8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €
Timo hat die Arschkarte gezogen. Seine Exfreundin Lena verbringt ihre Nächte ausgerechnet mit seinem Nachbarn, daran lassen die dünnen Wände keinen Zweifel. Seine Kollegen in der Werbeagentur sind neurotisch bis verrückt, und seine Freunde wissen genau, was das Beste für ihn ist. Aber Timo hat andere Sorgen – er ist auf der Suche nach einer neuen Frau. Gern auch erst mal nur für eine Nacht. Leider bringen ihn weder die Kuppelversuche von seinem Kumpel Nils noch der Auftritt als heißblütiger Lover in einem Werbespot für Fußpilzcreme diesem Ziel näher. Doch als er schon alle Hoffnung aufgegeben hat, wird Timo klar, für wen sein Herz in Wirklichkeit schlägt ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
Für mich
ISBN 987-3-492-96875-1
© Piper Verlag GmbH, München 2014
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
Covergestaltung: Atelier Zero, München
Covermotiv: Finepic®, München
Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.
»Genial! Das lustigste Buch, seit es Männerromane gibt!«
Lars Niedereichholz (Mundstuhl)
Frauen sind wie liebliche Weine – süß, aber sie verursachen Kopfschmerzen. Und dabei ist es völlig wurst, ob wir von billigen Tetra-Pak-Tussis oder edlen Jahrgängen sprechen. Kevin hat mit seiner Mandy genauso viel Stress wie Konrad mit seiner Mathilda. Frauen kosten Ressourcen, und das nicht zu knapp. Als Lena auszog, kam ich mir vor wie ein ausgebeuteter Tagebau, aus dem man höchstens noch einen trostlosen Baggersee machen kann, um sich darin zu ertränken.
Lena ist also weg. Beziehungstechnisch gesehen, sehr weit weg, immerhin ist sie vor einem Jahr und drei Monaten losmarschiert. Physisch betrachtet, hat sie es allerdings nur bis zur Wohnung meines direkten Nachbarn geschafft. Mit dem hat sie mich betrogen. Seitdem ist meine Wohnung vom Liebesnest zur masochistischen Folterkammer verkommen. Nicht nur, dass ich die beiden draußen viel zu oft Arm in Arm sehen muss. Noch schlimmer ist das, was ich drinnen hören muss. Sich jedes Mal einzureden, dass sie bestimmt nur laut aufstöhnt, weil sie sich den großen Zeh am Küchentisch gestoßen hat, funktioniert bloß ganz am Anfang. Irgendwann kann man nicht mehr ignorieren, dass der Küchentisch, das Stoßen und das Stöhnen doch anders zusammenhängen müssen. Richtig, man könnte sagen, meine derzeitige Wohnsituation ist semi- bis suboptimal. Vom »Wohnst du noch, oder lebst du schon?« zum »Lebst du noch, oder hängst du schon?«. Deshalb könnte man auch sagen: Dann zieh endlich aus, Timo! Aber das können die beiden dauergeilen Turteltauben vergessen! Immerhin, ein Brief ist mir geblieben. Den hat Lena unter meiner Wohnungstür hindurchgeschoben, nachdem sie ihre Sachen gepackt hatte und drei Meter weiter gezogen war. Geöffnet hab ich ihn bis heute nicht. Interessiert mich null, was sie noch unbedingt loswerden wollte. Kann sie behalten. Über das Trauerstadium bin ich schon lange hinaus. Prinzipiell zumindest. Nur manchmal lande ich wieder auf dem harten Boden der Singlerealität, springe in meinen Baggersee aus Selbstmitleid und ertränke die noch übrig gebliebenen grauen Zellen mit den bunten Erinnerungen an sie. An uns. Aber ich will nicht jammern. Ich will mich besaufen. Mit irgendeinem Fusel aus diesem auf edel getrimmten Supermarktregal, vor dem ich seit zehn Minuten stehe und auf die Deko starre. Als ob irgendjemand wegen so ein paar künstlicher Weintrauben in der Ecke bereit wäre, mehr für die edlen Tropfen ohne Nuss auszugeben. Für mich spielt Geld heute sowieso keine Rolle. Hauptsache, vergessen. Mit fünf Flaschen schwerem Roten stelle ich mich an Kasse fünf an. Konsequent war ich schon immer.
Ich komme mir unheimlich männlich und dramatisch vor. Ein Mann redet nicht, ein Mann schluckt’s runter. Und das bestimmt nicht mit Milch. Kasse zwei und drei sind zwar auch geöffnet, und die Schlange an der drei ist sogar noch kürzer als an der zwei, aber das strategische Anstellen hab ich schon lange aufgegeben. Ich stehe grundsätzlich da, wo es am längsten dauert, altes Thema. Selbst wenn ich die Schlange im letzten Moment noch wechsle, weil vorn wieder eine EC-Karte streikt, will an der anderen Kasse garantiert einer was umtauschen. Das ist wie damals bei dieser Kindersendung »1, 2 oder 3« mit Michael-Plopp-Schanze. Ich stehe immer genau da, wo das Licht nicht angeht.
Aber was soll’s, so kann’s nicht weitergehen. Ab jetzt lege ich in meinem Leben grundlegend den Schalter um. Das Schicksal kann mich mal. Es hat keinen Sinn, darauf zu hoffen, dass sich mein Leben von allein zum Guten wendet. Freundin verloren, Freiheit gewonnen – wird Zeit, das auch zu nutzen. Mein neues Lebensmotto: Welcher du’s heute kannst besorgen, die vertröste nicht auf morgen. Einem wilden und ungezügelten Singleleben steht nun nichts mehr im Wege. Ich stehe dem endlich nicht mehr im Wege. Ein einsamer Wolf auf der Jagd. Bereit, jede Menge junger Rehe aufzureißen. Vor mir liegt praktisch das Paradies voll tabulosem und hemmungslosem Sex. Es kann quasi überall passieren. Allein auf dem Weg zur U-Bahn kreuzen schon regelmäßig drei bis fünf potenzielle Kandidatinnen mein Revier. Ich müsste mich nur an ihre Fährte heften. Die Jagdsaison ist eröffnet!
Hamburg-Eimsbüttel, U-Bahn Haltestelle Emilienstraße, Punkt neun Uhr. Streng genommen, müsste ich um diese Uhrzeit bereits im Büro aufschlagen. Aber erstens verweigern in meinem Schädel gerade drei Aspirin ihren Dienst, und zweitens zwänge ich mich ja nicht aus purem Vergnügen jeden Morgen in eine versiffte Blechwurst mit Leuten, gegen die ich unter normalen Umständen einen gerichtlichen Mindestabstand von hundert Metern erwirken würde. Ergo zählt das hier für mich schon zur Arbeit, und die beginnt wie jeden Morgen um Punkt neun.
Gestern Abend hing ich um Punkt neun schon längst auf halb sieben. Mit anderen Worten: Ich war lattenstramm. Und weil, neben dem Mittagessen, noch so einiges mehr aus mir rauswollte, hab ich die Sache mit Lena in einem Song verarbeitet und ihn gegen die Wand gegrölt. Gebracht hat das natürlich wenig, von wegen therapeutische Wirkung und so. Aber zumindest fühlte ich mich dabei wieder mal sehr dramatisch. Als ob das irgendjemanden gekümmert hätte. Meine Ex am allerwenigsten. Die hatte bestimmt was ganz anderes im Kopf. Schätzungsweise den Schwanz meines Nachbarn. Was mir durch den Kopf ging, gehörte noch vor Kurzem einem wirklich guten französischen Winzer. Und einem italienischen. Und einem aus der Pfalz. Da es mit diesem vereinten Europa zwischen den Synapsen beim Komponieren etwas hakte, habe ich mir die Melodie ausgeliehen. Welcher Song hätte sich als Vorlage für ein Stück über ein Miststück wie Lena auch besser geeignet als »Leyla«, diese Unplugged-Nummer von Eric Clapton?!
Lena
Mein Bett ist kälter als dein Kühlschrank,
Meine Hose klinisch tot.
Durch meine Wand hör ich: »Oh Gott, Frank!«
Manchmal klingste dumm wie Brot!
Lena, Nachbar-Sex-Blues,
Lena, reicht’s nich’, wenn ihr schmust?!
Lena, Frauen wie du sind leider viel zu rar.
Turnt ihr das halbe Kamasutra?
Hört ihr irgendwann mal auf?
Du kommst wohl gleich, er ist wohl schon da,
Nur ich geh die Wände rauf.
Das Tollste an der Sache ist: Lena und ihr Stecher haben von meinen kreativen Ergüssen nichts mitbekommen. Und das nicht etwa, weil sie sich lautstark anderen Ergüssen hingegeben hätten. Nein. Als ich nur noch lallte, hörte ich, wie ihre Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Sie waren also bisher gar nicht da gewesen. Erschöpft schlief ich auf dem Wohnzimmerfußboden ein. Bekommt man Rotweinflecken eigentlich am besten mit Salz oder mit Zucker raus?
Jedenfalls bin ich jetzt in der U-Bahn noch zu heiser, um mich über irgendetwas zu beschweren. Ich nehme es einfach hin. Im Großen und Ganzen gleicht diese tägliche Tortur meinem Leben: In der Regel kommt es für mich knüppeldick. Egal, welchen Sitzplatz ich mir aussuche – nach spätestens drei Stationen ist es immer der neben der fettesten, keuchendsten, schwitzendsten Frau im Zug. Gern mit einer fetttriefenden Papiertüte vom Zuckerbäcker in der Hand. Zimtschnecke, Streuselkuchen, Croissant – nur das Nötigste eben, um es irgendwie bis zum zweiten Frühstück zu schaffen. Sie selbst gleicht eher einem fleischgewordenen Big Mac – paradoxerweise mit Doppel-Whopper-Kinn. Wie eine dicke, fette Gewitterwolke schiebt sie sich zwischen mich und die blonde Sonne zwei Sitzreihen weiter. Neben der sitze ich natürlich nie! Stattdessen versuche ich verzweifelt, Luft in meine zwischen Fett und Fenster zusammengequetschten Lungenflügel zu ziehen. Der einzige Vorteil dieser beengten Lage: Mein Magen wird ebenfalls zusammengedrückt und damit auf mehr oder minder natürliche Weise geschlossen. So bleibt der Würgereflex angesichts des warmen Specks, der dabei an meine Rippen gepresst wird, ohne Folgen.
Das einzige Highlight dieser Fahrten – neben dem unbeschreiblichen Glücksgefühl beim Aussteigen, noch einmal davongekommen zu sein – ist Berater-Barbie. Zumindest wird sie von den anderen so genannt. Manche erinnert sie sogar an einen Pornostar aus den Neunzigern. Eine Einschätzung, die ich durchaus teile. Der fleischgewordene Traum meiner früh- bis postpubertären Phase. Außerdem finde ich sie unfassbar hübsch! Pamela Anderson mit Stil. Leider ist sie viel zu schüchtern, um mich anzusprechen. Unsere erste Gemeinsamkeit. Berater-Barbie alias Viviane arbeitet bei uns als Senior-Beraterin. Auf dem kurzen Fußweg Richtung Agentur tun wir beide immer so, als hätten wir den anderen gar nicht gesehen. Was natürlich ein sicheres Zeichen dafür ist, dass eine gewisse Spannung in der Luft liegt. Mit kurzen Stromstößen im kribbeligen Amperebereich, wenn sich unsere Blicke aus Versehen doch treffen und wir sofort wieder angestrengt weggucken. Das mit uns wird also bis zum Ende der Paarungszeit nichts.
Egal, schließlich bin ich auf eine andere schon viel länger scharf: Florentine. Florentine Lecque. Ein Name wie ein Versprechen auf Ekstase bis in den roten Bereich. Sie spielt in einer dieser Vorabend-Soaps mit, die nur Leute mit geregeltem Feierabend gucken können. 90-60-90, die jeden in unter drei Millisekunden auf 180 bringen. Bei meinem Job als Werbetexter ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass ich ihr, zum Beispiel auf einem Dreh für einen Spot, irgendwann mal über den Weg laufen werde.
»Die ist doch garantiert dumm wie Brot«, meint mein Lieblingskollege Nils, als ich ihm beim Frühstück in der Agentur zum wiederholten Male von ihr vorschwärme.
»Woher willste das denn wissen? Die hat immerhin Abi und studiert nebenbei noch Kommunikationswissenschaften und Soziologie oder so«, protestiere ich.
»Sag ich doch, dumm wie Brot. Meinetwegen wie Vollkornbrot, wenn sie Soziologie studiert, aber dumm.«
»Auf dem Niveau bin ich nicht bereit, diese Unterhaltung fortzusetzen«, antworte ich affektiert und drehe ab in mein Büro. Zelle wäre das passendere Wort für dieses vergitterte und verdreckte Loch. Der Putz, soweit überhaupt noch vorhanden, bröckelt von den Wänden, Farbe scheint so knapp zu sein wie damals in der Zone, und die Scheiben sind im Laufe der Jahre praktisch zu Milchglas geworden. Ich öffne das Fenster und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Bei uns arbeitet vor zehn sowieso keiner. Frühstücken, Facebooken, Mailen, Kaffeekochen und online wie offline Chatten gehen vor. Mit müdem Kopf kann man sowieso nicht klar denken – kreativ sein schon gar nicht.
Gegen kurz vor zehn trudelt dann auch meine Kollegin Jule ein, mit der ich seit einem Jahr das Büro teile. Wir kommen ziemlich gut miteinander aus. Solange man akzeptiert, dass hier jeder irgendeine Macke mit sich durch die Gegend trägt, läuft’s rund. Mein erster Büronachbar redete nicht mehr als unbedingt nötig und hing so dicht über dem Laptop wie jemand mit minus zehn Dioptrien, aber ohne ausreichend Plus auf dem Konto für eine anständige Brille. Seine Nachfolgerin telefonierte so oft mit ihrem »Chéri«, dass ich über deren Beziehung besser informiert gewesen sein dürfte als ihre beste Freundin.
Mein aktuelles Gegenüber dagegen ist liebenswert überspannt. Von ihr höre ich jeden Tag mindestens einmal etwas wie:
»Du, äh, kannst du das vielleicht übernehmen? Ich bin heut so whoohooo in meinem Kopf, da kann ich mich grad unmöglich drauf konzentrieren.«
Dank meiner tiefenentspannten Grundhaltung bin ich bislang mit allen wunderbar klargekommen. Wahrscheinlich bin auch ich so ein gestörter Kreativer, aber man selbst merkt das ja nicht. Zum Glück. »Sag mal, wann müssen die Sachen für Dr. Scheiß eigentlich raus?« Dr. Scheiler, Medikamente und Drogen aller Art, ist einer unserer größten Kunden. Bringt keinen Spaß, aber viel Geld. Zumindest meinen Chefs.
Fragend linse ich über meinen iMac. Apple ist in einer hippen Werbeagentur selbstverständlich Pflicht. Jede andere Marke wäre für 95 Prozent der Individualisten hier ein fristloser Kündigungsgrund. Microsoft ist unter ihrer Würde.
»Morgen um neun haben wir dazu die letzte Abstimmung«, entnehme ich ihrem mit Marmeladenbrötchen und Cola light gemixten Gemurmel. Mit diesem zucker- und geschmacksbefreiten Abwaschwasser fängt sie schon morgens vor der ersten Zigarette an. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie gar nicht erst aufhört und sich rund um die Uhr damit betankt. Na ja, was Karl Lagerfeld am Laufen hält, sollte bei ihr auch funktionieren.
»Kinder, wir haben Stress!« Christian, unser Creative Director, in Fachkreisen auch CD genannt, stürmt in unser Büro. Wie immer wirkt er etwas gehetzt. Manche sollten den Kaffee als Wachmacher besser weglassen, die sind für meinen Geschmack schon wach genug. Könnte aber auch vom Koks kommen, wer weiß. Es sollen ja noch vereinzelte 80er-Jahre-Klischees frei rumlaufen. Er jedenfalls läuft immer auf höchster Drehzahl, auch wenn er mal wieder keinen Gang eingelegt hat und nicht vorankommt.
»Der Funki für Dr. Scheiß muss übermorgen aufn Sender, und wir ham noch nix! Noch gar nix!! Ham wir total verpennt.« Wir? Wohl eher die Beratung. Aber egal, ausbaden muss es immer die Kreation. Ob Headlines, Copys oder Funkis – sind ja schnell geschrieben, glauben zu viele zu gern. Die weit aufgerissenen Augen lassen keinen Zweifel an seinem aktuellen Paniklevel. Jule fährt sich gestresst durchs Haar. Mir ist klar, was jetzt kommt.
»Kannst du das übernehmen, Timo? Ich hab im Augenblick so viel aufm Tisch, da muss ich mich erst sortieren.«
»Logisch.«
»Super, Leute, dann schreibt fix was runter. Wir stimmen das auf Zuruf ab, und dann geht’s ins Studio.« Und schon ist er wieder weg.
Ich werfe einen Blick auf das Briefing. »Oah, nee, für Fußpilzsalbe? Im Radio?«
Jule fällt vor lauter Grinsen fast der letzte Marmeladenbissen aus dem Kauwerk. »Na, das ist doch endlich wieder was für deine Mappe. ’ne echte Chance für dich als Junior.«
»Ja, du mich auch! Wenn ich mich damit irgendwo bewerbe, laden die mich höchstens zum Gespräch ein, um zu sehen, über wen sie da die ganze Zeit lachen. Und auf der Weihnachtsfeier erzählen sie sich dann: Ey, weißt du noch, der mit dem Fußpilzspot? Zu geil, oder?«
Ich brauche erst mal frisches Wasser aus unserem Bazillenspender. Das Hirn muss schwimmen, um Höchstleistung bringen zu können. Trotzdem hocke ich mit leerem Kopf über dem weißen Blatt Papier und denke an Füße. Aus dem Augenwinkel sehe ich was Blondes ins Büro zwei Milchglasscheiben weiter huschen. Scheiße, ich hab Berater-Barbie um ein paar Sekunden am Wasserspender verpasst. Gut, steh sowieso noch mehr auf die aus der Soap, aber ein netter Anblick ist es trotzdem jedes Mal.
Zurück zum Fußpilz. Wie immer mache ich mir zuerst eine Stichwortliste, klassisches Brainstorming. Ideen gehören aufgeschrieben, sonst wird daraus nichts. Gedankenketten bilden sich bei mir nicht im Kopf, die muss ich sehen. Und am Ende bin ich immer überrascht, über welche Stichpunkte ich letztlich auf die entscheidende Idee gekommen bin. Also: Füße, Zehen, großer Onkel, Küchentisch, Lena – falsche Richtung. Noch mal von vorn: Ferse, Haut, Hornhaut, Hühnerei, Überbein, Achillesferse. Achillesferse, das könnte was sein, hat zumindest eine doppelte Bedeutung.
»Die Achillesferse für jeden Fuß? Fußpilz!« oder so ähnlich. Nee, zu fußlahm. Weiter: Schuhe, Strümpfe, Socken. Das ist es! Aus Socken lässt sich was zaubern.
Der Funkspot: One-Night-Stand
(Soundeffekt: Schlafzimmer-Musik)
Sie: »Nimm mich!«
Er: »Komm her!«
(Soundeffekt: Geknutsche, Stöhnen)
Sie: »Sag mal, willst du deine Socken etwa anbehalten?«
Er: »Äääähhhhhmmmm …«
Off-Sprecher: »Fußpilz? Kein Problem, mit Pilzo forte von Dr. Scheiler – dem besten Rezept für den empfindlichen Fuß. Dr. Scheiler – ohne Fußpilz ist das Leben geiler.)
Zu den riesigen Nebenwirkungen blablabla …«
Mit stolzgeschwellter Brust renne ich sofort ins Büro von meinem CD.
»Boah, ist das schlecht! Ist mir übel! Genau das Richtige, super! Timo, auf dich ist Verlass. Casten, aufnehmen, und weg mit dem Dreck!«
»Wie? Muss das vorher nicht noch mit dem Kunden abgestimmt werden?« Es scheint wirklich extrem eilig zu sein.
»Nee, Dr. Scheiler persönlich lässt uns völlig freie Hand, weil’s so eilt. Er hat da vollstes Vertrauen. Zu Recht, wie ich finde«, grinst er und widmet sich wieder seinem Facebook-Account.
Zufrieden gehe ich zurück in mein Büro und überlege: Ob ich noch einen Jingle dazu schreibe? Eigentlich gibt es die heute ja nur noch von Provinzhändlern, die werbetechnisch sowieso zwanzig Jahre hinterherhinken. So gesehen, würde es gut zu Dr. Scheiler passen. Wer jedenfalls ein Wort wie »Musterhausküchenfachgeschäft« von einer ewig hoffnungsvollen Nachwuchssängerin trällern lässt, muss schon ziemlich gar sein im Kopf. Zum Glück wird man mit schlechten Jingles meist nur im Radio belästigt. Die im Fernsehen hingegen liebe ich. Kult! »Waschmaschinen leben länger mit Calgon!«, ist so ein Klassiker. Und es wirkt. Warum und vor allem wie sollte man sich das sonst merken?
Oder der hier: »Mein Enkelsohn, der Fred, der ist so gerne Steak, drum brat ich ihm mal eins, mal zwei …« Weiter weiß ich nicht. Hat mir aber in der Schule zusammen mit meiner Sitznachbarin über eine ganze Deutschstunde hinweggeholfen, indem wir ihn immer wieder angestimmt haben. Aber weil ich mich nicht mehr an die Marke erinnern kann, würde ich sagen: jingletechnisch ein Hit, markentechnisch ein Flop.
Der hier hingegen hat auf ganzer Linie funktioniert: »Kaum steh ich hier und singe, kommen sie von nah und fern und fangen an zu knabbern, sie ham halt Ültje gern. Sie singen, und sie tanzen, sie lachen, und sie schreien und wollen noch mehr Ültje, die leckren Knabberein. Komm auch du, greif zu, komm auch du, greif zu!« Den Mann mit Fliege und Bauchladen sehe ich bis heute vor mir. Nie gegessen das Zeug, aber hübscher Song.
Langnese, McDonald’s und Coca-Cola spielen natürlich in einer eigenen Liga. Ich krieg sofort Gänsehaut, wenn ich an den Typen denke, der sein kaputtes Motorrad die Schnellstraße entlangschiebt und dann bei McDonald’s ankommt, untermalt von: »Stell dir mal vor, da gibt’s einen Platz, du weißt schon wo, da schenkt man dir ein Lächeln und so: Einfach gut, McDooonald’s ist einfach gut, nanananana na na na, alles klar für den Tag, McDonald’s ist einfach gut.« Ich liebe es! Nur konnte ich mir nie den ganzen Text merken. Außer beim Milka-Spot mit dem Alm-Öhi und »It’s cool man«. Den konnte ich schon nach dem dritten Mal auswendig. War zwar kein Jingle, aber in meiner Klasse trotzdem ein Hit. Und kurze Zeit später wurde das sogar zu einem Eurodance-Song verwurstet, insofern war es weit mehr als nur ein Jingle. Angesichts des knappen Timings wird die Welt auf einen Fußpilz-Hit aber wohl verzichten müssen.
Nach einer Stunde habe ich mir aus den Casting-Vorschlägen vom Tonmeister einen Sprecher und eine Sprecherin ausgesucht. Vier weitere Stunden später sitze ich bereits im Studio. Definitiv eine der angenehmsten Seiten meines Jobs. Man kommt mal raus, fühlt sich hinter den Reglern ein bisschen wie P. Diddy, nur ohne Kohle, und kriegt auch noch leckere Teilchen serviert. Marzipan-Rosinen-Schnecken, Schokocroissants, kleine Amerikaner – Kalorienbombenangriff. Kollateralschaden: Das Sixpack muss sterben. Okay, müsste sterben, wenn ich denn eins hätte.
»Hi, ich bin Timo. Ich hab das Ding geschrieben. Sorry dafür im Voraus. Einfach an die Kohle denken«, begrüße ich das Sprecherpärchen. Gute Laune verbreiten ist immer wichtig bei sensiblen Schauspielerseelchen, die eigentlich alle für den Hamlet geboren wurden. Oder für die Julia.
»Für dreihundert Euro nehm ich’s dir nicht übel«, lacht Berthold, der männliche Part meines gleich in wilde Ekstase verfallenden Liebespärchens. Was muss der für eine schlimme Kindheit gehabt haben, bei dem Namen? Mit Schulhofsprüchen wie: »Bert, wo haste denn Ernie gelassen?« Wahrscheinlich konnte er damit überhaupt nichts anfangen, weil Eltern von einem Berthold grundsätzlich den Fernseher aus ihrem Bildungsbürgerhaushalt verbannen. Läuft doch nur Schund, der an allem schuld ist – von Gewalt bis Gehirnwäsche. Und so konnte Berthold bestimmt auch nicht bei fachkundigen Grundschulrezensionen über die letzte Folge »Knight Rider« mitreden. Arme Sau.
Die Sprecherin heißt tatsächlich Julia. Mit dem Schokocroissant in den Backen kann sie zwar im Moment nichts sagen, nickt aber zustimmend. Zu was eigentlich? Hab meinen dummen Spruch von eben schon wieder vergessen.
»Gut, also, ihr spielt gleich ein Liebespaar, das wild übereinander herfällt. Nur bei ihm wuchert der Pilz zwischen den Zehen, und deshalb will er die Socken lieber anbehalten. Lohnt sich ja eh nicht, die Dinger für die zwei Minuten auszuziehen«, beginne ich mit meinen Regieanweisungen. Ich denke, Spielberg macht es ähnlich. Brüder im Geiste.
»Vielleicht bringt er’s ja länger als du«, grinst Julia, die ihr Schokocroissant mittlerweile durch eine Marzipanschnecke ersetzt hat.
»Das ist mir vorher noch nie passiert, das hab ich dir doch gestern Nacht gesagt«, versuche ich zu kontern.
»Das hättest du wohl gern«, stupst sie mich in die Seite.
Bill, der Tonmeister (Typ angehender Weltrockstar, den die idiotischen Plattenmulti-Ignoranten bisher übersehen haben, mit Dreadlocks und abgefahrenem Shirt), begleitet mein Traumpaar ins Aufnahmestudio und pegelt die Mikros ein. Seit Tokio Hotel wird das bei dem Vornamen Bill eh nichts mehr mit dem coolen Rockstarimage.
Wieder zurück, schaltet er das Mischpult ein und schaut mich an: »Gut, von mir aus kann’s losgehn.«
Lässig hebe ich die Hand: »Okay, dann, Ton läuft, One-Night-Stand, die Erste – und bitte.«
Julias Takes klappen sofort. Nur Berthold kämpft etwas mit der Leidenschaft. Nach dem dritten Versuch breche ich ab: »Berti, geht das ›Komm her‹ noch etwas geiler? Das klingt noch ein bisschen wie so ’n Lehrer, der einen Schüler tadelt, und weniger nach Ekstase. Also, weniger Lehrer, mehr Lude.«
Berthold gibt alles. Und schafft es im elften Versuch. Zufrieden lehne ich mich zurück. »Wahnsinn! Ich weiß nicht, wie’s euch geht, aber ich würde das Zeug sofort kaufen. Dann brauchen wir jetzt nur noch das Off, und dann ab damit.«
Zurück in der Agentur, klingelt mein Telefon, am anderen Ende ist Nils:
»Hey, Timo, wird Zeit, dass du mal wieder unter Leute kommst. Eine Bekannte hat Besuch von ihrer Freundin aus Zürich, und wir wollen heute Abend an der Alster noch was trinken gehen. Und du bist dabei!«
»Ach was, bin ich das? Wie sieht die denn aus?«
»Welche von beiden?«
»Egal, die, die du mir übrig lässt.«
»Franzi? ’ne glatte Zehn!«
»Ja sicher. Gehen wir zusammen hin?«
»Nee, ich muss die beiden vorher noch abholen. Würde vorschlagen, wir treffen uns am Alsterpavillon, so gegen acht, und dann gucken wir mal.«
»Läuft.«
»Super. Ich muss Schluss machen, hab ’nen Kunden auf der anderen Leitung. Bis acht.«
Eine glatte Zehn aus Zürich. In Wirklichkeit also eine Sieben bis Acht, die in ihrem Schwyzerdütsch überall ein »li« ranhängt. Egal, Hauptsache, ich hab keine Zeit, an Lena zu denken.
Lena war perfekt. Bis sie mich mit Frank beschissen hat. Das war eher suboptimal. Trotzdem hatten wir bis dahin eine tolle Zeit. Mit ihr hat sogar das gemeinsame Kochen Spaß gemacht. Eigentlich kann ich das nicht leiden. Es sei denn, ich bin dafür zuständig, schon mal den Wein aufzumachen. Aber mit ihr in der Küche zu stehen und zu kochen machte aus unserer Wohnung ein Zuhause.
Mittlerweile kann ich über den Spruch »Liebe geht durch den Magen« nur noch lachen. Denn was wird aus Essen, sobald es den mit Liebe überfüllten Magen verlässt? Richtig: Scheiße! Am Ende geht alles den Abfluss runter.
Lena war anders. Selbst wenn wir ausgingen, schwammen wir essenstechnisch auf einer Gourmetwelle. Sie hätte niemals diese typischen Frauengerichte bestellt: Flammkuchen, Ofenkartoffel oder Falafel. Sinnloses Essen in meinen Augen. Und über diese ganze Panikmache beim Essen konnten wir beide nur lachen. Von wegen kein Süßstoff (mit tödlicher Sicherheit der direkte Weg zum Krebs!), aber auch kein Industriezucker (noch mehr Krebs!), keine Bratkartoffeln (sofort Krebs!), erst recht keine Chips (ist quasi Krebs mit drin!), keine Geschmacksverstärker (Glutamat: überall Krebs!), Vitamin D, bevor der Arzt kommt (hilft gegen alles – den Vitaminspeicher aber besser mit Tabletten statt mit Sonnenlicht auffüllen, sonst drohen eine UV-Überdosis und, richtig: Krebs!), niemals Spinat oder Pilze wieder aufwärmen (Tod!), und generell nur noch Bio (aber auch nicht von jedem Bauern, wegen der Pestizide – quasi ein Synonym für Krebs). Hab ich irgendwas vergessen? Transfette! Also Vorsicht vor Margarine – man ahnt, warum.
Jetzt also die Sieben bis Acht aus Zürich. Mit der will ich zwar nichts kochen, aber heißmachen darf sie mich schon.
»Na, pünktlich wie immer?«
Nils kommt mir mit den zwei Mädels im Arm entgegen. Die Brünette würde ich tatsächlich als glatte Zehn bezeichnen. Die Blondine als Elf.
Er deutet erst auf die Brünette: »Das ist Christina.« Und dann auf die Blonde: »Und das ist Franzi, aus Zürich.«
Es gibt einen Gott! Und er steht endlich mal auf meiner Seite – und offensichtlich genauso auf Blondinen wie ich, wenn er so was gebaut hat. Aus Angst, dass mir der Sabber die Mundwinkel flutet, nicke ich bloß und gebe beiden einen Hauch zu förmlich die Hand.
»Wo wollen wir hin?«, fragt Nils locker in die Runde. Eigentlich wäre er viel besser für meinen angestrebten Lebensstil als Womanizer geeignet als ich.
»Wie wäre es mit der Alster-Bar?«, schlägt die Brünette vor. Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen. Überhaupt kann ich mir Namen erst nach mindestens fünfmaligem Gebrauch merken. Blöd nur, dass man nicht viermal nachfragen kann, wie der werte Name war. Also muss ich bei Gesprächen immer genau hinhören, in der Hoffnung, dass der Name noch einmal fällt. Oder besser vier Mal.
»Alster-Bar?«, fragt Nils in meine Richtung.
»Hm? Mhm«, nicke ich. Wenn ich die blonde Heidi, äh Franzi heute auf Betriebstemperatur bringen will, muss ich eloquenter werden, so viel ist sicher. Aber der Abend ist ja noch jung.
In der Alster-Bar findet Nils wie immer den besten Platz. Für so was ist er eine absolut sichere Bank. Mit ihm bekommt man grundsätzlich den Tisch mit der begehrtesten Aussicht. Wenn ich ohne ihn irgendwo hingehe, kriege ich meistens den Platz neben dem Eingang oder dem Klo.
»Timo arbeitet auch in der Werbung, als Kreativer«, versucht er mir den Ball zuzuspielen.
»Echt? Und was für Werbung machst du so?«, fragt Franzi interessiert. Werbung hat doch immer noch was Glitzerndes und kommt für Normalsterbliche gefühlt kurz vor Hollywood. Wenn ich jetzt sage, für Fußpilzsalbe von Dr. Scheiler, kann ich meine Socken heute Nacht wohl mit Sicherheit anbehalten.
»Äh, zum Beispiel für große Unternehmen aus der Pharmabranche. Anzeigen, Plakate, Radio, TV – die komplette Palette.«
»Echt? Cool! Trifft man dabei auch ’n paar Promis?«, will Franzi-Heidi wissen.
»Ja, klar, beim Dreh oder im Tonstudio bleibt das nicht aus«, sage ich so lässig, dass ich’s mir fast selber glaube. Tonstudio allein klingt schon nach Platin, Schampus und ganz oben. Und C- bis F-Promis sind auch Promis.
Der Abend wird richtig nett. Der beste, seitdem Lena bei mir rausgeflogen ist und sich lieber nebenan vögeln lässt. Für Momente wie diese lohnt es sich zu leben: süßlich duftende Sommerabende mit schönen Frauen in schicken Bars. Mittlerweile habe ich verbal zu alter Stärke zurückgefunden und flirte aufs Heftigste mit Franzi. Zum Glück sind Frauen lockerer, sobald sie in einer fremden Stadt fernab von Freunden und Bekannten sind. Man muss sie eben von der Herde trennen. Sonst befürchten sie ständig, dass schlecht über sie geredet werden könnte, nur weil sie mit einem fremden Typen die Bar verlassen. So wie Franzi hoffentlich nachher mit mir.
»Und, was machst du?«, frage ich meinen ersten potenziellen Abschuss der laufenden Jagdsaison.
»Ich studiere. Amerikanistik.«
»Aha, und warum?«
»Weiß ich auch nicht genau.«
»Sollte man nicht besser was studieren, wo am Ende auch ’n Beruf bei rauskommt?«
»Wahrscheinlich schon.« Lässig ist sie, da kann man nicht meckern. Meinen Charme versteht nicht jede Frau. Streng genommen, recht wenige. Zu wenige.
Als nach ein paar verplauderten Stunden langsam Aufbruchsstimmung aufkommt, verabschiede ich mich schnell auf die Toilette. Die Chili-Burger von heute Mittag fordern ihren Tribut. An Sex wäre da nicht zu denken. Vorher muss ich den Druck an der gegenüberliegenden Seite abbauen. In solchen Situationen ist man auf einer öffentlichen Toilette besser aufgehoben als zu Hause, wo sie, nur durch eine viel zu dünne Rigipswand getrennt, akustisch live dabei wäre. Warum man bis heute keine schalldichten Klos baut, ist mir ein Rätsel. Ich versuche, den Sound von zwei Chili-Burgern auf ihrem Weg in die Freiheit mit simultanem Spülen und Husten zu übertönen. Klappt nur bedingt. Mit falschem Stolz darf man auf öffentlichen WCs sowieso nicht an die Sache rangehen. Die anwesenden Zeugen sieht man eh nicht wieder, also was soll’s. Und da ich mich beeilen muss, damit es wenigstens ansatzweise so aussieht, als ob ich nur pinkeln war, fehlt mir für behutsames Ventilöffnen die Zeit. Schleusen auf, und raus damit, fertig. Die zeitliche Ausdehnung überspielt man hinterher, falls nötig, am besten mit dem Spruch: »Ey, nur eine Toilette, und dann der Typ vor mir – fragt lieber nicht.«
Nach geschätzten drei Minuten komme ich zurück an den Tisch. Neuer Rekord. Die Blicke der beiden Typen am Tresen, die eben noch am Urinal standen und mir jetzt kopfschüttelnd hinterhergucken, versuche ich zu ignorieren. Wollte diesen Laden sowieso nie wieder betreten. Langsam werden die Läden knapp. Wir genehmigen uns dann doch noch eine letzte Runde Cocktails. Normalerweise kann ich dieses ganze Kokos-Sahne-Schirmchen-Zeug mit den ach so originellen Namen wie »Blowjob« (hihi), »Sex on the Beach« (hohoho) oder »Orgasmus« (ganz schön versaut!) nicht leiden. Die meisten zahlen jedoch für diesen Irrsinnsspaß bei der Bestellung anscheinend gern ein paar Euro zu viel. Außerdem will ich nichts in den Mund nehmen, das wortwörtlich bis frei übersetzt »Schwanzschwanz« heißt! »Cock« und »Tail« – sollte man mal drüber nachdenken. Ich bleibe beim »Tequila Sunrise«, der meiner Meinung nach kein Cocktail, sondern ein Longdrink ist. Auch wenn ich es einmal ertragen musste, dass das Licht in der Bar gedimmt wurde und der Kellner mit meinem Longdrink samt sprühender Wunderkerze um die Ecke scharwenzelte. Als ob nicht schon der halbe Obstsalat am überzuckerten Glasrand zu viel gewesen wäre. Mit Bier kann einem so was nicht passieren.
Eine knappe Stunde später verlassen wir die Bar. Diese eine Stunde war jedoch sehr produktiv, was meine Annäherungsversuche an Franzi angeht. Ihre Hand auf meinem Oberschenkel bedarf keiner weiteren Fragen.
»Ich bring Christina noch nach Hause«, sagt Nils, als wir etwas unschlüssig vor der Bar stehen. »Kannst du Franzi zu ihrem Hotel bringen, Timo?« Klar kann ich. Nils verschwindet mit der Brünetten im Arm in der Nacht.
»Wo ist denn dein Hotel?«, frage ich Franzi etwas nervös.
»Wo ist deine Wohnung?«, fragt Franzi.
Wir befummeln uns schon im Treppenhaus. Wenn ich mich nicht beherrsche, ist die erste Runde bis zum vierten Stock bereits vorbei. Plötzlich befällt mich leichte Panik. Was ist, wenn ich gleich versage? Schließlich ist das mein erster One-Night-Stand. Hier muss ich Leistung zeigen, schließlich kann ich eine vorübergehende Formschwäche nicht in der nächsten Nacht wettmachen. Was, wenn ich keinen hochkriege oder sie ihn zu schnell wieder runterholt? Zum Glück werden wir es mit Kondom machen. Das verlängert den Akt noch mal um gefühlte dreißig bis sechzig Sekunden, was in ganz schlimmen Fällen ja eine glatte Verdoppelung bedeuten kann. Das Raufziehen fühlt sich zwar an wie das Anziehen einer viel zu engen nasskalten Badehose, aber dafür wird die ganze Sache dadurch eben länger. Ein Hoch auf den Blutstau und Gummis mit Betäubungsmittel.
Wir stolpern in meine Wohnung und fallen in betrunkener Hemmungslosigkeit übereinander her. Kurz bevor ich meine Socken ausziehen will (kein Fußpilz, dank Dr. Scheiß!), flüstert sie:
»Hast du Gummis?«
NEIN! Habe ich nicht! Ich dachte, so was haben Frauen immer dabei. Das letzte Mal hab ich welche gebraucht, als ich frisch mit Lena zusammen war. Deswegen wollte ich in der Bar noch welche ziehen, das hätte mir aber die Rekordzeit auf der Toilette verhagelt. Wieso, Gott, wieso?
»Nee, du?«, frage ich etwas zu verzweifelt zurück.
»Nee, auch nicht. Fuck!«
»Tja, wohl eher nicht, wenn wir keins finden.« In meinem Hirn paart sich Verzweiflung mit Panik. Die akute Blutunterversorgung in meinem Kopf macht klares Denken kaum noch möglich.
»Moment, unten an der Straßenecke steht ein Kondomautomat!« Zum Glück ist der Teil meines Hirns mit dem Langzeitgedächtnis noch ausreichend durchblutet.
»An der Straßenecke?«
»Ja, ist mir neulich erst aufgefallen. Dachte immer, das wäre ein Zigarettenautomat, bis ich mich gefragt hab, warum der rosa ist. Bin gleich wieder da. Nicht weglaufen!«
Hastig springe ich in meine Jeans, klemme mir dabei fast die Weichteile im Reißverschluss ein, weil die Boxershorts auf die Schnelle nicht auffindbar sind, werfe mir die erstbeste Jacke über und stürze ins Treppenhaus. Wenn mich jetzt einer meiner Nachbarn sieht, wie ich mit ausgebeulter Hose und nacktem Oberkörper, aber dicker Winterjacke im Spätsommer zum Kondomautomaten hechte – egal. Blind vor Geilheit renne ich quer über die Wiese vorm Haus. Gewagt, angesichts der gleichmäßig verteilten Hunde-Tretminen. Reines Glücksspiel. Aber um solche Kleinigkeiten kann ich mich jetzt nicht kümmern. Wild kackende Hunde sind mir momentan scheißegal.
Der Automat klemmt. Natürlich. Da denke ich einmal, Gott steht auf meiner Seite, und dann hat er mich doch verarscht. Von Leidenschaft getrieben und Verzweiflung gezeichnet, prügle ich auf den Automaten ein. »Du verdammtes rosa Tucken-Teil, das kannst du mir nicht antun!« Als ob Anschreien bei einem Automaten mehr bringt als bei einem defekten Computer.
»Brauchen Sie Hilfe, junger Mann?«
»Nee, ich brauch ’n Gummi.« Ich drehe mich um und schaue in zwei grinsende Polizistengesichter.
»Tja, sieht ganz so aus«, lacht der dickere von beiden mit Blick auf meine immer noch deutlich ausgebeulte Hose.
»Könnten Sie mir dann vielleicht behilflich sein? Zum Beispiel freund-und-helfer-mäßig dieses Ding hier aufschießen oder so. Schließlich hat der meine drei Euro geschluckt. Das fällt eindeutig unter Veruntreuung von Kundengeldern!«
Sein dünnerer Kollege guckt mich mit großen Augen an: »Aufschießen??? Hermann, hast du das gehört?«
Der dicke Hermann schüttelt sich vor Lachen. »Na, ist doch verständlich, Klaus, wenn man zum Schuss kommen möchte.«
Die können mich mal! Wütend drehe ich mich um, gehe einen Schritt zurück und trete mit voller Wucht und lautem Gebrüll gegen den Automaten. Ein letzter Akt der Verzweiflung.
»Hey, es ist mitten in der Nacht. Was Sie da machen, ist Ruhestörung und Sachbeschädigung!«, ermahnt mich Klaus und packt mich an der Schulter. Auch Hermann ist das Lachen schlagartig vergangen. Geht doch.
»Wenn Sie sich nicht beruhigen, müssen wir Sie mit auf die Wache nehmen«, warnt mich der Dicke.
»Ich will auf die Heidi und sonst nix!«, rufe ich. Nur mühsam kann ich die Tränen, die mir vor Wut die Augen fluten wollen, zurückhalten. »Und wenn ich hier mit auf die Wache fahre, dann bestimmt nur, um Anzeige gegen diesen betrügerischen Automatenaufsteller zu erstatten!« Was interessiert mich denn, ob jemand im Umkreis von drei Straßen schlafen will. Ich will ja auch mit der unfassbar heißen Schweizerin in meinem Bett schlafen und kann nicht. Ausgleichende Gerechtigkeit.
»Müssen wir Ihnen Handschellen anlegen, oder beruhigen Sie sich von alleine?«
»Handschellen lasse ich mir heute Nacht höchstens von Heidi anlegen«, brumme ich.