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Urano ist ein echter Bücherwurm und hat ihren absoluten Traumjob gefunden: Bibliothekarin an einer Universität. Doch bevor sie die Stelle antreten kann, stirbt sie und wird als Tochter eines Soldaten in einer Welt wiedergeboren, in der die meisten Menschen nicht lesen können und Bücher Mangelware sind. Für Urano ein echtes Worst-Case-Szenario, denn was macht ein Bücherwurm ohne Bücher? Richtig: sie macht sie selbst. Und damit sie wieder von Büchern umgeben sein kann, muss Urano sie wohl oder übel selbst herstellen …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 400
Cover
Farbseiten
Karte von Ehrenfest
Prolog
Ein neues Leben
Erkundung zu Hause
Erkundung auf der Straße
Bücher kaufen? Unmöglich!
Verbesserung des Lebensstandards
Die Nachbarsjungen
Papier kaufen? Unmöglich!
Mein wachsender Respekt vor der ägyptischen Zivilisation
Wintervorbereitungen
Schiefertafel gesichert
Meine Niederlage gegen die alten Ägypter
Die Süße des Winters
Aushilfe bei Otto
Tuulis Haarschmuck
Nehmt mich mit in den Wald
Ein Hoch auf die mesopotamische Zivilisation
Die misslungenen Tontafeln
Tuulis Taufe
Ein Hoch auf die Zivilisation am Gelben Fluss
Ich will Tinte
Das Kochen – ein harter Kampf
Mokkan und das seltsame Fieber
Der Weg zum Treffen
Das Treffen mit dem Kaufmann
Epilog
Der Alltag ohne Myne
Der gleiche Alltag wie immer
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Urano Motosu liebte Bücher. Psychologie, Religion, Geschichte, Geographie, Pädagogik, Folkloristik, Mathematik, Physik, Geowissenschaften, Chemie, Biologie, Kunst, Sport, Sprachen, Erzählungen ... Sie liebte Bücher, die mit sämtlichem Wissen der Menschheit gefüllt waren, über alles.
Wenn man ein Buch las, in dem vielseitiges Wissen gebündelt war, hatte man das Gefühl, viel mitnehmen zu können. Außerdem konnte man seinen Horizont erweitern und sich darin vertiefen, indem man die Welt, die man noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte, in Bildbänden aus Buchhandlungen oder Bibliotheken entdeckte.
Bei historischen Erzählungen aus fernen Ländern konnte man einen Einblick in die Bräuche anderer Zeiten und anderer Länder gewinnen, und was sie interessant machte, denn hinter jedem Fachgebiet steckte eine lange Geschichte. Wann immer man sich auf diese konzentrierte, verging die Zeit wie im Flug.
Urano faszinierte der für alte Bücher typische modrige, staubige Geruch im Bibliotheksmagazin, in dem antiquarische Bücher gesammelt wurden. Immer wenn sie die Bibliothek besuchte, begab sie sich dorthin. Jedes Mal, wenn sie im Magazin die abgestanden riechende Luft in Ruhe tief einatmete und die in die Jahre gekommenen Bücher betrachtete, war sie begeistert und glücklich.
Natürlich konnte sie auch vom Duft der Tinte auf neuem Papier nicht genug bekommen. Was dort wohl stand? Ob neues Wissen auf sie wartete? Allein das Nachdenken darüber bereitete ihr Freude.
Noch wichtiger war: Urano kam nicht zur Ruhe, wenn ihr Blick keine Schriftzeichen verfolgte. Egal, ob in der Badewanne oder beim Gang zur Toilette; um am Leben zu bleiben, konnte sie die Bücher nicht loslassen.
Von der Kindheit bis heute, wo sie kurz vor dem Universitätsabschluss stand, nannten Urano alle Menschen aus ihrem Umfeld, die ihren Lebensstil kannten, eine seltsame Leseratte. Sie sagten, dass Urano so sehr von Büchern besessen war, dass ihre Leselust ihren Alltag beeinträchtigte.
Urano machte sich jedoch nichts aus dem Gerede anderer. Solange sie Bücher hatte, war sie glücklich.
Während sich der Geruch der Abgase in der Luft verbreitete, fuhr ein großer Lastwagen vor Uranos Augen davon. Der lauwarme Wind, den der Wagen hinterlassen hatte, brachte ihren Pony in Schwung. Ihre verwuschelten Haare kümmerten Urano wenig. Dass sich die Seiten ihres Buches kräuselten, ließ sie aber nicht kalt. Eilig drückte sie die Seiten hinunter.
„Urano, das ist gefährlich. Komm näher zu mir.“
„Hm ...“
Während sie die Zeichen in ihrem Blickfeld weiterverfolgte, schob Urano ihre Brille nach oben und antwortete, ohne zuzuhören. Anschließend bemerkte sie, dass ihre Haare durcheinander und ihr beim Lesen im Weg waren, und brachte sie mit den Fingern in Ordnung.
Ratlos stieß Shu einen Seufzer aus. Nachdem Shu Uranos Arm mit Gewalt wegzerrte, runzelte sie die Stirn.
„Shu-chan, du tust mir weh!“
„Jetzt beschwerst du dich, dass es wehtut. Es ist aber wohl tausendmal besser, als vom LKW überfahren zu werden, oder?“
„Das stimmt. Schließlich habe ich ja vor, unter Büchern begraben zu sterben.“
Urano war entschlossen, ihr Leben umgeben von Büchern zu verbringen. Wenn es möglich gewesen wäre, würde sie für immer in einem vor Sonnenlicht geschützten – damit die Bücher nicht beschädigt würden – und gut durchlüfteten Bibliotheksmagazin leben.
Sie wollte so viel Zeit wie möglich ins Lesen investieren, auch wenn sie wegen ihrer bleichen Haut als unheimlich bezeichnet, ihr Bewegungsmangel für ungesund gehalten wurde oder sie eine Mahlzeit ausgelassen hatte und Ärger bekam. Sie würde wahrscheinlich niemals im Leben die Finger von Büchern lassen.
Wenn man sowieso sterben muss, dann möchte ich dies begraben von Büchern tun. Unter Büchern begraben zu werden, ist ein schönerer Tod, als im Bett den Löffel abzugeben. Urano glaubte wirklich daran.
„Ich sag dir doch ständig, dass du nicht beim Laufen lesen sollst. Wenn du vorhin beim Gehen gelesen hättest, wärst du bei einem Unfall abgekratzt. Sei jetzt mal dankbar.“
„Ich höre doch immer auf dich. Danke, danke.“
„Du bist gar nicht dankbar.“
„Doch. Dass ich beim Lesen Besorgungen erledigen kann, habe ich dir zu verdanken. Aber wenn ich gestorben wäre, hätte ich die Götter um eine Wiedergeburt gebeten, um weiter Bücher zu lesen. Klingt gut, oder? Hehe.“
„Als ob es so einfach wäre, Dummkopf.“
Während sie sich unterhielten, kam Urano zu Hause an. Shu ging nicht ins Nachbarhaus, in dem er wohnte, sondern betrat Uranos Haus mit ihr zusammen. Da sie schon seit der Kindheit befreundet und ihre Mütter beide alleinerziehend waren, wuchsen sie wie Geschwister auf. Selbst heute betrat Shu mit „Ich bin wieder da“ das Haus, und Uranos Mutter antwortete: „Willkommen zurück.“
„Hier sind die Sachen, die ich mitbringen sollte. Wir gehen gleich ins Bücherzimmer. Ruf uns bitte, wenn das Essen fertig ist.“
„Okay. Shu-chan, wie sieht’s bei dir mit Abendessen aus? Was macht deine Mutter heute Abend?“
„Sie muss arbeiten, meinte sie. Ich esse also mit euch zusammen. Urano, ich leih mir mal das Spiel hier.“
„Ja, nimm’s dir einfach“, rief Urano Shu kurz zu, während sie sich zügig ins Bücherzimmer ihres Vaters begab, der starb, als sie noch klein war. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an.
Im Bibliotheksmagazin gab es zwar Fenster zum Durchlüften, die Verdunklungsgardinen, die die Bücher vor Sonnenlicht schützten, waren jedoch stets geschlossen. Die zahlreichen Regale waren übervoll von Büchern, und da Urano ständig für Neuzugänge sorgte, stapelten sie sich auch auf dem Schreibtisch, weil es keinen Platz mehr in den Regalen gab.
Ohne ihren Blick vom Buch abzuwenden, setzte sich Urano wie gewohnt auf einen Stuhl und las weiter.
Doch plötzlich bebte alles vor ihren Augen.
Ah, ein Erdbeben. Urano las unbeeindruckt weiter.
Da das Schaukeln ungewöhnlich stark war, fiel ihr das Lesen schwer. Sie runzelte die Stirn. Als sie, verärgert vom Erdbeben, nach oben blickte, war ihre Sicht gefüllt von Büchern, die hinunterstürzten.
„Uah?!“
Sie konnte den Büchern, die von den schiefen Regalen herunterfielen, nicht ausweichen und wurde von ihnen verschüttet. Urano öffnete die Augen und starrte nur noch die Masse von Büchern an.
Mir ist heiß ... Alles tut weh ... Ich will nicht mehr ...
Ich hörte, wie sich eine kindliche Stimme, die direkt in meinen Kopf eingedrungen zu sein schien, über ihren Unmut und ihre Qual beklagte.
Du kannst dich noch so sehr bei mir beschweren ... Was soll ich denn tun?
Während ich das dachte, wurde die junge Stimme immer leiser.
Huch? Genau in dem Moment, als ich dachte, dass die Stimme nicht mehr zu hören war, verschwand das Membran-ähnliche Etwas, das mich umhüllte, und mein Bewusstsein kehrte langsam wieder zurück. Gleichzeitig spürte ich, wie sich das grippeartige Fieber und die Gelenkschmerzen in meinem Körper ausbreiteten. Du hast recht. Mir ist heiß. Alles tut weh. Ich will auch nicht mehr, stimmte ich der jungen Stimme zu.
Aber sie antwortete nicht.
Da die Hitze unerträglich war, suchte ich nach einem kühleren Teil der Decke und versuchte, mich im Bett umzudrehen. Vielleicht lag es am Fieber, aber ich konnte mich nicht so bewegen, wie ich es wollte. Als ich meinen Körper wie etwas Fremdartiges mühevoll bewegte, nahm ich ein Rascheln wahr, als würde sich unter meinem Körper Papier oder Stroh aneinanderreiben.
„Was ist das für ein Geräusch?“
Obwohl ich wegen des Fiebers heiser sein sollte, kam aus meinem Mund eine kindliche, hohe Stimme. Egal, wie viel ich darüber nachdachte, sie klang nicht wie meine eigene, vertraute Stimme, sondern hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit der kindlichen Stimme in meinem Kopf.
Auch wenn sich mein Körper wegen des starken Fiebers schwer anfühlte und ich lieber weitergeschlafen hätte, konnte ich das ungewohnte Gefühl der Decke und die hohe Stimme, die ich nicht als meine eigene wiedererkennen konnte, nicht länger ignorieren und öffnete langsam meine Augenlider. Da das Fieber hoch zu sein schien, war meine Sicht trüb und verzerrt. Die Tränen schienen wie eine Brille zu wirken, denn mein Blick war klarer als sonst.
„Hä?“
Aus irgendeinem Grund sah ich abgemagerte, dünne, kleine Kinderhände, die eine ungesunde Farbe hatten. Seltsam. Soweit ich mich erinnern konnte, waren meine Hände die einer Erwachsenen und nicht die eines unterernährten kleinen Kindes.
Ich ballte sie zu Fäusten und öffnete sie wieder. Die Kinderhände bewegten sich nach meinem Willen. Der Körper, den ich willkürlich kontrollieren konnte, war aber nicht der, der mir vertraut war. Vor Schock war mein Mund wie ausgedörrt.
„Was soll das?“
Während ich darauf achtete, dass die Tränen meiner feuchten Augen nicht herunterflossen, bewegte ich nur die Augäpfel, um die Umgebung zu erkunden. Mir fiel sofort auf, dass es offensichtlich nicht der Ort war, an dem ich geboren und aufgewachsen war.
Dem harten Bett, in dem ich schlief, fehlte eine Matratze. Als Ersatz für ein Kissen wurde ein ungewöhnlich kratziger Stoff benutzt. Die leicht verschmutzte „Decke“ roch nicht nur komisch, sondern beherbergte wohl auch Flöhe oder Milben, weshalb es mich hier und dort juckte.
„Warte ... Wo bin ich?“
Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich von einer Masse an Büchern verschüttet worden war. Es sah nicht so aus, als wäre ich gerettet worden. Soweit ich wusste, gab es zumindest in Japan kein so unhygienisches Krankenhaus, das Patienten mit einem verschmutzten Stoff zudecken würde. Ich hatte keine Ahnung, was los war.
„Ich bin ganz sicher ... gestorben, oder?“
Wahrscheinlich war ich gestorben. Von den ganzen Büchern erschlagen. Dem Ruckeln nach zu urteilen, hatte das Erdbeben höchstens die Stärke drei oder vier. Es war eigentlich kein Erdbeben, das Tote forderte. Bestimmt hatten die Nachrichten im Fernsehen darüber berichtet. „Durch Bücherregale zerquetschte Studentin starb kurz vor Studienabschluss zu Hause“ oder so.
Wie peinlich! Nach dem physischen Tod kam der soziale Tod. Ich war innerlich gestorben.
Aus unerträglicher Scham versuchte ich, mich im Bett zu wälzen. Da ich es wegen Kopfschmerzen und Trägheit des Körpers aufgeben musste, hielt ich meine kleinen Hände am Kopf.
„Nein, nein, nein. Ich habe doch daran geglaubt. Wenn ich schon sterben muss, dann von Büchern begraben. Unter Büchern begraben zu werden, ist ein schönerer Tod, als im Bett den Löffel abzugeben.“
Aber es war anders. Ich hatte mir vorgestellt, ein von Büchern umgebenes, glückliches Leben mit Lesen zu verbringen. Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, bei einem Erdbeben von Büchern zerquetscht zu werden.
„Wie gemein. Jetzt, wo ich endlich einen Job gefunden hatte. Ach, die Universitätsbibliothek ...“
Obwohl es heutzutage schwierig war, eine Arbeit zu finden, konnte ich eine Stelle in der Universitätsbibliothek bekommen. Da mich eine Umgebung voller Büchern mehr als alles andere glücklich machte, kämpfte ich mich mit Mühe und Durchhaltevermögen durch Prüfungen und Bewerbungsgespräche, um die heiß ersehnte Stelle ergattern zu können. Verglichen mit anderen Arbeitsstellen konnte man dort unglaublich viel Zeit mit Büchern verbringen. Ältere Bücher wie auch Forschungsmaterialien gab es ebenfalls in Hülle und Fülle. Ein idealer Arbeitsplatz.
Sogar meine Mutter, die sich am meisten Sorgen um mich machte, sagte mit Freudentränen: „Super. Ich bin so erleichtert, dass du wie ein normaler Mensch einen Job gefunden hast.“ Was soll das heißen?
Gleichzeitig erschien in meinen Gedanken die Gestalt meiner Mutter, die über meinen Tod weinte. Meine Mutter, die ich nie wiedersehen würde, war bestimmt wütend auf mich. „Deshalb habe ich dir doch gesagt, dass du ein paar Bücher entsorgen sollst!“, hätte sie sicher schluchzend geschimpft.
„Mama, es tut mir so leid ...“
Ich hob meine träge, schwere Hand, um mir die Tränen aus den Augen zu wischen. Anschließend richtete ich meinen Kopf nach oben und stellte meinen fieberhaften Körper langsam auf die Beine. Um auch nur ein bisschen mehr Informationen zu erhalten, ignorierte ich meine mit Schweiß getränkten Haare und meinen verschwitzten Nacken und erkundete das Zimmer.
In dem Raum gab es zwei Möbelstücke, die nach Betten aussahen. Auf diesen lagen leicht schmutzige Decken. Abgesehen davon standen hier nur einige Aufbewahrungskisten aus Holz. Zu meinem Bedauern konnte ich keine Bücherregale finden.
„Keine Bücher also ... Vielleicht befinde ich mich während des Todes in einem seltsamen Traum.“
Wäre ich wirklich nach meinem Wunsch durch göttliche Hand wiedergeboren worden, gäbe es hier sicher Bücher. Mein Wunsch war nämlich, sie auch im nächsten Leben zu lesen.
Während sich mein durch Fieber benebelter Kopf weiter sorgte, starrte ich das Nest einer an der rußgeschwärzten Decke hängenden Spinne gedankenverloren an.
Vielleicht weil jemandem die Geräusche meiner Bewegungen aufgefallen waren oder weil jemand meine Stimme gehört hatte, tauchte aus der offenstehenden Tür die Gestalt einer Frau, vermutlich in ihren späten Zwanzigern, auf. Eine Schönheit mit etwas am Kopf, das wie ein Dreieckstuch aussah. Ihr Gesicht war zwar hübsch, aber schmutzig. Wenn man sie auf der Straße treffen würde, würde man den Schmutz bereits aus der Ferne erkennen.
Ich wusste zwar nicht, wer sie war, aber sie sollte wirklich ihre Kleidung und ihr Gesicht waschen, sich sauber und hübsch machen. Was für eine Verschwendung ihrer Schönheit.
„Myne, %&$#+@*+#%?“
„Aah!“
Während die unverständlichen Worte der Frau in meine Ohren drangen, überfluteten mich Erinnerungen, die nicht meine eigenen waren, jedoch wie meine eigenen wirkten; als wäre der Damm gebrochen.
In der Zeit, in der ich ein paar Mal blinzeln konnte, flossen jahrelange Erinnerungen eines Mädchens namens Myne in mich hinein und wühlten mein Hirn auf. Durch das unangenehme Gefühl drückte ich meinen Kopf instinktiv nach unten.
„Myne, ist alles in Ordnung?“
Nein, ich bin nicht Myne. Aufgrund der Kopfschmerzen konnte ich ihr nicht einmal widersprechen. Das Gefühl, dass die Hände des armseligen Kindes und das schmutzige, unbekannte Haus mir plötzlich vertraut vorkamen, ließ mich erschaudern. Dass ich Worte, die ich soeben noch nicht verstehen konnte, nun begriff, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Obwohl mein Kopf, der die Menge an Informationen auf einmal aufgenommen hatte, vollkommen durcheinander war, sagte mir alles, dass ich nicht mehr Urano, sondern Myne war.
„Myne, Myne?“
Die Frau, die besorgt nach mir rief, war mir völlig fremd. Trotzdem kannte ich sie nicht nur, sondern empfand sogar Gefühle der Zuneigung für sie.
Ich war angewidert von der Zuneigung, die nicht meine eigene Emotion zu sein schien. Auch wenn ich die Frau vor mir als meine Mutter identifizierte, konnte ich diese Tatsache nicht sofort akzeptieren.
Während Zuneigung und Widerwille in mir gegeneinander kämpften, hörte ich, wie die Frau „Myne“ rief.
„Mama.“
Ab dem Moment, als ich die Frau, die mir völlig fremd sein sollte, wie selbstverständlich Mama nannte, war ich nicht mehr Urano, sondern Myne.
„Alles in Ordnung? Hast du Kopfschmerzen?“
Ich wollte nicht von meiner Mutter angefasst werden, die zwar in meinen Erinnerungen existierte und mir bekannt war, die ich aber doch nicht kannte. Um ihrer nach mir ausgestreckten Hand auszuweichen, legte ich mich unter die stinkende Decke. Mit geschlossenen Augen lehnte ich die Berührung ab.
„Mein Kopf tut noch weh. Ich will schlafen.“
„Okay. Dann ruh dich gut aus.“
Ich wartete darauf, dass Mama das Schlafzimmer verließ, in dem zwei Betten eng nebeneinanderstanden, und versuchte, die Situation einzuschätzen. Aufgrund des Fiebers drehte sich alles in meinem Kopf, aber bei dem Chaos konnte ich mich nicht einfach schlafen legen. Wie es zu diesem Zustand gekommen war, konnte ich nicht nachvollziehen.
Allerdings war es wichtiger, darüber nachzudenken, wie ich nun handeln sollte, als über die Gründe zu grübeln. Ich musste anhand von Mynes Erinnerungen, die mir zur Verfügung standen, die Umgebung besser verstehen lernen, sonst hielte mich die Familie womöglich für verdächtig. Ich begann, die zahlreichen Erinnerungen von Myne in aller Ruhe in meinem Kopf Revue passieren zu lassen.
Ich gab mir zwar Mühe, an die Vergangenheit zurückzudenken, allerdings waren ihre Erinnerungen die eines jungen Mädchens, dessen Sprachvermögen noch nicht vollständig entwickelt war. Sie konnte die Worte ihres Vaters und ihrer Mutter oft nicht klar verstehen, da sie viele Dinge nicht begriff. Zwangsläufig konnte sie nur einen eingeschränkten Wortschatz benutzen und der Großteil ihrer Erinnerungen war unverständlich.
„Uwah ... Das ... Was soll ich nur tun?“
Durch die Erinnerungen aus der Sicht der jungen Myne stellte ich fest, dass ihre Familie aus vier Mitgliedern bestand. Abgesehen von der Mutter Eva gehörten noch die Schwester Tuuli und der Vater Gunther dazu, der eine Art Soldat war.
Schockierender als alles andere war für mich jedoch die Erkenntnis, dass diese Welt nicht die Welt war, die ich kannte.
In ihren Erinnerungen war die Mutter auch ohne das Dreieckstuch zu sehen, und man sah ihr smaragdgrünes Haar. Es wirkte nicht unnatürlich wie bei gefärbtem Haar, sondern war wirklich so grün, dass man am liebsten daran ziehen würde, um sicherzustellen, dass es keine Perücke war.
Übrigens war Tuulis Haar bläulich grün und das des Vaters blau. Mein eigenes Haar war dunkelblau. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, dass es meinem ursprünglichen schwarzen Haar ähnlich war, oder mich beklagen sollte, dass es nicht schwarz war.
Dieses Haus schien keinen Spiegel zu haben, und egal wie oft ich auch in meinem Gedächtnis nachforschte, ich konnte außer meiner Haarfarbe keine Einzelheiten zu meinem Aussehen herausfinden. Soweit ich nach den Gesichtszügen meiner Eltern und Tuulis urteilen konnte, war die Ausgangssituation aber wohl nicht schlecht. In Wirklichkeit war mir mein Gesicht ziemlich egal, solange ich Bücher lesen konnte und im Alltag klarkam. Auch als ich noch Urano war, hatte ich kein besonders schönes Gesicht, deshalb hätte ich auch kein Problem damit gehabt, nicht hübsch auszusehen.
„Hach ... Ich will Bücher lesen. Ich habe das Gefühl, dass das Fieber danach verschwinden würde.“
Solange es Bücher gab, könnte, nein, hätte ich jede Situation ertragen. Deshalb, Bücher, gebt mir Bücher!
Ich legte meine Finger sanft an den Kopf und suchte nach Büchern in meinen Erinnerungen. Nun, wo gab es denn Bücherregale in diesem Haus?
„Myne, bist du wach?“
Als ob sie meinen Gedankengang unterbrechen wollte, trat ein ungefähr siebenjähriges Mädchen mit leisen Schritten hinein. Es war die Schwester Tuuli.
Ihre einfach geflochtenen bläulich grünen Haare waren sichtbar ungepflegt und spröde. Ich wünschte, sie würde ihr Gesicht waschen, denn es war wie das der Mutter ziemlich schmutzig. Was für eine Verschwendung bei ihrem süßen Gesicht!
Dass ich unbewusst so dachte, lag vielleicht an meiner japanischen Sichtweise, die man im Ausland sicher als Sauberkeitsfimmel bezeichnet hätte.
Wie dem auch sei. Auf der Welt gab es wichtigere Dinge. Für mich gab es nur eine Sache, die das Wichtigste unter diesen Umständen war und auf die ich die höchste Priorität setzen musste.
„Tuuli, bring mir ein paar [Bücher].“
Da hier auch die ältere Schwester im lesefähigen Alter lebte, sollte es in diesem Haus mindestens zehn Bilderbücher geben. Auch wenn ich wegen Krankheit viel schlafen musste, sollte Lesen kein Problem sein. Wo ich doch wiedergeboren wurde, war es natürlich wichtiger als alles andere, Bücher der anderen Welt zu genießen.
Bei der Forderung der niedlichen kleinen Schwester machte Tuuli jedoch nur ein verblüfftes Gesicht.
„Hä? Was sind [Bücher]?“
„Was sie sind? Ähm ... Wo [Zeichnungen] oder [geschriebene] [Schriftzeichen] stehen ...“
„Myne, ich verstehe nicht, was du meinst. Kannst du normal reden?“
„Aber ich sagte doch, [Bücher]! Ich will [Bilderbücher].“
„Was ist das? Ich verstehe dich nicht.“
Anscheinend wurden Wörter, die in Mynes Erinnerungen nicht existieren, japanisch ausgesprochen. Wie viel Mühe ich mir bei der Erklärung auch gab, Tuuli neigte nur ihren Kopf vor Verwunderung zur Seite.
„Es reicht! [Übersetzerprogramm, arbeite ordentlich]!“
„Myne, warum bist du sauer?“
„Ich bin nicht sauer, ich habe nur Kopfweh.“
Es sah so aus, als müsste ich zuerst mein Bestes geben, anderen genau zuzuhören, um mir einen größeren Wortschatz anzueignen. Bei dem flexiblen Gehirn der jungen Myne plus Vernunft und Denkvermögen der 22-jährigen Universitätsabsolventin in mir, sollte das Lernen der Sprache ein Kinderspiel sein. Zumindest hoffte ich, dass es ein Kinderspiel war.
Als ich noch Urano war, kämpfte ich mich mit einem Wörterbuch in der Hand durch Bücher aus anderen Ländern. Wenn ich mir vorstellte, wie damals eine neue Sprache zu lernen, um die Bücher dieser Welt lesen zu können, dann war es keine Last für mich. Meine Leidenschaft und Liebe zu Büchern war erschreckend groß.
„Bist du sauer, weil du Fieber hast?“
Wohl um das Fieber zu messen, streckte Tuuli ihre schmutzige Hand nach mir aus. Ohne nachzudenken, packte ich ihre Hand.
„Ich habe noch Fieber. Du steckst dich noch bei mir an.“
„Du hast recht. Ich passe auf.“
Glück gehabt.
Ich tat so, als wäre ich um sie besorgt, damit ich etwas Unangenehmes vermeiden konnte. Mit dieser Taktik der Erwachsenen wich ich der Berührung von Tuulis schmutziger Hand aus. Wenn sie sich sauber gemacht hätte, wäre sie eine gute Schwester, im Moment wollte ich allerdings nicht von ihr berührt werden. Doch dann blickte ich zu meinen eigenen unsauberen Armen und stieß einen Seufzer aus.
„Ah, ich möchte mich [baden]. Mein Kopf juckt.“
Just in dem Moment zeigten mir Mynes Erinnerungen, dass sie sich nur sehr selten in einem Zuber mit Wasser waschen und sich mit einem Tuch, das wie ein Putzlappen aussah, abwischen konnte.
Noooo! Das konnte man nicht Baden nennen. Außerdem gab es statt einer Toilette nur einen Nachttopf?! Bitte verschont mich! Liebe Götter, ich wollte doch an einem Ort wiedergeboren werden, an dem es im Alltag keine Unbequemlichkeiten gibt.
Bei diesen schrecklichen Zuständen war mir wirklich zum Weinen zumute. Als ich noch Urano gewesen war, hatte ich in einer ganz normalen, durchschnittlichen Familie gelebt, aber keine Einschränkungen gehabt, ob es um das Bad, die Toilette, Kleidung, Essen oder Bücher ging. Im Vergleich zu damals waren die Unterschiede der Lebenssituation wie Tag und Nacht.
Japan war großartig. Wie selbstverständlich gab es alle möglichen guten Dinge im Überfluss. Wie zum Beispiel Stoffe, die sich gut anfühlten, oder weiche Betten oder Bücher oder Bücher oder Bücher ...
Wie gern ich auch an die Zeit zurückdachte, mir blieb keine andere Wahl, als hier weiterzuleben. Es brachte nichts zu jammern, ich musste meiner Familie die Wichtigkeit von Hygiene beibringen.
Sofern ich mich erinnerte, war Myne ein körperlich schwaches Mädchen, das oft Fieber hatte und das Bett hüten musste. Es gab zu viele Erinnerungen, in denen sie im Bett war. Wenn sich die Umgebung nicht besserte, würde ich nicht besonders lange leben, dachte ich. Selbst bei Krankheiten wollte ich kein Versuchskaninchen von medizinischen Behandlungen werden, die bei diesem Lebensstandard vorstellbar waren.
Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen, wie ich das Zimmer putzen und mich baden konnte.
Ob ich, ein Nichtsnutz, der selbst einfache Hausaufgaben wie das Benutzen japanischer Haushaltsgeräte zu umständlich fand und ihre Zeit lieber in Lesen investieren wollte, anstatt ihrer Mutter zu helfen, mit diesen Lebensumständen zurechtkommen würde?
Bei diesem Gedanken schüttelte ich den Kopf.
Okay, stopp, stopp. Wo ich schon das Glück hatte, wiedergeboren zu werden, musste ich positiver denken. Vielleicht konnte ich Bücher lesen, die zur Urano-Zeit unvorstellbar gewesen waren. Was für ein Glück! Gut, ich war wieder in guter Stimmung.
Um ungehemmt lesen zu können, musste ich mich als Erstes um meine Gesundheit kümmern. Damit sich mein Körper ausruhen konnte, schloss ich langsam die Augen. Während mein Bewusstsein nach und nach verschwamm, hatte ich nur noch einen Gedanken.
Egal was, Hauptsache Lesen. O Götter, bitte habt Erbarmen und gebt mir Bücher! Ich weiß, dass ich zu gierig bin, aber ich hätte gern eine Bibliothek mit ganz vielen Büchern!
Drei Tage vergingen, nachdem ich Myne geworden war. Diese drei Tage waren wirklich furchtbar. Ich kann nicht von meinem heldenhaften Kampf erzählen, ohne Tränen zu vergießen.
Zuerst wollte ich zu Hause nach Büchern suchen und versuchte, aus dem Bett zu kommen, während Mama nicht hinschaute. Es gab aber Ärger und ich wurde ins Bett zurückgeschickt. Das Ergebnis nach mehreren Versuchen war eine totale Niederlage. Wann immer ich vom Bett aufstand und nicht auf die Toilette ging, wurde ich wieder ins Bett gesteckt. Letztendlich verlief meine Pilgerreise im Sande.
Außerdem wurde auch die Toilette, der einzige Ort, an den ich mich begeben durfte, zum Schauplatz unerbittlicher Kämpfe.
Hier verwendete man als Toilette einen Nachttopf im Schlafzimmer. Noch schlimmer war, dass Myne bisher anscheinend nicht allein auf die Toilette gehen konnte und jemand aus der Familie auf sie aufpassen musste. Wie oft ich auch „Ich kann das alleine! Schaut weg!“ schrie, es war vergebens. Immer schimpften sie: „Was, wenn du dir in die Hose machst?!“
Beobachtet zu werden, war wohl besser, als mich einzunässen. Nachdem ich mich jammernd auf dem Nachttopf erleichtert hatte, lobte Tuuli mich: „Wow, Myne! Du bist gut geworden. Bestimmt schaffst du das bald alleine.“ Ich verstand zwar, dass sie sich über die Errungenschaft ihrer kleinen Schwester freute, aber mein Stolz, meine Selbstachtung und meine Würde waren völlig am Boden.
Übrigens benutzte die Familie nicht nur Nachttöpfe im Schlafzimmer, sie schüttete die Inhalte auch aus dem Fenster. Nicht zu fassen.
Auch das Wechseln von Kleidung war ein richtiger Kampf. Aus meiner Sicht war es so, dass ich mir von meinem mir fast fremden Vater die Kleidung ausziehen und anziehen lassen musste. Dass er mich auszog, war mir total peinlich. Als ich aus Leibeskräften schrie: „Ich mach’s selbst!“, war er zwar genervt, tat es jedoch nur als kindliche Laune ab. Furchtbar.
Da mein Vater zur Urano-Zeit früh gestorben war, hatte ich überhaupt keine Ahnung, wie ich Abstand zu Papa halten sollte. Aus Mynes Erinnerungen war er zwar der liebste Papa, ich sah in ihm jedoch nur einen muskulösen, etwas gemeinen Vater. Wenn er, der als Soldat arbeitete, mich mit Gewalt festhielt, war mein Widerstand sinnlos.
Nachdem meine Kämpfe gegen die Familienmitglieder eine Niederlage nach der anderen hervorgebracht hatten, ließ ich meine Gefühle als junge Frau und meine Verschämtheit für drei Tage ruhen. Ich war eben ein kleines Mädchen. Es war normal, dass sich alle um mich kümmern mussten.
Diese Denkweise war notwendig, um weiterzuleben!
„Bis zum bitteren Ende halte ich dieses Leben nicht aus!“, dachte ich zwar, aber ich war machtlos. Selbst wenn ich, ein kleines, krankes Kind, plötzlich von zu Hause ausgebrochen wäre, wäre es mir niemals möglich gewesen, ein Leben zu führen, so wie ich es mir gewünscht hätte. Wenn ich weggelaufen wäre, um nach einer Toilette oder einem Bad zu suchen, dann wäre ich bestenfalls vor dem Unrat, der von oben auf mich herabfiel, flennend geflohen, hätte mich verlaufen und wäre am Wegesrand verreckt.
Auf den ersten Blick schien ich vollkommen gescheitert zu sein, das war aber nicht so. Es gab auch kleine Erfolge für mich.
Da ich den Mangel an Bademöglichkeiten nicht mehr aushalten konnte, bat ich Tuuli, meinen Körper jeden Tag mit einem warmen Tuch abzuwischen. Da ich beim Kleiderwechsel sowieso ausgezogen wurde, hatte ich auch nichts dagegen, mich abwischen zu lassen.
Tuuli sah mich zwar jeden Tag mit einem verwunderten Gesicht an, ich fühlte mich aber endlich erfrischt. Am ersten Tag war das Wasser im Zuber noch trüb, in letzter Zeit war es allerdings immer klar geblieben. Doch meine Kopfhaut juckte noch immer. Ich hätte so gern ein Shampoo, auch wenn ich wusste, dass das unmöglich war.
Es gab noch etwas, das ich in die Hand bekam.
Ich erhielt eine Haarnadel, mit der ich meine Haare zusammenbinden konnte. Als ich sagte, dass ich einen Holzstab haben wollte, um meine raschelnd herunterfallenden Haare zu befestigen, schnitzte Tuuli mir eine Haarnadel aus Holz.
Der Holzstab, auf den ich ein Auge warf, war ein Bein von Tuulis Puppe. Als ich fragte, ob ich ihn abbrechen durfte, fing Tuuli an zu weinen. Dem nach zu urteilen, war es wohl keine gute Idee. Ihre wertvolle Puppe war von Papa geschnitzt worden und trug Kleidung, die von Mama angefertigt worden war. Wenn man genau hinschaute, sah sie vielleicht wie eine Strohpuppe aus, aber auf den ersten Blick konnte man sie nicht als Puppe identifizieren.
Ich wollte meine Haare mit der Haarnadel zusammenbinden, als Tuuli mich darauf hinwies: „Nur Erwachsene dürfen ihre Haare oben zusammenbinden.“ Da ich nicht anders konnte, steckte ich zumindest die Hälfte meiner Haare oben zusammen. Die kulturellen Unterschiede waren echt groß.
Ich, die nun ihr Schamgefühl hinter sich ließ, erholte mich schnell und nahm mir vor, meinen Lebensstandard zu verbessern. Doch auch dafür brauchte ich Bücher. Für den ersten Schritt zur Verbesserung meiner Lebenssituation waren Bücher notwendig. Solange ich Bücher hätte, könnte ich für immer im Bett liegen bleiben und alle möglichen Unannehmlichkeiten ertragen.
Deshalb beschloss ich, heute endlich das Haus zu erkunden. Ich hatte schon so lange keine Bücher mehr gelesen, dass bald Entzugserscheinungen auftreten würden. Ich stand kurz davor, „Bücher! Gebt mir Bücher, ey!“ zu brüllen, zu grollen und zu heulen.
„Myne, schläfst du gerade?“
Tuuli öffnete die Tür und zeigte ihr Gesicht. Nachdem sie gesehen hatte, dass ich brav im Bett schlief, nickte sie zufrieden. Die letzten Tage schlich ich aus dem Bett, sobald ich die Augen aufmachte, suchte nach Büchern und schlenderte zu Hause herum, bis ich umkippte. Daher war nicht nur Mama, sondern auch Tuuli, die mich am Krankenbett pflegen sollte, besonders wachsam.
Tagsüber wurde Tuuli von Mama, die arbeiten ging, beauftragt, auf mich aufzupassen. Sie gab ihr Bestes, mich nicht aus dem Bett zu lassen. Wie oft mein kleiner Körper auch versuchte, vor ihr zu fliehen, gegen sie hatte ich keine Chance.
„Irgendwann werde ich auf jeden Fall [über dir stehen].“
„Myne, was sagst du?“
„Hm ... Dass ich groß werden will.“
Tuuli, die die Botschaft meiner Worte, die ich durch die Blume sagte, nicht entziffern konnte, lächelte verlegen.
„Wenn du nicht mehr krank bist, wirst du bestimmt groß. Du warst ja so oft krank und konntest gar nicht ordentlich essen. Obwohl du fünf bist, denken andere oft, dass du drei wärst.“
„Bist du groß?“
„Ich bin sechs Jahre alt, aber Leute halten mich oft für eine Sieben- oder Achtjährige. Ich bin wohl ziemlich groß?“
Obwohl wir nur ein Jahr auseinanderlagen, unterschieden sich unsere Körpergrößen stark voneinander. Über ihr zu stehen, würde wohl nicht einfach sein, aber ich wollte auf keinen Fall aufgeben. Ich würde auf meine Ernährung und Hygiene achten und gesund werden.
„Mama ist zur Arbeit gegangen. Ich gehe jetzt Geschirr spülen. Du darfst auf keinen Fall das Bett verlassen. Denn wenn du nicht liegen bleibst, wirst du nicht gesund. Und wenn du nicht gesund wirst, wirst du nicht groß.“
Da es schon mal vorgekommen war, dass ich aus dem Bett geschlichen war, spielte ich seit gestern Abend das brave Kind, um Tuulis Wachsamkeit zu schwächen. Ich wartete geduldig, bis sie das Haus verließ.
„Dann bis nachher. Sei ein braves Kind und warte auf mich.“
„Jaaa.“
Nachdem ich nett und zahm antwortete, schloss Tuuli die Tür des Schlafzimmers.
Hehehe ... Beeil dich.
Ich wartete ruhig darauf, dass Tuuli, die den Korb mit dem Geschirr in den Armen trug, das Haus verließ. Ich wusste nicht, wo sie das Geschirr spülte, nur, dass es immer ungefähr dreißig Minuten dauerte. Vermutlich verfügten die Wohnungen über keine eigenen Wasserleitungen, sondern nur über eine Gemeinschaftswaschstelle.
Mit einem Klackern schloss sie die Tür ab. Die Schritte Tuulis, die die Treppen hinunterstieg, wurden immer leiser.
Zeit für die große Suche!
Da die große Schwester Tuuli auch hier wohnte, sollte es in diesem Haus mindestens zehn Bilderbücher geben. Ich glaubte fest daran. Ein Haus ohne Bücher? Unmöglich. Selbst wenn ich Bücher gefunden hätte, hätte ich die Schriftzeichen zwar noch nicht verstehen können, aber mit Bildern hätte ich mir die Inhalte vorstellen und vermuten können, was die Zeichen bedeuteten.
Ich stellte sicher, dass Tuulis Schritte unhörbar geworden waren, und ließ heimlich meine Füße vom Bett herunter. Als meine Haut den Sand und die Erde auf dem Boden berührte, verzog ich leicht das Gesicht. Ich wollte zwar ungern barfuß den schmutzigen Boden betreten, auf dem die anderen aus der Familie mit Straßenschuhen gingen, aber es gab keine andere Möglichkeit, da Tuuli meine Holzschuhe konfisziert hatte, damit ich nicht herumwanderte.
Meine Priorität lag nicht auf dem Sauberhalten meiner Füße, sondern darauf, Bücher zu finden.
Im Schlafzimmer, in dem ich wegen Fieber das Bett hüten sollte, stand den Betten ein Korb gegenüber. Darin lagen Kinderspielzeuge aus Holz und Stroh, aber keine Bücher.
„Es wäre ja zu schön gewesen, wenn ich hier schon fündig geworden wäre ...“
Bei jedem Schritt spürte ich, wie der feine Sand unter meinen Füßen knirschte. Hier war es gang und gäbe, auch zu Hause Straßenschuhe zu tragen. Und mich darüber zu beschweren, hätte nichts gebracht. Aber obwohl ich das wusste, konnte ich nicht anders als zu sagen: „Kann mir jemand einen Besen und einen Putzlappen geben?“
Natürlich bekam ich weder eine Antwort noch einen Besen oder Lappen.
„Hm, ist das schon die erste große Hürde?“
Das erste Hindernis meiner Erkundung zu Hause war die Tür des Schlafzimmers. Wenn ich mich streckte, konnte meine Hand die Türklinke zwar berühren, doch sie zu drehen, wenn man sie nur gerade so erreichte, erwies sich als eine größere Herausforderung als erwartet.
Während ich im Zimmer nach etwas suchte, das ich als Trittleiter benutzen konnte, fiel mir die Holzkiste mit unserer Kleidung ins Auge.
„Hmpf ...“
Die Holzkiste, die ich zur Urano-Zeit locker hätte verschieben können, bewegte sich kein bisschen, wie stark ich auch mit meinen kleinen Händen zog oder drückte. Da ich zum Glück ziemlich klein war, zog ich auch in Erwägung, den Korb mit den Spielzeugen auf den Kopf zu stellen und darauf zu treten, aber er wäre wahrscheinlich unter meinem Gewicht zusammengebrochen.
„Ich muss wirklich schnell groß werden. Zu viele Dinge sind mit diesem Körper unmöglich.“
Ich schaute mich im Zimmer um, dachte darüber nach, welche Dinge ich bewegen konnte und entschied mich dafür, die Decke meiner Eltern zusammenzurollen und als Trittleiter zu benutzen. Ich wollte auf keinen Fall meine eigene Decke auf den Boden werfen, auf dem man mit Straßenschuhen ging. Bei der Decke meiner Eltern, die diesen Lebensstandard gewohnt waren, sollte es aber sicher kein Problem sein.
Es tut mir leid, Papa, Mama.
Wenn es um Bücher ging, war ein bisschen Ärger von meinen Eltern kein großes Hindernis.
„Puh!“
Ich stieg auf die zusammengerollte Decke, streckte mich und hing mit meinem ganzen Gewicht an der Türklinke, um sie zu drehen. Mit einem Klirren ging die Tür auf. Nach innen.
„Uah?!“
Da ich mit dem ganzen Gewicht an der Türklinke hing, wäre mir die Tür, die auf mich zukam, beinahe an den Kopf geschlagen. Ich verlor die Fassung und ließ los, aber es war zu spät: Ich fiel nach hinten. Mit einem lauten Knall stürzte ich von der zusammengerollten Decke und schlug mir den Kopf an.
„Autsch ...“
Als ich mir mit den Händen den Kopf hielt und mich aufrichtete, sah ich, dass die Tür einen kleinen Spalt offen stand. Meine Kopfschmerzen kamen mir wie eine ehrenhafte Kriegsverletzung vor.
Mit Schwung stellte ich mich auf, griff in den Türspalt und riss die Tür mit aller Kraft auf. Die Decke meiner Eltern rutschte auf dem Boden, sodass ein Teil des Bodens sauberer wurde. Eigentlich hatte ich nicht vor, die Decke so schmutzig zu machen.
Es tut mir wirklich leid.
„Oh, hier ist die Küche.“
Als ich das Schlafzimmer verließ, befand ich mich in der „Küche“. Sie war aber nicht so gut eingerichtet, dass die Bezeichnung Küche angemessen gewesen wäre. Vielleicht wären Wörter wie Kochstube oder Kochstelle besser geeignet.
In der Mitte des Zimmers stand ein nicht besonders großer Tisch mit zwei dreibeinigen Stühlen. Außerdem gab es noch eine Holzkiste, die wohl als Hocker benutzt wurde. Auf der rechten Seite befand sich ein hölzerner Schrank mit Griffen, in dem wohl das Geschirr aufbewahrt wurde.
An der Wand zum Schlafzimmer war der Herd zu finden. Metalltöpfe, Schöpflöffel und etwas, das wie eine Bratpfanne aussah, hingen an den Nägeln an der Wand. Von einer Wand zu einer anderen wurde ein Seil aufgespannt, an dem leicht schmutzige Putztuch-artige Stoffe hingen. Wenn man mit ihnen geputzt hätte, wäre alles wohl nur noch dreckiger geworden.
„Ihh. Kein Wunder, dass ich so oft krank werde ...“
Gegenüber dem Herd gab es einen großen Wasserkrug und eine Spülbecken-ähnliche Fläche, auf der man Wasser laufen lassen konnte. Eine Wasserleitung schien nicht vorhanden zu sein. Außerdem fand ich noch einen großen Korb voller Lebensmittel, die mich an Rüben oder Zwiebeln erinnerten. Da mir viele der Lebensmittel fremd waren, war das, was ich für Rüben hielt, vielleicht etwas ganz anderes.
„Hm? Das hier sieht wie eine Avocado aus. Kann man vielleicht Öl daraus pressen?“
Unter den Lebensmitteln im Korb stach mir ein Gemüse ins Auge. Wenn ich Öl daraus presste, könnte ich vielleicht etwas gegen meine juckende Kopfhaut tun.
Meine Mutter zur Urano-Zeit hatte immer wieder Phasen, in denen sie sich für alle möglichen seltsamen Dinge interessierte. Ihre temporären Interessen schienen vollkommen zufällig ausgewählt zu sein: Schule für Erwachsenenbildung, Fernsehprogramme zum Thema Sparsamkeit, naturverbundener Lebensstil aus dem Sonderbericht eines Magazins. Sie sagte immer: „Damit du dich auch mal für was anderes als Bücher interessieren kannst.“ Aber sie wusste immer, dass ich nie etwas anfasste, das mich nicht interessierte. Ich hatte zwar die Nase voll davon, ihr immer Gesellschaft leisten zu müssen, aber dank ihr konnte ich vielleicht das Shampoo-Problem lösen.
Danke, Mama. Ich hatte das Gefühl, hier weiterleben zu können.
Nach der Entdeckung der Beute erkundete ich in freudiger Stimmung das Zimmer: Außer der Tür zum Schlafzimmer gab es noch zwei weitere.
„Aha, welche Tür wird wohl die richtige sein?“
Die Küche wirkte nicht wie ein Ort, an dem es Bücher gab. Ich sah, dass eine Tür, die die Küche mit einem anderen Zimmer verband, halb offenstand, und öffnete sie mit einem Ruck weiter.
„Eine Abstellkammer? Wohl die falsche Wahl.“
Der Raum war überfüllt mit Dingen, deren Verwendungszwecke ich mir nicht vorstellen konnte. Hier standen zwar auch Regale, aber das Zimmer wirkte durcheinander und es sah nicht so aus, als würde ich hier Bücher finden.
Ich gab auf und versuchte, eine andere Tür zu öffnen. Mit dem Knacks, den die Tür von sich gab, verstand ich, dass sie abgeschlossen war. Ich drehte mehrmals an der Türklinke, vergebens.
„Oh? Vielleicht ist Tuuli durch diese Tür gegangen? Hm? Wieder falsch?“
Wenn diese Tür nach draußen führte, gab es in diesem Haus kein Bad, keine Toilette, keine Wasserleitung, keine Bücherregale, also gar nichts? Egal, wie man es betrachtete, es gab kein anderes Zimmer.
Götter, hasst ihr mich etwa?
„Selbst wenn ich wiedergeboren werde, möchte ich Bücher lesen“, bat ich doch die Götter zur Urano-Zeit. Ich hatte allerdings nicht vor, mit meinen Erinnerungen, meiner Wahrnehmung und meinem Allgemeinwissen als Japanerin in einem Haus ohne Bad, Toilette oder Wasserleitung zu landen. Ich war fest überzeugt, dass ich in eine Umgebung, in der die Existenz von Büchern selbstverständlich war, wiedergeboren würde.
„Vielleicht waren Bücher teuer.“
Durch mein geschichtliches Wissen wusste ich, dass Bücher äußerst wertvoll waren, bevor sie mit Druckmaschinen massenhaft hergestellt werden konnten. Wer nicht zur Oberschicht gehörte, hatte keine Möglichkeit, Bücher zu lesen. Vielleicht war es nicht vergleichbar mit meiner Welt zur Urano-Zeit, in der man zur Geburt Bilderbücher vom Stadtamt geschenkt bekam.
„Na gut, da kann man wohl nichts machen. Wenn es keine Bücher gibt, dann suche ich erst mal nach Schriftzeichen.“
Selbst wenn es keine Bücher gab, hieß es nicht, dass ich das Lesen nicht lernen konnte, denn es gab alle möglichen mit Schriftzeichen bedruckten Medien wie zum Beispiel Werbeflyer, Zeitungspapiere, Rundschreiben, Bedienungsanleitungen, Kalender und so weiter. Zumindest in Japan.
„Nichts ... Gar nichts! Nicht mal ein Stück!“
Ich durchsuchte den Geschirrschrank und die Regale in der Abstellkammer, im ganzen Haus waren nirgendwo Schriftzeichen zu sehen, geschweige denn Bücher oder Papier.
„Was soll das?“
Als hätte ich plötzlich Fieber bekommen, begann mein Kopf zu dröhnen. Mein Herz schlug lauter. In meinem Trommelfell ertönte ein schriller Schrei. Als ob der Faden, an dem ich hing, durchtrennt worden wäre, brach ich auf der Stelle zusammen.
Ich spürte etwas Warmes in meinen Augen.
Dass ich von Büchern zerquetscht worden und gestorben war, konnte ich akzeptieren. Schließlich wich es nur leicht von meinem Wunsch ab, unter Büchern begraben zu werden. Ich war es auch, die sich eine Wiedergeburt gewünscht hatte.
Aber hier gab es ja keine Bücher. Auch keine Schriftzeichen. Nicht mal Papier. Sollte ich wirklich hier leben? Was sollte ich den ganzen Tag machen?
Dicke Tränen kullerten über mein Gesicht.
Eine Welt ohne Bücher existierte in meinem Kopf nicht. Ich konnte keinen Sinn in meinem Leben als Myne sehen und fühlte mich wie ausgehöhlt.
Meine Tränen wollten kein Ende nehmen.
„Myne! Warum bist du nicht im Bett? Du hast ja keine Schuhe an und darfst doch nicht vom Bett aufstehen!“
Tuuli, die unbemerkt zurückgekommen war, fand mich auf dem Boden der Küche zusammengekauert, verdrehte die Augen und erhob die Stimme.
„Tuuli, es gibt keine [Bücher].“
„Was ist los? Wo tut’s denn weh?“
„Tuuli, ich will [Bücher]. Ich will [Bücher] lesen. Ich will so gern [Bücher] lesen, aber es gibt keine [Bücher].“
Tuuli sprach mich, die geistesabwesend ihre Tränen fließen ließ, mit besorgter Stimme weiter an. Aber selbst wenn ich mich bei Tuuli beklagt hätte, die das Fehlen von Büchern nicht infrage stellte, hätte sie meine Gefühle nicht verstanden.
Wem sollte ich von meinen Gefühlen erzählen, um verstanden zu werden? Wo sollte ich hingehen, um Bücher zu finden? Konnte mir das jemand sagen?
Gestern ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich weinte und weinte. Selbst als mir gesagt wurde, dass es Essen gab, oder als meine Eltern mir eine Lektion erteilten, weil ich ihre Decke auf den Boden geworfen hatte, konnte ich keine Reaktion zeigen, sondern nur weiter weinen.
Heute Morgen wachte ich mit vom Weinen geschwollenen, heißen Augen und hämmernden Kopfschmerzen auf.
Mein Fieber schien aber gesunken zu sein. Die Trägheit meines Körpers war gänzlich verschwunden. Weil ich mich ausgeweint hatte, fühlte ich mich auch mental besser, auch wenn meine Familie mich am Frühstückstisch mit Samthandschuhen anfasste.
„Dein Fieber ist ja gesunken.“
Mama berührte meine Stirn mit ihren Händen, die noch kalt vom Wäschewaschen waren, und massierte meine geschwollenen Augenpartien. Die Kühle fühlte sich gut an.
„Heute ist Markttag, wollen wir zusammen einkaufen gehen, wenn du dich fit fühlst?“
Huch? Hatte sie nicht einmal gesagt „Bei der Färberei gibt es gerade am meisten zu tun, auch wenn du hohes Fieber hast, muss ich zur Arbeit gehen“?
Mama sah, wie ich den Kopf zur Seite neigte, und senkte den Blick mit einem traurigen Gesichtsausdruck.
„Tuuli war nur damit beschäftigt, sich um dich zu kümmern. Sie täte mir leid, wenn wir sie nicht an die frische Luft lassen würden. Gestern wolltest du nicht aufhören, zu weinen. Tuuli war mit ihrer Weisheit am Ende und sagte, vielleicht warst du einsam und hast deswegen geweint. Deshalb habe ich auf der Arbeit mit Ach und Krach um einen freien Tag gebeten.“
Als ich die Worte von Mama hörte, musste ich etwas schlucken. Dass ich den ganzen Tag lang geweint hatte, ohne mich vor den Blicken der anderen zu genieren, kam mir so lächerlich vor, dass ich am liebsten im Erdboden versinken wollte. Nachdem ich zur Vernunft gekommen war, war mir mein eigenes Verhalten einfach nur noch peinlich.
„Es ... es tut mir leid.“
„Es ist nicht deine Schuld. Bei Krankheit fühlt man sich eben niedergeschlagen.“
Mama streichelte mir sanft den Kopf und tröstete mich. Gerade weil sie so lieb war, fühlte ich mich, als würden mich die Schuldgefühle erdrücken.
Es tat mir leid. Ich hatte aus Verzweiflung, keine Bücher finden zu können, geweint, nicht weil ich Mama vermisst hatte. Obwohl Tuuli um mich besorgt gewesen war und sich gut um mich gekümmert hatte, hatte ich nur gehofft, dass sie schnell das Haus verließ, um mit der Suche nach Büchern anzufangen. Es tat mir wirklich leid.
„Tuuli geht mit den anderen in den Wald in der Nähe. Weil du dich gerade erst von der Krankheit erholt hast, wäre das zu anstrengend für dich gewesen. Willst du mit mir zusammen einkaufen gehen?“
„Ja!“
„Huch? Du bist ja auf einmal richtig munter geworden.“
Mama dachte wohl, dass ich mich freute, weil ich Zeit mit ihr verbringen konnte, und lächelte herzlich. Ich erwiderte ebenfalls mit einem breiten Lächeln.
„Hehe, ich freue mich!“
Da Mama so glücklich aussah, wollte ich das Missverständnis nicht aufklären. Als ich daran dachte, dass ich draußen vielleicht Bücher finden konnte, wurde meine Laune gleich viel besser.
Mein Plan war, zum Einkaufen mitzukommen und Mama zu bitten, mir ein Buch zu kaufen. Es musste kein dickes Buch sein. Ich wollte nur ein Buch haben, mit dem ich Schriftzeichen lernen konnte. Selbst mit einer Aufgabensammlung für Kinder hätte ich mich zufriedengegeben. Wenn es keine Bücher gab, erfüllte eine Alphabet-Tabelle auch ihren Zweck.
Wenn ich ganz lieb sagen würde, „Solange ich ein Buch habe, bin ich nicht einsam und hüte den ganzen Tag brav das Haus“, würde Mama bestimmt der Bitte ihrer kränklichen Tochter nachkommen und mir mindestens ein Bilderbuch kaufen. Hihi, ich freute mich.
„Dann bis später, Mama.“
Mit einem großen Lächeln schaute Tuuli ins Schlafzimmer. Da Mama heute freihatte, konnte Tuuli endlich vom Babysitting befreit werden.
„Verlass die Gruppe nicht und pass gut auf dich auf!“
„Jaa.“
Mit einem großen Korb auf dem Rücken lief Tuuli mit leichten Schritten davon. Die Stimmung wirkte zwar fröhlich, als würde sie auf einen Spielplatz gehen, aber sie ging in den Wald, um die Familie zu unterstützen. Sie machte sich nämlich auf den Weg, um Brennholz zu sammeln. Gleichzeitig sollte sie nach Baumfrüchten und Pilzen suchen. Ob eine günstige, aber schmackhafte Mahlzeit auf uns wartete, hing von Tuuli ab.
Gib dein Bestes, Tuuli! Bring Farbe in unser kulinarisches Leben!
In dieser Welt, in der es an allem mangelte, schien es keine Schule zu geben. Auch Kinder mussten anscheinend entweder im Haushalt helfen oder arbeiten. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern, etwas wie eine Schule gesehen oder davon gehört zu haben. Kinder, die etwas älter als Tuuli waren, fingen bereits eine Lehre an.
Wenn es möglich war, wollte ich eine Lehre zur Bibliothekarin oder Buchverkäuferin machen. Der heutige Ausflug sollte dem Ziel dienen, Informationen zu sammeln. Mein Plan war, die Lage der Buchhandlung herauszufinden, mich mit dem Personal anzufreunden und dort eine Lehre anzufangen.
„Also, Myne. Gehen wir jetzt einkaufen?“
Es war das erste Mal, dass ich als Myne einen Ausflug machte und andere Kleidung als meinen Pyjama trug. Ich musste mehrere dicke Kleidungsstücke, die von Tuuli an mich weitergegeben wurden und abgenutzt aussahen, übereinander tragen. Dick eingepackt in Kleidung, sodass ich mich kaum bewegen konnte, hielt ich die Hand meiner Mutter und wagte meinen ersten Schritt nach draußen.
Kalt! Eng! Es stinkt!
Vielleicht lag es daran, dass die Häuser aus Stein waren, aber ich hatte das Gefühl, dass die Gebäude selbst Kälte ausströmten. Trotz der vielen Schichten drang die kalte Luft durch die Kleidung hindurch. Ich hätte so gern Heattech-Thermounterwäsche, eine Fleecejacke oder ein Wärmepflaster gehabt. Und eine Maske, um mich vor dem Gestank und der Erkältungsgefahr zu schützen.
„Myne, pass auf, dass du nicht hinfällst.“
Als wir das Haus verließen, sah ich als Erstes eine Treppe. Die Treppe war so schmal und steil, dass ich, deren Körper mit dem einer Dreijährigen vergleichbar war, Angst hatte, hinunterzusteigen. An Mamas Hand stieg ich mit „Und die nächste ... Und die nächste ...“ die knarrenden Stufen aus Holzplanken über viele Windungen hinab.
Aus irgendeinem Grund war die Treppe unter dem zweiten Stock aus Stein und stabil.
Wie kam dieser Unterschied innerhalb eines Gebäudes zustande?
Mit einem mürrischen Gesicht kam ich endlich draußen an. Ich zählte die Stockwerke: Unsere Wohnung befand sich in der fünften Etage des siebenstöckigen Gebäudes. Um ehrlich zu sein, da ich schwach, klein und kraftlos war, war es für mich schon eine Herkulesarbeit, aus dem Haus zu kommen. Kein Wunder, dass ich in meinen Erinnerungen fast nur zu Hause war.
Auch jetzt war ich außer Atem, obwohl ich nur das Gebäude verlassen hatte. Mein kraftloser Körper schien noch vor der Ankunft am Zielort umzukippen.
„Huh ... Huh ... Mama, ich kann nicht atmen ... Warte ...“
„Wir sind aber gerade erst rausgekommen, geht’s dir gut?“
„Ich ... brauche nur ein bisschen Pause.“
Nichts würde mich davon abhalten, in eine Buchhandlung zu gehen. Während ich tiefe Atemzüge machte, um meinen Atem zu regulieren, erkundete ich die Umgebung.