Aroma Gemüse - Thomas Vilgis - E-Book

Aroma Gemüse E-Book

Thomas Vilgis

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Beschreibung

Jetzt noch besser würzen und ausgefallener kombinieren!  Welches Gemüse kann sich wie am besten entfalten? Wie kann man die Inhaltsstoffe nutzen und diese gleichzeitig am besten mit den passenden Gewürzen verbinden? Welche Konservierungs- und Garmetoden eigenen sich am besten? In diesem Ratgeber befinden sich Antworten auf diese Fragen.  Das Standardwerk der Kreativküche erklärt auf wissenschaftlicher Basis jedoch für jeden verständlich, wie Gewürze, Kräuter, Pasten, Essige, Öle und ihre Kombinationen funktionieren. Es zeigt die verschiedensten Zubereitungsarten – Food-Pairing und Food-Completing und weißt auf spannende Kombinationen von Gemüse wie zum Beispiel die Fusion von Fenchel und Schokolade oder eine Komposition aus Wassermelone und Austern hin. Das Werk lehrt uns in der Verwendung von bekannten, aber auch weniger bekannten Gemüsesorten und zeigt deren unendliche Vielfalt auf. Das Gemüse, wie den Rhabarber zum Säuern für den Salat ein zusetzten ist nur eins von zahlreichen Ideen für die kreative Gemüseküche von morgen. Der Polymerforscher und Gastrosoph Thomas A. Vilgis und der Publizist Thomas A. Vierich erklären alles verständlich und unterhaltsam auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche häufig mit Grafiken für ein noch besseres Verständnis untermalt werden. Die 70 Gemüseportraits, welche schon aus der vorherigen Auslage bekannt sind, wurden in der neuen Auflage um viele neue, interessante und kreative Ideen erweitert.  Der Ratgeber zeigt die aktuellen weltweiten Ergebnisse aus der Aromaforschung und bietet somit sowohl Fortgeschrittenen als auch Anfängern die optimale Basis für noch mehr Experimentierfreude in der Gemüseküche.

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AROMA GEMÜSE

DER WEG ZUM PERFEKTEN GESCHMACK

GEMÜSE – GENUSS FÜR ALLE SINNE

Gemüse ist unglaublich vielfältig. Es schmeckt und duftet von süß bis sauer, von bitter bis herzhaft, blumig, schwefelig, nach Schokolade oder cremig wie alter Whiskey. Es kann knackig oder samtweich sein, die Zähne stumpf machen, kühlen oder schmeicheln. Dieses Kapitel erklärt, wie wir diese Vielfalt überhaupt wahrnehmen (können).

FUNKTIONELLE GRUPPEN

CHARAKTERISIERUNG VON GERUCHSBESTIMMENDEN STOFFEN

GESCHMACK UND VIEL MEHR

DAS ZUSAMMENSPIEL ALLER SINNE

KLEINE NATURWUNDER

Warum riecht Kohl nach Kohl und Zwiebel nach Zwiebel? Wie bilden sich Gerüche in der Erde beim Wurzelgemüse und in der Luft beim Blattgemüse? Was sind „Generalisten“ und „Individualisten“? Die Antwort findet man in der molekularen Struktur der Gemüse – und das führt zu ganz neuen Ideen in der Küche.

GENERALISTEN

ÜBER ISOPREN GEBILDETE GERUCHSSTOFFE

AMINOSÄUREN IN GEMÜSE

GLUTAMINSÄURE

GEMÜSEKÜCHE

Gemüse kann man sehr vielfältig zubereiten und verzehren: roh, „pseudoroh“, fermentiert, eingelegt, blanchiert, gekocht, gebraten, gebacken, frittiert, gegrillt oder geräuchert. Das Spannende: Jedes Mal ändern sich Aroma, Geschmack und Textur. Das macht Gemüse zu den eigentlichen Stars in der Küche. Vor allem wenn man die molekularen Zusammenhänge versteht.

VERÄNDERUNG DER MIKRONÄHRSTOFFE

FODMAPS

MODERNE TECHNIKEN IN DER GEMÜSEKÜCHE

MAILLARDPRODUKTE

EINE KLEINE GESCHICHTE DES GEMÜSEANBAUS

Ohne die Erfindung des Ackerbaus gäbe es heute kein Gemüse. Und unsere Landschaften sähen völlig anders aus, wir hätten keine Städte, keine Schrift, keine Industrie. Denn Ackerbau und Gartenbau benötigen Planung, Organisation, Zusammenarbeit, Züchtung, Düngung, technische Hilfsmittel und vieles mehr. Das hat auch das Gemüse verändert. Und verändert es noch.

ENTWICKLUNG DES ACKERBAUS

DER WEG DES GEMÜSES

SO WIRD DAS GEMÜSE GENUTZT

GEMÜSE A BIS Z

Alle Arten und Sorten, die man bei uns kaufen und meistens auch anbauen kann, worin sie sich unterscheiden, wie sie sich in der Küche einsetzen lassen. Von Exoten bis zu wiederentdeckten alten Sorten, von Klassikern zu ganz neuen Kombinationen mit unserem einzigartigen Farbleitsystem und Rezepten zum Ausprobieren.

DAS FARBSCHEMA: SO FUNKTIONIERT’S

AUBERGINEN RICHTIG LAGERN

WENN HÜLSENFRÜCHTE KEIMEN

ARTISCHOCKE UND CARDY – ENGE VERWANDTE

AROMAVERÄNDERUNG BEI DER REIFUNG

BITTERSTOFFE IN GURKEN

WO SITZT WAS IN DER KARTOFFEL?

DER KARTOFFELKLOSS

KÜRBIS IST NICHT GLEICH KÜRBIS

PEKTIN IN OKRA

NACHTSCHATTENGEWÄCHSE

RETTICH ROT WEISS SCHWARZ

FARBEN BEI KOHL

SCHNITTRICHTUNG VON SALATEN

DER ALLROUNDER IN DER KÜCHE

SPARGEL – MEHR GESCHMACK

STÄRKE IN SÜSSKARTOFFELN

TOMATEN HALTBAR MACHEN

BITTERGESCHMACK DURCH GLUCOSINOLATE

NIXTAMALISATION

ANHANG

WAS PASST WOZU?

MIKRONÄHRSTOFFE IM VERGLEICH

SAISONKALENDER

REGISTER

REZEPTE-REGISTER

LITERATUR

IMPRESSUM

GEMÜSE – GENUSS FÜR ALLE SINNE

Gemüse ist unglaublich vielfältig: Es gibt Samengemüse (Hülsenfrüchte) wie Erbsen und Bohnen, Fruchtgemüse wie Gurken, Paprika, Tomaten und Kürbis, Blattgemüse wie Spinat, Mangold, diverse Salate und Grünkohl, aber auch Blütengemüse, nämlich Brokkoli, Blumenkohl oder Artischocke, Stängelgemüse wie Spargel und Chicorée, Blattstiele von Mangold und nicht zuletzt Stielgemüse wie Rhabarber, Bleichsellerie oder Stielmus. All diese Arten schmecken und duften unterschiedlich, von süß über sauer bis bitter und herzhaft, blumig, schwefelig, nach Schokolade oder cremig wie ein schwerer Whisky, sie sind knackig oder weich, wässrig oder cremig, machen die Zähne stumpf oder die Zunge rau, brennen, kühlen oder schmeicheln.

Ziel dieses Buchs ist es, Gemüse aus kulinarischer Sicht durch und durch kennen zu lernen. Wie riechen Auberginen, wie schmecken Zwiebeln, wie nehmen wir Aroma, Geschmack und Textur wahr, was ändert sich bei der Zubereitung und wie lassen sich Gemüse zu raffinierten Tellern und genussreichen Menüs zusammenstellen? Enthält das Gemüse besonders viele bestimmte Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, werden diese am Rande erwähnt. Das Hauptinteresse gilt jedoch Geschmack und Aroma und dem daraus resultierenden großen Küchenpotenzial. Und nicht zu vergessen: Wenn das Gemüse mit Verstand behandelt wird, gut riecht und schmeckt, ist es garantiert nicht ungesund.

MIT SINN(EN) UND VERSTAND

Der Genuss von Nahrung ist vielschichtig. Viele Prozesse laufen gleichzeitig oder in kürzester Zeit ab und müssen vom Gehirn rasch zu einem Gesamteindruck zusammengefügt werden. Verfolgt man den Weg eines Stückchens Gemüse vom Anblick auf dem Teller über den ersten Mundkontakt, das Beißen und Kauen bis hin zum Schlucken, zeigt sich eine Kaskade unterschiedlicher sensorischer Ereignisse, die wir – oft unbewusst – mit all unseren Sinnen wahrnehmen. Nach dem Schlucken des Nahrungsbreis verbleiben Reste im Mund, ein Film kleidet den Mundraum aus und sorgt für den „Nachgeschmack“, bis auch dieser früher oder später verschwindet. Es macht daher durchaus einen Unterschied, ob auf einem Gemüseteller erst die Avocado und dann die Gurke gegessen wird oder umgekehrt oder sogar gleichzeitig. All diese Sinneseindrücke und -erfahrungen werden im Gehirn abgespeichert. War das Mahl exzellent, erinnern wir uns – oftmals sehr lange – an den in Gedanken abrufbaren Geruch und den Geschmack auf der Zunge.

Um zu verstehen, wie wir essen und die Nahrung wahrnehmen, ist es nötig, sich dieses Zusammenspiels unserer Sinneswahrnehmungen beim Essen bewusst zu werden. Als erste Instanz „isst“ bereits das Auge mit und prüft: Gefallen die Farben und Formen des Gemüses? Gleichzeitig werden die Ohren gespitzt, wenn es in der Pfanne brutzelt, wenn zischend flambiert wird oder es beim ersten Biss in ein frisches rohes Radieschen oder in knusprige Maischips (ganz unterschiedlich) kracht. Und manchmal weiß man sogar die haptischen Eigenschaften eines Gerichts zu schätzen – Gemüse wird oft als Rohkost zum Naschen gereicht, und selbst in der gehobenen Küche gibt es Fingerfood. Die zentrale Rolle beim Essen spielen aber Geruch, Geschmack und auch die Textur des Gemüses, die hier genauer unter die Lupe genommen werden sollen.

GERUCHSSINN UND AROMA

Was wäre ein Essen ohne Duft? Nur eine halbe Sache. Vor dem ersten Bissen prüft die Nase bereits: Riecht das Gemüse angenehm? Ungewöhnlich? Welche Erinnerungen, Assoziationen und Emotionen weckt der Duft? Wird die Speise anschließend gekaut, ermöglicht das retronasale Riechen im Rachenraum (Seite 9) die Verbindung von Aromen mit dem auf der Zunge wahrgenommenen Grundgeschmack (Seite 22). Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Aroma, wie funktionieren der Geruch und die olfaktorische Wahrnehmung?

RIECHEN MIT DER NASE

Die biologische Funktion des menschlichen Geruchssinns ähnelt der des Schmeckens: Gerüche warnen uns einerseits vor Gefahren. So kann der Mensch faulige Gerüche schon bei äußerst geringer Konzentration wahrnehmen, denn diese deuten auf Gifte hin. Andererseits weisen uns angenehme Gerüche auf wertvolle Stoffe hin, etwa wenn der Duft eines Gerichts uns nicht nur sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

Gerüche werden durch eine Vielzahl von Molekülen ausgelöst, wobei der Begriff „Vielzahl“ ernstzunehmen ist. Tatsächlich gibt es Zigtausend verschiedener Duftmoleküle, von denen wir als Menschen gar nicht alle wahrnehmen können. Für das Riechen sind spezielle Geruchsrezeptoren verantwortlich. Diese haben die Aufgabe, geruchsaktive Moleküle – Aromaverbindungen – zu erfassen. Eine als Duftmolekül erkannte chemische Verbindung kann nur an einem einzelnen, speziell für ihre Wahrnehmung bestimmten Detektor andocken, woraufhin ein Signal an das Gehirn gesandt wird, in dem die Sinneswahrnehmung als Duft interpretiert wird.

Das ist natürlich eine vereinfachte Darstellung. Im Detail ist es ein wenig komplizierter, allein aufgrund der ungeheuren Vielzahl an Düften. Man nimmt an, dass die Duftstoffe, nachdem sie mit der Luft in die Nase gesogen wurden, zunächst auf der mit einem Wasserfilm (Mucus) überzogenen Riechschleimhaut von wasserlöslichen, globulären Proteinen eingefangen werden. Diese Proteine transportieren die Duftstoffe dann zu den Riechzellen. An deren Spitze sitzen die Zilien: Sie haben eine entscheidende Funktion, denn an ihnen befinden sich die entsprechenden Rezeptoren. Die Gestalt und die Funktion von Riechrezeptorproteinen wurde erst 1991 von Linda B. Buch und Richard Axel in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung aufgeklärt. 2004 erhielten die beiden dafür den Nobelpreis für Medizin/Physiologie. Sie stellten fest, dass das Auslösen eines Geruchs durch Andocken eines Duftstoffes an eine bestimmte Stelle des Rezeptorproteins erfolgt. Dabei werden kleinste atomare bzw. molekulare Kräfte verändert, was die Riechkanäle aktiviert. Diese Signale sind sehr schwach, daher müssen molekularbiologische, physiologische Verstärkungsmechanismen in Gang gebracht werden. Dennoch ist bisher nicht endgültig geklärt, wie Riechen auf molekularer Ebene wirklich vonstattengeht. Der Ansatz beruht auf dem Schlüssel-Schloss-Prinzip, wenn die Rezeptorproteine die Form der Geruchsstoffe abfragen. Darüber hinaus spielt die Dynamik eine große Rolle. Die Rezeptorproteine bewegen sich und schwingen in einer ganz bestimmten, durch ihre Struktur und Wechselwirkungen festgelegten Weise. Binden sich die Geruchsstoffe an die für sie bestimmten Aminosäuren des Rezeptorproteins, verändert sich das Bewegungsmuster der Proteine. Der Auslöser eines Geruchs ist somit auch durch mikroskopische quantenmechanische Prozesse bestimmt. Der Duft eines Mittagessens ist also eine wirklich hochkomplexe Angelegenheit, die tief in den Grenzbereich zwischen Physiologie, molekularen Wechselwirkungen und Quantenmechanik hineinreicht.

Ein Geruch wird dadurch ausgelöst, dass ein Duftstoff an eine bestimmte Stelle des Rezeptorproteins andockt, wobei kleinste molekulare Kräfte verändert werden. Als Folge verändert das Membranprotein seine Gestalt, was innerhalb der Membran wiederum „Verstärkungsprozesse“ auslöst und die Riechkanäle aktiviert.

Wichtig für die Zwecke dieses Buches ist festzuhalten: Dockt ein Duftstoff an dem für ihn bestimmten Rezeptorprotein an, werden entsprechende Nervenreize ausgelöst. Liegt keine passende Form vor, ist ein Andocken nicht möglich. Die chemische und molekulare Struktur der Duftstoffe steht also in engem Zusammenhang mit ihrem Geruch. Das ist grundlegend für die Einteilung der Düfte in acht charakteristische Duftgruppen, wie sie auf den folgenden Seiten vorgestellt wird.

ORTHONASAL – RETRONASAL: GROSSE DUFTUNTERSCHIEDE

Riechen erfolgt auf zwei verschiedene Weisen: Wird durch die Nasenöffnung an einem Lebensmittel, etwa einem Gemüse oder Gewürz, gerochen, nutzt man das „orthonasale Riechen“. Beim Kauen im Mund aktiviert man eine andere Form des Riechens: das „retronasale Riechen“. Ohne dieses wirkt das Essen fad, wie sich leicht überprüfen lässt, wenn man sich beim Kauen die Nase zuhält (oder wenn man Schnupfen hat). Das Essen „schmeckt“ zwar noch, denn die wasserlöslichen, geschmacksaktiven Substanzen lösen immer noch die Wahrnehmungen auf der Zunge aus (Geschmackssinn und Grundgeschmack, Seite 22), aber die flüchtigen Geruchsstoffe erreichen nicht mehr den Riechkolben. Es fehlt der retronasale Geruch, der Genuss bleibt aus. Man kann das ganz einfach selbst ausprobieren: Man verbindet sich die Augen, hält sich die Nase zu und lässt sich rohen Blumenkohl und Brokkoli geben. Beim Kauen sind die beiden Gemüse nicht voneinander zu unterscheiden, da die jeweils typischen Duftcharakteristiken nicht mehr gerochen werden können. Auf der Zunge schmecken beide lediglich „bitter“.

Interessant ist dabei, dass die Duftstoffe häufig verschieden wahrgenommen werden, je nachdem, ob sie orthonasal durch die Nase oder retronasal im Nasenrachenraum erfasst werden. Identische Moleküle werden nicht nur unterschiedlich intensiv wahrgenommen, sondern lösen auch andere Duftbeschreibungen aus. Diese Erfahrungen lassen sich an einem Beispiel leicht nachvollziehen. Das Molekül (E,Z) 2,6-NONADIENAL erinnert sehr stark an Gurke und Wassermelone. Püriert man eine Gurke ohne weitere Gewürze oder Salz, riecht das Püree auf dem Teller stärker und eindeutiger nach „Gurke“, als es im Mund wirkt. Orthonasal riecht man „Gurke“ und leicht fettige, wachsige Noten, wie sie auch vom Borretsch bekannt sind. Retronasal hingegen entdeckt man bei der Gartengurke außerdem fruchtige und melonenartige Noten.

Diese Unterschiede werden im Lexikonteil dieses Buches ( ab Seite 117) kenntlich gemacht. Die Attribute der Duftmoleküle sind dort jeweils der orthonasalen () und retronasalen () Wahrnehmung zugeordnet, d. h. an erster Stelle stehen die orthonasalen, dann die retronasalen und zuletzt die oralen und die trigeminalen Eindrücke (), die der jeweilige Duftstoff hervorruft, also z.B.: (E,Z)-2,6-NONADIENAL ( grün, gurkenartig, melonenartig, fettig).

Zwei unterschiedliche Wege zur Geruchswahrnehmung: orthonasal und retronasal. Orthonasal: Duftstoffe strömen über die Luft in die Nase und treffen auf den Riechkolben, den Bulbus, und das Riechepithel. Dieses Gebilde besteht aus vielen Riechzellen, die in Zilien enden. Letztere sind von Schleim (einer protein-reichen Flüssigkeit) umgeben, der in der Lage ist, Duftstoffe zu lösen. Retronasal: Die aromatischen Verbindungen gelangen über die Mundhöhle und den Rachenraum zu den Rezeptoren.

RIECHEN IM GEHIRN

Riechen spielt sich natürlich nicht allein im Detektor Nase ab, die Signale müssen im Gehirn auch umgesetzt werden. Dazu werden die Signale verstärkt und über Nervenleitungen von den Riechzellen in das Gehirn gesendet. Dort wird der Duft zunächst mit den anderen Sinneseindrücken verbunden. Dieser Eindruck wir dann weiterverknüpft mit dem Bereich für Emotionen und demjenigen für Hormone. Dabei wird wichtig, dass jede Riechzelle mit nur einem Typus ausgestattet ist, sodass die Verschaltung zum Gehirn „einfach“ erfolgen kann.

Ähnlich wie beim Geschmack hat der Mensch ein „Geruchsgedächtnis“, d. h., er kann bekannte Gerüche einordnen und assoziiert sie sogar mit einer schönen Erinnerung – oder mit Gefahr. Allerdings existieren, wie bereits gesagt, Tausende verschiedener Düfte. Daher spielt bei der Dufterkennung auch das Sprachzentrum eine wichtige Rolle. Kann ein Duft nicht benannt werden, wird er zwar genauso wahrgenommen, aber viel ungenauer „abgespeichert“ und wahrscheinlich nicht wiedererkannt oder mit einem ähnlichen Duft verwechselt. Ein Problem stellt dabei das begrenzte Vokabular der gegenwärtigen westlichen Sprachen dar, das kaum ausreicht, um all die Duftnuancen treffend zu umschreiben. In den Sprachen mancher Naturvölker wie der Jahai gibt es ungleich mehr Geruchsadjektive, die Bewohner können Düfte ebenso leicht wie Farben benennen. In der englischen (wie auch in der deutschen) Sprache gibt es im Vergleich dazu viele Adjektive für Farben, jedoch kaum für Gerüche. Daher neigen wir bei der Duftbeschreibung zu Vergleichen und Umschreibungen wie „fuselartig“, „zimtig“ oder „frisch gemähtes Gras“.

Bisweilen fehlen auch schlicht Analogien, auf die zurückgegriffen werden kann: Der Geruch einer Gurke lässt sich tatsächlich am genauesten mit „gurkenartig“ beschreiben – ein Geruch, der auch in Melone, Borretsch und Avocados zu finden ist. Und mögen die poetischen Anflüge in Weinführern und Parfümbeschreibungen auch oft belächelt werden, einige Gerüche lassen sich einfach am besten als „grün“, „warm“ oder „schwer“ charakterisieren.

FUNKTIONELLE GRUPPEN

In der Chemie werden Moleküle gewöhnlich nicht nach Ähnlichkeiten bei ihrer Flüchtigkeit und nach ähnlichen Duftcharakteristika unterteilt, sondern gemäß ihrer funktionellen Gruppe. Für die Küchenanwendung ist das unpraktikabel, das System soll aber einmal vorgestellt werden. Die jeweilige Gruppe lässt sich oft an der Endung erkennen: Moleküle, die auf -ol enden, sind Alkohole, Ketone enden auf -on, Schwefelverbindungen auf -thiol. Diese Einteilung ist aber zu verschieden, als dass sie parallel zum Aromagruppen-System bestehen könnte.

ACHT CHARAKTERISTISCHE MOLEKÜLGRUPPEN PLUS EINS

Die große Zahl der Duftmoleküle, die in jedem einzelnen Gemüse und dazu noch in mannigfaltigen Kombinationen vorliegen, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unübersichtlich. Sie lässt sich aber aus der Sicht der Chemie – mit kulinarischem Bezug – in acht Gruppen plus eine Gruppe, Geruchs- und Strukturfamilien, einordnen. Jede dieser Gruppen von Duftstoffen zeichnet sich einerseits durch ähnlich chemische Strukturen und andererseits durch einigermaßen abgrenzbare olfaktorische Eigenschaften aus, d. h., man kann aufgrund der Gruppenzugehörigkeit schon erahnen, wie ein Aromastoff oder ein Gemüse, das diesen enthält, wohl duften wird.

Eine genauere Kenntnis der Duftstoffe erweist sich in vielen Fällen als nützlich. So eröffnen sich über die Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings (Seite 99) ganz neue und außergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden. Tatsächlich erlaubt das Zusammenwirken kleiner Moleküle große Effekte auf den Tellern.

Acht Gruppen beinhalten Duftstoffe – sie werden hier thematisiert. Die neunte Gruppe beinhaltet Stoffe, die für einen Schärfereiz oder einen anderen trigeminalen Effekt verantwortlich sind. Als Eselsbrücke dient die Nummer der Gruppe: Je höher sie ist, desto weniger flüchtig ist ein Duft, desto „schwerer“, „tiefer würzig“ riecht er und desto hitzebeständiger ist er. Ein Überblick über alle Aromagruppen findet sich auf Seite 16, hier im Folgenden werden sie im Detail vorgestellt.

GRUPPE 1: ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE, FRUCHTESTER – WACHSIG, GRÜN, PILZIG, FRUCHTIG

HEXANAL grün, blattartig, grasig, fettig, gemüseartig, apfelartig, leicht holzig

1-OCTEN-3-ON pilzig, erdig, roher Champignon, moderig, herbal, hähnchenhautartig

ETHYLBUTANOAT fruchtig, fruchtsaftartig, ananasartig, süßlich, apfelartig, eingemachtes Obst

Aliphatische (kettenförmige) Kohlenwasserstoffe bestimmen eine ganze Reihe von Grundaromen bei Lebensmitteln, Gemüse und Gewürzen. Sie sind meist von linearer Struktur und es sind häufig Fettabkömmlinge, etwa kurzkettige Fettsäuren und deren Aldehyde, Ester oder Alkohole.

Die Komplexität der Aromachemie ist bereits an den „grünen Blattduftstoffen“ zu erkennen. Der „Generalist“ HEXANAL ist ein wesentlicher Bestandteil des Duftspektrums (Generalisten, Seite 37), das „grüne“ Gerüche wie die von Gras ausmacht. Er dominiert den Duft von Tomaten, ist aber auch Gurken, Melonen oder Kartoffeln zu eigen und findet sich außerdem in grünen Äpfeln, Orangen, Olivenöl, Bananen, Trauben, Ananas oder in (grünen) Tees sowie in den Blütenblättern vieler Blumen. Kein Wunder also, dass sich daraus naheliegende Ansätze zum „Food-Pairing“ (Seite 99) ergeben. Ein weiterer „Generalist“ ist das nach Champignons duftende 1-OCTEN-3-ON, das zahlreichen Gemüsen einen Hauch „Pilz“ verleiht. Auch Geruchsstoffe wie das Gurkenaldehyd (E,Z)-2,6-NONADIENAL sind typische Vertreter dieser leicht flüchtigen Aromen. Aufgenommen in die Gruppe 1 wurden außerdem Fruchtester, die für viele fruchtige Düfte, etwa bei Melonen, Äpfeln, Süßkartoffeln, Tomaten, Papaya oder Brotfrucht, eine wichtige Rolle spielen. Ihr Molekulargewicht ist ähnlich, die Flüchtigkeit ebenso. Typische Beispiele sind ETHYLBUTANOAT, das fruchtig riecht und in Richtung Ananas deutet, sowie AMYLACETAT, ein Ester der Essigsäure, der stark nach Banane duftet und sich in Melone und Pepito findet.

GRUPPE 2: LINEARE SCHWEFEL- UND STICKSTOFFVERBINDUNGEN – SCHWEFELIGE, STECHENDE DÜFTE NACH KOHL, ZWIEBELN UND MEERRETTICH

METHANTHIOLschwefelig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, schweißig

DIMETHYLSULFID schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne

4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT schwefelig, stechend, brokkoliartig, rettichartig, kohlartig

Eine weitere Gruppe (die in den ersten Auflagen von „Aroma — Die Kunst des Würzens“ noch in die erste Gruppe integriert war) umfasst die einfachen schwefeligen Duftstoffe, die eine ähnliche Molekularstruktur aufweisen wie die Aromen in Gruppe 1. Sie spielen in Lauch, Zwiebel, Schnittlauch, Rucola, Kressen und in allen Kohlsorten die Hauptrolle und finden sich auch in vielen Rüben. „Senföle“ gehören zu dieser Kategorie. Ein typisches Molekül ist das extrem duftaktive, stark flüchtige METHANTHIOL, dessen Geruch sich nur durch ein vielschichtiges Duftattribut wie „schwefelig, knoblauchartig, gekochter Kohl, lauchartig, ölig, gekochte Eier, herzhaft-fleischartig, reifer Käse“ beschreiben lässt – kein Wunder, denn es findet sich in Gemüsen wie Blumenkohl, Brokkoli, Speiserübe, Spinat, Wurzelpetersilie und Zwiebel. Ein ebenso allgegenwärtiger und sehr duftaktiver Geruchsstoff ist DIMETHYLSULFID, das mit seinen Duftattributen „schwefelig, zwiebelartig, radieschenblätterartig, kohlartig, fischartig, maisartig, spargelartig, ein Hauch gekochte Milch/Sahne“ einen Großteil der Gemüse und Lebensmittel aufzählt, deren Duft es mehr oder weniger stark mitbestimmt. Es kommt in zahlreichen Gemüsen bereits roh vor (u. a. Blumenkohl, Chinakohl, Grünkohl, Haferwurzel, Kartoffel, Tomate, Zwiebel), in anderen – etwa in Aubergine, Fenchel oder Hülsenfrüchten – und in tierischen Lebensmitteln wie Eiern und Milch entsteht es erst beim Erhitzen. In vielen Gemüsen tritt es zusammen mit dem „Generalisten“ (Seite 37) METHIONAL auf und zeigt typische „gekochte“ Gerüche. Ein weiterer Vertreter ist DIALLYLDISULFID mit seinem schwefeligen Duft, der an Lauch und Zwiebeln, in höheren Konzentrationen auch an Meerrettich erinnert.

In dieser Gruppe werden Isothiocyanate mit eingeschlossen. Moleküle mit diesen S=C=N-Gruppen sind in Kohl- und Zwiebelgewächsen häufig zu finden. Sie weisen neben den typischen Schwefeldüften stechende Komponenten auf, wie sie in Rettichen und Radieschen, aber auch in Senfblättern, Mizuna und Rucola vorkommen, beispielsweise das 4-(METHYLTHIO)BUTYLISOTHIOCYANAT. Viele Moleküle dieser Gruppe weisen neben ihrer Geruchsaktivität eine stark trigeminale Wirkung auf, die sich in schmerzenden Kältereizen äußert.

GRUPPE 3: ACYCLISCHE TERPENE – ZITRUSARTIG, FRUCHTIG, BLUMIG

LINALOOL floral, zitrusartig, rosenholzartig, grün, orangenartig, zitronenartig, leicht wachsig, holzig

MYRCEN würzig, floral, balsamisch, kräuterartig, holzig, möhrenartig, fruchtig, mangoartig

Die Gruppe der acyclischen Terpene (ohne Ringstruktur) bestimmt den Großteil der leicht flüchtigen blumigen Aromastoffe. Moleküle dieser Familie duften nach Blumen, Rosen und Zitrusfrüchten. Ein typischer Vertreter ist etwa das florale und nach Zitrusfrüchten duftende LINALOOL. Diese Duftstoffe kommen in erster Linie in den verschiedensten Kräutern und Gewürzen vor, finden sich aber auch in Gemüse, etwa in Tomaten, in Taro und im Hintergrund mancher Kartoffelsorten. In süßlich anmutendem Wurzelgemüse, etwa der Kerbelrübe, sind diese Blütenduftstoffe ebenfalls zu finden. MYRCEN, das holzig und nach Blüten duftet, findet sich in Avocado, Chinakohl, Erbsen, Rhabarber, Speiserübe, Wurzelpetersilie, in der Fenchelknolle oder in Kaktusfeigen, in der Kichererbse und in Karotten. Das nach Zitrusfrüchten und gleichzeitig nach Kiefernharz riechende OCIMEN spielt nicht nur in blumig wirkenden Kräutern, etwa Basilikum oder Lavendel, eine wesentliche Rolle, es findet sich auch im Duft von Pastinaken und Zucchini. Auch bei den acyclischen Monoterpenen verändern kleine Modifikationen der chemischen Strukturen den Geruch. Der Monoterpenalkohol GERANIOL riecht blumig, das Aldehyd Geranial zitronenartig – nur, weil sich eine funktionelle Endgruppe ändert.

GRUPPE 4: CYCLISCHE TERPENE – BALSAMISCH, KAMPFERARTIG, HOLZIG

α-PINEN herbal, kampferig, pinienartig, stark holzig, erdig, terpentinartig, holzig-würzig

1,8-CINEOL herbal, eukalyptusartig, kampferig, minzig, trigeminal kühlend

Die Gruppe der cyclischen Terpene lässt sich unterteilen in einfache monocyclische Terpene (eine Ringstruktur) und in höhercyclische Terpene (mehrere Ringstrukturen). Diese Unterteilung ist in der organischen und Naturstoffchemie nicht zwingend erforderlich, mit Blick auf kulinarische Anwendungen allerdings durchaus sinnvoll. Monocyclische Terpene sind in den meisten Kräutern und vielen Gewürzen enthalten. Sie sind, ähnlich wie die acyclischen Terpene, relativ leicht flüchtig und daher für den ersten nasalen Dufteindruck bestimmend. Sie duften „terpentinartig“, nach Minze und mitunter „würzig“ und sind in ihrem Duft daher schon etwas „schwerer“ als die acyclischen Monoterpene. Ein typischer Vertreter ist der Monoterpenalkohol MENTHOL, der neben seinem minzigen Duft noch trigeminal kühlende Wirkung aufweist. TERPINOLEN und beide Isomere des PHELLANDREN sind in vielen Gemüsen duftbestimmend, vor allem in Wurzelgemüse wie Karotte, Pastinake, Topinambur, Wurzelpetersilie, aber auch in Blattsalaten. Des Weiteren sind α-PINEN und β-PINEN wichtige Vertreter, sie kommen in Bohne, Fenchel, Grünkohl, Karotte, Kartoffel, Kerbelrübe, Kichererbse, Kürbis, Papaya, Pastinake, Sellerie, Speiserübe, Topinambur und Zucchini vor. Diese mono- und bicyclischen Terpene sind häufig auch für kampferartige, leicht holzige und harzige Aromen verantwortlich. Die Moleküle sind komplexer aufgebaut und in ihrer Struktur reichhaltiger. Manche dieser Terpene lösen angenehme trigeminale Reize im Temperaturbereich zwischen 30 °C und 38 °C aus, also in dem üblichen „Wohlfühlbereich“, aber auch in dem für den Mund angenehm kühlen Bereich zwischen 18 und 27 °C, wie das MENTHOL der Minze. Derartig trigeminale Reize sind, wenn sie gezielt eingesetzt werden, ein willkommener Mehrwert. Ein weiterer wichtiger Vertreter ist 1,8-CINEOL, das im Geruchsspektrum von Erbse, Fenchel, Gartenbohne, Kerbelrübe, Linse, Okra, Rotkohl und Zucchini vorkommt. Bicyclische Terpene definieren im Gemüse harzige, kräuterige Duftnoten. Sie sind aromaführend in Blattsalaten, deutlich zu riechen im Löwenzahn, Mangold und Spinat, aber auch in vielen Wurzelgemüsen, wie Karotten, Pastinaken, Sellerie, Topinambur oder Wurzelpetersilie.

GRUPPE 5: SESQUITERPENE – DUNKEL, SCHWER-FLORAL

α-CARYOPHYLLEN holzig, süßlich-herbal, kampferig, leicht pfefferig, mit Zitrushintergrund

α-BISABOLEN holzig, fruchtig, zitrusartig

Sesquiterpene sind von ihrer Struktur her noch komplexer und damit noch weniger flüchtig. Bei den Gerüchen herrschen dunkle, warme Töne vor, wie sie in der Küche etwa mit Gewürznelken und Pfeffer oder auch Rosmarin assoziiert werden können. Zu dieser Gruppe gehören monocyclische Biterpene wie BISABOLEN oder die Sesquiterpene CARDINEN und CARYOPHYLLEN, die durch harzige bis erdige Töne bestechen. Sesquiterpene spielen in vielen Wurzelgemüsen eine wesentliche Rolle, etwa in Karotten, Pastinaken, Sellerie, Speiserüben und Schwarzwurzel. Auch die Haferwurzel verströmt im gegarten Zustand einen hohen Anteil an diesem von Sesquiterpenen verursachten holzigen, würzigen Duft, der im Geschmack die Erwartung an einen deutlichen Bitterton auslöst. In Salaten, wie Kopfsalat, Frisée und Löwenzahn, ist der Sesquiterpenanteil im Geruch ebenfalls sehr stark. Lineare Sesquiterpene, wie NEROLIDOL, FARNESOL oder DAMESCENON liefern floral-holzige und würzig-beerenartige Düfte, wie sie von Rosen, Rosenholz oder Waldblüten bekannt sind. Diese findet man in der Roten Bete, der Kerbelrübe oder den Kaktusblättern, in Rhabarber, Papaya, Süßkartoffeln und Tomatillos.

GRUPPE 6: AROMATEN – TIEF UND AROMATISCH

PHENYLACETALDEHYD aromatisch, grün, honigartig, floral, hyazinthenartig, kakaoartig, schokoladig, leicht erdig

BENZYLISOTHIOCYANAT aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig

Der Begriff der „Aromaten“ hat zunächst wenig mit dem alltäglichen Begriff „aromatisch“ zu tun. In diesem Buch wird der Begriff „aromatisch“ stets im Zusammenhang mit Molekülen einer bestimmten chemischen Struktur, dem Benzolring, verwendet. Die Intensität der Gerüche aus dieser Gruppe ist noch stärker, sie werden als „schwer“, „tief“, „rauchig“, „nussig“, „phenolisch“ oder „bitter“ beschrieben – wobei besonders „bitter“ im übertragenen Sinne zu verstehen ist, denn „bitter“ ist eine Geschmacksrichtung, die mit Aromen zunächst einmal nichts zu tun hat – oder eben kurz: als „aromatisch“.

Paradebeispiel für eine duftintensive aromatische Verbindung ist das BENZALDEHYD, das den typischen Geruch von Bittermandeln erzeugt. Das VANILLIN der Vanille gehört zu den Aromaten, ebenso wie ANISALDEHYD, das in Anis, aber auch in Fenchel, Bambussprossen, Kochbananen und sogar Gartenbohnen vorkommt. Diese Auflistung zeigt, wie breit das Spektrum der Aromaten ist.

Weitere Vertreter sind das aromatisch-grün und nach Honig, Kakao und Schokolade duftende PHENYLACETALDEHYD, das sich in zahlreichen und so unterschiedlichen Gemüsearten wie Artischocke, Chinakohl, Kartoffel, Papaya und Gurke findet, und das BENZYLACETAT, das das „chemisch“ aromatische Grundmuster vieler (süßer) Melonensorten definiert. Das terpentinartige P-CYMOL lässt sich in Kartoffeln und Kichererbsen erahnen, das kampferartig und balsamisch duftende METHYLSALICYLAT ist vor allem in der Kerbelwurzel, Speiserüben und Tomatillos sehr präsent.

Typische Raucharomaten, wie GUAIACOL, Kresole, 4-VINYLGUAIACOL oder NAPHTALIN finden sich in Linsen, Lotuswurzeln, in Feldsalat, Gemüsepaprika oder Tomatillos. In vielen Fällen bilden sich Aromaten erst nach dem Erhitzen, beim Kochen und Braten aus. In geräucherten Lebensmitteln und Gemüsen, auch in jenen, die bei Tisch mit der Räucherpfeife geräuchert werden, gehören die Aromaten zu einer Hauptkomponente des „Gewürzes“ Rauch. Beim Erhitzen bilden sich außerdem häufig aromatische Schwefelstoffe. Sie verbinden eine lineare Kette mit einem Benzolring (und werden deswegen nicht zur Gruppe 2 gezählt). Ein typischer Vertreter ist BENZYLISOTHIOCYANAT, das mit seinen Attributen „aromatisch, brunnenkresseartig, medizinal, ölig, meerrettichartig“ auf eine eindrucksvoll riechbare Weise die „Aromatik des Benzolrings“ mit typischen Gerüchen der Schwefel-Stickstoffverbindungen aus der Gruppe 2 verbindet. Des Weiteren fügt es leichte trigeminale Reize bei.

CHARAKTERISIERUNG VON GERUCHSBESTIMMENDEN STOFFEN

1. ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE

(z. B. (Z)-3-Hexenal, Decanal, (E,Z)-2,6-Nonadienal)

GERUCHSTYPgrün, wachsig, fettig, fruchtig

GEWÜRZE Weizengras, Olivenöl

GEMÜSEOkra, Avocado, Aubergine, Gurke, Artischocke, Papaya, Tomate, Zichorie

2. SCHWEFEL- UND STICKSTOFFVERBINDUNGEN

(z. B. Dipropylsulfid, Alliciin, Methional, Nitrile)

GERUCHSTYPschweflig stechend, kohlartig, zwiebelartig

GEWÜRZEKala Namak, Schnittlauch, Knoblauch, Kresse

GEMÜSELauch, Spargel, Zwiebel, Rettich, Salate, Kohl

3. ACYCLISCHE TERPENE

(z. B. Citronellol, Geranial, Geraniol, Linalool, Nerol, Myrcen)

GERUCHSTYPfloral, zitronenartigleicht blumig, rosenartig, lavendelartig

GEWÜRZEZitronengras, Lorbeer, Rose, Bohnenkraut, Basilikum, Oregano, Minze, Salbei

GEMÜSEKaktusfeige, Karotte, Fenchel, Erbse, Tomate, Tomatillo, Melone

4. CYCLISCHE MONOTERPENE

(z. B. Borneol, 3-Caren, Carvon, 1,8-Cineol, Fenchon, Limonen, Pinen, Safranal)

GERUCHSTYPkampferartig, minzig, würzig, bitter, erdig, thymianartig

GEWÜRZEWacholder, Rosmarin, Minze, Tannennadeln, Dill, Thymian

GEMÜSEOkra, Topinambur, Brokkoli, Schwarzwurzel, Sellerie, Rote Bete

5. SESQUITERPENE

(z. B. Bergamoten, Bisabolol, Bisabolen, Camphen, α-Caryophyllen, β-Caryophyllen, α-Selinen )

GERUCHSTYPkampferartig, holzig, balsamisch, terpentinartig, erdig-gemüsig

GEWÜRZEBergamotte, Kamille, Bockshornklee, Oregano

GEMÜSEAubergine, Möhre, Salat, Kaktusblätter, Cardy, Speiserübe, Sellerie, Pastinake, Okra

6. AROMATEN

(z. B. Carvacrol, Cuminaldehyd, Benzaldehyd, Elemicin, Phenylpropan, Thymol, Vanillin, 4-Vinylguaiacol)

GERUCHSTYParomatisch mandelartig, anisartig, pizzaartig, thymianartig, vanillig, rauchig

GEWÜRZEBergamotte, Eukalyptus, Majoran, Myrrhe, Harze, Mastix, Tamarinde, Vanille

GEMÜSEAvocado, Blumenkohl, Bohne, Haferwurzel, Kartoffel, Kürbis, Mangold, Rote Bete, Schwarzwurzel, Sellerie, Sojabohne, Spinat, Topinambur

7. PHENOLE, PHENOLDERVIVATE, PHENOLPROPANOIDE

(z. B. Estragol, Eugenol, Myristicin, Safrol, Zimtaldehyd)

GERUCHSTYPmuskatartig, würzig, zimtig

GEWÜRZEAnis, Basilikum, Liebstöckel, Lorbeer, Oregano, Pfeffer, Muskatnuss, Zimt

GEMÜSEBlumenkohl, Haferwurzel, Karotte, Kerbelrübe, Kohlrabi, Pastinake, Schwarzwurzel, Spargel, Taro, Wurzelpetersilie

8. HETEROCYCLISCHE VERBINDUNGEN

(z.B. Butylphtalid, Coriandrin, Cumarin Furfural, Penthylfuran, Perillen, Pyrazin, Sesamol, Sotolon)

GERUCHSTYPbrotrindenartig, heuartig, karamellig, holzig, nussig, röstig

GEWÜRZEAhornsirup, Heu, Nüsse, Mohn, Sesam, Waldmeister

GEMÜSEBohne, Kichererbse, Schwarzwurzel, Sellerie, Zichorie, Grüner Paprika, Gartenbohne, Spargel, Zuckermais Pastinake

9. TRIGEMINALREIZE

(z. B. Capsaicin, Gallussäure, Oxalsäure)

GERUCHSTYPgeruchlos, trigeminal reizend, wärmend, kühlend, beißend, demineralisierend

GEWÜRZEChili, Pfeffer, Stevia

GEMÜSEZwiebelgewächse, Spinat

GRUPPE 7: PHENOLE, PHENOLDERIVATE, PHENYLPROPANOIDE – TYPISCHE („SCHWERE“) DÜFTE NACH ZIMT, MUSKAT & CO.

MYRISTICINwürzig, warm, balsamisch, holzig, wärmend

EUGENOL würzig, süßlich, gewürznelkenartig, aromatisch, holzig, pimentartig, warm-würzig

Phenylderivate riechen noch intensiver, meist „öliger“ und würziger als die Aromaten. Das in Muskatnuss und Petersilie dominante MYRISTICIN ist in Wurzelgemüsen wie Haferwurzel, Karotte, Kerbelrübe, Pastinake, Schwarzwurzel, Spargel, Taro und natürlich Wurzelpetersilie duftbestimmend. EUGENOL, das den Duft von Gewürznelken prägt und ebenfalls in Piment und Zimt, Lorbeerblättern, Basilikum, Muskatnuss und deren Blüte Macis vorhanden ist, sorgt für die würzige, eher schwer empfundenen Düfte. Man findet es in vielen Gemüsen, angefangen von der Artischocke über Blumenkohl, Gemüsepaprika und Kerbelrübe bis hin zur eher matt wirkenden Zucchini. ESTRAGOL gibt vor allem den Kräutern Estragon, Kerbel und Basilikum die Grundaromen, aber auch der Fenchelknolle und Tomaten.

GRUPPE 8: HETEROCYCLISCHE VERBINDUNGEN, KOHLENWASSERSTOFFE, AMIDE UND MAKROZYKLEN – RÖSTAROMEN, NICHT NUR AUS DER PFANNE

FURFURAL süßlich-röstig, brotartig, nussig, karamellig

2-METHOXY-3-ISOBUTYLPYRAZIN würzig grün, erbsenartig, bohnenartig, grüner Paprika

Die letzte Gruppe der Duftstoffe besteht vor allem aus Röstaromen. Cyclische Moleküle weisen immer eine ringförmige Struktur auf. Im Unterschied zum Benzolring bei Aromaten und Phenylpropanoiden sind bei Heterozyklen nicht nur Kohlenstoffatome, sondern auch Sauerstoff, Schwefel- oder Stickstoffe eingebaut.

Diese tiefen, röstigen Aromen können schon von vornherein in einem Gemüse vorkommen oder bei praktisch jedem Erhitzungsprozess über Karamellisierungsvorgänge und Maillardreaktion (Seite 94) entstehen. Einer der bekanntesten Vertreter ist das MALTOL, das beim Karamellisieren von Zucker entsteht und eine süßliche, malzige Karamellnote aufweist. Ein weiteres Beispiel ist das SOTOLON, das in Bockshornklee und Liebstöckel vorkommt und charakteristisch für Knollensellerie ist. Besonders im gekochten Zustand verhilft es der Wurzel zu ihrer typischen Karamellnote. Ein Grund mehr, Sellerie zum Schmoren und als „vegetales“ Röstgemüse zuzugeben. Viele von den Aromen, die beim Rösten entstehen, sind bereits im Rohzustand vorhanden. FURFURAL trägt zum Beispiel bei Gewürznelken zu den dunklen Noten bei, CUMARIN erzeugt den Duft von Heu und gibt getrocknetem Waldmeister seinen charakteristischen Geruch. In Gemüse spielen sie vor allem in zuckerreichen Sorten wie Avocado, Kichererbse, Okra, Rote Bete, Süßkartoffel, Taro, Tomate und Tomatillo eine große Rolle. Sie entstehen auch direkt aus den verschiedenen freien Pflanzenzuckern. CUMARIN ist nicht nur vorherrschend in Tonkabohnen und Waldmeister, sondern auch eine wesentliche Komponente im Rettich- und Radieschenkraut. In höheren Konzentrationen sind übrigens alle der hier dargestellten Verbindungen gesundheitsschädlich. Allerdings sind die Konzentrationen in der Küche meist derart niedrig, dass diese Diskussionen hier nicht ernsthaft geführt werden müssen. Zu den Heterozyklen gehören außerdem die Pyrazine; beispielhaft sei hier das 2-METHOXY-3-ISOBUTYLPYRAZIN genannt, das grünem Gemüsepaprika seinen erdigen Duft gibt und auch im Wein, etwa Sauvignon Blanc, typisch ist. Die Gruppe 8 ist damit für Röststoffe, aber auch für erdig-würzige Aromen verantwortlich.

GRUPPE 9: TRIGEMINUSREIZ

CAPSAICIN trigeminal scharf

GALLUSSÄURE stark adstringierend

Für die trigeminale Wahrnehmung sind nichtflüchtige Moleküle auch abseits der Geschmackseigenschaften von zentraler Bedeutung. Die bekanntesten Vertreter sind das Alkaloid CAPSAICIN, das in manchen „scharfen“, roten Paprikasorten auftritt (und im Chili vorherrschend ist) sowie PIPERIN. Von beiden Stoffen gibt es mehrere Isomere und Derivate. Sie sorgen für einen trigeminalen Wärmereiz im Mund. Die Wahrnehmung dieser Moleküle erfolgt nicht über Geschmacksknospen, sondern über den zentralen Hirnnerv, den Nervus trigeminus, der für Wärme, Kälte und Schmerzreize empfindlich ist. Wie die trigeminalen Reize entstehen und welche Bandbreite an sensorischen Empfindungen sie umfassen, wird weiter unten ausführlicher dargestellt (Trigeminus, ein unterschätzter Reiz, Seite 28).

Einige der Geruchsstoffe der Gruppen 1 bis 8 sind nicht nur geruchsaktiv, sondern auch stark trigeminal reizend. Sie lösen orthonasal, retronasal und sogar oral Wärme (z. B. EUGENOL) oder Kühlereize (z. B. MENTHOL) aus, wirken adstringierend (BISABOLEN) oder stechend (ESSIGSÄURE). Einige Schwefelstoffe aus Gruppe 2 verursachen einen starken Schmerz und wirken extrem kalt. Diese Moleküle werden im Gemüse-A-bis-Z in der Liste der Aromen eigens mit einem hochgestellten „T“ markiert, das auf den Trigeminalreiz hinweist, damit man diesen jeweils „würztechnisch“ und kochtechnisch nutzen kann.

Der neunte Kreis in unserem Farbschema, der „Trigeminalkreis“, kann also von zwei verschiedenen Molekülgruppen aktiviert werden: zum einen von diesen mit „T“ gekennzeichneten, trigeminal wirkenden Aromen und zum anderen von speziellen nicht flüchtigen Verbindungen (die keine Aromen sind und jeweils nur im Fließtext, nicht in der Aromenliste auftauchen) wie Capsaicin, Gallussäure oder anderen gemüsetypischen phenolischen Verbindungen, die für eine starke Adstringenz verantwortlich sind.

FLÜCHTIGKEIT UND LÖSLICHKEIT

Alle Gerüche sind mehr oder weniger flüchtig. Nur weil sie aus den Pflanzen austreten und in die Luft schweben, können sie überhaupt in die Nase gelangen und dort gerochen werden. Wie schnell das geht, hängt von drei Faktoren ab: von der Molekülgröße, der Temperatur und dem Lösungsmittel. Kompliziert aufgebaute Moleküle sind weniger flüchtig als „einfache“, deren Anzahl an Kohlenstoffatomen unter 16 bis 20 liegt. Schwefelige und blumige Aromen sind beispielsweise leicht flüchtig: Eine angeschnittene Knoblauchzehe duftet sofort und sehr intensiv, ist aber schon nach kurzer Zeit „ausgeraucht“. Tiefe, erdige, warme Noten – etwa Gewürznelken – duften weniger stark, dafür länger anhaltend. Hinzu kommt, dass bei höheren Temperaturen die Molekülgeschwindigkeit und damit die kinetische Energie steigt. Der Zusammenhang zwischen Hitze, Geschwindigkeit und Energie wird „thermische Energie“ genannt. Übersteigt diese Energie eine bestimmte Schwelle, dampfen Aromen ab. Bis zu einer bestimmten Temperatur kann man das verzögern: Damit Düfte beim Kochen, Braten oder Backen im Gericht verbleiben und nicht in die Umgebung verdampfen, muss man den Molekülen ein gutes Lösungsmittel anbieten – wobei „gut“ in diesem Fall nicht nur die Löslichkeit meint, sondern auch, dass das Mittel außerdem wohlschmeckend und verträglich ist. Für den Gebrauch in der Küche qualifizieren sich daher nur Wasser, Fett und Ethanol (Alkohol).

Der Fachbegriff „Lösungsmittel“ umschreibt die Fähigkeit des Festhaltens: Die Moleküle der Flüssigkeiten bilden eine Schale um jedes einzelne Duftmolekül und trennen sie dadurch voneinander – daher der Begriff „lösen“. Auch an der Oberfläche trennt sie ein dünner Film von der Luft, sodass sie nicht so leicht davonschweben können. Im Mund werden sie dann retronasal wahrgenommen.

Die Molekularstruktur der Aromen bestimmt die Löslichkeit der Stoffe in verschiedenen Lösungsmitteln. Der Satz klingt wie aus einem Lehrbuch der physikalischen Chemie, ist aber von großer Bedeutung für jede Küchenanwendung. Als Faustregel lässt sich festhalten: Die meisten Aromen lösen sich in Fett, einige in Alkohol, Geschmacksstoffe lösen sich in Wasser. Wie gegensätzlich diese Lösungsmittel sind, lässt sich schon allein daran erkennen, dass sich Fett und Wasser selbst nicht mischen. Der Grund liegt in den molekularen Eigenschaften: Wassermoleküle sind polar, Fettmoleküle (Triacylglyceride) vollkommen unpolar.

DUFT AN DER RICHTIGEN STELLE

Dünstet man Rosenkohl in Wasser, erfüllen schnell typische Kohlaromen die Küche. Der Grund: Aromastoffe lösen sich nur bedingt im Wasser, bei höheren Temperaturen immer schlechter, und flüchten in die Luft. Wird Rosenkohl hingegen mit Öl bedeckt „gedünstet“, sprich konfiert, lösen sich die Aromaverbindungen im Öl. Die Küche „duftet“ weit weniger nach schwefeligem Kohl und die im Öl gelösten Aromastoffe wandern genau dorthin, wo sie hingehören: in den Mund. Mit jedem Tropfen Öl werden beim „oralen Prozessieren“, also beim Kauen, die Aromastoffe wieder freigegeben und retronasal wahrgenommen. Öl, Fett und Gemüse gehören unbedingt zusammen, allein wegen der sensorischen Bedeutung und zum „Aufsammeln“ und „Speichern“ der flüchtigen, wasserunlöslichen Aromen.

Die Gegensätze in der Küche: Wasser (blau) und Fett. Wassermoleküle sind polar, d. h. auf der Sauerstoffseite leicht negativ, auf der Wasserstoffseite leicht positiv geladen. Dadurch können nur polare oder elektrisch geladene Stoffe in Wasser gelöst werden. Fett ist apolar.

AROMA IM KOCHWASSER: GEMÜSEBRÜHEN Natürlich duften Gemüsebrühen nach Gemüse oder das Spargelkochwasser intensiv nach Spargel. Der Grund ist einfach: Sie riechen stark, weil die Aromen das Wasser nicht mögen und so rasch wie möglich flüchten. Dennoch können sie sich unter bestimmten Verhältnissen auch in Wasser „lösen“. Dabei hilft die – den unpolaren Aromastoffen eigentlich ja hinderliche – Polarität des Wassers. Da die Wassermoleküle polar sind, orientieren sie sich so zueinander, dass sich ihre positiv geladene Wasserstoffseite dem nächsten negativ geladenen Sauerstoffteil zuwendet: Gegensätze ziehen sich an. Daher können unpolare Aromenverbindungen von einem Wasserkäfig umschlossen und so im Wasser gehalten werden. Diese Einbindung ist allerdings instabil. Moleküle, die sich in der Nähe der Wasseroberfläche befinden, verflüchtigen sich, denn die gasförmige Luft ist für diese unpolaren Stoffe ein weit besseres Lösungsmittel als das polare Wasser. Sie treten aus und „duften“.

Wassermoleküle bilden um unpolare Aromaverbindungen „Käfige“ und halten sie so fest. Solange die Duftmoleküle nicht zu Tropfen kondensieren, bleiben sie „gelöst“.

Die Flüchtigkeit einer hydrophoben Aromaverbindung in Wasser.Zwar hält der Käfig die Verbindung im Wasser fest (links), an der Oberfläche jedoch wird der Käfig aufgebrochen (Mitte). Das Molekül ist jetzt dem „besseren“ Lösungsmittel Luft ausgesetzt und wird so flüchtig. Es steht jetzt dem orthonasalen Riechen zur Verfügung.

Die Flüchtigkeit der Aromen ist ein großes Problem, da in den meisten Fällen die Gartemperaturen hoch sind. Daher ist es von Vorteil, eine ausreichende Menge an Lösungsmittel während des Garens zur Verfügung zu stellen, im besten Fall Fett, denn dessen Moleküle (Triacylglyceride) sind sehr groß und schwer. Sie können während des Kochens nicht verdampfen und haben daher einen hohen Siedepunkt. Fette lösen viele Aromen, deshalb ist Fett ein „Aromaträger“ und kein „Geschmacksträger“ (Gemüseküche, Seite 60).

WAHRNEHMUNGSSCHWELLE, GERUCHSADAPTION UND AROMAWERT

Wie intensiv die verschiedenen Duftkomponenten gerochen werden können, hängt von vielen Ursachen ab. So sind zum einen die Wahrnehmungsschwellen der Aromastoffe ganz unterschiedlich. Jeder Stoff weist eine bestimmte Konzentrationsschwelle auf, eine Anzahl von Molekülen in einem bestimmten Luftvolumen, ab der er wahrgenommen werden kann. Ist diese sehr niedrig, genügen bereits wenige Moleküle, um den charakteristischen Duft zu riechen. Die Schwelle ist nicht einfach vorherzusagen, es gibt allerdings ein paar grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Auch hier gilt: Je größer die Moleküle sind, also je höher ihr Molekulargewicht, desto tiefer liegt die Geruchsschwelle. Dies ist physiologisch sinnvoll: Da diese Moleküle weniger flüchtig sind, müssen sie auch in geringen Konzentrationen wahrnehmbar sein. Gerüche können schließlich vor Gefahren „warnen“. Allerdings gibt es viele Ausnahmen von diesem vermeintlich klaren Sachverhalt.

Neben der Wahrnehmungsschwelle existiert als weiteres Phänomen die Geruchsadaption. Die Funktion der Riechkanäle ist so ausgelegt, dass immer nur die zeitliche Veränderung eines Geruchsstroms als „Duft“ wahrgenommen wird. Bleibt der Strom über längere Zeit konstant, wird er nicht mehr wahrgenommen. Wir „gewöhnen“ uns daran, adaptieren ihn – sehr gefährlich etwa beim Nachlegen eines Parfüms. Nach erneutem Einsprühen nehmen andere, die den Duft nicht adaptiert haben, den Geruch noch deutlicher wahr. Auch kulinarisch spielt die Geruchsadaption eine große Rolle: Kein Weinkenner und Sommelier hält die Nase zu lange tief ins Glas. Die Adaption verhindert schnell die Wahrnehmung feiner, flüchtiger Noten, die den Wein so reizvoll gestalten. Diese Adaption hängt übrigens von der Molekülstruktur und der Flüchtigkeit ab.

Ein dritter und entscheidender Parameter für die Duftwirkung ist der „Odor Activity Value“ (OAV). Er misst das Verhältnis zwischen der Konzentration eines Aromastoffs in einem Lebensmittel und dessen Geruchsschwelle in diesem.

Kommt etwa ein Aroma in nur geringer Konzentration vor, besitzt aber eine sehr niedrige Wahrnehmungsschwelle, wird es dennoch gerochen. Bei hohen Wahrnehmungsschwellen hingegen ist eine höhere Konzentration vonnöten, damit das Aroma überhaupt wahrgenommen werden kann – so reichhaltig es im Gemüse auch enthalten sein mag.

So ist zum Beispiel der hochaktive, grün und grasig duftende Blätteralkohol (Z)-3-HEXENOL mit seinem sehr hohen OAV in einer Vielzahl von Gemüsen vorhanden: in Aubergine, Blumenkohl, Brokkoli, Cardy, Chayote, Chinakohl, Haferwurzel, Kürbis, Pak-Choi, Papaya, Portulak, Rhabarber, Rosenkohl, Rucola, Salat, Senfkohl, Sojabohne, Speiserübe, Spinat, Taro, Tomate, Tomatillo, Zichorie und Zucchini. Während sein grasiger Duft in rohen Auberginen, Chayote und Rhabarber stark dominiert, wird er in den Kohlarten weit in den Hintergrund gedrängt. Dort bestimmen die weit duftaktiveren linearen Schwefelaromen das Aromaspektrum. Würde (Z)-3-HEXENOL in den Kohlarten jedoch gänzlich fehlen, wäre der Aromaeindruck ein ganz anderer. In der Tomate sind die Verhältnisse ähnlich. Der grasig-grüne Duft ist am Stielansatz weit ausgeprägter als im Fruchtfleisch, dort sind, je nach Sorte, Reife und Farbe, florale Gerüche dominanter. Dennoch definieren alle Gerüche gemeinsam das „Tomatenaroma“. Duftwahrnehmung und OAV sind stark von der Umgebung abhängig, in die der Duftstoff eingebettet ist. In einem schlechten Lösungsmittel ist der gleiche Stoff mit gleicher Wahrnehmungsschwelle leichter flüchtig und hat so eine höhere Riechaktivität. Im passenden Lösungsmittel wird er dagegen festgehalten, ist also kaum riechaktiv.

Bei dem Beispiel Tomate kann man gut erkennen, dass die grünen Düfte in ihrem breiten Aromaspektrum eine Schlüsselrolle spielen.

Aromaverbindung

Aromawert (OAV) in Wasser

(Z)-3-Hexenal

50 000

Hexanal

630

1-Penten-3-on

500

ß-Damascenon

500

Furaneol

380

3-Methylbutanal

130

(E)-2-Hexenal

16

2-Isobutylthiozol

10

Im Aromaspektrum der Tomate steht das grün duftende Blätteraldehyd (Z)-3-Hexenal deutlich im Vordergrund. Ohne die Schwefelverbindung 2-Isobuthylthiozol und ohne Furaneol würde das Gemüse aber einen Teil der Duftcharakteristik verlieren.

SCHLÜSSELAROMEN

GESCHMACKSSINN UND GRUNDGESCHMACK

„Geschmack“ ist vermutlich eines der am häufigsten missverständlich verwendeten Wörter, wenn es um Essen und Trinken geht. Meist bezeichnen wir damit den ganzen Genuss, ohne zwischen Aroma und Geschmack einer Speise bzw. dem menschlichen Geruchs- und Geschmackssinn zu differenzieren.

Ein einfaches Beispiel dafür, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt, ist die Tomate: Riecht man daran, duftet sie „grün, fruchtig, einen Hauch floral“. Nimmt man sie bei zugehaltener Nase in den Mund, schmeckt sie lediglich „süß“ „sauer“ und irgendwie „herzhaft“. Öffnet man dann die Nase, nimmt man mit der Zunge weiterhin den süßen, sauren und umami-Geschmack wahr, während gleichzeitig die duftenden Aromen über den hinteren Rachenraum – „retronasal“ – in die Nase gelangen und wiederum ganz anders wirken als „orthonasal“ (Seite 9). Kurz gesagt: Aromen oder Duftstoffe werden – ortho- und retronasal – mit der Nase wahrgenommen, Geschmack wird nur mit der Zunge geschmeckt. Und dann kommt es noch darauf an, wie man kaut und „oral prozessiert“. Die Wahrnehmung ist komplexer, als es scheint.

DIE FÜNF GRUNDGESCHMACKSRICHTUNGEN

Im Unterschied zu den unzähligen Düften, für deren Beschreibung bisweilen die Worte fehlen, sind die Geschmacksrichtungen recht übersichtlich: Bisher werden fünf Grundgeschmacksrichtungen plus eine als gesichert angesehen: „Süß“, „sauer“, „salzig“ und „bitter“ kennt wohl jeder. Die nicht ganz so geläufige fünfte Geschmacksrichtung, der „umami“-Geschmack, steht für „herzhaft, fleischig“. Entsprechende Rezeptoren wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von dem japanischen Chemiker Ikeda Kikunae auf der menschlichen Zunge entdeckt. Der Geschmack wurde nach dem japanischen Wort für „wohlschmeckend“ benannt.

2011 wurde nachgewiesen, dass es auf der menschlichen Zunge außerdem gustatorische Rezeptoren für „fett“ bzw. für Fettsäuren gibt. Das wäre ein sechster Grundgeschmack, wobei nicht geklärt ist, ob diese Signale auch an das Gehirn weitergeleitet und dort entsprechende „Sensationen“ ausgelöst werden. Bis heute zählt in der Fachwelt „fett“ nicht als Grundgeschmacksqualität.

Seit Kurzem gibt es außerdem Hypothesen, es gäbe einen Geschmack für kurzkettige Zucker (zwischen 7 und 14 Glucosen) und hydrolisierte Stärke, der nicht über die Süßrezeptoren getriggert wird und auch nichts mit der Spaltung der Amylose über das Enzym Amylase, das sich im Speichel befindet, zu tun hat. Das wäre dann möglicherweise ein siebter Grundgeschmack, doch das liegt bisher, wie gesagt, allein im Bereich der Vermutungen. Wir gehen daher in unserem Buch von den fünf als gesichert geltenden Geschmacksrichtungen aus.

GESCHMACK – PHYSIOLOGISCHE FUNKTION UND WIRKUNG

Süß

Zucker sofortige Energie, nicht giftig

Salzig

Mineralien, Elektrolyte Zellfunktion, Nervenaktivität

Sauer

Speichelfluss, Warnsignal unreif, niedriger pH-Wert, Lebensmittelsicherheit

Bitter

Bitterstoffe, Alarmzeichen, Gift

Umami

Protein, Glutaminsäure, essentielle Aminosäuren vorhanden

DER GESCHMACKSSINN UND SEINE FUNKTION

Aber warum eigentlich der ganze Aufwand, weshalb können wir schmecken? Die Antwort liegt – ähnlich wie beim Geruch – in der Evolution. Bei unseren Vorfahren gab es weder Zutatenlisten noch Inhaltsstoffangaben. Trotzdem mussten sie herausfinden, was genießbar war und was nicht. Mit der Entdeckung des Fett-Rezeptors wird immer deutlicher, dass wir schmecken können, was der Mensch aufgrund seiner Biologie und Physiologie am dringendsten benötigt: Energie (Zucker, süß), Proteine (Fleisch, proteinreiche Pflanzen, umami-Geschmack) und mineralreiche Lebensmittel (salzig). Andererseits musste gewarnt werden: Bittere Beeren oder Wurzeln sind mit großer Wahrscheinlichkeit giftig, stark saure Früchte zumindest mit Vorsicht zu genießen, da sie häufig unreif sind und möglicherweise noch zu viele antinutritive Stoffe enthalten, die sich erst während der Reifung (enzymatisch) abbauen.

Verschiedene Papillenformen sorgen für eine detaillierte Erfassung des Geschmacks, die Speichel- und Spüldrüsen sind weiß dargestellt.

ZUNGENPAPILLEN UND GESCHMACKSKNOSPEN

Auf der Zunge befindet sich eine Vielzahl von Rezeptoren, die für unsere Geschmacksempfindungen verantwortlich sind. Sie befinden sich in den Papillen, von denen es unterschiedlich geformte Typen gibt, die an verschiedenen Stellen der Zunge sitzen: Pilzpapillen (vorwiegend auf der Zungenoberfläche), Blätterpapillen (vorwiegend am Zungengrund) und Wallpapillen (in der Nähe der Zungenwurzel).

Die hierarchische Anordnung der Papillen auf der Zunge bestimmt ein sofortiges Prüfen und nachhaltiges Schmecken der Lebensmittel.

Die ganze Zunge ist darüber hinaus mit Fadenpapillen besetzt, die die physikalischen Eigenschaften der Lebensmittel – Oberflächenbeschaffenheit, Fließverhalten oder andere Textureigenschaften – schnell und sehr genau erkennen (Textur, Seite 32).

Die stark zerfurchte und zerklüftete Oberfläche der Zunge und die daraus resultierenden Schwankungen in der Papillendichte sind von Vorteil, denn so sind die Geschmacksreize rasch erkennbar und gleichzeitig für eine gewisse Zeit wahrnehmbar. So werden die Prüfung der Lebensmittel und ihr Genuss sichergestellt.

Im Gegensatz zu früheren Annahmen gibt es keine „Geschmackslandkarten“ auf der Zunge, also bestimmte Bereiche, in denen nur süß, bitter usw. wahrgenommen werden. Die Rezeptoren sind nahezu für alle Grundgeschmacksqualitäten in etwa gleich verteilt. Wie aber wird der unterschiedliche Geschmack wahrgenommen? Dazu sind Geschmacksknospen und Rezeptoren, die nach selektiven Mechanismen arbeiten, vonnöten.

Aufbau einer Geschmacksknospe.

An den Wänden der Papillen liegen die Geschmacksknospen, die in ihrer Form tatsächlich an Blütenknospen erinnern. Sie bestehen aus mehreren Sinneszellen, die sich in verschiedenen Segmenten anordnen. Jede Sinneszelle ist dabei durch mehrere Nervenfasern mit dem Zentralnervensystem verbunden, das Signale ins Gehirn weiterleitet, wo der Geschmacksreiz erst in die entsprechende Geschmacksqualität, also beispielsweise „süß“, „bitter“ oder „salzig“, übersetzt wird. Erkannt – oder wie Physiker sagen, detektiert – wird die jeweilige Geschmacksrichtung allerdings schon in den Geschmacksknospen durch Rezeptoren in den sogenannten Mikrovilli, fadenförmigen Ausstülpungen, die die Oberfläche und damit die „Feinfühligkeit“ der Sinneszellen in der Geschmacksknospe erhöhen. Auf der Zunge liegen auch Fadenpapillen, sie enthalten Mechanorezeptoren, die für Texturwahrnehmungen verantwortlich sind.

Verschiedene Rezeptorentypen sorgen für den guten Geschmack. Die Rezeptorproteine (komplexe und auf ganz bestimmte Weise gefaltete Biomoleküle) sind in der jeweiligen Zellmembran, einer Doppelschicht aus Phospholipiden („Emulgatoren“), verankert und übernehmen dort die Aufgabe der Grundgeschmackserkennung.

WIE FUNKTIONIEREN DIE REZEPTOREN?

Für das Erkennen von Molekülen und molekularen Eigenschaften gibt es mehrere komplizierte Mechanismen. Vereinfacht könnte man sagen: Ein Geschmacksreiz wird durch jeweils ganz bestimmte Stoffe ausgelöst – die Geschmacksstoffe –, die in einem Gemüse (oder in anderen Lebensmitteln) vorhanden sind, wobei für jeden Geschmacksreiz andere Stoffe bzw. Stoffgruppen verantwortlich sind (Geschmack in Gemüse, Seite 48). Schmecken lassen sich nur wasserlösliche Stoffe. Dies ist, auch für die Sensorik, der fundamentale Unterschied zum Geruch. Geschmack basiert grundsätzlich auf Wasserlöslichkeit, Geruch auf Fett- (und Alkohol-)löslichkeit. Die Geschmacksstoffe werden vom Speichel gelöst und im Mundraum an den Rezeptoren vorbeigespült, bis sie zufällig an den für ihre Geschmacksrichtung „zuständigen“ Rezeptor gelangen und dort andocken. Nur dort passen sie und lösen ihren Reiz aus. Passt der Stoff nicht, reagiert der Rezeptor nicht – wie beim Geruch spricht man auch hier vom Schlüssel-Schloss-Prinzip. Die Rezeptoren sind allesamt sogenannte Membranproteine, die molekulare Eigenschaften von Molekülen an ihrem chemischen Muster erkennen.

Während sich der Aufbau der Geschmacksrezeptoren für „salzig“ und „sauer“ ähnelt, funktionieren alle anderen jeweils grundsätzlich anders. Dies liegt an der Natur der Geschmacksauslöser. Salzgeschmack wird durch Ionen ausgelöst: Kochsalz, also Natriumchlorid (NaCl), löst sich in wässriger Umgebung in positiv geladene Natriumionen (Na+) und negativ geladene Chloridionen (Cl-) auf. Sowohl die Art der Teilchen als auch die elektrische Ladung zwischen beiden wird von „Ionenkanälen“, sogenannten Kanalproteinen, wahrgenommen: Erst bei dieser Doppelbedingung reagiert der Rezeptor. Der Sauergeschmack wird durch Säuren und damit durch positiv geladene Protonen (H+) ausgelöst, die ebenfalls als kleine geladene Teilchen über Kanalproteine detektiert werden. Die für die Reize „umami“ und „bitter“ verantwortlichen Moleküle sind komplizierter aufgebaut – entsprechend komplex müssen die jeweiligen Detektoren sein. Der Umami-Geschmacksrezeptor spricht auf den Stoff Glutaminsäure an, Bittergeschmack dagegen wird von unterschiedlichen Stoffen ausgelöst. Strikt nach dem „Schlüssel-Schloss-Prinzip“ gibt es 25 verschiedene Bitterrezeptortypen, die jeweils eine bestimmte Ausprägung von „bitter“ erkennen können. Alle senden sie ihr individuelles „bitter“-Signal. Diese in der Wissenschaft als TAS2R-Rezeptorenfamilie bezeichneten Detektoren sind allerdings nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. Abhängig von der genetischen Veranlagung wird „bitter“ von „Bitterschmeckern“ stärker wahrgenommen als von „Nicht-Schmeckern“. Auch das entscheidet, ob beispielsweise Brokkoli – ein Gemüse mit vielen Bitterstoffen – gemocht wird oder nicht. Für die Wahrnehmung der Geschmacksrichtungen „süß“ sind wiederum zwei Rezeptoren notwendig, die in engem Kontakt miteinander stehen. Erst wenn ein Molekül dieses „Rezeptorduett“ reizt, wird an das Gehirn der Reiz „süß“ weitergegeben.

ABSEITS DES GRUNDGESCHMACKS – KOKUMI

Oft, aber nicht zwingend verbunden mit der Geschmacksrichtung „umami“ ist ein weiterer Eindruck, der ebenfalls entscheidend zum Gesamteindruck, dem „Flavour“ einer Speise beiträgt. Dieser Eindruck wird mit dem japanischen Wort „kokumi“ bezeichnet und lässt sich vereinfacht als „Mundfülle“ übersetzen. Genau genommen umfasst „kokumi“ die Eigenschaften „Impakt“ „Mundfülle“ und „Rundheit“. Der erste Zungenkontakt, der „Impakt“, stellt so etwas wie eine Summe aller vorhandenen Geschmacksrichtungen dar und ist das Ergebnis davon, wie die Speise die Geschmackknospen „attackiert“. Dazu können sofort die Trigeminusreizungen wie scharf/heiß, kalt, brennend usw. kommen (Trigeminus, Seite 28). Geschieht dies rasch, intensiv oder gar sehr intensiv? Alles Signale, die den ersten Eindruck festlegen. Danach wird die „Mundfülle“ wahrgenommen. Dabei bedeutet „Mundfülle“ nicht unbedingt das cremig-fettige Gefühl einer süßlichen Panna cotta, sondern eher die Wahrnehmung von lang gekochten Linsen- und Bohnengerichten, z. B. Chili con carne oder die extrem mundfüllend wirkende Avocado, pur oder in Form einer Guacamole. Eine große Mundfülle wird beispielsweise ebenso durch dünnflüssige, aber intensive Brühen, Suppen oder Saucen erzeugt. Sie können regelrecht im Mundraum „explodieren“. Weiterhin entscheiden Rundheit und Balance: Sind unangenehme Geschmacksspitzen schmeckbar, stört ein Aroma, entdeckt man ein Fehlaroma, das irgendwie dort nicht hingehört – oder ist alles rund und optimal abgestimmt? Diese Vorgänge können unter „kokumi“ zusammengefasst werden.

Nicht nur Proteinbestandteile, sondern auch verschieden oxidierte Fettsäuren, sogenannte Oxylipine, etwa bei Avocado, Chicorée und anderen fettreichen Gemüsen, sorgen für eine deutliche Mundfülle.

Der gemeinsame Nenner von umami-Geschmack und kokumi-Effekt: Sind zwei oder drei Aminosäuren (hell) noch mit der Glutaminsäure (dunkel) verbunden, wird kokumi-Mundfülle ausgelöst. Freie Glutaminsäure wird dagegen Glutamat genannt – und erzeugt den herzhaften umami-Geschmack.

KOKUMI-FOND

Die Bohnensaucen der asiatischen Küche lassen sich aufgrund ihres Eigengeschmacks nicht immer verwenden. Für eine fast neutrale Kokumikomponente kocht man eingeweichte weiße Bohnen mit Rindfleisch (im Verhältnis 1:1), ohne Salz und Gewürze, lange zusammen in sehr weichem Wasser (möglichst kalkarm), bis alles sehr weich ist. Dies lässt sich nach dem Pürieren durch ein feines Sieb streichen. Die dickliche Paste ist Verdickungsmittel, Geschmacksverstärker und Geschmacksmodulator in einem und hilft ein Gericht abzurunden. Vegetarier ersetzen das Rindfleisch durch Käse. Tipp: Durch den hohen Druck im verschlossenen Dampfdruckkochtopf und die dadurch erhöhte Gartemperatur (je nach Garstufe 109 oder 119 °C) zersetzen sich die Proteine rascher und effektiver. Außerdem bilden sich – im Unterschied zum Schmoren im Ofen – keine Röstaromen, sodass die Kokumiwürze viele Glutamylpeptide bildet, aromatisch aber neutral bleibt.

Der kokumi-Eindruck ist kein Texturmerkmal, sondern – wieder einmal – eine auf bestimmte Molekülklassen zurückzuführende Angelegenheit. Der gemeinsame Nenner aller Gerichte ist die sehr lange Koch- bzw. Reifezeit. Stundenlanges Schmoren von Eintöpfen, langes Ziehenlassen von Fonds, langes Köcheln der Bolognese, langsames Garen von mexikanischen Bohneneintöpfen, hohe Reifegrade von Käse – alles geschieht auch und vor allem, um kokumi zu erzielen. Während der langen Koch- bzw. Reifezeit findet ein Prozess statt, der in der Fachsprache Hydrolyse genannt wird: Die in allen Lebensmitteln vorhandenen Proteine zerfallen langsam in immer kleinere Teile. Es bilden sich sehr kurze Bruchstücke von Proteinen mit zwei oder drei Aminosäuren, die eine Glutaminsäure enthalten, sogenannte Glutamylpeptide. Anders als Geschmacksreize werden sie nicht über Rezeptorproteine wahrgenommen – wie der kokumi-Eindruck sensorisch wahrgenommen wird, ist bisher nicht bekannt. Sie schmecken also selbst nicht, wirken aber als Geschmacksmodulatoren und Stimulatoren und sorgen für Mundfülle und Ausgewogenheit. Insbesondere bei proteinreichem Gemüse wie Trockenbohnen, die ohnehin lang gekocht werden müssen, spielen umami und kokumi eine große Rolle.

GESCHMACK UND VIEL MEHR

Geschmack ist nicht alles. Um die fundamentalen Geschmacksauslöser herum sind sensorische Effekte gebaut: Etwa Kokumi, das durch Glutamylpeptide und Fettoxidationsprodukte ausgelöst wird. Adstringenz wiederum wird über Phenole (nahe Bitter) und komplexe Säuren verursacht. Seit kurzem wird sogar ein „Stärkegeschmack“ diskutiert, der kurzkettige Zucker erfassen könnte.

Einige rohe Gemüse verfügen über natürliche Mundfülle, etwa Tomaten und Zwiebeln, weil sie einen hohen Anteil an Di- und Triglutamylpeptiden besitzen. Mit proteinreichen Gemüsen – vor allem Bohnen – lässt sich der kokumi-Eindruck beim Kochen ausgezeichnet verstärken.

BOHNENSAUCEN – PERFEKTE KOKUMI-SPENDER Bei Gerichten mit kurzen Garzeiten ist kokumi immer ein kleines Problem. Daher ist es immer gut, selbst hergestellte Fonds oder Brühen auf Vorrat zu haben, die aufgrund der langen Kochzeit ausgezeichnete Grundlagen für mundfüllende runde Saucen sind.

Die asiatische Wok-Küche mit den sehr kurzen Garzeiten hilft sich daher mit Saucen auf Bohnenbasis. Schwarze-Bohnen-Paste, Schwarze-Bohnen-Sauce, Rote-Bohnen-Paste oder Gelbe-Bohnen-Sauce sind bei den kurzen Wokierzeiten die besten Garanten für eine breitere Kokumibasis. Wenn diese zur Gesamtwürzung passen, können sie auch zur Verbreiterung verwendet werden.

TRIGEMINUS – EIN UNTERSCHÄTZTER REIZ

Neben Geruchs- und Geschmackssinn gibt es noch eine dritte, fast ebenso wichtige und oft unterschätzte Sinneswahrnehmung. Sie wird oft fälschlicherweise dem „Geschmack“ zugerechnet; sensorisch ist sie jedoch eher dem „Fühlen“ zuzuordnen: die „trigeminale Wahrnehmung“.

Bei den trigeminalen Sinnen handelt es sich um „Irritationen“, die zum einen von der Temperatur ausgelöst werden und die in Extremfällen zu Schmerz führen. So wird ein warmes Gericht als angenehm empfunden, während die heiße Kartoffel oder der Löffel zu heiße Suppe starken Schmerz auslösen. Auf der anderen Seite der Temperaturskala ist es dasselbe: Ein Eis wirkt kühlend, wird es aber zu rasch gegessen oder ist das Eis so kalt, dass die Blutzirkulation keine Wärme mehr in die Zunge nachliefern kann, schlägt die Kühlung rasch in Schmerz um, obwohl noch keine „Frostschäden“ auf der Zunge stattfanden. Detektor dieser Sinnesreize ist der Trigeminusnerv, dessen Verästelungen sich nicht nur durch die Mundhöhle, den Kiefer bis zu den Augen ziehen, sondern über den ganzen Körper. Er übermittelt außer Temperatur auch groben Druck, Schmerz und Jucken. Wahrgenommen werden diese Reize als „heiß“, „kalt“, „ätzend“, beißend“, brennend“, „stechend“, „prickelnd“ und „adstringierend“, d. h. „zusammenziehend“.

Diese Reize können durch Temperaturen ausgelöst, aber auch über Moleküle geschaltet werden. Die Klassiker sind Capsaicin oder Piperine aus Pfeffer: Die wasserunlöslichen und nicht flüchtigen Moleküle verharren auf der Zunge und reizen die Rezeptoren des Trigeminus mit entsprechender Information. Die Reaktion bei „scharf“ (englisch: „hot“) ist identisch wie bei Hitze (englisch: „hot“): Der Körper versucht, durch hohen Speichelfluss und Schweißausbruch einen kühlenden Effekt zu erzeugen. Auch viele Geruchsstoffe verursachen einen mehr oder weniger starken trigeminalen Reiz, wie etwa Rauch (beißend), Essig (stechend), Zwiebel (schmerzend kalt) und Minze (kühlend). Andere wirken „prickelnd“ oder – beim Gemüse ähnlich wichtig wie beim Genuss von Wein, Tee oder Walnüssen – adstringierend. Trigeminale Rezeptorproteine in den Zellmembranen reagieren auf bestimmte Molekülstrukturen und lösen diese Reize aus.

Die Nervenendigungen des Trigeminusnervs finden sich im gesamten Mundraum.

Wie komplex die trigeminale Wahrnehmung wirklich ist, zeigt sich allein an der molekularen Struktur mancher Verursacher. Die zu Tisch beliebten Warm-Kalt-Kontraste zum Beispiel bei einer dekonstruierten Ratatouille aus gegrillten Auberginen, rohen Zwiebeln und Knoblauch, gebratenen Zucchinischeiben, heißen Kirschtomaten und einem Eis aus grünen Gemüsepaprikas werden, selbst wenn kleine Portionen aller Zutaten auf einem Löffel in den Mund genommen werden, aufgrund der Temperaturunterschiede nur noch entfernt an den als „Eintopf“ servierten provençalischen Gemüseklassiker erinnern. Natürlich spielen auch das orale Prozessieren und die Verteilung der Aromen eine große Rolle, aber vor allem ist die unterschiedliche Temperatur entscheidend. Dabei schlägt das kalte Paprikaeis in dieselbe Kerbe wie Zwiebel und Knoblauch, während Pfeffer und die warmen Zutaten zusammenspielen.

Trigeminale Temperaturreize lassen sich geschickt einsetzen – nicht nur beim Warm-Kalt-Kontrast über die „echte“ Temperatur T, sondern über chemische Reize, denn ganz bestimmte Molekülgruppen verursachen Reaktionen derselben Rezeptoren. Bei den klassischen molekular verursachten Trigeminalreizen auf der Zunge, etwa durch Capsaicin (in Chili und Paprika) oder die unterschiedlichen Alkaloide („Piperin“) der Pfeffer, ist die Lage eindeutig: Sie reizen den Rezeptor TRPV1 und führen zu dem Eindruck der erhöhten Temperatur, die beim Capsaicin rasch zum „Hitzeschmerz“ führt. (Die vielen Rezeptoren gemeinsame Abkürzung TRP steht für „transient receptor potential channels“.)

Die Trigeminusempfindung eines Gerichts lässt sich innerhalb eines dreidimensionalen Raumes verorten. Je mittiger der Reiz, desto ausgewogener ist er – je stärker die Tendenz zu einer Ecke hin, desto prägnanter ist diese eine Empfindung.

Das Terpen MENTHOL aus der Minze hingegen wirkt auf zwei Ebenen: Es kühlt erheblich, spricht aber gleichzeitig das Riechsystem an, ebenso wie das Terpen 1,8 CINEOL, das zwar schwächer als MENTHOL kühlt, aber immer noch spürbare Reize auslöst. Diese Moleküle docken an den „Menthol-Kühlrezeptor“ TRPM8 des Trigeminalsystems an. Manche Schwefelstoffe wie das ALLICIN aus Zwiebeln und Lauchgewächsen oder das ZIMTALDEHYD verursachen schmerzhafte Kältereize, ähnlich wie bei sehr kaltem Eis (oder bei so manch unsachgemäß zubereiteten Molekularküchentricks aus dem flüssigen Stickstoff). Verantwortlich dafür ist der Kälterezeptor TRPA1. Auch der Geruchsstoff EUGENOL aus der Nelke, der ebenfalls in Artischocke, Bambussprosse, Blumenkohl, Gemüsepaprika, Haferwurzel, Karotte, Kartoffel, Kerbelrübe, Kichererbsen, Rhabarber, Tomatillo oder Zucchini vorkommt, löst diesen Reiz aus, wenngleich in manchen Gemüsen nur verhalten und unterschwellig. Die verschiedenen Trigeminus-Rezeptoren sind je für unterschiedliche Temperaturbereiche zuständig, wie aus der Abbildung Seite 29 ersichtlich ist.

Der trigeminale Reiz löst ein Wärmegefühl“ aus, das sich in Temperaturgraden beschreiben lässt: So löst Zimt ein „Wärmegrad“ von 10 °C aus, Chili von ca. 50 °C.

Beim Essen, während des oralen Prozessierens (Seite 34), treten trigeminale Reize im Mund und in der Nase auf. Im Mund sind es a) wasserlösliche Verbindungen wie die Gallussäure, die adstringierend wirkt, und b) fettlösliche, aber nicht flüchtige Substanzen, wie die bereits erwähnten Capsaicin oder Piperin. In der Nase wirken – ortho- und retronasal – viele flüchtige Geruchsstoffe wie etwa das bereits erwähnte MENTHOL, die sowohl olfaktorisch aktiv sind als auch gleichzeitig den Nervus Trigeminus reizen. Festgestellt hat man diese Doppelwirkung der Aromastoffe bereits vor 40 Jahren, als in einem medizinischen Versuch bei 15 Patienten mit starken Beeinträchtigungen des Riechvermögens Duftstoffe getestet wurden (siehe Tabelle links). Die höchste Erkennungsrate zeigte MENTHOL, dessen kühlender Effekt klar im Vordergrund steht, selbst wenn das Riechvermögen gar nicht mehr vorhanden ist. Kaum wahrgenommen wurden hingegen PHENYLETHANOL (das sich in Gemüsepaprika, Haferwurzel, Rucola, Tomate findet), GERANIOL oder EUGENOL in geringen Konzentrationen. VANILLIN (in Cardy, Erdmandel, Gemüsepaprika, Gurke, Kochbanane, Rettich, Zucchini) wurde von keinem der Patienten über trigeminale Reize erkannt. Das liegt daran, dass VANILLIN gleichzeitig Reize am Kälte- und am Wärmerezeptor auslöst, die sich gegenseitig aufheben. Es wird somit zum „reinen Riechstoff“.

Riechstoff

Erkennung

Vanillin

0 / 15

Phenylethanol

1 / 15

Eugenol

1 / 15

Geraniol

2 / 15

Limonen

6 / 15

Anethol

8 / 15

Methylsalicylat

9 / 15

Linalool

13 / 15

Menthol

15 / 15

ADSTRINGENZ

Eine Besonderheit unter den trigeminalen Wahrnehmungen ist die Adstringenz. Ein Lebensmittel wirkt adstringierend, wenn es Mund und Zunge „zusammenzieht“, wie man es am ehesten wohl von Rotwein, Tee oder auch Rhabarber kennt. Manchmal wird das adstringierende Gefühl irrtümlicherweise als „bitter“ beschrieben, da sich beide Effekte oft überlagern und viele Gemüse sowohl bitter als auch adstringierend wirken. Betrachtet man die molekularen Vorgänge genauer, wird auch deutlich, warum.

CHEMOSENSORISCHE ADSTRINGENZ Für den Bittergeschmack in Lebensmitteln sind unter anderem nichtflüchtige phenolische Verbindungen verantwortlich. Diese Moleküle bestehen aus einem oder mehreren hydrophoben Phenolringen (Benzolringen), sind aber durch eine hohe Anzahl von OH-Gruppen (und ein größeres Molekulargewicht) wasserlöslich. Sie verbleiben auf der Zunge und lösen auf den Bitterrezeptoren entsprechende Geschmacksreize aus.

Die Empfindung der Adstringenz wird ebenfalls durch Phenole ausgelöst, die jedoch nicht an den Bittergeschmacksrezeptoren andocken, sondern den Trigeminusnerv reizen. Der Unterschied liegt in der Anzahl der benachbarten OH-Gruppen an den Phenolringen: Während für den Bittergeschmack jeweils lediglich zwei (oder vier) OH-Gruppen maßgeblich sind, müssen für die adstringierende Trigeminusstimulation genau drei OH-Gruppen an mindestens einem Benzolring vorhanden sein.

PHYSIKALISCHE ADSTRINGENZ