am Schuss taucht noch ein Weihnachtsengel mit ziemlich schlechten Manieren auf. Denn Weihnachten ist und bleibt ein Problem. Alles ist nicht richtig tragisch, aber auch nicht richtig komisch. Eher mittellustig wie im richtigen Leben.

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Zu diesem Buch:

Versuche über den Weltuntergang? Und dann auch noch mehrere Untergänge auf einmal! Ja, hätten Sie es denn nicht eine Nummer kleiner, möchte man da fragen.

In der ersten Abteilung geht es um den Weltuntergng als solchen. Da sagt ein selbst ernannter Guru die Apokalypse voraus und wird dann von der Wirklichkeit überrollt. Dann gibt es plötzlich ein Massensterben unter den Menschen. Da müssen sich die Überlebenden natürlich fragen, ob nicht Außerirdische an diesem Phänomen schuld sind. Schließlich gibt es noch eine deftige Sintflut in Norddeutschland.

In der zweiten Abteilung gibt es dann Überlegungen zur Sozialen Frage. Niemand kann bestreiten, dass diese Frage ungelöst ist. Aber was will man machen? Arbeitsbeschaffungen? Das Armenhaus wieder einführen der gar die Sklaverei? Auch die soziale Apokalypse scheint nahe zu sein.

Wenn nicht in der letzten Abteilung ein kleines Weihnachtsengelchen mit notwendigen Reparaturarbeiten beginnen würde, könnte man völlig verzweifeln.

Die fiktiven Autoren dieser Erzählungen bemühen sich, die klassische Form der Novelle wieder zu beleben. Die Storys sind nicht richtig heiter, aber auch nicht todtraurig, also mehr so mittellustig. Wer will, kann man dann gleich noch den Apo-Calypso tanzen.

Inhalt:

I. Apokalyptisches

1. Was am 30.Mai wirklich geschah

(von Heiner Urgerich,

1995

)

a. Ansichten eines Gurus

b. In der Westfalenhalle in Bielefeld

c. Auf dem Berghof

2. Der letzte Tag der Menschheit

(von Unni Heilmann,

2023

)

3. Sintflut und Inferno in Friesland

(von Gorch Gaffel,

2023

)

a. An der Nordseeküste

b. Auf der Landstraße des Grauens

c. An der Ostseeküste

II. Sozialpolitisches

1. Die Wiedereinführung der Sklaverei

a. Im Sauerland

b. In Berlin

c. In Döberitz-Dallgow

d. Zurück im Sauerland

(von Urbold Höltenstöpel,

1998

)

2. Die Wiedereinführung des Armenhauses

(von Huhnhold Ungethümel,

2010

)

3. Das Brummen der Jobmaschine

a. Ein mieses Abitur

b. Auf dem Amt

c. In der Selbständigkeit

d. Endlich in Arbeit

(von Anders And,

1998

)

III. Versöhnliches zu Weihnachten

Kurt der Engel erwacht

(von Claus Santher,

2023

)

Hinweis: Alle in diesem Buch handelnden Personen und Wesen oder auch die nicht handelnden Personen sind frei erfunden. Irgendwelche Ähnlichkeiten mit verstorbenen, lebenden oder noch geboren werdenden Personen sind zufällig. Auch die Handlungen sind erstunken und erlogen. Manches beruht jedoch auf eigenen Erlebnissen des Herausgebers.

I.Teil Apokalyptisches
1. Was am 30. Mai wirklich geschah
Von Heiner Urgerich

Mach dir deine eigenen Götter und unterlasse es, dich mit schnöder Religion zu beflecken! (Epikur)

a. Ansichten1) eines Gurus

Sie wollen wissen, was damals am 30.Mai wirklich geschah? Ja, das verstehe ich. Da gibt es alle möglichen Gerüchte, Falschmeldungen, Über- und Untertreibungen, und alle möglichen Leute wissen alles besser. Und keiner weiß irgendetwas wirklich. Lassen Sie also einen Augenzeugen wie mich berichten!

Denn das war ja wirklich ein dickes Ding, das da in der Geschichte des Universums passiert ist! Ich muss aber ein wenig weiter ausholen, damit sie das Unglück in seiner ganzen Dimension überhaupt verstehen:

Das mit dem Weltuntergang fing nämlich bereits in meiner Kindheit an. Jedenfalls als Idee. Schon als kleiner Junge hatte ich mächtige Manschetten vor dem 30.Mai. Und das kam so:

Agda, das Dienstmädchen meiner Mutter, war ein ziemlich fröhlicher Mensch, und sie sang oft bei der Arbeit. Da sie zuvor eine Stelle in einem großen Arzthaushalt in Köln gehabt hatte, schmetterte sie mit Vorliebe rheinische Karnevalslieder, vor allem in der sogenannten närrischen Zeit des Jahres.

Bei uns in Norddeutschland wusste kein Mensch zu sagen, warum diese Jahreszeit denn nun närrischer sein sollte als andere Jahreszeiten. Auch sind die karnevalistischen Gesänge teilweise keineswegs lustig. Man denke nur an ein Lied wie „Auf die Bäume, ihr Affen/ der Wald wird gefegt!/ Und nicht lange überlegt!“

Da darf man doch nicht darüber lachen, wenn der Wald forstwirtschaftlich so kahl gefegt wird, dass die Wildtiere nur noch auf die Bäume fliehen können, wenn sie überleben wollen. Und die Aufforderung, nicht lange zu überlegen, ist zumindest problematisch. Auch wenn ich selbst in meinen Vorträgen als Guru meine Jünger auffordere nicht zu intellektuell, zu verpanzert und/oder zu verkopft zu sein, kann man doch nicht einfach fordern, dass die Affen nicht mehr überlegen dürfen, was sinnvoller Weise als nächstes gemacht werden soll, zumal in einer offensichtlich sehr schwierigen Situation.

Denn das Leben fordert von uns ständige Entscheidungen, ob wir wollen oder nicht. In meiner Eigenschaft als Guru und Lebensberater rate ich meistens dazu, mehr aus dem Bauchgefühl heraus als mit dem Intellekt zu entscheiden. Aber selbst die Entscheidung auf den Bauch zu hören, setzt eine Überlegung voraus. Der Ratschlag, überhaupt aufs Überlegen zu verzichten, ist auf jeden Fall hoch problematisch. Möglicherweise ist der Vorgang des Fegens im Wald aber so gefährlich für die Affen, dass sie auf den Bäumen sein müssen, ehe das Fegen überhaupt los geht. Dann würde es in diesem Lied darum gehen, dass man rechtzeitig seinem Fluchtinstinkt nachgeben soll, weil man sonst vielleicht selbst hinweg gefegt werden könnte. Das Affenlied ist auf das erste Anhören hin ein lustiges, ja sogar albernes Lied. Doch wird bei strenger Interpretation des Textes letztlich ein äußerst trostloses Szenario geschildert.

Manchmal änderte Agda auch den Text des Liedes und sang statt „und nicht lange überlegt“ alternativ „und die Öhrchen angelegt!“ Dadurch wurde auch nichts klarer oder deutlicher.

Und überhaupt: Was sollen die Affen, in diesem Zusammenhang? Wer ist überhaupt der Adressat dieses Liedes? Doch nicht etwa wirklich irgendwelche Angehörigen der Familie Anthropoidea aus der Ordnung Primata.

Oder nehmen wir das Lied „Wir singen Humba, humba, täterä/ und es brüllt der Saal/ spielt’s noch mal/ Humba, humba täterä!“ Das hat überhaupt keinen erkennbaren Inhalt. Und was keinen Inhalt hat, kann doch auch eigentlich nicht lustig sein. Es sei denn, man würde ähnlich wie im Dadaismus eine ironische Drehung in dem Text erkennen, zum Beispiel, dass durch das Ausstoßen sinnfreier Laute bestimmte Kommunikationsformen mancher Zeitgenossen lächerlich gemacht werden sollen. Das war mit Sicherheit vom Autor dieser Zeilen nicht gemeint.

Die Melodie stammt auch gar nicht aus dem rheinischen Karneval sondern von Anatolij Grigorjewitsch Nowikow aus Russland, der sie 1947 für das Weltjugendlied komponiert hat. Daran sieht man, dass alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Schauen wir uns ein anderes Lied an, das eine nicht ganz so anspruchsvolle Melodie hat:

„Rucki-Zucki, das

ist der neuste Tanz, wir drehn

uns einmal rum, das ist nicht

dumm“.

Da steht man dann nur noch ratlos in der Veranstaltungshalle herum. Andere Lieder machten aber Sinn und waren richtig furchterregend. Besonders unheimlich, richtig bedrohlich war jedoch Agdas Lieblingslied:

Am 30. Mai iss de Weltonterjang,

Mer läwe nit mehr lang,

Mer läwe nit mehr lang!

Ängstlich hatte ich mich unter dem Küchentisch verkrochen, wenn dieser Gesang erklungen war. Erst nach geraumer Zeit traute ich mich wieder hervor, und fragte zitternd und zagend: „Agda, wann ist denn der 30.Mai.“

Und jetzt denken Sie bitte nicht, dass ich mit einem goldenen Löffel im Mund geboren bin, nur weil meine Mutter ein Dienstmädchen hatte. Wir waren damals allenfalls gehobener Mittelstand.

Das bedeutete aber auch, dass meine Eltern beide im Familienbetrieb arbeiteten. Was heißt arbeiten? Sie schufteten wie die Besessenen. Und ohne Haushaltshilfe hätten sie den bei ihnen üblichen 14- bis 16-Stundentag im Betrieb gar nicht geschafft. Und ohne Agda hätte ich nicht erfahren, dass der Weltuntergang am 30, Mai stattfinden würde.

Übrigens war es auch keineswegs so, dass meine Eltern als patriotisch gesinnte Norddeutsche den Karneval vollständig ablehnten. Damals gab es nur zwei Fernsehprogramme. Und wenn man am Freitagabend vor Rosenmontag nicht Canasta spielen oder Socken stopfen wollte, dann blieb einem auch in Norddeutschland nicht viel anderes übrig, als die Mainzer Fastnachtssitzung anzuschauen. Wir nannten die Sendung immer „Mainz, wie es lacht und weint.“

Meine Eltern tranken dabei Sekt mit Eierlikör und versuchten, regierungskritische Aperçus aus den Büttenreden herauszuhören. Sagte zum Beispiel ein Büttenredner: „Schon alt ist Dr. Adenauer/ seine Regierung wohl nicht mehr groß von Dauer!“ Dann nahm mein Vater einen tiefen Schluck aus dem Sektkelch und merkte mit ernster Miene an: „Ganz schön starker Tobak, was der da sagt! Ganz schön mutig!“

Und Mutti nahm auch einen großen Schluck aus dem Sektgefäß und meinte: “Aber das wird man doch auch mal sagen dürfen.“

Agda war natürlich völlig außer Rand und Band während dieser Fernsehsendung. Sie trug ein merkwürdiges Hütchen auf den ondulierten, rotblonden Locken und eine knallrote Pappnase im Gesicht, und alle paar Minuten brüllte sie unvermittelt und aus meiner Sicht völlig anlassfrei „Kölle Alaaf“. Dabei kam die Sendung doch aus Mainz. Ich verstand gar nichts mehr.

Ein Lied aus Mainz gab mir schon damals zu denken:

„Heile, heile Gänschen,

s’wird bald widder gut.

S’ Kätzje hat ä Schwänzje

s’ wird bald widder gut.

Heile, heile Mausespeck,

in hunnert Jahr ist alles weg!

Gedichtet und gesungen hatte das Lied ein gewisser Ernst Neger, von dem auch das Rucki-Zucki-Lied stammte. Das Lied mit dem Gänschen hat zwar auch keinen Sinn, jedenfalls wenn man streng am Textkörper verbleibt. Und bei einer streng semiotischen Deutung muss man immer ganz hart am Textkörper bleiben. Da darf nichts ausgelegt und vor allem nichts hineingelegt werden nach dem schwachsinnigen Motto der Deutschlehrer: „Was will der Dichter uns damit sagen?“

Der Dichter will uns stets das sagen, was er uns sagt, oder was er für uns aufgeschrieben hat. Oder für uns singt. Und wenn der Textkörper völlig schwachsinnig ist, dann will er uns wohl Schwachsinn verkaufen. Aber gehen wir einmal vorurteilsfrei an den Liedtext heran. Ganz eng! Wort für Wort! Der Sänger spricht zunächst ein Wesen, namens Gänschen an. Handelt es sich hierbei um einen Menschen mit dem Kosenamen „Gänschen“? Manche Männer nennen ihre Liebste „Spätzchen“ oder „meine Taube“. Ich fürchte allerdings, dass einige Damen sich ganz gehörig auf den Schlips getreten fühlen, wenn man sie Gänschen nennt.

Oder handelt es sich bei dem oder der angesprochenen Person um eine echte Gans. Vielleicht sogar Gustav Gans, den Unsympathen aus Entenhausen? Oder den berühmten Schauspieler und Iffland-Ringträger Bruno Gans? Vielleicht verschafft die zweite Aussage mehr Klarheit über die Identität des Gänschens. Der Sänger verspricht dem oder der Angesprochenen, es werde wieder gut. Und zwar bald! Was zur Zeit schlecht ist, also gut werden muss, bleibt unklar. Auch die zeitliche Aussage „bald“ bleibt sehr im Unbestimmten.

Dann wird als nächstes von einer Katze gesprochen, die einen Schwanz besitzt. Offensichtlich ist der nicht ab, was in der Tat ein großes Unglück für das Tier darstellen würde. Aber das scheint in Ordnung zu sein. Wir dürfen den Normalzustand voraussetzen. Der Schwanz sitzt noch fest an der Katze. Da muss also nichts geheilt werden. Schließlich ist von Mausespeck die Rede. Was für eine Art Speck ist das? Speck für Mäuse oder Speck aus Mäusefleisch? Der wäre dann doch etwas für die Katze. Vielleicht ist in diesem Lied von einer hungrigen Katze die Rede, deren misslicher Zustand durch die Verabfolgung von Mausespeck wieder gut würde. Und um das Unglück vollkommen zu machen, stellt Neger die Beseitigung aller Missstände erst für die nächsten hundert Jahre in Aussicht. Na, toll!

Von meinen Eltern war auch keine Hilfe zu erwarten. Als ich sie mit meinen Erwägungen zum Sinn dieses Karnevalsliedes konfrontierte, meinten sie nur: „Na, du bist ja ein kleiner Dr. Altklug. Pass bloß auf! Die haben es in der Schule und später im Leben mal schwer! Sehr schwer!“

Auch Agda, die es doch als Karnevalskennerin eigentlich hätte wissen müssen, fertigte mich kurz angebunden ab, als ich sie nach dem Sinn des Gänschenliedes fragte: „Nein, das Lied ist einfach nur schön und soll trösten. Du bist auch so ein richtiger Putschinella, der von nichts eine Ahnung hat, und dem man nichts recht machen kann.“

Erst als ich etwas älter wurde, begriff ich, dass die Sinnlosigkeit des Textes Sinn und Methode hatte. Es handelte sich um einen Zauberspruch wie Hokus Pokus, dreimal Schwarzer Kater oder Abrakadabra. Oder das Amen in der Kirche oder der Ruf Halleluja! Es kommt bei der Beeinflussung von Massen oft darauf an, mit freundlicher Stimme Sinnfreies zu brabbeln oder freundlich zu singen Das wirkt irgendwie auf die Massen tröstlich und beruhigend. Da hatte die Agda wohl Recht gehabt. Von daher habe ich dem Neger von der Mainzer Fastnacht doch einige Anregungen für die Gestaltung meiner eigenen Massenveranstaltungen zu verdanken. Man kann auch vom Schwachsinn lernen. Spiritualität geht vor Rationalität!

Ich weiß, dass in der Ilustrierten Stern vor einiger Zeit einen Artikel über mich gebracht hat. Da hatte es geheißen, dass meine Ansprachen „Büttenreden für Esoteriker“ seien. Nein, ich war nicht beleidigt über diese Kritik. Büttenreden waren beim Volk beliebt. Und man soll dem Volk doch auch aufs Maul schauen. Hat doch schon ein anderer Religionsstifter und Reformator gesagt. Warum soll man sich als Guru nicht auch vom Prinzip der Büttenrede befruchten lassen?

Aber im Gegensatz zu Ruckizucki und Humbahumbatätärä oder dem Gänsesong vom Ernst Neger war das Lied über den Weltuntergang am 30. Mai doch ein ganz anderes Kaliber. Das war eine echte, inhaltliche Prophezeiung.

Und wer Putschinella war, bekam ich auch erst Jahre später heraus. Der richtig Name lautet Pulcinella. Es handelt sich um eine Schelmenfigur mit sehr zweifelhaften Charaktereigenschaften aus dem neapolitanischen Volkstheater. Und ich hatte immer gedacht, dass Agda mich gemocht hätte.

***********

Viele Jahre waren seit jenen Tage vergangen, an denen Agda beim Abwasch Karnevalslieder schmetterte und ich mit meinen Eltern gemeinsam Büttenreden im Fernsehen angeguckt hatte.

Die Firma meiner Eltern war trotz derer harten Arbeit insolvent geworden. Vater war verbittert gestorben und Mutter lebte jetzt in einem Heim für sehr verwirrte und nerviöse Menschen. In einem sehr guten Heim, wie ich hier bemerken möchte! Denn ich war glücklicherweise durch meine Arbeit als Guru zu etwas Geld gekommen und konnte es mir leisten, die horrenden Rechnungen dieser Anstalt zu bezahlen.

Was aus Agda geworden ist, weiß ich nicht. Schade, denn sie war es ja gewesen, die mich als Erste auf die Gefahren des 30. Mai hingewiesen hatte. Da würde ich mich gerne noch einmal mit ihr drüber unterhalten. Und darüber, dass sie meinte, ich hätte Ähnlichkeit mit Pulcinella. So! Kommen wir jetzt also zu dem alles entscheidenden Datum!

*********

b. Am 29.Mai in der Westfalenhalle in Bielefeld

Wieder einmal war der 29. Mai gekommen. Meine Erinnerungen an das Karnevalslied über den Weltuntergang, der für den nächsten Tag vorgesehen war, waren verblasst, aber das Unterbewusstsein vergisst nichts.

Ich befand mich gerade auf einer Tournee durch Westdeutschland. Und für diesen Abend war Bielefeld angesagt. Böse Zungen behaupten, dass es diese Stadt gar nicht gibt. Stimmt aber gar nicht, was die bösen Zungen sagen. Ich befand mich nicht nur im Hier und Jetzt sondern leibhaftig in Bielefeld in der bis zum Bersten gefüllten Westfalenhalle. Ich donnerte mit mächtiger Stimme. Jedenfalls mit Hilfe eines tüchtigen Toningenieurs habe sogar ich eine mächtige Stentorenstimme:

„Ja, liebe Freunde, wenn ich euch hier so sehe, dann freue ich mich natürlich, dass ihr so zahlreich gekommen seid. Dass ihr hier mit uns zusammen sein wollt zu diesem Wochenend-Psychomarathon unter dem Motto Werde der, der du bist! Aber wenn ich näher hinsehe, dann mache ich mir Sorgen! Große Sorgen! Sehr große Sorgen! Und zwar um euch! Wie wollt ihr denn dem Weg des Lichts folgen, wenn ihr so sehr mit negativer Energie beladen seid. Ich spüre doch, wie sie hier in diesem Raum nur so herumwabert. Wahrlich! Wahrlich, wenn ihr mir folgen wollt, so habt ihr noch harte Arbeit am rauen Stein vor euch. Aber wie sollen wir das nur machen, wollt ihr jetzt natürlich wissen. Ja! Doch! Es gibt einen Weg aus dem Dunkel! Einen Weg ans Licht! Ihr müsst alle störenden Schlechtstoffe aus euren Herzen und Hirnen vollständig verbannen. Ja, geht erst einmal in euch und erkennt, was ihr dort in euren Köpfen vorfindet. Und dann: Seid ehrlich, wenigsten vor euch selbst! Denn was seht ihr dort? Neid Missgunst, üble Laune und intellektualistische Verkopfung und Verpanzerung. Und da wundert ihr euch noch, dass ihr mies drauf seid. Dass ihr unglücklich seid. Dass ihr spürt, dass euch etwas fehlt. Und manch einer von euch mag sogar verzweifelt sein. Ohne Hoffnung auf Besserung. Ja, es ist leider wahr: Ihr habt bisher als Negas gelebt. Und deshalb sehe ich so sehr viel negative Energie hier in diesem Saal über euren Köpfen hängen. Wie scheußliche schwarze Gewitterwolken, die nur darauf aus sind, auf euch niederzuprasseln. Ja, das ist in der Tat bedrohlich. Und zwar für Körper, Seele und Geist! Es sieht sehr, sehr ernst mit euch aus. Kein Wunder, dass ich mir große Sorgen um euch mache. Aber verzweifelt nicht! Es gibt einen Weg zum Licht! Und deshalb frage ich euch: Warum lasst Ihr nicht die positive Energie zu? Das ganze Universum ist voll von positiver Energie. Zum Greifen nahe! Warum greift Ihr nicht zu?“

Das mit der Arbeit am rauen Stein habe ich bei den Freimaurern abgekupfert. Nicht dass ich maurerische Ideen vertrete. Verstehen Sie, lieber Leser, mich da nicht falsch. Mit Freimaurerei darf ich meinen Anhängern nicht kommen. Die Ideen sind doch voll aus der Zeit gefallen. Aber der Begriff Arbeit am rauen Stein hört sich doch ganz hübsch an. Und ich hatte mit meinen erlauchten Worten auch gleich den richtigen Ton getroffen.

In meinem Auditorium machte sich Unruhe breit und verzweifelte Rufe ertönten wie etwa: „Meister, was sollen wir tun?“ oder auch etwas resignierter „Was soll nur aus uns werden?“

Ich wartete einen Augenblick und donnerte dann: „So lange ihr noch fragt, was sollen wir tun, ist nichts verloren. Nur wer schon fragt, was wird mit uns geschehen, hat schon verloren. Aber auch der, der so fragt, ist nicht unrettbar verloren. Es gibt Hoffnung! Was also tun? Es gibt nur einen Weg, für euch und für uns alle! Ihr müsst Posis werden! Wir alle müssen Posis werden! Werft allen Ballast ab! Werdet eins mit dem Geist der Erleuchtung! Nur der Geist der Erleuchtung ist die Freiheit der Erleuchtung. Aber die Freiheit selbst ist nur die Erleuchtung der Freiheit! Aus dem Geist der positiven Energie!“

Ja, ich gebe zu, auch das, was ich da selbst so von mir gebe, ist manchmal ziemlich sinnfrei. Ich verstehe meine eigenen Worte auch nicht immer. Und damit schließt sich der Kreis zu den Fchingsliedern: Also nicht an sinnfreien Karnevalslieder herum meckern, sondern von ihnen lernen.

Das Meckern gegen die Intellektuellen muss man auch nicht so ernst nehmen. So richtig habe ich gar nichts gegen Intellektuelle. Aber auf meinen Veranstaltungen geht es immer ein wenig gegen sie. Wenn ich dann über sie schimpfe und behaupte, dass sie verpanzert und verkopft seien. Privat unterhalte ich mich auch lieber mit etwas geistreicheren Zeitgenossen als mit irgendwelchen geistlosen Flachzangen. Aber Beruf und Privatleben soll man generell gut trennen.

Unter meinen Anhängern befinden sich auch viele Lehrkräfte in mittleren Jahren, meistens weiblichen Geschlechts. Obwohl man ja studierte Leute generell erst einmal als Intellektuelle bezeichnen würde, lehnen diese Leute aber oft die intellektuelle Verkopfung ab. Weiß der Teufel, warum! Werde einer schlau aus den Menschen! Ich werde es schon lange nicht mehr. Ich höre einfach sorgfältig zu, erkunde, was die Leute hören wollen und biete es ihnen dann an.

Und wenn Studienrätinnen hören wollen, dass man nur auf seine Bauchgefühle achten soll und nicht auf den Verstand, dann verkaufe ich ihnen halt diese Weisheit. Ich mache den Leuten ein spirituelles Angebot. Und jedem steht es frei, es anzunehmen oder auch nicht. Ich betreibe keine Zwangsmissionierung. Da sollten sich lieber mal die Amtskirchen mit ihrer nicht so ganz sauberen Vergangenheit mal an die eigene, stinkige Nase fassen. Gar nicht fein, was die noch bis vor kurzem in den Kolonien so angestellt haben. Und wie sie in den 50er Jahren die Leute in der BRD mit moralinsaurer Scheiße klein halten wollten. Und da sind beide Fakultäten schuldig geworden: Kathogelen und Evantolen.

Und was die so anbieten ist doch mindestens so verquast wie meine Angebote, meistens aber schlimmer: Wiederauferstehung, unbefleckte Empfängnis, Verwandlung von Wein in Christi Blut. Das ist doch schon unappetitlich. Wenn wenigstens einer mal Wasser in Wein verwandeln würde. Das wäre doch mal was. Leider schaffe ich das auch noch nicht. Aber ich übe noch.

Ich hielt mit der linken Hand mein Buch Endlich positiv denken und handeln hoch, das jetzt im Buchhandel für 29,95 erhältlich ist. Damit die Zuhörer sich den Buchtitel auch richtig einprägen konnten, erschien eine Abbildung des Titelblattes auf dem riesigen Display hinter mir. Es geht doch nichts über eine gut funktionierende Veranstaltungstechnologie.

Ich sehe gerade, dass Sie mich etwas kritisch und vorwurfsvoll ansehen. Ach so: Sie meinen, dass es gefährlich sein kann, wenn ich den Verstand so gering schätze und die Welt der Gefühle in den Mittelpunkt meiner Vorträge stelle. Das könnte dann leicht zu aufgepeitschten, emotionalisierten Massen führen, die zu allem fähig sind. Meinen Sie das? Canetti lässt grüßen: „Ihr die Masse, ich die Macht!“ Ja, klar! Da muss man natürlich vorsichtig sein.

Ich denke aber, dass solche Gefahren bei meinen Anhängern nicht so groß sind. Meine Leute wollen eigentlich nur ein bisschen Wohlfühl-Emotionalisierung genießen. Da meine Anhänger meistens Frauen aus sozialen oder pädagogischen Berufen in den besten Jahren sind, die meistens irgendwie psychosomatisch dran sind und sich gesund ernähren, ist die Gefahr der Fanatisierung nicht groß. Die sind nicht so leicht aufzuputschen. In irgendwelche echten Gefahren begeben die sich freiwillig jedenfalls nicht. Die rennen nicht auf die Straße und sprengen sich in die Luft oder schneiden Ungläubigen die Kehle durch. Also keine Angst vor meiner eher harmlosen Agitation!

Und glauben Sie mir bitte: Ich persönlich will auch niemandem irgendwelche zweifelhaften Ideen einpeitschen oder gar irgendeine Person radikalisieren oder fanatisieren. Aber mein Buch sollen die meisten Leute natürlich schon kaufen. Auch der beste Guru lebt nicht allein von Luft und Liebe. Die müssen natürlich auch sein, die Luft und die Liebe, aber ohne Kohle ist alles nichts. Geld ist die erotischste Kraft, die sich denken lässt, hat ein anderer, sehr erfolgreicher Guru aus Indien einmal gesagt.

Und auch heute Abend waren die Leute wieder begeistert von meiner Vorstellung. Sie jubelten ekstatisch, stampften vor Begeisterung mit den Füßen und verfielen immer wieder in Sprechchöre, in denen sie mich und meine Lehren hochleben ließen. Die ganze Westfalenhalle in Bielefeld hatte sich in ein tobendes, jubelndes Inferno von erregten, glücklichen Menschen verwandelt, die meine Worte hören wollten. Schellenbäume rasselten und irgendwo wurden auch schon Gebetstrommeln gerührt.

Das mit den Schellenbäumen und den Gebetstrommeln war übrigens gar nicht meine Idee gewesen. Vor einige Jahren haben bei einer Massenandacht in der Stadthalle Castrop-Rauxel - oder war das in Wanne-Eickel- ich kriege das jetzt nicht mehr richtig auseinander, einige meiner Gäste diese Instrumente einfach mitgebracht und angefangen zu musizieren. Ich war zuerst ein wenig irritiert gewesen, denn so war das von mir nicht geplant gewesen. Aber ich wollte auch nicht, die Spontaneität meiner Anhänger bremsen. Ich will auch nicht als autoritärer Knacker dastehen, der seinen Jüngern die Spontaneität abschneidet. Natürlich bin ich schon ein bisschen autoritär. Sonst läuft der Laden nicht. Aber das muss und soll keiner merken.

Das rhythmische Getöse kam auch wirklich gut rüber. Da hätte ich als alter Karnevalskenner doch selbst drauf kommen können. Instrumentalmusik, Gesänge und Wortbeiträge. Das alles muss in einem ausgewogenen Verhältnis zu einander stehen. Am besten noch ein Ballett mit Funkenmariechen. Mal sehen, was sich da machen lässt.

Damals am 29. Mai des Jahres Zweitausend und X…..! In der Westfalenhalle in Bielefeld. Der Saal tobte. Dabei gelten die Westfalen, insbesondere die Ostwestfalen, doch emotional eher als schwergängig.

Meine überwiegend aus gut aussehenden jungen Frauen bestehende Singegruppe intonierte jetzt auch noch mit glockenhellen Stimmen: „Sei doch kein Nega, sei doch ein Posi, schallalallala!“

Jetzt halten Sie mich bitte nicht für ganz blöd. Natürlich war mir klar, dass ich Unsinn predigte, und dass der Gesang der Mädels das reine Schwachmatentum war. Aber meine Anhänger sind Kunden, und der Kunde ist König. Wenn der König Schafscheiß kaufen will, dann kriegt er, was er will. Aber natürlich nur, wenn er bezahlt, was er bestellt hat. Ich sollte vielleicht darauf hinweisen, dass ich ursprünglich aus dem Einzelhandel komme. Food und Non-Food! Wholesale and retail! En gros und en detail! Da lernt man so etwas. Meine Eltern hatten nach der Pleite ihres Geschäfts Wert darauf gelegt, dass ich eine gute kaufmännische Ausbildung machte.

Ach so - Sie meinen jetzt, dass ich manchmal etwas zu flapsig über meine Anhänger rede. Halten Sie mich bitte nicht für zynisch! Das ist doch nur liebevolle Utzerei. Ein Schauspieler verachtet auch nicht seine Zuschauer, nur weil er in der Lage ist, sie zum Lachen oder zum Weinen zu bringen. Denn meine wirren Worte brachten meinen Anhängern tatsächlich so etwas wie Erleuchtung, Trost, Erbauung oder weiß der Teufel was. Ich weiß es manchmal selbst nicht, was der eigentliche Inhalt dessen ist, was ich da predige. Aber wenn die Zuhörer es hören mögen, dann muss es gut sein. Es kommt immer auf den Empfängerhorizont des Rezipienten an, wie schon Umberto Eco so nett sagte.

Die Hamburger Wochenzeitschrift Die Zeit hat vor Kurzem über mich geschrieben: „Ist Karl-Heinz Koslowski alias Guru Hrabesh Marashti nur ein zynischer Geschäftemacher?“

So etwas ärgert mich nicht. Die einzige schlechte Presse ist gar keine Presse. Und wenn man von den Medien schlecht gemacht wird, kann man sich immer noch als Opfer stilisieren. Außerdem hat die Edelfeder von der Zeit da etwas ganz gehörig durcheinander gebracht. Was ist denn ein Zyniker? Der griechische Philosoph Diogenes besaß nur drei Gegenstände: Sein Fass, in dem er wohnte, sein Gewand, das ihn vor Kälte und Sonne schützte und eine Kalebasse, um Wasser zu schöpfen. Da sieht er eines Tages einen Hund, griechisch: Kynos, der aus einer Pfütze trinkt. Und Diogenes erkannte, dass die Kalebasse überflüssiger Firlefanz war und tat es fortan dem Hunde gleich. Er wurde also zum ersten Kyniker. In dem eigentlichen Sinne des Wortes bin ich daher tatsächlich Zyniker, indem ich predige, dass man sich nicht mit unnötigem Ballast belaste.

Der Abend in der Westfalenhalle zog sich noch länger hin bei guten Worten und pathetischen Reden. Langsam wurden meine Gläubigen etwas ruhiger und wohl auch müder. Religiöse Ekstase strengt an. Und nicht nur die Gläubigen, sondern auch den Guru. Ich hätte mich jetzt gerne zurückgezogen und ausgeruht. Man wird ja nicht jünger, auch als selbst ernannter Heiliger nicht. Aber erst einmal galt es noch das letzte und das vorletzte Kapitel der Veranstaltung zu bewältigen. Aber da waren zunächst einmal meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, in diesem Fall meine persönliche Referentin Gesine Schmalz-Topper.

„Gibt es noch Fragen. Bitte benutzt das Saalmikrophon, damit alle Anwesenden die Fragen verstehen können“, rief Gesine. Eigentlich hoffte ich, dass keine Fragen mehr kommen würden, denn dann konnte ich gleich so eine Art Schlusssegen sprechen und die Leute zufrieden nach Hause schicken. Mit Schlusssegen meine ich jetzt nichts im Sinne einer kirchlichen Veranstaltung. Das ist mehr so, dass ich den Geist der Erleuchtung oder den Weltgeist bitte, uns zu erleuchten, und dass wir alle gut nach hause kommen. Andererseits schafft die Beantwortung selbst der allerblödesten Fragen durch den Guru immer eine besondere Bindung zu den Jüngern. Der Lehrer fragt am Schluss der Schulstunde auch immer: „Haben das alle verstanden? Gibt es noch Fragen?“ Auch der Lehrer wünscht sich natürlich keine Fragen, obwohl er weiß, dass wahrscheinlich wieder kein Schwein verstanden hat, was er verkündet hat. Die Abschlussfrage, ob noch Fragen offen sind, ist ein notwendiges Ritual. So wie das Amen in der Kirche. Aber man darf natürlich immer hoffen, dass es keine Fragen gibt.

Und natürlich! Ein Guru hat niemals Feierabend! Da schritt auch schon eine Frau in mittleren – man sagt ja auch in den besten - Jahren mit sehr, sehr verkniffenen Gesichtszügen ans Mikrophon. Also eigentlich einer der Prototypen der Gattung Mensch, die meine Veranstaltungen frequentiert. Aus meiner Erfahrung wusste ich aber, dass dieser Typ von Mitmensch häufig nervt und oft völlig verpeilt ist, keinen Durchblick hat und gar nichts verstanden hat. Harmlos aber nervtötend eben. Mit ziemlich quakiger und verbissener Stimme fragte sie:

„Meister, du hast gesagt, dass man seinen Partner stets als vollkommen ansehen muss, und dass die Probleme bei einem selber liegen, wenn es nicht klappt. Aber was ist, wenn es denn objektive Gründe gibt, warum mein Partner falsch liegt. In meinem Fall, wenn ich das mal so sagen darf, liegt es so: Der Ralph ist einfach so….wie soll ich sagen, der ist so gemein, so rücksichtslos. Und hat überhaupt keine Ahnung von Nix. Und der interessiert sich überhaupt nicht für das, was ich mache. So sind doch die Typen oft. Was soll ich da machen?“

Na, die Frage ging ja noch. Und man könnte in der Tat zu dem, was die Dame da erzählte eine Menge ernsthafte Dinge sagen. Tatsächlich hatte ich wiederholt den Rat gegeben, die Schuld für die Probleme einer Beziehung erst einmal bei sich selbst zu suchen. Ein eben so offensichtlich richtiger wie banaler Ratschlag. Und so lange meine Anhänger solche Belehrungen wie der Weisheit letzten Schluss annehmen, sollte es mir recht sein.

Diese Fragerin war nun aber wirklich völlig verpeilt. Den Ralph sollte sie wirklich so schnell wie möglich in die Wüste schicken. Oder der Ralph sollte sie in die Wüste verabschieden. Aber hier war weder Ort noch Stunde für derartig praktische Ratschläge. Vielleicht wussten Sie es auch noch nicht: Es gibt empirische Untersuchungen ernsthafter Psychologen, dass tatsächlich in 80 % der Fälle derjenige der einen Missstand in einer Beziehung am lautesten beklagt, diesen selbst verursacht hat. Von Schuld wollen wir gar nicht reden. Schuld ist ein zu weites Feld. Aber da muss man kein Erleuchteter sein, um zu verstehen, dass die Fragerin ganz offensichtlich voll doof war, weil nur ein voll Doofer so eine Frage stellt. Sie hatte offensichtlich nichts verstanden. Weder von ihren Problemen mit Ralph noch von meinen Erläuterungen. Aber auch den Dööfsten der Doofen soll geholfen werden.

Und es war auch ziemlich klar, dass sie wahrscheinlich mit einem ganz unmöglichen Eumel verpartnert war. Wenn sie den nicht bald los wurde, würde ihr niemand mehr helfen können. Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun und auch kein Guru. Aber so durfte ich das natürlich nicht sagen. Wahrheiten ja! Aber nicht zu offen oder gar zu drastisch. Ich sprach daher mit salbungsvoller Stimme:

„Dann, Schwester, kann es einmal daran liegen dass dein Partner nicht der ist, der für dich vom Karma vorgesehen ist. Dann musst Du weiter suchen. Aber suche nicht in den anderen, nicht in deinem Nächsten, suche zuerst in dir selber. Suchet eure Fehler immer zuvörderst in euch. Denn wer den Geist der Erkenntnis nicht in sich sucht, der kann die Erkenntnis des Geistes nur schwerlich erlangen! Schauet immer, wo die Schwingungen der Energie am positivsten sind!“

Na, ob ich da nicht ein wenig zu dick aufgetragen hatte, was die Plattitüden anging. Aber meine Anhänger waren es zufrieden und brüllten: „Danke, Danke, Meister Hrabesh! Du bist Gigantisch.“

Gigantisch! Das hört sich eigentlich ganz hübsch an. Ich nenne mich als Heilsbringer natürlich nicht Karl-Heinz Koslowski, so heiße ich nämlich laut Geburtsurkunde und Personalausweis. Und so nennt mich die Presse, wenn sie mir eins auswischen will. Sie müssen zugeben, dass ein Guru schlechterdings so nicht heißen kann. Für meine Leute bin ich der Meister Hrabesh Marashti.