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Zur fernen Mächtigkeitsballung Estartu bestehen einige Verbindungen: Millionen von Menschen und anderen Milchstraßenbewohnern sind nach Estartu gereist – an Bord der Virenraumschiffe wollen die Vironauten die Wunder der zwölf Galaxien erleben. Längst haben sie gemerkt, dass hinter diesen oft Angst und Schrecken lauern. Perry Rhodans Sohn Roi Danton und Ronald Tekener wollen nun endlich die Wahrheit über die Superintelligenz ESTARTU herausfinden. Währenddessen schaukeln sich die Konflikte in der Galaxis Fornax hoch: Dort streiten sich die Galaktiker mit den Kartanin um einen geheimnisvollen Stoff, den alle nur als Paratau bezeichnen. In den Streit mischt sich Stalker ein, der Gesandte aus Estartu – zu seinem Gegenspieler wird ein Vario-Roboter, der sich als Stalker ausgibt …
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Seitenzahl: 522
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Nr. 157
Stalker gegen Stalker
Cover
Klappentext
1. Marnas Experiment
2. Der Narr
3. Sotho Tal Ker
4. Der Weise
5. Antworten?
6. Zweikampf
7. Die Star Warriors
8. Talosh
9. Dai und Jadj
10. Charlashad
11. Dashid
12. Gom
13. Ruhe vor dem Sturm?
14. Geheimstützpunkt
15. Ein gewaltiges Projekt
16. Auf der Flucht
17. Srimavo
18. Reginald Bull
19. Srimavo
20. Reginald Bull
21. Srimavo
22. Kriegstreiber
23. Warten auf Ijarkor
24. Zwei Veteranen
25. Riskantes Spiel
26. Desothos Geschenk
Nachwort
Zeittafel
Impressum
Zur fernen Mächtigkeitsballung Estartu bestehen einige Verbindungen: Millionen von Menschen und anderen Milchstraßenbewohnern sind nach Estartu gereist – an Bord der Virenraumschiffe wollen die Vironauten die Wunder der zwölf Galaxien erleben.
Längst haben sie gemerkt, dass hinter diesen oft Angst und Schrecken lauern. Perry Rhodans Sohn Roi Danton und Ronald Tekener wollen nun endlich die Wahrheit über die Superintelligenz ESTARTU herausfinden.
Eine innere Unruhe ließ Marna Updike wach liegen. Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, warum das so war. Sie atmete kräftiger und regelmäßiger und versuchte, alle lästigen Überlegungen zu ignorieren. Es gelang ihr einigermaßen, dennoch wälzte sie sich weiterhin unruhig im Bett. Sie schwitzte, und schließlich erhob sie sich, ging hinüber in die Nasszelle und duschte. Als dann ein warmer Luftstrom ihren Körper trocknete, war die Erschöpfung des letzten langen Tages wieder da. Sie wankte zurück zum Bett und ließ sich hineinfallen, als habe sie Blei in den Gliedern. Endlich schlafen, das war ihr einziger Wunsch.
Zehn Minuten später wälzte sie sich immer noch von einer Seite auf die andere, von wirren Gedanken geplagt. Marna warf einen Blick auf die Zeitanzeige. Die Ziffern bewegten sich schleppend, jede Minute kroch träge dahin. Ihre Muskeln verkrampften sich. Sie war mittlerweile überzeugt, dass es ihre überreizten Nerven waren, die sie marterten. Weil sie sich zu viel zumutete.
Zwei Stunden vor der programmierten Weckzeit schlief Marna Updike endlich ein, doch ihre Unruhe wollte nicht weichen. Sie träumte. Von dicken Tropfen, die aus dem Himmel fielen und durch die Zimmerdecke diffundierten. Wie an unsichtbaren Fäden sanken sie abwärts, bis sie den Fußboden erreichten und dort in bunten Lichtkaskaden zerplatzten.
Der Traum wiederholte sich, er wurde eindringlicher, geradezu bedrohlich.
Endlich schrillte das Signal der Weckautomatik.
Marna saß übergangslos senkrecht im Bett, das melodische Klingeln war für sie ein schmerzendes Inferno. Sie stieß einen hastigen Ruf aus, und die Automatik verstummte.
Marna sank aufs Kissen zurück. Sie rang nach Luft. Ihr Blick huschte durch den Raum und blieb an der Kleiderstange hängen, die langsam näher schwebte und neben dem Bett verharrte.
»Die Kombination des Tages!«, verkündete die Robotstimme. »Willst du sie anziehen, oder hast du es dir anders überlegt?«
»Keine Änderung.« Marna seufzte.
Erneut stemmte sie sich in die Höhe, rutschte mit den Beinen über die Bettkante und stand schwankend auf. Sie fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und stellte fest, dass sie schon wieder schwitzte. Oder immer noch?
Wieder suchte sie die Nasszelle auf und ließ einen mittleren Regenschauer herabprasseln. Sie fühlte sich wie gerädert, und daran konnte auch die prickelnd kühle Nässe nichts ändern. Marna verwickelte die Automatik in ein Zwiegespräch, das jedoch schnell versackte. Der Automat blieb stur und versuchte ihr sogar einzureden, dass die kalte Dusche gefährlich für sie sei.
»Andere Dinge sind gefährlicher«, murrte sie, schaltete um auf Warmluft und verließ eine halbe Minute später die Zelle.
Andere Dinge ... schwang es in ihren Gedanken nach.
Marna Updike, Entsorgungstechnikerin auf Kontor Fornax, fragte sich, warum sie den Paratau plötzlich so vorsichtig umschrieb. Fühlte sie sich vollends wie ein Dieb in der Nacht? Sie lachte hell und lauschte dem Klang der eigenen Stimme. Paratau war wertvoller als Howalgonium. Die Kosmische Hanse hatte das Handelsmonopol, und die Konkurrenz, die Kartanin, schien ebenso unvermittelt wieder verschwunden zu sein, wie sie in Fornax erschienen war. Zuletzt hatten sich die feliden Fremden in der Milchstraße aufgehalten, doch gab es von nirgendwo neue Meldungen über sie.
Marna kleidete sich an und orderte das übliche Frühstück. Das Tablett mit allen Cerealien schwebte aus der Wandklappe. »Guten Appetit!«, wünschte eine sanfte Stimme. Marna reagierte nicht darauf. Sie fragte sich, warum sie erst seit Kurzem spürte, wie langweilig es war, allein zu frühstücken. Das Leben in der Kleingalaxis Fornax, genau genommen an Bord der ENTSORGER-17, unterschied sich sehr von dem Umfeld der Kommune, der Marna auf dem Saturnmond Titan angehört hatte. Sie hatte geglaubt, die stets gleiche Hektik in der Station gegen eine gehörige Portion Abenteuer des Neuen, Unbekannten eintauschen zu können – gefunden hatte sie jedoch Langeweile.
Aber vielleicht stand Abwechslung bevor. Sie, Marna Updike, hatte ein Experiment vorgeschlagen. Die Genehmigung der Kontorchefin Leila Terra war am späten Abend, kurz vor Mitternacht, endlich eingetroffen.
Marna griff nach dem mit Krabben gefüllten Ferrol-Teighörnchen. Das war einer der Leckerbissen, den die Hanse-Karawane aus der Milchstraße mitgebracht hatte. 50 Karracken und 20 Hanse-Koggen von Olymp standen seit einigen Tagen im Orbit über Kontor Fornax. Als Hanse-Spezialistin wusste Marna, dass alle schweren Waffensysteme der einstigen Orbiterschiffe demontiert worden waren. Handelsflotten brauchten im Bereich des Galaktikums keine besondere Bewaffnung. Mittlerweile behaupteten jedoch Gerüchte, dass die Hanse-Karawane durchaus wehrhaft armiert worden sei. Wenn das stimmte ...
»He!«, vernahm sie Nigel Calders Stimme. Sein halb vom Frühstücksgeschirr verdecktes bärtiges Gesicht blickte ihr aus der Tischplatte entgegen. Marna schob hastig das Tablett zur Seite, um den Kommandanten besser sehen zu können.
»'n Morgen, Marna.« Die Holoprojektion ließ die Fältchen in Calders Augenwinkeln deutlich erkennen. »Hast du die Zeit vergessen? Wir warten seit zehn Minuten auf dich.«
Die Entsorgungstechnikerin wandte den Kopf und musterte die Leuchtanzeige. Bis zu ihrem Dienstbeginn fehlten noch 20 Minuten.
»Deine Uhr scheint vorzugehen, Nigel«, sagte sie matt.
Über das Gesicht des Kommandanten huschte ein verständnisvolles Lächeln. »Und du scheinst erfolgreich verdrängt zu haben, dass du eine halbe Stunde früher an deinem Platz sein wolltest«, bemerkte er. »Stimmt's oder habe ich recht?«
Die Projektion verblasste, und Marna Updike sprang auf und fuhr sich mit einer Hand über den Nacken. Die Spitzen ihrer dunkelbraunen Locken waren nach wie vor nass. Die Trockenluft in der Hygienezelle hatte nicht ausgereicht.
Marna ließ das Frühstück stehen, griff nach ihren Unterlagen und stürmte aus dem Apartment. Sie wandte sich zum nächsten Antigrav, der sie zur Transmitterstation brachte. Der Transmitter war sendebereit.
»Du kannst das Transportfeld benutzen«, eröffnete die Automatik. »Dein Ziel ist mir bekannt, Marna.«
»Was ist mit der Tauregion?«, fragte sie sicherheitshalber.
»Wir sind ausreichend weit entfernt. Keine Störungen!«
Der Paratau, fand Marna, war eine überaus exotische Erscheinung. Im Grunde genommen handelte es sich um die Verdauungsabfälle der Nocturnen in ihrer ersten Lebensphase. In kleinen Tropfen sammelten sich die Ausscheidungen entlang der Flugrouten dieser bizarren Wesen, und die Nocturnen selbst konnten mit dem wertvollen Psichogon nichts anfangen. Perry Rhodan hatte ein Abkommen mit dem ältesten Nocturnenstock, dem Weisen von Fornax, getroffen. Diese Vereinbarung berechtigte die Kosmische Hanse zur Entsorgung und Verwertung der Tauregionen. Doch dann waren die bis dahin unbekannten Kartanin erschienen und hatten ihre Ansprüche auf den Paratau geltend gemacht.
Marna trat in den Transmitterkreis, wurde entmaterialisiert und im Sekundenbruchteil an ihr Ziel versetzt. Sie trat aus dem Halbkreis des Empfangstransmitters und nickte Nigel Calder und den wartenden Hanse-Spezialisten zu. Sie registrierte die erwartungsvollen Gesichter.
Eines davon gehörte ihm. In seinen Augen standen eine einzige stumme Frage und die Aufforderung an sie, diese Frage endlich zu beantworten.
Marnas Wangenmuskeln zuckten, sie senkte den Blick und wandte sich wieder Calder zu. »Gehen wir!«, sagte sie entschieden. »Was meint eigentlich Hammed Ashley?«
»An der Apparatur hat sich nichts geändert«, antwortete der Kommandant. »Die Werte sind konstant, die Paratronabschirmung zeigt keine Unregelmäßigkeiten.«
»Dann ist es gut!«
Marna kehrte zum Transmitter zurück. Wie alle Einrichtungen des Tenders wurde die Automatik von der zentralen Steuerpositronik gelenkt. Der grellweiße Bogen flammte auf und versetzte die sieben Männer und drei Frauen in den hinteren Bereich des Schiffes nahe der Plattform. Hier befanden sich die Reparatureinheiten. Die Lagerräume für den Paratau lagen weit entfernt, deshalb hatte Marna ihr Experiment hier aufgebaut.
Vom Transmitter aus waren die Projektoren nicht zu sehen. Marna eilte einen schmalen Steg entlang bis zur Brüstung. Sie beugte sich ein wenig nach vorn und winkte hinab. Ashley hatte sie gehört und gab den Gruß zurück.
Gefolgt vom Kommandanten und den Hanse-Spezialisten eilte die Entsorgungstechnikerin die Treppe hinab, die statt eines Antigravs eingebaut war.
»Schiff an Kommandant!«, meldete sich die Positronik. »Unweit der von uns ausgewählten Tauregion existiert eine weitere Region von enormem Ausmaß. Ersten Messungen zufolge ist das energetische Gleichgewicht erheblich gestört. Es steht zu befürchten, dass sich diese Tauregion in absehbarer Zeit entlädt!«
Nigel Calder blieb auf der Treppe stehen. Zu große Paratau-Konzentrationen lösten spontane Entladungen psionischer Energie aus, Psi-Stürme, deren Auswirkungen lichtjahreweit zu spüren waren. Calders Entscheidung war deshalb folgerichtig und zwingend: »Kursänderung! Linearmanöver innerhalb der tolerablen Grenzen. Wir entsorgen zunächst die gefährdete Region!«
Mit einem befehlenden Räuspern wandte sich der Kommandant an Marna, die mittlerweile ein kleines Steuerpult erreicht hatte. »Warte mit dem Experiment, bis wir das Linearmanöver hinter uns haben!«, verlangte er. »Das Risiko ...«
Misstrauischer Respekt schwang in dem unvollendeten Satz mit. Marna Updike nickte wortlos. Sie musterte das Innere des grünlich leuchtenden Paratronschirms, der einen Großteil der Halle einnahm. Eingebettet in ein kugelförmiges Antigravfeld lagen dort zehn Tropfen Paratau. Marna wusste nicht, wie viele davon sie tatsächlich benötigen würde. Sie sah allerdings keine Gefahr in dem Versuch.
Wenige Minuten später meldete die Positronik, dass sich das Schiff der gefährdeten Tauregion näherte. Die Suche nach einem geeigneten Flugkorridor war angelaufen.
Nigel Calder schüttelte leicht den Kopf. »Die ganze Konstellation behagt mir nicht«, sagte er, mehr zu sich selbst als für die anderen bestimmt.
Marna Updike wandte sich zu ihm um. »Jeder von uns weiß, wie sich die Psi-Phänomene auswirken. Wir werden mit Dingen oder mit Wesen konfrontiert, die aller scheinbaren Realität zum Trotz gar nicht anwesend sind. Wer das weiß, kann entsprechend darauf reagieren. Wovor schreckst du zurück?«
»Keine Ahnung. Ich weiß es selbst nicht.«
Marna Updike schürzte die Lippen. Sie nahm ihre nächsten Schaltungen vor. In dem Paratronfeld entstand eine Strukturlücke. Nacheinander traten sie selbst und vier der Hanse-Spezialisten hindurch.
Marna zeigte auf die kleinen Gravoprojektoren, die zu einem Kreis angeordnet neben dem Paratau am Boden standen.
»Den ersten Tropfen!«, sagte sie. »Trevor!«
Einer der Männer bückte sich, griff nach dem ersten der tragbaren Projektoren, aktivierte das Gerät und richtete es auf das permanente Antigravfeld. Zielsicher erfasste er mit dem Zugstrahl den etwa einen Kubikzentimeter großen Tropfen und holte ihn aus dem Schutzfeld heraus. Der Paratau glitzerte und reflektierte den grünen Schimmer des Paratronschirms. Ein leichtes Rauschen klang plötzlich in den Ohren aller innerhalb des Schutzschirms. Sie kannten dieses Phänomen, es war eine Auswirkung des Psichogons.
Der Tropfen driftete auf Marna zu und verharrte eine Armlänge vor ihr in der Schwebe.
»Gut so. Dyke, und nun den nächsten. Almyra, du kannst den dritten ebenfalls schon erfassen.«
Nach dem sechsten Tropfen ließ die Entsorgungstechnikerin stoppen. »Nigel!«, rief sie übermäßig laut, als befürchtete sie, der Paratronschirm könnte die Verständigung behindern. »Du wirst gleich aller Zweifel enthoben, und die ENTSORGER-17 dürfte berühmt werden. Adams wird begeistert sein, was wir herausfinden.«
»Abwarten«, meinte der Kommandant kritisch. »Bislang ist nichts geschehen.«
»Aber gleich!«, versprach Marna.
Die wertvollste Eigenschaft des Parataus war, dass er vorhandene Psi-Fähigkeiten verstärkte oder gar erst ermöglichte. Ein einziger Tropfen genügte, um aus einem normalen Terraner für rund eine Stunde einen leidlich guten Telepathen, Telekineten oder anders Befähigten zu machen. Während dieser Zeit schmolz der gläsern anmutende Tropfen dahin, bis die in ihm gespeicherte psionische Energie aufgezehrt war. Deflagration nannte man diesen Vorgang.
Marna griff nach einem der Tropfen, die im Halbkreis vor ihr schwebten. Er fühlte sich warm an und sah auf ihrer Handfläche aus wie ein geschliffener Kristall von unwahrscheinlicher Reinheit.
Marna schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie wollte die Gedanken der Hanse-Spezialisten erfassen und konzentrierte ihr mentales Verlangen auf den Paratau-Tropfen. Schnell trat ein, was sie schon in mehreren Versuchen erlebt hatte. Sie erkannte in einem plötzlichen Durcheinander, was alle in ihrer Nähe dachten. Ihre Begleiter hatten sich freiwillig bereit erklärt, sich in ihre Gedanken blicken zu lassen.
Verschwommen kristallisierte sich ein Bild aus dem heraus, was Marna esperte. Sie sah eine Kugel, die sich aufblähte und schließlich explodierte. Die Kugel schimmerte intensiv rot, und mit ihr wurde ein Name deutlich: Outside. Marna wusste nicht, wer von den Spezialisten an jene Tage dachte, als die Sonne Outside zur Nova geworden war. Sie erkannte nur das Bild und etwas, was sie als Begleitgedanken empfand.
Die Wahrnehmung verblasste langsam, und der Tropfen in Marnas Hand schien leicht abzukühlen. Sie berührten einen zweiten Tropfen mit den Fingerspitzen der linken Hand, griff vorsichtig zu und legte den zweiten Paratau-Tropfen zu dem anderen auf ihrer rechten Handfläche.
Zunächst war kein Unterschied zu spüren, auch nicht, als sie einen dritten Tropfen platzierte. Marna schaute kurz zu den Hanse-Spezialisten. Ihren Mienen war anzusehen, dass sie bewusst an Unverfängliches dachten.
Marna konzentrierte sich wieder. Immer mehr und wuchtigere Gedanken stürmten auf sie ein und überlagerten einander. Sie machte sich nicht die Mühe, Einzelheiten erkennen zu wollen. Die Entsorgungstechnikerin wusste mit einem Mal, dass ihr Experiment ein voller Erfolg sein würde. Die einzige Frage, die sie nun noch beschäftigte, war, wie lange sie dem Ansturm der telepathischen Wahrnehmungen standhalten konnte.
»Jemand denkt daran, dass sich kriminelle Kräfte des Parataus bedienen und die halbe Galaxis versklaven könnten«, flüsterte sie. »Es ist ein Mann, der das annimmt. Er ist unsicher, wie er sich verhalten soll.«
Marna nahm einen vierten Tropfen dazu und lauschte in sich hinein. Sie war kurz davor, den Versuch auszuweiten. Falls es ihr gelang, zugleich Telekinese zu entwickeln, dann bedeutete dies den endgültigen Durchbruch für ihren Versuch. Nach einigen Sekunden entschloss sie sich jedoch, damit zu warten. Sie war ohnehin fasziniert von ihrem sich schnell ausweitenden Horizont, denn sie erfasste bereits die Gedanken aller in der Halle, also auch außerhalb des Paratronschirms. Augenblicke später wusste sie, was die Menschen in den angrenzenden Abteilungen dachten. Und damit nicht genug, ihr telepathischer Horizont weitete sich binnen weniger Minuten über das gesamte Schiff aus. Dabei war bislang undenkbar gewesen, dass ein nicht psionisch begabter Mensch eine derartige Leistung vollbrachte.
Etwas wühlte in ihr, aber Marna achtete nicht darauf. Sie schwelgte in ihrem Erfolg und übersah dabei die Veränderung, die rings um das Schiff vorging.
Eine Schmerzwelle tobte durch ihr Gehirn. Gleichzeitig heulte der Alarm. Jemand rief ihr zu, das Experiment abzubrechen, doch sie verstand die Aufforderung kaum, weil sie ihre jähe Qual hinausschrie.
»Und, was glaubst du, wie es weitergeht?« Die keifende Stimme des Gnomen drang zwischen zwei Datenbänken der kleinen Nebenzentrale hervor. Der einen Meter große Animateur bewegte sich hektisch, sein langer Knorpelschwanz klatschte heftig auf den Boden.
Der Angesprochene war ein nicht sonderlich großer Mann, schmächtig und mit blassem Gesicht. Er reagierte nicht auf die spöttisch klingende Frage, sondern musterte weiterhin den Holoschirm. In der Wiedergabe zeichneten sich die gelbe Sonne Faalin und der vierte ihrer 14 Planeten ab. Kontor Fornax trug den Namen der hier errichteten Station der Kosmischen Hanse. Der Planet war durchaus vergleichbar mit Terra; seine Atmosphäre wies lediglich einen höheren Sauerstoffanteil auf. Wer sich längere Zeit auf Kontor Fornax aufhielt, fühlte sich auf gewisse Weise leicht und beschwingt.
»Es geht weiter wie geplant«, antwortete der Mann nach einer Weile und musterte den Zwerg. Dessen viel zu lang anmutende Arme pendelten unruhig, und seine Physiognomie machte gerade keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Eigentlich sah er aus wie ein kleiner Dämon, doch der Mann ignorierte das. Er konnte tiefer blicken, als es anderen möglich gewesen wäre, und wusste, was sich darunter befand.
»Du weißt, dass das eine Lüge ist, du dummer Terraner!«, zeterte der Gnom. »Hast du schon vergessen, was geschehen ist? Die Explosionen? Und dass du Adams vor schwerem Schaden bewahrt hast?«
»Das war nicht ich, das war Argyris!«, sagte der Mann hart. »Wie oft soll ich dir das vorkauen?«
»Anson Argyris«, spottete der Wicht. Sein Zackenkamm im Nacken gab knirschende Geräusche von sich. »Wo steckt der Kerl? Er ist blind und taub – und dumm! Ja, dumm, kapierst du das?«
»Genug!« Der Schmächtige wandte sich vom Bildschirm ab. Ein wenig hatte er Ähnlichkeit mit Jen Salik, dem Ritter der Tiefe, nur war sein Gesicht feiner geschnitten, und der füllige Bauch trat deutlich hervor. Er schritt auf die Tür zu, die auf einen schmalen Korridor führte, und ging gemächlich hindurch.
Der Gnom folgte ihm mit wenigen Sätzen. »Tu etwas!«, keifte er.
»Stalker ist verschwunden, Adams entführt. So viel wissen wir inzwischen über die Hyperrelais. Die Kartanin haben den Teleport-Versuch auf Arkon I dazu genutzt, Homer zu entführen und damit die Kosmische Hanse mindestens teilweise zu lähmen. Vielleicht hilft ihnen das.« Der Mann blieb stehen und wandte sich um. »Die Karawane kriegen sie trotzdem nicht!«
»Du irrst dich gewaltig!«, kreischte der Gnom. »Spätestens Stalker kriegt sie. Ihn wirst du nicht täuschen können, Mermator!«
Seit 14 Tagen stand die Handelskarawane aus 70 Raumschiffen im Orbit über Kontor Fornax. Die Verladearbeiten im Kosmischen Basar ROSTOCK waren überhastet beendet worden. Adams' Entführung hatte Unsicherheit und Verwirrung ausgelöst, deshalb hatte Kaiser Anson Argyris, der die Karawane befehligte, eigenmächtig gehandelt. Um keine Zeit zu verlieren und Sotho Tal Ker, der von vielen nur Stalker genannt wurde, die Möglichkeit für weitere Sabotageakte zu nehmen, hatte er die Flotte nach Fornax gebracht. Diese Kleingalaxis der Lokalen Gruppe, die lediglich 7000 Lichtjahre durchmaß und 20 Millionen Sonnenmassen aufwies, lag rund 550.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Fornax war ein elliptischer Nebel mit wenig gasförmiger Materie und dichtem Zentrumskern, geprägt von überwiegend alten Sternen der Population II. Als Perry Rhodan während seiner Suche nach EDEN II die Kleingalaxis erreicht hatte, war er auf die im Weltraum lebenden Nocturnen gestoßen.
Mermator blieb vor einem Türschott stehen. »Alles wurde überprüft«, sagte er. »Die Entsorgung des Parataus verläuft reibungslos.«
Seit die Kartanin nicht mehr sabotierten, war die Ernte fast zur Routine geworden. 20 Tender sammelten das Psichogon ein und brachten es nach Kontor Fornax. Dort warteten die speziell für den Weitertransport umgerüsteten Karracken und Koggen der Hanse. Jedes Schiff war in der Lage, zehn Millionen Tropfen Paratau an Bord zu nehmen. Die Karawane würde über eine halbe Milliarde Tropfen in die Mächtigkeitsballung Estartu transportieren.
»Warum gehst du nicht weiter?«, keifte der Gnom.
»Skorsh I!« Mermator hob warnend die Hand. »Hier beginnt mein intimer Lebensbereich. Du hast keinen Zutritt!«
»Ich weiß«, entgegnete der Animateur. »Du brauchst das nicht tausendmal zu wiederholen. Trotzdem habe ich Anspruch darauf, zu erfahr...«
»Du wirst hier vor der Tür warten und mich über jede Annäherung oder Bedrohung umgehend informieren!«, befahl Mermator. »Ist das deutlich genug?«
»Jawohl, Chef!«, bestätigte Skorsh und klang mit einem Mal weder keifend noch schrill, sondern ausnehmend ruhig. Er klemmte sich den langen Schwanz unter den rechten Arm und ließ sich umständlich nieder. Demonstrativ drehte er den Kopf zur Seite und spähte lauernd den Korridor entlang.
Mermator öffnete die Tür und betrat den dahinter liegenden Bereich. Er wartete sekundenlang, bis der Zugang sicher verriegelt war, dann musterte er die gegenüberliegende Wand und das Mobiliar davor. Die Konturen wirkten ein wenig unscharf, aber das lag an seinen empfindlichen Augen. Ein normaler Mensch hingegen konnte sehr wohl getäuscht werden.
Der Mann sendete den Erkennungscode, die Tarnprojektion erlosch. Statt der Möbel und der Wand wurde ein Transmitter sichtbar. Eine Kunststimme verkündete, dass das Gerät betriebsbereit war und auf seine spezifischen Schwingungen justiert.
Mermator betrat das aktivierte Transportfeld ...
... und trat zeitgleich aus dem Empfangstransmitter in eine kleine Kammer, von der lediglich eine Tür weiterführte. Sekunden danach befand er sich in einem an die 40 Meter langen und halb so breiten Raum. Mehrere Stangen verliefen dicht unter der Decke; an ihnen hingen in speziellen Halterungen die Vertreter unterschiedlichster Spezies. Für einen Außenstehenden mochte unweigerlich der Eindruck entstehen, er sei in ein Leichenschauhaus geraten.
Mermator steuerte eine Lücke in den Reihen dieses »Mausoleums« an. Er stellte sich vor die leere Halterung, sie faltete sich auf und griff ihm unter die Arme. Der Körper wurde leicht angehoben.
Mermator selbst öffnete die Vorderseite seiner Kombination. Seine leicht behaarte Haut kam zum Vorschein, und binnen Sekunden entstand darin ein durchgehender Riss. Mermators Körper öffnete sich vom Hals bis hinab zum Becken, und durch diese klaffende Wunde drängte ein glitzerndes Etwas nach außen – ein 50 Zentimeter langes und an der dicksten Stelle 20 Zentimeter durchmessendes Metall-Ei. Im Licht der Deckenstrahler silbrig schimmernd, schwebte es weiter und verharrte kurz vor dem schlaff gewordenen Körper Mermators. Dann trieb es an den vielen aufgehängten Leibern entlang bis zum vorderen Ende der Reihe, umkreiste eine auffällige Gestalt und hielt an.
Das Ei war der Vario-500, ein terranischer Spezialroboter mit einer Hülle aus Atronital-Compositum. Sein Innenleben hatten siganesische Wissenschaftler entworfen und im Mikrobauverfahren hergestellt. Er besaß bereits 868 Pseudo-Variable-Kokonmasken, die er »beseelen« konnte. Seine neueste Errungenschaft war die Stalker-Maske, die er schon mehrmals angelegt hatte.
»Argyris, wach auf!«, sagte der Vario-500. Seine Stimme klang nun völlig anders als die Mermators. Für jede der PVK-Masken verfügte er über eine eigene Stimm-Modulationseinheit.
Das Ei schlüpfte in die Öffnung des Argyris-Kokons. Es verschwand hinter dem lebensecht anmutenden Zellgewebe und fuhr alle vier Teleskopglieder sowie den zehn Zentimeter großen Ortungskopf aus. Die Öffnung am Bauch der Maske schloss sich und war nach wenigen Sekunden nicht mehr zu erkennen. Spontan erwachte die massige Gestalt zu vermeintlichem Leben.
Anson Argyris, der Kaiser des Planeten Olymp, stapfte mit schweren Schritten auf die kleine Kammer zu, deren Tür unverändert offen stand. Über den Transmitter kehrte er in den möblierten Raum zurück, und nach kurzem Zögern trat der Kaiser hinaus auf den Korridor, in dem Skorsh I auf ihn wartete.
»Muss das wirklich sein?«, fragte der gnomenhafte Whistler-Roboter, den es sogar in zweifacher Ausfertigung gab. Beide Modelle trugen eine Skorsh-Maske und konnten nicht als Roboter identifiziert werden.
»Es muss sein, wie immer!«, beharrte Anson Argyris. »Bis bald.«
Skorsh tappte an der imposanten, mehr als zwei Meter großen Gestalt mit dem markant geflochtenen Bart vorbei und ließ sich in der Nähe der Möbelprojektionen nieder. »Bis bald! Bis bald!«, keifte der Roboter, während sich das Türschott schloss.
Argyris verließ seine Privatgemächer auf dem offiziellen Weg und suchte den nächsten Transmitter auf, der ihn zur Hauptzentrale der REDHORSE brachte. Als Terraner Mermator hatte er sich auf Kontor Fornax umgesehen und festgestellt, dass Adams nicht übertrieben hatte. Das Kontor hatte in der Tat eine Idealbesetzung; Leila Terra und ihre Vertrauten waren ein Glücksgriff für die Hanse.
Der Vario-500 schaltete sich in die Positronik seines Flaggschiffs ein. Es hatte bereits den Orbit um den Planeten Faalin verlassen und war mit mehreren Linearetappen in die Südseite der Kleingalaxis vorgedrungen. Der Kaiser von Olymp wollte die Wartezeit bis zum Aufbruch nach Estartu sinnvoll nutzen, indem er große Tauregionen aufsuchte und die ENTSORGER-Plattformen bei der Paratau-Ernte beobachtete.
Der Nocturnenschwarm bestand aus gut und gerne 200.000 Exemplaren der nahezu farblosen, hauchdünnen Membranen aus fünfdimensional schwingendem Quarz. Wie alle Schwärme zog er auf einem festgelegten Kurs von Stern zu Stern und hinterließ auf diesen Flugrouten seinen Paratau.
Für die Nocturnen gab es zwei Lebenszyklen. In der Schwarmphase waren sie Membranen zwischen zwei und 100 Metern Durchmesser, ätherische, instinktgeleitete Geschöpfe ohne Intelligenz. Diese Schwärme zählten bis zu einer Million Einzelwesen und ernährten sich von der Fünf-D-Strahlung der Sonnen. Die aufgenommene Energie nutzten sie für ihr Wachstum, ebenso zur Fortbewegung nach dem Transitionsprinzip. Die maximale Sprungweite lag bei rund einem Lichtjahr, danach hatte jeder Nocturne eine mehrtägige Erholungspause nötig.
Besonders hochfrequente Hyperenergie wie das psionische Spektrum war für die Nocturnen unverdaulich und wurde von ihnen als Paratau wieder ausgeschieden.
In der Schwarmphase verständigten sie sich über eine einfache Symbolik im Bereich der Hyperfunkfrequenzen. Die Schwarmphase endete, sobald alle Mitglieder eines Schwarms ihre maximale Größe von 100 Metern erreicht hatten.
Während ein kleiner Prozentsatz der Nocturnen sich nach Amöbenart teilte und einen neuen Schwarm aus jungen, nur wenige Meter durchmessenden Wesen bildete, trat die große Masse in die zweite Lebensphase über, die Stockphase. Sie ließen sich auf Asteroiden, Monden und ähnlichen Himmelskörpern mit niedriger Schwerkraft nieder. Von dort aus lockten sie im Verlauf von Jahrtausenden weitere Schwärme an und wuchsen gemeinsam zu Türmen aus dunklem Schwingquarz heran. Ein solcher Zusammenschluss war ein Stock; in dieser Phase entwickelten die Nocturnen Intelligenz. Je größer ein Stock anwuchs, desto höher wurde seine Intelligenz. Der größte und älteste Stock war der Weise von Fornax.
Den Stöcken drohte Gefahr von den Tauregionen. Gelegentlich überschritt die Menge an Paratau in einem Gebiet die kritische Grenze, dann fiel die Psi-Materie in ihre energetische Form zurück und entlud sich mit heftigen Psi-Stürmen. Manche Stürme dauerten Tage an und reichten über Dutzende von Lichtjahren hinweg. Sie stürzten Stöcke in diesem Bereich in geistige Verwirrung und manchmal sogar für immer in den Wahnsinn. Um diese Bedrohung auszuschalten, versuchten die Stöcke, über die einfachen Hyperfunksymbole alle Schwärme so zu lenken, dass sie den Paratau gleichmäßig verteilten. Und kritische Tauregionen ließen sie, wenn sich die Möglichkeit ergab, von extragalaktischen Besuchern entsorgen.
»Faszinierend!« Gandolf Rius, Cheffunker und Cheforter, blickte mit seinem sommersprossigen Gesicht Beifall heischend um sich. »Sie kommen direkt auf unser Schiff zu. Seht euch das an! Sie öffnen den Pulk, als wollten sie uns passieren lassen!«
»Sie werden den Teufel tun«, grollte Rumus Sharman. Der auf Olymp geborene Epsaler stand breitbeinig hinter dem Kommandantensessel, mit beiden Händen auf der Rückenlehne abgestützt. »Wir wissen doch genau, was sie wollen!«
Gero Rius, Gandolfs Zwillingsbruder und Chefingenieur der REDHORSE, hielt sich zurück. Er saß wie erstarrt da und fixierte die Anzeigen des Displays. Alle Systeme des Keilraumschiffs arbeiteten einwandfrei. Noch. Die Schwärme stürzten sich auf jede Fünf-D-Quelle und waren in der Lage, alle Systeme eines Raumschiffs lahmzulegen, die auf hyperdimensionaler Basis arbeiteten. Dazu gehörten leider auch die Paratronschirme, und jeder an Bord der REDHORSE konnte sich die verheerenden Folgen ausmalen, falls sich der Paratau in den Laderäumen unkontrolliert entlud. Das im Schiff ausbrechende Chaos würde den Untergang zur Folge haben.
Sharman schien auf etwas zu warten, jedenfalls blickte er suchend zum Transmitter im Hintergrund der Zentrale. Er ließ sich schwer in den Sessel sinken.
»Die Passagesymbole senden, Gandolf!«, befahl er.
Der Cheffunker rührte sich nicht. Er hatte die Augen geschlossen und lauschte in sich hinein.
»Was ist los, Gandolf!«, dröhnte Sharmans Stimme.
»Hört ihr sie nicht? Sie singen, Rumus! Das Hintergrundrauschen des Schwarms ist wie Musik. Hör dir das an!«
Die Besatzung kannte Gandolf Rius' spezielle Fähigkeit. Er schaffte es, Hyperimpulse exakt zu deuten, selbst wenn die empfindliche Technik noch nicht einmal Näherungswerte lieferte. Momentan lauschte er den fremdesten Tönen, die er je gehört hatte.
Die Entfernung zwischen dem Nocturnenschwarm und der Hanse-Kogge verringerte sich weiter. Sharman murmelte etwas, das wie eine Verwünschung klang. Er änderte den Kurs des Keilraumschiffs, aber die Nocturnen waren so nicht abzuschütteln – mit einem kurzen Sprung näherten sie sich dem Schiff bis auf 100.000 Kilometer. Nicht mehr viel, dann würde die REDHORSE für sie zur willkommenen Beute werden.
»Gandolf!«, rief sein Zwillingsbruder Gero. »Die Passagesymbole! Beeil dich damit!«
Rumus Sharmans Rechte schwebte mittlerweile über dem Aktivierungsfeld für die Notsprungautomatik. Der Epsaler war bereit, das Schiff in allerletzter Sekunde aus der Gefahrenzone zu bringen.
Endlich kam der Kommandant. Anson Argyris trat aus dem Transmitter und erfasste die Situation mit einem Blick.
»Himmel!«, donnerte er. »Wollt ihr alle zur Hölle fahren?«
Der Funker sendete gleichzeitig die zusammengestellten Symbolgruppen. Der Nocturnenschwarm identifizierte das Raumschiff als Freund und drehte ab, setzte seinen ursprünglichen Weg fort.
»Das war knapp!« Rumus Sharman, Stellvertreter des Kaisers, räumte den Kommandantensessel. »Verdammt knapp sogar.«
Anson Argyris bedachte Gandolf Rius mit einem durchdringenden Blick. »Du träumst vor dich hin und übersiehst dabei das Wichtigste«, sagte er grollend. »In unserer Nähe sind Menschen in Gefahr. Wir müssen ihnen zu Hilfe kommen!«
Im Empfang waren tatsächlich seit wenigen Sekunden verstümmelte Notsignale zu vernehmen. Der Funker legte sie auf die Lautsprecherfelder um.
»Starke Beeinträchtigungen ...«, hörte die Crew der REDHORSE. »ENTSORGER-17 ... bitten um Hilfe. Sonne Zyklop ... höchste Gefahr, Tender manövrierunfähig ... Ausfälle!«
»Bei Boscyks Stern!«, schnaubte Argyris. »Was sitzt ihr da wie die Schwarmgötzen? Jeder dürfte erkannt haben, dass die Koordinaten anzumessen sind. Also vorwärts! Worauf wartet ihr?«
Die Kogge beschleunigte mit Vollschub. Gandolf Rius starrte den Kaiser verblüfft an.
Der Epsaler Sharman lachte kurz. »So ist das, wenn man es mit alten Freihändlern zu tun hat. Ihr werdet euch gehörig umsehen, bis wir am Ziel der Reise ankommen.«
Anson Argyris war eine beeindruckende Erscheinung, zwei Meter groß, breitschultrig, mit athletischem Körperbau. Sein Gesicht wirkte derb. Das tiefschwarze Haar war schulterlang und in der Mitte durch eine fünf Zentimeter breite Rasur gescheitelt. Argyris' kehlig tiefe Stimme hatte einen vertrauenerweckenden Klang. Er trug einen schwarzen gekräuselten Bart, der bis zum Brustbein reichte. Dort teilte sich der Bart in zwei geflochtene Zöpfe, die auf den Schultern unter großen Epauletten aus Howalgonium festgeklemmt waren.
Gekleidet war der Kaiser in eine dunkelrote Seidenhose, über der er bis zu den Oberschenkeln reichende Lederstiefel trug. Im linken Stiefel befand sich am oberen Ende die Scheide für ein Vibratormesser. Über dem bunten, mit Freifahrersymbolen bestickten Oberhemd saß eine lose fallende dunkelrote Jacke. Dazu trug er einen breiten Ledergürtel, an dem die goldene Schnalle auffiel. Sie zeigte Roi Dantons Konterfei. Diese Prägung war das alte Zeichen aller Freihändler und gleichzeitig der Beweis für die Zugehörigkeit des Trägers zur Urbevölkerung des Planeten Olymp. In die Schnalle war ein siganesischer Mikrogenerator integriert, der einen Hochenergieschutzschirm erzeugen konnte. Die Emission dieses Generators überlagerte die schwache Eigenstrahlung der Energiestation des Vario-500.
Ein Signal meldete, dass die Kogge den Linearraum verließ.
In Flugrichtung stand eine blutrote Sonne. Deutlich erkennbar die in Aufruhr befindliche Korona. Psionische Störfronten waren zwar erst schwach anzumessen, aber die eindrucksvolle Konzentration von Paratau beseitigte jeden Zweifel: Die ENTSORGER-17, die wie ein welkes Blatt auf die Sonne zutrieb, war aufs höchste gefährdet.
Gandolf Rius entdeckte den Nocturnenschwarm, bevor ihn die Schiffsinstrumente erfassten. Es war ein riesiger Schwarm mit gut einer Million Exemplaren, und er näherte sich einem Punkt auf der Flugbahn des Tenders, den dieser in knapp 30 Minuten erreicht haben würde.
»Warum setzen sie sich nicht mit den Beibooten ab?«, fragte Mauritius Koek. Der Chef der Feuerleitzentrale war wortkarg und gab sich meist unauffällig. Böse Zungen behaupteten, dass er in seinem ganzen Leben keinen einzigen Schuss abgefeuert habe, von Simulationen abgesehen. Aber diese Spötter legten es nur darauf an, ihn aus der Reserve zu locken.
»ENTSORGER haben keine Beiboote an Bord«, antwortete Gero Rius. »Die Tender stecken voll mit paratrongeschützten Hangars für den Paratau, und sie arbeiten effektiv. Jeder Tender hat zweihundert robotgesteuerte Fänger-Plattformen an Bord, die mit schweren Traktorprojektoren und Paratrons für die Isolierung des Parataus ausgerüstet sind. Die Ortung lässt erkennen, dass alle Fänger ausgeschleust wurden. Offenbar ist das Schiff nicht in der Lage, sie zurückzuholen. Die zahlenmäßig kleine Besatzung sitzt damit in der Falle.«
»Unsere Anrufe bleiben unbeantwortet!«, meldete Gandolf Rius. »Sie reagieren nicht.«
In der Tauregion wetterleuchteten heftige energetische Blitze. Das war die vom Paratau beim Übergang vom materiellen in den psionischen Zustand freigesetzte Energie. Schockfronten rasten nach allen Seiten. Der Tender wurde von einem dieser noch begrenzten Psi-Stürme in Richtung der Sonne gedrückt. In der optischen Erfassung sah die Zentralecrew der REDHORSE mittlerweile, dass die Triebwerke des ENTSORGER-Schiffs mit hoher Leistung arbeiteten, ohne jedoch eine nennenswerte Kursänderung zu bewirken. Der Tender flog direkt auf den Nocturnenschwarm zu.
Anson Argyris verließ seinen Platz und trat neben den Cheffunker.
»Du darfst nun spielen«, meinte er väterlich und tippte Gandolf Rius sanft auf die Schulter. »Ich weiß, du kannst das vortrefflich. Bring den Schwarm zum Abdrehen. Meinetwegen versuch es mit deiner unbegreiflichen Musik, aber untermale sie gefälligst mit den Passagesymbolen!«
Gandolf nickte knapp und versank in Konzentration. Seine Finger glitten über die Eingabefelder der Funkanlage wie über die Tastatur eines Musikinstruments. Man musste schon genau hinsehen, um wenigstens erahnen zu können, dass der Funker zugleich die hyperenergetischen Impulse der Nocturnen auf sich wirken ließ.
Gandolf Rius sendete – oder wohl eher: er spielte – die Passagesymbole in Variationen. Zugleich lauschte er mit wachsender Anspannung. Auf seiner Stirn perlte dichter Schweiß. Etwas war da, das ihn störte, nur schien er nicht in der Lage zu sein, diesen Faktor zu erkennen.
Die Nocturnen sangen ihr ergreifendes Lied. Sie änderten weder ihren Kurs, noch gaben sie anderweitig zu erkennen, dass sie die Symbole der REDHORSE verstanden und akzeptierten.
»Die Tendercrew hat es bestimmt vor uns versucht und nichts damit erreicht«, grollte Argyris. »Was ist los in diesem Bereich?«
»Ich glaube, ich habe was ...« Rius löste sich ein wenig aus seiner Konzentration. »Es wird deutlicher, je näher wir komm...«
Er verstummte. Der Gesang der Nocturnen auf den Hyperfunkfrequenzen hatte einen befremdlichen Unterton bekommen. Es war ein Beiklang, den Gandolf Rius instinktiv als melancholisch oder verzweifelt empfand. Oder als Mischung aus beidem. Jedenfalls war nichts davon auf menschliche Empfindungen übertragbar. Gandolf erkannte nur eines: Der Nocturnenschwarm war anders als die, denen Menschen bisher begegnet waren – mit ihm stimmte einiges nicht.
Der Cheffunker sah auf. »Dieser Schwarm reagiert nicht auf die Symbole und ist für alle anderen Symbole taub. Er versteht sie verkehrt. Kein Zweifel! Ich fürchte, der Schwarm ist verrückt! Anders kann ich es nicht nennen.«
»SERUNS anlegen!«, befahl Argyris und änderte den Kurs der Kogge. Er flog nun geradewegs den Tender an – ein Unternehmen auf Leben und Tod.
Eine ungeheure Macht war über sie hereingebrochen. Marna Updike wehrte sich dagegen, aber sie war zu schwach. Sie taumelte vorwärts, und wie durch Zufall gerieten die beiden nächsten Tropfen in ihre Hand. Sie schloss die Finger um den Paratau, als könne sie Halt an diesen winzigen Gebilden finden. Ringsum sah sie nur mehr wogende rote Schleier, sonst hätte sie vielleicht erkennen können, dass die Tautropfen von den Ausläufern eines Psi-Sturms zur beschleunigten Deflagration angeregt wurden.
Jemand zerrte an ihr, und die Berührung nahm ein wenig der Anspannung von ihr. Sie sah, dass Nigel Calder und die Männer draußen die Treppe hinaufeilten. Die vier Spezialisten, die noch bei ihr unter dem Schirm waren, wichen vor ihr zurück.
Marna Updike sah, dass die Tropfen in ihrer Hand aufglühten. Sie spürte kein Feuer, keine Hitze, doch das Leuchten nahm zu. Es fraß sich geradezu durch ihr Fleisch und ließ die Knochen durchscheinen.
»Den Schirm abschalten!«, schrie sie.
Hammed Ashley kam der Aufforderung nach. Der Paratron erlosch, und die Hanse-Spezialisten flohen aus der Nähe ihrer Kollegin.
»Marna, wirf die Tropfen weg!«, drängte Ashley. »Du musst dich von ihnen lösen!«
Die gegenüberliegende Wand wurde plötzlich durchsichtig. Ein glühendes Auge schielte herein. Es war die Sonne Zyklop, und obwohl niemand mehr in ihrer Nähe war, tat Marna, als ginge sie das alles nichts an.
Enorme Hitze schlug ihr von dem Stern entgegen. Ihre Brauen versengten, die Haare kringelten sich. Marnas geistige Fähigkeiten wuchsen dennoch sprunghaft an. Sie erkannte deutlich die Panik in Nigel Calders Gedanken. Von mehreren Psi-Stürmen getrieben, kam der Tender vom Kurs ab. Calder erreichte soeben die Zentrale und übernahm die Steuerung. Das Schiff ruckte und bockte.
Marna tauchte mental in die Umgebung des Tenders ein. Sie erkannte den riesigen Nocturnenschwarm, der aus Richtung der Sonne kam und sich in die Flugbahn der ENTSORGER-17 legte. Sie schrie ihre Warnung, aber niemand hörte sie.
Der brodelnde Glutball der roten Sonne verblasste so schnell, wie er aus der Hallenwand hereingebrochen war. Für einen Moment erschien es, als sei alles wie zuvor, doch dann entdeckte Marna, dass vor der Wand der Boden meterweit im Umkreis verschmort war.
Ihr Verlangen, mehr herauszufinden und mit ihren Sinnen weiter vorzustoßen, war keineswegs schon gestillt. Sie nahm die restlichen Tropfen auf und barg sie in der Hand. Die Finger zur Faust verkrampft, wankte sie zur Treppe und stieg hinauf. Ihr Atem ging keuchend.
Sie empfing Signale, die der Nocturnenschwarm aussandte. Es waren primitive Regungen, die sich nur um Fressen und Überleben drehten. Nackter Instinkt. Marna erkannte, dass die Gier der Nocturnen zwei Raumschiffen galt. Die ENTSORGER-17 war demnach nicht mehr allein.
Marna Updike taumelte einen Korridor entlang und fand einen aktivierten Transmitter, der sie abstrahlte. Sie machte sich keine Gedanken, warum das geschah, obwohl die Positronik ihr Ziel nicht kannte. Sie hatte keines, es war ihr egal.
Sie materialisierte irgendwo im Tender und torkelte weiter. Ein Tor tauchte vor ihr auf, aus der Ferne erklangen die hastigen Schritte mehrerer Personen.
Marna lehnte sich schwer atmend an eine Wand. Der Paratau in ihrer Hand leuchtete nicht mehr. Die Ausläufer eines Psi-Sturms, die den Tender gestreift hatten, waren abgeklungen. Nur die Tropfen waren geblieben und ließen in der Technikerin das Bedürfnis aufkommen, sich zu konzentrieren.
Andererseits war sie müde und wollte nur noch schlafen. Das Experiment war besser verlaufen, als sie es erwartet hatte. Vielleicht war sie eine Ausnahmeerscheinung. Die Zukunft würde es zeigen müssen.
Welche Zukunft?
Ohne dass Marna sich dessen bewusst wurde, konzentrierte sie sich doch – und verschenkte damit ihre letzte Chance, unbeschadet davonzukommen.
Etwas wie ein mentaler Orkan erfasste sie und wirbelte sie mit sich. Ihr Gehirn schwoll übergangslos auf ein Mehrfaches seines Volumens an, zumindest bildete sie es sich ein. Es war das erste bedrohliche Anzeichen, das Marna nicht beachtete. Erneut wurden ihre Gedanken von der Wucht eines psionischen Sturms gefangen.
Marna Updike fühlte sich über Raum und Zeit erhaben. Sie sah die Sonne Zyklop und den zum Spielball des Parataus gewordenen Tender ebenso wie das näher kommende Keilschiff. Zugleich wusste sie, dass beide Raumschiffe ihrem Schicksal nicht entgehen würden. Sie wusste es, aber dennoch unternahm sie nichts dagegen. Sie war nicht mehr die Hanse-Spezialistin, denn ihr Bewusstsein wurde von dem Nocturnenschwarm geradezu aufgesogen. Wirre, unverständliche Gedanken fielen über sie her ...
... und brannten etwas in ihr ein, das nichts mit dem Schwarm selbst zu tun hatte. Diese Nocturnen waren nach wie vor nicht intelligent. Was Marna mit plötzlich empfing, war jedoch der Ansturm einer intelligenten Lebensform. Sie klammerte sich daran fest und spürte eine heftige Warnung, die ihr Angst vor den Folgen ihres Tuns machte.
In ihrer Hand löste sich das restliche Psichogon auf. Eigentlich hätte ein Tropfen für eine ganze Stunde ausreicht müssen. Marna hatte jedoch zehn Tropfen in nicht einmal 30 Minuten verbrannt und deren psionische Kraft aufgezehrt.
Eine neue Schmerzwoge tobte durch ihr Gehirn. Nun war es allerdings, als trenne jemand sie gewaltsam von dem Nocturnenschwarm. Marna Updike schrie und stürzte und schleppte sich weiter bis zum nächsten Transmitter. Sie wurde entstofflicht und wiederverstofflicht und fühlte sich von starken Händen aufgehoben und weggetragen.
»Sessel!«, hörte sie jemanden sagen, ohne zu verstehen, was damit gemeint war.
Sie starrte um sich und sah Wesen, die sie erst nach langem Zögern als ihresgleichen erkannte. Ihr fehlte der Begriff, den sie dazu brauchte, er fiel ihr nicht ein. Sie wusste nicht mehr, dass es Menschen waren, dass sie selbst ein Mensch war.
»Lenz ist grün und gelb und allfarbig«, lallte sie. »Marna hat einen Schwarm, großen Schwarm, sehr lieb!«
Sie erhob sich ruckartig und ballte die Hände zu Fäusten. »Rote Teufelsaugen! Ihr Mörder, ihr ... Nicht lieb zu Klein-Marna! Marna ist traurig!«
Aus ihren Augenwinkeln quollen dicke Tränen.
Die psionischen Eruptionen in der Tauregion nahmen stetig zu. Es war wie eine Kettenreaktion, und die beinahe vollständig steuerlose Hanse-Kogge geriet immer tiefer in ihre Ausläufer hinein. Das Keilraumschiff schaffte es nicht, eine stabile Umlaufbahn um Zyklop einzuschlagen. Die Gravitation der roten Sonne zerrte bereits an ihm, und die Psi-Stürme brachten die Steuersysteme so gründlich durcheinander, dass sie den Sog eher noch unterstützten, statt sich ihm zu entziehen.
»Vierhunderttausend Kilometer bis zur Korona!«, meldete Gandolf Rius. »Verdammt, Anson, das schaffen wir nicht!«
Der Kaiser von Olymp schwieg. Er saß steif im Kommandantensessel und schien überhaupt nichts zu unternehmen, dennoch wurde die Kogge von ihren Triebwerken aus der Bahn gestoßen. Sie machte einen wahren Sprung vorwärts, folgte dem Tender und holte in einem waghalsigen Manöver auf. Der Vario-500 hatte sich mit der Steuerpositronik verbunden und handelte schneller und präziser, als ein Mensch dies vermocht hätte.
Rumus Sharman, der als Emotionaut ausgebildet war, wurde sich einmal mehr der Tatsache bewusst, dass er eigentlich nicht gebraucht wurde. Das galt indes nur für Situationen, in denen Anson Argyris sich dazu herabließ, selbst die Flugkontrollen zu übernehmen.
Der Abstand zum Tender verringerte sich immer schneller. Die Tauregion war nicht weit voraus.
»Eine Eruption!«, warnte Gandolf Rius. Er spürte die Veränderung, bevor die Schiffssensoren sie registrierten. »Achtung – jetzt!«
Ein wuchtiger Schlag schien den Schutzschirm der Kogge zu treffen und ihn sozusagen zu durchdringen. Die Schiffszelle dröhnte, unmittelbar übertönt vom Heulen des Alarms. Ebenso jäh verstummten die Sirenen wieder, von Argyris abgeschaltet. Die REDHORSE steckte schon tief im Toben eines heftigen Psi-Sturms, der stärker wurde als alle zuvor beobachteten.
»Zwei Triebwerke wegen Überhitzung ausgefallen!«, rief Gero Rius, mehr für die Crew bestimmt als für den Kommandanten, der seine Informationen ohnehin unmittelbar von der Hauptpositronik bezog. »Wir verlieren Energie!«
Die Ortungsdaten zeigten die Echos des Nocturnenschwarms. Das enorm weit ausgedehnte Gebilde war in einer Kurztransition näher gekommen und schien die REDHORSE einhüllen zu wollen. Die extrem feinen Quarzfladen schillerten im Widerschein der Sonne. Der Weltraum schien von einem unheimlichen, zugleich überaus faszinierenden Feuer erfüllt zu sein.
»Gero, das ist deine Aufgabe!«, sagte der Kaiser von Olymp ruhig. »Wenn wir es schaffen, dann nur mit deiner Hilfe!«
Gero Rius kam zum Platz des Kommandanten. Äußerlich war er nicht von seinem Zwillingsbruder zu unterscheiden. Allerdings hatte seine angeborene Übersensibilität nichts mit Gandolfs »Hyperfühligkeit« zu tun, sondern erstreckte sich auf alles maschinell Funktionierende. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand Gero Fehlfunktionen und führte Reparaturen aus, an die sich kein anderer gewagt hätte. Ihn und Gandolf nannten alle an Bord ihrer Fähigkeiten wegen einfach »die Lauscher-Zwillinge«.
Gero lauschte erkennbar angespannt. Er achtete aber nicht auf den Hyperfunk wie Gandolf, der einen Dauerfunkspruch zur ENTSORGER schickte. Seine Aufmerksamkeit galt den Maschinensektoren. Eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse dröhnte durch die Zentrale, kaum dass er die akustische Übertragung hochschaltete. Sekunden nur, dann regelte die Automatik den Lärm herunter. Doch der Chefingenieur hatte schon genug herausgehört.
»Es gibt Probleme!«, rief er Argyris zu und hastete zum Transmitter. Ungeachtet des im nahen Raum tobenden Psi-Sturms nutzte Gero diese Transportmöglichkeit. Sekunden später meldete er sich aus der Energiestation: »Hier werden gleich mehrere Meiler kritisch! Seht euch vor!«
Die Warnung kam zu spät. Der Schutzschirm der Kogge brach flackernd zusammen, und die Nähe des verrückten Nocturnenschwarms wirkte sich übergangslos aus. Wo im Schiff Hyperenergie eingesetzt wurde, begann diese abzufließen.
Ein neuer wuchtiger Schlag schien die Kogge zu treffen. Die Absorber wimmerten unter der jäh auftretenden Belastung. Anson Argyris reagierte nicht darauf, denn den äußeren Einflüssen gab es ohnehin nichts entgegenzusetzen.
Der Panoramaschirm zeigte die ENTSORGER-17. Der Flottentender der DINOSAURIER-Klasse war ein beeindruckendes Gebilde. Die Plattform allein durchmaß zwei Kilometer, der angeflanschte Kugelraumer beachtliche 750 Meter. Die träge Form ließ das Bocken und Schlingern des Schiffes besonders gut erkennen.
Gandolf Rius schrak aus seiner Konzentration auf. Er achtete nicht mehr auf den Nocturnenschwarm, sondern wartete auf eine Antwort aus dem Tender. Sie kam nicht. Allerdings zeigte sich ein wenige Sekunden anhaltender schwacher Lichtschimmer drüben an der Plattform.
»Wir müssen näher ran!«, drängte Sharman.
Die Kogge wurde ohnehin auf den Tender zugetrieben. Mittlerweile war sie aber auch in eine unkontrollierte Rotation versetzt worden.
Die Triebwerke dröhnten. Wieder machte die REDHORSE einen Satz nach vorn, driftete längs an dem Tender vorbei, stoppte ab und näherte sich gleich darauf, erneut schneller werdend, der Plattform fast auf Kollisionskurs.
»Alles abschalten, Gero!«, mahnte Anson Argyris.
Das Rumoren der Triebwerke verstummte. Die starken Scheinwerferbatterien der Kogge flammten auf. Wie aus der Weltraumschwärze ausgestanzt wirkten die jäh entstehenden hellen Flecken auf der Hülle des Tenders. Die Scheinwerferbündel tasteten rasch weiter; sie suchten nach der Hangarschleuse, von der das Lichtsignal ausgegangen war.
»Ich brauche zehn Sekunden!«, stieß Argyris hervor.
Die Suchscheinwerfer vereinten sich in einem grellen Aufleuchten. Auf den Schirmen wurden die Traktorstrahlen als Grafiken eingeblendet. Sie griffen zu dem Rumpfsegment hinüber, und die Messwerte zeigten an, dass mehrere Objekte von dem Traktorfeld erfasst wurden. Gleichzeitig wirbelte der Psi-Sturm die REDHORSE weiter, nicht vollends auf den Tender zu, sondern unter der Plattform hindurch. Die Distanz wuchs wieder an.
»Gero!«, brüllte Anson Argyris gegen den aufkommenden Lärm an. »Unternimm etwas, oder wir fallen dem Schwarm zum Opfer!«
Ein schwer verständliches Keuchen antwortete. Wer genau hinhörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass der Chefingenieur nach einem Hochenergiedraht verlangte.
»Draht ist in dem Versorgungsschacht, keine zehn Meter von dir!«, rief Argyris. »Trenne ein Stück aus irgendeiner untergeordneten Versorgungsanlage heraus – alles andere würde zu lange dauern! Lieber ein beherrschbarer Schaden als ...«
Gero Rius antwortete mit einem Fluch, der selbst dem Kaiser Ehre gemacht hätte.
Der nächste Psi-Sturm brach los, diesmal am anderen Ende der Tauregion. Dennoch wirkte er sich schon Minuten später aus. Das Traktorfeld war da gerade erloschen, die vom Tender Geretteten befanden sich in der Kogge. Gleichzeitig erhellte sich der Hochenergiedraht, den Gero Rius verlangt hatte. Der Schutzschirm baute sich flackernd auf und stabilisierte sich.
»Ich brauche fünf Triebwerke, nicht mehr, dazu eine Notetappe durch den Linearraum!«, drängte Anson Argyris.
Wie Gero Rius das Kunststück fertigbrachte, würde wohl immer sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls gelang es schon wenige Minuten später, die Kogge zu beschleunigen und in Sicherheit zu bringen. Sie überwand fünf Lichtminuten in einer spontanen Blindtransition. In der Sekunde, in der sie in den Normalraum zurückfiel, brach der überlastete Schutzschirm zusammen.
Argyris erhob sich von den Kontrollen und forderte Rumus Sharman mit einer knappen Kopfbewegung auf, den Kommandantenplatz zu übernehmen. Es war nun Sache des Epsalers, dass die REDHORSE eine Warnung an alle Schiffe in Fornax sendete und zugleich den Rückflug zum Kontor antrat. Bescheidene 4000 Lichtjahre waren keine Affäre.
Der Kaiser suchte den Hangar auf, in dem die Geretteten von mehreren Ärzten und Medorobotern in einer Erstversorgung betreut wurden. Nigel Calder kannte er schon von mehreren Funkkontakten. Mit den anderen hatte er bislang nicht zu tun gehabt.
Eine Frau fiel Argyris sofort auf. Er erkannte auf den ersten Blick, wie extrem verwirrt sie sein musste, und er brachte ihren Zustand sofort mit dem Paratau in Verbindung.
Sie kam auf ihn zu und krallte ihre Finger in seinen rechten Oberarm, als wolle sie nie wieder loslassen.
»Er ist ein Narr«, brachte die Frau abgehackt und wimmernd hervor. »Aber er weiß, was vorgeht. Der Narr von Fornax weiß alles!«
Sie hatten die ENTSORGER-17 nicht mehr bergen können. Der von dem Nocturnenschwarm aller fünfdimensionalen Energie beraubte Tender war in der Korona der Sonne verglüht. Der Schwarm hatte sich währenddessen bis zum vierten Planeten zurückgezogen und sich auf dessen Nachtseite in Sicherheit gebracht. Das war zweifellos eine Instinktreaktion gewesen, denn die Paratau-Region verging in einer gewaltigen Psi-Explosion, die sich weit ausbreitete. Der Sturm vernichtete für die Hanse wertvolle Tauvorkommen, und seine Auswirkungen würden zweifellos wochenlang nachwirken.
Anson Argyris setzte die gerettete Besatzung des Tenders auf Kontor Fornax ab.
Dort war erst kurz vorher ein Kurierschiff aus der Pinwheel-Galaxis M 33 eingetroffen. Dessen Kommandant berichtete über das Eingreifen der Shana, die einen Krieg verhindert hatten. Zum ersten Mal war von den Maakar die Rede, vor allem aber von dem Friedenspakt zwischen der Kosmischen Hanse und den Kartanin mit dem Recht für beide Parteien, den Paratau in Fornax zu ernten.
»Da frage ich mich, wofür wir hier die ganze Zeit gearbeitet haben ...«
Mit dem leicht verbittert klingenden Kommentar empfing die Kontorchefin Leila Terra den Kaiser auf einer Terrasse des Hauptgebäudes, von der aus der Blick weit über das St. Elms-Meer schweifen konnte.
»Ich verstehe dich«, sagte Argyris. »Doch Abkommen ist Abkommen, und den Nocturnenstöcken dürfte es herzlich egal sein, wer ihre Galaxis entsorgt. Es ist ohnehin genug Paratau für alle da. Zudem hat das Psichogon nicht nur Vorteile. Nigel Calder wird dir Näheres darüber berichten können.«
Anson Argyris schilderte seinerseits das Geschehen im Zyklopsystem. Es war ungewöhnlich, dass ein Nocturnenschwarm in keiner Weise auf die Passagesymbole reagierte. Noch dazu, dass er in einen Bereich einflog, in dem eine Tauregion unmittelbar vor der Deflagration stand.
»Ich werde den Weisen von Fornax aufsuchen«, schloss der Vario-500. »Weil ich in der Hinsicht einige Fragen an ihn habe.«
»Kein Einwand meinerseits«, sagte Leila und schenkte Argyris ein herausforderndes Lächeln. »Du kannst die Zeit nutzen, während ich auf Terra sein werde.«
»Adams ruft dich zurück?«
Die Kontorchefin deutete auf die Datumsanzeige an der Wand des Gebäudes. Sie zeigte den 15. Juni 430 NGZ. »Er hatte nichts eiliger zu tun als das HQ Hanse aufzusuchen, nachdem die Angelegenheit in der Heimat der Kartanin geklärt war. Homer ist nicht gut auf Stalker zu sprechen. Er glaubt, dass der Sotho ihn buchstäblich verraten und verkauft hat.«
»Kein Wunder. Der Gesandte der ESTARTU hat von Anfang an intrigiert.«
»Ich habe außerdem einen persönlichen Grund, die Milchstraße aufzusuchen«, fuhr Leila fort. »Ich werde mein Amt als Hanse-Sprecherin abgeben. Da die Kartanin bald wieder in Fornax erscheinen dürften, ist mein Platz hier und nirgendwo sonst. Maud Leglonde, Carlo Bylk, Syrene Areyn und einige mehr haben mir bereits zu verstehen gegeben, dass es ohne mich nur halb so schön ist.«
Ein verwirrendes Farbenspiel stand in der Bildprojektion. Blitze zuckten durch das psionische Netz und ließen die sternförmige Kontur des Schiffes erahnen. Es glitt lautlos dahin, doch die Ruhe täuschte über die an Bord herrschende Nervosität hinweg. Die Panisha hatten sich versammelt. Sie lauschten aufmerksam den Worten Sotho Tal Kers. Stalker verbarg seine Erregung, so gut es ging. Ganz konnte er sie nicht zurückhalten, und schon das wenige, das offenbar wurde, steckte die Panisha an.
Das Bild an der Rückwand des Raumes veränderte sich. Die flirrenden Linien aus gleichmäßigem Grün wichen dem kühlen Licht der Sterne des Normalraums. Stalker beendete seine Anweisungen. Er verließ die Versammlung und suchte den Steuerraum der ESTARTU auf. Die drei terranischen Shana warteten dort auf ihn. Bei ihrem Anblick wurde der Ausdruck des Gesandten sofort freundlicher.
»Als erste Shada der Milchstraße habt ihr die Shan-Weihe empfangen«, sagte er. »Nun kehrt ihr an den Ort eurer Ausbildung als erfolgreiche Absolventen des vierten Schrittes zurück!«
»Die Upanishad ist unsere Erfüllung geworden«, entgegnete Nia Selegris. »Wir sind glücklich!«
»Ich weiß.« Stalker tänzelte zu den Kontrollen hinüber und beobachtete kurz den Einflug ins Solsystem. Mit 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit jagte die ESTARTU zwischen den äußeren Planeten dahin und scherte sich den Teufel um die Proteste der Raumstationen, die den interplanetaren Flugverkehr überwachten. Das Holo eines Wachhabenden baute sich auf.
»ESTARTU auf dringendem Flug!«, eröffnete Stalker, und seine Stimme quoll über vor Freundlichkeit. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die nicht anders als Mitleid heischend bezeichnet werden konnte. »Ziel des Fluges ist Tschomolungma!«
»Auch für den Sotho gelten die interplanetaren Sicherheitsbestimmungen des Solsystems«, erinnerte der Beamte. »Ausnahmen sind nur möglich nach Genehmigung durch die zentrale ...«
»Ich danke dir herzlich!«, fiel Stalker dem Terraner ins Wort. »Du bist ein aufrichtiger Freund!«
Eine knappe Geste, die Verbindung erlosch.
Stalkers Mimik veränderte sich wieder. Die Shana versuchten, in seinem Gesicht zu lesen. Je länger sie mit dem Sotho zusammen waren, desto besser gelang es ihnen, seine Stimmungen zu erkennen. Stalker wirkte aktuell leicht bedrückt, doch es wäre unhöflich gewesen, ihn danach zu fragen. Der Kodex lehrte, dass jeder Untergeordnete abzuwarten hatte, bis der Höherrangige von selbst darüber reden wollte.
Eine Stunde später trat die ESTARTU in die irdische Atmosphäre ein. Noch war das Schiff schnell, aber die Panisha bemühten sich, die Turbulenzen gering zu halten. Am Horizont erschienen die ersten Gipfel des Himalajas.
Julian Tifflor deutete auf den hellen Fleck, der sich aus dem Dunst unter den Gipfeln schälte. Sie erkannten das Plateau, das nach dem Abtragen der Bergspitze entstanden war, und die Nachbildung des Schlosses Neuschwanstein darauf. Das Schulgebäude – Tschomolungma war die alte nepalesische Bezeichnung für den Mount Everest – glich dem einst unvollendeten Schloss des letzten Märchenkönigs in jedem einzelnen Mauerstein. Es bestand jedoch aus einem hellblauen, von innen heraus leuchtenden Material mit den Eigenschaften einer Ynkelonium-Terkonit-Legierung.
Die ESTARTU verharrte über dem kleinen Innenhof. Stalker wandte sich an die drei Shana.
»Yag Veda und Ris Bhran freuen sich auf eure Rückkehr«, verkündete er. »Ihr werdet in rascher Folge die nächsten Ausbildungsschritte absolvieren und dann die Dashid-Weihe erhalten. Es wird alles sehr schnell gehen, und ich werde mit euch zufrieden sein.«
»Wir danken dir, Sotho«, sagte Tifflor. »Es ist nur bedauerlich, dass Lelila Lokoshan nicht hier sein kann.«
»Es war ihr eigener Wunsch, in M 33 zu bleiben. Trotzdem bin ich sicher, ihr werdet irgendwo wieder mit ihr zusammentreffen. In ihr steckt der Impuls der ruhelosen Sucherin.«
»Was wirst du tun, Sotho? Dürfen wir dich zu Homer G. Adams begleiten?«
»Ich weiß, was ihr damit sagen wollt. Er vertraut mir nicht mehr. Er glaubt, dass ich ihn hintergangen hätte. Nein, das muss warten. Ich habe zunächst Wichtigeres zu tun, als mich mit meinen Freund Gershwin auszusprechen.«
Er betonte den Namen Gershwin so eigenartig, wie er es nie zuvor getan hatte. Es klang wie Geishwein. Die drei Shana forschten in ihrem Wissen, ob ein Sothalk-Wort so lautete, aber sie fanden keines.
»Du hast ihn nicht hintergangen, Sotho«, stellte Nia Selegris fest. »Das Ränkespiel der Kartanin ist daran schuld.«
Stalkers Haltung drückte Zuneigung aus. Er hob die Hände zum Abschiedsgruß.
»Ich bin stolz auf euch. Ihr seid meine ersten Shana, die die Dashid-Weihe erhalten werden.«
Er sagte nicht, »ESTARTU ist stolz«, auch nicht, »der Sotho ist stolz auf euch«. Er sagte: »Ich bin stolz auf euch!« Und das, erkannten die Shana, war eine besondere Auszeichnung, die die enge Beziehung zwischen ihnen und dem Sotho weiter vertiefte. Es machte sie glücklich.
Sie verließen das Schiff. Ein Antigravfeld trug sie hinab in den Innenhof. Über ihnen verschwand die ESTARTU lautlos im Himmel.
Yag Veda und Ris Bhran empfingen sie, wie man die eigenen Kinder empfängt. Die drei Shana empfanden ein Glücksgefühl, das sie leicht und beschwingt reagieren ließ. Sie waren wieder zu Hause, in Tschomolungma.
»Was bist du eigentlich? Ein Sotho oder ein terranischer Waschlappen?«
Die ESTARTU hatte kaum die Erdatmosphäre verlassen, da kam der Animateur Skorsh aus irgendeinem Winkel der Zentrale hervor.
»Es steht dir nicht zu, mich zu kritisieren!«, sagte Tal Ker schroff und schickte die Panisha hinaus. Was nun kam, war nicht für ihre Ohren bestimmt.
»Und du vergisst, wer ich bin!«, keifte der Animateur. »Ich bin deine Seele, dein Gewissen! Ohne mich bist du ein Nichts, ein hilfloses Ding. Du würdest jämmerlich zugrunde gehen.«
»Du übertreibst.« Stalker widmete sich der Steuerung. Kaum hatte das Schiff die Neptunbahn hinter sich gelassen, aktivierte er den Enerpsi-Antrieb. Die ESTARTU verschwand aus dem Normalraum und glitt an den psionischen Linien entlang. Das Ziel war Fornax.
»Ich weiß, ich bin dir lästig«, fuhr Skorsh fort. »Aber es ist meine Aufgabe, dich zu motivieren, oder? Du hast in letzter Zeit Dinge getan, die eines Sothos unwürdig sind. Du hast dieser hässlichen Kamashitin den Titel einer Shada-Shan verliehen. Das war hoffentlich nicht dein Ernst. Und was hat es zu bedeuten, dass du den Panisha von Tschomolungma zusätzliche Anweisungen gegeben hast?«
»Zusätzliche Anweisungen?« Stalker tat aufrichtig erstaunt.
»Du hast Yag Veda und Ris Bhran angewiesen, rasch eine möglichst große Anzahl von Shana auszubilden. Du zerstörst das Wirkungs-Zeitfeld, das mit der Ausbildung verbunden ist. Du lässt den Shada keine Gelegenheit, sich Schritt für Schritt mit der Upanishad zu identifizieren!«
»Ich werde keinen Schüler überfordern. Was ich anordne, ist sinnvoll!«
Stalker wandte sich demonstrativ ab. Skorsh kletterte an einem seiner Beine empor und hangelte sich am Psi-Pressor bis zur linken Schulter. Dort ließ er sich nieder. Seine Beine baumelten vor Stalkers Brust, der lange Knorpelschwanz klatschte gegen den Rücken des Sothos.
»Es ist ein Schnellsiedekurs, so würden es die Terraner nennen«, fauchte der Animateur. »Das verstößt gegen den Kodex. Aber ich weiß, was in dir vorgeht. Langsam begreifst du, dass ich recht hatte, als ich dir Versagen vorwarf. Dir bleibt keine Zeit mehr, Sotho Tal Ker. Du stehst unter enormem Druck. Du musst Erfolg haben, doch bislang hast du nichts erreicht. Du hast versagt. Und nun flüchtest du nach Fornax, um den drängenden Problemen aus dem Weg zu gehen!«
»Ich habe Wichtiges zu erledigen, das weißt du so gut wie ich. Der Paratau ist die eigentliche Bedrohung für ESTARTU. Er rührt an dem Auftrag, den die Ewigen Krieger haben. Als Sotho bin ich verpflichtet, mich vorrangig darum zu kümmern. Die Hanse-Karawane muss aufgehalten werden, sie darf die Galaxien ESTARTUS nicht erreichen.«
Skorsh lachte unbeherrscht. »Das glaube, wer will«, kreischte er. »Ist das wirklich dein Ziel? Warum willst du plötzlich so viele Shana? Kannst du nicht warten? Du fürchtest, dass man dich bald zur Rechenschaft ziehen könnte, nicht wahr? Ich bin dein Animateur und für dich verantwortlich. Ich warne dich: Du spielst mit deiner Existenz, Tal Ker! Tu ja nichts, was gegen den Kodex verstößt. Oh, du wärest durchaus dazu in der Lage, oder? Du musst deine Aufträge erledigen. Du sollst das kosmische Wunder vorbereiten, das die Milchstraße zu einer wirksamen Abwehrwaffe gegen die Gorims macht. Die Galaktiker müssen Gefolgsleute eines Ewigen Kriegers werden!«
»Das wird unweigerlich geschehen!«, fauchte Stalker, und Skorsh zuckte unter der darin mitschwingenden Aggressivität zusammen. »Ich werde rechtzeitig über genügend Gefolgsleute verfügen, die mir gehorchen!«
Der Animateur schwang sich auf den Boden hinab und wandte sich zu einem der Ausgänge. »Du spielst mit dem Feuer!«, warnte er. »Du darfst dich nicht gegen deine Bestimmung auflehnen. Schon gar nicht gegen die endgültige, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Tu endlich das Nötige! Die Zeit ist bald um. Deine Zeit ist bald um, Sotho!«
Stalker reckte den Oberkörper vor und warf den Kopf in den Nacken. Der spitze Schädel ragte steil in die Luft, ein Zeichen des Triumphs und der Siegesgewissheit.
Die ESTARTU raste dahin und erreichte nach kurzer Zeit Fornax. Erst da erwachte Stalker aus seiner Nachdenklichkeit. Er rief die Panisha und ließ sie die Sonne Augenlicht ansteuern.
Augenlicht war ein Stern mit einem einzigen, mondgroßen Planeten, der den Namen Nachtschatten trug. Auf Nachtschatten residierte der Weise von Fornax. Stalker wollte von diesem uralten Nocturnenstock in Erfahrung bringen, wie das Problem des Parataus gründlich gelöst werden konnte. Er würde es geschickt anfangen und nach der Möglichkeit suchen, das Übel an der Wurzel zu packen. Und er würde sich mit der Hanse-Karawane auseinandersetzen müssen. Sie durfte Estartu nicht erreichen. Außerdem musste das weitere Entstehen von Paratau verhindert werden. Unter Umständen bedeutete dies die Eliminierung aller Nocturnen.
Die Panisha meldeten ein Raumschiff in der Umlaufbahn um Nachtschatten. Es war ein Keilschiff. Die Auswertung zeigte, dass es sich um die REDHORSE handelte.
Stalker reagierte wie elektrisiert: das Flaggschiff von Anson Argyris, dem Kaiser von Olymp. Er dachte an das, was Tailer Goshbon erlebt hatte. Der Springerpatriarch war einem Doppelgänger des Sothos begegnet, der keinen Psi-Pressor trug, aber ein Skorsh-Double bei sich hatte.
»Skorsh, komm zu mir!«, verlangte Stalker. Der Animateur sprang heran.
»Ich wusste es!«, rief Skorsh schrill. »Du brauchst mich und bist auf mich angewiesen. Du wirst meine Ratschläge befolgen! Dir wird endlich klar, dass dein Eigensinn mich sehr besorgt macht. Oder?«
Die Hanse-Karawane war mit allem ausgerüstet, was fremde Völker in einer weitestgehend unbekannten Mächtigkeitsballung auch nur annähernd interessieren konnte. In den Lagerräumen stapelten sich mikrotechnische Produkte von Siga und Swoofon, unzählige Hochleistungsroboter der terranischen Whistler-Werke, pharmazeutische und biotechnische Erzeugnisse von Aralon, High-Tech-Produkte wie Balpirol-Halbleiter und SERT-Hauben, akonische Kompakttransmitter mit Modulationsreflektoren, exotische Werkstoffe wie Chmorl- und SAC-Metall, STOG-Säure, Eupholita, Hogaltan, Howalgonium, Sextagonium und Ynketerk. Außerdem eine breit gestreute Palette von Kunstwerken aller Art, wobei sich vor allem bluesche Schöpfungen hervortaten. Und viele andere Dinge, die Exopsychologen der Hanse für geeignet hielten, sie in weiter Ferne anzubieten.
Alle Karracken und Koggen waren so ausgestattet, lediglich die REDHORSE bildete eine Ausnahme. Ihre Ladung bestand »nur« aus 50.000 Tropfen Paratau in einem einzigen abgesicherten Laderaum sowie aus 500 Kontracomputern.