Attila - Felix Dahn - E-Book

Attila E-Book

Felix Dahn

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Beschreibung

Komplettveröffentlichung aller sechs Bände in überarbeiteter Fassung Attila, König der Hunnen, beherrschte Mitte des 5. Jahrhunderts weite Teile Europas, seine Herrschaft reichte vom Schwarzen Meer bis zu den Ausläufern der Alpen. Er war ein grausamer Eroberer, der keine Gnade mit seinen Feinden kannte. Unter rätselhaften Umständen starb er in seiner arrangierten Hochzeitsnacht mit der gotischen Prinzessin Ildikó. Felix Dahn webte um diese historischen Fakten einen spannenden und literarisch anspruchsvollen Text, der auch heute noch zu unterhalten weiß. Ähnlich wie in seinem epochalen Meisterwerk »Kampf um Rom« achtete der Autor darauf, seine Geschichte so historisch korrekt wie möglich zu schreiben. Felix Dahn war Rechtswissenschaftler, Geschichtsforscher und Rektor an der Universität Breslau. Er gehörte zu den produktivsten Autoren seiner Zeit und veröffentlichte auch zahlreiche Gedichte. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 304

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Felix Dahn

Attila

Historischer Roman aus der Völkerwanderung

Felix Dahn

Attila

Historischer Roman aus der Völkerwanderung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: P. Franke, Berlin, 1935 3. Auflage, ISBN 978-3-954184-49-1

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Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Ers­tes Buch

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

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Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Zum Buch

At­ti­la, Kö­nig der Hun­nen, be­herrsch­te Mit­te des 5. Jahr­hun­derts wei­te Tei­le Eu­ro­pas, sei­ne Herr­schaft reich­te vom Schwar­zen Meer bis zu den Aus­läu­fern der Al­pen. Er war ein grau­sa­mer Ero­be­rer, der kei­ne Gna­de mit sei­nen Fein­den kann­te. Un­ter rät­sel­haf­ten Um­stän­den starb er in sei­ner ar­ran­gier­ten Hoch­zeits­nacht mit der go­ti­schen Prin­zes­sin Il­di­kó.

Fe­lix Dahn web­te um die­se his­to­ri­schen Fak­ten einen span­nen­den und li­te­ra­risch an­spruchs­vol­len Text, der auch heu­te noch zu un­ter­hal­ten weiß. Ähn­lich wie in sei­nem epo­cha­len Meis­ter­werk »Kampf um Rom« ach­te­te der Au­tor dar­auf, sei­ne Ge­schich­te so his­to­risch kor­rekt wie mög­lich zu schrei­ben.

Fe­lix Dahn war Rechts­wis­sen­schaft­ler, Ge­schichts­for­scher und Rek­tor an der Uni­ver­si­tät Bres­lau. Er ge­hör­te zu den pro­duk­tivs­ten Au­to­ren sei­ner Zeit und ver­öf­fent­lich­te auch zahl­rei­che Ge­dich­te.

*

In­for­ma­tio­nen über Gra­ti­s­an­ge­bo­te und Neu­ver­öf­fent­li­chun­gen un­ter:

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Erstes Buch

Erstes Kapitel

Dun­kel lag die schwü­le Som­mer­nacht auf dem ge­wal­ti­gen Do­naustrom. –

Fast ei­nem Mee­res­ar­me glich die un­über­blick­ba­re Brei­te der Flu­ten, die, an den bei­den Ufer­sei­ten oft in Schlamm ver­sump­fend, auch in der Mit­te des Bet­tes die un­ge­heue­ren Mas­sen ih­rer Ge­wäs­ser nur trä­ge vor­wärts wälz­ten nach Os­ten: denn sehr zahl­reich wa­ren die klei­nen Wer­der, die, mit Busch- und Baum­werk üp­pig be­grünt, dem rin­nen­den Zuge hem­mend sich vor­ge­la­gert hat­ten. – Ei­nes die­ser schma­len Ei­lan­de er­hob sich nur we­nig über den Spie­gel des Flus­ses; rings von man­nes­ho­hem Schilf um­gür­tet trug es nur ein paar Bäu­me: ur­al­te Wei­den­stäm­me, nicht sehr hoch auf­ge­schos­sen, je­doch von mäch­tigs­tem Um­fang, knor­rig, mit fan­tas­ti­schen Aus­wüch­sen an Kro­ne, Äs­ten und Rin­de.

Der Mond stand nicht am Him­mel; und die Ster­ne wa­ren be­deckt von dich­tem Ge­wölk, das der feucht­war­me Süd­west mit trie­fen­den Schwin­gen lang­sam vor sich her schob. Im fer­nen Os­ten aber zuck­te zu­wei­len fah­ler Schein über den schwar­zen Him­mel hin, geis­ter­haft, un­heim­lich; noch dro­hen­der drück­te dann die dem ra­schen Auf­leuch­ten fol­gen­de tie­fe, wie Ver­der­ben brü­tend schwei­gen­de Nacht. – – Mit lei­sem Gur­geln und Zi­schen dräng­te sich das Ge­rinn des Stro­mes lang­sam, zö­gernd an der klei­nen Aue vor­über, die, im Wes­ten breit, ge­gen Os­ten spitz zu­lau­fend, un­ge­fähr ein Drei­eck bil­de­te. Das Schilf ging all­mäh­lich auf den sump­fi­gen fla­chen Ufern der In­sel in dich­tes Wei­den­ge­büsch über und in stach­li­gen Sei­del­bast. – Rings al­les dun­kel, ein­sam, still: sel­ten nur stieg in dem tie­fen Strom ein Raub­fisch em­por, der, in nächt­li­cher Jagd, pat­schend auf­schlug: dann ein kur­z­es Krei­seln auf der Ober­flä­che – gleich wie­der al­les ru­hig.– – Da flog plötz­lich aus dem Ge­büsch des lin­ken, des nörd­li­chen Ufers ein großer Vo­gel schwer­fäl­lig auf: – laut krei­schend, mit schril­lem Warn­ruf. Er strich lang­sam auf den Wer­der zu: aber, im Be­griff, auf ei­ner der al­ten Wei­den auf­zu­bäu­men, – schon schweb­te er über de­ren Wip­fel – schwang er sich plötz­lich, jäh ab­len­kend, mit wie­der­hol­tem, aber noch viel lau­te­rem Ruf des Schre­ckens und der War­nung, hoch em­por und eil­te nun, mit has­ti­gem, scharf klat­schen­dem Flü­gel­schlag, in ganz an­de­rer Rich­tung, nach Os­ten, dem Strom fol­gend, da­von: bald war er in dem Nacht­ge­wölk ver­schwun­den.

Auf dem Ei­land aber reg­te sich’s nun leis in dem Wei­den­ge­büsch. Eine Ge­stalt, die bis­her, ganz ver­steckt in dem Strauch­werk, auf dem feuch­ten Ufer­sand sich nie­der­ge­kau­ert ge­hal­ten hat­te, rich­te­te sich ein we­nig auf. »End­lich!« sprach eine ju­gend­li­che Stim­me lei­se. Der Jüng­ling woll­te auf­sprin­gen. Aber ein zwei­ter Mann, der ne­ben ihm in dem Ge­strüpp ver­bor­gen lag, zog ihn am Arme nie­der und flüs­ter­te: »Still, Dag­har. Die den Rei­her auf­ge­scheucht, kön­nen auch Spä­her sein.«

Von dem Nor­du­fer her nä­her­te sich nun rasch der klei­nen In­sel, von dem dun­keln Spie­gel der Flut noch dunk­ler, weil mas­sig, sich ab­he­bend, ein läng­li­cher Streif, wie ein schwar­zer Schat­te da­hinglei­tend. Es war – schon konn­te man es jetzt un­ter­schei­den – ein Kahn: pfeil­schnell schoss er her­an; und doch völ­lig laut­los. Die vier Ru­der mie­den sorg­sam je­des Geräusch beim Ein­tau­chen, beim An­zie­hen und beim Auf­he­ben. – Schon flog, mit­ten im An­lau­fen ge­schickt ge­wen­det, der Na­chen nicht mit dem spit­zen Vor­der­bug, son­dern mit dem brei­ten Hin­ter­gran­sen in das dich­te Schilf: das knis­tern­de Rei­ben der stei­fen Roh­re an der da­hinglei­ten­den Sei­ten­wand des Boo­tes, das we­hen­de Rau­schen der da­bei ge­streif­ten fe­der­glei­chen Blü­ten war der ein­zi­ge wahr­nehm­ba­re Laut. Die bei­den Ru­de­rer spran­gen an das Ufer und zo­gen den Kahn noch hö­her auf das Land.

Die bei­den War­ten­den hat­ten sich einst­wei­len er­ho­ben: schwei­gend reich­ten sich die vier Män­ner die Hän­de: kein Wort ward ge­wech­selt. Schwei­gend gin­gen sie von dem Ufer wei­ter in das In­ne­re der Aue, die im Wes­ten, Nor­den und Sü­den sanft sich er­höh­te, nach Os­ten stei­ler ab­fiel; sie nä­her­ten sich so den mäch­ti­gen Wei­den­stäm­men oben auf dem Schei­tel der In­sel. Da mach­te der äl­te­re der bei­den frü­her schon An­ge­lang­ten Halt, hob das be­helm­te Haupt, warf das lang­wal­len­de wei­ße Haar in den Na­cken und sprach mit Seuf­zen: »Gleich nächt­li­chen Schä­chern müs­sen wir uns zu­sam­men­steh­len – wie zu ver­bo­te­ner Mein­tat.« »Und es gilt doch der edels­ten al­ler Ta­ten«, rief der Jüng­ling an sei­ner Sei­te, den Speer fes­ter fas­send: – »der Be­frei­ung.«

»Der Tod schwebt über un­sern Häup­tern!« flüs­ter­te war­nend der jün­ge­re der bei­den An­kömm­lin­ge, den brau­nen Bart, den ihm der nas­se Wind in das Ge­sicht schlug, nie­der­strei­chend.

»Der Tod schwebt über­all und im­mer ob den Sterb­li­chen, Graf Ger­walt«, er­wi­der­te sein Kahn­ge­nos­se: Fes­tig­keit und Zu­ver­sicht la­gen in sei­ner Stim­me. »Ein wack­res Wort, Kö­nig Ar­da­rich!« rief der Jüng­ling. »Nur die Art des To­des macht den Un­ter­schied«, nick­te der in den lan­gen wei­ßen Haa­ren. »Ge­wiss, Kö­nig Wi­si­gast«, fiel Ger­walt ein. »Und mir graut vor den Qua­len, un­ter de­nen wir ster­ben wer­den, ahnt er nur, dass wir uns heim­lich tra­fen.« Er schau­der­te.

»All­wis­send ist er doch nicht!« ei­fer­te der Jüng­ling grim­mig. »Das ist nicht ein­mal Wo­dan«, mein­te der grei­se Kö­nig. »Aber kommt«, mahn­te Ger­walt, den dun­keln Man­tel fes­ter um die stäm­mi­gen Schul­tern zie­hend. »Der Wind wirft uns plötz­lich gan­ze Schau­feln voll Re­gen in die Au­gen. Dort – un­ter der Wei­de – fin­den wir Schutz.«

Alle vier tra­ten nun auf die Nord­ost­sei­te un­ter den Schirm des brei­tes­ten der Wei­den­stäm­me: reich­lich fan­den sie hier Raum ne­ben­ein­an­der.

»Be­gin­ne gleich, Kö­nig der Ru­gen«, mahn­te Ger­walt, »und ende bald. Weh’ uns, wenn wir nicht si­che­re Stät­te wie­der­ge­won­nen ha­ben, be­vor der ers­te Ta­ges­däm­mer auf­glänzt. Sei­ne Rei­ter, sei­ne Spä­her ste­cken, ja­gen, lau­ern über­all. Wahn­sinn war es, dass ich mich be­re­den ließ, hier­her zu kom­men. Nur, weil ich so hoch dich ehre, Kö­nig Wi­si­gast, mei­nes Va­ters Freund, nur weil du, Kö­nig Ar­da­rich, mir die Schwert­lei­te gabst vor zwan­zig Win­tern, – weil ich euch bei­de war­nen will, so­lang ich Atem habe, zu war­nen. Bloß des­halb ging ich mit zu die­sem töd­li­chen Wa­ge­gang. – Mir war’s, auf dem schat­ten­dun­keln, lei­se fort­zie­hen­den Strom: – wir fah­ren nach Hel!« »Nach Hel kom­men nur Feig­lin­ge«, braus­te der Jüng­ling auf, zor­nig die dun­kel­blon­den, kurz­krau­sen Lo­cken schüt­telnd, »die den Blut­tod scheu­en.«

Der Braun­bär­ti­ge fuhr mit der Faust an das Kurz­schwert im Wehr­ge­häng.

»Be­gin­ne, Freund Wi­si­gast«, mahn­te Kö­nig Ar­da­rich, sich an den Stamm der Wei­de leh­nend und den Speer schräg vor die Brust drückend, den flat­tern­den Man­tel zu­sam­men­zu­hal­ten. »Und du, jung Dag­har, bän­di­ge dich. Ich sah die­sen Ala­man­nen­gra­fen einst ne­ben mei­nem Schildarm ste­hen, dort – an der Mar­ne – da hiel­ten nur noch die al­ler­to­des­kühns­ten Hel­den stand.« »Was ich zu sa­gen hät­te«, be­gann der Ru­gen­kö­nig, – »ihr wisst es selbst. Un­er­trag­bar ist’s, des Hun­nen Joch! Wann wird es fal­len?« »Wann die Göt­ter es bre­chen«, sprach Ger­walt.

»Oder wir«, rief Dag­har. Aber Kö­nig Ar­da­rich sah sin­nend vor sich hin und schwieg.

»Ist es etwa nicht un­er­trag­bar, Graf Ger­walt?« frag­te der Kö­nig, »Du bist ein tap­fe­rer Mann, Sua­be: und ein stol­zer Mann, stolz, wie dein gan­zes hoch­ge­mu­tes Volk. Muss ich dir vor­hal­ten, was du kennst, was du er­dul­dest, so voll wie wir? Der Hun­ne herrscht, so weit er will. Nicht Rom, nicht By­zanz wagt noch den Kampf mit ihm, dem Schre­cken al­ler Län­der! Und den Schre­cken al­ler Mee­re, den furcht­ba­ren Van­da­len Gei­se­rich, nennt er sei­nen Bru­der. Alle Völ­ker hat er sich un­ter­wor­fen von den To­ren von By­zanz im Mit­tag bis zu den Bern­stein­in­seln des Mit­ter­nacht­mee­res. Und wie herrscht er! Nach Will­kür! Nach Lau­ne ist er manch­mal groß­mü­tig, aber nur sei­ne Lau­ne auch be­grenzt ihm im­mer­dar die Ge­walt, über­all die Grau­sam­keit, den Fre­vel. Kein Kö­nig ist sei­ner Wür­de, kein Bau­er sei­ner Gar­be, zu­mal kein Weib sei­nes Gür­tels si­cher vor sei­ner Will­kür, sei­nem Ge­lüst. Je­doch tiefer noch als die an­de­ren Stäm­me, die er mit sei­nen Hun­nen be­zwang, er­bar­mungs­lo­ser tritt er uns in den Staub, uns, die Völ­ker mit lich­tem Haar und blau­em Aug’, die wir in As­gardh uns­re Ah­nen ha­ben. Uns ›Ger­ma­nen‹ – wie der Rö­mer uns nennt – nicht un­ter­drücken nur, – schän­den will er uns.«

»Aus­ge­nom­men mich«, sprach Kö­nig Ar­da­rich ru­hig, ein we­nig sich auf­rich­tend, »und mei­ne Ge­pi­den.«

»Ja­wohl«, rief Dag­har un­wil­lig, »dich – und dann noch den Ama­ler Valamer, den Ost­go­ten. Euch rühmt er sei­nen Speer und sein Schwert. Euch ehrt er, – aber um wel­chen Preis! Wo­für zum Lohn?« – »Zum Lohn uns­rer Treue, jun­ger Kö­nigs­sohn.« »Treue! Ist das der höchs­te Ruhm? Mich lehr­te man an­ders in der Ski­ren Kö­nigs­hal­le! – Der blin­de Va­ter, Kö­nig Da­go­muth, sang es zur Har­fe schon dem Kna­ben, bis ich’s spie­lend lern­te:

Reichs­ter Ruhm, Edels­te Ehre, – Höre ’s ge­hor­chend: – Ist Hel­den­schaft.«

»Und gut hast du, jung Dag­har, bei­des vom Va­ter ge­lernt: die Hel­den­schaft und das Har­fen. Den bes­ten Sän­ger, den hells­ten Harf­ner rüh­men dich rings­um Män­ner und Mai­de. Und tap­fer sah ich – zu mei­nes Her­zens Freu­de – das Schwert dich schwin­gen ge­gen By­zan­ti­ner und Skla­be­nen. Nun ler­ne noch dies: – vom äl­te­ren Man­ne ler­nen, Dag­har, ist nicht schmach­voll! – all’ Hel­den­tum hebt an mit Treue.« »Und das ist al­les?« frag­te Dag­har un­ge­dul­dig. »Von mir – zu ihm – ja!« »So hast du denn, Freund Ar­da­rich«, mahn­te Kö­nig Wi­si­gast, »kein Herz für dei­ne Stamm­ge­nos­sen, Nach­barn, Freun­de? Es ist wahr –: der Ge­pi­den und der Ost­go­ten Rech­te hat er – bis­her! – ge­wahrt: euch hält er die Ver­trä­ge ein. Aber all’ uns an­de­re? Mei­ne Ru­gen, Da­go­muths Ski­ren, die He­ru­ler, die Tur­ki­lin­ge, die Lan­go­bar­den, die Qua­den, die Mar­ko­man­nen, die Thü­rin­ge, dei­ne Sua­ben, Ger­walt, – ist es ihm nicht Wol­lust, auch den Treu­ver­blie­be­nen je­des Ver­trags­recht nach Will­kür zu bre­chen? Euch ehrt – euch be­lohnt er mit rei­chen Schatz­ga­ben, mit Beu­tean­tei­len, auch wo ihr gar nicht ge­foch­ten habt – und uns? – Uns bricht er und nimmt er, was uns ge­bührt. Glaubst du, das weckt nicht Hass und Neid?« –

»Ge­wiss«, seufz­te Ar­da­rich, den grau­en Bart strei­chend. »Es soll ihn ja we­cken!« »Er legt es dar­auf an«, fuhr der Ru­gen­kö­nig fort, »uns an­de­re zur Verzweif­lung, zum Los­bre­chen zu trei­ben.« »Um euch si­cher zu ver­nich­ten«, nick­te Ar­da­rich trau­rig.

»Des­halb fügt er zum Dru­cke den Hohn, die Schmach. So hat er den Thü­rin­gen zu der al­ten Jahres­schat­zung von drei­hun­dert Ros­sen, drei­hun­dert Kü­hen, drei­hun­dert Schwei­nen plötz­lich auf­er­legt eine Jahres­schat­zung von – drei­hun­dert Jung­frau­en.«

»Ich er­schlag’ ihn doch noch, den Jung­frau­en­schän­der!« schrie da laut jung Dag­har.

»Nie ge­langst du, Hitz­kopf«, er­wi­der­te Ger­walt, mit der Hand win­kend, »auf Spee­res­wei­te an sei­nen Leib. In dich­ten Klum­pen um­bal­len ihn über­all auf Schritt und Tritt sei­ne Hun­nen wie Bie­nen den Schwarm­korb.« – »Und die tap­fern Thü­rin­ge« – forsch­te Kö­nig Ar­da­rich sehr auf­merk­sam – »ha­ben sie’s schon be­wil­ligt?« – »Weiß nicht«, fuhr Wi­si­gast fort. – »Ja, vor ein paar Jah­ren, da ging ein Hauch des Hof­fens durch die zit­tern­den Völ­ker: sie ho­ben auf­at­mend die ge­beug­ten Häup­ter! Als dort in Gal­li­en – ge­denkst du’s noch, Freund Ar­da­rich? – je­ner Fluss nicht mehr flie­ßen konn­te – so voll lag er von Lei­chen! – und blut­schäu­mend über die Ufer quoll?«

»Ob ich’s ge­den­ke!« stöhn­te der Ge­pi­de. »Zwölf­tau­send mei­nes Vol­kes lie­gen dort.« – »Da muss­te er, der All­ge­wal­ti­ge, zum ers­ten Mal wei­chen. Dank den herr­li­chen West­go­ten und dank Aëti­us«, rief Dag­har.

»Und als er bald dar­auf«, fiel Ger­walt ein, »auch in Ita­lia um­kehr­te vor ei­nem al­ten Mann, ei­nem Pries­ter aus Rom, der an ei­nem Ste­cken ging, da hoff­ten die Ge­knech­te­ten im gan­zen Abend­land –«

»Es geht zu Ende, die Got­tes­gei­ßel ist ge­knickt«, fuhr Wi­si­gast fort. »Schon fla­cker­te dort und da die Flam­me der Frei­heit auf!« rief Dag­har. »Zu früh!« sprach der Ge­pi­den­kö­nig ernst. »Ja frei­lich, zu früh«, seufz­te Ger­walt. »Mit Strö­men Bluts hat er ge­löscht.« – »Und jetzt!« klag­te Wi­si­gast. »Ver­derb­li­che­res als je zu­vor plant er für das nächs­te Früh­jahr. Zwar sei­ne letz­ten Zie­le hält er noch streng ver­hüllt: – nur ah­nen mag man sie: – aber un­ge­heu­er müs­sen sie sein, nach den un­ge­heue­ren Mit­teln, die er auf­bie­tet. All’ sei­ne Völ­ker – wohl vie­le hun­dert Na­men! – aus bei­den Erd­tei­len! Und aus dem drit­ten, aus dem mit­tä­gi­gen Land, aus Afri­ka, reicht ihm der Van­da­le die Hand zum fürch­ter­li­chen Bun­de!«

»Wem mag es gel­ten? Wie­der dem Wes­ten?« forsch­te Ger­walt. »Oder dem Ostreich?« frag­te Dag­har. »Oder bei­den!« schloss Ar­da­rich. »Wie dem sei«, fuhr der Ru­gen­kö­nig fort, »sechs­mal so stark wie vor drei Jah­ren wird er sein! Und die Geg­ner? In By­zanz ein Schwäch­ling auf dem Thron! Im Wes­ten? Aëti­us in Un­gna­de bei Kai­ser Va­len­ti­ni­an, vom Mör­der­dolch be­droht. Bei den West­go­ten drei, vier Kö­nigs­brü­der, ha­dernd um die Kro­ne. Ver­lo­ren ist die Welt, für im­mer­dar ver­lo­ren, wer­den auch Gal­li­en und Spa­ni­en ge­knech­tet. Dann stür­zen auch By­zanz und Rom. Er muss fal­len, be­vor er aus­zieht zu die­sem letz­ten Kampf, zu ei­nem zwei­fel­lo­sen Sieg. Sonst ist der Erd­kreis ihm ver­knech­tet. Hab’ ich recht oder hab’ ich un­recht, Freund Ar­da­rich?«

»Recht hast du«, seufz­te der und drück­te die ge­ball­te Lin­ke an die Stirn.

»Nein, un­recht hast du, Kö­nig Wi­si­gast!« rief der Ala­man­ne da­zwi­schen. »Du hät­test recht, wär’ er ein Sterb­li­cher wie wir und gleich an­de­ren Sterb­li­chen be­zwing­bar. Er aber ist ein Un­hold! Der Chris­ten­höl­le ent­stie­gen! so rau­nen un­se­re Pries­ter des Ziu, ei­nes Un­holds Sohn und ei­ner wöl­fi­schen Al­rau­ne. Speer nicht spürt er, Schwert nicht schlägt ihn, Waf­fe nicht wun­det! Ich hab’ es er­lebt, ge­se­hen! Ich stand ne­ben ihm an je­nem Strom in Gal­li­en: ich stürz­te, und Hun­der­te, Tau­sen­de stürz­ten ne­ben mir un­ter dem Ge­wölk von Pfei­len und von Spee­ren: er stand! Auf­recht stand er! Er lach­te! Er blies – ich hab’s ge­se­hen! in den spit­zen, kar­gen Kinn­bart – und die rö­mi­schen Pfei­le prall­ten wie Stroh­hal­me zu­rück von sei­nem Elchvließ. Dass er kein Mensch ist, das zeigt am bes­ten sei­ne – Grau­sam­keit!«

Er ver­stumm­te und schau­der­te. Er schlug bei­de Hän­de vor die Au­gen. »Drei­ßig Jah­re sind es bald«, fuhr er nach ei­ner Wei­le fort. »Ich war ein Kna­be. Aber im­mer noch seh’ ich sie vor mir – auf den spit­zi­gen Pfäh­len sich win­dend, noch hör’ ich sie brül­len vor Schmerz – im Aufruhr ge­gen den Schreck­li­chen von ihm ge­fan­gen – den grei­sen Va­ter, den Bru­der, die ganz schuld­lo­se Mut­ter. Und – vor un­sern Au­gen! – mei­ne vier schö­nen Schwes­tern zu Tode ge­quält von ihm, dann von sei­nen Ross­knech­ten! Mir stieß er das Ant­litz auf den zu­cken­den Leib des Va­ters und sprach: ›So en­det Un­treue wi­der At­ti­la. Kna­be, ler­ne hier die Treue.‹ – Ich habe sie ge­lernt!« schloss er mit be­ben­den Lip­pen.

»Auch ich«, sprach der Kö­nig der Ge­pi­den. »An­ders: aber noch ein­dring­li­cher. Den Schre­cken? Ich würd’ ihn ab­schüt­teln. Ich hat­te ihn ab­ge­schüt­telt! Aber mich zwingt der stärks­te Zwang: die Ehre! – Auch ich fand – vor ge­rau­mer Zeit – wie heu­te du, Freund Wi­si­gast! – das Joch nicht mehr er­trag­bar und woll­te mein Volk, den Erd­kreis ret­ten. Al­les war ver­ein­bart: der Bund mit By­zanz, der ge­hei­me Ver­trag mit gar vie­len Ger­ma­nen­kö­ni­gen und Häupt­lin­gen der Skla­be­nen. Ich lag in mei­nem Zelt und schlief – drei Näch­te vor dem be­re­de­ten Tag. Als ich er­wach­te, saß er – er selbst – an mei­nem Bett! Ent­setzt woll­te ich auf­fah­ren. Da drück­te er mich sanft mit der Hand auf das La­ger zu­rück und sag­te mir – un­sern gan­zen Plan und den Ver­trag – vier Sei­ten ei­nes rö­mi­schen Brie­fes füll­te er – aus­wen­dig! her. Dann schloss er: ›Die an­de­ren sind schon ge­kreu­zigt, alle sieb­zehn. Dir ver­zei­he ich. Ich las­se dir dein Reich. Ich traue dir. Sei mir fort­an ge­treu.‹ – Am sel­ben Tage noch jag­te er mit mir und mei­nen Ge­pi­den al­lein im Do­nau­wald. Er­mü­det schlief er ein, das Haupt auf mei­nen Kni­en. So lang er lebt, muss ich ihm Treue hal­ten.«

»Und die Welt muss hun­nisch sein und blei­ben!« klag­te der Kö­nig der Ru­gen. »Ja, so lang er lebt.« – »Nach dem nächs­ten Sieg der Hun­nen ist sie’s dann für im­mer­dar.« »Die Söh­ne At­ti­las«, sprach Ar­da­rich nach­drucks­voll, »sind nicht er selbst.« – »Wohl! Aber El­lak ist kein Schwäch­ling und stark ge­nug, nach die­sem neu­en Sie­ge zu be­haup­ten, was der Va­ter ge­wann. Dann gibt es kei­nen Feind auf Er­den mehr ge­gen das Hun­nen­reich.« »Dann – doch wohl!« sprach Ar­da­rich. »Ech­te Kö­nigs­re­de«, rief Dag­har un­ge­dul­dig. »All­zu rät­sel­haft! So muss denn ge­kämpft wer­den ohne die Ge­pi­den – am Ende ge­gen sie! Kö­nig Wi­si­gast, schi­cke mich zu Balamer, dem Ama­lung. Ich will ihn –«

»Spar’ dir den Ritt, jung Dag­har«, sprach Ar­da­rich. »Hat er auch den be­gna­digt und – ge­fes­selt?« zürn­te der Jüng­ling. – »Nein. Aber Blut­brü­der­schaft ha­ben sie ge­trun­ken.« »Pfui des ekeln Hun­nen­bluts!« rief der Kö­nigs­sohn. – »Auch der Ost­go­te kämpft nicht ge­gen das Hun­nen­reich, so­lang At­ti­la lebt.« »Der kann noch lan­ge le­ben; sechs­und­fünf­zig Win­ter zählt er erst«, groll­te Dag­har. »Und un­ter­des­sen geht die Welt ver­lo­ren«, seufz­te Wi­si­gast.

»Bes­ser die gan­ze Welt«, sprach der Ge­pi­de ru­hig, voll sich auf­rich­tend, »als mei­ne Ehre. – Komm, Ger­walt, wir bre­chen auf. Ich kam, weil ich längst ahn­te, was Freund Wi­si­gast sinnt. Ihn hö­ren, ihn war­nen woll­t’ ich um je­den Preis, auch un­ter Wa­gung des Le­bens, nur nicht der Ehre. Al­ter Ru­gen­held im wei­ßen Haar: – das hoffst du sel­ber nicht, die Hun­nen­macht zu bre­chen, wenn Valamer und ich sie stüt­zen. Und wir müs­sen sie stüt­zen, greifst du – jetzt! – sie an. Kö­nig im grau­en Bart, hast du die ers­te Kö­nigs­kunst noch nicht ge­lernt: – war­ten? Hörst du nicht, al­ter Kampf­ge­noss: war­ten!«

»Nein, nicht war­ten!« rief lei­den­schaft­lich Dag­har. »Lass, Kö­nig Wi­si­gast, Ge­pi­den und Ost­go­ten den höchs­ten Kranz des Siegs, des Ruhms ver­schla­fen. Wir war­ten nicht! Du sagst es ja, nach nächs­tem Früh­jahr ist’s zu spät. Wir schla­gen los! Wie? Wir soll­ten nicht stark ge­nug sein? Dei­ne Ru­gen! Mei­ne Ski­ren! Wi­sand der He­ru­ler mit star­ker Söld­ner­schar! Der edle Lan­go­bar­de Ro­tha­ri mit sei­ner Ge­folg­schaft! Der edle Mar­ko­man­ne Van­gio mit sei­nen Ge­sip­pen! Die drei Häupt­lin­ge der Skla­be­nen Dro­such, Mi­li­tuch und Sven­to­slav! End­lich ver­sprach ja selbst der Kai­ser zu By­zanz, durch sei­nen nächs­ten Ge­sand­ten an den Hun­nen ins­ge­heim uns Gold und Waf­fen…«

»Wenn er’s nur hält!« un­ter­brach Ar­da­rich. »Jun­ger Kö­nigs­sohn, du ge­fällst mir. Har­fen kannst du hell und schla­gen und re­den kannst du rasch. Nun lern’ auch noch das vier­te – schwe­rer und für den künf­ti­gen Kö­nig nö­ti­ger als bei­des – schwei­gen! Wenn ich nun alle, die du auf­ge­zählt, dem großen Hun­nen­chan an­ge­be?«

»Das tust du nicht!« rief der Jüng­ling: aber er er­schrak.

»Ich tu’ es nicht, weil ich mir selbst ge­lobt, ge­heim zu hal­ten, was mir hier ver­traut wird. Ich dar­f es ge­heim hal­ten: denn nur euch, nicht At­ti­la droht die­ser An­schlag Ver­der­ben. Du zwei­felst, küh­ner Dag­har? Alle, die du ge­nannt – und wö­gen sie zehn­mal schwe­rer! – nicht einen Span split­tern sie aus At­ti­las über die Erde ge­spann­tem Joch. Scha­d’ um dei­ne ra­sche Ju­gend, du feu­ri­ger Held! Scha­de um dein wei­ßes, teu­res Haupt, mein al­ter Freund! Ihr seid ver­lo­ren, lasst ihr euch nicht war­nen. War­tet! – Du wei­gerst den Hand­schlag, Wi­si­gast? Du wirst es be­reu­en, wann du ein­se­hen wirst, dass ich mit Recht ge­warnt. Aber mei­ne Hand – ob heu­te aus­ge­schla­gen – bleibt dei­nes bes­ten Freun­des Hand. Und bleibt im­mer of­fen nach dir aus­ge­streckt: das mer­ke! – Ich kom­me, Ger­walt.«

Und er ver­schwand nach links hin in dem Dun­kel. Fast un­hör­bar glitt auf der Nord­sei­te des Wer­ders der schma­le Na­chen in die schwar­ze Flut. –

Nach­denk­sam sah der Greis dem Freun­de nach; er stütz­te bei­de Hän­de auf den Knauf des mäch­ti­gen Lang­schwerts, das er un­ter dem Man­tel im Wehr­ge­hän­ge trug; lang­sam, wie von schwe­ren Ge­dan­ken be­las­tet, sank ihm das Haupt auf die Brust. »Kö­nig Wi­si­gast«, dräng­te der Jüng­ling, »du wirst doch nicht schwan­ken?« »Nein«, er­wi­der­te die­ser ge­drückt. »Ich schwan­ke nicht mehr. Ich gab es auf. Wir sind ver­lo­ren, wa­gen wir’s al­lein.« »Und wä­ren wir’s«, rief Dag­har aus­bre­chend in lo­dern­der Glut, »wir müs­sen’s den­noch wa­gen! Ver­nimm, was ich – vor den Frem­den – ver­schwieg. Wir müs­sen han­deln! So­fort!« – »Wa­rum?« – »Weil … weil! Um ih­rer, um dei­ner Toch­ter wil­len.« – »Il­di­kó! Was ist mit ihr?« – »Sein Sohn hat sie ge­se­hen und … –«

»Wel­cher?« – »El­lak. Er kam in eure Hal­le, als du zu uns zur Jagd ge­rit­ten warst.« – »Wer sag­te dir’s? Er doch si­cher nicht.« – »Sie selbst –!«

»Und mir nicht?«

»Sie woll­te dich nicht ängs­ti­gen, vor der Zeit, – du kennst ihre star­ke See­le! – ohne Grund viel­leicht, mein­te sie. Aber es ist Grund, zu han­deln. Er sah die schöns­te Jung­frau in al­lem Ger­ma­nen­volk und er be­gehr­te sie: – wer kann sie se­hen und ih­rer nicht be­geh­ren? Er wird bei sei­nem Va­ter…«

»Il­di­kó? Mein Kind! Komm! Lass uns ei­len! Nach Hau­se! Rasch.«

Sie schrit­ten nach dem spitz zu­lau­fen­den Os­ten­de des Ei­lands, wo ein Floß, aus sechs brei­ten Bal­ken kunst­los ge­fügt, auf das schlam­mi­ge Ufer ge­zo­gen und durch ein vor dem obe­ren Qu­er­bal­ken senk­recht in den Ufer­bo­den ge­trie­be­nes Sperr­holz fest ge­hal­ten war. Bei­de spran­gen dar­auf. Dag­har schlug das Ge­zim­mer mit dem Floß­he­bel nie­der und schob vom Ufer ab, pfeil­schnell strom­ab­wärts schoss das Floß; der Jüng­ling stieß vorn mit der Stan­ge, bald rechts, bald links, hin und wie­der sprin­gend, der Alte steu­er­te hin­ten mit dem brei­ten Floß­ru­der: – auf das rech­te, das süd­li­che Ufer hielt er zu. – Bei­de wa­ren has­tig, heiß er­regt, voll Un­ge­duld, nach Hau­se zu kom­men. –

Und nun, nach­dem auch das sel­te­ne, schwa­che Plät­schern des Ru­ders in der Fer­ne ver­hallt war, nun la­ger­te wie­der tie­fes Schwei­gen wie auf dem Stro­me, so auf dem ver­las­se­nen Wer­der.

Eine Wel­le blieb al­les ru­hig.

Das zie­hen­de Was­ser gur­gel­te lei­se; das hohe Schilf neig­te die tief dun­kel­brau­nen, we­hen­den Blü­ten­fah­nen vor dem West­win­de bis auf den Spie­gel des Stro­mes her­ab; eine breit­flü­ge­li­ge Fle­der­maus husch­te ge­räusch­los dar­über hin, mit un­fehl­bar si­che­rem Er­schnap­pen die Nacht­mücken er­ha­schend. Sonst al­les still, un­be­lebt.

Da schi­en sich der brei­te Stamm der Wei­de, un­ter wel­cher die vier Män­ner ver­han­delt hat­ten, selt­sam zu er­hö­hen: zwi­schen sei­nen Wip­fel­zwei­gen hob sich aus dem Baum eine dunkle Ge­stalt.

Zu­erst tauch­te auf ein be­helm­tes Haupt, dann ein brei­ter, um­man­tel­ter Rumpf, der sich mit zwei star­ken Ar­men auf die Kro­ne des Bau­mes stemm­te. Nun lausch­te und späh­te der Mann scharf um­her. Da al­les ru­hig war und leer blieb, zog er auch die Bei­ne aus dem Hohl­stamm und sprang her­ab auf den Bo­den. Eine zwei­te, eine drit­te Ge­stalt hob sich aus der brei­ten hoh­len Wei­de und glitt her­ab.

»Hat­t’ ich nun recht, o Herr?« rief der drit­te lei­den­schaft­lich. Es war eine ju­gend­li­che Stim­me. »War nicht al­les, wie ich vor­aus­ge­sagt?« Der An­ge­re­de­te gab kei­ne Ant­wort. Es war so dun­kel: – sei­ne Züge wa­ren nicht zu se­hen. Die Ge­stalt war stäm­mig, kurz, nicht edel ge­bil­det. »Mer­ke dir ge­nau die Na­men, Chelchal«, be­fahl der An­ge­re­de­te dem an­de­ren Beglei­ter, statt dem Fra­ger zu er­wi­dern. »Ich ver­ges­se sie nicht. Wi­sand – Ro­tha­ri – Van­gio – die drei Skla­be­nen­hun­de. Lade sie zu un­serm größ­ten Fest, den drei Ta­gen Dz­ri­wils, der Ros­se­göt­tin. Das fällt nicht auf, ist Sit­te. Sie und all ihre Ge­fol­gen und Vet­tern, al­le muss ich sie ha­ben!«

»Herr, du bist also zu­frie­den? Gib mir denn den vor­be­dun­ge­nen Lohn«, dräng­te der Mah­ner. »Meinst du, es ward mir leicht, die Treue und den jun­gen, edel­sin­ni­gen Herrn zu ver­ra­ten, mir, sei­nem ei­ge­nen Schild­trä­ger? Nur die Gier, die ra­sen­de, die hoff­nungs­lo­se – wenn du nicht halfst – nach je­nes Mäd­chens un­sag­ba­rem, herz­ver­bren­nen­dem Reiz konn­te mich … Du glaubst nicht, Herr, wie schön sie ist! Wie schlank, wie üp­pig doch, wie weiß … –«

»Schlank? – Und doch üp­pig? – Und weiß? Ich wer­de all’ das sehn.« – »Wann?« – »An ih­rem Hoch­zeits­tag, ver­steht sich. Ich wer­de nicht feh­len da­bei.« – »Eile! Du hörst, schon hat El­lak – mir eilt es! Wann – wann wirst du sie mir ge­ben?« – »So­bald ich mich dei­ner Treue, dei­nes Schwei­gens voll ver­si­chert. Sag’ selbst: dei­nen nächs­ten Herrn hast du an mich ver­ra­ten, den du we­nig liebst, nur fürch­test. Welch Mit­tel soll ich wäh­len ge­gen dich, dass du nicht auch mich ver­rätst?« – »Wel­ches Mit­tel? Je­des, das du willst. Das stärks­te, si­chers­te, das dir ein­fällt.« »Das si­chers­te?« wie­der­hol­te der an­de­re be­däch­tig, in­dem er ganz lang­sam un­ter sei­nen wei­ten Man­tel griff. »Gut! Wie du selbst ge­ra­ten.« Er hol­te flugs ein lan­ges krum­mes Mes­ser her­vor und stieß es dem Ah­nungs­lo­sen mit sol­cher Wucht schlit­zend in den Bauch, dass die ge­schweif­te Spit­ze un­ter den Rip­pen her­vor­drang.

Laut­los fiel der Mann auf den Rücken.

»Lass ihn lie­gen, Chelchal. Die Ra­ben fin­den ihn schon. Komm.« – »Herr, lass mich al­lein hin­über­schwim­men an den nächs­ten Wer­der, wo wir den Na­chen ver­bor­gen ha­ben. Ich ru­de­re ihn her und hole dich. Du schwammst be­reits von dort fast über den hal­b­en Strom hier­her. Es wird dir zu viel.« – »Schweig. Der Mann, der jede Nacht ein Ger­ma­nen­weib zer­stört, wird wohl zwei­mal in ei­ner Nacht ein Stück­lein Do­nau zwin­gen. – Das Schwim­men und das Hor­chen hat ge­lohnt. Nicht nur all je­nes Un­ter­holz, alt und jung, fäll’ ich auf einen Streich: auch die bei­den stol­zen Ei­chen beug’ ich: den Ge­pi­den und den Ama­ler. Sie müs­sen mei­nen Söh­nen glei­che Treue schwö­ren, wie mir selbst. Oder ster­ben. Auf, Chelchal! Ich freue mich auf das kal­te Bad. Komm, hoch­bus’­ge Do­nau, komm in die­se Arme!«

Zweites Kapitel

Ru­gi­land, das Ge­biet des Kö­nigs Wi­si­gast, er­streck­te sich von dem rech­ten Ufer der Do­nau west­lich bis an die Hö­hen­zü­ge, aus wel­chen die Krems und der Kamp ent­sprin­gen.

Ei­nen schar­fen Ta­ges­ritt von der Do­nau ent­fernt lag, um­ge­ben von zahl­rei­chen nied­ri­gen Ne­ben­ge­bäu­den, die statt­li­che Hal­le des Kö­nigs auf ei­ner sanf­ten Höhe. Die Hal­de hin­an zo­gen sich Ei­chen und Bu­chen, aus­rei­chend ge­lich­tet, den Blick frei­zu­ge­ben von dem Fürs­ten­haus im Nor­den in das Tal; hier un­ten schlän­gel­te sich ein brei­ter, schön­flu­ti­ger Bach – fast ein Flüss­lein zu nen­nen – um den Hü­gel her von Sü­den nach Nord­os­ten durch üp­pi­gen Wies­grund.

An je­nem Ba­che wog­te, im hel­len Mor­gen­licht des Som­mer­tags, rüh­ri­ges, fröh­li­ches Le­ben: eine Schar von jun­gen Mäd­chen war auf dem grü­nen Ufer eif­rig be­schäf­tigt, al­ler­lei wol­le­ne und lin­ne­ne Ge­wan­de in dem rasch flie­ßen­den Was­ser von kla­rer licht­grü­ner Far­be zu wa­schen. Es war ein hei­te­res Bild, reich an wech­seln­der, frei­er, an­mut­vol­ler Be­we­gung.

Denn mit Hast oder Last der Ar­beit schie­nen es die Lus­ti­gen nicht all­zu streng zu neh­men: lau­tes Schä­kern, mut­wil­li­ges La­chen scholl gar oft aus dem durch­ein­an­der wim­meln­den Ru­del, de­ren rote, gel­be, blaue, wei­ße Rö­cke sich leuch­tend ab­ho­ben von dem saf­ti­gen Grün der im Mor­gen­tau glit­zern­den Wie­se. Die Mäd­chen hat­ten den Rock des lan­gen hemd­ar­ti­gen Klei­des auf­ge­schla­gen und den Zip­fel in den brei­ten Gür­tel ge­steckt, rüh­ri­ger schaf­fen zu kön­nen: die wei­ßen Füße wa­ren un­be­schuht und die vol­len, run­den Arme leuch­te­ten wie­der­strah­lend im Mor­gen­licht; die eine oder an­de­re hat­te wohl einen brei­ten, aus brau­nem Schilf ge­floch­te­nen, ganz fla­chen Son­nen­hut un­ter dem Kin­ne zu­sam­men­ge­bun­den, die meis­ten aber lie­ßen das bei­nah aus­nahms­los blon­de Haar frei flat­tern. Zu­wei­len sprang eine der Ar­bei­ten­den, über den Bach Ge­beug­ten, auf, hoch die schlan­ke, ju­gend­li­che Ge­stalt re­ckend, die nack­ten Arme in die Hüf­ten stem­mend und das durch die ge­bück­te Stel­lung ge­röte­te Ant­litz im fri­schen Früh­wind küh­lend.

Denn etwa zwölf der Mäd­chen knie­ten ne­ben­ein­an­der auf dem gel­ben, ganz klein­kör­ni­gen Ufer­san­de, spül­ten die Lin­nen- oder Wol­len­stücke wie­der­holt in dem leb­haft flu­ten­den, lus­ti­gen, lo­cken­den Ge­rin­ne, ho­ben sie dann her­aus, leg­ten sie auf große, fla­che, sau­be­re Stei­ne, wel­che zu die­sem Be­huf hier zu­sam­men­ge­tra­gen wor­den wa­ren, und schlu­gen und klopf­ten mit glat­ten Schei­ben von wei­chem, weißem Bir­ken­holz eif­rig dar­auf los, patsch­ten auch wohl ein­mal herz­haft da­ne­ben auf die Flä­che des Bachs, dass das Was­ser hoch auf­spritz­te und der auf­schrei­en­den Nach­ba­rin zur Sei­te Haupt, Hals und Bu­sen tüch­tig durch­näss­te.

Dann ran­gen sie die ge­säu­ber­ten Stücke – je­des sie­ben­mal, so ver­lang­te, nach Frig­gas Ge­bot, der alt­ver­erb­te Brauch – mit al­ler Kraft der jun­gen Arme aus, das Was­ser sorg­lich auf den Ufer­sand – nicht wie­der in den Bach – ab­trie­fen las­send, und war­fen die er­le­dig­ten Ge­wan­de hin­ter sich auf den dich­ten Ra­sen, neue Ar­beit grei­fend aus den zier­li­chen, von Wei­den ge­floch­te­nen, ho­hen Kör­ben, die jede zur Rech­ten ne­ben sich ste­hen hat­te.

Hin­ter den kni­en­den Spü­le­rin­nen und Klop­fe­rin­nen aber gin­gen, schnell­fü­ßig, auf und nie­der die Sprei­te­rin­nen, la­sen die von je­nen ab­ge­leg­ten Stücke auf und tru­gen sie auf brei­ten, we­nig ver­tief­ten Mul­den von Lin­den­holz ein paar Schrit­te wei­ter von dem Fluss hin­weg auf die Mit­te der im hells­ten Son­nen­licht ba­den­den Wie­se: denn hier war der Tau be­reits auf­ge­so­gen, der nah’ am Bach und dann auch auf der ent­ge­gen­ge­setz­ten Sei­te, un­ter den Bü­schen und Wip­feln des Wal­des an der West­sei­te des An­gers, noch reich­lich glit­zer­te.

Sie sprei­te­ten Stück um Stück, sorg­fäl­tig die Fält­lein aus­ein­an­der zie­hend, rei­hen­wei­se aus. Die Wie­se trug die hol­des­ten Blu­men: Ehren­preis und Frau­en­schuh, Tau­send­schön und Erdrau­te duck­ten gar gern und wil­lig die ni­cken­den Köpf­lein un­ter den feuch­ten, den küh­len­den Schutz vor der sen­gen­den Son­ne. Und manch­mal kam zu­trau­lich ein Tag­fal­ter ge­flo­gen, das bun­te Pfau­en­au­ge oder die zar­te Au­ro­ra, wel­che die war­men, licht­be­strahl­ten Wald­wie­sen liebt, oder der schö­ne, lang­sam, wie fei­er­lich, schwe­ben­de Schil­ler­fal­ter ließ sich nie­der auf der an­lo­cken­den Flä­che der wei­ßen Wol­le und leg­te die brei­ten Flü­gel voll aus­ein­an­der, in süßem Be­ha­gen sich son­nend.

Nahe vor der reich­blu­mi­gen Wie­se ga­bel­te sich der brei­te Fahr­weg, der von der Kö­nigs­hal­le den Hü­gel her­ab gen Sü­den führ­te: nach Wes­ten zu wand­te er sich in den Wald, nach rechts, nach Os­ten, ver­lief er in je­ner Mat­te.

An der Stel­le der Ga­be­lung hielt im Schat­ten dichtäs­ti­ger, breit­blät­te­ri­ger Ha­sel­bü­sche ein lan­ger Lei­ter­wa­gen, be­spannt mit drei ganz wei­ßen Ros­sen, ei­nes vor­aus, zwei ne­ben­ein­an­der; an sechs halb­kreis­för­mi­gen Rei­fen war über den Wa­gen ein Dach aus star­kem Se­gel­tuch ge­spannt; zahl­rei­che, säu­ber­lich ne­ben­ein­an­der auf dem Grun­de des Wa­gens auf­ge­reih­te Kör­be, ge­füllt mit be­reits ge­trock­ne­ter Wä­sche, be­zeug­ten, dass die Ar­beit schon ge­rau­me Zeit ge­währt habe.

Vorn, an dem Qu­er­brett des Wa­gens, lehn­te, hoch­auf­ge­rich­tet, ein Mäd­chen; das war schön über alle Ma­ßen. Um Haup­tes Höhe über­rag­te die schlank­hüf­ti­ge, aber an Na­cken, Schul­tern und Bu­sen in stol­zer Fül­le pran­gen­de, die herr­li­che Ge­stalt ihre bei­den Ge­fähr­tin­nen, die doch eben­falls das Mit­tel­maß über­stie­gen. Ein ein­zi­ges wei­ßes Ge­wand flu­te­te in lan­gen Fal­ten um die jung­fräu­li­chen Glie­der; den licht­blau­en Man­tel hat­te sie ab­ge­legt und über das Wa­gen­ge­län­der ge­hängt. So wa­ren der Hals und die wun­der­schö­nen, fein­ge­run­de­ten Arme sicht­bar: das Weiß ih­res Flei­sches schim­mer­te, ohne zu blit­zen, wie matt­wei­ßer Mar­mor. Ein hand­brei­ter Gür­tel von sei­nem, mit Weid blau ge­färb­tem Le­der hielt das wal­len­de Woll­hemd um die Hüf­ten zu­sam­men; die fei­nen Knö­chel wur­den nicht mehr von dem blau­en Saum er­reicht; zier­lich aus Stroh ge­floch­te­ne Soh­len schütz­ten den Fuß, über dem hoch­ge­schwun­ge­nen Rist mit ro­ten Rie­men ver­schnürt.

Die kö­nig­li­che Jung­frau trug kein Gold als nur ihr Haar; das aber war an die­sem wun­der­rei­chen Ge­schöpf ein Wun­der für sich: das Sat­te, War­me, Tief­gol­di­ge der Far­be, die sei­denz­ar­te Fein­heit je­des ein­zel­nen Här­leins und die er­staun­li­che Fül­le. Drei ih­rer schma­len, lan­gen Fin­ger breit er­hob sich auf ih­rer wei­ßen Stirn die Flech­te, die, ein un­ver­gleich­lich Dia­dem, sie schmück­te: und hin­ter die­ser Stirn­flech­te teil­te sich erst auf dem vollen­det edel ge­bil­de­ten Haupt die über­quil­len­de Men­ge in zwei pracht­vol­le, dreisträn­gi­ge Zöp­fe, die, an den En­den mit blau­en Bän­dern zu­sam­men­ge­hal­ten, ihr bis un­ter die Knie­keh­len reich­ten.

So lehn­te sie, auf­ge­rich­tet zu ih­rer vol­len Höhe, an dem Wa­gen, den rech­ten Arm ru­hend über den Rücken des wei­ßen Hengs­tes des Zwie­ge­spanns vor­ge­legt, wäh­rend sie die Knö­chel der lin­ken Hand ober­halb der Au­gen hielt, die Son­nen­strah­len aus­zu­schlie­ßen. Denn wach­sam blick­te sie aus nach der Ar­beit der Mäd­chen an dem Flüss­chen und auf der Wie­se. Ihre großen run­den Au­gen, gold­braun, ähn­lich an Far­be dem Auge des Ad­lers, leuch­te­ten: scharf, fest, kühn war der Blick; manch­mal hob sie stolz die star­ke, ge­ra­de Nase und die schön ge­schwun­ge­nen, tief dun­kel­blon­den Brau­en.

Plötz­lich ward der schwe­re Wa­gen in jä­her Be­we­gung nach rück­wärts ge­ris­sen: das vor­ders­te Ross stieß nicht ein Wie­hern, einen Schrei töd­li­chen Schre­ckens aus, fuhr zu­rück auf die bei­den an­de­ren, bäum­te sich, stieg – – : Wa­gen und Ros­se schie­nen von der er­höh­ten Stra­ße in den Tal­grund her­un­ter stür­zen zu müs­sen. Krei­schend rann­ten die bei­den Ge­fähr­tin­nen nach rück­wärts, den Hü­gel hin­auf.

Aber die hohe Maid sprang vor, riss den stei­gen­den Hengst am Zau­me nie­der mit kraft­vol­lem Arm, schau­te einen Au­gen­blick, das schö­ne Haupt beu­gend, scharf spä­hend, auf die Erde und trat dann mit dem rech­ten Fuß fest und si­cher zu.

»Kommt nur wie­der«, sprach sie nun ru­hig, mit der Spit­ze des Fu­ßes auf der Stra­ße et­was zur Sei­te schie­bend, das sich zu­ckend im Stau­be wand. »Er ist tot.« »Was war es?« forsch­te ängst­lich eine der Ge­fähr­tin­nen, ne­ben dem Wa­gen wie­der auf­tau­chend: neu­gie­rig und furcht­sam zu­gleich steck­te sie das braun­lo­cki­ge Köpf­lein vor, den dun­kel­grü­nen Man­tel wie zum Schut­ze vor­hal­tend.

»Ein Kup­fer­wurm, Gan­na; die Pfer­de fürch­ten ihn sehr.« »Mit Recht«, mein­te die zwei­te der ge­flüch­te­ten Ge­sel­lin­nen, auf der an­de­ren Sei­te des Wa­gens sich wie­der her­an­wa­gend. »Und die Men­schen! Hät­t’ ich’s ge­wusst, – noch ra­scher wär’ ich ge­lau­fen. Mein Vet­ter starb an dem Biss.« – »Man muss sie zer­tre­ten, ehe sie bei­ßen kön­nen. Seht ihr – ge­ra­de hin­ter dem Kopf – am Hals – zer­trat ich sie.«

»Aber Il­di­kó!« rief Gan­na ent­setzt, bei­de Arme er­he­bend. »Oh Her­rin! Wenn du fehl tratst!« klag­te die zwei­te. »Ich tre­te nicht fehl, Al­brun. Und mich be­schützt Frig­ga, die freu­di­ge Frau.« »Ja frei­lich! Ohne de­ren Hil­fe …!« rief Al­brun. »Weißt du noch, Gan­na, wie ich – im vo­ri­gen Früh­ling war’s – da un­ten beim Wa­schen kopf­über in das Was­ser ge­fal­len war? Du schriest: und du und alle die zwan­zig an­de­ren – ihr lie­fet an dem Ufer hin mir nach, wie ich da­hin schoss im wir­beln­den Was­ser – –« »Ge­wiss! Aber sie schrie nicht. Hin­ein sprang sie und hasch­te dich am ro­ten Man­tel – die­ser war es, der­sel­be – den du stets so ger­ne trägst, du weißt, er lässt dir gut! – hasch­te dich mit der Lin­ken und mäch­tig ru­dernd mit dem star­ken rech­ten Arme zog sie dich ans Land.«

»Und als ich«, lä­chel­te das Kö­nigs­kind, »mir das trie­fen­de Haar aus­streif­te …«

»Da hat­te sich dar­in fest­ge­klemmt die Mu­schel, die wir Frig­gas Span­ge nen­nen …« »Die Per­len tra­gen­de«, fuhr Al­brun fort. »Und da wir die Scha­len aus­ein­an­der zwäng­ten …« – »Da lag dar­in die schöns­te, größ­te Edel­per­le, die je Mäd­chen­au­ge ent­zückt hat.« – »Ja, ge­wiss« sprach Il­di­kó ernst, leicht mit der Lin­ken über die Braue strei­chend, »ich ste­he in Frig­gas Schutz und Frie­den. Wie hät­t’ ich sonst, da mir die Mut­ter starb, so­bald sie mich ge­bo­ren, an Leib, See­le und Sit­te doch ganz leid­lich ge­dei­hen mö­gen? Frau Frig­ga hat – an Mut­ter Statt – der Va­ter mich be­foh­len: ist sie doch uns­rer Sip­pe lich­te Ahn­frau! Aben­de­lang hat mir der treue Va­ter in der Hal­le, am glim­men­den Herd­feu­er, vor­er­zählt von ihr, von al­ler Frau­en frau­lichs­ter und hehrs­ter. Und oft und oft, wann ich dann ein­sch­lief, sah ich die blon­de, die schö­ne Frau an mei­nem La­ger stehn, und ich spür­te, wie sie mir hin­strich mit der wei­ßen Hand – hier – über Stirn und Braue hin. Und ich er­wach­te wohl auch: – dann war mir, ich sähe noch ihr weiß Ge­wand ent­schwe­ben und Fun­ken sprüh­te dann, fuhr ich süß er­schro­cken dar­ein, mein knis­ternd Haar. Un­sicht­bar all­über­all be­glei­tet mich, be­hü­tet mich, be­frie­det mich die wei­ße Frau. – Aber nun ge­nug der müß’­gen Mäd­chen­wor­te! Zur Ar­beit wie­der!«