Atlan 35: Die Seelenheiler (Blauband) - Peter Terrid - E-Book

Atlan 35: Die Seelenheiler (Blauband) E-Book

Peter Terrid

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Beschreibung

8000 Jahre vor Beginn der irdischen Zeitrechnung: Seit Orbanaschol III. den Vater des Kristallprinzen Atlan hat ermorden lassen, kämpft der junge Mann gegen den Thronräuber. Nur dank seiner Freunde konnte Atlan den Häschern Orbanaschols entkommen. Gonozal VII. wurde damals auf der Totenwelt des Arkon-Imperiums bestattet. Atlan und seinen Freunden gelang es, den Toten "wieder auferstehen" zu lassen. Zwar konnte nur der Körper reanimiert werden, dennoch ist Atlans Vater von großem Nutzen im Kampf gegen das Unrecht. Orbanaschol sieht sich mehr denn je vom rechtmäßigen Thronfolger bedroht. In seiner Not benutzt er den Magnortöter Klinsanthor, der längst die Grüfte seiner Unwelt in Richtung Arkon-System verlassen hat. Von dort bricht das gefährliche Wesen auf, um gegen den Kristallprinzen vorzugehen. Unterdessen erhofft sich Atlan Hilfe für seinen Vater auf Pepandron, der Welt der Seelenheiler. Es ist ein Planet mit vielen Geheimnissen und Gefahren ... Enthaltene ATLAN-Heftromane Heft 228: "Die Seelenheiler" von Peter Terrid Heft 229: "Das Geheimnis von Perpandron" von Kurt Mahr Heft 230: "Das Psycho-Komplott" von Dirk Hess Heft 231: "Organisation Gonozal" von H.G. Francis Heft 232: "Die Waffe des Gehorsams" von Hans Kneifel

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Nr. 35

Die Seelenheiler

Prolog

1235. positronische Notierung, eingespeist im Rafferkodeschlüssel der wahren Imperatoren. Die vor dem Zugriff Unbefugter schützende Hochenergie-Explosivlöschung ist aktiviert. Fartuloon, Pflegevater und Vertrauter des rechtmäßigen Gos’athor des Tai Ark’Tussan. Notiert am 24. Prago des Tedar, im Jahre 10.499 da Ark.

Bericht des Wissenden. Es wird kundgegeben: Seit wir auf der Totenwelt Hocatarr den Leichnam von Imperator Gonozal VII. in unsere Gewalt gebracht haben und die Flucht aus dem Hoca-System ebenso wie die körperliche Reanimation durch das Lebenskügelchen aus dem Mikrokosmos gelang, ist viel geschehen. Schon der erste Einsatz auf der Seniorenwelt Xoaixo erwies sich unter dem Strich als erfolgreich.

Wir haben Thaher Gyats »Legende« zu der eigenen gemacht: Demnach hat Orbanaschol damals seinen Bruder ausgeschaltet, um selbst an die Macht zu kommen – offiziell wurde der Unfalltod auf Erskomier verkündet, tatsächlich aber wurde der Verwundete nach Xoaixo verschleppt und dort versteckt. Gonozal wurde zum Schweigen gebracht, seine Psyche zerstört, praktisch lebt nur noch der Körper Seiner Erhabenheit. Der Imperator spricht nicht, scheint kaum etwas zu hören, von Verstehen ganz zu schweigen. Dennoch ist der Höchstedle trotz seines Zustands irgendwie seinen Bewachern entwischt, vielleicht gab es unbekannte Helfer? Es gelang uns auf Xoaixo, ihn Orbanaschols Häschern zu entreißen. Der Öffentlichkeit bekannt war bislang nur, dass Seine Erhabenheit am 17. Prago des Tarman 10.483 da Ark auf dem Planeten Erskomier bei einem Jagdunfall umgekommen war. Seither regiert sein Halbbruder Veloz unter dem Thronnamen Orbanaschol III. das Tai Ark’Tussan.

Die über Xoaixo verhängte Nachrichtensperre hatte zunächst verhindert, dass großflächig Informationen über die dortigen Ereignisse ins Imperium gesickert waren. Andererseits war und ist sie keineswegs so total, wie es sich der Fette wohl erhofft hatte. Erste Gerüchte über Gonozals Auftreten breiteten sich aus. Falgrohst erwies sich als weitere bestandene Prüfung, obgleich wir fast in eine vom Fetten und seinen Leuten vorbereitete Falle getappt wären. Mit Sonnenträger Olfkohr und seinen Leuten haben wir fortan Unterstützer auf unserer Seite, deren Wert kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Mein alter Freund ist bereit, für unsere Sache zu kämpfen – und einen Ausbilder wie ihn können wir auf Kraumon gut gebrauchen. Und dann folgte unser Eingreifen bei der Schlacht im Marlackskor-Sektor am 15. Prago des Tedar 10.499 da Ark; fortan werden sich die Berichte und Gerüchte um Gonozals Auftreten noch weniger unterdrücken lassen.

Auch nach vielen Untersuchungen hat sich am grundlegenden Zustand Gonozals bedauerlicherweise absolut nichts geändert. Seine Behandlung mit dem aus den Zhy Bewussten Seins materialisierten OMIRGOS-Kristallen hatte leider nur bedingt Erfolg; er kann einfache Anweisungen befolgen, und bis zu einem gewissen Grad ist es mir über die Kristalle der 1024 Facetten möglich, Kontakt zu dem unbeseelten Körper herzustellen und Einfluss zu nehmen. Zu rein vegetativem Leben erweckt, ist und bleibt er eine biologisch lebende Larve, der das Maßgebliche fehlt. Verstand, Persönlichkeit, Geist, Seele, das Wahre Sein – egal, wie man es nennen will – haben wir nicht zurückrufen können. Ich weiß, dass Atlan es inzwischen zutiefst bereut, den toten Körper seines Vater der geheimnisvollen Wirkung des letzten Lebenskügelchen ausgesetzt zu haben.

Diese Hülle hinterlässt inzwischen, bei aller sonstigen Tragik, dennoch einen durchaus imponierenden Eindruck. Die Gestalt ist die eines hochgewachsenen Arkoniden, dessen Aussehen dem eines rund sechzig Arkonjahre alten Mannes entspricht. Von der Veränderung als Folge der Wiederbelebung ist fast nichts mehr zu sehen. Verschwunden sind die gelbliche Farbe und der pergamentartige Eindruck der Haut, sie haben einer deutlich glatteren und bleichen Konsistenz Platz gemacht. Kontaktlinsen ergeben das Rot der Augen, eine Perücke mit halblangem Haar bedeckt den kahlen Schädel – mit speziellem Biokleber unverrückbar platziert. Das markante Gesicht, das Atlans so ähnlich sieht, ist den meisten Arkoniden noch bestens bekannt. So hat Gonozal VII., Imperator des Großen Imperiums, zu seinen Lebzeiten ausgesehen.

Zwei Pragos sind seit unserer Flucht von Vayklon vergangen. Die uns aufgezwungene Schleichfahrt bedingte, dass wir uns Kraumon nur wenig genähert haben. Es war Atlans Mutter Yagthara, die uns zu einer Kursänderung überredete und sich auch durch den Hinweis auf die dringend nötige Reparatur und Instandsetzung der ISCHTAR nicht umstimmen ließ. Mit drei Transitionen wurde die Distanz zum Hoca-System überwunden, es befindet sich am Rand von Thantur-Lok, 54 Lichtjahre von Arkon entfernt. Hocatarr ist ein ungemütlicher Planet, eine düstere, wolkenverhangene Welt. Kahle Felsenberge, modrige Schluchten und ausgedehnte Sumpfflächen bestimmen das Bild der vier Großkontinente. Freiwillig würde dort vermutlich niemand landen, das Klima ist alles andere als angenehm. Und die Totenwelt ist ein einziger Friedhof! Nur höchste Würdenträger und Imperatoren werden direkt in der KARSEHRA bestattet. Die Arena der Großen Mutter ist das Kernstück der berühmten Heldengedenkstätte.

Das Sargschiff in Hocatarrs geostationärem Orbit über der KARSEHRA ist ein Diskus von rund 1200 Metern Durchmesser und etwa halb so großer Höhe. Entlang des Äquators gibt es Hunderte Andocktunnel und Zugangsrampen unterschiedlicher Länge. Der Hintergrund seiner Funktion ist, dass normale Sterbliche die Totenwelt nicht betreten dürfen. Außer ausgewählten Trauernden und engsten Verwandten eines Toten gelangt niemand auf die Oberfläche der Totenwelt oder zur Begräbnisstätte. Mit dem arkonidischen Sonnensymbol geschmückte Pilgerschiffe müssen im Orbit bleiben. Die Angehörigen übergeben die Toten dem Sargschiff und erleben die eigentliche Bestattung per Trivid mit. Selbst der Kreis der engsten Angehörigen von Hochadeligen wird klein gehalten, nicht einmal beim Tod eines Imperators betreten mehr als wenige Dutzend Personen Hocatarr. Und unabhängig davon sind es stets nur Schiffe der Priesterinnen, die überhaupt dort landen dürfen beziehungsweise zwischen Oberfläche und Sargschiff pendeln. Den Transport der Toten und ihrer Angehörigen erfolgt per Transmitter.

Hier herrscht zu unserem Glück weiterhin bemerkenswerte Stille. Die Priesterinnen wollen die Ereignisse keineswegs aufbauschen. Ganz im Gegenteil. Dass der Tod der Arkanta eine wichtige Rolle bei den geschockten Priesterinnen spielt, dass es vielleicht sogar zu internen Machtkämpfen um die Nachfolgerin kommt, wurde von uns zwar vermutet, doch es gibt in dieser Hinsicht nach wie vor keine Bestätigung. Unabhängig davon sind das ohnehin Dinge, die die Frauen der Totenwelt von jeher unter sich geregelt haben. Vor diesem Hintergrund konnten wir sicher sein, dass sie sich nicht an Orbanaschol wenden werden. Fest steht allerdings auch, dass wir uns die Priesterinnen natürlich nicht zu Freunden gemacht haben.

Und genau das ließ Atlans Mutter handeln; ihre Argumentation mag emotional geprägt gewesen sein, folgte aber der Logik. Schon vor einiger Zeit wurde Yagtharas diplomatische Note den Priesterinnen übermittelt. Ich hatte es als grundsätzlichen Versuch, die aufgepeitschten Wogen zu glätten, begrüßt. Zwischen den Zeilen wurde von Yagthara angedeutet, dass sie zu höchster Buße bereit sei, sollte es auf Hocatarr als erforderlich und angemessen betrachtet werden. Zur Not sei sie sogar bereit, den Rest ihres Lebens auf der Totenwelt in strenger Klausur zu verbringen. Die Priesterinnen hatten bislang nicht auf dieses Angebot reagiert, deshalb wollte Yagthara das Heft des Handelns in die eigene Hand nehmen, deshalb kehrten wir ins Hoca-System zurück.

Und seit einer Tonta haben wir eine Antwort vorliegen. Yagtharas Angebot der Buße, so die Kurzfassung, wird von den Totenpriesterinnen akzeptiert. Atlans Mutter hat sich entschieden. Niemand kann sie umstimmen. Dem Abschied, kurz und schmerzlos, folgte dann allerdings eine Aufforderung, die zwischen den Zeilen auch schon aus der Antwort der Priesterinnen herauszulesen war. Wir müssten uns, so Yagthara eindringlich, um das Wohl ihres Gatten kümmern und dabei keine – ausdrücklich betont: keine! – Möglichkeit außer Acht lassen. Und dann sprach sie das aus, was ich schon seit einer ganzen Weile befürchtete: »Fliegt nach Perpandron! Lasst Mascudar von den Goltein-Heilern untersuchen. Vielleicht können sie helfen …«

Meine bemerkenswert unbeherrschte Reaktion rief nicht nur Atlans Erstaunen hervor. Obwohl ich zunächst auswich, um mich zu beruhigen, blieb mir dann doch nichts anderes übrig, als von Ereignissen zu berichten, die ich am liebsten vergessen hätte …

Vergangenheit

Arkon I: 2. Prago des Dryhan 10.477 da Ark

Seine Erhabenheit war wütend. Hätte man die Türen im Kristallpalast zuschlagen können, der Imperator hätte sie genussvoll mit großem Lärm in die Fassungen geworfen. Hinter dem Höchstedlen schloss sich fast lautlos das schwere Portal. Die große, mit zahlreichen Reliefs führender Künstler versehene Platte aus goldbedampftem Arkonstahl bewegte sich auf Prallfeldern, die ein fast reibungsfreies Gleiten ermöglichten.

»Weibervolk!«, schimpfte der Tai Moas und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, während er durch die leeren Gänge in seinen Wohnbereich zurückstapfte. Dort angekommen, trank er zuerst einen großen Becher eines erfrischenden Saftes und setzte sich mit missmutigem Gesicht hinter den Tisch, der mit Datenstreifen, Dokumenten und Speicherkristallen übersät war. An der Stirnwand des Raumes reihten sich mehr als ein Dutzend Bildschirme aneinander, von denen über die Hälfte eingeschaltet war.

»Keon’athor Arbai«, rief der Imperator. »Was gibt es?«

Auf einem der Bildschirme zuckte ein hoher Offizier zusammen, drehte sich um und suchte nach dem Objektiv der Kamera. Erst als er seinerseits das Bild des Imperators erkennen konnte, begann er zu sprechen. »Euer Erhabenheit, ich habe eine Meuterei zu melden.«

Arbai machte eine kurze Pause, während der Imperator die Augen schloss und leise seufzte: »Schon wieder?«

»Es handelt sich um die Besatzungen eines Geleitzugs«, berichtete der Keon’athor. An seiner Miene war zu erkennen, dass es sich nicht um eine jener kleinen Meutereien handelte, wie sie in einer so großen Flotte wie der Arkons an der Tagesordnung waren. »Die Männer fordern, dass der Konvoi mehr Begleitschutz erhält. Ich habe vergeblich versucht, den Männern klarzumachen, dass wir zunächst Palua mit ausreichend Gerät versorgen müssen, damit wir genügend Erz fördern können, um das Metall für neue und bessere Schiffe zu bekommen. Erst dann, habe ich den Männern erklärt, könne man wieder Geleitzüge von Dutzenden schweren Einheiten begleiten lassen, früher nicht.« Der Admiral stockte. »Sind Sie krank, mein Imperator?«

Der Zhdopanthi schüttelte langsam den Kopf, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und setzte jenes zuversichtliche Lächeln auf, das er immer zeigen musste, wurde die Lage kritisch. Zuversicht, das war das, was die Offiziere und Mannschaften brauchten. Ein Imperator, der sich müde oder verzagt gezeigt hätte, wäre eine Gefahr ersten Grades für die Disziplin der Flottenbesatzungen gewesen. Solange der Imperator, der die besten nur denkbaren Informationen hatte, zuversichtlich lächelte, war der Krieg gegen die Methans zu gewinnen. Und er musste gewonnen werden, sonst war Arkon verloren. Zu viele Opfer hatte das Schlachten im Raum schon gekostet, als dass eine der Parteien sich mit weniger als der völligen Vernichtung des Gegners zufriedengegeben hätte. »Sprechen Sie weiter, Admiral. Können Sie dem Konvoi Geleitschutz geben?«

»Ich kann, allerdings müsste ich dazu eine Flanke in bedrohlicher Art und Weise schwächen.«

Der Imperator zitierte eine alte Kriegsweisheit: »Wer alles verteidigen will, verteidigt am Ende gar nichts mehr. Können Sie eine Verbindung zu den Meuterern herstellen?«

»Es wird nur wenige Augenblicke dauern, mein Imperator.«

Der Blick des Imperators flog rasch und routinemäßig über die anderen Bildschirme. Auf einem der Monitoren strebten gerade zwölf Schlachtschiffe in den Himmel über Arkon III. Es war ein beeindruckendes Bild von Kraft und militärischer Stärke. Es verlor für jene an Eindruckskraft, die schon Dutzende, manchmal gar Hunderte solcher Schiffe ausgeglüht durchs All hatten treiben sehen. Der Imperator presste die Fingerspitzen an den Kopf und massierte die Schläfen. »Ich möchte schlafen«, murmelte er so leise, dass die Mikrofone die Worte nicht auffangen konnten. »Endlich wieder einmal ruhig durchschlafen, nicht von Schlachten träumen, von Intrigen und Verrat.«

Der Bildschirm, der vor wenigen Augenblicken noch den Admiral gezeigt hatte, flackerte kurz und zeigte dann das Gesicht eines jungen Mannes. Der Imperator war erstaunt, er kannte das Gesicht. Vor einem halben Jahr erst hatte er dem jungen Offizier eigenhändig den Rang eines Sonnenträgers verliehen. Der Has’athor wurde blass, als er seinen Gesprächspartner erkannte. »Euer Erhabenheit!«

»Hören Sie zu«, sagte der Imperator ernst. »Ich habe gerade mit dem Admiral gesprochen, dem Sie und Ihre Männer unterstehen. Admiral Arbai braucht Schiffe, Schiffe jeder Zahl und Größe. Er wartet auf Nachschub von Arkon Drei. Arkon Drei wiederum wartet auf ausreichenden Nachschub an hochwertigen Erzen. Diese Erze werden auf Palua abgebaut. Dort leben mehr als dreißigtausend Männer, die auf moderne Erzförderungsanlagen warten und große Geschütze, mit denen sie die Gefahr eines Angriffs der Maahks abwehren können. Diese Männer warten auf Ihren Konvoi und seine Ladung. Und Sie wiederum warten auf Schiffe von Ihrem Admiral – erkennen Sie den Kreislauf?« Der Offizier nickte stumm. »Sie können diesen Kreislauf auch anders sehen. Wenn Ihr Konvoi Palua erreicht, bekommt Arkon bald genug Erz, um Schiffe für Geleitzüge bauen zu können. Ich gebe zu, dass dieser Konvoi ungewöhnlich riskant ist – vor allem wegen des fehlenden Geleitschutzes, aber wenn Sie nicht bald losfliegen, wird das Risiko für Arkon entschieden größer, als das Ihre jetzt ist! Haben Sie mich verstanden?«

Der Has’athor nickte. »Tai Moas, wir werden sofort aufbrechen.«

Der Höchstedle lächelte schwach. »Warten Sie noch, bis die beiden Kreuzer bei Ihnen eintreffen, die Ihnen Geleitschutz geben werden. Ich werde Anweisung an den Admiral geben, die beiden Einheiten in Marsch zu setzen.«

»Wir werden auch so unser Ziel erreichen. Lassen Sie die Kreuzer bei Keon’athor Arbai, wahrscheinlich braucht er sie dringender als wir.« Er grüßte, dann wechselte wieder das Bild.

Der Admiral starrte den Imperator verblüfft an. »Höchstedler. Selbst wenn ich den Befehl bekommen hätte, ich hätte keinen einzigen Kreuzer für den Geleitzug abstellen können. Sämtliche Kreuzer sind in den Reparaturdocks.«

»Das weiß ich, Admiral«, sagte der Imperator lächelnd und trennte die Verbindung. Im gleichen Augenblick schwand das selbstsichere Lächeln aus dem Gesicht. Der Mann stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch auf und vergrub das Gesicht in den Händen.

Leise trat ein Mann in den großen Raum, sah den Imperator, hörte auch das leise Seufzen des mächtigsten Mannes der bekannten Galaxis, und sagte: »Kann ich helfen?«

Der Imperator sah auf und zeigte ein verzerrtes Lächeln. »Fartuloon!« Seine Gestalt straffte sich. »Was führt dich her?«

»Der Zufall. Aber ich sehe, dass ich gebraucht werde. Was bedrückt Euch, raubt Euch den Schlaf und lässt Eure Hände zittern?«

»Meine Hände zittern nicht.« Der Imperator verzichtete darauf, die Hände auszustrecken, weil ihn das Lügen gestraft hätte.

Fartuloon konnte er mit seiner Behauptung nicht irritieren. »Ich bin einer Eurer Bauchaufschneider. Wenn ich Euch helfen soll, muss ich alles wissen, was für die Diagnose oder Therapie wichtig ist. Und im Fall eines Imperators gilt das sogar für Staatsgeheimnisse.«

Diesmal wirkte das Lächeln echt. »Fartuloon, lass das nicht meine Berater hören. Wenn sie erfahren, dass nichts sicher ist vor einem allzu neugierigen Bauchaufschneider, werden sie eine Revolution anzetteln.«

»Dazu brauchen sie nicht mich als Vorwand. Eine kleine Revolte ist schon jetzt im Gange.«

Fartuloon war einer der Leibärzte des Höchstedlen aus dem Großen Khasurn derer von Gonozal, der als Gonozal VII. das Tai Ark’Tussan regierte, und eine Kapazität auf allen Gebieten der Medizin. Einige Eigenheiten, die er absichtlich hervorkehrte, hatten dazu beigetragen, dass er den Ruf eines etwas schrulligen Wissenschaftlers hatte.

Er gefiel er sich stets in der Rolle des geheimnisumwitterten Mannes, verkörperte perfekt den Lebemann, der an keiner schönen Frau achtlos vorbeigehen konnte, den Gourmet, für den Speise und Trank ein Teil seines Lebensinhaltes waren. Zweifellos spielte er diese Rollen deshalb so gut, weil die durchaus seinem Charakter entsprachen. Und doch war es nur eine Maske, nicht die wahre Persönlichkeit. Fartuloon war als Yoner-Madrul nicht nur Arzt, Wissenschaftler und Philosoph, sondern von seiner ganzen Art ebenso ein hervorragender Kämpfer, der durch den Brustharnisch und das Schwert Skarg die Nähe zur Tradition der Arkon-Ritter betonte, den Dagoristas, auch Tron’athorii Huhany-Zhy genannt. Er machte keinen Hehl daraus, dass er erfolgreich als Gladiator gekämpft und sogar bei den KAYMUURTES teilgenommen hatte.

Er lebte unter Arkoniden und wurde von diesen akzeptiert, war selbst jedoch keineswegs ein Angehöriger dieses Volkes, vielleicht nicht einmal von kolonialarkonidischer Abstammung. Dies belegten seine korpulente Statur und die gelben Augen ebenso wie seine eigene Aussage, zwar an der ARK SUMMIA teilgenommen und diese bestanden zu haben, nicht aber einen aktivierten Extrasinn. Über welche besondere Eigenschaften er wirklich verfügte, war nur seinen engen Freunden und Vertrauten bekannt. Fartuloon hatte es in den Jahren seines Wirkens am Herrscherhof verstanden, eine ganze Anzahl solcher zu gewinnen, die zum Teil höchsten Positionen inne hatten. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie Gonozal VII. treu ergeben waren, so wie auch der Bauchaufschneider selbst.

Der Imperator war ein Mann, dem Ränke und Winkelzüge fremd waren. Als Oberster Befehlshaber der Imperiumsstreitkräfte stand er voll seinen Mann und versuchte angesichts des riesigen Reiches die Imperiale Regierungsebene nach besten Kräften in den Griff zu bekommen, die Tagespolitik auf untergeordneter Ebene dagegen überließ er weitgehend seinen Beratern und den dafür ernannten Regierungsmitgliedern des Berlen Than. Inwieweit diese ihn aber immer gut berieten oder ihrer Aufgabe gerecht wurden, stand auf einem anderen Khasurn-Blatt …

Fartuloon hatte aufgrund seiner Vertrauensstellung einen oft positiven Einfluss und war so etwas wie ein väterlicher Freund, obwohl er seinem Aussehen nach deutlich jünger einzustufen war – wobei allerdings niemand das genaue Alter des Bauchaufschneiders kannte. Die offizielle Akte wies als Geburtsjahr 10.441 da Ark aus, aber jeder Eingeweihte wusste, dass es falsch war. Als Fartuloon vor Jahren in die Dienste des Imperators trat, hatte er bereits so ausgesehen wie heute – korpulent, kahlköpfig, mit schwarzem Vollbart –, die Überprüfungen hatten keine Ergebnisse gebracht, und wiederholt gab es glaubwürdige Berichte, laut denen Fartuloon mit genau diesem Aussehen bereits vor dem genannten Geburtsjahr wichtigen Persönlichkeiten begegnet sein soll.

Gonozal VII. seufzte. »Ich weiß, mein Bruder ist angeblich kräftig dabei, Leute zu provozieren, die mir feindlich gesinnt sind. Auch du hast mich schon oft gewarnt, weil es längst so scheint, als meine Veloz die aufrührerischen Reden tatsächlich so, wie er sie hält. Nun ja, er ist hitzköpfig und hat – obwohl Bruder des regierenden Imperators – nicht den Erfolg bei Frauen, den er sich gern wünscht. Er ist leichtsinnig und unbedacht. Aber Veloz steht für mich über jedem Verdacht, merk dir das! Lass uns nicht weiter davon reden.«

»Er ist eine Gefahr für das Imperium«, stellte Fartuloon kalt fest. »Wenn er so fortfährt …«

»Fartuloon!«

»Ich schweige – zu diesem Gegenstand. Ansonsten aber …« Fartuloon prüfte den Puls des Imperators, maß den Blutdruck. Obwohl der Höchstedle lebhaft protestierte, unterzog ihn Fartuloon einer eingehenden Untersuchung, soweit dies ohne intensive Laborbenutzung möglich war. »Stress«, diagnostizierte er. »Überanstrengung, zu starker Druck aufs Gemüt, zu wenig Schlaf, zu viele Aufputschmittel – Ihr solltet Euch erholen, mein Imperator.«

»Ich werde deinen Ratschlag befolgen, mich in mein Privathaus beim Gonozal-Stammsitz im Kogruk-Hochland zurückziehen, Muße pflegen, viel lesen, viel schlafen, mich mit guten Freunden treffen und unterhalten – und warten.«

»Worauf warten?«

»Entweder wird man mich in die Luft sprengen, weil ich das Tai Ark’Tussan im Stich gelassen habe – oder die Maahks kommen, um sich bei mir persönlich für die Schützenhilfe zu bedanken, die ich ihnen durch meine Untätigkeit erwiesen habe. Fartuloon, willst du es nicht einsehen? Ich kann mir keine Ruhe gönnen. Auf meinen Schultern …«

»… ruht das Imperium! Den Spruch kenne ich auswendig, habe ihn oft genug gehört.«

»Außerdem bin ich körperlich in Hochform. Ich war niemals in meinem Leben so gesund wie gerade jetzt.«

»Das mag stimmen. Aber es gibt nicht nur den Körper. Euer Geist hat gelitten, Ihr seid unruhiger, hektischer geworden. Die psychische Belastung ist zur Zeit zu groß. Was macht übrigens die ehrwürdige Gemahlin Yagthara?«

»Sie schmollt.«

»Und davon lässt Ihr Euch die Nachtruhe rauben? Es ist nicht zu glauben! Ein Imperator Arkons, verliebt wie ein junger Kadett – noch dazu in die eigene Frau. Das hat es meines Wissens seit mehr als viertausend Jahren nicht mehr gegeben. Wenn ich mich recht erinnere, war es Robal der Fünfte, der seine Frau so sehr liebte – oder zu lieben wähnte –, dass er einen Admiral aus Eifersucht erschoss. Er wurde seinerzeit zum Tode verurteilt, konnte aber fliehen. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Nach ihm kam der erste Gonozal auf den Kristallthron Arkons. Wollt Ihr diesem Mann nacheifern?«

Das Lächeln des Imperators wirkte auf Fartuloon wenig beruhigend. »Ein Traum, Fartuloon, ein Traum, der so schön ist, dass er schon wieder völlig unglaublich ist. Ein stiller, friedlicher Planet, auf dem ich mit Yagthara leben könnte, wo wir unsere Kinder bekommen und erziehen könnten. Ich möchte einen Sohn haben, Fartuloon, einen Sohn, auf den ich stolz sein kann. Er soll eines Tages das Imperium regieren; er wird es gut regieren, und ich werde dann auf meinen Sohn stolz sein können …«

»Hört auf zu schwärmen. Euer Sohn würde Euch verfluchen, würde er erfahren, dass Ihr Euch entweder für das Imperium bis zum körperlichen und geistigen Zusammenbruch geschunden – oder Euch schmählich vor der Verantwortung gedrückt habt. Ihr müsst Euch endlich entscheiden. Ihr brauchst viel Ruhe, damit Eure überreizten Nerven wieder einwandfrei arbeiten können, damit Ihr wieder Entscheidungen trefft und nicht der Stress Euch beherrscht, der Euch lähmt und unsicher macht. Früher seid Ihr nie, wenn Ihr ein Problem zu lösen hattet, im Zimmer auf und ab gelaufen. Ihr solltest Euch sehen – den Rücken gebeugt wie ein alter Mann, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, die Stirn gefurcht, nervös mit den Lippen zuckend. Soll ich Euch vormachen, wie Ihr jetzt ausseht?« Die Karikatur gelang vorzüglich, wider Willen musste der Imperator lachen. »Übergebt die Staatsgeschäfte für eine Weile dem Berlen Than. Ruht Euch aus, findet wieder zu Euch selbst, und Euer gestörtes Verhältnis zu Eurer Frau wird sich auch sehr schnell wieder einrenken, wenn Ihr Euch endlich etwas mehr Zeit für sie nehmt.«

»Zeit«, seufzte der Imperator. »Zeit ist, was mir fehlt. Es muss doch einen Weg geben, meine angegriffene Gesundheit wiederherzustellen, ohne dass ich meine Aufgaben als Imperator vernachlässige.«

»Manche Dinge brauchen eben Zeit und Geduld, daran lässt sich nichts ändern, nicht einmal dann, wenn man Imperator des Großen Imperiums ist. Die Zeit überwindet jegliche Herrschaft.«

»Ich werde es mir überlegen, alter Freund. Ich sage dir dann, wie ich mich entschieden habe.«

Fartuloon empfand die Worte als Aufforderung, den Raum zu verlassen. Gehorsam zog sich der Bauchaufschneider zurück. Der Imperator biss sich auf die Lippe und dachte angestrengt nach. Die Lage war schwierig, sehr schwierig sogar. Die Fronten im Methankrieg waren alles andere als stabil, hinzu kamen Unruhen im Imperium, privater Ärger, unzuverlässige Mitarbeiter – manchmal hatte der Imperator das Gefühl, er werde eines Tages unter der Last der Verantwortung zusammenbrechen. Das aber konnte er sich nicht leisten. Es hätte das Imperium geschwächt, denn Gonozal war sich sicher, dass sein Bruder Orbanaschol, dem im Fall seines Ausscheidens das Amt des Imperators zufallen würde, das Imperium mit unfehlbarer Sicherheit in den Untergang führen würde. Zwar hätte der Imperator durchaus die Möglichkeit gehabt, diese Klemme zu umgehen und einen anderen Mann mit der Regierung zu betrauen – aber dem stand die Familienehre im Wege. Nach seinem Rücktritt würden Jahrtausende vergehen müssen, bis man das Imperium wieder einem Mitglied der Familie Gonozal anvertraut hätte. In solchen Dingen hatte man auf der Kristallwelt und im Imperium ein überaus langes Gedächtnis.

Es dauerte lange, bis sich der Imperator entschieden hatte. Es entsprach seiner Art, diesen Entschluss unverzüglich in die Tat umzusetzen.

Als Fartuloon am nächsten Morgen die privaten Gemächer des Imperators betrat, fand er seinen Freund und Patienten nicht allein vor. Der Imperator hatte es sich auf einer Liege bequem gemacht. Neben der Liege stand ein Sessel, in ihm saß ein Mann, der Fartuloon auf den ersten Blick unsympathisch war.

Der Mann war schon ziemlich alt, hager und knochig. Die Stirn war kahl, dort, wo noch Haare hätten wachsen können, waren sie geschoren. Die kahle Fläche war offenbar gründlich mit einer wachsartigen Substanz bearbeitet worden und hätte im Licht der Deckenlampen spiegeln müssen, wären nicht die Tätowierungen gewesen, die den Schädel von einer Schläfe zur anderen bedeckten. Fartuloon konnte nicht erkennen, wozu die Tätowierungen dienten und was die verworrenen Muster darstellen sollten. Immerhin wusste er ziemlich bald, mit wem er es zu tun hatte – der Mann musste einer jener Goltein-Heiler sein, die überall im Gespräch waren und trotz ihrer dubiosen Methoden Zugang zu höheren und höchsten gesellschaftlichen Schichten hatten. Der Heiler trug ein langes dunkelblaues Gewand, das mit silbernen Fäden bestickt war. Auch dieses Muster wirkte, wie die Tätowierung des Schädels, fremdartig, geheimnisvoll – und auf Fartuloon fast schon bedrohlich. Das Gesicht des Heilers zeigte die hageren, ausgemergelten Züge eines Asketen.

Fartuloon sah ihm an, dass er sich seiner Sache, so obskur sie auch sein mochte, bedingungslos hingab. Arkoniden, die sich weit über das, was sich mit dem Verstand erklären ließ, für eine bestimmte Sache engagierten, waren schon immer auf Fartuloons Misstrauen gestoßen, und dem Heiler gegenüber empfand der Bauchaufschneider fast körperlichen Ekel.

»Wer ist dieser Mann?«, fragte der Seelenheiler, als er Fartuloon sah – die Stimme klang, dass musste selbst Fartuloon zugeben, selbstsicher und vertrauenerweckend. Sie klang so, als wisse der Mann sehr genau, was er könne und wovon er rede, so, als seien seine Praktiken anerkannte Wissenschaft.

»Mein Freund und Bauchaufschneider«, sagte der Imperator.

Der Goltein-Heiler musterte Fartuloon mit sichtlicher Skepsis. »Ich glaube nicht, dass ich seine Hilfe brauchen werde.«

»Als ich von Erholung sprach, meinte ich etwas anderes.« Fartuloon sah den Mann an. »Ich halte nicht viel von solchen Methoden, wie sie diese Seelenklempner vertreten.«

»Das denken viele, bis sie selbst Hilfe brauchen – und natürlich auch bekommen. Jeder hat seine Ansichten und Verfahren – entscheidend ist letztlich, welches Ergebnis dabei herauskommt. Wer heilt, hat Recht!«

»Ich werde auch ohne Hilfe dieses …«

»Dimon Murvee«, stellte sich der Mann gelassen vor. Er schien nicht die mindeste Furcht vor einer Auseinandersetzung mit Fartuloon zu haben. Vermutlich hatte er diesen Dialog – wenn auch nicht wörtlich, so doch sinngemäß – schon viele Male durchexerzieren müssen. Es gab sicherlich nur wenige Bauchaufschneider auf den Arkonwelten, die es sich widerspruchslos gefallen ließen, dass ihnen Patienten abgejagt wurden, vor allem, wenn es sich um so prominente und somit zahlungskräftige Zayii des Hochadels handelte.

Fartuloon rief sich ins Gedächtnis, was er über Goltein-Heiler wusste: Sie galten als Ärzte der Seele. Es hieß, sie befreiten den Patienten von unreinen, unheilsamen Gedanken, die seine Seele bedrängen, und pflanzten ihm statt dessen reine, heilsame ein. Die schlechten Gedanken aber sammelten sie angeblich auf Perpandron, wo sie seit altersher ihr Hauptquartier hatten. Ein vernünftiger Arkonide konnte dieses Sammeln natürlich nur symbolisch verstehen; aber die Goltein-Heiler bestanden darauf, dass sie tatsächlich die »Substanz« der schlechten Gedanken – was immer das sein mochte – aus dem Bewusstsein des Patienten entfernten und nach Perpandron brachten, sofern die Behandlung nicht ohnehin dort stattfand.

»Fartuloon«, unterbrach der Imperator, bevor der Bauchaufschneider mit ausgesuchten Worten über den Seelenheiler herfallen konnte. »Ich habe dir gesagt, dass ich keine Zeit habe, mich zur Erholung aus den Amtsgeschäften zurückzuziehen. Dieser Mann sagt von sich, dass er mir helfen könne, ohne dass ich pausieren müsste. Warum soll ich keinen Versuch mit ihm wagen? Was kann es schaden?«

»Das wüsste ich auch gerne. Nützen wird diese … Pseudokur mit Sicherheit nicht, aber ich frage mich besorgt, was für Schädigungen sie nach sich ziehen wird.«

»Sind je Fehlschläge bekannt geworden?«, fragte Dimon Murvee siegessicher.

Fartuloon spürte den Blick des Imperators auf sich, aber er blieb bei der Wahrheit und verneinte. Triumphierend sah der Goltein-Heiler den Bauchaufschneider an. Fartuloon stieß ein unwilliges Knurren aus, dann verließ er den Raum. Auf dem Gang stieß Fartuloon auf einen alten Erzfeind, den Ersten Leibarzt des Imperators. Er hatte sein Amt zwar offiziell noch inne, war aber längst ins zweite Glied zurückgetreten – unfreiwillig, was hauptsächlich Fartuloons Einfluss zuzuschreiben war. Immerhin war der Mann ein erstklassiger Mediziner, und Fartuloon erklärte ihm rasch den Sachverhalt, hoffte darauf, dass in diesem Fall die Berufsehre hinter persönlicher Empfindlichkeit zurückstehen würde, aber Fartuloon sah sich getäuscht.

»Der Imperator trifft seine Entscheidungen nach seinem eigenen Willen, und in diesem besonderen Fall hielt er es für richtig, auch mich zu konsultieren. Da die Kuren bestimmter Leute« – Er warf einen geringschätzigen Seitenblick auf Fartuloon – »seiner angegriffenen Gesundheit offenbar nicht bekommen, riet ich ihm zu dieser Lösung.«

»Sie wollen den Imperator allen Ernstes diesem … Kurpfuscher überantworten?«, fragte Fartuloon, sichtlich betroffen.

»Neue Zeiten verlangen neue Methoden, lieber Kollege«, entgegnete der entthronte Erste Leibarzt.

Fartuloon hielt sich nur mit Mühe zurück, grüßte flüchtig, dann ließ er den Kollegen stehen. Er drehte sich nicht um, denn dass dieser ihm hinterher grinsen würde, wusste er. Grimmig murmelte er: »Jetzt gibt es nur noch eine Instanz …«

Die Zofe huschte eilig davon, als Fartuloon die Gemächer Yagtharas betrat. Die Frau des Imperators machte einen ähnlichen Eindruck wie ihr Mann, sah müde und überfordert aus. Trotz ihrer offenkundigen Schwäche zeigte sie ein freundliches Lächeln, als Fartuloon näher trat. Der Bauchaufschneider kannte die Gebräuche im Kristallpalast zur Genüge, er konnte zwischen einer echten Sympathiebezeigung und dem künstlichen Dauerlächeln unterscheiden.

»Du siehst angegriffen aus, Fartuloon«, sagte Yagthara leise. »Willst du um Urlaub nachsuchen?«

»Urlaub? Lächerlich.« Er setzte sich auf den niedrigen Hocker neben dem Ruhelager Yagtharas und suchte nach Worten. »Ich bin sehr besorgt. Ich habe deinem Mann klarzumachen versucht, dass er unbedingt Ruhe braucht, um seine überreizten Nerven zu schonen. Statt meinem Rat zu folgen, hat er sich von bestimmten Leuten einreden lassen, einen Versuch mit diesen Scharlatanen zu machen.«

»Von was für Scharlatanen redest du?«

»Ich meine diese angeblichen Seelenheiler. Ich möchte wissen, wer dem Imperator zu diesem Unfug geraten hat – der Betreffende kann nicht ganz bei Sinnen sein und …«

An der Art, wie sich die Gesichtszüge Yagtharas änderten, konnte Fartuloon ablesen, dass er nicht weiterzusprechen brauchte. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, dass sich unter den Ratgebern des Imperators, die ihn zu diesem Entschluss gedrängt hatten, auch die Frau Gonozals befand. Fartuloon stand auf, deutete eine Verbeugung an und entfernte sich rasch. Er wusste, dass er verloren hatte. »Jetzt kommt es darauf an, das Schlimmste zu verhüten …«

An Bord der ISCHTAR: 24. Prago des Tedar 10.499 da Ark

»Und was ereignete sich dann?«, fragte ich, weil Fartuloon abrupt seinen Bericht beendete.

Der Bauchaufschneider zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nichts in Erfahrung bringen. Dein Vater verbrachte in der darauffolgenden Arkonperioden viele Tontas mit dem Heiler; für eine Weile begab er sich sogar nach Perpandron. Niemand durfte die beiden stören, auch ich hatte keinen Zutritt. Was genau der Heiler mit deinem Vater angestellt hat, konnte ich nie in Erfahrung bringen.«

»Hat die Kur geholfen?«

»Es sah zumindest so aus. Dein Vater wirkte ruhiger und gelöster, aber ich hatte auch den Eindruck, dass er sich auf merkwürdige Art und Weise verändert hatte. Irgendetwas war mit ihm geschehen, hatte seinen Charakter beeinflusst – und ich bin mir bis heute sicher, dass dieser Einfluss gewiss nicht gut war. Es gab gewisse Gerüchte …«

Er brach ab, weigerte sich auch auf Nachfrage, weitere Informationen dazu mitzuteilen. Stille breitete sich in der Zentrale der ISCHTAR aus. Auch ich dachte über die Worte Fartuloons nach. Seine Ansicht stand im krassen Gegensatz zu Mutters »letztem Wunsch«. Im Frontbereich der Panoramagalerie waren Hocatarr und das riesige Sargschiff zu sehen. Noch während Fartuloon sprach, hatte die astrogatorische Abteilung Informationen zur Welt der Goltein-Heiler zusammengestellt und eingeblendet. Perpandron war der vierte von sieben Planeten der gelben Sonne Teifconth; das System befand sich knapp 3100 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene der Öden Insel fast genau unterhalb des Kugelsternhaufens Thantur-Lok, die Distanz zu Arkon betrug 17.459 Lichtjahre. Es handelte sich um ein der Kristallwelt ähnlicher Planet mit leicht höherer Gravitation und drei großen Kontinenten.

Fartuloon ließ ein unwilliges Brummen hören. Ich drehte mich zu dem dicken Bauchaufschneider herum. »Perpandron ist die Hauptwelt der Goltein-Heiler.« Fartuloon machte weiterhin ein Gesicht, als handele es sich dabei um eine militante Sekte. »Eine Gruppe von Seelenärzten, die überall im Imperium ihr Unwesen treiben. Obwohl ihre Methoden sehr umstritten sind, haben sie dennoch einen erstaunlich guten Ruf.«

»Was an ihren Methoden ist denn so umstritten?«, fragte ich. Gerade von meinem Lehrmeister hatte ich eigentlich eine andere Reaktion erwartet. Er, der sich selbst geheimnisvoll gab und genug über paranormale wie auch paramechanische Aspekte wusste, war doch sonst für »alternative Methoden« durchaus aufgeschlossen.

Fartuloon verzog das Gesicht. »Es heißt, dass sie alles Böse und Belastende aus den Seelen ihrer Patienten entfernen und förmlich sammeln. Alles Negative übernehmen sie und tragen es auf Perpandron zusammen. Ich möchte dazu anmerken, dass es eine Geisteskrankheit nur in zweierlei Form gibt – einmal als abstrakten Begriff, der in Wörterbüchern steht, zum anderen als Krankheit, die von ihrem Patienten nicht zu trennen ist. Ich halte es für absoluten Unfug, wenn behauptet wird, man könne einem Patienten durch gutes Zureden oder was auch immer den Wahnsinn entnehmen wie ein Organ und anschließend transportieren. Eine Geisteskrankheit ist entweder hirnorganisch bedingt, ist Folge einer hyperenergetischen Ursache auf das Bewusstsein oder schlicht idiopathisch!«

»Was, bitte, heißt idiopathisch?«, wollte ein Mann wissen.

»Es bedeutet, dass die Bauchaufschneider keine Ahnung davon haben«, sagte ich. »Übrigens: Wir kennen Körper ohne Bewusstseine, die dennoch leben – nämlich Androiden. Und es gibt auch real vorhandene Bewusstseine, die unabhängig vom Körper existieren. Denk nur an die Fähigkeiten der Varganen oder die der Vecorat! Die Energie und das Wirkungsspektrum eines Bewusstseins unterliegen nicht allein konventionellen Gesetzen, sondern sind ebenso im Bereich quantenmechanischer Prozesse wie auf hyperphysikalischer Ebene wirksam.«

Das Gesicht meines Lehrmeisters und Ziehvaters umwölkte sich noch stärker. »Mich stört das Theater, das die Goltein-Heiler spielen – und sich auch noch bemerkenswert gut bezahlen lassen. Die meisten ihrer Patienten müssen zwangsläufig den festen Glauben haben, durch magische, geheimnisvolle Kräfte geheilt worden zu sein. Und die Heiler tun nichts, um diesem Unfug Einhalt zu gebieten – im Gegenteil, sie fördern ihn nach Kräften. Und was ihre Heilungserfolge angeht – die können auch mit anderen Hilfsmitteln ohne Scharlatanerie erzielt werden. Ganz abgesehen davon: Man stelle sich vor, an Bord dieses Schiffes gebe es eine Fehlschaltung im Bordrechner, der daraufhin verrückt wird. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass ein fähiger Mann die Schaltung ausfindig macht und den Fehler korrigiert. Dazu wird er die einzelnen Teile so schalten, wie es technisch sinnvoll und korrekt ist. Nachher ist aber die Fehlschaltung als solche verschwunden. Der Mann wird sie unmöglich aufheben und mitnehmen können.«

»Es sei denn, er baut die schadhafte Stelle ganz aus und fügt ein neues, korrekt arbeitendes Teil an die Stelle des alten ein«, gab ich zu bedenken.

»Das mag sein. Auf die Seelenheiler übertragen, würde dies bedeuten, dass sie ihren Patienten ein Stück ihres Bewusstseins, ihres Charakters förmlich abnehmen, dafür quasi ein neues Stück Seele einbauen – das erscheint mir mehr als absonderlich. Und selbst wenn – wie würde es dir gefallen, eines Stücks deines Ichs beraubt zu werden?«

Auf der einen Seite erschienen mir seine Argumente ziemlich einleuchtend zu sein, auf der anderen Seite ließ der Tonfall, in dem Fartuloon sprach, die Vermutung zu, dass er von einem Vorurteil den Heilern gegenüber fast besessen war.

»Mein Onkel war einmal in der Behandlung eines Goltein-Heilers«, bemerkte Karmina da Arthamin plötzlich. »Und wie wir gehört haben, war auch Imperator Gonozal Patient eines Heilers.«

Fartuloon atmete zischend ein. Einen besseren Beweis für seine Befangenheit hätte er mir kaum liefern können. Er bedachte mich mit einem bitterbösen Blick. Ich begriff, dass er für die Goltein-Heiler ein Gefühl der Eifersucht empfand. Offenbar konnte er es bis heute mit seiner ärztlichen Standesehre nicht vereinbaren, dass mein Vater einmal nicht seinem Rat gefolgt war, sondern sich in die Hände von – nach Fartuloons Ansicht – Quacksalbern und Scharlatanen begeben hatte. Führte ich mir die über sie vorliegenden Berichte vor Augen, war ich alles andere als überzeugt, genau das in ihnen zu sehen.

Die Entscheidung meiner Mutter war eindeutig. Deutlich erinnerte ich mich ihres Auftretens, als wir auf Kraumon die Reanimierung meines Vater mit dem letzten Lebenskügelchen diskutiert hatten. Es war ausgerechnet sie gewesen, die aufstand, mich mit brennendem Blick ansah, dann die anderen und mit leiser Stimme sagte: »Frage eins: Ist es möglich? Antwort: Ja. Frage zwei: Dient es unserem Ziel und damit dem Großen Imperium? Antwort: Ja. Frage drei: Würde Mascudar einem solchen Vorhaben unter den gegebenen Voraussetzungen zustimmen? Antwort: Ja! Frage vier: Stimme ich zu? Antwort: Ja! Ich will, dass wir es versuchen – ich will, dass dieses fette Scheusal von Brudermörder endlich vom Thron gefegt wird! Das Tai Ark’Tussan befindet sich in einem Krieg, dessen wahre Ausmaße wir noch gar nicht abschätzen können. In einer solchen Zeit hat der Beste das Reich zu führen. Mein Mann wird es, nach allem, was wir wissen, nicht mehr können; sehr wohl aber du, mein Sohn. Du bist der designierte Nachfolger, dir steht es zu, den Kristallthron zu besteigen. Und wenn dir dabei dein toter Vater helfen kann, wird er es tun!«

Ich sagte: »Mutters Wunsch ist eindeutig! Sie will, dass wir nach Perpandron fliegen und …«

Aufgepasst! Der Impuls des Extrasinns war von schmerzhafter Stärke. Ich fuhr herum. Im Hintergrund der Zentrale saß mein Vater, ließ die Geschehnisse teilnahmslos über sich ergehen. Ein Medoroboter stand bereit; Bauchaufschneider Albragin hatte die persönliche Betreuung übernommen. Es war erschütternd, diesen lebenden Leichnam zu sehen. Aber jetzt war plötzlich Leben in ihn gekommen. Er, der so gut wie nichts mehr tun konnte, wenn man ihn nicht mit einfachen, kurzen Anweisungen und Befehlen dazu brachte, richtete sich unvermittelt auf. Der Blick meines Vaters war auf den Bildschirm gerichtet, der den Planeten Perpandron zeigte. Seine Lippen öffneten sich, er begann zu stammeln, unverständliche Silben, die keinen Sinn ergaben.

Ich schluckte, spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Fartuloon war blass geworden, die Männer sprangen von ihren Sitzen auf und starrten auf meinen Vater, der langsam zum Bildschirm hinübertappte. Er drehte den Kopf, aber der Blick war leer, schien durch mich hindurchzugehen. Doch er deutete auf den Bildschirm, wo das Teifconth-System mit Perpandron dargestellt war. Sein Lallen war unverständlich, aber ich wusste sofort, dass es zwischen meinem Vater und dieser Welt eine geheimnisvolle, fast gespenstisch anmutende Beziehung gab.

Ich trat zu meinem Vater, legte ihm den Arm um die Schulter. Es gab etwas in diesem nicht mehr beseelten Körper, etwas lebte noch darin, aber es war nicht genug, um ihn wieder in die Welt der bewusst Lebenden zurückzuführen. Behutsam führte ich ihn an seinen Platz zurück. Mein Vater wirkte völlig erschöpft, Albragin injizierte ein Beruhigungsmittel. Meine Gedanken beschäftigten sich mit meinem Vater und dem Planeten der Heiler. Es gab für mich keinen Zweifel mehr – wenn ich etwas für meinen Vater tun wollte, musste ich Perpandron anfliegen. Vielleicht hatten die geheimnisumwitterten Goltein-Heiler tatsächlich ein Mittel oder eine Methode, mit dem oder der die nur unvollständig geglückte Wiedererweckung vollendet werden konnte.

»Funkverbindung zu Hocatarr«, befahl ich. »Anfrage, ob die Priesterinnen Kontakte zu den Seelenheilern haben. Wenn ja, wäre es auch in ihrem Sinne, könnten sie einen … hm, Termin vereinbaren. Am besten so, dass es so unverfänglich wie möglich aussieht.«

Fartuloon seufzte und wandte sich an mich. »Was hast du vor?«

»Ich beabsichtigte, Perpandron anzufliegen. Wir werden Mutters Wunsch umsetzen.«

Seine Miene zeigte sofort, dass er mit diesem Vorhaben überhaupt nicht einverstanden war. »Das ist heller Wahnsinn. Die halbe Galaxis ist in Aufregung, man sucht überall nach uns. Die ersten Erfolge mit Gonozal lassen sich nun nicht mehr so ohne Weiteres wiederholen; erst recht nicht mit einem Gonozal als Patient dieser … dieser …«

»Ich bin dabei.« Ich musste mich nicht erst herumdrehen, um zu wissen, wer das gesagt hatte. Ras Tatendrang kannte wieder einmal keine Grenzen. Ich nickte kurz, während Fartuloon erbittert den Kopf schüttelte.

»Ich glaube, Sie sehen die Angelegenheit zu einseitig, Fartuloon«, mischte sich Karmina da Arthamin ein. »Die Heiler werden – genau wie die Totenpriesterinnen – von Orbanaschol ziemlich unbehelligt gelassen; es ist kaum anzunehmen, dass es dort auch nur eine Flotteneinheit gibt. In dieser Hinsicht bestehen sie, wenn ich richtig informiert bin, auf ihre Unabhängigkeit und ihren besonderen Status. Und weil sie gerade in den Hochadelskreisen viele Erfolge haben, ist ihnen auch von dieser Seite her Unterstützung sicher.«

»Narren!«, schimpfte er. »Ein Schiff voll Narren. Will noch jemand bei diesem Wahnsinnsunternehmen mitmachen?«

»Ich!« Ich wusste nicht, was die Sonnenträgerin zu diesem Entschluss gebracht hatte, aber ihre Begleitung konnte mir nur willkommen sein. Fragend sah ich Fartuloon an, aber der Bauchaufschneider schüttelte abermals nur den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Auf seine Hilfe konnte ich demnach nicht bauen.

Unterdessen ging die Antwort von Hocatarr ein: »Ankunft avisiert, Tarnname Minol für den Patienten übermittelt und als Mitglied einer hochgestellten Familie ausgewiesen. Detailinformationen im Anhang.« Nach einer Pause folgte ein Zusatz, der nur von meiner Mutter stammen konnte. »Viel Glück!«

1.

Legende von Caycon und Raimanja:… geschah in der dunklen Zeit, als das Große Imperium nur als Idee in den Köpfen einiger vorausschauender Männer existierte, dass sich Caycon und Raimanja in Liebe zusammenfanden. In dem Chaos, das damals auf Arkon herrschte, wurde ihre Liebe harten Bewährungsproben ausgesetzt, denn ihre Familien standen sich in offener Feindschaft gegenüber.

Caycon war der jüngste Sohn der Akonda-Familie, die im Großen Befreiungskrieg, der zur Loslösung vom Mutterimperium geführt hatte, eine führende Rolle gespielt hatte und die neue Kolonie im Kugelsternhaufen Urdnir regierte. Raimanja dagegen gehörte zur Sulithur-Familie, die die Opposition anführte und die politischen Ziele der Akonda-Familie erbittert bekämpfte.

Es blieb nicht bei den Auseinandersetzungen der Redner im Regierungshaus. Oft bekämpften sich Anhänger beider Familien mit der Waffe in der Hand, und manchmal tobten tagelang erbitterte Straßenkämpfe. Unter diesen Umständen konnten Caycon und Raimanja nicht darauf hoffen, die Einwilligung ihrer Familien zur Eheschließung zu erlangen. Als sie dennoch zusammenzogen, wurden sie aus ihren Familien ausgestoßen. Sie begannen ihr gemeinsames Leben nur mit den Besitztümern, die sie am Leibe trugen. Freunde halfen ihnen, sich eine Hütte zu bauen.

Als Raimanja schwanger wurde, wurde das Paar eines Nachts von Fremden überfallen, gefangengenommen und in den Weltraum entführt. Was dort mit ihnen geschah, liegt auf ewig im Dunkel der Geschichte verborgen. Aber es steht fest, dass dem Liebespaar später die Flucht aus dem Raumschiff der Fremden gelang. Sie flohen nach Perpandron, wo Raimanja nach Ablauf der Zeit einen Sohn gebar. Dieser Sohn war ein Waches Wesen, das zurückkehren und große Dinge vollbringen wird, wenn seine Zeit gekommen ist …

An Bord der PARONON: 17. Prago der Hara 10.499 da Ark

Galur da Paro hatte Angst. Furcht quälte ihn, als dasDiskusschiff im Standarduniversum materialisierte und Kurs auf den Planeten Perpandron nahm. Auf den Darstellungen der Taster zeichnete sich die Welt der Seelenheiler deutlich ab. Der junge Adlige betrachtete beklommen das Bild der Instrumente. Er hatte Angst vor dem, was auf ihn wartete, Angst vor der Möglichkeit, dass auch diese letzte Hoffnung vergeblich war, dass er mit seiner privaten Lakhros würde weiterleben müssen.

»Ich habe Angst«, sagte der Mann leise. Er war Pilot und Passagier; sonst gab es kein lebendes Wesen an Bord der schnellen Jacht. Die Geräusche, die die Pilotenkanzel erfüllten, stammten von den Maschinen der PARONON, seinem hastigen Atem und – nur für ihn hörbar – dem Hämmern seines von Furcht angetriebenen Herzens.

Angst war es gewesen, die Galur da Paro nach Perpandron getrieben hatte. Er hoffte, hier endlich diese Angst vergessen, für immer zurücklassen zu können. Aber er fürchtete sich auch davor, ein völlig neues Leben beginnen zu müssen. Seit er bewusst denken konnte, war Galurs Leben von Angst bestimmt worden. Ihm selbst war erst sehr spät klar geworden, dass er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse war, dass ihn die Furcht, die tief in seinem Innern wurzelte, leitete und führte, sein Leben einschnürte und beengte. Seine Angst hatte ihn vom Flottendienst befreit; die Angst verhinderte, dass er sich kaum an den Jagdvergnügungen des Adels beteiligte. Galur hatte alles versucht, um diesem lautlosen Würgegriff zu entkommen, aber die Angst war stärker gewesen. Perpandron war Galurs letzte Chance für ein Leben als freier Mann.

Die vierte Welt des Teifconth-Systems kam langsam näher. Ein Pfeifen aus dem Hyperkom belehrte den Adligen darüber, dass er von der planetaren Ortung erfasst worden war. Er schob den schmalen Plastikstreifen, den er auf Arkon I erhalten hatte, in den Schlitz an der Seite des Funkgeräts. Er wusste, dass auf der Karte ein Signal vorprogrammiert war, das seine Ankunft auf dem Planeten ankündigte und die Kontrolleure davon überzeugte, dass der Ankömmling kein Ungebetener war.

»Wir empfangen das Signal«, klang eine Stimme aus dem Lautsprecher. »Landen Sie auf dem Nebenfeld. Überlassen Sie den Landeanflug dem Autopiloten. Er wird Sie sicher absetzen. Ende.«

Unwillkürlich nickte der junge Mann, erst dann wurde ihm bewusst, dass man ihn überhaupt nicht sehen konnte. Gehorsam befolgte Galur die Anweisungen. Langsam senkte sich die Jacht auf den Planeten herab. Seine Größe entsprach etwa der der Kristallwelt, die Eigenrotation betrug rund achtzehn Tontas. Es war warm in der Kanzel, aber Galur da Paro begann zu frösteln. Ihn bedrückte das Bewusstsein, dass er jetzt keine Chance mehr hatte, dem Unausweichlichen zu entgehen. Die Automatik würde ihn auf dem Planeten absetzen, Galur hatte nicht die leiseste Vorstellung, was dann mit ihm geschehen würde. Unwillkürlich zog er die Jacke enger um die Schultern.

Die Automatik brachte die Jacht sanft dem Boden des Hauptkontinents näher, der als riesiges Dreieck von der nördlichen Polarregion bis weit südlich des Äquators reichte. Bald konnte Galur sehen, dass er nicht der Einzige war, der Hilfe auf Perpandron suchte. Vom rund zehn Kilometer durchmessenden Landefeld des Raumhafens nahe der westlichen Kontinentküste starteten und landeten wiederholt Schiffe, mal kleine Fahrzeuge wie die fünfzig Meter durchmessende Leka von Galur, aber auch Raumschiffe, die tausend und mehr Passagiere transportieren konnten. Er fragte sich, wie viele der Hilfesuchenden wieder gesund den Planeten verlassen mochten. »Ein Trockendock für arkonidische Wracks.«

Nicht weit vom Raumhafen und der ihn zu einem Viertel umgebenden Siedlung entfernt erhob sich als Tafelberg eine Felsplattform von beachtlichen Ausmaßen und mindestens dreihundert Metern Höhe. Die Oberseite des grob rechteckigen, fünfzehn mal sieben Kilometer großen Gebildes war bemerkenswert eben und unverkennbar Ergebnis einer sorgfältigen Bearbeitung, obwohl das rote Felsmaterial im Laufe vieler Jahrhunderte stark verwittert war.

Dennoch war für einen leidlich aufmerksamen Beobachter klar zu erkennen, dass diese gewaltige Fläche keine Laune der Natur war – zu deutlich waren die Spuren der Bearbeitung. Sie mussten von einem Volk stammen, das längst ausgestorben war und von dem es anscheinend außer dieser Plattform kein anderes Zeichen seiner früheren Existenz gab. Wer dieses Volk war, wie es einmal ausgesehen hatte, erinnerte sich Galur, war bislang nicht herausgefunden worden. Wahrscheinlich verspürten die Seelenheiler auch nicht die geringste Lust, dieses Geheimnis aufzuklären; es genügte, dass es dieses Rätsel gab, konnte es den besonderen Ruf von Perpandron doch nur erhöhen.

Im Zentrum des Tafelbergsplateaus erhoben sich die vier kuppelförmigen Hauptgebäude der Goltein-Heiler – glatte und völlig fensterlose Gebilde, von denen Galur aus der Infobroschüre wusste, dass einen Basisdurchmesser von annähernd zweihundert und eine Höhe von hundert Metern aufwiesen. Ringsum gab es inmitten parkähnlicher Bepflanzung des Felsens Dutzende kleinerer Gebäude, die in ihrer flachen Kastenform nicht der arkonidischen Kelchbauweise entsprachen; weitere Kliniken oder Unterkünfte für die Patienten und vielleicht auch Besucher.

Ein leichter Ruck ging durch den Rumpf der Jacht, als die vier Teleskopstützen aufgefahren waren und der Diskus behutsam vom Autopiloten auf dem Landefeld abgesetzt wurde. »Sie können das Schiff verlassen«, wurde Galur informiert. »Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt.«

»Witzbolde«, schimpfte er. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich irgendjemand auf einen Besuch Perpandrons freute. Das Traktorfeld der Schleuse nahm Galur und sein Gepäck auf und setzte ihn sanft auf dem Boden des Landefelds ab. Es war heiß, die Sonne stand fast senkrecht über dem Mann. Ein angenehm trockener Wind wehte über die Schiffe und Arkoniden, die sich zwischen den Raumern bewegten. Ein Taxigleiter kam beutesuchend näher, Galur winkte.

Der Pilot hielt an, half beim Gepäck und ließ Galur einsteigen. »Sie sind zum ersten Mal auf Perpandron?«

Galur setzte sich und machte ein verdrossenes Gesicht. »Hier ist wohl jeder eine Art Seelenschnüffler?«

»Man bekommt so seine Erfahrungen. Ich hole seit zwanzig Jahren die Patienten vom Landefeld ab und bringe sie zu den Kliniken. Wenn man eine solche Arbeit so viele Jahre lang macht, weiß man ziemlich bald, wen man vor sich hat. Habe ich recht?«

»Ja«, bestätigte Galur unwillig. »Ich bin zum ersten Mal hier.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Erhabener. Was auch immer Sie bedrücken mag, hier werden Sie Hilfe und Heilung finden. Es gibt nichts, was man hier nicht könnte.«

Der Mann flog schnell und geschickt. Galur fand kaum Zeit, sich näher umzusehen. Überall gingen Personen; manche schlurften mit hängenden Schultern, andere wiederum sahen sich oft um, als suchten sie nach etwas. Galur spürte, dass er in eine Welt geraten war, die mit normalen Maßstäben nicht mehr gemessen werden konnte. Mehr als neunzig Prozent der Personen, die diesen Planeten bevölkerten, waren mehr oder minder erkrankt. Das Bedrückende daran war, dass diese Krankheiten lange Zeit nicht erkannt worden waren und sich verschlimmert hatten, bis es in der gesamten bekannten Galaxis nur noch einen Platz gab, an dem die Möglichkeit bestand, die Krankheiten zu heilen – eben Perpandron. Wer hier ohne Heilung abflog, dem konnte niemand mehr helfen.

»In welcher Klinik werden Sie untergebracht?«, wollte der Pilot wissen. Galur zuckte mit den Schultern. »Aber Sie werden doch wenigstens Ihren persönlichen Heiler kennen?«

»Mir wurde gesagt, ich solle mich bei Dargai Thal melden. In Hauptkuppel Zwei.«

»Ein guter Mann, ein sehr guter sogar. Ich würde behaupten, dass Thal einer der besten Heiler ist, die Perpandron je gesehen hat. Besser sind eigentlich nur Tai-Laktrote Scoopar und natürlich der Weise Mantar höchstselbst; doch Letzterer befindet sich in der Goltein-Schule auf der Kristallwelt. Tai-LaktroteKlemir-Theron ist in meinen Augen zu ehrgeizig und von sich selbst überzeugt. Ich bin sicher, Tai-Laktrote Thal wird Ihnen helfen können. Es wird allerdings nicht ganz billig sein.«

»Geld spielt keine Rolle.« Wenn ich von allen Gütern so viel hätte, wie ich an Geld habe, brauchte ich diesen Planeten und seine obskuren Heiler nicht. Und hätte ich das Geld nicht, wäre ich auch nicht hier.

»Wir sind am Ziel, Erhabener«, sagte der Fahrer.

Galur stieg aus, bezahlte den Flug und gab ein ansehnliches Trinkgeld. Während sich der Gleiter rasch entfernte, betrat Galur die Kuppel durch den Haupteingang. Im Innern war es angenehm kühl. Instinktiv zog Galur prüfend die Luft durch die Nase, aber der typische Geruch nach Krankenhaus fehlte. In der Eingangshalle gab es einen Informationsschalter. Der Roboter erklärte Galur, wo er Dargai Thal finden konnte. Galur spürte, wie seine Hände feucht wurden, als er den Gang entlangschritt. Wieder überfiel ihn die Angst und ließ sein Herz schneller schlagen.

»Sie haben also Angst?«, erkundigte sich der Seelenheiler.

Galur nickte. Angst war auch jetzt das vorherrschende Gefühl. Sie war nicht so schlimm wie sonst, aber greifbar und gegenwärtig. Angst, vermischt mit der Hoffnung, dass er sich ihrer hier würde endgültig entledigen können. Galur sah den Mann genau an. Dargai Thal war noch relativ jung; er konnte schwerlich älter als vierzig Arkonjahre sein. Das Gesicht war gleichmäßig geschnitten, fiel durch kein besonderes Merkmal auf – vom kahlgeschorenen und von arabesken Tätowierungen überzogenen Schädeldach einmal abgesehen. Die rötlichen Augen blickten freundlich, interessiert, aber auch zurückhaltend. In gewisser Weise fühlte sich Galur geborgen, gleichzeitig suchte er nach einem Weg, diesem Gespräch zu entrinnen. Galur wusste, dass er das, was er für seine absolut privaten Geheimnisse hielt, diesem Mann nicht allzu lange vorenthalten konnte. Irgendwann würde das Gespräch – und diese Unterhaltung war nicht mehr als ein Vorgeplänkel – auf die Themen kommen, die Galur nicht zu berühren wünschte, die aber gleichzeitig Kernpunkt seiner Welt waren.

»Wovor?«

Galur biss sich auf die Lippen; er konnte nicht erkennen, was sich hinter der Stirn seines Gegenübers abspielte. Thal sah ihn nur an und wartete geduldig auf eine Antwort. Was sollte Galur dem Heiler sagen, welche Antwort traf wirklich zu?

»Unter anderem auch davor, mit mir darüber zu sprechen?«

Galur nickte.

»Hören Sie zu. Es gibt viele Heiler auf Perpandron und viele Methoden zu heilen. Wenn mein Verfahren Ihnen nicht hilft oder zusagt, steht es Ihnen selbstverständlich frei, sich für einen anderen Goltein-Heiler zu entscheiden. Ich bin sicher, dass wir Ihnen werden helfen können. Es fragt sich nur, welches Verfahren wir anwenden. Meine Methode ist langwierig, kompliziert und anstrengend, sowohl für mich als auch für den jeweiligen Patienten. Dafür aber biete ich als Heilung einen hundertprozentigen Erfolg an.«

»Ich …« Galur stockte.

»Ja? Sie wollen mir etwas sagen, aber irgendetwas hindert Sie daran. Wir werden diesem Etwas auf die Spur kommen. Aber dazu brauche ich, mehr als alles andere, Ihre Mitarbeit. Wenn Sie nicht gewillt sind, hart an sich zu arbeiten, können Sie diesen Raum sofort wieder verlassen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir auf jede meiner Fragen die Antwort geben, die ihrer Ansicht nach der Wirklichkeit am nächsten kommt. Wenn dieses Etwas, das Sie bedrängt, sich einmischt und Ihnen den Mund verbieten will, dann sagen Sie mir auch das. Und jetzt füllen Sie bitte diesen Fragebogen aus.«

Thal schob Galur eine bedruckte Folie zu. Sie enthielt genau einhundert Fragen; daneben konnte Galur ankreuzen – stimmt, stimmt nicht. Manche der Fragen erschienen Galur ziemlich merkwürdig: Nach einer Party habe ich oft Lust, mit den anderen noch Leute zu ärgern. Galur grinste und kreuzte an: stimmt. Andere Fragen schienen auf Galurs Schwierigkeiten recht gut zugeschnitten: Ich bekomme vor bestimmten Ereignissen leicht Lampenfieber und körperliche Unruhe. Auch das traf zu. Vor allem der erste Satz bereitete Galur Vergnügen. Ich habe die Anleitung gelesen und bin bereit, jeden Satz offen zu beantworten. Galur verneinte ohne Zögern. Als er alle einhundert Sätze bestätigt oder verneint hatte, gab er den Bogen zurück. Der Heiler sah auf die Uhr, aber Galur konnte nicht erkennen, welche Folgerungen Thal daraus zog. Hatte er zu flüchtig gearbeitet?

Thal studierte die Folie kurz, dann sah er wieder auf. »Haben Sie schon früher einmal ein solches Persönlichkeits-Inventar gesehen oder ausgefüllt?« Galur verneinte sofort. »Sie scheinen ziemlich ehrlich zu sein, und das ist gut so.« Er bemerkte Galurs fragenden Blick. »In jedem Test dieser Art werden sogenannte Lügen-Items eingebaut. Das sind Fragen, die jeder Patient, ja auch jeder Goltein-Heiler in einer ganz bestimmten Art und Weise beantworten muss, wenn er ehrlich ist. Der Mann, der behauptet, er habe noch nie in seinem Leben gelogen, müsste ein Heiliger sein, entspräche das der Wahrheit – und Heilige pflegen uns für gewöhnlich nicht aufzusuchen. Jeder Arkonide, ob Patient oder Heiler, hat in seinem Leben bestimmt einmal etwas getan, für das er sich geschämt hat oder sich hätte schämen müssen. Wer eine solche Frage verneint, zeigt uns damit, dass er nicht zur offenen Zusammenarbeit bereit ist, und das erschwert den Fall beträchtlich oder führt zum Abbruch der Behandlung. Ich habe Ihnen dieses Spielchen nur vorgeführt, um Ihnen klarzumachen, dass Sie mich nicht werden täuschen können. Versuchen Sie es besser gar nicht erst!«

»Ich habe nichts dergleichen vor«, behauptete Galur da Paro, aber an der Miene des Heilers war nicht abzulesen, ob er an dieser Behauptung zweifelte oder nicht.

»Wollen wir sofort anfangen? Oder ziehen Sie es vor, sich erst einmal einzuleben, andere Patienten kennenzulernen oder – was ich bei Ihnen eher annehme – versuchen, sich mit einschlägiger Fachliteratur zu versehen und sich in die Materie einzulesen?«

»Woher wollen Sie das wissen?«, erkundigte sich Galur betroffen. Die Diagnose des Heilers hatte präzise gestimmt.

»Sie haben Angst. Sie hassen es, wenn Sie einen Sachverhalt oder ein Problem nicht vollkommen im Griff haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie auch versuchen werden, Ihre Behandlung jederzeit im Griff zu haben. Es liegt nahe, dass Sie versuchen werden, meinen Informations- und Kenntnisvorsprung auszugleichen, um sich selbst behandeln zu können – damit kämen Sie um etliche Einsichten und peinliche Eingeständnisse herum, glauben Sie jedenfalls!«

»Volltreffer.« Galur da Paro versuchte ein Lächeln. Es misslang. Galur stand auf, gab dem Heiler die Hand und wollte das Zimmer verlassen.

Thal hielt ihn auf der Schwelle zurück. »Übrigens«, sagte der Heiler beiläufig, »wussten Sie, dass wir eine wirkungsvolle planetare Abwehr haben?« Galur schüttelte den Kopf. »Haben Sie sich vor dieser Gefahr gefürchtet, als Sie Ihre Jacht auf Perpandron zusteuerten?«

»Ich habe keinen Gedanken daran verschwendet.«

»Sehen Sie. Da haben Sie Ihr Problem. Auf Wiedersehen.«

Völlig verwirrt verließ Galur da Paro das Zimmer des Heilers. Wie benommen schritt er durch die Gänge und Korridore und suchte sein Zimmer.

Die Anlage der Goltein-Heiler war extrem weitläufig. Es gab Dutzende Spezialkliniken und Sonderabteilungen in den Kuppeln. Jeder Heiler, vor allem die prominenten, unterhielten zusätzlich Privatstationen, in denen sie besonders interessante oder extrem schwierige Fälle einquartierten, um sie ständig unter Kontrolle zu haben. Dargai Thal hatte sich dazu entschlossen, Galur in seiner Privatstation einzuquartieren. Galur hatte einige Mühe, sein Zimmer zu finden. Er genierte sich, einen der zahlreichen Assistenten oder Roboter anzusprechen und sich nach dem Weg zu erkundigen.

So benötigte Galur fast eine halbe Tonta, bis er endlich den Raum gefunden hatte, in dem er die nächste Zeit verbringen würde, von der er noch nicht wusste, wie lang sie werden würde. Hätte der junge Adlige gewusst, dass es Patienten gab, die manchmal jahrelang behandelt wurden, hätte er auf der Stelle kehrtgemacht und wäre wieder abgeflogen. Die abschließende Bemerkung des Heilers gab Galur noch zu denken, als er die rechte Hand mit der Innenfläche auf das Wärmeschloss presste und sich Augenblicke später die Tür öffnete.

Galur wurde sofort nervös, als er den jungen Mann sah. Es handelte sich ganz offenkundig um einen zweiten Bewohner des Zimmers. Galur sah das zweite Bett und darauf den hellen Haarschopf des Mannes, der ihm interessiert entgegensah. »Herzlich willkommen«, sagte der junge Mann und stand vom Bett auf. »Ich heiße Borga Kontai.«

»Galur da Paro.«

»Aha«, machte Borga. »Und was ist deine Macke?«

»Bitte?«

Innerlich rang Galur um Beherrschung. Seinen Adelsstatus verdankte er der Tatsache, dass sein Onkel Thallur im Rang eines Ter-moas als Oberhaupt des Khasurn Ländereien auf sieben Planeten in vier Sonnensystemen hatte; überdies war er einfacher Sonnenträger und als Has’athor Kommandant eines Schlachtschiffes. Galurs Vater wie auch den beiden Söhnen – Galur und dessen jüngerer Bruder Haisoon – waren somit berechtigt, das Adelsprädikat »da« im Namen zu tragen, standen in der Erbnachfolge jedoch erst an hinterer Stelle. Drei weitere Brüder Thallurs und deren Nachkommen rangierten ebenso weiter vorn wie seine eigenen Söhne. Dennoch reichten Privilegien und eigene Besitztümer, um sämtliche Mitglieder des weitverzeigten Paro-Khasurn normalen Arkoniden gegenüber auszuzeichnen. Auch das ein Aspekt, der Galur von Kindheit an Angst bescherte.

»Ich sehe schon, noch völlig auf dem Ego-Trip. Ich will wissen, was dich hergebracht hat, Adelssöhnchen.«

»Meine Jacht.« Galur stellte die Tasche auf das Bett. Das Zimmer war groß genug für zwei Personen und ansprechend möbliert. Die Fenster lagen auf der Rückseite und wiesen auf den gepflegten Park hinter dem Gebäude.

»Heilige Phobie.« Borga seufzte. »Ein Komiker. Das kannst du dir sofort abgewöhnen, da mache ich nicht mit. Wir werden vermutlich einige Perioden, vielleicht Jahre zusammenhausen. Irgendwie werden wir uns zusammenraufen müssen, und wenn wir uns dabei gegenseitig die Nasenbeine zertrümmern müssen. Also sprich vernünftig mit mir.« Borga stand auf und ging zu Galur. »Lass nur. Das schaffst du ohne Hilfe nicht. Es gibt da ein paar Tricks, wie man in diese Kleiderschränke ein Maximum an Kleidung hineinpackt. Du wirst noch Zeit brauchen, bis du soweit bist.«

Galur fühlte sich überfordert. Mit wenigen Sätzen hatte Borga Kontai ihn überrollt und die Initiative völlig an sich gerissen. Setzte Galur sich nicht bald dagegen zur Wehr, würde er in kurzer Zeit völlig unter der Kontrolle seines Mitbewohners stehen.

»Mach nur«, ermunterte Galur den etwa Gleichaltrigen. »Ich habe mir schon immer gewünscht, einen Psychopathen als Diener zu haben.«

Borga verhielt in der Bewegung, drehte sich zu Galur um und grinste. »Gut gekontert. Scheinst doch nicht so übel zu sein, Adelssöhnchen.« An der Tür klickte es vernehmlich. Galur sprang auf. »Keine Aufregung, Bruder«, sagte Borga grinsend. »Offenbar beginnt das große Theater schon jetzt. Sie haben uns eingeschlossen.«

Während Galur sich verwirrt umsah, packte Borga rasch und geschickt die Habseligkeiten in den Schrank. Galur sah ihm interessiert zu und stellte fest, dass er bei erheblich größerem Zeitaufwand mehr als doppelt soviel Platz gebraucht hätte. »Warum hat man uns eingeschlossen?«

»Druck«, lautete Borgas einfache Antwort. »Sie setzen uns unter Druck. Wir werden erst wieder befreit, wenn wir genug geleistet haben.«

Galur setzte sich auf das Bett und schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht mit. Was soll das alles?«