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Nach einem einführenden Kapitel über die Definition von Leben beginnt die Erkundung des Themas »Leben im Universum« mit der Geschichte des Universums, unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, die die Entwicklung von Leben ermöglicht haben. Es fokussiert dann in ähnlicher Weise auf die Geschichte unseres Sonnensystems und der Erde. Im mittleren Teil des Buchs geht es um das Leben auf der Erde: wie konnte es entstehen, sich ausbreiten, und mehr als drei Milliarden Jahre lang überleben? Welche seiner Eigenschaften sind Zufall, und welche Notwendigkeit? Im letzten Drittel des Buchs werden die Erkenntnisse aus der irdischen Biologie angewandt auf die Suche nach Leben im übrigen Sonnensystem (Mars, Monde des Jupiter und Saturn) und nach lebensfreundlichen Planeten im Rest des Universums.
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Seitenzahl: 570
Contents
Vorwort
1 Was ist Leben?
1.1 Definition des Lebens
1.2 Die Chemie des Lebens
1.3 Das Lösungsmittel des Lebens
1.4 Lebensenergie
1.5 Andere Voraussetzungen
1.6 Schlussbemerkungen
2 Ursprünge eines bewohnbaren Universums
2.1 Der Urknall und die Folgen
2.2 Die ersten Sterne und Galaxien
2.3 Die schwereren Elemente
2.4 Eignung von Sternen für den Ursprung und die Evolution des Lebens
2.5 Eignung von Galaxien für den Ursprung und die Evolution des Lebens
2.6 Schlussbemerkungen
3 Ursprung eines bewohnbaren Planeten
3.1 Die Proto-Sonne
3.2 Die Entstehung der Planeten
3.3 Der geheimnisvolle Mond
3.4 Hausputz und Wasserlieferung
3.5 Die flüchtigen Verbindungen der anderen inneren Planeten
3.6 Schlussbemerkungen
4 Ursuppe
4.1 Das Inventar flüchtiger Verbindungen
4.2 Miller-Urey-Chemie und die junge Erde
4.3 Mechanismen der Miller-Urey-Reaktionen
4.4 Die präbiotische Synthese von Kohlenhydraten
4.5 Die präbiotische Synthese von Nucleinsäuren
4.6 Was fehlt – Fette
4.7 Andere Möglichkeiten
4.8 Präbiotische Polymerisation
4.9 Schlussbemerkungen
5 Der Funke des Lebens
5.1 Panspermia
5.2 Theorien zum Ursprung des Lebens
5.3 Stoffwechsel zuerst
5.4 Gene zuerst
5.5 Die RNA-Welt
5.6 Offene Fragen
5.7 Schlussbemerkungen
6 Von Molekülen zu Zellen
6.1 LUCA
6.2 Zurück zur RNA-Welt
6.3 Wie kann RNA die Synthese von Proteinen lernen?
6.4 Die Evolution des genetischen Codes
6.5 DNA als Archivmaterial
6.6 Was kam zuerst – Proteine oder DNA?
6.7 Enzym-getriebene Stoffwechselnetzwerke
6.8 Membranen
6.9 Schlussbemerkungen
7 Eine kurzgefasste Geschichte des Lebens auf der Erde
7.1 Der Ausbruch des Lebens auf der Erde
7.2 Die ersten komplexen Ökosysteme
7.3 Wann lebte LUCA?
7.4 Wie die Photosynthese die Welt veränderte
7.5 Die Einführung des aeroben Stoffwechsels
7.6 Eukaryonten: größere und bessere Zellen
7.7 Vielzeller: Explosionen und Artensterben
7.8 Schlussbemerkungen
8 Die Grenzen des Lebens
8.1 Lebe wild und gefährlich
8.2 Manche mögen’s heiß
8.3 Kühl kalkuliert
8.4 Trocken und salzig
8.5 Extreme pH-Werte
8.6 Leben unter Druck
8.7 Leben im Untergrund
8.8 Schlussbemerkungen
9 Bewohnbare Welten im Sonnensystem und darüber hinaus
9.1 Mögliche Lebensräume im übrigen Sonnensystem
9.2 Die Erkundung des Mars
9.3 Die Monde des Jupiters
9.4 Die Monde des Saturns und darüber hinaus
9.5 Planeten ferner Sterne
9.6 Schlussbemerkungen
10 Die Suche nach außerirdischem Leben
10.1 Die Suche nach Leben
10.2 Leben auf dem Mars?
10.3 Mars nach Viking
10.4 Mars-Mikroben auf der Erde?
10.5 Astrobiologie des äußeren Sonnensystems
10.6 Die Suche nach Leben jenseits des Sonnensystems
10.7 SETI: die Suche nach außerirdischer Intelligenz
10.8 Schlussbemerkungen
11 Nachwort
Glossar
Personenregister
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Autoren
Kevin W. Plaxco
Michael Groß
1. Auflage 2012
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Print ISBN: 978-3-527-41145-0
Umschlaggestaltung Simone Benjamin, McLeese Lake, Canada
Satz Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld
Das Weltall ist, das lässt sich kaum bestreiten, ganz schön groß. Als Wissenschaftler im Jahre 2003 das Hubble-Weltraumteleskop Hubble anwiesen, elf Tage lang auf denselben kleinen Himmelsfleck zu starren, entdeckte es mehr als 10.000 Galaxien in einem Ausschnitt des Himmels, dessen Anteil am Blickfeld nicht größer war als der eines Stecknadelkopfes, den man mit ausgestrecktem Arm gen Himmel streckt (Abb. 1). Extrapoliert man dieses Ergebnis auf die gesamte Himmelskugel, dann muss es im beobachtbaren Universum etwa 130 Milliarden Galaxien geben. Und diese enthalten im Durchschnitt jeweils um die 400 Milliarden Sterne. Das Weltall ist wirklich ziemlich groß.
Wenn das Weltall so unvorstellbar groß ist und wirklich 52 Trilliarden (5,2 × 1022) Sterne enthält, kann man daraus schließen, dass es auch jenseits unserer Atmosphäre irgendwo Leben geben muss? Oder sind wir vielleicht alleine im Universum? In Film, Fernsehen und Science-Fiction-Romanen ist man sich weitgehend einig, dass es dort draußen von Aliens nur so wimmelt. Schließlich wäre Science-Fiction ziemlich langweilig, wenn alle Himmelskörper so wüst und leer wären wie unser Mond.
Abb. 1 Galaxien wie Sand am Meer. Dieses Photo zeigt eine mit dem Hubble-Weltraumteleskop durchgeführte Langzeitbelichtung eines kleinen Himmelssegments. Dieser Abschnitt des Himmels wurde ausgewählt, weil er auf den ersten Blick nahezu leer erschien. Er enthält nur zwei Sterne, die in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, angesiedelt sind. Von den übrigen 3.000 hellen Flecken auf diesem Photo ist jeder einzelne eine eigene Galaxie in weiter Ferne. Dieser Ausschnitt stellt nur ein Fünfmillionstel des Himmels dar und enthält demnach auch nur einen entsprechend kleinen Anteil der schätzungsweise 130 Milliarden Galaxien unseres Universums (Photo: NASA/STScI/ESA).
Selbst WissenschaftlerInnen hängen oft der romantischen Vorstellung eines von vielfältigen Lebensformen bevölkerten Universums an. In den 1960er und frühen 70er Jahren gab es vorübergehend eine Wissenschaftsdisziplin namens Exobiologie, die sich ganz speziell dem Studium außerirdischen Lebens widmete. Da es jedoch bisher keinen Nachweis für Leben jenseits unseres eigenen Planeten gibt, fiel die Exobiologie schon bald dem Spott anheim, dass es sich um eine Wissenschaftsdisziplin ohne Untersuchungsgegenstand handele, und damit kam sie auch bald aus der Mode. Die Exobiologie war zu eng gefasst und auf Dinge konzentriert, die wir im Moment einfach noch nicht umfassend untersuchen können.
Dennoch will die Grundfrage: „Sind wir allein im Universum?“ angemessen behandelt werden. Dies übernimmt jetzt eine neue Forschungsdisziplin, die Astrobiologie. Im Gegensatz zur früheren Exobiologie hebt die Definition der Astrobiologie die Trennung zwischen Leben auf der Erde und Leben im restlichen Universum auf. Die Astrobiologie befasst sich mit der weiter gefassten, fundamentaleren und zugänglicheren Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Leben und den physikalischen und chemischen Gegebenheiten in unserem Universum. Zu diesem Zweck konzentriert sich die Astrobiologie zunächst einmal – verständlicherweise – auf das Leben auf der Erde, denn dieses ist schließlich das einzige Beispiel, das wir zur Hand haben. Sie versucht allerdings, dieses einzelne Beispiel im breiteren Zusammenhang des Universums zu verstehen.
Auf der Grundlage der umfassenden (wenn auch unvollständigen) wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Leben auf der Erde stellt die Astrobiologie sich drei fundamentalen Fragen über das Leben im Universum:
Welche physikalischen Eigenschaften ermöglichen es unserem Universum, Leben hervorzubringen?
Wie spielte sich die Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde ab, und wie verschieden könnte dieser Prozess anderswo abgelaufen sein?
An welchen anderen Orten im Universum könnte Leben entstanden sein, wie könnte es aussehen, und wie können wir es finden?
Der Wert der Astrobiologie liegt zum Großteil darin, dass diese Fragen vielleicht zu den fundamental wichtigsten Problemen der heutigen Wissenschaft gehören. Sie sprechen grundlegende Bedürfnisse des Menschen an, nämlich, zu wissen, wer wir sind, wo wir herkommen, und ob wir in den Weiten des Weltalls allein sind. Zusätzlicher Nutzen ergibt sich daraus, dass diese Fragen eine ungewöhnlich interdisziplinäre Vorgehensweise erfordern. Die Astrobiologie berührt eine Vielzahl von traditionellen Disziplinen wie Kosmologie, Astrophysik, Astronomie, Geologie, Chemie, Biochemie und natürlich die Biologie. Dieser Umstand verleiht den einzelnen Wissensgebieten einen neuen Grad an Bedeutung, da sie in einem weiter gefassten Kontext eingebettet werden. Andererseits macht die interdisziplinäre Natur der Astrobiologie auch eine reibungslose Kommunikation zwischen weit auseinanderliegenden Disziplinen erforderlich. Es gilt, Astronomie für Biologen verständlich zu machen und Zellbiologie für Astrophysikerinnen. In diesem Sinne versuchen wir mit diesem Buch, den gegenwärtigen Stand der Astrobiologie einem breiten Spektrum von wissenschaftlich Interessierten, „also Hörerinnen und Hörern aller Fakultäten“, zugänglich zu machen und beschränken uns deshalb auf die notwendigen wissenschaftlichen Einzelheiten.
Im ersten Kapitel beginnen wir damit, dass wir dieses obskure Objekt unserer Wissbegierde, das Leben, zu definieren versuchen. Obwohl es uns hier auf der Erde leicht fällt, lebende und nicht lebende Systeme zu unterscheiden, ist es nicht ganz so einfach, eine Definition zu erstellen, die alle Lebensformen, die vielleicht irgendwo im Universum vorkommen, einschließt und gleichzeitig alle nicht lebenden Systeme ausschließt.
Im zweiten Kapitel untersuchen wir, wie die Entstehung und Entwicklung unseres Universums die Bühne bereitete für die Entstehung des Lebens. Wie entstand das Universum und welche seiner Charakteristika unterscheiden sich von anderen denkbaren Universen, die womöglich kein Leben beherbergen können?
Von den expandierenden Weiten des Universums kommen wir dann in Kapitel 3 mit einem Zoom-Effekt zu dem kleinen Ausschnitt, der uns vertraut ist, nämlich unserem Planeten und seinen Nachbarn im Sonnensystem. Warum verwandelte sich der dritte Planet unserer Sonne in einen Lebensraum, während dies seinen Nachbarn nicht gelang? Welche Schritte sind notwendig, damit ein Planet – irgendein Planet, irgendwo im Universum – nicht nur bewohnbar wird, sondern auch Leben hervorbringt?
Ein weiterer Zoom bringt uns in Kapitel 4 zu der molekularen Welt an der Oberfläche der urzeitlichen Erde. Wir befassen uns mit den chemischen Bedingungen und möglichen chemischen Reaktionswegen, die dazu führten, dass Leben auf der Erde entstehen konnte.
Nachdem das Universum, die Erde und die Moleküle alle in geeigneter Form zur Entstehung des Lebens bereitstehen, bleibt noch die entscheidende Frage: wie entzündete sich das Feuer? Wie wurde unbelebte Materie zu belebter, ein unbewohnter Planet zu einem lebendigen? Die kurzgefasste Antwort lautet: Wir wissen es (noch) nicht. Allerdings gibt es partielle Antworten auf einige der Fragen in diesem Bereich sowie Randbedingungen, welche die Antworten auf andere Fragen einschränken, was es uns ermöglicht, einige spekulative Szenarien in Kapitel 5 durchzuspielen.
Im sechsten Kapitel folgen wir dann der Geschichte des Lebens auf der Erde von dessen Entstehung bis zu den ersten Zellen. Auch in dieser Phase weiß man bisher nur sehr wenig darüber, was wirklich geschah, wir können aber einschränkende Bedingungen dafür angeben, was auf der Erde – und auf anderen Planeten – geschehen konnte.
Der Nebel unserer Unwissenheit lichtet sich ein wenig, wenn wir in Kapitel 7 auf den gemeinsamen Vorfahren aller heute auf der Erde vorkommenden zellulären Lebewesen zu sprechen kommen. Es handelt sich um einen Einzeller namens LUCA, der bereits hochgradig evolviert war und DNA, RNA und mehrere hundert verschiedene Proteine besaß. Von diesem Punkt an kann man die Molekulargenetik benutzen, um die Geschichte des Lebens auf der Erde nachzuvollziehen. In zunehmendem Maße kommen dann auch Fossilien zur Hilfe, insbesondere ab der so genannten kambrischen Explosion vor rund 540 Millionen Jahren. Die Entwicklung des Lebens auf der Erde ist natürlich nur ein von vielen Zufällen und Randbedingungen geprägter Einzelfall, doch gibt sie uns immerhin einen Eindruck davon, was auch anderswo im Universum möglich sein könnte, und wie viel Zeit für eine solche Entwicklung erforderlich ist.
Der in den letzten Jahren gewachsene Optimismus der Astrobiologie, dass es auch anderswo im Universum Leben gibt, beruht unter anderem auch auf dem rasch anwachsenden Wissen von Arten, die unter extrem unwirtlichen physikalischen bzw. chemischen Bedingungen überleben, etwa bei hohen Drücken oder Temperaturen oder in extrem salzigen, sauren oder alkalischen Gewässern. Die Entdeckung dieser so genannten Extremophilen, die wir in Kapitel 8 behandeln, hat unsere Vorstellung davon, welche Orte im Sonnensystem als mögliche Lebensräume in Frage kommen, drastisch erweitert. Diese Verbindung zwischen der Erforschung von Habitaten auf der Erde und der Suche nach Leben im übrigen Universum ist ein wichtiger Aspekt, der die Astrobiologie von der früheren, enger definierten Exobiologie unterscheidet.
Nachdem wir die Entwicklung und die Grenzen des Lebens auf unserer Erde ausgelotet haben, können wir nun in Kapitel 9 wieder einen breiteren Blickwinkel anwenden und uns fragen, wo sonst in unserem Sonnensystem, und auch in anderen Planetensystemen, geeignete Lebensräume zu finden sein könnten. Ein Großteil der Weltraumforschung der letzten Jahre wurde mit dieser Fragestellung begründet. Im letzten Kapitel kommen wir dann von der Suche nach Lebensräumen zu der etwas schwierigeren und bisher erfolglos gebliebenen Suche nach außerirdischem Leben.
Seit die erste englische Ausgabe dieses Buches im Jahre 2006 erschien, hat es beträchtliche Fortschritte sowohl bei der Erforschung der Planeten unseres Sonnensystems als auch bei der Entdeckung von Planeten anderer Sterne gegeben. Irdische Extremophile sind an noch unwirtlicheren und entlegeneren Stellen aufgetaucht, und selbst die seit Jahrzehnten nur im Schneckentempo vorwärtskriechende Erforschung des Ursprungs des Lebens hat einige Fortschritte gemacht. Wir haben für die zweite englische Ausgabe (2011) und anschließend für diese deutsche Übersetzung den gesamten Text auf den jeweils neuesten Stand gebracht und uns bemüht, jegliche Fehler zu eliminieren. Wir hoffen, dass wir unsere Leserinnen und Leser mit dieser Ausgabe überzeugen können, dass die Astrobiologie tatsächlich eine lohnende Forschung an real existierenden Forschungsobjekten ist, und dass sie unserer Zivilisation hilft, unseren Platz im Universum zu verstehen.
Erwin Schrödinger (1887–1961), Mitbegründer der Quantenmechanik wider Willen, Nobelpreisträger (Physik, 1933) und Urheber eines berühmten Gedankenexperiments mit Stubentiger, sagte gerne unverblümt seine Meinung. Nach der Machtergreifung der Nazis erkannte er, dass ihm diese Angewohnheit Schwierigkeiten mit den neuen Machthabern bereiten würde, trat von seinem Lehrstuhl an der Berliner Universität zurück, den er erst sechs Jahre vorher übernommen hatte, und emigrierte zunächst nach Oxford, dann in sein Geburtsland Österreich. Von dort vertrieb ihn 1938 der Anschluss. Im Jahre 1939 bot die Regierung des neutralen Irland ihm einen Lehrstuhl für Theoretische Physik am neu gegründeten Dublin Institute for Advanced Studies an. Trotz seiner schwierigen Situation als politischer Flüchtling am Anfang des Zweiten Weltkriegs fand er in Dublin eine neue Heimat und profitierte enorm von den 17 Jahren, die er dort verbringen sollte.
Zu seinen Aufgaben zählte ein einmal jährlich zu haltender öffentlicher Vortrag. Im Jahr 1943 hielt er sogar eine Serie von drei Vorträgen am Trinity College in Dublin, wo über 400 Menschen ihm zuhörten, als er die Frage behandelte: „Was ist Leben?“ Zu jener Zeit gab es die Disziplin Biophysik noch nicht, und es war geradezu unerhört, dass sich ein theoretischer Physiker in das Gebiet der Biologie hineinwagte. Überdies gab es in der damaligen Biologie praktisch nichts, was zu den streng logischen Denkweisen eines Physikers gepasst hätte. Deshalb konnte Schrödinger auch keine Antworten auf biologische Fragen geben. Stattdessen formulierte er die fundamentalen Fragen der Biologie so, wie er sie aus seiner Perspektive als Physiker sah.
Schrödinger behandelte hauptsächlich zwei grundlegende Aspekte des Lebens: Vererbung und Thermodynamik. Diese formulierte er als parallele Grundfragen: Wie erzeugt das Leben Ordnung aus Ordnung, und wie erzeugt es Ordnung aus Unordnung? In seiner Betrachtung der Genetik (Ordnung aus Ordnung) schätzte er die Anzahl der Atome, die in einem Gen enthalten sein müssten. (Zu dieser Zeit war „Gen“ noch ein vollständig abstraktes Konzept.) Er schlug vor, dass die genetische Information in einer Art „aperiodischem Kristall“ enthalten sein könnte, also einer regelmäßig wiederholten Struktur mit charakteristischen, informationstragenden Variationen. Angesichts der späteren Erkenntnisse zur Struktur der DNA erscheint diese Idee verblüffend hellseherisch.
In der zweiten Hälfte seiner Vortragsreihe erläuterte Schrödinger, dass Lebewesen wohlgeordnete Muster von Molekülen (und im Falle höherer Organismen, auch von Zellen und Geweben) erzeugen können, wobei sie allerdings eine größere Unordnung in ihrer Umgebung erzeugen. Auf diese Weise bleibt die Evolution von hochgradig komplexen und „geordneten“ Lebewesen aus einem ungeordneten Reservoir von einfachen, leblosen Molekülen vereinbar mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der für jedes geschlossene System und für das Universum insgesamt eine Zunahme der Entropie (Unordnung) festschreibt.
Schrödingers Vortragsreihe wurde später auch als Buch veröffentlicht. Dieses erwies sich als äußerst einflussreich und ist bis heute erhältlich. Zum ersten Mal hatte ein prominenter Wissenschaftler hier die Frage aufgeworfen, wie die Physik unseres Universums dessen Biologie eingrenzt. Dennoch war die Frage „Was ist Leben?“ 1943 nicht beantwortbar und stellte nicht nur die Biologie, sondern auch die anderen Wissenschaften vor unüberwindbare Herausforderungen. In den knapp sieben Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, hat die Wissenschaft viele Aspekte dieser Frage gelöst. Deshalb können wir heute, in diesem Einführungskapitel, zumindest versuchen, Leben zu definieren und einige seiner fundamentalen Voraussetzungen aufzuführen.
Heute gibt es ja nicht mehr nur „die“ Biologie, sondern ein ganzes Spektrum von Lebenswissenschaften, deren Interessen von der Urzeit bis in die Zukunft, vom Abstrakten bis in die medizinischen Anwendungen, und von den kleinsten Mikroben bis hin zur Biosphäre reichen. Eine gemeinsame Definition, was denn dieses „Leben“ nun ist, das diese bunte Versammlung von Disziplinen verbindet, haben die Forscherinnen und Forscher allerdings noch nicht gefunden.
Solange man sich nur für die Lebewesen auf der Erde interessiert, die ja, wie wir in Kapitel 5 diskutieren werden, auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen, kann man sich vielleicht noch auf sein Bauchgefühl verlassen und darauf, dass man ein Lebewesen schon erkennen wird, wenn es einem über den Weg läuft.
Hier wollen wir allerdings auch diskutieren, welche anderen Arten von Leben möglicherweise an anderen Orten im Universum entstanden sein könnten, und welche Rahmenbedingungen zur Entstehung des Lebens geeignet sind. Zu diesem Zweck müssen wir auch eine brauchbare Definition haben, die festlegt, was Leben überhaupt ist.
Dabei muss uns auch bewusst sein, dass unsere Perspektive notwendigerweise beschränkt ist. Unsere Auffassung davon, unter welchen Bedingungen Leben entstehen oder gedeihen kann, ist mit Sicherheit stark beeinflusst von unserem Verständnis des Lebens auf der Erde. Solange wir uns dieser Probleme bewusst sind, können wir zumindest versuchen, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Leben im Universum so objektiv wie eben möglich zu sondieren. Was, nach langer Vorrede, ist also Leben?
Die auffälligste Eigenschaft, die lebende Systeme von der unbelebten Welt abhebt, ist ihre Fähigkeit, weitere Exemplare ihrer Art zu erstellen, oder, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt, sich zu replizieren. Bei Homo sapiens lässt sich dieser Prozess in dem biblischen Imperativ „Seiet fruchtbar und mehret Euch“ beschreiben, dem die Menschheit in stetig wachsendem Maße nachgekommen ist.
Die Fähigkeit, sich zu vermehren, wird naturgemäß von der Evolution belohnt (wer es nicht tut, scheidet aus dem Spiel aus) und ist daher eine zentrale Eigenschaft des Lebens. Wenn man diese Sichtweise ins Extrem treibt, kann man alle Erscheinungsformen des Lebens, von Bakterien bis hin zu kriegsführenden Nationen, lediglich als Hilfsmittel betrachten, welche DNA-Moleküle zu ihrer Vermehrung nutzen.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Definition des Lebens als chemisches System (und dessen Abgrenzung gegenüber mechanischen und elektronischen Systemen). Über Jahrzehnte hinweg haben Autoren von Science-Fiction und sogar von angeblichen Sachbüchern, die gegenwärtige Trends der Nanotechnologie in die Zukunft extrapolieren, behauptet, dass selbstreplizierende, mikroskopisch kleine Roboter bald unsere Arterien sauber halten, Giftmüll beseitigen und viele andere nützliche Dinge tun würden. Von der Erfolgsaussicht dieser Prognosen einmal abgesehen, würden die physikalischen Gesetze unseres Universums solchen Robotern wohl nicht grundsätzlich im Wege stehen, und da sie sich replizieren, würden sie zumindest unsere erste Bedingung für Lebewesen erfüllen.
Auch im Cyberspace gibt es replizierende Wesen, so genannte Würmer. Obwohl diese einen Computer, eine Internet-Verbindung, und eine mit Sicherheitslücken ausgestattete Software benötigen, um sich zu vermehren, könnte man argumentieren, dass diese Umweltbedingungen einfach den Lebensraum des Wurms darstellen. Wir und alle anderen Lebewesen auf der Erde sind auch in der einen oder anderen Weise von Dingen abhängig, die unser Lebensraum uns zur Verfügung stellt. Wenn man eine universell gültige Definition des Lebens sucht, dann ist es nicht so einfach, diese beinahe lebendigen Systeme auszuschließen. Mit dem Fortschritt der Technik wird es sogar zunehmend schwieriger, da die Grenzen zwischen mechanischen, elektronischen, und biologischen Systemen zunehmend verwischen, wenn zum Beispiel Gehirne direkt mit Computern verknüpft werden können und Kleinstroboter den natürlichen Insekten immer ähnlicher werden.
Wenn wir allerdings den Ursprung und die Ausbreitung des Lebens im Universum betrachten, dann wäre es schwer zu erklären, wie mechanisches Leben oder gar Leben, das von Computer-Netzwerken abhängig ist, spontan hätte entstehen können. Das Problem liegt darin, dass mechanische Objekte definitionsgemäß Bauteile enthalten, die deutlich größer sind als Moleküle. Anders herum ausgedrückt, wenn wir ein System betrachten, in dem Moleküle die entscheidenden Funktionseinheiten sind, dann würden wir dieses als chemisches System beschreiben.
Vor der Entstehung der ersten Lebewesen gab es bereits Molekülgemische, in denen die Brownsche Bewegung alle Moleküle chaotisch durcheinander wirbeln ließ. Die Brownsche Bewegung ist nicht besonders schnell. Wenn Sie eine Flasche Parfum in einem geschlossenen Raum öffnen, wie lang dauert es, bis sich der Duft im ganzen Raum ausgebreitet hat? Und da die thermischen Bewegungen proportional der Quadratwurzel der Masse des bewegten Objekts langsamer werden, würde es länger als das gegenwärtige Alter des Universums dauern, bevor sich die Bauteile einer Uhr spontan zu einem funktionierenden Chronometer zusammensetzen würden, und auch ein selbstreplizierender mechanischer Roboter hätte keine Chance, jemals geboren zu werden. Mechanisches Leben, egal ob es dem ehemaligen Gouverneur von Kalifornien ähnelt oder nicht, kann zwar durch intelligentes Design von Hand existierender chemischer Lebensformen entstehen, doch es erscheint ausgeschlossen, dass es spontan entstehen könnte. Kurz und gut, wir können die mechanischen und elektronischen Wesen der Science-Fiction bei unserer Suche nach einer Definition des Lebens getrost ausschließen.
Ein letztes, aber wichtiges, Element gilt es allerdings noch zu berücksichtigen: Nicht alle selbstreplizierenden chemischen System sind lebendig. Kristalle können zum Beispiel unter gewissen Umständen die Bildung weiterer Kristalle ihrer Art anregen. Man nehme, zum Beispiel, eine übersättigte Lösung, also eine Lösung in der die Konzentration des gelösten Stoffs (zum Beispiel Kupfersulfat) höher ist, als sie gemäß dessen Löslichkeit offiziell sein dürfte. Bringen wir in diese Lösung einen Kristall als Kristallisationskeim ein, so wird er wachsen. Brechen wir den Kristall in mehrere Stücke, so wird jedes der Bruchstücke wieder zu der Größe des Originalkristalls (und darüber hinaus) wachsen, und jedes wir exakt dasselbe Kristallgitter aufweisen wie der erste Kristall.
Das ist im Falle des Kupfersulfats nicht besonders überraschend, da alle Kupfersulfat-Kristalle dieselbe Struktur haben. Aber auch bei chemischen Substanzen, die verschiedene Arten von Kristallen bilden können, kann man identische „Nachkommen“ erzeugen. Natriumchlorat bildet zum Beispiel chirale Kristalle (d. h. eine links- und eine rechtshändige Version, die spiegelbildlich und nicht überlagerbar sind, mehr darüber in Kapitel 5), obwohl das Molekül selbst nicht chiral ist. Wenn man ein Becherglas mit übersättigter Natriumchloratlösung einfach stehen lässt, bis die Substanz auskristallisiert, wird man etwa gleiche Mengen links- und rechtshändiger Kristalle finden. Wenn man hingegen die Lösung anhaltend und kräftig umrührt, werden die Kristalle alle dieselbe Händigkeit aufweisen (nein, es hängt nicht davon ab, in welcher Richtung sich der Rührer dreht!). Wie kann das passieren? Die heftige Rührbewegung wird den ersten kleinen Kristall, der sich bildet, in viele kleine Kristalle zerbrechen, die alle dieselbe Händigkeit aufweisen. Sobald diese wieder eine gewisse Größe erreichen, werden sie wieder zerbrochen. Im Prinzip vererbt sich die (zufällige) Chiralität des ersten Kristalls, der mit dem Rührer kollidiert, an die überwältigende Mehrheit der später gebildeten Kristalle. Auch das könnte man Replikation nennen. Dennoch ist es unumstritten, dass Kristalle nicht lebendig sind und nie waren. Was müssen wir also unserer Lebensdefinition noch hinzufügen, um zwischen unbelebten Kristallen und lebenden chemischen Systemen unterscheiden zu können? Ein Wort: Evolution.
Lebewesen erzeugen Nachkommen, die ihnen ähneln, durch Replizieren ihres Erbguts. Doch diese Replikation ist nicht perfekt. Zufällige Genmutationen erzeugen erbliche Variationen, welche die Überlebensfähigkeit der Nachkommen begünstigen oder verringern können. Diese erblichen Variationen geben der natürlichen Auslese die Chance, die Eigenschaften der nachfolgenden Generation und damit die Evolution der Art zu gestalten. Evolution, oder die Fähigkeit auf Selektionsdruck mit Anpassung zu reagieren, ist eine grundlegende Eigenart des Lebens und grenzt dieses klar von unbelebten selbstreplizierenden Systemen ab. Ein Kristall kann perfekte Kopien seiner selbst erzeugen, doch der erste Quarz-Kristall, der aus dem Sonnen-Nebel vor 4,57 Milliarden Jahren kristallisierte, hatte exakt dasselbe Kristallgitter wie jeder Quarz-Kristall, der heute industriell hergestellt wird. Kristalle und ihr Entstehungsprozess sind nicht wandelbar und können deshalb nicht zu anderen, komplexeren oder besser angepassten Formen evolvieren. Demnach sind sie auch nicht lebendig.
Nun, da haben wir ja schon unsere Definition. Leben erfordert ein selbstreplizierendes chemisches System, das evolvieren kann, so dass seine Nachkommen bessere Überlebenschancen haben. Das ist eine hübsche Definition, kurz, knapp und treffend, aber leider ist noch ein Wurm drin. Zwar ist ein chemisches System, das die genannten Bedingungen erfüllt eindeutig lebendig, aber in der entgegengesetzten Richtung funktioniert die Verbindung nicht so perfekt. Es gibt viele Lebewesen, die diese Bedingungen nicht erfüllen. Maultiere sind zum Beispiel grundsätzlich unfruchtbar, können sich also weder vermehren noch evolvieren, doch jeder, der sich mit einem solchen Tier im Urlaub herumgeschlagen hat, und zum Beispiel versucht hat, es zum Boden des Grand Canyon zu führen, wird bestätigen, dass Maultiere sehr wohl lebendig sind.
Ebenso werden diejenigen unter uns, die aus dem Alter des Kinderkriegens schon herausgewachsen sind, oder die keine Kinder bekommen wollen oder können, deswegen nicht gleich aus der Gemeinschaft der Lebendigen ausgeschlossen werden wollen. Um Ärger zu vermeiden, müssen wir also unsere kurze und knappe Definition um eine umständliche Erläuterung erweitern. Ein einzelnes Lebewesen für sich genommen, etwa ein einzelner Mensch, mag zwar lebendig sein, doch um das Kriterium der Evolution zu testen (und natürlich auch, um das Leben über die Lebensspanne des Individuums hinaus aufrechtzuerhalten), braucht man eine ganze Population von Lebewesen derselben Art. Für unsere astrobiologische Definition des Lebens wäre also ein einzelnes lebendiges Exemplar nicht hinreichend. Wir sind so anspruchsvoll, dass wir gleich eine ganze Horde von Lebewesen sehen wollen.
Von diesen philosophischen Ausführungen abgesehen, benötigen wir zum Glück keine Definition, die umfassend genug ist, um selbst alternde Akademiker mit abzudecken. Da die Evolution auf der Ebene von Populationen und Arten wirkt, kann sie sehr gut mit Individuen zurechtkommen, die sich nicht vermehren, aber der Population auf andere Weise helfen. Das gilt zum Beispiel für die überwiegende Mehrzahl der Mitglieder von Ameisen- und Bienenvölkern. Wenn wir Leben als selbstreplizierendes, evolvierendes chemisches System definieren, dann erfassen wir damit alle Arten, wenn auch nicht alle Individuen. Und selbst die nicht-replizierenden Individuen haben ja replizierende Eltern, also liegen wir mit unserer Definition nicht ganz falsch. Da diese unseres Wissens die einfachste Definition ist, die die Behandlung des Ursprungs und der Evolution des Lebens nicht unnötig einschränkt, erscheint sie uns als Grundlage für die weiteren Diskussionen geeignet.
Nachdem wir das geklärt haben, lautet die nächste Frage: Welches sind die minimalen (und somit fundamentalen) Voraussetzungen, die Leben benötigt? Da unsere Kenntnis dieses Themas zwangsläufig beschränkt ist, sollten wir unser Netz so weit wie möglich auswerfen, und uns bemühen, dass wir nicht irdische Grenzbedingungen irrtümlich zu universell gültigen Grenzen erklären. Dennoch können wir eine Anzahl von Kriterien identifizieren, die für die Entstehung und Ausbreitung des Lebens absolut unabdingbar zu sein scheinen.
Ein überwältigender Anteil von 99,9% der Atome im Universum sind entweder Wasserstoff- (H) oder Heliumatome (He). Helium kann keinerlei chemisch Verbindungen bilden, und Wasserstoff für sich allein bildet nur eine Molekülsorte, nämlich das Wasserstoffmolekül H2. Leben, wie wir es definiert haben, erfordert eine deutlich komplexere Chemie als die Bildungsreaktion des Wasserstoffmoleküls, das können wir trotz aller Vorsicht gegenüber Erd-zentrischer Voreingenommenheit zweifelsfrei feststellen. Wir brauchen also schwerere Atome. Wasserstoff- und Heliumkerne entstanden bereits in den ersten Minuten nach dem Urknall, doch die Geburt der schwereren Atome ist eine längere Geschichte, auf die wir in Kapitel 2 detaillierter eingehen werden.
Welche Elemente benötigt das Leben? Hier müssen wir ein wenig spekulieren, doch nicht ohne eine wissenschaftliche Grundlage. Schließlich gibt es nur eine begrenzte Zahl von Elementen im Periodensystem (Abb. 1.1), und viele von diesen sind aus verschiedensten Gründen nicht dazu geeignet, Leben zu ermöglichen. Demnach können viele der rund 90 natürlich vorkommenden Elemente ausgeschlossen werden. So viele, dass für die Hauptrolle des zentralen Elements des Lebens womöglich nur der Kohlenstoff (C) übrig bleibt, der ja, wie das Leben so spielt, auch in unserer irdischen Biochemie das wichtigste Element ist. Am einfachsten kann man die besondere, wenn nicht gar einzigartige, Eignung des Kohlenstoffs für die Hauptrolle auf der Bühne des Lebens würdigen, indem man ihn mit seinem nächsten Verwandten vergleicht, dem Silizium (Si).
Viele der Eigenschaften, die den Kohlenstoff für diese Rolle qualifizieren, teilt er mit dem Silizium, das ihn in manchen sogar übertrifft. So ist Silizium zum Beispiel auch vierwertig (d. h. jedes Atom geht vier Bindungen ein), was eine Vielfalt von komplexen molekularen Strukturen ermöglicht. Obwohl eine einfache Bindung zwischen zwei Siliziumatomen schwächer ist als zwischen zwei Kohlenstoffatomen, beträgt diese Abweichung nur rund 25%. Beide Elemente können lange Kettenmoleküle bilden. Verbindungen aus Silizium und Wasserstoff, so genannte Silane, können zum Beispiel bis zu 28 Si-Si-Bindungen hintereinander enthalten. Kohlenstoff ist zwar häufiger als Silizium im Sonnensystem insgesamt (Abb. 1.2), doch an der Erdoberfläche ist Silizium um mehrere Größenordnungen häufiger anzutreffen (Abb. 1.3). Tatsächlich wird die Häufigkeit des Siliziums in der Erdkruste nur von einem Element, dem Sauerstoff, übertroffen. Dennoch kann Silizium einfach nicht so eine reichhaltige Chemie unterstützen wie sein Nachbar aus der oberen Etage. Seine Probleme liegen sowohl in der Thermodynamik (Stabilitäten von Verbindungen im Gleichgewicht) als auch in der Kinetik (Geschwindigkeit) seiner chemischen Reaktionen mit anderen Elementen.
Abb. 1.1 Die atomaren Bausteine des Lebens. Selbst eine flüchtige Betrachtung des Periodensystems der Elemente muss uns zu dem Schluss führen, dass relativ wenige Elemente geeignet sind, die komplexe Chemie zu fördern, die das Leben auf der Erde (und vermutlich überall) benötigt. Insbesondere ist nur der Kohlenstoff sowohl vierwertig als auch imstande, starke kovalente Bindungen mit seinesgleichen und mit den Nachbarn im Periodensystem einzugehen. Diese Eigenschaften verleihen dem Kohlenstoff eine einzigartige Befähigung, die enorm vielfältige organische Chemie zu entwickeln, auf die sich auch die Chemie des Lebens stützt.
Ein Blick auf die relative Bindungsstärke (eine thermodynamische Eigenschaft) der verschiedenen Bindungen, die Kohlenstoff und Silizium eingehen können, versorgt uns mit Belegen für unsere Argumente (Tabelle 1.1). Der Energiegehalt einer typischen Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung (C–C) ist nicht weit entfernt von den entsprechenden Energien der Bindungen des Elements mit Wasserstoff (C–H), Sauerstoff (C–O) und Stickstoff (C–N). Deshalb hat die Chemie der Kohlenstoffverbindungen freie Bahn. Die Natur muss nicht viel Energie investieren, um den Bindungspartner eines Kohlenstoffatoms auszutauschen. Diese Eigenschaft ist ein erheblicher Vorteil bei der komplexen Art von Chemie, die man vermutlich für jede Art von Leben benötigt. Aufgrund dieser Eigenschaft fällt es der Biologie leicht, Kohlenstoff von einem Molekül zum anderen zu leiten, durch eine verwirrende Vielfalt von organischen Verbindungen.
Abb. 1.2 Die relative Häufigkeit von Elementen in der Sonne. Diese Häufigkeitsverteilung gibt (abgesehen von der seither erfolgten Fusion von Wasserstoff zu Helium) einen Eindruck von der relativen Häufigkeit der Elemente in dem Nebel, aus dem unser Sonnensystem entstand, und damit der Elemente, die als Bausteine für die Entstehung der Planeten zur Verfügung standen. Man beachte, dass die Sonne im Vergleich zu anderen Sternen ihrer Größe relativ reich an schwereren Elementen (also allen jenseits des Helium) ist. Dennoch sieht die Häufigkeitsverteilung bei den meisten Sternen dieser Generation im Wesentlichen ähnlich aus (mehr darüber in Kapitel 2).
Abb. 1.3 Die Liste der Zutaten für erdähnliche Planeten. Dargestellt ist die relative Häufigkeit der Elemente in der Erdkruste. Man beachte, dass sich die Verteilung dramatisch von der Häufigkeit der Elemente im Sonnensystem insgesamt unterscheidet (siehe Abb. 1.2).
Tabelle 1.1 Typische Bindungsenergien für Einfachbindungen von Kohlenstoff und Silizium (Energie pro Bindung in kJ/mol). NB: Laut Konvention zeigen negativere Werte eine höhere Stabilität an.
Silizium teilt hingegen diesen Vorzug nicht. Zwar sind seine Bindungen mit seinesgleichen, mit Wasserstoff und mit Stickstoff vergleichbar in ihrem Energiegehalt, doch die Silizium-Sauerstoff-Bindung ist weitaus stabiler als diese drei (Tabelle 1.1). Demzufolge lässt sich Silizium bereitwillig zu Siliziumdioxid (Quarz, Glas, Sand) oxidieren, was dessen Verfügbarkeit überall dort einschränkt, wo Sauerstoff zugegen ist. Und Sauerstoff ist das dritthäufigste Element im Universum.
Die besondere Eignung des Kohlenstoffs als chemische Grundlage des Lebens liegt aber nicht nur in den einfachen Bindungen. Kohlenstoff bildet auch Doppel- und Dreifachbindungen, welche seine chemische Vielseitigkeit noch erweitern. Ebenso wie bei den Einfachbindungen sind auch die Doppelbindungen des Kohlenstoffs mit Sauerstoff, Stickstoff und mit seinesgleichen von vergleichbarer Energie (Tabelle 1.2). Dasselbe gilt auch für Dreifachbindungen des Kohlenstoffs mit seinesgleichen und mit Stickstoff. Als zusätzliches Geschenk der Natur haben die Doppelbindungen ungefähr doppelt so viel und die Dreifachbindungen dreimal so viel Bindungsenergie wie die entsprechenden Einfachbindungen. Das hört sich trivial an, ist aber keineswegs selbstverständlich, da die quantenmechanischen Grundlagen der Mehrfachbindungen völlig andere sind als die der Einfachbindungen. Aus diesem Grund kann die Natur Bindungen in organischen Verbindungen recht einfach verschieben und umklappen, ebenso wie man auch in der Formelschreibweise der organischen Chemie die Striche, die jeweils eine Bindung oder ein freies Elektronenpaar symbolisieren, mit Leichtigkeit hin und her schiebt.
Tabelle 1.2 Typische Bindungsenergien für Mehrfachbindungen des Kohlenstoffs (Energie pro Bindung in kJ/mol).
Und beim Silizium? Da sieht es nicht so gut aus. Moleküle mit Silizium-Silizium-Doppelbindungen und sogar eine Dreifachbindung sind zwar im Labor hergestellt worden, doch diese Verbindungen sind so instabil, dass sie nur in flüssigem Stickstoff (also bei ca. –200 °C) aufbewahrt werden können oder auf chemischem Wege durch sperrige Schutzgruppen vor unerwünschten Reaktionen bewahrt werden müssen. Im Gegensatz zu der zweiten Bindung in einer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindung wirkt die zweite Bindung beim Silizium destabilisierend, das heißt, die Doppelbindung ist weniger stabil als die Einfachbindung. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir uns ein wenig mit Atom- und Molekülorbitalen (also Elektronenwolken) befassen. Wenn Ihnen diese Aussicht Angst einflößt, dürfen Sie den nächsten Absatz aber einfach überspringen. Gar nicht schlimm. Wirklich, kein Problem!
Und als ob es mit der Thermodynamik nicht schon genug Probleme hätte, ist Silizium auch noch überaus reaktionsfreudig. Im Sinne der Gleichgewichtsthermodynamik sind sowohl Methan (CH4) als auch Monosilan (SiH4) extrem instabil gegenüber ihren jeweiligen Oxidationsprodukten, also Kohlendioxid und Siliziumdioxid. (Silan ist wegen der oben diskutierten Bindungsenergien sogar noch ein bisschen instabiler als Methan, aber darauf kommt es jetzt nicht an.) Methan ist allerdings kinetisch stabil in der Luft. Das heißt, obwohl Methan (z. B. Erdgas) heftig und mit erheblicher Energiefreisetzung brennt, wenn es angezündet wird, entzündet es sich nicht von selbst, wenn es mit Luft in Berührung kommt. Bei Zimmertemperatur reagiert Methan mit Luftsauerstoff so langsam, dass die Halbwertszeit seines Abbaus mehrere Jahrzehnte beträgt. Deshalb können sich natürliche Methanemissionen, etwa von Reisfeldern und von Wiederkäuern, in der Atmosphäre anreichern und einen erheblichen Beitrag zum Treibhauseffekt leisten.1) Monosilan hingegen entzündet sich an der Luft von selbst und verbrennt explosionsartig. Allgemein reagieren Siliziumverbindungen rascher als die entsprechenden Kohlenstoffverbindungen. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir uns noch einmal mit Molekülorbitalen befassen (und die Ängstlichen dürfen den nächsten Absatz wieder überspringen).
Abb. 1.4 Kohlenstoff gegen Silizium. Um einen Bindungspartner des Kohlenstoffs zu ersetzen, muss man eine Bindung lösen. Wenn dies zu Anfang der Reaktion geschieht, führt es zur Bildung eines höchst instabilen Übergangszustands, in dem der Kohlenstoff nur drei Bindungspartner aufweist. Deshalb reagieren Kohlenstoffverbindungen oft recht langsam. Nur wenige thermische Zusammenstöße bringen genügend Energie mit, um diesen Zustand zu erreichen. Silizium hat hingegen eine energetisch günstigere Alternative. Es kann kurzzeitig auch fünfbindige Zustände annehmen. Da in diesem Fall die Energiebarriere sehr viel niedriger ist als beim dreibindigen Kohlenstoff, verlaufen die Reaktionen des Siliziums oft schneller.
Damit haben wir die Unterschiede zwischen den beiden Elementen erfasst. Kohlenstoff bietet ein ausgewogenes chemisches Umfeld, in dem die Natur Einfach- und Mehrfachbindungen zwischen Kohlenstoffatomen und mit anderen wichtigen Elementen hin und herschieben kann, ohne einen zu hohen Preis für die Energieunterschiede zu bezahlen. Ebenso wichtig ist, dass die Reaktionskinetiken des Kohlenstoffs langsam sind, das heißt, wenn man ein Kohlenstoffatom in ein Molekül eingebaut hat, dann bleibt es auch dort (außer wenn die Nature ihre wunderbaren Katalysatoren anwendet, auf die wir später zu sprechen kommen werden). Silizium reagiert hingegen auf das heftigste, wenn Sauerstoff zugegen ist, und die Richtung der Reaktionen geht immer nur „bergab“ (im Sinne der Energieprofile) und enden somit in den äußerst stabilen Silizium-Sauerstoff-Bindungen, also als Quarz oder Sand. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass die Chemie mehr als 10 Millionen Kohlenstoffverbindungen beschrieben hat – vergleichbar viele wie die kohlenstofffreien Verbindungen aller anderen Elemente zusammengenommen.
Wenn Sie immer noch glauben, dass, irgendwo in den Tiefen des Weltalls, Silizium-Lebewesen die spiegelverkehrte Diskussion führen, dann gibt es noch einen Aspekt zu bedenken: da die zweite Bindung in einer Kohlenstoff-Sauerstoff-Doppelbindung stabiler ist als die erste, ist Kohlenstoff sehr willig, mit zwei Sauerstoffatomen Doppelbindungen einzugehen und damit das gasförmige Kohlendioxid zu bilden. Silizium hingegen, wie oben besprochen, mag keine Doppelbindungen und muss sich deshalb mit vier, statt mit zwei Sauerstoffatomen verbinden. Da der Sauerstoff seinerseits zwei Bindungen eingehen muss, bildet sich ein dreidimensionales Netzwerk, das man nicht auflösen kann, ohne höchst stabile chemische Bindungen zu brechen. Der Gegensatz ist nicht zu übersehen. Wir essen wasserlösliche Kohlenstoffverbindungen wie Zucker und andere Kohlenhydrate, oxidieren sie mit wasserlöslichem Sauerstoff und scheiden noch besser lösliches Kohlendioxid aus. Lebewesen auf Siliziumbasis hätten es hingegen schwer, sie müssten Siliziumdioxid ausatmen, welches ausschließlich in fester Form auftritt, etwa als Sand.
Können wir also Lebensformen auf Siliziumbasis kategorisch ausschließen? Nein, natürlich nicht. Mit unserem „Kohlenstoff-Vorurteil“ sind wir vielleicht nur nicht kreativ genug, um uns vorzustellen, auf welche Weise es funktionieren könnte. Es ist jedoch eindeutig, dass Silizium viel weniger geeignet ist, eine vielfältige Chemie zu unterstützen, und daher ist wohl auch die Entstehung von Leben auf Siliziumbasis viel unwahrscheinlicher als die auf Kohlenstoffbasis. Wenn uns also Außerirdische jemals besuchen kommen, sollten wir ihnen lieber kohlenstoffhaltigen Kuchen als siliziumhaltige Steine zum Essen anbieten.
Kohlenstoff siegt also über Silizium. Aber was ist mit den rund 90 anderen natürlich vorkommenden Elementen? Diese schneiden noch schlechter ab als Silizium. Am rechten Rand des Periodensystems (Abb. 1.1) stehen die Edelgase (Helium, Neon, Argon, …), die entweder gar keine oder nur eine sehr exotische Chemie besitzen, die ihnen von cleveren Chemikern aufgezwungen wurde. Auch mit den Halogenen wie Fluor und Chlor können wir keine anspruchsvollen Strukturen aufbauen, da diese typischerweise nur einen Bindungspartner akzeptieren.3)
Rechts neben Kohlenstoff und Silizium finden wir Elemente mit einer vielseitigeren Chemie (Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff, Phosphor), die auch bereitwillig als so genannte Heteroatome in organischen Verbindungen mit aushelfen, deren Chemie ohne Kohlenstoff jedoch, obwohl umfassend untersucht, bei weitem nicht so vielfältig ist wie die organische Chemie.
Noch weiter links haben wir die Übergangsmetalle wie Eisen (Fe), Nickel (Ni), Gold (Au), dann die Erdalkalimetalle wie Calcium (Ca) und Magnesium (Mg), und dann die Alkali-Metalle wie Natrium (Na), Kalium (K) etc. Keines dieser Metalle bildet starke kovalente Bindungen, also Bindungen in denen Elektronenpaare in gemeinsamen Molekülorbitalen beiden Bindungspartnern zugeordnet sind. Stattdessen tendieren diese Elemente dazu, Elektronen ihrer äußersten Schale komplett an den Bindungspartner abzugeben, was zu so genannten Ionenbindungen führt, die viel schwächer sind als kovalente Bindungen. Deshalb haben Metalle nicht so eine interessante Chemie wie viele der Nichtmetalle in der rechten oberen Ecke des Periodensystems. Kurz und gut, selbst wenn Kohlenstoff nicht das einzige Element ist, dessen Chemie die Grundlage von Leben bilden kann, so sind doch Theorien über alternative Lebensformen, die auf anderen Elementen beruhen, etwas suspekt.
Wenn Leben auf Molekülen beruhen soll, dann benötigt es höchstwahrscheinlich ein Lösungsmittel, in dem diese herumschwimmen können. Obwohl chemische Reaktionen auch in der Gasphase oder im Festkörper stattfinden können, haben diese Phasen deutliche Nachteile gegenüber der Reaktion in der flüssigen Phase. Gasphasenchemie beschränkt sich zum Beispiel auf Stoffe, die hinreichend flüchtig sind, um in ausreichenden Mengen in der Gasphase zur Verfügung zu stehen. Da größere Moleküle weniger leicht verdampfen, schließt dieses Kriterium Moleküle, die komplex genug sind um selbstreplizierende chemische Systeme zu bilden, vermutlich aus.
In der festen Phase ist die Beweglichkeit der Moleküle das Hauptproblem. Zwar können kleine Moleküle auch durch Festkörper hindurchdiffundieren und auf diesem Wege ihre Reaktionspartner finden, doch ist diese Diffusion sehr langsam und bei hinreichend komplexen Molekülen geradezu unmöglich.
Die flüssige Phase ist also für die Chemie des Lebens am besten geeignet, und dementsprechend besteht der menschliche Körper auch zu 70% aus Wasser, dem Lösungsmittel des Lebens auf der Erde. Doch ist Wasser das einzige plausible Lösungsmittel für Lebewesen? Selbst ein rascher Blick auf die Liste der kleinen Moleküle, die man aus den häufigeren Elementen des Universums herstellen kann, zeigt, dass Wasser womöglich die einzig vernünftige Wahl unter diesen Kandidaten ist. Viele seiner Eigenschaften (Tabelle 1.3) geben dem Wasser einen besonderen Vorteil gegenüber andern Lösungsmitteln. Insgesamt sind es so viele günstige Eigenschaften, dass man die Eignung des Wassers als Lösungsmittel für die Chemie des Lebens wohl als einzigartig bezeichnen muss.
Tabelle 1.3 Physikalische Eigenschaften von Flüssigkeiten, die als mögliche Lösungsmittel für andere Lebensformen in Frage kämen.
Einige der „idealen“ Eigenschaften des Wassers sind allgemein bekannt, andere sind es nicht so sehr, sind aber nicht weniger wichtig für das Leben auf der Erde. Ein Beispiel lernt man schon in der Schule: Wasser ist eine von nur ganz wenigen Substanzen, die sich beim Gefrieren ausdehnen. Ja es ist sogar die einzige molekulare Substanz mit dieser bemerkenswerten Eigenschaft. Deswegen schwimmt Eis oben. Das ist nicht nur für Schlittschuhläufer wichtig, sondern auch für das klimatische Gleichgewicht unseres Planeten. Stellen wir uns vor, die Ozeane bestünden aus Ammoniak, immerhin das vierthäufigste Molekül im Universum. Wenn sich im Winter an den Polen Eis bildet, würde dieses sinken und wäre damit vor der Wärme des Sommers geschützt. Mit jedem neuen Winter würde mehr und mehr Ammoniak in dem gefrorenen Bodensatz der Ozeane verschwinden. In einer nach geologischen Maßstäben sehr kurzen Zeitspanne würden die Ozeane durch und durch gefrieren, und nur an ihrer Oberfläche gäbe es jeweils auf der Sommerseite des Planeten flüssige Tümpel. Vielleicht könnte auch ein überwiegend gefrorener Ammoniak-Ozean Leben hervorbringen. Doch ein Ozean, der flüssig bleibt, und somit Nährstoffe transportieren und das Klima des Planeten regulieren kann, erscheint uns aussichtsreicher.
Wasser kann auch ungewöhnlich große Mengen an Wärmeenergie speichern, bezogen auf den damit einhergehenden Temperaturunterschied. Auch beim Verdampfen nimmt es besonders viel Wärme auf. Deshalb benutzt man Wasser gerne als Energieträger zum Beispiel in Zentralheizungen oder Wärmflaschen. Wenn wir das etwas wissenschaftlicher ausdrücken wollen, so beträgt die spezifische Wärmekapazität des flüssigen Wassers 4,2 J/gK, das heißt, man benötigt 4,2 Joule an Energie, um die Temperatur von einem Gramm Wasser um ein Grad zu erhöhen.4) Dieser Wert ist etwa dreimal so groß wie bei typischen Steinen oder Metallen. Rund zehnmal soviel Wärmeenergie braucht man, um (bei Zimmertemperatur) ein Gramm Wasser aus der flüssigen Phase in den Gaszustand zu überführen, nämlich genau 41 J. Auch bei mäßigen Temperaturen steht flüssiges Wasser immer im Gleichgewicht mit Wasserdampf (daher die Luftfeuchtigkeit), es kann also zum Beispiel , wenn die Sonne auf eine Wasseroberfläche scheint, große Mengen von Energie beim Verdampfen absorbieren und „mitnehmen“ und dann andernorts, wenn es als Nebel oder Regen wieder flüssig wird, diese Energie wieder freisetzen.
Die hohe Wärmekapazität und Verdampfungswärme des Wassers, beide deutlich größer als bei nahezu allen anderen gängigen molekularen Substanzen, helfen mit, das Klima der Erde zu mäßigen – offenbar ein entscheidender Beitrag zum Ursprung und der Evolution des Lebens auf der Erde, auf den wir in Kapitel 3 zurückkommen werden. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dass Wasser, dank seines einzigartigen Netzwerks aus schwachen Bindungen zwischen den Molekülen (so genannte Wasserstoffbrückenbindungen zwischen dem Wasserstoff eines Moleküls und dem Sauerstoff eines anderen), über einen ungewöhnlich breiten Temperaturbereich flüssig bleibt. Bei Atmosphärendruck (1,013 bar) beträgt dieser Bereich genau 100 Grad, da die Celsius-Skala auf dieser Grundlage definiert wurde. Die meisten vergleichbaren molekularen Substanzen haben hingegen einen viel engeren Temperaturbereich, in dem sie flüssig bleiben. Diese breite Temperaturspanne des flüssigen Wassers ist hilfreich, wenn es denn doch zu Klimaschwankungen kommt. Sie stellt sicher, dass flüssiges Wasser als Lösungsmittel (und zum Temperaturausgleich) verfügbar bleibt.
Zusätzlich zu diesen wichtigen physikalischen (thermodynamischen) Eigenschaften gibt es auch einige chemische Eigenschaften des Wassers, die zu seiner perfekten Eignung als Lebensgrundlage beitragen. So beträgt zum Beispiel die Dielektrizitätskonstante des Wassers ungefähr 80, und ist damit deutlich höher als bei allen anderen im Universum häufigen Flüssigkeiten. Dieser Wert misst die Abschirmungskraft eines Lösungsmittels gegenüber dem Vakuum. Zwei entgegengesetzt geladene Ionen verspüren in wässriger Lösung also nur 1/80 der elektrostatischen Anziehung, die im Vakuum wirken würde. Wasser kann also Ionen voneinander abschirmen, so dass diese leicht in Lösung gehen und dort an chemischen Reaktionen teilnehmen können. Wasser hat auch die höchste Moleküldichte von allen molekularen Flüssigkeiten: Ganze 55,5 Mol Wassermoleküle drängeln sich in jedem Liter (ein Mol enthält 6,023 × 1023 Moleküle). Keine andere molekulare Flüssigkeit kommt diesem Wert nahe.
Aufgrund der ungewöhnlich hohen Moleküldichte des Wassers müssen Moleküle, die sich in Wasser auflösen, einen hohen thermodynamischen Preis zahlen, da eine relativ große Zahl der kleinen Wassermoleküle, die vorher ungeordnet umherschwimmen konnten, um das gelöste Molekül herum geordnet werden. Diese Ordnung ist für die Thermodynamik negative Entropie, also ein Kostenpunkt. Komplexe Biomoleküle, wie etwa Proteine oder Lipide, müssen sich so arrangieren, dass diese thermodynamischen Kosten minimiert werden, indem sie zum Beispiel fettartige Molekülteile, die sich mit Wasser nicht so gut mischen (also hydrophob oder wassermeidend sind), gegenüber dem Lösungsmittel abschirmen. Dies nennt man auch den hydrophoben Effekt, und dieser spielt eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung biomolekularer Strukturen. Zum Schluss ist noch anzuführen, dass Wasser im Universum reichlich vorhanden ist. Seine atomaren Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff stehen auf Platz eins und drei in den Charts der Elemente des Universums, und das Wassermolekül selbst ist, verständlicherweise, nach dem molekularen Wasserstoff auf Platz zwei bei den Molekülen.
Natürlich schließt die Tatsache, dass Wasser für das Leben auf der Erde so perfekt geeignet ist, nicht aus, dass Leben irgendwo anders auf einem anderen Lösungsmittel beruhen könnte. Allerdings wäre es wirklich schwierig, eine Alternative zu finden, da keine andere Flüssigkeit auch nur halb so viele Vorzüge hat wie Wasser. Fluorwasserstoff (HF) kommt dem Wasser am nächsten. Er hat eine etwas höhere Dielektrizitätskonstante (84 statt 80) und kann somit ionische Stoffe mindestens ebenso gut lösen wie Wasser, und sein Flüssigkeitsbereich bei Atmosphärendruck ist sogar etwas über 100 Grad, nämlich von –83 bis 20 °C. Auch bei der molekularen Dichte ist HF dem Wasser vergleichbar (48,0 zu 55,5 mol/l). Doch da das Element Fluor im Universum recht selten vorkommt (in unserem Sonnensystem ist es 100.000fach seltener als Sauerstoff), erscheint es uns sehr unwahrscheinlich, dass auf dem Planeten Zap 7 kleine lila Fische fröhlich in einem Ozean von Fluorwasserstoff umherschwimmen.
Wenn wir HF mangels Verfügbarkeit ausschließen, bleibt uns nicht mehr viel übrig, denn keine der anderen molekularen Flüssigkeiten aus im Universum häufig vorkommenden Elementen (Methan, Ammoniak etc.) kommt dem Ideal nahe (siehe Tabelle 1.3). Sie sind nur in einem kleinen Temperaturbereich flüssig, sie sind ungeeignet zum Lösen ionischer Verbindungen und ihre Befähigung zur Klimaregulierung ist, mit Ausnahme des Ammoniaks, sehr eingeschränkt. Aufgrund solcher Überlegungen gelangt man mit nahezu absoluter Sicherheit zu dem Schluss, dass Wasser bei weitem das am besten qualifizierte Lösungsmittel für die Entwicklung von Leben ist. Das bedeutet nicht, dass ohne Wasser kein Leben entstehen kann, doch die Hürden, die es in Abwesenheit dieses bemerkenswerten und reichhaltigen Lösungsmittels zu überwinden hätte, wären deutlich höher.
Zusätzlich zu den diskutierten materiellen Grundlagen benötigt Leben auch Energie, um die Reaktionen anzutreiben, welche die Grundlage des Stoffwechsels und der Replikationsmechanismen bilden. Der grundlegende Energiebedarf von Lebewesen rührt nicht etwa daher, dass sie sich viel bewegen und dafür Treibstoff brauchen. Wie Chemiker (und auch Physiker wie Schrödinger) sofort erkennen werden, erzeugt jedes Lebewesen allein durch seine Existenz, selbst wenn es nur still dasitzt, eine unglaubliche Menge von Ordnung in der Welt der Moleküle, die sonst völlig ungeordnet umherschwirren würden. Man vergleiche zum Beispiel die hochgradig geordnete Struktur einer Pflanze mit der äquivalenten Menge an Kohlendioxidgas, Wasser und Nitratdünger. Nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (dem Entropiesatz) kann man diese Ordnung nur dann erzeugen, wenn man die dabei verlorene Entropie (Unordnung) anderswo wieder ausgleicht. Das heißt, die Natur muss für die erstaunlich hochgradige Ordnung der Lebewesen bezahlen, indem sie anderswo Unordnung erzeugt.
Energie ist eine Währung, die in gewissem Umfang gegen Entropie umgetauscht werden kann. Haben wir zum Beispiel eine gewisse Wassermenge „ordentlich“ in einem Stausee gespeichert, dann können wir daraus Energie gewinnen, indem wir sie über eine Turbine laufen lassen, verlieren dabei aber an Ordnung, da unser Wasser dann buchstäblich den Bach hinuntergeht und sich in der Welt verteilt. Auch Lebewesen tauschen Energie gegen Entropie ein. Sie verbrauchen Energie, um Ordnung zu erzeugen. Die Erzeugung dieser Energie hingegen hat zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort die entsprechende Menge an Unordnung erzeugt.
Das läuft darauf hinaus, dass irgendwo im Universum ein Ungleichgewicht bestehen muss, also ein geordneter Zustand, dessen Tendenz zur Gleichverteilung (Unordnung) Lebewesen zur Erzeugung und Replikation ihrer eigenen Ordnung nutzen können. Eine der reichhaltigsten Quellen für Ungleichgewicht im Universum ist die Temperatur der Sterne, die um viele Größenordnungen höher ist als die des umgebenden Weltalls. Deshalb können die energiereichen Photonen, die ein Stern in großen Mengen aussendet, einen kleinen Teil von dessen Energie auf einen sehr viel kälteren Planeten übertragen. Hier auf der Erde können Pflanzen dieses Ungleichgewicht nutzen, indem sie die Photonen absorbieren und mit ihrer Hilfe chemische Energie speichern für den verblüffendsten Ungleichgewichtszustand den wir kennen: unsere Biosphäre. Waldbrände erinnern uns gelegentlich daran, dass die Gegenwart von brennbarem Holz in einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre ein klarer Verstoß gegen die Vorhersagen der Gleichgewichtsthermodynamik ist. Die Verbrennungsprodukte Wasser und Kohlendioxid wären sehr viel stabiler (und weniger geordnet).
Tiere wie wir nutzen hinwiederum dieses von den Pflanzen erzeugte Ungleichgewicht, wenn wir Kohlenhydrate (etwa einen Teller Spaghetti) oxidieren, um die Energie zu gewinnen, die wir für unseren eigenen Stoffwechsel benötigen. Es sei jedoch angemerkt, dass diese beiden Lebensstile (Photosynthese der Pflanzen und die entgegengesetzte Reaktion im Stoffwechsel der Tiere) zwar die vorherrschenden, aber nicht die einzigen Ungleichgewichte sind, die das Leben auf der Erde antreiben. Im Kapitel 8 werden wir auch andere Optionen kennenlernen.
Abgesehen von der Chemie, den Lösungsmitteln und der Thermodynamik, gibt es noch eine Reihe von weiteren Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit Leben entstehen und gedeihen kann. Wir werden auf diese in den folgenden Kapiteln detailliert eingehen, deshalb wollen wir sie hier nur kurz erwähnen.
Leben benötigt vermutlich eine flüssige oder eine feste Phase, um sich darin oder darauf ansiedeln zu können, also entweder eine feste Oberfläche (Land) oder einen Ozean. Den Grund dafür haben wir schon erwähnt: Moleküle, die komplex genug sind, um Leben zu erzeugen, sind zu schwer, um lange in der Gasphase zu bleiben. Diese Einschränkung gilt viel stärker für den Ursprung des Lebens als für seinen Fortbestand. Wenn zum Beispiel die Erdoberfläche langsam aber sicher unbewohnbar werden würde, dann könnte man sich gut vorstellen, dass manche Bakterienarten sich an ein Leben in Wolkentropfen anpassen könnten. Vielleicht gibt es solche Bakterien bereits – wir werden später darauf zurückkommen. (Streng genommen würden diese auch nicht in der Gasphase leben, sondern in der flüssigen Phase des kondensierten Wasserdampfs.) Die bereits diskutierten Einschränkungen machen es hingegen extrem unwahrscheinlich, dass Leben in der Gasphase entstehen könnte. Damit können wir Leben in den Gasriesen unseres Sonnensystems wie Jupiter und Saturn wohl ausschließen, da diese vermutlich keine feste Oberfläche haben (und falls sie tief in ihrem Inneren doch eine haben, wären die Bedingungen dort so, dass an Leben nicht zu denken wäre). Wir werden also keine Zeppelin-artigen Lebewesen in der Atmosphäre des Jupiters finden, und auch im interstellaren Raum sieht es ziemlich düster aus. Für die Entstehung von Leben sind die Oberflächen oder Ozeane von Planeten mit einer Gesteinskruste wahrscheinlich die einzige Hoffnung.
Leben braucht auch Zeit. Je enger der Rahmen der Bedingungen ist, unter denen Leben erst einmal entstehen kann, umso unwahrscheinlicher ist es, dass ein gegebener Ort lange genug in diesem Rahmen bleiben kann, bis sich Leben entwickelt hat. Das Universum ist nämlich ein gefährlicher Ort. Die Helligkeit von Sternen ändert sich mit der Zeit, und damit auch die Temperatur ihrer Planeten, die von ihrer Strahlung beheizt werden. Planeten stoßen manchmal mit Asteroiden zusammen, die so groß sind, dass die Energie der Kollision Ozeane verdampfen und eine ganze Welt sterilisieren kann. Die Atmosphäre eines Planeten kann sich ins Weltall absetzen, seine Rotationsachse kann sich verschieben und einen Winter von Millionen Jahren auslösen. Supernova-Ereignisse mit der Energie von einer Milliarde Sonnen können in einem Umkreis von Hunderten von Lichtjahren alles Leben ausradieren. Angesichts dieser Risiken ist es einleuchtend, dass nicht alle Orte, die einmal für die Entstehung des Lebens geeignet waren, lange genug stabil bleiben, damit dieses sich auch etablieren und ausbreiten kann.
In einem Universum mit den richtigen Zutaten erscheint das Rezept für die Zubereitung von Leben recht einfach. Wir benötigen Wasser, Kohlenstoffverbindungen auf einer festen Unterlage oder im Wasser, eine Energiequelle, viel Zeit, und auf geht’s. Ist es wirklich so einfach? Was benötigt man, um einen Planeten zu erzeugen, der alle diese Bedingungen erfüllt? Und wie oft kommt ein solcher Ort im Universum vor? Und wenn wir diese Voraussetzungen alle erfüllen, wie wahrscheinlich ist es dann, dass tatsächlich Leben entsteht? In den folgenden Kapiteln gehen wir auf diese entscheidenden Fragen einzeln und der Reihe nach ein, von der Entstehung eines lebensfreundlichen Universums bis hin zur tatsächlichen Entstehung des Lebens, und versuchen auch für jeden Schritt die Wahrscheinlichkeit zu analysieren.
Um auf die Titelfrage dieses Kapitels und Schrödingers gleichnamiges Buch zurückzukommen: heute, nahezu 60 Jahre nach der berühmten Vortragsreihe, sind für viele der Fragen, die er stellte, die Antworten bekannt, wenn auch einige Einzelheiten noch ergänzt werden müssen. Im Sommer 1993 versammelten sich prominente Wissenschaftler und Autoren in Dublin, um Schrödingers Fragen und Prognosen aus moderner Sicht zu würdigen und ihrerseits neue Fragen an die Biologen der nächsten 50 Jahre zu stellen. Unter den Teilnehmern waren die Nobelpreisträger Manfred Eigen und Christian de Duve, die populärwissenschaftlichen Autoren Jared Diamond und Steven Jay Gould und die Evolutionsforscher John Maynard Smith und Leslie Orgel. Da die Erforschung des gegenwärtigen Lebens auf unserem Planeten inzwischen relativ einfach ist, konzentrierten sich viele der Festredner auf die geheimnisumwitterten Ursprünge und die frühe Evolution des Lebens – Themen, die auch wir im mittleren Teil dieses Buches eingehend behandeln.
Schulze-Makuch, D., Irwin, L., Life in the Universe, Springer, Berlin 2004.
Fry, I., The Emergence of Life on Earth, Rutgers University Press, New Brunswick, USA 2000.
1) Methan absorbiert Infrarot-Strahlung sehr viel starker als Kohlendioxid, deshalb verursacht es, bezogen auf die Zahl der vorhandenen Moleküle, einen etwa 20-mal stärkeren Treibhauseffekt als dieses.
2) Die Natur vermeidet dieses Problem mit einem Kompromiss, wobei die aufzulösende Bindung bereits an Stärke verliert, während die neue Bindung erst entsteht, so dass in der thermodynamischen Bilanz der Bindungsenergien und der verfügbaren Elektronenpaare nur vier Bindungen auftauchen, doch gibt es einen Übergangszustand, in dem fünf andere Atome in gewissem Maße (wenn auch womöglich nur partiell) an den zentralen Kohlenstoff gebunden sind.
3) Mit Sauerstoff als Bindungspartner können die Halogene vom Chlor aufwärts auch mehrere Bindungen eingehen, etwa im Natriumperchlorat NaClO4. Doch das ist nicht verallgemeinerbar und lässt sich nicht zu einer vielfältigen Chemie wie der des Kohlenstoffs ausbauen.
4) Wenn Ihnen diese Zahl bekannt vorkommt: dies ist auch die wissenschaftliche Definition der veralteten, aber bei Schlankheitsfanatikern noch gebräuchlichen, Kalorie, also auch der Umrechnungsfaktor zwischen Kilojoule und Kilokalorie, wichtig für alle, die auf den Energiegehalt ihres Essens achten wollen oder müssen.
Der erste Kommunikationssatellit der Menschheit hieß Echo, und das aus gutem Grund, denn er war praktisch nur ein passiver Spiegel, der Signale einfach reflektierte. Der 1960 gestartete Satellit bestand aus einem metallbeschichteten Ballon, der dazu diente, Radiowellen von einem Sender auf der einen Seite des Atlantiks so zu reflektieren, dass ein Empfänger auf der anderen Seite sie auffangen konnte. Schon nach wenigen Jahren wurde Echo durch die ersten „aktiven“ Satelliten ersetzt, die Signale auffingen, elektronisch verstärkten, und dann erst an den Empfänger weiterleiteten. Durch diesen Fortschritt in der Technologie wurden die höchst empfindlichen Antennen, die man für den Empfang der schwachen, von Echo reflektierten Signale installiert hatte, überflüssig.