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8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Das Große Imperium der Arkoniden steht in der Blüte seiner Entwicklung - und das, obwohl das Reich seit Jahren in einen galaxisweiten Krieg mit den Methanatmern verstrickt ist. Von der traumhaften Kristallwelt Arkon aus regiert Orbanaschol III. seit 13 Jahren mit eiserner Faust über Zigtausende von Planeten. Seinen Thron hat der Imperator dadurch erlangt, dass er seinen Bruder Gonozal VII. durch einen fingierten Unfall beseitigen lassen hat. Auf dem Planeten Gortavor lebt der siebzehnjährige Atlan in der Obhut des geheimnisumwitterten "Bauchaufschneiders" Fartuloon. Atlan weiß nicht, dass er der Sohn des ermordeten Imperators ist, den Fartuloon aus dem Kristallpalast retten und in Sicherheit bringen konnte. Und er weiß erst recht nicht, dass Orbanaschol fieberhaft nach ihm, dem jungen Kristallprinzen, fahnden lässt ... "Der Kristallprinz" ist der erste Band des neuen ATLAN-Zyklus. Auch die folgenden Bücher der ATLAN-Reihe schildern die Jugendabenteuer des unsterblichen Arkoniden, der im 21. Jahrhundert der beste Freund Perry Rhodans wird. Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 88: "In der Spinnenwüste" von Ernst Vlcek Heft 92: "Flucht aus dem Tarkihi" von Clark Darlton Heft 96: "Hetzjagd durch das blasse Land" von Hans Kneifel Heft 100: "Der Kristallprinz" von K.H. Scheer Heft 179: "Die Verschwörer von Arkon" von Harvey Patton
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Seitenzahl: 720
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Nr. 17
Der Kristallprinz
Das 17. Buch der »ATLAN-Bücher« beginnt einen neuen Abschnitt, der uns, sofern nichts Unerwartetes dazwischenkommt, viele Jahre beschäftigen wird: Mit Der Kristallprinz begleiten wir Atlan in seine Jugendzeit und schlagen somit ein Kapitel seiner schillernden Lebensgeschichte auf, das schon an anderer Stelle veröffentlicht wurde und nun im Gewand der »Blaubände« hoffentlich wieder viele alte und noch mehr neue Anhänger finden wird.
Im Rahmen der insgesamt 850 Romane umfassenden ATLAN-Heftserie erschienen zwischen 1973 und 1977 unter dem Titel ATLAN-exklusiv – Der Held von Arkon zunächst im vierwöchentlichen (Bände 88 bis 126), dann im zweiwöchentlichen Wechsel mit den Abenteuern Im Auftrag der Menschheit (Bände 128 bis 176), danach im normalen wöchentlichen Rhythmus (Bände 177 bis 299) insgesamt 160 Romane. Die meisten davon waren im Ich-Erzählstil aus Atlans Sicht geschrieben.
Handlungszeitraum waren die Jahre 8024 bis 8020 vor Christus (in Arkonzeitrechnung ausgedrückt: 10.496 bis 10.500 da Ark), in denen Atlan zunächst von seiner wahren Herkunft als Kristallprinz und der Ermordung seines Vaters Imperator Gonozal VII. durch dessen Bruder Orbanaschol erfuhr und daran ging, den Kampf gegen den Brudermörder aufzunehmen. Diese Hauptthematik prägte zwar sämtliche »Jugendabenteuer«, trat jedoch im Verlauf diverser Unterzyklen mitunter in den Hintergrund – vor allem beim Themenkreis rings um die »Goldene Göttin« Ischtar und ihr aus dem Mikrokosmos stammendes Volk der Varganen (Bände 150 bis 216) sowie dem um Akon-Akon (Bände 232 bis 253).
Erst ab Band 254 konzentrierte sich die Handlung wieder mehr auf die Hauptthematik des Kampfes gegen Imperator Orbanaschol III.; hierbei gab es jedoch auch wiederholte Schauplatzwechsel und andere Hauptprotagonisten – unter anderem Lebo Axton alias Sinclair Marout Kennon, den Magnortöter Klinsanthor und Algonkin-Yatta, den Kosmischen Kundschafter –, die die zuvor fast ausschließlich aus Atlans Sicht geschilderten Abenteuer ergänzten. Besonders deutlich wurde dies bei den letzten rund zwanzig Romanen und ganz extrem in den abschließenden fünf, in denen Atlan selbst eher eine Randfigur war.
Inwieweit dies bei der jetzigen Bearbeitung so beibehalten wird, muss sich herausstellen. Das mit der Redaktion abgestimmte Konzept für die Jugendabenteuer sieht zunächst jedenfalls vor, alle ursprünglichen Heftromane in die Buchfassungen aufzunehmen und den Originalen und ihrem Flair recht nahe zu kommen. Dennoch bleibt es unvermeidbar, dass viele Passagen bearbeitet, manches gekürzt und Überleitungen hinzugefügt werden, um aus fünf Einzelheften jeweils einen geschlossenen Roman zu machen.
Für Buch 17 wurden, ungeachtet dieser notwendigen, möglichst sanften Eingriffe, folgende Romane zusammengestellt: Band 88 In der Spinnenwüste von Ernst Vlcek, Band 92 Flucht aus dem Tarkihl von Clark Darlton, Band 96 Hetzjagd durch das Blasse Land von Hans Kneifel, Band 100 Der Kristallprinz von Karl-Herbert Scheer sowie Band 179 Die Verschwörer von Arkon von Harvey Patton – letzterer deshalb an diese Stelle vorgezogen, weil in ihm die ursprünglich in Band 100 nur kurz erwähnten Ereignisse geschildert werden, die Atlans Vorgeschichte ausmachen, nämlich seine wahre Herkunft als Kristallprinz des Großen Imperiums und die Ermordung seines Vaters.
Für mich als Bearbeiter der Heftromane war und ist es faszinierend, in die Handlung einzusteigen, die ich damals als »Nur-Fan« verfolgte, mit Atlan mitfieberte und nicht im Traum daran dachte, diese Geschichten einmal zu einem schön gebundenen Buch zusammenstellen zu dürfen. Es macht mich stolz und dankbar, diesen »Job« zu übernehmen, der viel mehr als »nur« Job ist.
Dankbar bin ich, wie schon bei den Büchern der Arkon-Trilogie, auch für die emsige Mitarbeit der Heinzelmänneken im Hintergrund, auf deren unersetzliche Hilfe ich keineswegs verzichten möchte, da sie mit Kritik und Anregungen das Entstehen begleiteten. Dank also an Heiko »Mr. Jahrmillionenchronik« Langhans, Kurt Kobler, Michael Beck und – selbstverständlich! – Michael »Mr. Zeitraffer« Thiesen.
Und ebenfalls Dank an »KNF«, der sich intensiv dafür eingesetzt hat, dass es überhaupt zur Umsetzung der Jugendabenteuer kommen konnte.
Viel Spaß mit Der Kristallprinz! Ad Astra!
Aus: Vorwort der von Professor Dr. hist. Dr. phil. Cyr Abaelard Aescunnar erstellten und herausgegebenen (in vielen Bereichen noch lückenhaften) Biographie Atlans; Gäa, Provcon-Faust, 3565
Etliche Dinge trafen zufällig zusammen; zur rechten Zeit. Der Auftrag, ein verbindliches, vorläufig endgültiges Geschichtsbild Terras und der Menschheit zu schaffen, erging schon vor einigen Jahren an die Chmorl-Universität von Sol City. Seit dieser Zeit wurden die besten und präzisesten Geschichtsdaten mehrfach überprüft und komplettiert, verifiziert und mit den neuesten Bildern und Holographien ausgestattet, zusammengefügt. Korrekturen und Ergänzungen, die sich seit August 3561 durch Atlans Erzählungen ergaben, wurden an den richtigen Stellen eingearbeitet, textlich abgesetzt und flossen in die ANNALEN DER MENSCHHEIT ebenso ein wie nun auch in seine Biographie.
Unendlicher Dank gebührt meinen Studenten, zahlreichen anderen Mitarbeitern, den Lektoren, Korrektoren, Designern, Lexikografen und vielen anderen, vor allem jenen, die diverse Sekundärliteratur beisteuerten: USO-Historisches Korps mit vielen Geheimakten, Marginalien und Unterlagen, die Redaktion der ENZYCLOPAEDIA TERRANIA, der Administrations-Fundus, verschiedene Verlage als Rechtsnachfolger ihrer mit Terra verschollenen Vorgänger.
Längst hat Prätendent Atlan, vollständig geheilt und ohne weiteren Erinnerungsdruck, wieder die Regierungsgeschäfte des Neuen Einsteinschen Imperiums übernommen. Die Möglichkeit, hinsichtlich unklarer Punkte seiner Berichte und damit zusammenhängender Sekundärerscheinungen nachzuhaken, sind leider nur in beschränktem Umfang gegeben; aus verständlichen Gründen ist Atlan nicht bereit, erneut in den Sprechzwang seiner Erinnerungen zu verfallen.
In einem Punkt jedoch ließ er sich zu einer bemerkenswerten Richtigstellung bewegen: Im weiter unten zitierten Abschnitt von Cunnard Rezkladides’ »Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse« wurde als Datum der Begegnung Atlans mit Ottac alias Fartuloon das Jahr 2098 erwähnt – tatsächlich aber, so der Arkonide mit einem ironischen Lächeln, habe diese schon fünfzig Jahre früher stattgefunden, sei durch Vermittlung des Imperialen Archivars und Historikers Hemmar Ta-Khalloup zustande gekommen undhabe ihn, Atlan, fast in die berüchtigte Erzähltrance seines photographischen Gedächtnisses fallen lassen; wörtlich sagte er weiter:
»Irgendjemand muss mich falsch verstanden haben, deshalb wurde aus 2048 eben 2098. Auf die Hintergründe der Entstehung des von Ihnen, Professor, so geschätzten Werkes namens AUFSTIEG UND NIEDERGANG DES ARKONIDISCHEN IMPERIUMS werde ich nicht eingehen. Um aber Ihre berechtigte Neugier zu befriedigen, überreiche ich Ihnen eine mit einer Reihe von Anmerkungen und Zusatzinformationen versehene Speicherkopie des damals von meinem bemerkenswerten Lehrmeister erstellten OMIRGOS-Kristalls. Er befreite mich vom Druck der Erinnerungen, ehe ich mich in einen endlos plappernden Zombie verwandeln konnte, genau wie er es kurz vor seinem rätselhaften Verschwinden in meiner lugend tat, um mich ›Dinge vergessen oder in einem anderen Licht sehen zu lassen‹. Dem begehrlichen Glitzern in Hemmars Augen konnte ich damals nichts entgegenhalten; er erhielt eine der wenigen Speicherkopien und hat sich auch lange – vermutlich bei viel Rotwein und delikatem Essen – mit Fartuloon unterhalten. Beiden muss es großes Vergnügen bereitet haben, meinen Erinnerungen die eine oder andere Fußnote anzufügen. Und Ihnen, Professor, wünsche ich ebenfalls viel Spaß: Nun können Sie sich nach den als ›Zeitabenteuer‹ bekannt gewordenen Geschichten in jene vertiefen, die wohl als ›Jugendabenteuer‹ zu umschreiben wären …«
Cunnard Rezkladides: Zahlen, Zenturien, Ziele und Zeugnisse – aus der Arbeit des USO-Historischen Korps; Sonderdruck Pounder City, Mars 3435
… Als ein USO-Spezialist, der auf seine Namensnennung keinen Wert legte, zum ersten Mal auf die Erwähnung der Schrift oder des Textes jenes epochalen Buches mit dem zurückhaltenden Titel: AUFSTIEG UND NIEDERGANG DES ARKONIDISCHEN IMPERIUMS stieß, riskierten wir es, unseren Chef während einer seiner Gute-Laune-Phasen näher zu befragen. Folgende Einzelheiten waren zu erfahren, wobei auch der Leichtestgläubige sich stets vor Augen halten sollte, dass Lordadmiral Atlan in solchen Fällen mit der reinen Wahrheit behutsam umgeht. Tatsache ist: Das Buch erschien um 2100 in geringer Auflage, wurde etwa 14 Jahre später aus dem Arkonidischen übersetzt und in einer Auflage von 1000 nummerierten Exemplaren gedruckt. Wer aber verbirgt sich hinter Wof Marl Starco? Wer war Riarne Riv-Lenk?
Die Antwort könnte wie folgt lauten: Um 2098, Atlan ist auf Arkon der Imperator Gonozal Acht und hat Schwierigkeiten mit den entschlussunfähigen Arkoniden, erschien während einer Audienz im Kristallpalast einMann, dessen Auftreten und Aussehen sich wohltuend vom übrigen Schranzen- und Bittstellergehabe abhob. Atlan – dies ergab auch eine Erwähnung im Jahr 2840 – widmete diesem Besucher eine mehrstündige Privataudienz. Dabei trat ein, was mir aus »gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen« zugetragen wurde, aber: Man beachte die zeitlichen Abstände. Der Besucher sei Ottac der Calurier gewesen. Dies sei eine Körpermaske Fartuloon des Bauchaufschneiders, erfuhr ich. Bei der privaten Lang-Audienz seien Atlans blockierte Jugenderinnerungen frei geworden. Ottac-Fartuloon habe deshalb mit einem weiteren OMIRGOS-Kristall die Blockade wiederholt oder verstärkt, dabei habe der Kristall Atlans Erinnerungen gespeichert und sei in die Hände Starcos und Riv-Lenks gefallen.
Aber: Aus »gewöhnlich besser unterrichteten Quellen« erfuhr ich, dass höchstwahrscheinlich Fartuloon jener Starco und Atlan selbst der andere Verfasser, Lenk, gewesen wären, die aus einer famosen Laune heraus beschlossen, jene arkonidische Chronik zu schreiben und selbst uralt-arkonidische Speicherinhalte einzuarbeiten. Und auch die mit Obigem verbundenen Mutmaßungen, Fartuloon, der Alterslose, sei ein Werkzeug von ES, gebe ich mit aller Vorsicht weiter. Ein weiteres Faszinosum ist, dass alle Exemplare der Übersetzung aus dem Arkonidischen vergriffen und verschollen sind …
Die in diesem Text auf das Jahr 2840 datierte Erwähnung konnte gefunden werden; sie gehört zum Datenfundus des USO-Historischen Korps und wird nachfolgend ebenfalls zitiert.
Sean Nell Feyk: Marginalien zu den Annalen des USO-Historischen Korps; A-IADM/50, USO-Archiv, Quinto-Center, 2845
… wurde Lordadmiral Atlan der Einsatzbericht »Baikular« am 15. November 2840 überreicht. Von besonderem Interesse für dieses Marginalien-Kapitel ist jene Person, die den verdeckt arbeitenden USO-Spezialisten Tekener und Kennon im Verlauf ihres Baikular-Aufenthaltes begegnete und ihnen bei seinem Auftritt auf dem von Gualapa Runda ausgerichteten Fest als »Ottac der Calurier« vorgestellt wurde; Zitat Tekener:
… Ein großer, hagerer, gebeugt gehender Mann, der mit seinen fast zwei Metern die meisten anderen überragte. Blondes, kurzgeschnittenes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab. Aus seinem faltigen, wie zerknittert wirkenden Gesicht stach eine imposante Hakennase hervor. Hellblaue Augen mit verschmitztem Blick. Kleidung von unbestimmter Herkunft: weite Pluderhosen, die unterhalb der Knie in abgetragenen Stiefeln steckten, waren speckig und vielfach geflickt. Die Bluse ausgebleicht und von schmutziggrauer Farbe.
Obwohl Ottac den Eindruck eines Tramps machte, belegte er die High Society von Baikular sofort mit Beschlag; er wurde als Freund, Vertrauter und willkommener Gast behandelt. Nachfragen lieferten Aussagen wie die folgenden: »Er ist ein phantastischer Geschichtenerzähler. Er besitzt Charme und Witz, ist ein geistreicher Unterhalter. – Er besitzt kein Geld, keinen Besitz, aber er versteht es, sich allein mit Hilfe seiner Erzählkunst durchs Leben zu schlagen. Er ist ein Schnorrer, ein liebenswerter Schnorrer. – Man nennt ihn auch den ›Sternenwanderer‹. Erkennt alle Welten dieser Galaxis. Und alle Persönlichkeiten dieser Galaxis kennen ihn. Jedermann rechnet es sich als Ehre an, Ottac als Gast zu haben. Auch Runda wird es zu schätzen wissen, dass er ihn besucht.«
Als ich zufällig mit ihm allein bei einem Zierteich zusammentraf, antwortete er auf meine Bemerkung, dass er sich undurchschaubar und geheimnisvoll gebe, mit einem schlichten »Ich bin Calurier« – ohne jedoch auf meine Nachfrage, wo dieses Calurien liege, einzugehen …
… sagte er bei der Verabschiedung: »Grüßen Sie Atlan von mir, Oberst Tekener. Es hat mich sehr gefreut, Sie und Oberstleutnant Kennon in der neuen Rolle wiederzusehen. Nochmals, grüßen Sie Atlan von mir.«
Mit diesen Worten überreichte er mir ein Farbfoto, das einen jungen Mann zeigte, der eine entfernte Ähnlichkeit mit ihm besaß. Wichtig: Wie kann ein dahergelaufener Sternenwanderer eines der bestgehüteten Geheimnisse der USO kennen? Woher kennt Ottac unsere wahre Identität? …
Eher als Fußnote überliefert wurde Lordadmiral Atlans erstaunliche Reaktion auf den Bericht und das Foto: Er sah es lange an, runzelte die Stirn, doch plötzlich lächelte er.
»Ach, der ist das«, murmelte er, und an seinen Adjutanten gewandt fügte er hinzu: »Es ist alles in Ordnung. Richten Sie das Tekener aus.«
Der Bauchaufschneider Fartuloon:
Gortavor, der zweite Planet von Gortavors Stern, war eine wilde Welt am Rand des Großen Imperiums, auf der die arkonidische Zivilisation und die ungezähmte Natur eine Art Symbiose eingegangen waren; nicht umsonst wurde der Planet nach seinem in der Spinnenwüste umgekommenen Entdecker »Kampf Tavors« genannt. Da von Seiten der Arkoniden kein Interesse bestand, den Planeten zu kultivieren und systematisch zu besiedeln, gab es nur in einem weiten Umkreis um den Raumhafen des Kontinents Taigor eine bescheidene Industrie und die nötigsten technischen Anlagen. Die übrige Landkarte Gortavors wies dagegen viele große weiße Flächen auf, die jene Landstriche bezeichneten, die noch von keinem Arkoniden betreten worden waren. Vor allem betraf dies den Kontinent Bargak auf der Süd- und den Inselkontinent Byshlurag auf der Nordhemisphäre.
Obwohl die Zivilisation hier kaum Fuß gefasst hatte – oder gerade deswegen –, erfreute sich der Planet eines regen Zustroms von Zuwanderern, die den verschiedensten Völkern entstammten und aus allen Teilen des Großen Imperiums und aus fernen, unbekannten Regionen der Galaxis kamen, die bei den Arkoniden »Öde Insel« genannt wurde. Es handelte sich durchwegs um Abenteurer, gescheiterte Existenzen und andere zwielichtige Gestalten. Sie waren es, die das Gesamtbild von Gortavor prägten – sie machten aus dem Planeten einen Warenumschlagplatz für Schmuggler und Hehler, ein Paradies für Diebe und Betrüger, ein Asyl für Mörder, Verfemte und alle Gejagten.
Dass Gortavor in der Randzone des Tai Ark’Tussan lag, 25.753 Lichtjahre vom Arkonsystem entfernt, war einer der Gründe dafür, warum sich Fartuloon hier niedergelassen hatte. Der Arm Orbanaschols III, des Imperators des arkonidischen Reiches, war lang, aber bis hierher reichte er offenbar nicht. Zumindest war Fartuloon bisher vor seinem Zugriff sicher gewesen. Als Leibarzt Armanck Declanters genoss er großes Ansehen und eine gewisse Immunität. Der Tato, wie der offizielle Titel des arkonidischen Planetenverwalters lautete, schirmte ihn vor allen Gefahren ab.
Vor uns breitete sich, von silbrigem Netzwerk überspannt, die schier endlose Spinnenwüste aus. Ich saß angespannt hinter dem Steuer des Drifters. Den Platz neben mir hatte Fartuloon eingenommen. Mein Lehrmeister und Ziehvater starrte aus der Klarsichtkanzel. Ich hätte zu gerne gewusst, was in seinem haarlosen Schädel vorging. Als ich ihm von der Seite einen Blick zuwarf, richtete er kurz seine gelben Augen auf mich. Aber sie waren ausdruckslos.
Nur um etwas zu sagen, fragte ich: »Beschäftigt dich der Notruf?«
»Ich denke nur daran, dass Leute in Not geraten sind, denen wir helfen müssen.«
Ich versuchte nicht, tiefer in ihn zu dringen. Mir machte das Schweigen nichts aus. Ganz im Gegenteil, ich war sogar froh, mich auf die Fahrt konzentrieren zu können. Das Tarkihl, das mich immer an einen klobigen Tafelberg erinnerte, war längst hinter dem Horizont verschwunden. Es ragte am Rand der Spinnenwüste auf; nicht besonders hoch, aber doch gigantisch. Der Grundriss hatte die Form eines stumpfen Dreiecks, war zehn Kilometer lang und sechs Kilometer breit. Es galt als eine uralte Festung, aber niemand wusste, wer sie einst erbaut hatte. Das Material glich äußerlich Bronze und wirkte unbearbeitet. Zahlreiche Vorsprünge, Erhebungen und Kuppeln unterbrachen den Verlauf der Mauern.
Fartuloon hatte mir erklärt, dass der größte Teil des Gebäudes unter der Oberfläche verborgen war und wahrscheinlich noch niemals betreten wurde. Wenn er mich nicht immer wieder ermahnt hätte, wäre ich sicherlich öfter einem der vielen Geheimgänge gefolgt. Ich kannte das Tarkihl bis auf seinen subplanetarischen Teil recht gut. Hier hatte ich meine Jugend zugebracht und mit der Tochter des Tato gespielt. Dabei war es nicht ausgeblieben, dass Farnathia und ich stets neue Gänge und Geheimtüren entdeckt hatten. Wir versuchten uns vorstellen, wie die unbekannten Erbauer der riesigen Bauwerke hier einst gehaust hatten, wie sie sich gegenseitig belauerten und durch geheime Verstecke beobachteten …
Ich schob die Gedanken zur Seite und konzentrierte mich. Einen Drifter zu steuern, galt als Kinderspiel. Das Raupenfahrzeug war knapp mannshoch, ebenso breit und dreimal so lang, hatte eine gute Bodenhaftung und konnte praktisch jedes Hindernis überwinden. Für die Fahrt durch Wüstensand war der Drifter besonders geeignet. Und dennoch war es ein gewisses Wagnis, damit über die Randbereiche hinweg tiefer in die Spinnenwüste von Taigor, den Kontinent des »Großen Kampfes«, vorzustoßen.
Denn außer unzähligen unbekannten Gefahren gab es hier die ständige Bedrohung, die der Wüste den Namen gegeben hatte: Zwei Meter über dem Boden spannte sich zwischen unregelmäßig verteilten Pfeilern über das gesamte Gebiet ein Netz aus armdicken Silbersträngen. Niemand wusste, wer dieses Netz erschaffen und welchem Zweck es ursprünglich gedient hatte. Man vermutete aber, dass die Erbauer jene Wesen gewesen waren, die auch das Tarkihl errichtet hatten. In den ersten paar hundert Kilometern der Spinnenwüste verliefen die Silberstränge meist in großen Abständen von mitunter Hunderten Metern, zum Zentrum der Wüste hin wurde das Netz dagegen immer dichter.
Unzählige Glücksritter waren ausgezogen, um seine Rätsel zu lösen, die wenigsten von ihnen waren lebend zurückgekehrt. Auch Tavor, der das Sonnensystem 9326 da Ark katalogisiert hatte, war hier gestorben. Die Silberstränge behielten ihr Geheimnis für sich.
Ich wusste nur, dass das endlos wirkende, anscheinend in sich geschlossene Netz manchmal zu vibrieren und zu summen begann. Die Vibrationen und der gespenstische Klang schlugen alle Lebewesen in den Bann und verursachten bei ihnen Halluzinationen, an denen schon unzählige Wüstenwanderer zerbrochen waren. Ich selbst hatte das Vibrieren und Summen des Spinnennetzes noch nie erlebt und konnte mir auch nicht vorstellen, dass man ihm verfiel, wenn man sich mit der nötigen Willensanstrengung dagegen wehrte.
»Es sind schon ganz andere als du schwach geworden, Atlan«, hatte Fartuloon gemeint, als ich ihm meine Überlegungen mitgeteilt hatte. Das ärgerte mich, denn es ließ mich vermuten, dass Fartuloon meine Fähigkeiten unterschätzte. Diese Äußerung hatte er aber schon vor einiger Zeit getan. Inzwischen schien er seine Meinung über mich geändert zu haben; nun, in wenigen Perioden wurde ich schließlich achtzehn Arkonjahre alt. Manchmal erschien es mir, dass er mich als gleichwertig anerkannte.
So wie an diesem Morgen, dem 7. Prago der Coroma 10.496 da Ark, als der Notruf aus der Wüste im Tarkihl eingegangen war. Fartuloon hatte zugestimmt, dass ich das Steuer des Drifters übernahm. Das wertete ich als stille Anerkennung, und es erfüllte mich mit Stolz. Ich nahm mir vor, Fartuloons Vertrauen nicht zu enttäuschen und den Drifter sicher ans Ziel zu bringen, Marauthans Ruinen, die knapp vierhundert Kilometer vom Tarkihl entfernt waren.
»Es ist heiß«, sagte Eiskralle hinter mir. »Bei dieser Hitze werde ich noch zerfließen.«
Ich musste unwillkürlich grinsen. Die Furcht des Chretkors vor extremer Hitze und zu großer Kälte war schon krankhaft. Aber ich tat ihm den Gefallen und erhöhte die Leistung der Klimaanlage. Gleich nach unserem Start hatte er sich über die niedrige Temperatur im Drifter beschwert, so dass ich die Heizung einschalten musste.
»Ist es Euch so recht, edler Herr?«, erkundigte ich mich spöttisch.
»Danke, Atlan«, sagte Eiskralle, ohne auf meinen Tonfall einzugehen. »Ich spüre, wie sich meine Körperstruktur wieder festigt.«
»Ausweichen!«, rief Fartuloon, weil vor uns plötzlich eine Sanddüne auftauchte, die fast bis zum Silbernetz hinaufreichte.
Aber ich lachte nur. »Dieses Hindernis nimmt der Drifter mit Leichtigkeit!«
Wir erreichten die Düne, und ich schaltete die Saugdüsen ein, die als klobige Zylinder seitlich der Raupenketten angebracht waren und hauptsächlich dazu dienten, Hindernisse wie diese Düne abzutragen. Ich drosselte die Geschwindigkeit, während die Saugdüsen aufheulten und in ihrem Sog die Düne immer niedriger wurde. Der Sand wurde durch ein Rohrsystem zum Heck des Drifters geleitet und dort durch ein Gebläse ausgestoßen. Plötzlich gab es ein schepperndes Geräusch, und das Heulen der Düsen ging in ein Dröhnen über, das den Drifter vibrieren ließ.
»Was ist das?«, rief ich überrascht und warf Fartuloon einen fragenden Blick zu.
Noch bevor ich von ihm Antwort erhielt, sah ich durch die Wand aus feinstem Sandstaub einige schemenhafte Gestalten auf unser Raupenfahrzeug zukommen. Jetzt begriff ich. Zagoren! Die Sanddüne ist eine Falle der Wüstenbewohner!
Ohne lange zu überlegen, fuhr ich den Drifter rückwärts aus der Düne heraus, wendete ihn um neunzig Grad und fuhr mit Höchstbeschleunigung davon. Aber kaum war ich aus dem aufgewirbelten Staub, tauchte direkt vor uns eine weitere Düne auf. Ich konnte ihr gerade noch ausweichen und fuhr einen der Wüstenbewohner nieder, der plötzlich vor dem Bug des Kettenfahrzeuges stand. Sein weiter Umhang breitete sich aus, flatterte, für einen Moment sah ich sein verzerrtes Echsengesicht ganz deutlich – dann verschwand er unter den Raupenketten. Der Drifter rollte über ihn hinweg. Wir erreichten wieder freies Gelände, vor uns waren keine weiteren Hindernisse mehr. Dennoch fuhr ich weiter, als seien alle Dunklen She’Huhan des Unterreichs hinter uns her.
»Du kannst wieder langsamer fahren«, murmelte Fartuloon. »Die Gefahr ist vorbei.«
Ich drosselte die Geschwindigkeit und warf ihm einen wütenden Blick zu. »Warum hast du mich nicht früher gewarnt? Du hast doch erkannt, dass die Düne eine Falle der Wüstenbewohner war. Du musst gewusst haben, dass sie unter dem Sand allerlei Gerümpel versteckt haben, um unsere Saugdüsen zu verstopfen. Warum hast du mich nicht darauf aufmerksam gemacht?«
»Ich dachte, du würdest die Falle von selbst erkennen«, antwortete er gleichmütig.
Obwohl er es nicht vorwurfsvoll sagte, deutete ich es als Vorwurf. »Ich habe die Falle nicht sofort erkannt«, gestand ich. »Aber als die Situation kritisch wurde, reagierte ich richtig. Es ist mir auch ohne deine Unterstützung gelungen, den Drifter aus dem Gefahrenbereich zu bringen.«
»Dafür gebührt dir meine vollste Anerkennung«, versicherte er. »Aus diesem Vorfall habe ich eine für mich tröstliche Erkenntnis gewonnen.«
»Welche?«, erkundigte ich mich angriffslustig.
»Dass der Schüler den Lehrer doch noch nicht übertrifft.«
Unsere Blicke trafen sich, und plötzlich mussten wir beide lachen. Bisher hatte ich in Fartuloon nur meinen Lehrmeister, meinen Beschützer und eine Art Vater gesehen. Doch in diesem Augenblick merkte ich, dass sich unser Verhältnis zueinander geändert hatte – es war eine Freundschaft unter Männern daraus geworden.
»Mir ist kalt«, hörte ich Eiskralle vom Rücksitz aus sagen. »Ich befürchte, dass mein Körper erstarrt.«
Ich seufzte, wischte mir den Schweiß von der Stirn und schaltete die Klimaanlage auf »Heizung«. Fartuloon lachte noch lauter.
»Da!« Fartuloon deutete plötzlich nach vorne. Die Sonne hatte ihren Höchststand überschritten, die Silberstränge warfen verwirrende Schatten auf die Wüste, über deren blendendem Sand die Luft zitterte. Dadurch wurde meine Sicht behindert.
Ich dachte, Fartuloon hätte wieder ein Hindernis entdeckt, deshalb drosselte ich die Geschwindigkeit. Aber dann war mir klar, was er meinte. Auf einem der armdicken Stränge sah ich einen riesigen Raubvogel hocken; einen Oluzga, die Spannweiten von über zehn Metern erreichten. Er lebte nicht mehr, war völlig gebleicht und wirkte verwelkt oder mumifiziert. Ich steuerte den Drifter unter ihm hindurch.
Bilder wie diese waren kein seltener Anblick in der Spinnenwüste. Wenn ich die suggestive Wirkung der Silberstränge auch noch nie zu spüren bekam, so hatte ich schon viele gesehen, die auf eine andere Art und Weise Opfer des Spinnennetzes wurden. In den Silbersträngen verbarg sich eine unheimliche, tödliche Kraft. Wer damit in Berührung kam, war unrettbar verloren. Sein Blut verkochte in Gedankenschnelle – und zurück blieb eine ausgetrocknete, welke Mumie. Es war ein schneller, dennoch schrecklicher Tod. Ich ertappte mich bei der Überlegung, wie es wohl Eiskralle ergehen mochte, wenn er das Spinnennetz berührte. Denn in seinen Krallen wohnte eine ähnlich unheimliche Kraft wie in den Silbersträngen.
»Ist dir heiß oder kalt?«, erkundigte ich mich bei dem Chretkor.
»Nein, die Temperatur ist gerade recht«, antwortete er zu meiner Überraschung. Ich drehte mich kurz zu ihm um, musste mich aber sofort wieder abwenden. Obwohl an Eiskralles Anblick gewöhnt, war es mir in diesem Augenblick nicht möglich, seine Gesichtszüge in dem kristallenen, transparenten Kopf zu erkennen.
Eiskralle verdankte diese Umschreibung nicht nur der Tatsache, dass jegliche organische Materie, die er mit seinen zu Krallen geformten Händen anfasste, zu Eis wurde. Er wirkte auch in seiner Erscheinung, als sei er aus Eis gehauen. Sein Körper, sein Kopf und seine Gliedmaßen waren völlig transparent, so dass das bunte Gewirr von Muskeln, Nervenfasern, Adern und Organen zu sehen war. Es war sogar für Leute, die ständig mit ihm zu tun hatten, nicht immer leicht, in seinem Gesicht zu lesen. Denn die Transparenz verwirrte, und es fiel schwer festzustellen, ob die verschiedenen Sinnesorgane innen oder außen saßen. Er war von arkonoider Gestalt, wenngleich von zwergenhaftem Wuchs, reichte er mir selbst in aufgerichtetem Zustand von 1,35 Meter nur knapp bis zur Brust.
Es klang seltsam, aber Eiskralle liebte die Wärme; je wärmer es wurde, desto beweglicher wurde er auch. Aber er fürchtete extreme Hitze, weil er dann zu zerfließen glaubte. Mindestens ebensolche Angst hatte er vor niedrigen Temperaturen, weil er dann sicher war, schon durch die geringste Erschütterung in Einzelkristalle zu zerfallen. Er lebte ständig mit dieser Angst vor Hitze und Kälte, sie war sein wunder Punkt. Er wagte nicht einmal Kleidung zu tragen, sofern es nicht unbedingt notwendig war. Und weil er seine Angst nicht beherrschte, sprach er ständig darüber und verlangte, wenn es die Gegebenheiten zuließen, immer wieder Temperaturkorrekturen. Eiskralle nannten wir den Chretkor, weil er keinen Eigennamen hatte und er selbst sich auch keinen geben wollte.
»Ist die Temperatur so recht?«
»Ja, sicher, doch. Ich fühle mich ganz ausgezeichnet!« Eiskralles Antwort klang unwirsch. »Wieso fragst du dauernd? Willst du dich über mich lustig machen?«
Ich hob abwehrend eine Hand. Noch bevor ich etwas entgegnen konnte, sagte Fartuloon: »Bist du sicher, dass der Kurs stimmt, Atlan?«
»Absolut.«
Fartuloon schwieg. Weil es sein konnte, dass ihm etwas aufgefallen war, was meiner Aufmerksamkeit entging, überprüfte ich noch einmal alle Instrumente, konnte aber nichts feststellen, das auf eine Kursabweichung hinwies. »Wir fahren in die Richtung, in der Marauthans Ruinen liegen.«
Er entgegnete nichts, sondern sah starr geradeaus. Ich hob die Schultern und musterte ihn aus den Augenwinkeln. Er war nur einen Meter fünfundsechzig groß und ziemlich korpulent. Auf den ersten Blick wirkte er sogar ungemein fett und unbeholfen. Aber wer ihn kannte, der wusste nur zu gut, wie schnell und behände er sich bewegen konnte, wenn es darauf ankam. Was man für Fett hielt, waren in Wirklichkeit Muskelstränge, die ihm ungewöhnliche Kräfte verliehen; ich wusste es aus leidvoller Erfahrung. Seine Glatze glänzte im Sonnenlicht, um so dunkler war der gekräuselte Vollbart. Die klugen, gelben Augen lagen zwischen dicken Wülsten und verschwanden beinahe darin. Er aß gern und gut und hatte eine ganze Menge für hübsche, schlanke Frauen übrig.
Auf Kleidung legte er dagegen keinen besonderen Wert. Wenn man die adeligen Arkoniden zum Vergleich heranzog, die in einem wahren Rausch von Prunksucht durch das Tarkihl stolzierten, wirkte er dagegen sogar ärmlich. Wie gewöhnlich trug er seinen Harnisch, einen verbeulten und blankgewetzten Brustpanzer. Gegen eine Energiewaffe nützte eine solche Blechweste eigentlich nichts – obwohl sie aus Arkonstahl in der Art der Arkon-Ritter, den Dagoristas, gefertigt war. Aber er verzichtete nur selten auf dieses merkwürdige Bekleidungsstück, dem man ansah, dass es schon vor etlichen Jahren geschmiedet worden war. Darauf angesprochen, warum er sich nicht davon trennen wollte, meinte er nur, dass der Harnisch eine Erinnerung an schönere Zeiten sei.
Einzelheiten darüber konnte nicht einmal ich ihm entlocken, wenn wir unter vier Augen waren. Ich hatte es längst aufgegeben, ihn aushorchen zu wollen. Wenn er nicht von selbst sein Geheimnis lüften will, soll er es eben bleiben lassen. Im Tarkihl kursieren die wildesten Gerüchte über ihn, dachte ich. Obwohl manche von ihnen haarsträubender Unsinn waren, besaßen andere bestimmt ein Körnchen Wahrheit. Niemand weiß, was er früher getan hat. Eigentlich weiß niemand auf Gortavor, woher Fartuloon einst gekommen ist. Aber er macht kein Hehl daraus, dass er erfolgreich als Gladiator gekämpft und offenbar sogar bei den KAYMUURTES teilgenommen hat. Aus dieser Zeit hat er mir die unwahrscheinlichsten Geschichten erzählt.
Vermutlich trennte er sich deshalb niemals von seinem Dagorschwert, in dem ich schon seit meiner Kindheit geheimnisvolle Kräfte vermutete. Es war kurz, mit breiter Klinge und einem Knauf, der mich stets ungemein fasziniert hatte. Seine seltsame Figur schien aus Silber gearbeitet zu sein, doch Einzelheiten ließen sich nicht einmal bei genauerer Betrachtung erkennen. Im Gegenteil, je genauer man sie ansah, desto mehr schienen ihre Konturen zu zerfließen. Ich hatte mit dem Skarg, wie Fartuloon das Schwert nannte, schon selbst gefochten, konnte aber daran nichts Außergewöhnliches entdecken – außer dass es sehr gut in der Hand lag. Wäre da nicht die Figur gewesen …
Als Kind war ich davon so verzaubert, dass ich mir geschworen hatte, in Fartuloons Fußstapfen zu treten und seine Heldentaten zu übertreffen. Seltsamerweise nahm er meinen Schwur ernst, den ich im Alter von etwa zehn Jahren ausgesprochen hatte. Ich erinnere mich noch heute eines Ausspruchs, der mich damals nachhaltig beeindruckt hatte.
»Wenn du einmal groß bist, Atlan«, hatte er gesagt, »wirst du mich in allem übertreffen, dessen bin ich sicher. Du wirst mutiger sein und intelligenter, wirst einen stärkeren Willen besitzen und mehr Tatkraft. Und das alles wirst du bitter nötig haben, denn vor dir liegt ein dorniger und gefährlicher Weg. Aber was in meiner Macht liegt, werde ich tun, um dich für deine Aufgabe zu wappnen.«
Bis heute wusste ich nicht, was er mit diesen geheimnisvollen Andeutungen meinte. Aber er hatte sein Versprechen gehalten und war mir ein hervorragender Lehrmeister gewesen. Ich war mir stets sicher, dass es keinen Menschen in der Galaxis gab, der mehr wusste als er. Doch selbst er beherrschte naturgemäß nicht sämtliche Wissensgebiete. Deshalb waren wiederholt Spitzenwissenschaftler meines Volkes in aller Heimlichkeit zu meinen Lehrern geworden, geheimnisvolle Männer, die ins Tarkihl kamen und nach einiger Zeit wieder verschwanden, ohne ihre wahre Identität zu offenbaren. Mein Lebensweg war von Fartuloon bestimmt worden. Er hatte dafür gesorgt, dass ich in den letzten Jahren eine erstklassige Hochschulausbildung erhielt.
Eine offizielle Hochschule, gar eine wie die Galaktonautische Akademie von Iprasa, hatte ich nicht besuchen können, denn die gab es auf Gortavor nicht. Für mich war es jedoch ein glücklicher Umstand, dass ein altes, arkonidisches Gesetz die private Unterrichtung nicht nur gestattete, sondern deren Ergebnis sogar offiziell anerkannte, vorausgesetzt, der Prüfling hielt dem Examen stand. Ich enttäuschte Fartuloon nicht, er und seine Freunde hatte mich stets hervorragend vorbereitet.
Seine medizinischen Kenntnisse waren derart groß und seine Heilerfolge so verblüffend, dass er der Leibarzt und Vertraute des Tato wurde. Er war nicht nur »Bauchaufschneider«, sondern auch ein Wissenschaftler und ein Philosoph, und er unterrichtete schon seit langer Zeit die jungen Adligen. Sein Einfluss auf Gortavor war beachtlich und stand dem des Tato von Gortavor in keiner Weise nach. Er hatte mir seine Kenntnisse vermittelt, so dass ich im Tarkihl als sein Assistent tätig sein konnte, und er hatte mich kämpfen und meinen Verstand zu gebrauchen gelehrt.
Aber wenn es um bestimmte Dinge geht, dann schweigt er sich aus. Ich war ihm zu Dank verpflichtet, dass er mich im Alter von vier Arkonjahren bei sich aufgenommen und großgezogen hatte. Doch ich konnte und wollte nicht recht glauben, dass er über meine Herkunft nichts wusste. Er behauptete, dass ich eine Vollwaise war, als er mich hier auf Gortavor gefunden hatte, und machte dann im nächsten Atemzug geheimnisvolle Andeutungen.
Aber ich bin aus dem Alter heraus, wo ich ihn mit meinen Fragen bedrängte, dachte ich. Nur hin und wieder, wenn sich die Gelegenheit bot, versuchte ich ihn mit List und Tücke zu überrumpeln. Doch selbst wenn er meine Absicht nicht durchschaut, schweigt er wie die Spinnenwüste.
Fartuloon galt als unglaublich reich, mit Beziehungen sogar in die Kreise des Hochadels der fernen Kristallwelt im Herzen des Kugelsternhaufens Thantur-Lok selbst, aber dafür gab es ebensowenig eine Bestätigung wie für die anderen Geschichten, die man sich über ihn erzählte. Viele behaupteten sogar, dass er nicht einmal ein Arkonide sei, was, betrachtete man seine gedrungene Gestalt und seine gelben Augen, nicht einmal so unglaubwürdig klang. Aber darüber lachte Fartuloon nur – und schwieg sich aus. Angeblich war er jetzt 55 arkonidische Jahre alt, der Standardzeitrechnung im Tai Ark’Tussan.
»Es ist heiß«, meldete sich Eiskralle wieder und riss mich aus den Gedanken. Ich regulierte automatisch die Klimaanlage.
Vor uns lag die eintönige Sandlandschaft, über die sich das lockere Netz der silbernen Stränge spannte. Aber das Bild hatte sich inzwischen geändert. Wind war aufgekommen und trieb Fahnen aus Staub und Sandkörnern vor sich her. Die Sicht wurde immer schlechter, Gortavors Stern schimmerte nur noch schwach und rötlich durch die bräunliche Wolke.
»Der Wind wird stärker«, stellte ich beunruhigt fest. »Ich glaube, es dauert nicht mehr lange, bis er zu einem Sandsturm ausartet.«
»Damit dürftest du Recht haben«, stimmte Fartuloon zu. »Wenn du willst, übernehme ich das Steuer.«
Ich nahm sein Angebot dankbar an. Nicht, dass ich mir nicht zugetraut hätte, den Drifter auch durch den Sandsturm zu lenken. Aber meine Konzentrationsfähigkeit hatte durch die lange Fahrt nachgelassen; es würde mir guttun, mich etwas zu entspannen.
Ich hielt den Drifter an, stieg aus und wollte um das Fahrzeug auf die andere Seite gehen. Da gab der Boden unter meinen Füßen nach. Ich versuchte noch, mich an den Raupenketten festzuhalten, aber ich war schon bis zur Gürtellinie versunken. Eiskralles gläsernes Gesicht erschien in der Luke. Er beugte sich weit hinaus und streckte mir seine zu einer Kralle geformte Hand entgegen. Ich dachte an seine Fähigkeit, organische Materie durch seinen Griff zu Eis erstarren zu lassen, und zögerte. Meine Befürchtungen waren natürlich grundlos, denn Eiskralle hatte seine unheimlichen Kräfte in der Gewalt. Doch bis ich mir dessen bewusst war, war ich noch tiefer gesunken und konnte seine Hand nicht mehr erreichen.
Plötzlich erklang von unten ein Knirschen und Dröhnen – und der Drifter senkte sich zur Seite. Der Boden unter mir gab endgültig nach, und ich stürzte inmitten einer Staubwolke in die Tiefe.
Ich prallte auf weichen Sand und konnte meinen Fall mit den Beinen abfangen. Aber von oben fielen weitere Sandmassen herunter. Ich schützte mein Gesicht und atmete in die Armbeuge, während ich durch den Sand in das vor mir liegende Gewölbe stapfte. Über mir war ein knirschendes Geräusch. Als ich aufblickte, sah ich, wie sich der mächtige Schatten des Drifters weiter über die Einsturzstelle schob. Hustend stolperte ich vorwärts, weil damit zu rechnen war, dass durch das Gewicht des Kettenfahrzeugs weitere Teile des Gewölbes zum Einsturz gebracht wurden.
Der unmittelbaren Gefahr konnte ich zwar entrinnen, lief aber, da ich nichts sehen konnte, gegen ein Hindernis. Es war eine glasharte Wand mit unzähligen scharfen Graten, an denen ich mir die Hand aufritzte. Wieder gab es einen knirschenden Laut – und dann rutschte der Drifter halb in die Bodenöffnung, prallte gegen die Wand und verkeilte sich.
Als Ruhe eingetreten und nur noch das Heulen des Sturmes zu hören war, hörte ich Fartuloons Ruf: »Atlan!«
»Ich bin hier unten. Bei mir ist alles in Ordnung, ich bin unverletzt.«
»Das beruhigt mich.«
Gleich darauf glitt durch einen schwach erhellten Spalt sein mächtiger Körper. Für einen Moment zappelten die kurzen, muskulösen Beine in der Luft, dann plumpste der Schatten in die Tiefe. Hinter ihm folgte eine schlanke, durchscheinende Gestalt: Eiskralle.
»Wo sind wir hier?«, fragte der Chretkor und hustete.
»Ich vermute, dass dieser Unterschlupf von Schatzsuchern geschaffen wurde«, sagte ich und ließ meine Hände vorsichtig über die glasierte Sandwand gleiten. »Es sieht ganz so aus, als hätten sie diese Höhle mit ihren Luccot-Strahlern aus dem Sand geschmolzen.«
»Kein Wunder, dass die Decke das Gewicht des Drifters nicht tragen konnte«, meinte Fartuloon knurrend. In seiner Hand blitzte ein Handscheinwerfer auf, dessen heller Kegel durch den aufgewirbelten Dunst stach und das Gewölbe durchdrang. »Jetzt haben wir die Bescherung. Aus eigener Kraft bekommen wir den Drifter wohl nicht wieder flott.«
Ich sah mich in dem Gewölbe aus glasiertem Sand um. Es war ziemlich breit und langgestreckt. Den verschütteten Teil nicht mitgerechnet, war es groß genug, um mehr als zwanzig Männern Platz zu bieten. Am anderen Ende bog ein Gang nach links ab.
»Wenigstens können wir hier unten das Ende des Sandsturms abwarten.« Nach einer Pause fügte Eiskralle zufrieden hinzu: »Hier unten ist es zumindest angenehm kühl.«
»Der Sandsturm kann den ganzen Tag andauern«, sagte Fartuloon ärgerlich. »Solange können wir nicht warten. Schließlich machen wir keine Spazierfahrt, sondern wollen in Not geratenen Schatzsuchern helfen.«
»Ein toter Bauchaufschneider nützt ihnen auch nichts«, entgegnete ich rau. »Meinst du nicht, dass es besser wäre, erst einmal eine Rast einzulegen? Der Sandsturm scheint seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Es wäre Selbstmord, unter diesen Bedingungen den Weg durch die Spinnenwüste fortzusetzen. Du selbst hast mir erklärt, dass sich der Wüstensand durch Reibung statisch auflädt und dann einen guten Leiter für die Kräfte der Silberstränge abgibt.«
»Du hast natürlich Recht, Atlan. Wir müssen zumindest warten, bis der Sturm abklingt. Erst dann können wir den Weg zu Fuß fortsetzen.«
»Dann sehen wir uns hier einmal um«, schlug ich vor, nahm mir Fartuloons Scheinwerfer und ging zum Ende des Gewölbes.
Als ich in den schmalen Seitengang leuchtete, stellte ich enttäuscht fest, dass er nur zehn Schritte lang war und dann an einer Wand aus geschmolzenem und wieder erstarrtem Sand endete. Fartuloon kam hinzu, schob mich beiseite und betrat den kurzen Gang, der so schmal war, dass er die Wände fast mit den Schultern streifte. Am Ende angekommen, zog er sein Schwert und schlug damit einige Male auf die Glasur ein. Einige faustgroße Brocken splitterten ab. Fartuloon sprang behände zurück, schob das Skarg in die Scheide und zog seinen Hochenergie-Luccot. Im ersten Moment war mir seine Handlung rätselhaft, weil mir sein breiter Körper den Blick versperrte. Aber dann sah ich, wie die Wand Sprünge bekam und einstürzte. Massen losen Sandes ergossen sich in den Gang.
Fartuloon schoss einen breitgefächerten Energiestrahl ab. Ich dachte, dass er den Sand schmelzen wollte, um so eine Barriere zu errichten und zu verhindern, dass weitere Massen in den Gang strömten. Doch damit begnügte er sich nicht. Er schmolz eine Öffnung in die Wand. Die Hitze ließ uns zurückweichen, aber als er den Impulsstrahler schließlich absetzte, sah ich, dass er einen Durchlass geschaffen hatte, der in ein Gewölbe mündete. Ich richtete den Strahl der Stablampe durch die Öffnung und erblickte eine Höhle mit ebenem Boden und Wänden aus einem matten, unbekannten Material.
»Zagooth, das vergessene Labyrinth«, murmelte Fartuloon. Ich sah ihn fragend an, aber er gab mir keine Erklärung. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stieg er durch die Öffnung und rutschte über eine Sandhalde in die Kaverne hinab.
Die Höhle war größer und lag deutlich tiefer unter der Oberfläche als der in den Sand geschmolzene Unterschlupf, durch den wir eingedrungen waren. Zwei Gänge, doppelt mannshoch und ebenso breit, führten nach links und rechts. »Was bedeutet Zagooth?«, erkundigte ich mich bei Fartuloon. »Ich habe den Namen noch nie gehört.«
»Ich erfuhr ihn selbst erst vor einigen Jahren von einem Schatzsucher. Die Spinnenwüste ist von einem subplanetaren Labyrinth durchzogen. Bisher stieß man aber nur auf verschüttete Abschnitte. Der sterbende Schatzsucher behauptete, den Silbersträngen des tödlichen Netzes nachgegangen zu sein und durch Berechnungen, die angeblich auf Plänen der Ureinwohner beruhten, den Verlauf des Ganggewirrs zumindest teilweise rekonstruiert zu haben. Er konnte es jedoch nicht mehr erforschen, weil er den Zagoren in die Hände fiel und sich nur noch sterbend ins Tarkihl rettete.«
»Darüber hast du mir nie etwas erzählt«, sagte ich mit leisem Vorwurf.
Er rang sich nur ein mildes Lächeln ab. Mir schien, als wolle er mir damit sagen, dass es noch viel mehr und Wichtigeres gäbe, das er mir verschwieg. Das wollte ich sogar akzeptieren, nur ärgerte es mich, dass er mich als seinen Vertrauten nicht einmal in so belanglose Dinge wie den Zwischenfall mit dem sterbenden Schatzsucher einweihte. Es konnte aber natürlich auch sein, dass er nur darüber schwieg, weil er es nicht erwähnenswert fand, wenn ein Abenteurer in der Spinnenwüste von den Zagoren oder den Oothern überfallen wurde.
»Ich hab’s!«, rief ich plötzlich. »Der Begriff Zagooth setzt sich aus den beiden Namen der Wüstenbewohner zusammen. Aber wieso wurde das Labyrinth nach ihnen benannt? Es wurde doch von den Ureinwohnern erbaut, oder?«
»Die Zagoren und Oother hausen hier.« Fartuloon deutete auf den nach rechts abzweigenden Stollen. »Wenn wir Glück haben, ist das Labyrinth auf eine längere Strecke nicht verschüttet, und wir können uns darin ein gutes Stück Marauthans Ruinen nähern. Wir orientieren uns per Satelliten-Navigation und brauchen nicht zu befürchten, dass wir uns verirren. Gehst du zum Drifter zurück und holst die Ausrüstung, Atlan? Wir benötigen nur das Nötigste: Wasser, Lebensmittel und meinen Erste-Hilfe-Koffer.«
Ich kletterte den Sandhang hinauf und eilte durch das Gewölbe zur Einsturzstelle. Der Sturm hatte weitere Sandmassen hereingeweht, aber der Drifter sich nicht mehr weiter gesenkt. Ich zog mich an den Raupenketten hinauf, vom Sturm umfaucht, und kletterte in die Kanzel. Um die Ausrüstung zusammenzustellen, benötigte ich nur wenige Augenblicke; ebenso schnell hatte ich sie in einem Tornister verpackt, den ich mir auf den Rücken schnallte. Mein Blick fiel auf einen Handscheinwerfer. Ich nahm ihn ebenso an mich wie den zweiten Luccot-Impulsstrahler.
Als ich aus der Kanzel kletterte, schien es mir, dass der Sturm noch heftiger geworden war. Der Sand peitschte mir mit elementarer Kraft gegen das Gesicht, und ich musste die Augen schließen und den Atem anhalten. Dennoch verriegelte ich den Drifter sorgfältig. Erst als ich wieder in der Höhle war, wagte ich Luft zu holen. Aber als ich einige Schritte in dem schmalen Seitengang zurückgelegt hatte, hielt ich an. Vor mir lag alles im Dunkeln. Warum hat Fartuloon die Lampe ausgeschaltet?
Vorsichtig tastete ich mich das letzte Stück bis zum Durchlass weiter. Dann lauschte ich. Mir war, als vernehme ich ein verhaltenes Scharren. Irgendetwas oder jemand näherte sich mir. Ich ließ den Handscheinwerfer aufblitzen. Im Licht sah ich zwei Oother, die sich anschlichen und den Sandhang vor mir erreichten. Als der helle Kegel sie traf, zuckten sie zurück und hoben ihre knochigen Hände schützend vor die Gesichter.
Es hieß, dass die Oother Nachkommen von Schatzsuchern waren, deren Organismus durch die Spinnenwüste verändert worden war, angeblich mutierte Arkoniden. Sie sahen aus wie jene erbleichten und mumifizierten Toten, die mit den Silbersträngen in Berührung gekommen waren. Ihre Gesichter waren entstellte Fratzen ohne Augen, Nase und Ohren. Die Zähne ihrer breiten, lippenlosen Münder waren kräftig genug, um einem Mann mit einem Biss den Arm vom Rumpf zu trennen. Sie kamen nur in der Nacht auf die Oberfläche, weil Licht sie blendete und ihre Körpersubstanz zersetzte. Die Finsternis war ihr Element, sie waren Nachtgeschöpfe, die sich angeblich mittels Ultraschall orientierten.
Als ich erkannte, mit welchen Gegnern ich es zu tun hatte, brauchte ich nur den Strahl des Scheinwerfers auf sie zu richten, um sie in die Flucht zu schlagen. Sie schrien auf, als sie voll getroffen wurden und zogen sich in panischem Entsetzen in den linken Seitenstollen zurück. Ich wartete, bis das Geräusch ihrer Schritte verklungen war, dann rutschte ich über die Sandhalde in das Gewölbe hinunter. Von Fartuloon und Eiskralle fehlte jede Spur.
Ich ging zu dem Stollen, der in die Richtung führte, in der auch Marauthans Ruinen lagen.
»Fartuloon!«, rief ich, erhielt aber keine Antwort. Als ich den Lichtkegel der Stablampe hineinschwenkte, sah ich einen Schemen in einen Seitengang flüchten. Ein Oother … Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Fartuloon sich von den Mutanten hatte überwältigen lassen, die nichts so sehr fürchteten wie das Licht. Was ist hier während meiner Abwesenheit vorgefallen?
Weil ich keine Anzeichen dafür finden konnte, dass ein Kampf stattgefunden hatte, wandte ich mich endgültig dem rechts von mir liegenden Stollen zu. Wenn Fartuloon es aus irgendeinem Grund für ratsam gehalten hatte, dieses Gewölbe zu verlassen, dann musste er den Gang benutzt haben, der in die Richtung von Marauthans Ruinen führte. Der Stollen verlief schnurgerade. Aber schon bald stieß ich auf einen Seitengang, der den Stollen kreuzte. Ich richtete den Scheinwerfer in schneller Folge in beide Richtungen und sah, wie sich Oother fluchtartig vor dem Licht in Sicherheit brachten.
Von Fartuloon und Eiskralle war nichts zu sehen. Also blieb ich im Hauptstollen. Auch im nächsten Quergang bot sich mir das gleiche Bild. Drei Oother hatten hier gelauert. Als ich jedoch den Strahl des Scheinwerfers auf sie richtete, flüchteten sie schreiend.
»Fartuloon!« Keine Antwort. Mir wurde unheimlich. Es war mir unerklärlich, wie der Bauchaufschneider und der Chretkor einfach verschwinden konnten. Ich war nicht so lange fortgewesen, als dass sie eine große Strecke hätten zurücklegen können. Sie müssen meine Rufe einfach hören! In meiner Ratlosigkeit wich ich in einen Seitengang aus. Er verlief nicht gerade, sondern wand sich in engen Biegungen dahin, so dass ich immer nur einige Schritte weit sehen konnte. Mir war, als hörte ich Geräusche, die sich entfernten. Deshalb begann ich, schneller zu laufen. Es war mir in diesem Augenblick gleichgültig, wen ich da vor mir hatte; egal, ob es sich um einen Oother oder Zagoren handelte. Ich werde ihn stellen und aus ihm herauszubekommen versuchen, ob er etwas über Fartuloon und Eiskralle weiß.
Als ich um die nächste Biegung kam, war der gewundene Gang zu Ende. Knapp vor mir sah ich einen Oother, der sich verzweifelt mit Armen und Beinen gegen die Wände stemmte, auch ein Stück in die Höhe gelangte, dann aber wieder abrutschte. Er erkannte, dass er in die Enge getrieben war und stellte sich zum Kampf: Die Hände schützend vor das lichtempfindliche Gesicht haltend, wandte er sich in meine Richtung und duckte sich zum Sprung.
Ich reckte die Handlampe vor und drückte mich gegen die fugenlose Wand. Da ihn das Licht blendete und er mich nicht sehen konnte, musste er sich an der Lichtquelle orientieren und mich in der Mitte des Ganges vermuten. In dem Moment, als er zum Sprung ansetzte, griff plötzlich eine Hand aus der Wand und zog mich hindurch. Eine Krallenhand legte sich auf meinen Mund.
Der Bauchaufschneider Fartuloon:
Er gefiel sich in der Rolle des geheimnisumwitterten Mannes. Er spielte den Lebemann, der an keiner schönen Frau achtlos vorbeigehen konnte, und den Gourmet, für den Speise und Trank ein Teil seines Lebensinhaltes waren. Er spielte diese Rollen gut, weil sie irgendwie seinem Charakter entsprachen. Und doch war die Persönlichkeit, die er den Adeligen im Tarkihl zeigte, nur eine Maske.
Den wirklichen Fartuloon hatte auf Gortavor noch niemand kennengelernt, nicht einmal Atlan, wenngleich diesem gegenüber Fartuloon seine Maske manchmal lüftete. Doch auch das nur so weit, dass Atlan ihn nicht völlig durchschauen konnte. Denn wer er war und welches Ziel er sichgesetzt hatte, durfte Atlan erst erfahren, wenn dieser seine letzte Prüfung bestanden hatte – und selbst dann würde es Dinge geben, die Fartuloon für sich behalten musste.
Obwohl er nun schon seit nahezu dreizehn Arkonjahren in Sicherheit lebte, hatte seine Wachsamkeit nicht nachgelassen. Auf seinem Leben lasteten noch die Schatten der Vergangenheit, und die Erinnerung tickte in ihm wie eine Zeitbombe. Eines Tages würde er diese Zeitbombe zünden. Aber noch war der Zeitpunkt, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen, nicht gekommen. Noch musste er schweigen, noch musste er das Geheimnis für sich behalten. Wie lange – Pragos, Perioden, Jahre? Nein, dessen war er sicher, er würde noch vor Ablauf des nächsten Jahres, dem 10.497. in der arkonidischen Zeitrechnung, Atlan gegenüber Rechenschaft ablegen. Denn die Zeit war reif; die ersten Maßnahmen waren bereits eingeleitet, bald würden sie Gortavor für immer verlassen.
»Still! Zagoren!«, raunte mir jemand zu. Fartuloons Stimme! Ich empfand große Erleichterung darüber, den Bauchaufschneider zu hören. Eiskralle nahm die kalte Hand von meinem Mund und schaltete meine Handlampe aus, die ich fest umklammert hielt. Ich war vor Überraschung zu keiner Bewegung fähig.
»Wo …«, begann ich, aber Fartuloon brachte mich durch einen zischenden Laut zum Schweigen. Jetzt erst hatte ich Gelegenheit, mich umzusehen.
Ich befand mich in einem riesigen Gewölbe. Hinter mir war eine Wand, die alles Licht zu schlucken schien. Knapp über meinem Kopf schwang sich die Decke in weitem Bogen nach oben, die ich jedoch mehr erahnte als sehen konnte, denn auch sie schien aus vollkommener Schwärze zu bestehen. In Inneren der Höhle selbst herrschte dagegen ein angenehmes, schattenloses Licht, das aus keiner bestimmten Quelle kam, sondern von nirgendwo und doch gleichzeitig von überall kam.
Der Saal glich einem Auditorium oder einer Arena und verjüngte sich trichterförmig zur Mitte hin. Nur gab es in dem weiten Rund keine Sitzreihen, sondern bis zu mannshohe buckelige Erhebungen mit warzenartigen Auswüchsen. Darauf hockten große und schlanke Echsenwesen, die in weite Gewänder gehüllt waren: Zagoren!
Es mochten etwa zwanzig sein, die sich über die Buckel verteilt hatten. Sie gaben unartikulierte Laute von sich und schlugen mit ihren Wurf- und Stichwaffen im Takt dazu auf den Boden. Ihre großen, starren Augen glühten in einem gespenstischen Grün und waren auf die junge Frau gerichtet, die in der Mitte des kegelförmigen Runds lag. Von ihr muss der Schrei gekommen sein.
Sie lag auf dem Boden und atmete schwer. Ihre Kleidung hing in Fetzen von ihrem Körper. Dicht neben ihrem Kopf steckte ein Speer im Boden. Jetzt klammerte sie sich mit einer Hand daran fest, stützte sich mit der anderen auf und zog sich langsam hoch. Dabei glitten ihre Augen ängstlich über die lauernden Reihen der Echsenwesen. Plötzlich versuchte sie, aus der Arena zu flüchten: Blitzschnell erkletterte sie eine der Aufbauten, wich einem Zagoren aus, der ihr in den Weg sprang, zwängte sich durch eine Lücke und erklomm den nächsten Buckel.
Einer der Zagoren folgte und stieß mit einem widerhakenbewehrten Speer nach ihr. Der Widerhaken verfing sich in ihrem zerschlissenen Umhang, so dass sie nach hinten gerissen wurde. Der Stoff riss, und die Frau rutschte rücklings über die Bodenerhebung in die Arenamitte hinunter, schrie in Todesangst. Links und rechts tauchten Zagoren auf, die mit Dolchen, Schwertern und Lanzen um sich schlugen. Sie ritzten dabei nicht einmal die Haut der Frau. Erst als sie still lag, ließen die Zagoren von ihr ab.
»Wir können nicht tatenlos zusehen, wie diese Bestien sie quälen!« Ich machte eine entschlossene Bewegung.
Eiskralle hielt mich am Arm zurück. »Fartuloon behauptet immer, dass du in jeder Situation ruhig und besonnen seist«, raunte der Chretkor. »Aber mir scheint, dass das nur dann zutrifft, wenn keine Frau im Spiel ist.«
Ich schüttelte ihn unwillig ab, weil mir seine Andeutung missfiel und sich Farnathias Bild in meine Gedanken schob. »Ich würde jedem in dieser Lage helfen.«
»Zweifellos«, bestätigte Fartuloon. »Aber meinst du nicht, dass wir einen günstigeren Augenblick abwarten sollten?«
Ich beruhigte mich wieder. Die beiden hatten natürlich Recht. Es half der jungen Frau nicht, wenn wir blindlings auf die Zagoren losstürmten; wir mussten taktisch klug vorgehen. Zagoren lassen sich nicht so leicht wie Oother einschüchtern, durchfuhr es mich. Sie scheuen weder vor Licht zurück noch fürchten sie Strahlwaffen.
»Was schlägst du vor, Fartuloon?«, brummte ich.
Er blickte mich erstaunt an. »Was schlägst du vor.«
Im ersten Moment war ich überrascht, dass er mir die Entscheidung überließ. Aber ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber, sondern überlegte mir, wie wir der Frau helfen konnten. Sie war eine Arkonidin, das konnte ich unschwer erkennen – eine schöne überdies, nun allerdings von den Zagoren ziemlich zugerichtet, an Armen und Beinen und im Gesicht zerschunden.
Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über die Zagoren wusste. Sie waren ziemlich primitiv und besaßen nur einfache Waffen wie Schwerter und Speere. Ursprünglich lebten sie in den südlich der Spinnenwüste gelegenen Dschungelgebieten Taigors, aber mit den Schatzsuchern waren auch sie hierher vorgedrungen. Sie lebten ausschließlich von dem, was sie auf ihren Raubzügen und bei Plünderungen erbeuteten. Vor ihnen war keine Handelskarawane der diversen Schmugglergruppen zwischen den weit verstreuten Siedlungen rings der Spinnenwüste, keine Expedition sicher. Wenn sie Gefangene machten, dann nur, um sie ihrem Gott, den sie in den Silbersträngen des Spinnennetzes vermuteten, zu opfern. Ihr Ritual war so einfach wie grausam: Zuerst jagten sie ihre Opfer, bis der Widerstand gebrochen war, dann setzten sie sie der tödlichen Kraft der Silberstränge aus.
Mich schauderte bei dem Gedanken, dass wir diesem Schicksal nur knapp entgangen waren. Denn niemand anderes als die Zagoren waren es ja gewesen, die versucht hatten, mit den in den Sanddünen verborgenen Hindernissen unseren Drifter fahruntauglich zu machen. Wenn es ihnen gelungen wäre, uns zu stoppen, wären wir jetzt vermutlich bleiche Mumien. Und dieses Schicksal droht auch der Frau, wenn es uns nicht gelingt, sie zu befreien.
»Wie lange wird es noch dauern, bis die Zagoren die Frau opfern werden?«, erkundigte ich mich.
»Sie ist am Ende ihrer Kräfte.« Fartuloon machte eine vage Handbewegung. »Unter anderen Umständen hätten sie sie wahrscheinlich schon längst zur Oberfläche gebracht. Vermutlich wollen sie das Ende des Sandsturmes abwarten.«
Ich nickte. Dasselbe hatte ich mir überlegt. »Dann haben wir noch etwas Zeit und können meinen Plan vielleicht verwirklichen.«
»Was hast du vor?«
Ich gab Fartuloon keine Antwort. Es machte mir Spaß, einmal den Spieß umzudrehen und ihn über meine Absichten im Unklaren zu lassen. »Funktioniert die Geheimtür, durch die ihr mich geholt habt, auch in die andere Richtung? Kann Eiskralle in den Gang zurückkehren, durch den ich gekommen bin?«
»Warum nicht, er hat ja hinausgegriffen, als er dich zu uns zog«, antwortete Fartuloon stirnrunzelnd. »Aber es handelt sich nicht um eine Geheimtür, sondern eher um eine Materieprojektion, die wie ein Vorhang Licht und Schall abhält; scheinbar fest, aber doch zu durchschreiten und …«
»Das genügt mir«, unterbrach ich ihn und wandte mich an den Chretkor. »Ich möchte, dass du in das Labyrinth zurückkehrst und so viele Oother wie nur möglich hierher treibst. Alles weitere wird sich finden. Nimm beide Scheinwerfer mit, damit du die Oother wie eine Herde in die gewünschte Richtung dirigieren kannst! Traust du dir das zu?«
»In Zagooth herrscht ein angenehmes Klima, hier fühle ich mich richtig wohl«, behauptete Eiskralle und verschwand durch die nur scheinbar undurchdringliche Wand.
Die Zagoren trommelten mit ihren Waffen einen wilden Rhythmus; offensichtlich wollten sie ihr Opfer aufscheuchen. Aber die Arkonidin lag schwer atmend auf dem Boden und rührte sich nicht. Als sie einmal den Kopf hob, schrien die Echsenwesen triumphierend. Doch gleich darauf ließen sie ein enttäuschtes Murren hören, weil die Frau anscheinend nicht mehr die Kraft hatte, sich zu aufzurichten.
»Weißt du, wie viele Ausgänge es gibt, Fartuloon?«
Er zuckte mit den Achseln. »Zwei habe ich entdeckt, sie befinden sich auf der gegenüberliegenden Seite zwischen den Buckeln. Dort haben die Zagoren Posten aufgestellt. Aber wahrscheinlich gibt es weitere.«
Ich winkte ab und schlich los. »Das ist für meinen Plan nicht so wichtig. Hauptsache wir wissen, wohin wir uns wenden müssen, nachdem wir das Mädchen befreit haben. Wir müssen auf jeden Fall auf die andere Seite. Wie seid ihr überhaupt hierher gekommen?«
»Als du zum Drifter zurückgingst, tauchten die Zagoren auf. Wir wollten uns nicht auf einen Kampf einlassen, deshalb zogen wir uns in den Stollen zurück, um uns zu verstecken. Aber dann sahen wir aus unserem Unterschlupf, dass die Zagoren eine Gefangene hatten. Deshalb folgten wir ihnen. Und dann gab es plötzlich kein Zurück mehr, denn hinter uns kam eine zweite Abteilung Zagoren nach. Wir standen plötzlich am Ende des gewundenen Ganges. Aber da sich die Zagoren vor uns nicht in Luft aufgelöst haben konnten, suchte ich, bis ich diesen Durchgang fand.«
Wir hatten im Schutz der buckelförmigen Bodenerhebungen die gegenüberliegende Seite schon fast erreicht, als die junge Frau wieder einen Schrei ausstieß. Ich blickte in die Arena hinunter; ein Zagore sprang vor, breitete seinen Umhang aus und hob das Schwert zum Stoß. Mir war klar, dass er die Arkonidin nicht töten wollte, sondern nur beabsichtigte, ihr Schmerz zuzufügen, um sie aufzustacheln. Dennoch wollte ich das nicht zulassen. Noch ehe es Fartuloon verhindern konnte, hatte ich meinen Strahler gezogen, justierte ihn und drückte ab.
Ein feiner Energiestrahl blitzte für den Bruchteil eines Wimpernschlages auf und traf den Echsenschädel. Der Zagore fiel wie vom Blitz gefällt. Die anderen schwiegen verblüfft, dann erhob sich lautes Geschrei. Sie hoben ihre Waffen, als wollten sie sich gegen einen unsichtbaren Feind verteidigen, andere untersuchten verängstigt ihren toten Artgenossen.
»Das war leichtfertig«, rügte Fartuloon und kratzte sich den Bart.
»Keineswegs«, entgegnete ich. »Schließlich hast du mir den Trick beigebracht, wie man einen Schuss abfeuert, ohne dass jemand etwas merkt – außer dem Getroffenen.«
Fartuloon hatte noch einen Einwand auf der Zunge, aber er sprach ihn nicht aus, weil wir die andere Höhlenseite erreichten. Die Zagoren hatten sich wieder beruhigt. Aber sie kamen der jungen Frau nicht mehr zu nahe. Ich sah ihrem entsetzten Gesicht an, dass sie am liebsten davongelaufen wäre. Aber sie war zu sehr geschwächt.
»Hoffentlich verirrt sich Eiskralle nicht«, murmelte ich.
Fartuloon schüttelte nur den Kopf. Die Zagoren begannen wieder, mit ihren Waffen auf den Boden zu trommeln. Die Frau barg ihren Kopf in den Händen und hielt sich die Ohren zu, woraufhin die Echsenwesen nur noch kräftiger trommelten. Ihre unartikulierten Schreie wurde immer lauter und wilder. Zwei von ihnen sprangen von ihren Plätzen in die Arena. Als die Frau die blitzenden Waffen sah, raffte sie sich auf und versuchte zu flüchten – und genau das hatten die Zagoren bezweckt.
Ich ballte die Hände, weil ich befürchtete, das sich das grausame Spiel wiederholen würde. Aber soweit kam es diesmal nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite, genau an jener Stelle, wo Eiskralle durch die Materieprojektion verschwunden war, bemerkte ich eine Bewegung. Eine Gestalt tauchte auf, dann eine zweite und eine dritte – und es wurden immer mehr. Bald drängten sich zwischen den Buckelaufbauten an die zehn Oother. Weil sie plötzlich von dem schattenlosen Licht umgeben waren, wollten sie zurückweichen. Aber ihre nachfolgenden Artgenossen versperrten ihnen den Weg und drängten sie nach vorne. Und dann tauchte Eiskralle mit den beiden Scheinwerfern auf und versperrte ihnen endgültig den Rückweg. Den Oothern blieb keine andere Wahl, als zwischen den Aufbauten nach unten zu klettern und nach einem anderen Ausgang zu suchen.
»Gleich ist es soweit. Bereit, Fartuloon?«
»Ja.«
Unterdessen entdeckten auch die Zagoren die Mutanten. Sie ließen von der Frau ab und stürzten sich den vermeintlichen Angreifern entgegen. Die Oother stellten sich jedoch nicht, sondern versuchten ihr Heil in der Flucht. Das Licht schwächte ihre Sinne und fügte ihnen Schmerzen zu. Sie wollten nur der Helligkeit entrinnen und sich in die Dunkelheit retten. Immer wieder rannten sie gegen die schwarzen Wände an, die alles Licht absorbierten, ohne jedoch einen Durchgang zu finden.
»Jetzt!« Ich sprang aus der Deckung auf einen der Aufbauten, setzte von dem Buckel auf den nächsten über und erreichte mit weiteren Sprüngen die Arena, wo sich die Frau halb aufgerichtet hatte und dem seltsamen Kampf zwischen Zagoren und Oothern verständnislos zusah.
»Hab’ keine Angst!«, rief ich. »Wir bringen dich in Sicherheit.«
Sie wirbelte zu mir herum und schrie gellend. Ich wunderte mich über ihre Reaktion, verstand nicht, warum sie sich vor mir fürchtete. Doch dann bemerkte ich, dass sie an mir vorbeiblickte. Ich fuhr herum und sah den Zagoren, der mit seinem Schwert ausholte. Als die Klinge den höchsten Punkt erreichte, taumelte er und sank in sich zusammen: Fartuloon hatte ihn erschossen.
»Gib mir weiterhin Rückendeckung«, rief ich, kümmerte mich wieder um die Frau und half ihr auf die Beine. »Kannst du gehen?«
Sie machte einen Schritt und fiel mir in die Arme. Ich hob sie hoch und legte sie mir über die Schulter. Fartuloon kam an meine Seite, seine Augen funkelten. Er hatte den Strahler weggesteckt und hielt das Skarg in der Hand, mit dem er den Angriff zweier Zagoren abwehrte. Den einen fällte er mit einem seitlich geführten Hieb, während er den anderen mit einem kräftigen Ruck über seine Schulter schleuderte.
»Rückzug, Eiskralle!«, rief ich aus voller Kehle. Ich hatte den Chretkor seit seinem Auftauchen nicht zu Gesicht bekommen, hoffte jedoch, dass er sich aus eigener Kraft bis zu uns durchschlagen konnte.
Fartuloon erreichte eine mannsgroße Öffnung zwischen zwei Aufbauten. Der Posten, der hier aufgestellt war, lief ihm geradewegs in das Schwert. Der Bauchaufschneider winkte mir und verschwand dann durch die Öffnung. Ich hatte den Ausgang ebenfalls erreicht, als hinter mir ein tierischer Schrei erklang und mich plötzlich etwas am Bein packte. Ich verlor das Gleichgewicht und drehte mich im Fallen noch um meine eigene Achse, während die junge Frau zu Boden prallte. Der Zagore, der mit einer Hand mein Bein umklammert hielt, zielte mit einer Lanze auf mich. Er kam nicht mehr dazu, den tödlichen Stoß auszuführen. Ein kleiner, schlanker Körper landete auf ihm, zwei kristalline Arme griffen nach seinem Hals und umschlossen ihn. Den Zagoren durchlief ein Zittern, dann blieb er reglos liegen.
»Danke, Eiskralle«, sagte ich. Der Chretkor hatte den Zagoren durch bloße Berührung getötet.
Ich stand auf, hob die Frau, die das Bewusstsein verloren hatte, wieder auf meine Schulter und eilte durch den Ausgang. Eiskralle blieb hinter mir, um mir Rückendeckung zu geben. Aber die Zagoren verfolgten uns nicht. Wahrscheinlich waren sie zu sehr mit den Oothern beschäftigt. Vor uns lag eine langgestreckte Halle, erleuchtet von dem verwirrenden schattenlosen Licht. Der Boden war wellenförmig und wies viele größere und kleinere Buckel auf, die sich auch über die Wände und die Decke erstreckten. Dazwischen gab es in unregelmäßigen Abständen Öffnungen von unterschiedlicher Form. Fast wurde mir bei dem Anblick dieses wie organisch gewachsenen Raumes schwindlig. Plötzlich wusste ich nicht mehr, wo oben und unten war. Die Erhebungen und Vertiefungen des Bodens und der Wände, das seltsame Licht – all diese Eindrücke täuschten meine Sinne in einem Maße, dass ich das Gleichgewicht und die Orientierung verlor.