0,00 €
Der vorliegende Tagungsband der nunmehr 19. Tagung „Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen“ handelt – ausgehend von der Welt der Akronyme und Abkürzungen – ein breit gefächertes Spektrum von Themen ab, deren Gemeinsamkeit in der hohen Aktualität für praktizierende Juristen und in der rasant fortschreitenden Rechts- und Praxisentwicklung liegt. Der Schwerpunkt der Beiträge liegt insbesondere auf Themen wie den ESG-Faktoren für kotierte Gesellschaften, der neuen kollektiven Anlageform des L-QIF, Präventionsmassnahmen gegen Insider-Trading, High Yield Bonds sowie der Streitbeilegung von grenzüberschreitenden Kapitalmarktinvestitionen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
AT 1, Ad hoc, L-QIF, ESG, Insider, etc.: im Reich der guten und der bösen Akronyme und Abkürzungen Copyright © by Thomas U. Reutter und Thomas Werlen is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.
© 2025 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)
Herausgeber: Thomas U. Reutter / Thomas Werlen – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-773-4 (Print – Softcover)978-3-03805-774-1 (PDF)978-3-03805-775-8 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-773Version: 1.01 – 20250129
Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/at-1-ad-hoc-l-qif-esg-insider-etc-im-reich-der-guten-und-der-boesen-akronyme-und-abkuerzungen/.
1
Der vorliegende Tagungsband „Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen“ stellt die Themen der 19. Tagung dieser Art in kohärenter und umfassender Form dar. Ausgehend von einem Einblick in die Welt der Akronyme und Abkürzungen, von denen der Kapitalmarkt aufgrund zunehmender Komplexität immer stärker geprägt wird, handelt dieser Tagungsband ein breit gefächertes Spektrum von Themen ab, deren Gemeinsamkeit nicht nur in der hohen Aktualität für praktizierende Juristen liegt, sondern auch in der jeweils rasant voranschreitenden Rechtsentwicklung und -praxis. Dabei ist die zunehmende Regelungsdichte nicht mehr der ausschliesslich vorherrschende Aspekt, sondern es zeichnen sich erfreulicherweise auch wieder Tendenzen zur Liberalisierung ab.
Mit diesem Tagungsband können die Beiträge einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Fabienne Crisovan befasst sich mit den ESG-Faktoren und deren Offenlegung aus Sicht der kotierten Gesellschaften. Deirdre Ní Annracháin beleuchtet in einem Beitrag (EN) die Prävention von Insider Trading. Rainer Adlhart und Silke Weller widmeten ihre Fachkompetenz der intensiven Auseinandersetzung mit den High Yield Bonds, wobei aktuelle Trends und Marktentwicklungen im Fokus stehen. Caroline Clemetson und Andrea Andelic setzten sich eingehend mit den Möglichkeiten des neuen kollektiven Anlageform L-QIF’s auseinander und zeigen auf, inwiefern dieser auf dem Kapitalmarkt eingesetzt werden kann. Dr. Sarah Ganz schliesst mit einer Diskussion der Beziehung zwischen dem internationalen Investitionsschutzabkommen und den Kapitalmarktinvestments ab.
Die Tagung richtet sich wie seit nunmehr 19 Jahren an Rechtsanwälte, Unternehmensjuristen und juristisch interessierte Kapitalmarktpraktizierende. Der Fokus lag wie jedes Jahr auf der Vermittlung von praktischem Know-How und dem interaktiven Austausch.
Für das Gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung dieses Bandes möchten wir herzlich danken: den Referenten und Verfassern von Beiträgen, sowie dem gesamten EIZ-Team für die Organisation und Abwicklung der Tagung und dieses Bandes.
Zürich im Januar 2025 Thomas U. Reutter / Thomas Werlen
2
ESG-Faktoren und deren Offenlegung aus Sicht der kotierten Gesellschaft
Fabienne Crisovan, Rechtsanwältin, Group Head ESG Legal & Corporate Law, Zurich Insurance Group, Zürich
Preventing insider trading: A review of current standards
Deirdre Ní Annracháin, Rechtsanwältin, Partnerin bei Niederer Kraft & Frey AG, Zürich
High Yield Bonds: Überblick, Trends und aktuelle Marktentwicklungen
Rainer Adlhart, Rechtsanwalt, Latham & Watkins, MünchenSilke Weller, Rechtsreferendarin, Latham & Watkins, München
Der neue L-QIF, neue Möglichkeiten und sein Einsatz auf dem Kapitalmarkt
Caroline Clemetson, Rechtsanwältin, Partnerin bei Schellenberg Wittmer AG, Genf und ZürichAndrea Andelic, Rechtsanwältin, Associate bei Schellenberg Wittmer AG, Genf und Zürich
Internationale Investitionsschutzabkommen und Kapitalmarktinvestments – eine unterschätzte Beziehung?
Dr. Sarah Ganz, Rechtsanwältin, Special Counsel, WilmerHale, London/Berlin
Fabienne Crisovan
Eine grundlegende Problematik der Nachhaltigkeitsberichterstattung besteht in ihrer Vielschichtigkeit. Geht es um Philanthropie, Änderung oder Überwachung von Verhaltensweisen von Unternehmen, Risikomanagement oder eine alternative Form der Beurteilung der Geschäftslage? Sind die Berichtsadressaten Kunden, Mitarbeiter, Investoren, Aufsichtsbehörden oder die Allgemeinheit? Welche Informationen sind von Interesse? Diese Vielschichtigkeit stellt Unternehmen vor die Herausforderung, eine klare und zielgerichtete Berichterstattung zu entwickeln. Zumal Gesetzgeber und Regulatoren bei der Entwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen auch durch die Vielschichtigkeit und variierenden Anspruchsgruppen gefordert sind.
Ursprünglich war die Nachhaltigkeitsberichterstattung freiwillig. Soweit Berichte erstellt wurden, konnte deren Format und Inhalt frei gemäss individuellem Geschäftsmodell und strategischen Prioritäten gestaltet werden. Mit zunehmenden rechtlichen Vorgaben und Erwartungen diverser Anspruchsgruppen müssen Unternehmen die bisherige Nachhaltigkeitsberichterstattung neu überdenken und gemäss den neuen Anforderungen anpassen.
Zudem ist die Terminologie uneinheitlich – Nachhaltigkeit ist ein offener Begriff und scheint eine langfristige zukunftsgerichtete Komponente zu beinhalten. Demgegenüber ist ESG (Environment / Social / Governance) eine von Investoren geprägte Methode zur systematischen Analyse und Bewertung eines Unternehmens innerhalb dieser drei Kategorien – die wiederum eine unendliche Palette von Themen umfassen können, von Umwelt, Arbeitnehmer, Menschenrechte, Vergütung zur künstlichen Intelligenz. Die zwei Begriffe vermischen sich zunehmend. Die Philosophie besteht darin, dass mit einem sorgfältigen Umgang mit den ESG Themen auch nachhaltiger Wert geschaffen werden kann.
Dem Ruf nach Transparenz geht häufig ein Skandal voran. Auch die institutionalisierte Nachhaltigkeitsberichterstattung wurde durch Umweltskandale wie der Tschernobyl Nuklearkatastrophe (1986) und der Exxon Valdez Ölkatastrophe (1989) motiviert.[3] Es folgten Forderungen nach Transparenz und Rechenschaftspflicht, um die Verhaltensweisen von Unternehmen zu beeinflussen.[4] Negative Praktiken sollen offen gelegt und durch Geschäftspartner, Investoren oder die allgemeine Öffentlichkeit abgestraft werden. Diverse private Standards wurden entwickelt, woraus sich die berühmte Buchstabensuppe von Berichtstandards entwickelte.[5]
Im Zentrum der Nachhaltigkeitsberichterstattung war zunächst das Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) als Konzept der ethischen Verantwortung von Unternehmen. Die entsprechende Offenlegung war aber fragmentär, mit Fokus auf ausgewählte Aktivitäten und von der Natur „tue Gutes und sprich darüber“. Ziel war jedoch, das „Ungute“ ans Tageslicht zu bringen und so Missstände und die Klimakrise zu bekämpfen (siehe oben, Fn. 4).
Auch institutionelle Investoren setzten sich zuerst mit Möglichkeiten auseinander, nachhaltige Verhaltensweisen zu beeinflussen.[6] Das Konzept kam auf, dass Investoren mit ihren Investitionen und entsprechenden Einflussmöglichkeiten den Übergang zu einer nachhaltigeren Welt zu unterstützen sollten. Zunehmend wurden die Klimakrise und soziale Unruhen als finanzielle Risiken wahrgenommen. ESG-Daten wurden zur Analyse von Risiken und Chancen eingefordert, welche die langfristige Profitabilität von Emittenten beeinflussen könnten. Zudem konnten Investoren Risiken und Opportunitäten in einer sich ändernden Welt prüfen und entsprechend ihr Anlageportfolio ausbalancieren.
Seitens der Gesetzgeber stand mit Bezug auf Nachhaltigkeitsberichterstattung vorab der Wunsch nach Beeinflussung von Verhaltensweisen. Es war einfacher, eine „passive“ Berichterstattung gesetzlich einzuführen als eine „aktive“ Sorgfaltspflicht.[7] Mittlerweile ist die Nachhaltigkeitsoffenlegung fester Bestandteil einer sich ständig weiterentwickelnden Regulierung und Gesetzgebung und hat je nach Land eher einen Fokus auf Information von verschiedensten Anspruchsgruppen oder von Investoren.
Die Entwicklung von der freiwilligen Berichterstattung zur gesetzlichen Pflicht hat keine Klarheit betreffend Zweck und Adressatenkreis der Berichterstattung gebracht. Geht es um Offenlegung von Unternehmensbewertungsfaktoren für Investoren oder um die Bewahrung einer nachhaltigen Zukunft zugunsten der Allgemeinheit? Irgendwo in der Bandbreite dieses Spektrums müssen Unternehmen ihren roten Faden finden.
Institutionelle Investoren haben eine Treuepflicht gegenüber ihren Kapitalgebern und werden stets die Profitabilität der Emittenten (und damit ihres Portfolios) im Auge haben müssen. Die Prüfung von ESG Faktoren ist aus der Investorensicht immer mit dem Anlageentscheid verbunden.
Die SIX Swiss Exchange hat bereits im Jahr 2018 die Möglichkeit des Opting In für die Nachhaltigkeitsberichterstattung eingeführt (Art. 9 Richtlinie Corporate Governance; Art. 9 Ziff. 2.03 Richtlinie Regelmeldepflichten). Mit der Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsberichte auf der Website der SIX Swiss Exchange soll allen Marktteilnehmern einfacher Zugang zu diesen (anlegerrelevanten) Informationen gegeben werden.[8]
Im ‚Dear CEO Letter 2020‘ unterstreicht BlackRock, einer der grössten globalen institutionellen Investoren, die Bedeutung von Nachhaltigkeitsberichten für die Bewertung der langfristigen Profitabilität von Emittenten:
„Each company’s prospects for growth are inextricable from its ability to operate sustainably and serve its full set of stakeholders. […] We will use these [SASB / TCFD] disclosures and our engagements to ascertain whether companies are properly managing and overseeing these risks within their business and adequately planning for the future. In the absence of robust disclosures, investors, including BlackRock, will increasingly conclude that companies are not adequately managing risk.“[9]
Dieser Gedanke wird durch den Präsidenten der ISSB bei der Lancierung der ISSB Standards (siehe unten, II.4.c)) ebenfalls unterstrichen:
„Today represents the outcome of more than 18 months of intense work to deliver an inaugural set of sustainability disclosure standards for the global capital markets. The ISSB Standards have been designed to help companies tell their sustainability story in a robust, comparable and verifiable manner. We have consulted closely with the market to ensure the Standards are proportionate and will result in disclosures that are relevant for investment decision-making.“[10]
Auch der ESRS 1 Standard der CSRD (siehe unten, II.4.a)) enthält Ausführungen zur finanziellen Materialität und hält dabei fest:
„The scope of financial materiality for sustainability reporting is an expansion of the scope of materiality used in the process of determining which information should be included in the undertaking’s financial statements.“[11]
Verschiedene institutionelle Investoren und Standardsetter gehen somit davon aus, dass ESG Faktoren Werte- oder Risikotreiber sind, die sich langfristig in den Finanzzahlen positiv oder negativ niederschlagen. Aus dieser Perspektive ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine logische Ergänzung der Finanzberichterstattung. Auch die Stimmrechtsberaterin Glass Lewis stellt klar, dass sie ESG Themen im Kontext der finanziellen Relevanz für die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens prüft.[12]
Aus den Principles for Sustainable Investment (PRI) kommt zudem hervor, dass neben der individuellen Beurteilung von Unternehmen auch die Förderung des Übergangs zu einer nachhaltigeren Welt eine Rolle spielt. Dies beruht auf der Annahme, dass in einer Welt mit gesunder Umwelt und sozialer Gerechtigkeit langfristig mehr Profit generiert werden kann.
Aus Investorensicht kann somit, nebst den finanziellen Aspekten von ESG-Themen, auch das allgemeine Ziel der Unterstützung einer nachhaltigen Welt massgeblich sein.
In der Schweiz beruht die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf dem Gedanken der Rechenschaftspflicht und dem Einfluss auf verantwortliches Unternehmensverhalten. Sie wurde als indirekter Gegenvorschlag zur sogenannten Konzernverantwortungsinitiative mit Inkrafttreten per 1. Januar 2023 eingeführt und basiert auf dem Modell der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (NFRD)[13] der EU.[14] Der Bundesrat hat bereits die Revision der Berichterstattungspflichten angekündigt und eine Vernehmlassungsvorlage Mitte 2024 in Aussicht gestellt.[15] Voraussichtlich werden die Pflichten ausgedehnt.
Die Offenlegungspflicht betrifft sehr spezifisch Umweltbelange (insbesondere CO2-Ziele), Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption (Art. 964b Abs. 1 OR). Die Nachhaltigkeitsberichte sind vom Verwaltungsrat zu genehmigen und der Generalversammlung vorzulegen (Art. 964c OR). Eine Prüfung durch eine Prüfstelle ist nicht Pflicht, jedoch „best practice“, da die vorsätzliche oder fahrlässige falsche oder unterlassene Berichterstattung eine Busse von CHF 100’000 bzw. CHF 50’000 zur Folge haben kann (Art. 325ter StGB).
Die Anwendung eines bestimmten Standards ist nicht vorgeschrieben, jedoch soll ab 1. Januar 2024 soweit relevant TCFD für die klimabezogene Offenlegung angewendet werden (Verordnung über die Klimabelange (Klimaverordnung)). Damit wird ein privater Standard mittels Referenz in der Klimaverordnung auf Gesetzesstufe erhoben. Die TCFD selbst gibt es als Gremium nicht mehr: Die Task Force für Climate related Financial Disclosures des Financial Stability Boards hat mit der Veröffentlichung der ISSB Standards (IFRS S1 und IFRS S2) ihre Arbeit eingestellt und die Überwachung der ISSB übergeben.[16] Statt TCFD werden, soweit es für sinnvoll erachtet wird, die ISSB Standards weiterentwickelt. Da die Klimaverordnung die anwendbare Version von TCFD klar definiert hat, werden diese nicht automatisch in der Schweiz nachvollzogen.
Im Übrigen räumt das Schweizer Recht den Unternehmen Flexibilität ein, um gemäss dem jeweiligen Geschäftsmodell und Tätigkeitsbereich einen sinnvollen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Mittels dem Comply-or-Explain Ansatz kann ein Unternehmen das Fehlen von Berichterstattung in bestimmten Bereichen erklären (Art. 964b Abs. 5 OR) und die Konsequenzen der Intransparenz den Marktteilnehmern überlassen.[17]
Während der aktuellen Generalversammlungssaison 2024 wurde über die ersten Nachhaltigkeitsberichte durch die Aktionäre abgestimmt. Damit ist die Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens Gegenstand von Aktionärsdiskussionen geworden.
Wie oben ausgeführt befand die EU die NFRD als unzureichend und hat per 1. Januar 2023 die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)[18] in Kraft gesetzt. Die effektive Implementierung erfolgt gestaffelt bis ins Finanzjahr 2028.[19] Angesichts dieser Vorlaufszeit könnte sie sich bereits weiterentwickeln bevor die letzte Kategorie in den Anwendungsbereich kommt. Aus einer Schweizer Perspektive ist hervorzuheben, dass ab Finanzjahr 2028 auch Unternehmen mit Sitz ausserhalb der EU berichtspflichtig werden, sofern sie mindestens eine Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in der EU sowie während zwei Finanzjahren hintereinander einen jährlichen Netto-Umsatz von mindestens EUR 150 Millionen in der EU erzielen. Diese extra-territoriale Wirkung wird insbesondere multinationale Unternehmen vor koordinative Herausforderungen stellen – mehrere Berichtspflichten könnten parallel zur Anwendung kommen: Die des Heimstaats, die der EU und die von individuell berichtspflichtigen Tochtergesellschaften in Drittstaaten.
Im Vergleich zur NFRD ist bei der CSRD (abgesehen vom wesentlich grösseren Anwendungskreis) folgendes hervorzuheben:
Während die offenzulegenden Faktoren bei der NFRD (und somit auch unter schweizerischem Obligationenrecht) etwas zufällig wirkt, führt die CSRD eine umfassende Berichterstattung zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung ein, somit eine umfassende ESG Betrachtung.Mit den Berichtsstandards ESRS 1 und ESRS 2 schreibt die CSRD einen einheitlichen Berichtsstandard vor. Die ESRS hat unter anderem TCFD, Teile des GRI und dem Greenhouse Gas Protocol[20] inkorporiert. Obwohl die EU IFRS für Finanzreporting als anwendbar erklärt, hat sie sich hier gegen die Übernahme der ISSB Standards IFRS S1 und IFRS S2 entschieden.Der Berichterstattung geht eine umfassende doppelte Wesentlichkeitsprüfung voran, in welcher verschiedene Anspruchsgruppen der jeweiligen Unternehmen einzubinden sind. Während das schweizerische Obligationenrecht die doppelte Wesentlichkeit als Grundsatz festhält (Art. 964b Abs. 1 OR in fine), hat die EU eine komplexe Methodologie zur Bestimmung der doppelten Wesentlichkeit eingeführt.Der Nachhaltigkeitsbericht ist im Lagebericht (Management Report) der Gesellschaft zu integrieren und durch eine unabhängige Prüfstelle zu prüfen.Die CSRD räumt den berichtspflichtigen Unternehmen wenig Flexibilität in der Berichterstattung ein. Die Prüfung der Berichtsstandards selbst und auch die doppelte Wesentlichkeitsprüfung sind mit erheblichem Aufwand verbunden. Erste Unternehmen haben bereits CSRD konforme Berichte fürs Berichtsjahr 2023 publiziert; ab Berichtsjahr 2024 (zu publizieren im Jahr 2025) werden die ersten obligatorischen Berichte vorgelegt. Es bleibt abzuwarten, ob die detailreichen Standards wirklich zu Offenlegung von relevanten Informationen und Vergleichbarkeit führen.
Auch wenn die CSRD die finanzielle Materialität als Kriterium aufnimmt (siehe oben), dient sie insbesondere aufgrund der doppelten Wesentlichkeit und der extensiven Rechenschaftspflicht gerade im Klimabereich eher auf Beeinflussung von Verhaltensweisen, als auf Transparenz für Investoren.
In den USA ist die allgemeine Nachhaltigkeitsberichterstattung oder gar Rechenschaftspflicht kein Thema. Die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) und der Bundesstaat Kalifornien haben aber Rechtsakte zwecks Klimaberichterstattung erlassen.
Die SEC hat im März 2024 die Regeln mit dem Titel „The Enhancement and Standardization of Climate-Related Disclosures for Investors“ (Climate Disclosure Rule) erlassen. Wie der Titel besagt, richtet sich die Berichterstattung an Investoren und soll bewertungsrelevante klimabezogenen Informationen zur Verfügung stellen, unter anderem Klimarisiken mit Auswirkungen auf die Geschäftsstrategie, Profitabilität, Aussichten oder Finanzlage des Unternehmens, Risikomanagement und getroffene Massnahmen.[21] Scope-1- und/oder Scope-2-Treibhausgasemissionen sollen durch bestimmte grössere Registranten rapportiert werden, wenn diese Emissionen wesentlich sind. Die Climate Disclosure Rule würde schrittweise von 2025 bis 2033 umgesetzt. Im Zeitpunkt dieser Publikation ist aber die Zukunft und Umsetzung der Climate Disclosure Rule ungewiss. Nachdem die SEC bezüglich deren Einführung mehrfach eingeklagt wurde, hat sie diese vorläufig sistiert.[22]
Auf Bundesstaatsebene hat Kalifornien den California Climate Act in Kraft gesetzt. Dieser verpflichtet Firmen mit grösseren Umsätzen in Kalifornien ihre Treibhausgaseemissionen und Klimarisiken zu rapportieren, Scope-1 und Scope-2 ab Finanzjahr 2026, zusätzlich Scope-3 ab Finanzjahr 2027.[23] Auch gegen dieses Gesetz wurden Klagen erhoben[24] und bis zum effektiven Inkrafttreten könnte es bereits wieder revidiert sein.
Obwohl die SEC Climate Disclosure Rule und der California Climate Act scheinbar auf eine faktische und unternehmensbezogene Klimaoffenlegung abzielen, werden diese intensiv und kontrovers diskutiert. Die SEC Climate Disclosure Rule hat bereits im Konsultationsprozess eine rekordhohe Anzahl von Kommentaren erhalten, die den Prozess erheblich verzögert hat. Gemäss gerichtlichen Eingaben sei die Offenlegungspflicht „noncommercial, not purely factual, and concerns a controversial political matter“.[25] Während in der Schweiz und der EU tatsächlich investoren-basierte Offenlegung mit dem Ruf nach mehr Nachhaltigkeit (siehe doppelte Wesentlichkeit) vermischt wird, wäre zumindest die SEC Climate Disclosure Rule rein auf Investoren-Interesse ausgerichtet.