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Thomas Brotzler vermittelt Ihnen in diesem Buch, wie Sie aus Architekturmotiven stimmungsvolle Schwarzweißbilder erstellen können. Schauen Sie ihm bei seiner Arbeit über die Schulter, von der Planung und Motivsuche über die Bildgestaltung bis hin zur anschließenden Bildkonvertierung und -bearbeitung am Computer. Sieben Kapitel decken diesen Workflow ab. Ebenso viele Bildstrecken (Exkurse), in denen der Autor auch die Gastautoren Jean Marc Deltombe, Andre Kurenbach und Wolfgang Mothes zu Wort und Bild kommen lässt, stellen unterschiedliche Motive, Herangehensweisen und Stilrichtungen vor. Stillgelegte Industrieanlagen und einsame Sakralbauten bilden steingewordene Zeugnisse menschlicher Gestaltungskraft. Melancholische Stadtlandschaften lassen den Einfluss der Architektur auf den Menschen erahnen. Und in den Nachtaufnahmen kommen das Spiel von Licht und Schatten, die Irrlichter und latenten Botschaften unserer Städte zum Ausdruck. Im Vordergrund stehen die konzeptionellen und stilistischen Aspekte der Architekturfotografie. Aber auch das Handwerkszeug kommt nicht zu kurz. So werden Ausrüstung und Aufnahmetechnik, Recherche und Vorbereitung sowie Motiverarbeitung, Bildgestaltung und fotografische Dramaturgie behandelt. Methoden der Bildbearbeitung und Schwarzweißkonvertierung, Archivierung und Präsentation werden abschließend dargestellt und diskutiert. Aus dem Inhalt: - Einführung: Architektur- und Schwarzweißfotografie - Ausrüstung und Vorbereitung - Motivsuche - Komposition - Aufnahmetechnik - Ausarbeitung: RAW- und S/W-Konvertierung, Belichtungsreihen und HDR-Technik - Archivierung, Aufbereitung für Bildschirm und Druck, Präsentation
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Seitenzahl: 286
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Foto: Maximilian Lutz
Dr. Thomas Brotzler wurde 1961 in Nordrhein-Westfalen geboren und lebt heute mit seiner Familie in Baden-Württemberg.
In jungen Jahren konnte er sich nicht so recht zwischen Medizin und Kunst entscheiden, sodass er sich schließlich beides aneignete. Zum einen führten ihn Medizinstudium, Facharzt- und Therapieweiterbildung zwischenzeitlich zur Niederlassung und Tätigkeit als Psychotherapeut; zum anderen prägten namhafte Lehrer wie Reinhold Haas, Rolf Walther oder Torsten Andreas Hoffmann über die Jahre seine künstlerische Entwicklung.
Ursprünglich von der Malerei herkommend, wandte er sich zwischenzeitlich der Schwarzweißfotografie als Ausdrucksinstrument zu. Seine Themenschwerpunkte sind Architektur und Landschaft, Nacht und Street.
Die Ergründung psychologischer Motive, des weiteren die Unterstützung persönlicher Veränderung und Entwicklung sind ihm in beiden Berufen Herzenssache. In der Fotografie nutzt er dazu die Möglichkeiten des Unterrichts wie auch der Publikationen in verschiedenen Online- und Printmedien. Zugleich schaut er mittlerweile auf eine erfolgreiche Ausstellungstätigkeit und eine Vielzahl internationaler Auszeichnungen zurück.
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Industrieruinen, Sakralbauten und Stadtlandschaften fotografieren
Mit Gastbeiträgen von Andre Kurenbach, Wolfgang Mothes und Jean Marc Deltombe
Thomas Brotzler
Dr. Thomas Brotzler
www.brotzler-fineart.de
Lektorat: Rudolf Krahm
Copy-Editing: Sandra Gottmann, Münster-Nienberge
Herstellung: Frank Heidt
Satz: Dr. Thomas Brotzler
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de, unter Verwendung eines Fotos des Autors
Druck und Bindung: Stürtz GmbH, Würzburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN:
Print 978-3-86490-391-5
PDF 978-3-96088-045-5
ePub 978-3-96088-046-2
mobi 978-3-96088-047-9
1. Auflage 2016
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Wieblinger Weg 17
69123 Heidelberg
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» Erst durch die Absicht des Fotografen wird das Motiv zum Bild und als solches in der Deutung des Betrachters erfahrbar.«
1 Einführung
1.1 Die Idee zu diesem Buch
Zum Buchtitel
Zur Gliederung
1.2 Architektur als Ausdruck von Heimat und menschlichem Wirken
Eine begriffliche Annäherung
Der Fotograf in der Architektur
1.3 Schwarzweißfotografie damals und heute
Von Schwarzweiß zur Farbe und zurück
Gründe für Schwarzweiß
Exkurs 1
»Der Geschmack der Erinnerung« Die verlassene Maulbronner Gießerei
Die Vorgeschichte
Das Projekt
Einige Nachgedanken
2 Vorbereitung
2.1 Nützliche Ausrüstung
Kameragehäuse
Objektive
Stative
Weiteres fotografisches Zubehör
Allgemeines Zubehör
2.2 Arbeiten im Vorfeld
Suche nach geeigneten Objekten
Rechtliche Aspekte
Recherche zum Objekt
Führung durch das Objekt
Exkurs 2
»Was vom Werke übrig blieb« Der Niedergang der Mühlacker Ziegelwerke
Die Vorgeschichte
Das Projekt
Einige Nachgedanken
3 Motivsuche
3.1 Einstimmung vor Ort
Zeit zum Ankommen
Verschiedene Beschreibungen eines Phänomens
Praktische Übungen
3.2 Grundsätzliche Auswahl
Symbole als »Gefäße der Botschaft«
Beispiele für die Symbolverwendung
Exkurs 3
»Über das Fotografieren von Industriedenkmälern« Der Fotograf Andre Kurenbach
Das allgegenwärtige Authentizitätsproblem
4 Komposition
4.1 Einflüsse des Bildformats
Querpanorama
Querformat
Quadrat
Hochformat
Hochpanorama
Ovalformat
4.2 Grundelemente der Gestaltung
Am Anfang steht der Punkt ...
Durchgezogene und gedachte Linien
Gerade und gebogene Linien
Kreise
Dreiecke
Rechtecke
Sonstige Vierecke und Vielecke
Zwei Handreichungen für »Üben Sie sich in Abstraktion«
4.3 Gliederung des Raums
Goldener Schnitt und Drittelregel
Leserichtung
Pragmatisches Vorgehen
Ein Spiegelungsvergleich
4.4 Spannungsbögen im Bild
Kontraste der Helligkeit und Farbe
Kontraste der Form und Proportion
Kontraste der Masse und Quantität
Kontraste der Struktur und Qualität
Kontraste der Bewegung und Richtung
Exkurs 4
»Was sucht der Schwarzweißfotograf in der Farbenfabrik?« Die Bruchsaler Farben
Zwischen Tradition und Innovation
Das Projekt
Einige Nachgedanken
5 Aufnahme
5.1 Blende, Zeit und Empfindlichkeit
Bedeutung der Blendenöffnung
Bedeutung der Belichtungszeit
Bedeutung der Sensorempfindlichkeit
Das Konzept der Lichtwerte
5.2 Weitere Hinweise zur Durchführung
Hyperfokale Distanz
Abschätzung des Szenenkontrasts
Sicherstellung einer verwacklungsfreien Aufnahme
Vermeidung stürzender Linien
5.3 Mit dem Licht arbeiten
Richtung des Lichts
Anmutung des Lichts
Bildbeispiele
Exkurs 5
»Stürzende Linien, fliehende Bauten« Der Fotograf Wolfgang Mothes
Essay
6 Ausarbeitung
6.1 Auswahl und Vorbewertung
Die ersten Schritte
6.2 RAW-Konvertierung
Verwendung von Camera Raw
6.3 Arbeit mit Belichtungsreihen
6.4 Korrektur stürzender Linien
Manuelle Korrektur
Filterkorrektur
6.5 Schwarzweißkonvertierung
Nik Software
Überblick über »Silver Efex Pro«
Die Funktionen im Einzelnen
6.6 Weitere Anpassungen der Tonwerte und Feinstruktur
Ausschöpfung des Tonwertumfangs
Das Instrument »Tiefen/Lichter«
Exkurs 6
»Verklärung und Überhöhung« Sakralbauten in der Fotografie
Prolog
Essay
Die verschiedenen Bauepochen
Zur Bildstrecke
7 Sonstiges
7.1 Speicherung und Archivierung
Backup- und Sicherungsstrategie
Physikalische Verzeichnisstruktur und Ordnerbenennung
Archivierung und Verschlagwortung
7.2 Aufbereitung für Bildschirm und Internet
7.3 Vorbereitung und Durchführung des Drucks
7.4 Montage und Rahmung
Exkurs 7
»L‘Esprit de Venise« Der Fotograf Jean Marc Deltombe
Essay
Index
Sie halten ein Buch in den Händen, liebe Leserin und lieber Leser, in welchem maßgebliche Wegstationen meiner eigenen, künstlerischen Annäherung an das Gebiet der Architekturfotografie Eingang gefunden haben.
Workshop s (englisch): 1. Werkstatt f., Werkraum m. 2. Kurs m., Seminar n.
Ein Werkstattbuch soll es im besten Falle sein, auch im doppelten Sinn des englischen Begriffs »Workshop«, der ja mittlerweile in unserer Alltagssprache angekommen ist: Zum einen sind Sie eingeladen, mir bei meinen Überlegungen, Umsetzungen und Ausarbeitungen über die Schulter zu schauen und so einen virtuellen Blick in mein Fotoatelier zu werfen; zum anderen werde ich natürlich immer wieder auch auf die Erfahrungen und Diskussionen aus Einzelunterricht und Seminaren zurückgreifen.
Eines möchte ich aber bereits an dieser Stelle vorwegnehmen: Den einen und einzig richtigen Weg durch den Dschungel kann es auch und gerade im Bereich der gestalteten Fotografie nicht geben. Mit unseren eigenen Ansprüchen steigen die Möglichkeiten ebenso wie die Herausforderungen und Fallstricke. Der Weg wird also, wenn man so will, komplizierter.
Gewiss ist es legitim, sich in einem bestimmten Stadium der eigenen fotografischen Entwicklung etablierte Stile anderer Fotografen anzuschauen und anzueignen. Bliebe es jedoch bei einem solchen Kopieren, entstünde letztlich keine eigene, unverwechselbare Handschrift, welche die Betrachter unserer Bilder wiederzuerkennen vermögen. Die Motiv- und Bildsprache wirkt in solchen Fällen oft verwechslungsträchtig, bisweilen gar wie austauschbar. Ein solches Phänomen meine ich etwa in weiten Bereichen der zeitgenössischen Langzeitbelichtung zu erkennen: Wattewasser und Streifenwolken allenthalben, mächtige Strukturen ins Bild ragend, alles so zeitlos ätherisch; durchaus beeindruckend auf den ersten (und auch noch zweiten) Blick, aber oft war es das auch schon, um sich dann in unzähligen Bildern zu wiederholen.
Zum kreativen Gebrauch des Buches
Dies ist eigentlich ein ganz anderes Thema. Ich möchte es nur am Rande erwähnen, um Sie zum kreativen Gebrauch dieses Buchs zu ermuntern: Verwenden Sie die darin befindlichen Anregungen und Beispiele als kleine Bausteine der eigenen Konzept- und Stilbildung (sofern passend) und behalten Sie dabei bitte immer im Auge, dass Sie das Recht (und gewissermaßen auch die Pflicht) zu einer eigenständigen kreativen Entwicklung haben. Sofern Sie darin fortgeschritten sind und eines Tages ähnliche Motive wie ich begehen, werden sich Ihre Bilder merklich von den meinen unterscheiden. Und ich darf Ihnen versichern: Das ist gut so, gerade darin zeigt sich der Reichtum der fotografischen Ausdrucksmöglichkeiten.
Schwerpunkt auf Gestaltung und Ausdruck
Um Gestaltung und Ausdruck in der Architekturfotografie soll es also schwerpunktmäßig in diesem Buch gehen. Wir wollen der Frage nachgehen, auf welche Weise wir unsere Konzepte und Botschaften, Überlegungen und Empfindungen als Tiefenstrukturen in unsere Bilder einweben und zum Betrachter transportieren können. Dieser möge dann, so die zulässige Hoffnung, mit seinen eigenen Gedanken, Gefühlen und Interpretationen in unseren Bildern verweilen und diesen so Wirksamkeit verleihen.
An dieser Stelle möchte ich schon ein wenig vorgreifen und die Begriffe der Symbolisierung und inneren Repräsentanz einführen. Gemeint ist damit, dass die dargestellten Personen, Gegenstände und Szenarien über die erste, abbildende Ebene hinaus durch ihre Auswahl, Anordnung und Erscheinung im Bild noch eine zweite, bedeutungsvolle Ebene erhalten. Aus der schlichten (und etwas ironisch zitierten) Feststellung des Betrachters im Sinne von »Ach, da ist ja ein Baum! Schönes Bild!«, kann so zum Beispiel eine weitergehende Hinterfragung im Sinne von »Wofür steht der Baum an dieser Stelle? Warum wird mir das gezeigt?« werden.
Dieses Prinzip möchte ich am Beispiel des Kapitelanfangsbildes auf der vorherigen Doppelseite gerne noch etwas erläutern: Mächtige Diagonalen im Sinne des Weges von links unten und der Betonstrebe von links oben ragen in das Bild hinein. Sie verankern die Szene und gestalten diese zugleich dynamisch. Eine Querstrebe im rechten oberen Bilddrittel wirkt im Gegenzug statisch, sie begrenzt die Darstellung und führt den Blick weiter auf einen Mopedfahrer, der dem Weg folgend alsbald aus dem Blick zu geraten droht. Wie jene (klein gezeichnete) Hauptperson fühle auch ich mich auf meinem eigenen (künstlerischen) Weg, insofern dient diese hier als Stellvertreter meiner eigenen Gedanken und Empfindungen: Auch mir verheißt der Weg im übertragenen Sinn ein Fortkommen, doch kann ich von heutiger Warte aus noch nicht absehen, wohin dieser letztlich führt.
Abb. 1: (Voranstehende Doppelseite) Kurt-Schumacher-Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen, aus dem Portfolio »Stadtlandschaften 2010«
Kurz möchte ich noch auf die Betitelung dieses Buches zu sprechen kommen. Wir, also die Maßgeblichen des Verlags, der unermüdliche Lektor Rudolf Krahm und ich selbst, hatten dazu zwischenzeitlich manches erwogen und vieles auch wieder verworfen.
Der letztlich in unseren Diskussionen gefundene Buchtitel »Architektur in Schwarzweiß« dürfte wenige Fragen aufwerfen: Das Thema ist klar benannt, es geht um die Architektur. Weitere Hinweise ergeben sich durch den Untertitel – die Motive werden als »Industrieruinen, Sakralbauten und Stadtlandschaften« näher beschrieben, desgleichen wird der bildnerische Zugang zu diesen im Sinne des »Fotografierens« benannt. Eine klare Ansage, wenn man so will, und somit zweifelsohne zur Heranführung des Lesers geeignet.
Gedanken zum ersten Arbeitstitel »Raum und Struktur«
In den ersten Entwürfen trug das Projekt noch den Arbeitstitel »Raum und Struktur«, was doch einigermaßen geheimnisvoll, fast entrückt klingt und allemal Fragen aufwirft. Als ein hinweisender Gegenpol stand damals der Untertitel »Architektur in Schwarzweiß fotografieren«.
Ich wollte damit die Idee aufgreifen, dass nicht nur die hier gezeigten Bilder, sondern auch das Buch als Ganzes über das schlichte Abbild der Architektur hinausreichen sollen. Es sollte maßgeblich um unsere Konzepte, Gedanken und Empfindungen zur Architektur gehen, die dann im Idealfall in die gestaltete bzw. künstlerische Fotografie mit einfließen.
Das grundsätzliche Wesen der Architektur
Wenn ich mir überlege, was die Architektur im Grundsatz ausmacht, fallen mir eben zuvorderst die Begriffe »Raum« und »Struktur« ein. Mit Ersterem ist das Umbaute gemeint, all das also, was umschlossen und gegenüber der Umgebung abgegrenzt ist. Aus der bisherigen Leere wird somit durch Bebauung und Umfriedung etwas Neues, bisher noch nicht Dagewesenes geschaffen. Letzteres zielt auf das sichtbare Bauen ab, das Wie und Womit des Umschließenden also, wozu Aspekte des Planens und der Durchführung auf der einen Seite und deren letztlich vorzeigbare Ergebnisse etwa in Form von Böden, Decken, Wänden mitsamt Aussparungen auf der anderen Seite gehören.
Wir sehen, dass sich im Umfeld des Architekturbegriffs mancher Spannungsbogen beschreiben lässt: der zwischen der geistigen (Planung) und materiellen (Durchführung) Dimension oder derjenige zwischen einer positiven (das Gebaute) und negativen (das Umbaute) Form.
So viel an dieser Stelle zu den Begrifflichkeiten, auf denen das Buch im Inhalt baut. Im Zuge solcher Überlegungen ist zwar noch keine Architektur fotografiert, aber es deutet sich schon ein Konzept der Architektur an. Indem wir uns als Fotografen auch mit solchen Aspekten beschäftigen, schaffen wir eine gute Grundlage für spätere Inspiration und absichtsvoll geschaffene Aufnahmen vor Ort.
Sie finden das Buch in sieben Hauptkapitel aufgeteilt, die in ihrer Abfolge quasi einem Weg durch das fotografische Thema entsprechen.
Es beginnt mit der »Einführung«, die Sie gerade lesen. Hier folgen noch weitere Unterkapitel zum Wesen der Architektur und zum Stellenwert der Schwarzweißfotografie. Sodann folgt die »Vorbereitung«, in welcher Fragen der Ausrüstung und Vorfeldrecherche behandelt werden. Wir sind nun schon vor Ort und befassen uns mit der »Motivsuche«, mithin also Fragen der grundsätzlichen Auswahl der Objekte und der guten Einstimmung unserer selbst. Wenn wir so weit sind, können wir uns mit Fragen der »Komposition« sowie der eigentlichen »Aufnahme« auseinandersetzen, um so die nachfolgenden, durchaus inhaltsschweren Hauptkapitel zu zitieren. Wenn der eigentliche Durchgang vor Ort abgeschlossen ist, so ist doch noch längst nicht alle Arbeit erledigt. Unsere Bilder bedürfen der »Ausarbeitung«, was ein durchaus komplexes und anspruchsvolles Gebiet ist. Das letzte Kapitel »Sonstiges« beschäftigt sich schließlich mit Fragen der Archivierung, aber auch mit solchen des Drucks und der Rahmung, überhaupt der Präsentation.
Dies waren zunächst besagte sieben Hauptkapitel, die sozusagen das Fundament des Buches ausmachen. Man mag diese zunächst der Reihe nach lesen oder auch gezielt einzelne Kapitel herausgreifen.
Der Wechsel zwischen Hauptkapiteln und Exkursen im Sinne sich überlagernder Rhythmen und Tonalitäten
Als ich mir Gedanken zum Aufbau des Buches machte, beschlich mich die Sorge, dass solch ein ununterbrochener Durchgang durch den typischen Workflow der Architekturfotografie womöglich etwas zäh und ermüdend werden könnte. So entschloss ich mich, zur Auflockerung jeweils ein Zwischenkapitel (im Buch heißen diese »Exkurse«) folgen zu lassen. Wäre das Buch ein Musikstück, so stießen wir hier auf sich überlagernde Rhythmen und Tonalitäten. Chaotisch muss dies jedoch nicht werden, da Sie (im Gegensatz zur passiv gehörten Musik) Einund Ausstieg, Richtung und Tempo des Lesens ja aktiv selbst bestimmen.
Solch Klang der Exkurse unterscheidet sich merklich von jenem der Hauptkapitel. Geht es dort um Grundlagen und Systematik, so stehen in den Einschüben immer bestimmte Unterthemen der Architekturfotografie (wie etwa Industrieruinen, Sakralbauten oder Stadtlandschaften) oder konkrete Projekte im Vordergrund. Es beginnt jeweils mit einer allgemeinen Heranführung und Beschreibung, um dann in ausführlichen Bildbesprechungen das in den verschiedenen Hauptkapiteln Angeführte aufzugreifen und anzuwenden.
Des Weiteren möchte ich die Exkurse nutzen, um einigen befreundeten Architekturfotografen Raum zur Darstellung des eigenen Ansatzes und der so entstandenen Arbeiten zu geben. Ein Blick über den Tellerrand bzw. in die Breite des Genres, so meine ich, hat noch selten geschadet ...
Wie begann das eigentlich mit der Architektur in grauer Vorzeit?
Nun, genau wissen können wir es nicht, denn uns fehlt ja der persönliche Augenschein ebenso wie der authentische Bericht aus erster Hand! Was und wie es auch einmal gewesen sein mag, in seiner ursprünglichen Form ist all das schon längst vergangen. Allenfalls Spuren und Relikte sind übrig geblieben, aus denen die Experten und wir Normalsterbliche versuchen, Schlussfolgerungen über die damaligen Verhältnisse zu ziehen.
Das Zusammenspiel von Vorstellung und Abbild, von innerem und äußerem Bild
Hier besteht aus meiner Sicht übrigens eine interessante Analogie zur zeitgenössischen Fotografie historischer und entnutzter Industrieanlagen, die in den folgenden Exkursen noch ausführlich und bildträchtig vorgestellt wird. Auch hier kommt es entscheidend auf unsere Vorstellungskraft an: Wir erschaffen ein (inneres) Bild des einst dort Gewesenen, um dieses im (äußeren) Bild des heute noch Vorhandenen einzubetten und so für den Betrachter verfügbar zu machen.
Der Vergleich soll aufzeigen, wie wenig auch in solch fotografischen Bereichen der einzig richtige, objektive Blick zählt. An dessen Stelle tritt der subjektive Blick auf die Dinge, seinerseits zwar von der Möglichkeit der Unvollständigkeit oder gar des Irrtums geprägt, doch als persönliche Blickwarte erstens zulässig, zweitens nötig und drittens bereichernd.
Bei dieser Gelegenheit kommt mir der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) in den Sinn, der sich in seinem 1819 erschienenem Hauptwerk »Die Welt als Wille und Vorstellung« intensiv mit solchen Fragen des menschlichen Bezugs zur umgebenden Welt beschäftigte.
Die bereits im genannten Buchtitel anklingenden Schlüsselbegriffe sind dabei als auf Ähnliches (den Weltbezug) gerichtete, in ihrem Kern aber gegenläufige Strebungen gekennzeichnet: Im »Willen« erkannte der auch von der östlichen Philosophie inspirierte Schopenhauer ein »kosmisches Prinzip der Existenz«, des Weiteren einen »blinden ziellosen Drang zu leben«, wie es beileibe nicht nur beseelten Wesen im Sinne des Überlebenswillens, sondern gar jedweder Materie zu eigen sei. Dem stellte er das Prinzip der »Vorstellung« dahingehend gegenüber, dass die uns Menschen auf ganz bestimmte, also eigentümlich erscheinende Welt »nur für uns, nicht an sich« sei.
Abb. 2: Arthur Schopenhauer, porträtiert 1815 von Ludwig Sigismund Ruhl, gemeinfrei
Nach Schopenhauer wäre unsere Weltsicht demnach vorrangig ein Produkt unserer Wünsche und Vorerfahrungen, denen sich unsere sinnlichen Wahrnehmungsqualitäten leichthin unterwärfen. Zu Ende gedacht hinderte uns die individuelle Vorstellung daran, die Welt in ihrem vom persönlichen Zutun losgelösten, also kollektiven »Willen« zu erkennen und uns darüber mit anderen leichthin zu verständigen.
An dieser Stelle wird Schopenhauers Diktum etwas moralsäuerlich, da er in diesem Zuge den Egoismus und die Verständigungsunfähigkeit der Menschen bitterlich beklagte. Doch lassen wir ihn in Frieden ruhen und behalten wir dieses bedeutende Konzept der subjektiven Weltsicht für unsere fotografischen Belange im Hinterkopf.
Weitere Definitionen zur Architektur
Für die vertiefte Betrachtung des Wesens der Architektur und deren Bedeutung für uns Menschen möchte ich gerne noch weitere Quellen anführen.
Nach Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Architektur) bezeichnet Architektur »im weitesten Sinne die handwerkliche Beschäftigung und ästhetische Auseinandersetzung des Menschen mit gebautem Raum. Das planvolle Entwerfen, Gestalten und Konstruieren von Bauwerken ist der zentrale Inhalt der Architektur«. Auch hier wird also auf das »maßgebliche Moment menschlicher Einwirkung« hingewiesen. Noch pointierter und unseren Blick auf die wechselseitige Abhängigkeit lenkend drückt Topowiki (http://www.topowiki.de/wiki/Raum) dies aus mit »Menschliche Existenz ist grundlegend ›raumgreifend‹. Ohne Raum ist der Mensch nicht«.
Sofern wir diese These guthießen, könnten wir daraus die durchaus verblüffende Erkenntnis ableiten, dass nicht nur die Architektur des Menschen bedürfte, sondern auch der Mensch der Architektur. Das eine bedinge das andere und könne ohne sein Gegenstück gar nicht bestehen.
Kulturstiftung und Selbstobjektalität
Wir sehen, dass sich die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen mit solchen Phänomenen schon ausführlich beschäftigt haben. Vonseiten der Anthropologie oder Soziologie wird das Verhältnis zwischen Mensch und Architektur als wichtiger Teil des sozialwissenschaftlichen Diskurses (etwa auf städteplanerischer Ebene) beschrieben. Des Weiteren erscheint die Architektur als ein kulturstiftendes Element, und dieser Begriff mag sich dem unmittelbaren Verständnis durchaus erschließen: Mit der Erschaffung der Architektur beweise sich der Mensch als Kulturwesen; immerhin, denn angesichts allgegenwärtiger Ausbeutung, Not und Kriege auf dieser Welt mag man daran bisweilen zweifeln. Die Psychologie hingegen weist in diesen Zusammenhängen eher auf die selbstobjektale Bedeutung der Architektur hin. Dieser Begriff ist schon deutlich sperriger, weswegen ich ihn (von meiner psychotherapeutischen Warte aus) ein wenig erklären möchte.
Heinz Kohut (1913–1981), ein US-amerikanischer Psychoanalytiker österreichisch-jüdischer Herkunft, konzipierte in den 1970ern die Selbstpsychologie. Diese befasste sich maßgeblich mit der Entwicklung des menschlichen Selbstwertgefühls und erwies sich so als fruchtbare und wegweisende Ergänzung der psychoanalytischen Theoriebildung. Mithilfe der Arbeiten von Kohut konnten wesentliche Aspekte des pathologischen Narzissmus sowie der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur besser verstanden und so überhaupt erst der Behandlung zugänglich gemacht werden.
Abb. 3: Heinz Kohut, Fotograf und Entstehungsjahr unbekannt
Ein entscheidender Ansatz im Denken von Kohut ist das Konstrukt des im vorletzten Absatz schon erwähnten »Selbstobjekts«. Der Begriff wirkt zunächst paradox, denn nach alltagspsychologischem Verständnis kann etwas schwerlich zugleich »Selbst« bzw. »Subjekt« (also Betrachter, Erkennender oder Handelnder) und »Objekt« (also Betrachtetes, Erkanntes oder Behandeltes) sein. Dies drückte auch der deutsche Psychiater und Philosoph Karl Jaspers (1883–1969) in seiner These der für das alltägliche Erleben unabdingbaren und intellektuell nicht überwindbaren »Subjekt-Objekt-Spaltung« aus.
Kohuts Konzept des Selbstobjekts
Gleichwohl vermochte Kohut mit seiner Theorie- und Begriffsbildung jene intellektuelle Hürde zu meistern. Er beschrieb das Selbstobjekt in erster Linie als Person unserer näheren Umgebung, deren Beachtung oder Zuspruch für die Entwicklung und Aufrechterhaltung unseres Selbstwertgefühls unabdingbar sei. Doch könnte nach Kohut auch ein Gegenstand, ein Symbol oder eine Idee als Selbstobjekt dienen. Voraussetzung hierfür sei, dass dieses mit solchen Qualitäten versehen sei, die uns in unserem Selbstwertgefühl bestätigten.
Praktisch sind es natürlich in erster Linie die Eltern, deren Liebe und Begeisterung sich im kleinen Kind widerspiegeln und diesem eine Idee eigener Bedeutung vermitteln. Kohut sprach hierbei vom frühkindlichen Größen-Selbst, wobei hier freilich Überschneidungen zu Konzepten des primären Narzissmus von Sigmund Freud und der Spiegelung von Jacques Lacan bestehen. Das Größen-Selbst stellte die Matrix des späteren Selbstwertgefühls dar und erhielte seine ausgereifte, also erwachsene Form durch eine gemeinschaftsbezogene Einbindung und Abschwächung.
Freilich behalte dabei nach Kohut das Selbstobjekt für den Erwachsenen zeitlebens eine gewisse Bedeutung, denn keiner von uns könne gänzlich ohne den Zuspruch anderer Personen oder die Selbstvergewisserung durch unserseits mit entsprechenden Qualitäten ausgestatteten Gegenständen, Symbolen oder Ideen auskommen.
Die Architektur als Bühne unseres Selbst
Als eine Teilmenge davon tritt nun die Architektur auf den Plan: Die Wohnung bietet uns Schutz, der Ort Gemeinschaft, das Gewerbegebiet Beschäftigung, die Kirche Besinnung, die Sportstätte Ertüchtigung, die Kulturstätte Erbauung usw. All dies trägt in sich die Funktion einer den Selbstwert unterstützenden Vergewisserung. Man kann gleichsam sagen, dass die Architektur uns »als Bühne eines sich im Raum erweiternden und spiegelnd wiedererkennenden Selbst« dient.
Die genannten Beispiele ließen unterschiedliche Nähe und Distanz zum eigenen Selbst erkennen. Auf die Erforschung der Zusammenhänge von Privatheit und Öffentlichkeit im architektonischen Umfeld und auf Fragen von Gemeinschaft und Abgrenzung im Zusammenleben zielten die Arbeiten des US-amerikanischen Anthropologen und Ethnologen Edward T. Hall Jr. (1914–2009) ab.
Persönliche Raumblase und nötiger Mindestabstand
Er untersuchte die »Personal (Space) Bubble« (persönliche Raumblase) und beschrieb dabei vier verschiedene Raumzonen (»intim, persönlich, sozial, öffentlich«), die sich vom Individuum ausgehend zunehmend im (architektonischen) Raum ausdehnten. Die Weite jener Zonen variiere dabei nach Hall nicht nur in Hinblick auf verschiedene Situationen und Beteiligte, sondern maßgeblich auch in Abhängigkeit von kulturellen Codes. Schwierigkeiten der zwischenmenschlichen und kulturüberschreitenden Kommunikation, so seine These, beruhten entsprechend oft auf Unkenntnis jener »stillen Sprache der anderen« und auf resultierender Unterschreitung des nötigen Mindestabstandes des Gegenübers.
Sofern wir aus den vorstehenden Abschnitten ableiten wollten, dass zwischen dem Menschen und der Architektur eine ganz besondere und auch wechselseitige Beziehung bestünde, dass uns das Be- und Umbaute unter anderem also ...
› sichtbarer Ausdruck menschlicher Kulturleistung,
› schlichtweg auch Wohn- und Wirkstätte, (zudem)
› Spiegel unseres Selbst (und)
› Bühne des dazugehörigen Selbstwertgefüges
... wäre, dann gälte all dies ja ebenso für uns Fotografen, denn wir selbst sind ja reflektierende und empfindende Menschen in architektonischer Umgebung.
Fotografie als Möglichkeit zur Selbsterfahrung
Hier wird es spannend, wie ich meine. Die mit Gestaltungsanspruch versehene Fotografie beinhaltet insofern immer auch ein Selbsterfahrungsangebot: Wir kommen gar nicht umhin, uns beim Fotografieren mit der sichtbaren Umgebung (den dortigen Strukturen und ihrer Anmutung) ebenso wie mit uns selbst (unseren Vorstellungen und Überlegungen, Empfindungen und Strebungen) auseinanderzusetzen, uns in solcher Weise also selbst zu erfahren.
So mag der Blick durch die Kamera zunächst das äußerlich Sichtbare zeigen, er ermöglicht zugleich aber auch einen Blick auf uns selbst. Wir erkennen uns quasi im Gesehenen wieder, wie in Abb. 4 symbolisiert.
Lässt sich beschreiben, wo und wie sich diese innerseelische Auseinandersetzung mit dem Gesehenen abspielt? Das psychoanalytische Strukturmodell nach Sigmund Freud gibt Antworten auf diese Frage. Es umfasst eine räumlich-modellhafte Vorstellung der innerseelischen Kräfte auf zwei Ebenen bzw. Achsen, deren Details in der nachstehenden Tabelle 1 aufgeführt sind.
Tab. 1: Psychoanalytisches Strukturmodell
Psychoanalytisches Strukturmodell
Erste topische Ebene
Bewusst
Im gewöhnlichen Wachzustand verfügbare Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Strebungen
Vorbewusst
Unter bestimmten Umständen wie etwa im Tagtraum, in der Meditation oder unter erhöhtem innerem Konfliktdruck verfügbare Inhalte
Unbewusst
Verborgene Inhalte, die sich im maskierten Traum der Nacht oder in der freien Assoziation der analytischen Behandlung mitteilen
Zweite topische Ebene
Über-Ich
Überwiegend im Bewussten und Vorbewussten angesiedelte, die Kenntnis sozialer Normen und das Gewissen umfassende Instanz
Ich
Überwiegend im Bewussten angesiedelte, zwischen inneren und äußeren Ansprüchen ausgleichende und mit unseren wiedererkennbaren Charakterzügen ausgestattete Instanz
Es
Überwiegend im Vor- und Unbewussten angesiedelte und den Bereich der Triebe und Affekte beinhaltende Instanz
Wichtig für unsere Belange ist insbesondere die erste topische Ebene des Strukturmodells mit ihrer Unterteilung in »Bewusst«, »Vorbewusst« und »Unbewusst«. Die praktische Bedeutung ergibt sich in der Vorstellung einer »Schwelle zum Bewusstsein«: Demnach sind im bewussten Bereich unsere Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Strebungen leichter zugänglich, doch relativ stark gefiltert; im vorbewussten Bereich hingegen wesentlich reichhaltiger, doch entsprechend schwerer greifbar.
Der Blick auf die äußeren und inneren Bilder
Abgeleitet auf unser fotografisches Tun und hinsichtlich des »Blickes auf die äußeren und inneren Bilder« verhält es sich nun so, dass uns im bewusstseinsnahen Wachzustand eben nur die stärksten Eindrücke wie etwa »das besonders Sensationelle, Anrührende oder Abschreckende« erreichen. Die feineren, eben im Vorbewussten angesiedelten Stimmungen und Regungen drohen hierbei außen vor zu bleiben – in unserer bewussten Wahrnehmung und damit auch in der aktiven Bildgestaltung. Im Umkehrschluss bietet eine erhöhte »Achtsamkeit gegenüber uns selbst und der Umgebung« insofern die Chance auf tiefgründigere Wahrnehmungen und entsprechende Bildschöpfungen.
Weitere Überlegungen und auch einige praktische Übungen dazu finden sich in Unterkapitel 3.2, »Einstimmung vor Ort«.
Abb. 4: Selbstporträt 2009. Der Blick durch die Kamera zeigt zunächst das äußerlich Sichtbare, ermöglicht zugleich aber auch einen Blick auf uns selbst, wie im nebenstehenden Bild durch die Spiegelung symbolisiert.
Der Begriff der »Fotografie« (ursprünglich »Photographie«) setzt sich aus dem altgriechischen »phōs« (im Genitiv »photós«), also »Licht«, und »graphein«, also »schreiben, malen« zusammen, und bedeutet insofern »Malen mit Licht«. Die Geschichte solchen »Lichtschreibens« begann im Grunde genommen schon im Griechenland der Antike. Aristoteles (384–322 v. Chr.) erkannte, dass das durch ein kleines Loch in einen abgedunkelten Raum einfallende Licht auf der gegenüberliegenden Wand ein auf dem Kopf stehendes Abbild der Außenwelt produziert. Ein vertieftes Verständnis dieses Prinzips verdanken wir Leonardo da Vinci (1452–1519), und ab dem 17. Jahrhundert war die »Camera obscura« in Form transportabler Kästen verfügbar, wie in Abb. 5 aufgezeigt.
Abb. 5: Camera obscura, aus der französischen »Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers« von 1751, gemeinfrei
Eine einschneidende Entwicklung in Richtung der Bewahrung des so gewonnenen Bildes stellte die Entdeckung und Verfügbarmachung lichtempfindlicher Materialien dar. Der deutsche Physiker Johann Heinrich Schulze (1687 –1744), der deutsche Chemiker Carl Wilhelm Scheele (1742–1786) und schließlich der französische Jurist Joseph Nicéphore Niépce (1765–1833) leisteten hierzu wichtige Vorarbeiten. Von Letzterem stammt auch die älteste, heute noch erhaltene und in Abb. 6 gezeigte Fotografie. Diese entstand nach achtstündiger Belichtungszeit (!) auf einer asphaltbeschichteten Zinnplatte und wurde anschließend mit Lavendelöl entwickelt.
Abb. 6: »Blick aus dem Arbeitszimmer von Le Gras« von Joseph Nicéphore Niépce. Älteste erhaltene Fotografie von 1826, gemeinfrei
Der französische Maler und Erfinder Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851, siehe Abb. 7) nutzte lichtstärkere Objektive und versilberte Kupferplatten, wodurch er eine für die damaligen Möglichkeiten sehr gute Abbildungsqualität und deutlich verkürzte Belichtungszeiten erreichte. Das in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte Verfahren fand in kurzer Zeit weite Verbreitung und ist als »Daguerreotypie« in die Geschichte eingegangen.
Etwa zur gleichen Zeit widmete sich auch der englische Aristokrat William Henry Fox Talbot (1800–1877) intensiv der Entwicklung der Fotografie und experimentierte unter anderem mit lichtempfindlichen Papieren. Er schuf das Prinzip der Bildvervielfältigung und damit der Erstellung von Positivbildern durch Abzüge vom Negativbild (»Negativ-Positiv-Verfahren«). Wenngleich die Abbildungsergebnisse zunächst deutlich hinter denjenigen der Daguerreotypie zurückblieben, schuf das Verfahren die Grundlage aller nachfolgenden fototechnischen Entwicklungen. Erst der Siegeszug der Digitalfotografie setzte diesem »Goldstandard der Fotografiepraxis« ein Ende.
Abb. 7: »Porträt des Louis Daguerre« von Jean-Baptiste Sabatier-Blot, 1844, gemeinfrei
Einen erheblichen Fortschritt in der Fotografie stellte schließlich die industrialisierte Produktion von Kameras und Verbrauchsmaterialien dar. Dafür stand zu Beginn insbesondere der US-amerikanische Unternehmer George Eastman (1854–1932), welcher 1888 die zunächst mit papier-, später zelluloidbasiertem Rollfilm bestückte Kodak Nr. 1 (siehe Abb. 8) auf den Markt brachte. Ein geschicktes Marketing im Sinne von »You Press the Button, We Do the Rest« (auf Deutsch: »Sie drücken den Knopf, wir machen den Rest«) öffnete den Massenmarkt und sicherte zugleich den Erfolg.
Weitere Meilensteine der Fototechnik ergaben sich schließlich durch die Verkleinerung der Kameras, wie sie sich ab 1914 mit der »Ur-Leica« (siehe Abb. 9) und der Verwendung des 35-mm-Format abzeichnete, und die zunehmende Automatisierung der Kameras wie etwa bei der »Ihagee Exakta B« als erste Kamera mit eingebauter Blitzsynchronisation 1935 oder der »Super Kodak Six-20« mit erstmalig verwendeter Belichtungsautomatik 1938. In den 1960ern gab es erste Modelle mit einer Belichtungsmessung durch das Objektiv, in den 1970ern mit Autofokus-Systemen.
Abb. 8: US Patent No. 388.850 für die von George Eastman entwickelte Rollfilmkamera, 1888, gemeinfrei
Die Fotografie der ersten Jahrzehnte beschränkte sich aufgrund der noch eingeschränkten technischen Möglichkeiten auf die schwarzweiße, also monochrome Abbildung. Auf den fotoempfindlichen Materialien der damaligen Zeit ließ sich das Licht eben nur in seiner Ganzheit und noch nicht in seinen Farbqualitäten einfangen. Ein gewisses »Bedürfnis nach Farben« seitens des Publikums und auch der Fotografen selbst ließ sich im Ansatz durch Voll- und Teiltonungen der Bilder oder durch nachträgliche Handkolorierungen wettmachen – alles freilich sehr aufwendig und kaum für die größere Verbreitung geeignet.
Abb. 9: Ur-Leica 1914, Quelle Leica Microsystems (früher Ernst-Leitz), CC-Lizenz
Schon im 19. Jahrhundert gab es erste Experimente mit der Farbdarstellung, doch standen diese anfangs noch vor erheblichen technischen Schwierigkeiten. Erst die Entwicklung eines (in der Regel dreifachen) Schichtaufbaus im Filmmaterial ab den 1930ern brachte den Durchbruch. Nach diesem noch heute gültigen Prinzip werden dabei unterschiedliche Spektren bzw. Sensibilisierungen unterschieden wie »unsensibilisiert« (ca. 350–450 nm, auf die Empfindlichkeit gegenüber Violett und Blau beschränkt), »orthochromatisch« (ca. 350–600 nm, zusätzlich zum Vorgenannten gegenüber Grün und Gelb empfindlich) sowie »panchromatisch« (ca. 350–799 nm, zusätzlich zum Vorgenannten gegenüber Orange und Rot empfindlich), wobei mit Letztgenannten erstmals die Tonwertrichtigkeit der Farben gewährleistet werden konnte. Erwähnt sei noch die »Farbumsetzung in Falschfarben« (oberhalb 700 nm, empfindlich gegenüber dem Infrarotbereich).
Die Ausbildung eines fotografischen Massenmarktes
So beförderte neben der zunehmenden Miniaturisierung und Erschwinglichkeit der Kameras und der Einkapselung von Roll- und Kleinbildfilm insbesondere die Farbechtheit der entstandenen Bilder im Vergleich mit der Ausgangsszene die Ausbildung eines fotografischen Massenmarktes. Neben der Verwendung in der kommerziellen und journalistischen Fotografie wurde die Kleinkamera mit Farbfilm zum dokumentierenden und erinnerungsbewahrenden Alltagsinstrument der breiten Bevölkerung.
Fortsetzung und sogar noch erhebliche Verstärkung erfuhr dieses Phänomen im Zuge der Digitalisierung der Fotografie ab den 1990ern. Kompakt-, Bridge- und kleine Spiegelreflexkameras mit Sensorgrößen deutlich unterhalb des üblichen Kleinbildformats, nachfolgend die Entwicklung von Smartphones mit Kamerafunktion und Internetanbindung führten zum Massenphänomen der Fotografie heutiger Tage, welches vielmals auch als »digitale Bildinflation« bezeichnet wird.
Die Analog- und mit ihr auch die Schwarzweißfotografie alter Tage drohte in diesem Rahmen völlig ins Hintertreffen zu geraten. Einige wenige Fotografen wie etwa der durch seine intensiven Landschaftsaufnahmen hervorgetretene und vielfach ausgezeichnete Michael Kenna oder der insbesondere durch seine anmutigen Bilder englischer Kathedralen bekannt gewordene Bruce Barnbaum widersetzen sich bis heute diesem Trend und blieben der alten Technik treu, doch scheinen diese Einzelfälle von der Allgemeinheit eher wie liebgewonnene, gleichwohl etwas antiquierte Ikonen gepflegt zu werden statt dort unmittelbaren Vorbildcharakter zu entfalten.
Zum anderen ist jedoch – wenn man sich die Gewichtung in anspruchsvollen Magazinen ebenso wie in landläufigen Fotogemeinschaften vor Augen führt – auch eine Rückkehr von der Farbe zum Schwarzweiß mit digitalen Mitteln zu beobachten.
Abb. 10: Michael Kenna mit seiner analogen Hasselblad (vermutlich Modell 500C), Abbildung mit freundlicher Genehmigung durch Sabine Troncin-Denis, der Europaagentin des Fotografen
Diese Rückbesinnung betrifft nun weniger die kommerzielle und journalistische Fotografie, die mittlerweile ganz in der »Vorstellung nötiger Farbe« (oder gar »optischer Leichtgängigkeit«, Stichwort »Stock Photography«) gefangen zu sein scheint. Der Trend etabliert sich eher in jenen Bereichen der bewusst gestalteten oder künstlerischen Fotografie, und ich meine durchaus, dass wir hier von einer »Renaissance der Schwarzweißfotografie mit digitalen Mitteln« sprechen können.
Wiederkehr der Schwarzweißfotografie mit digitalen Mitteln
Von den bekannten Fotografen heutiger Tage zu nennen sind etwa Sebastião Salgado oder Torsten Andreas Hoffmann, die der Schwarzweißfotografie soweit treu geblieben sind und diese heute nicht mehr mit analoger, sondern eben mit digitaler Ausrüstung ausüben. Und es ist zu ergänzen, dass die Schwarzweißfotografie auch und gerade in Kreisen ambitionierter Fotoamateure in einer Weise Einzug gehalten hat, dass man schwerlich von den »letzten, im Schwinden begriffenen Inseln des Monochromen im stetig anflutenden Fotomeer des Bunten« sprechen kann.
Die Zukunft wird meines Erachtens zeigen, ob sich hierin eine dauerhafte Ausdifferenzierung in Richtung farbiger Gebrauchs- und monochromer Ausdrucksfotografie ausbildet.
Da die Schwarzweißfotografie ja auch mein bevorzugtes Stil- und Ausdrucksmittel ist, werde ich bei meinen Vernissagen, Künstlergesprächen und Workshops oft genug gefragt: »Warum Schwarzweiß?«
»Warum Schwarzweiß?« »Warum Farbe?«
Nun müssen sich Farbfotografen nur selten in gleicher Weise erklären (»Warum Farbe?«), und die Frage mag bisweilen auch zu häufig oder zu hartnäckig gestellt erscheinen – zulässig und sinnvoll ist sie allemal, denn sie bringt uns Schwarzweißfotografen ja dazu, uns kritisch mit dem eigenen Tun auseinanderzusetzen.
Die »Antwort auf die große Frage nach dem Warum« wird wohl von Fotograf zu Fotograf unterschiedlich ausfallen. Typischerweise werden dabei folgende Aspekte aufgegriffen, die ich zunächst auflisten und dann im weiteren Text noch ausführen möchte. In der Quersumme all dessen findet sich übrigens meine eigene Antwort auf die Frage eingewoben.
› Ausschluss von ablenkenden Faktoren
› Konzentration auf die Beziehung zum Objekt
› Interpretationsmöglichkeit der Ausgangsszene
› Künstlerische Übersetzung und Verdichtung
Von Robert Häusser (1924–2013), einem wichtigen Wegbereiter der deutschen Nachkriegsfotografie, stammt ein sehr bekanntes Zitat: »Farbe ist zu geschwätzig. Sie lenkt nur ab von der Beziehung zum Gegenstand.« Das Internet mag sehr zur Bekanntwerdung dieser so prägnanten Aussage beigetragen haben – eine kurze Recherche auf gängigen Suchmaschinen bringt Abertausende Einträge allein für den ersten Satz, und gefühlt auf jeder zweiten Homepage von Schwarzweißfotografen findet sich das Zitat wie eine »Fackel der Begründung«. Auch auf meiner übrigens, und doch denke ich bisweilen, dass Häusser zu sehr auf diese kernig-kompromisslose, fast patzige Aussage reduziert und sein in den Anfängen so überschatteter Lebensweg, seine mystisch-melancholische Bildsprache und seine tiefgründige Auseinandersetzung mit der menschlichen Einwirkung auf die umgebende Natur zu wenig wahrgenommen wird.
Abb. 11: Robert Häusser, Bild: Manfred Rinderspacher
Wie auch immer, im Zitat wird das Aufdringliche und Störende klar benannt, es sei die Farbe. Und diese würde sich der Ablenkung von etwas Wichtigem verdächtig machen, nämlich der Beziehung zum Gegenstand. Das ist meiner Meinung nach ebenso klar formuliert wie alltagspsychologisch schwer verdaulich: »Wie Gegenstand? Ich hab auch Gegenstände zu Hause. Warum sollten die nicht bunt sein? Dann erkenne ich sie doch eher und kann sie besser auseinanderhalten. Beziehungen habe ich zu den wichtigen Menschen meines Umfelds, aber nicht zu den Gegenständen. Die sollen funktionieren ...«
»Wie Gegenstand?«
Ich möchte hier nochmals kurz auf die Herleitungen in Unterkapitel 1.2 (»Architektur als Ausdruck von Heimat und menschlichem Wirken