Aspekte von Migrationserfahrung - Verena Wiesner - E-Book

Aspekte von Migrationserfahrung E-Book

Verena Wiesner

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Germanistik - Komparatistik, Vergleichende Literaturwissenschaft, Note: 2, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Sprache: Deutsch, Abstract: Aspekte von Migrationserfahrungen Diskussion ausgewählter französischsprachiger Texte von Autoren der DR Kongo (ab 1980) Die vorliegende Arbeit richtet ihr Augenmerk auf den literarischen Kulturkontakt zwischen der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo, ehem. Zaire)1 und Europa, insbesondere Belgien, der sich unter schwierigsten Vorzeichen in einem äußerst schmerzhaften Prozess von Kolonisierung und Dekolonisierung entwickelte. Innerhalb dieses Kulturkontaktes möchte ich mich mit dem Themenkomplex der „Immigration nach Europa“ anhand ausgewählter französischsprachiger Texte der letzten zwanzig Jahre von MigrationsautorInnen der DR Kongo auseinandersetzen. Es werden in der Arbeit drei Aspekte analysiert: Die Selbstwahrnehmung (wie man sich selbst in der Situation der Immigration betrachtet), die Fremdwahrnehmung (wie man die neue Gesellschaft und deren Mitglieder beschreibt und beurteilt) und die Selbstwahrnehmung durch Fremdwahrnehmung (wie man glaubt von Mitgliedern der ansässigen Gesellschaft gesehen zu werden).

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Inhaltsverzeichnis
I VORBEMERKUNGEN UND EINBETTUNG DES THEMAS
I.1 Historischer Kontext
I.2 Literaturgeschichtlicher Kontext.
I.3 Der Textcorpus und seine AutorInnen.
I.3.1 Die Texte.
I.3.2 Die AutorInnen
I.3.2.1 Pius Ngandu Nkashama.
I.3.2.2 Maguy Rashidi-Kabamba.
I.3.2.3 Jean Claude Kangomba Lulamba
I.3.2.4 Pie Tshibanda Wamuela Bujitu
I.3.2.5 Charles Djungu-Simba
I.4 Fragestellung, Gliederung und Methode
II ASPEKTE DER MIGRATIONSERFAHRUNG
II.1 Ich über mich - Selbstwahrnehmung.
II.1.1 Materielle und administrative Schwierigkeiten
II.1.2 Fremdheitserfahrungen und Identitätskrisen
II.1.3 Integration und Ghetto
II.1.4 Sehnsucht nach der Heimat und der Mythos der Rückkehr
II.1.5 Selbstkritik und Selbstreflexion.
II.2 Ich über sie - Fremdwahrnehmung
II.2.1 Paradies Europa - Mythologisierung und Entmythologisierung.
II.2.2 Europa: Kälte, Technik, Ordnung, Individuum
II.2.3 Darstellung der Europäer.
II.3 Sie über mich: Selbstwahrnehmung durch Fremdwahrnehmung
II.3.1 Rassismus bei Fanon und Memmi
II.3.2 Wahrnehmung durch „die Anderen“
II.3.3 Umgang mit Zuschreibungen und Vorurteilen
III CONCLUSIO.
IV LITERATURVERZEICHNIS
IV.1 Primärliteratur
IV.2 Sekundärliteratur.
I. Auswahl der Werke der SchrifstellerInnen

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Aspekte von Migrationserfahrungen

Diskussion ausgewählter französischsprachiger Texte von

Autoren der DR Kongo (ab 1980)

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I Vorbemerkungen und Einbettung des Themas

Die vorliegende Arbeit richtet ihr Augenmerk auf den literarischen Kulturkontakt zwischen der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo, ehem. Zaire)1und Europa, insbesondere Belgien, der sich unter schwierigsten Vorzeichen in einem äußerst schmerzhaften Prozess von Kolonisierung und Dekolonisierung entwickelte. Innerhalb dieses Kulturkontaktes möchte ich mich mit dem Themenkomplex der„Immigration nach Europa“anhand ausgewählter französischsprachiger Texte der letzten zwanzig Jahre von MigrationsautorInnen der DR Kongo auseinandersetzen. Es werden in der Arbeitdrei Aspekteanalysiert: DieSelbstwahrnehmung(wie man sich selbst in der Situation der Immigration betrachtet), dieFremdwahrnehmung(wie man die neue Gesellschaft und deren Mitglieder beschreibt und beurteilt) und dieSelbstwahrnehmung durch Fremdwahrnehmung(wie man glaubt von Mitgliedern der ansässigen Gesellschaft gesehen zu werden).

In diesem Einführungskapitel erfolgt zuerst eine Einbettung des Themas in einen historischen und literaturgeschichtlichen Kontext, anschließend werden die Texte und die Autoren vorgestellt und zuletzt die Fragestellung, Gliederung und Methode der Textanalyse.

I.1 Historischer Kontext

Die Geschichte Belgiens und jene der DR Kongo sind durch eine lange grausame Kolonialzeit miteinander verbunden, welche nicht unwesentlich den Kulturkontakt zwischen den beiden Ländern geprägt hat, aber auch sowohl direkt als auch indirekt maßgeblich zu der wirtschaftlichen und politischen Misere innerhalb der DR Kongo beigetragen hat. Viele der grausamen Konflikte der letzten Jahrzehnte waren zwar selbstverschuldet, müssen aber dennoch auch als Spätfolgen der Kolonisierung und als Brennpunkt von Machtinteressen der internationalen Beziehungen begriffen werden. Ich erwähne hier nur einige ganz wenige Aspekte: Einige ethnische Konflikte wären erst gar nicht zustande gekommen, wenn europäische Mächte 1885 nicht willkürlich die Grenzen Afrikas festgesetzt hätten.2Die

1Bis 1960 hieß das Land „Belgisch Kongo“ („Congo Belge“), von 1971 bis 1997 „Zaire“ und seit 1997 „Demokratische Republik Kongo“. In dieser Arbeit werden die Länderbezeichnungen dementsprechend verwendet. Das gleiche gilt für die Bezeichnungen „KongolesenInnen“ und „ZairerInnen“.

2Vgl. z.B.: Hochschild, Adam:Schatten über den Kongo. Die Geschichte eines der großen, fast vergessenen Menschheitsverbrechen,aus dem Amerikanischen von Monika Nall und Ralf Schubert, Klett-Cotta, Stuttgart, 2000.

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ehemalige Kolonialmacht Belgien forcierte aber auch den Zuzug von Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeiten in bestimmte Teile des ehemaligen „Belgisch Kongo“, da es öfter einen Mangel an Arbeitskräften für die Ausbeutung der reichen Rohstoffvorkommen3gab. Überdies wurden immer wieder einzelne ethnische Gruppen von der ehemaligen Kolonialmacht bevorzugt, was zu Spannungen beitrug. Die Kolonialzeit des ehemaligen „Belgisch Kongo“ ging sehr plötzlich zu Ende und keine der beiden Seiten der kolonialen Beziehung war auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Nachdem die ehemalige Kolonialmacht das Gebiet plötzlich verlassen hatte und kaum eine Infrastruktur hinterließ, begannen sofort heftige interne Auseinandersetzungen, die es dann schließlich Mobutu erlaubten, an die Macht zu gelangen und ein brutales und korruptes diktatorisches System (oft „Kleptokratie“ genannt) aufzubauen. Viele Staaten mischten sich aus wirtschaftlichen Interesse an den kongolesischen Rohstoffen4und aus Interessen des weltpolitischen Gleichgewichts in die verschiedenen internen Angelegenheiten des Landes ein - als ein sehr einleuchtendes Beispiel kann hier der rätselhafte Tod des ersten Präsidenten Patrice Lumumba5genannt werden.6

Seit den 1980er Jahren sahen sich aufgrund der miserablen politischen und ökonomischen Verhältnisse immer mehr Menschen dazu gezwungen, die DR Kongo zu verlassen und ihr Glück in einem anderen Land zu versuchen. Die „Zairisierung“7der Wirtschaft war eine schamlose Ausbeutung des Landes durch den Clan des Diktators gewesen.8

Ab Mitte der 1980er stand Zaire wirtschaftlich am Abgrund und der soziale Druck äußerte sich in Aufruhr. Die Sanierungspolitik und Strukturanpassungsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds scheiterten und eine Belebung der Wirtschaft schien trotz unheimlichen Reichtums an Bodenschätzen als unmöglich. Hinzu kam die Kapitalflucht durch reiche Zairer, aber es war vor allem die Korruption und die maßlose Privatisierung

(Original:King Leopold’s Ghost. A Story of Greed, Terror, and Heroism in Colonial Africa;Verlag Mifflin, Boston / New York, 1998), S. 109-126.

3Vgl. z.B.: Albertini, Rudolf v.: „Der belgische Paternalismus im Kongo“, in: Albertini, Rudolf v. (Hrsg.):Dekolonisation. Die Diskussion über Verwaltung und Zukunft der Kolonien 1919-1960,Westdeutscherverlag, Köln und Opladen, 1966, S. 568-586.

4Kupfer, Kobalt, Diamanten, Zink, Zinn und Mangan sind die wichtigsten Mineralien, aber auch Silber, Gold und so seltene und wertvolle Bodenschätze wie Cadmium, Wolfram, Niob, Tantal und Uran sind vorhanden.

5Vgl. z.B. De Witte, Ludo :Regierungsauftrag Mord. Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise,aus dem Französischen von Ulrich Bossier, Forum Verlag, Leipzig, 2001. (Original:L'Assassinat de Lumumba,Paris, 2000).

6Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

7Darunter versteht man die Übertragung der Leitung wichtiger Wirtschaftsunternehmen auf von der Einheitspartei favorisierte Kader aus Partei und Verwaltung, die Präsident Joseph Mobutu seit 1971 durchgeführt hatte.

8Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

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staatlicher Deviseneinkünfte durch den „Mobutu-Clan“, die dem Land die Kreditwürdigkeit entzog. Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geriet Zaire im Geflecht internationaler Beziehungen noch zusätzlich ins Abseits und wurde weder von den USA noch von Frankreich und Belgien als Stütze im zentralen Afrika gebraucht.9

Mobutu musste dem internationalen Druck nach einer Demokratisierung folgen und begann diesen Prozess ab 1990 in Gang zu setzen. Er erlaubte die Gründung autonomer Gewerkschaften, unabhängiger Studentenbewegungen und freier Presseorgane. Kritische Meldungen in den Medien hatten jedoch Repressalien zur Folge. 1990 wurde auch das Ende des Einparteiensystems verkündet und in kürzester Zeit entstanden mehr als 200 Parteien, die meist die Interessen einzelner ethnischer Gruppen vertraten. 1991 wurde eine „Souveräne Nationalkonferenz“ installiert, zu der alle Parteien geladen waren, aber Mobutu zerschlug diese dann im eigenen Machtinteresse unter dem Vorwand, dass ihre Zusammensetzung ethnisch zu einseitig sei. Zudem unterstützte er einzelne ethnische Gruppen und das Resultat waren vermehrte Rivalitäten und Auseinandersetzungen, in die Mobutus Streitkräfte immer wieder eingriffen.10

Ab 1994 kam es im Osten des Landes zu vermehrten Aufständen, angeheizt durch flüchtige Soldaten und Milizionäre, die nach dem Völkermord in Ruanda11nach Zaire flohen. 1996 kam es im Osten Zaires zu einer Rebellion unter der Führung von Laurent-Désiré Kabila, die militärisch von Ruanda und Uganda unterstützt wurde. Im Mai 1997 gelang Kabila der Sturz von Mobutu und er ernannte sich selbst zum neuen Präsidenten. Mobutu ging nach Marokko ins Exil, wo er einige Monate später starb.12

Das Land, welches unter Mobutu „Zaire“ geheißen hatte, wurde in „DR Kongo“ umbenannt. Im August 1998 wurde das Regime von Laurent-Désiré Kabila von Aufständischen

9Vgl. Bettinger, Sven Claude:Weißer Blick. Schwarzer Blick. Kongo und Kolonialismus in der belgischen Literatur, Heimat und Exil in der Kongolesischen Literatur,SWR2, Feature am Sonntag, Sendung: 17.12.2006 (Redaktion: Gerwig Epkes, Regie: Michael Utz): http://www.swr.de/-/id=1837902/property=download/1m7ydoa/index.rtf. (10.01.2007), S. 67ff.

10Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

11Im April 1994 begannen in Ruanda Massaker, an denen insgesamt über 800.000 Menschen ums Leben kamen. Radikale Hutus wollten damals mit der geplanten Vernichtung von Tutsis eine Machtteilung verhindern. Das für den Genozid verantwortliche Regime wurde dann von Tutsi-Guerillas gestürzt.

[Vgl. Taz 10.4.2007, S. 10: http://www.taz.de/dx/2007/04/10/a0104.1/text (11.05.2007) und UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees), 7.4.2004: http://www.unhcr.de/aktuell/einzelansicht/browse/12/article/32/ruanda-blickt-zurueck-auf-den-voelkermord.html?PHPSESSID=a43b535a7c6cfb3ed0eb623fe414309a (01.05.2007)]

12Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

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herausgefordert, unterstützt von Truppen Ruandas und Ugandas. Truppen von Simbabwe, Angola, Namibia, Tschad, und Sudan intervenierten, um das Regime Laurent-Désiré Kabilas zu unterstützen. Als Gegenleistung erhielten sie erweiterten Zugang zu den reichen Rohstoffvorkommen der DR Kongo. Zimbabwe erhielt zum Beispiel im Austausch für die Militärhilfe Anteile an der Produktion der kongolesischen Diamantenminen. Ein Putschversuch gegen Laurent-Désiré Kabila in Kinshasa scheiterte, weil Angola, Zimbabwe und Namibia auf Seiten Laurent-Désiré Kabilas militärisch intervenierten.13

Im Juli 1999 wurde ein Waffenstillstand von der DR Kongo, Zimbabwe, Angola, Uganda, Namibia, Ruanda und kongolesischen Rebellengruppen in Lusaka vereinbart, aber sporadische Kämpfe gingen weiter und das Land zerfiel in Folge in mehrere Herrschaftsgebiete. Im darauffolgenden Februar wurde die MONUC (United Nations Mission in the Congo)14geschaffen und das Land wurde in sechs Sektoren eingeteilt, mit jeweils einem Stabsquartier der MONUC. Laurent-Désiré Kabila stimmte der Stationierung von UN-Soldaten erst auf der von der UNO neu einberufenen Konferenz von Lusaka im August 2000 zu. Dort willigten alle Kriegsparteien mit Ausnahme von Uganda ein, ihre Truppen aus dem Staatsgebiet der DR Kongo zurückzuziehen.15

Laurent-Désiré Kabila wurde im Januar 2001 von seinem Leibwächter ermordet und sein Sohn Joseph Kabila wurde zum Staatsoberhaupt ernannt. Er forcierte den Friedensprozess und erlaubte der UNO Stationierungen entlang der Frontlinie zu den Rebellen. Im Oktober 2002 verhandelte der neue Präsident erfolgreich den Rückzug der ruandischen Kräfte aus, welche den östlichen Kongo okkupierten. Zwei Monate später wurde die „Pretoria Übereinkunft“ von allen verbleibenden Kriegsparteien unterzeichnet, um die Auseinandersetzungen zu stoppen und eine Regierung der nationalen Einheit zu schaffen.16

Im Juli 2003 wurde schließlich eine Übergangsregierung ins Leben gerufen und Joseph Kabila blieb Präsident, unterstützt von vier Vizepräsidenten verschiedener Parteien, welche

13Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

14Vgl. MONUC (United Nations Mission in the Congo): http://www.monuc.org (11.02.2007)

15Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

16Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

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die ehemalige Regierung, die früheren Rebellengruppen und die politische Opposition repräsentierten. Im Mai 2003 verschärfte sich im Distrikt Ituri im Nordosten ein seit 1999 schwelender Konflikt zwischen Milizen der Hema- und Lendu-Völker und es kam zu blutigen Massakern, welche mit Unterstützung Frankreichs und Deutschlands beendet wurden. Im Juni 2004 kam es zu einem Putschversuch gegen Joseph Kabila.17

Im Jahr 2005 wurde schließlich die Verfassung durch ein Referendum angenommen und 2006 ihr Inkrafttreten mit einer Volksabstimmung bestätigt. Die ersten demokratischen Wahlen des Landes seit mehr als 40 Jahren waren ursprünglich für 2005 avisiert worden, fanden aber erst 2006 statt. Man befürchtete, dass die Wahlen Auslöser für neue militärische Konflikte sein könnten und den Krieg erneut entfachen würden. Drei Kandidaten standen um das Amt des Staatspräsidenten zur Wahl: Joseph Kabila, Jean-Pierre Bemba (der Mobutu politisch nahesteht) und Pierre Pay-Pay (der ehemalige Chef der Zentralbank). Die Wahlen wurden geschützt durch die MONUC. Joseph Kabila gelang es, nach einer Stichwahl gegen Bemba die Wahlen für sich zu entscheiden.18

Große Konflikte blieben zwar aus, aber vereinzelte Unruhen gehen weiter. Beispielsweise kam es im März 2007 wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Regierungssoldaten und der Miliz des Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba.19Der Wiederaufbau wird als schwierig eingestuft: Es steht ihm der fast vollständige Zerfall der Infrastruktur, Verwaltung und Wirtschaft des Landes sowie die Ausplünderung der äußerst rohstoffreichen Ostprovinzen des Kongo durch andere Staaten im Wege.20

Der Krieg in der DR Kongo war einer der blutigsten der Weltgeschichte. Von 1998 bis Anfang 2004 wurden laut IRC (International Rescue Committe) 3,9 Millionen Menschen getötet.21Es ist also mehr als verständlich, dass in den letzten Jahren die Zahl der Exilanten

17Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20-%20Eine%20Konfliktanalyse.html (11.05.2007)

18Vgl. Auswärtiges Amt (Deutschland):

http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/Afrika/Kongo-Einsatz.html (20.04.2007)

19Vgl.BBC News,11.05.2007: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/6642495.stm (20.04.2007) undDie Zeit,23.03.2007: http://www.zeit.de/online/2007/13/kongo (20.04.2007)

20Vgl. Weltpolitik.net:

http://www.weltpolitik.net/Regionen/Afrika/DR%20Kongo/Analysen/Der%20Kongo%20%20Eine%20Konfliktanalyse.html (20.04.2007) und

Le Monde Diplomatique,Juli 2006, S.13: http://www.monde-diplomatique.fr/2006/07/A/13607 (20.04.2007)

21Vgl. IRC (International Rescue Comittee): http://www.theirc.org/news/page-27819067.html (20.04.2007)

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extrem anstieg und Belgien, die frühere Kolonialmacht zu einem der wichtigsten Exilländer wurde.22

I.2 Literaturgeschichtlicher Kontext

Unter den unzähligen ExilantInnen während der Krisenzeit, d.h. vom Umschwung des diktatorischen Systems Mobutus hin zur aktuellen Regierungsform der DR Kongos, finden sich zahlreiche SchriftstellerInnen. Einige davon sind freiwillig ins Exil gegangen, andere wurden gezwungen. Ihre Motive waren meist die Flucht vor kriegerischen Auseinandersetzungen, den ethnischen Verfolgungen und Konflikten, aber auch ökonomische Gründe. Es verdoppelte sich daher seit Mitte der 1980er Jahre die Anzahl der Exilromane.

Silvia Riva,Dozentin für frankophone Literaturen an der Università degli Studi in Mailand und Spezialistin für Literaturen afrikanischer Länder der Sub-Sahara23unterscheidet daher seit den 1980ern zwischen „exilierten“ und „nicht-exilierten“ SchriftstellerInnen.24Die LiteraturwissenschaftlerinNadine Fettweisbezeichnet die im Land verbliebenen SchriftstellerInnen, als „écrivains du silence“, da diese in Isolation gefangen waren und weder frei schreiben konnten noch Zugang zu den wichtigen literarischen Verlagen und Märkten hatten.25

Es soll hier erwähnt werden, dass die Literatur der DR Kongo seit den 1980er Jahren generell sehr politisch engagiert ist - man setzt sich stark mit dem brutalem Regime auseinander, prangert Gewalt und Macht der öffentlichen Institutionen in der DR Kongo an und verurteilt das politische System und die Gesellschaft, welche durch Korruption und Bürgerkriege geprägt sind.Pius Ngandu Nkashama,derzeit Professor für frankophone Sprachen und Literaturen an der Louisiana State University in Baton Rouge in den USA, macht drei

22Vgl. Bettinger, 2006, S. 67ff.

23Vgl. Università degli Studi in Mailand: http://users.unimi.it/sidera/riva.php (23.02.2007)

24Vgl. Riva, Silvia :Nouvelle Histoire de la littérature du Congo-Kinshasa,aktualisierte französische Version, übersetzt von Collin Fort, Vorwort von V. Y. Mudimbe und Marc Quaghebeur, L’Harmattan, Paris, 2006. (Original :Rulli di tam-tam dalla torre di Babele. Storia della letteratura del Congo-Kinshasa,Milan, 2000), S. 217f.

25Vgl. Fettweis, Nadine : „Les écrivains du silence. Présentations des écrivains zaïrois non exilés“, in : Halen, Pierre; János, Riesz (Hrsg.):Littératures du Congo-Zaïre. Actes du colloque international de Bayreuth (22-24 juillet 1993),Editions Rodopi B. V., Amsterdam - Atlanta, GA 1995, S. 93-105.

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Charakteristika in der gesamten Literatur (also Exilliteratur und Literatur im Land) zwischen 1980 und 1990 fest:26

DieWelt außerhalb ist durch Angst und steigenden Terror gekennzeichnet Tragikin den Modalitäten der fiktionalen Erzählung DerAkt des Spotts als Moment des Exorzismus (Beschwörung)

Die Gesellschaft wird in diesen Jahren selbst zu einer Figur und einem Ort des Widerstands gegen die Macht. Die Themen der Anprangerung der Gewalt und Macht der öffentlichen Institutionen, die Verurteilung der Brüderkriege, der Spott gegen die Tyrannen und ihr schreckliches System kommen sowohl in den im Land geschriebenen Texten als auch in den sogenannten Exilromanen vor. Der Unterschied ergibt sich, soRiva,auf strukturellem Niveau. Die Texte der Diaspora zwischen 1980 und 1990 verfolgen ihre Verurteilung ganz stark extra-territorial, das heißt sie siedeln ihre Erzählungen an anderen geographischen Orten an, nämlich in anderen Ländern. Die Texte der SchriftstellerInnen im Land wählen hingegen meist eine realistischere Option und versuchen durch eine lineare Schreibweise so weit wie möglich das Lesepublikum zu erreichen und die dringendsten Probleme der Gemeinschaft von Kongo-Kinshasa offen zu legen.27

Neben diesen Romanen, die sich mit den Problemen der DR Kongo auseinandersetzen, gibt es seit Beginn der kongolesischen Literatur französischer Sprache auch Texte, die sich mit den Begegnungen oder den Konflikten zwischen Europäern und Afrikanern, zwischen europäischen und afrikanischen Kulturen auseinandersetzen. Das Thema des Konflikts zwischen europäischer und afrikanischer Kultur und deren divergierenden Anforderungen an die einzelnen Individuen ist alles andere als neu: Auch der wohl bekannteste Autor der DR Kongo,V.Y. Mudimbe,der derzeit Professor an der Duke University in North Carolina28ist und im Januar 2006 zum Ehrendoktor der Université Catholique de Louvain ernannt wurde, hat sich in seinem Werk immer wieder mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Er hat seine Darstellungen der Identitätskrisen, die von dem Konflikt zwischen europäischer und afrikanischer Kultur ausgelöst werden, meist auf afrikanischem Boden angesiedelt.29

26Vgl. Ngando Nkashama, Pius: „La littérature congolaise contemporaine (1980-1993). Romans, récits et contes“, in : Halen, Pierre; János, Riesz (Hrsg.):Littératures du Congo-Zaïre. Actes du colloque international de Bayreuth (22-24 juillet 1993).Editions Rodopi B. V., Amsterdam - Atlanta, GA 1995, S. 23-50.

27Vgl. Riva, 2006, S. 255ff.

28Vgl. Duke University: http://fds.duke.edu/db/aas/Literature/faculty/vmudimbe (10.03.2007)

29Vgl. z.B. : Mudimbe, V.Y.:Entre les eaux. Dieux, un prêtre, la révolution,Paris, Présence Africaine, 1973. (Englische Übersetzung von Stephen Becker :Between Tides,New York, Simon und Schuster, 1989) undL’écart,Paris, Présence

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Historisch bedingt fand die literarische Auseinandersetzung mit Europa und den Europäern früher auf afrikanischem Boden statt und verarbeitete Themen des Kolonialsystems. Durch die nun gesteigerte Migration findet das Zusammentreffen nun in Europa statt und man setzt sich auch literarisch mit Europäern und deren Verhalten gegenüber afrikanischen Mitbürgern auseinander. Der SchriftstellerKadima-Nzuji30, der Professor für afrikanische Literatur an der Université Marien Ngouabi in Brazzaville31ist, hat als erster die Geschichte der kongolesischen Literatur französischer Sprache strukturiert.32Ihm zufolge ist ein bestimmendes Wesensmerkmal dieser neuen Texte die Beschreibung der Konfrontation eines oder mehrerer Kongolesen mit einer europäischen Gesellschaft und die Darstellung der schwierigen Situationen und Probleme, die aus dieser Gegenüberstellung erwachsen.33

Alphonse Mbuyamba Kankolongo,Literaturprofessor an der Université de Kinshasa, bemerkt ebenso, dass aufgrund der Tatsache, dass viele kongolesische Autoren in Europa, den USA oder in Kanada leben, eine starke Beschäftigung mit der westlichen Kultur zu beobachten ist. In einem Artikel, der in der WochenzeitschriftLa consciencein Kinshasa erschienen ist, setzt er sich mit der geschriebenen kongolesischen Literatur und dem Mythos von Europa auseinander. Er erklärt darin, dass Europa eine massive Anziehungskraft auf junge Menschen und vor allem Studenten ausübt - Europa sei nicht nur der Ort, wo man studieren soll, sondern sei generell die Erfüllung eines Traums, der in der DR Kongo nicht realisierbar ist. Europa ist für viele der Inbegriff für materiellen Wohlstand und die Abwesenheit der „typischen“ Probleme Afrikas: Hunger, Analphabetismus, Fehlen von Studienplätzen an den Universitäten, schlechte Studienbedingungen, soziale Ungerechtigkeit und Arbeitslosigkeit. Innerhalb der kongolesischen Literatur, die Europa thematisiert, so Alphonse Mbuyamba Kankolongo, gibt es zahlreiche Romane, die vor Augen führen, dass das so positiv konstruierte Bild von Europa letztendlich nichts als ein Mythos ist. Diese Romane stammen meist von MigrationsautorInnen.34Ein gutes Beispiel für die

Africaine, 1979. (Englische Übersetzung von Marjolijn De Jager:The rift,Minneapolis, University of Minnesota Press, 1993.)

30Vgl. z.B.: Kadima-Nzuji, Mukala :La Chorale des mouches, Présence Africaine, Paris, 2003.

31Vgl. Francoffonies.fr:

http://www.francofffonies.fr/litterature/portrait.php?IDFiche=76&Theme=LITTERATURE (12.03.2007)

32Kadima-Nzuji, Mukala :La littérature zaïroise de langue française (1945-1965),A.C.C.T. et Éditions Karthala, Paris, 1984.

33Kadima-Nzuji, Mukala: „L’Europe de Pie Tshibanda dans Un fou noir au pays de Blancs”, in : Gehrmann, Susanne; János, Riesz (Hrsg):Le blanc du noir. Représentations de l’Europe et des Européens dans les littératures africaines,Literatur und Forschung, Band 2, Lit Verlag Münster, 2004, S. 219-231.