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Jack Devon erbt eine kleine Farm in der Nähe der "Stadt" West-London. In den Bergen rings um die Stadt wird Gold geschürft und Jack erhält ein lukratives Angebot für die heruntergekommene Farm. Da er es nicht annimmt ...
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Max Brand
Auf der Spur des Goldes
Western
Basel, 2018
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sechsunddreißigstes Kapitel
Siebenunddreißigstes Kapitel
Achtunddreißigstes Kapitel
Neununddreißigstes Kapitel
Vierzigstes Kapitel
Einundvierzigstes Kapitel
Das tiefe Dunkel auf der Veranda, die sich an der Rückseite des Saloons hinzog, wurde nur durch die roten Lichtpunkte unterbrochen, die von glimmenden Pfeifen oder brennenden Zigaretten herrührten.
Walt Devon, der diesen reizvollen Wechsel von Aufflammen und Verlöschen aufmerksam beobachtete, wußte sofort, mit wem er es hier zu tun hatte, denn nur Leute, die in der freien Wildnis zu Hause sind, finden Vergnügen daran, im Dunkeln zu rauchen – Jäger und Fallensteller, die sich erst spät abends ausruhen können, oder Cowboys, die sich in langen Winternächten an einem Pfeifchen die Nase wärmen.
Nun gab es in West-London allerdings nichts zu erjagen als Gold, und Fallen wurden nur für Greenhorns und andere Narren aufgestellt, denen man das Fell mühelos über die Ohren ziehen konnte – aber seine Annahme stimmte: alle diese Männer hier waren in der Wüste oder im Gebirge zu Hause.
Selbstverständlich gab es auch noch andere, aber die blieben nur einen kurzen Augenblick und gingen dann schnell wieder zu den Spiel- oder Schanktischen zurück. Dann zitterten die Dielenbretter unter ihren Füßen, und ihr lautes Sprechen unterbrach die wohltuende Ruhe, denn die eigentlichen Stammgäste der Veranda unterhielten sich immer nur leise und gedämpft, als ob sie sich wichtige Geheimnisse mitzuteilen hätten.
Wenn die Tür geöffnet wurde, drangen summendes Stimmengewirr und die scharfen, einförmigen Rufe der Croupiers heraus. Walt Devon horchte dann jedesmal auf und sog mit doppeltem Genuß die reine, nach Föhrennadeln duftende Luft ein. Er hatte keine Eile, es zog ihn nicht an die grüne Schlachtbank da drinnen, ja, er hatte heute überhaupt sein Glück am Spieltisch noch nicht erprobt.
Belustigt betrachtete er die Schnurrbärte, die geraden und krummen Nasen, die ein kurzes Aufleuchten ihm für wenige Sekunden sichtbar machte.
Es war ulkig, wie diese spärlichen Lichtquellen sich bewegten – die Pfeifen meist langsam und bedächtig, die Zigaretten hastig und nervös, da sie jede Handbewegung der sich angeregt unterhaltenden Raucher mitmachten. Plötzlich sah er – oder er glaubte zu sehen, daß sich eine Zigarette am äußersten Ende der Veranda in regelmäßigen Punkten und Strichen hin und her bewegte: kurz, lang – lang, lang, kurz – wie Morsetelegraphenzeichen sah es aus.
Walt Devon lächelte – das konnte natürlich nur ein Zufall sein. Doch während er halb unbewußt dem hin und her fahrenden Lichtschein folgte, zuckte er zusammen: er hatte deutlich aus den langen und kurzen Bewegungen das Wort »Achtung!« herausbuchstabiert.
Es war also kein Zufall, der die Hand mit der Zigarette da führte, der Raucher dahinten wechselte mit irgend jemandem hier auf der Veranda Lichtsignale, so unwahrscheinlich das auch war, da die beiden ja höchstens zehn Schritte voneinander entfernt waren, sich also auf andere Weise unmittelbar und bequemer hätten verständigen können.
Devon erhob sich, trat an die Brüstung und blickte in die steile, mit Föhren bestandene Schlucht hinab, die sich hier öffnete. Tief unten auf ihrem Grunde spiegelten sich die Sterne in einem trübe schimmernden Gewässer wider, und jenseits von ihr ragte der Timbal-Berg majestätisch zum Himmel empor.
»Als ob man auf einem Aussichtswagen der Eisenbahn stände – nicht wahr?« sagte da neben ihm jemand, der wie er an der Brüstung lehnte.
»Stimmt«, meinte Devon und wandte sich dabei dem Sprecher zu, wodurch sein Blick die andere Hälfte der Veranda traf, auf der er jetzt eine glimmende Pfeife sich in der gleichen, morsezeichenartigen Weise bewegen sah, die er vorher auf der entgegengesetzten Seite bei einer Zigarette beobachtet hatte. Er fühlte, daß sein Herz lebhafter zu schlagen begann.
Walt Devon hatte die Welt durchstreift, um das Glück zu suchen; im Krieg hatte er gehofft, es zu finden, beim Kartenspiel, auf der Jagd nach einer reichen Heirat – doch bald war er dahintergekommen, daß bei allem nicht der etwaige Erfolg ihn lockte, sondern die Lust am Abenteuer. In den dreißig Jahren seines Lebens hatte er manches durchgemacht und oft auch hart gearbeitet, aber goldene Berge hatte er nicht erworben – auch im Spiel nicht, denn beim Poker war er tollkühn und verwegen, weil es ihm nicht auf den Gewinn ankam, sondern auf die Erregung und Spannung.
Etwas Ähnliches empfand er jetzt, als er das kleine Geheimnis auf der Veranda hier beobachtete. Gefahrlos war es wahrscheinlich nicht; denn die beiden, die sich da auf so seltsame Art miteinander verständigten, wagten offenbar nicht, ihre Stühle zu verlassen und miteinander zu sprechen. Offenbar wußten sie sich von einem Dritten beobachtet, den sie durch diese ungewöhnliche Art der Telegraphie hinters Licht zu führen suchten.
Wer waren sie, was teilten sie sich da mit, und wer war der, dessen Aufmerksamkeit sie fürchteten?
Das waren vielleicht unwichtige Fragen, die ihn außerdem eigentlich nicht das geringste angingen, aber er versprach sich von ihrer Beantwortung, die in dieser Umgebung bestimmt mit einer gewissen Gefahr verbunden war, eine angenehme Erregung.
Inzwischen hatte er bereits ein Mittel gefunden, die beiden Teilnehmer an dem stummen Gespräch gleichzeitig im Auge zu behalten. Er nahm seinen kleinen Taschenspiegel in die Hand, in dem er die Signale von Nummer Eins aufflammen sah – die von Nummer Zwei hatte er gerade vor sich, während er mit dem Mann an der Brüstung sprach.
»Stimmt«, erwiderte er, »nur, daß die Berge nicht zurückweichen, wie es einem vom Zug aus erscheint.«
»Das werden sie eines schönen Tages auch noch tun«, meinte der Fremde. »Wenn es mit dieser Graberei und Bohrerei hier noch lange so weitergeht, wird sogar der alte Timbal da drüben verschwinden.«
Im Spiegel erschien jetzt ein ganz neuer Satz. »Es ist die einzige Möglichkeit«, entzifferte Devon und wartete auf die Antwort von Nummer Zwei, doch da keine erfolgte, setzte er das Gespräch mit seinem Nachbar an der Brüstung fort.
»Das war übrigens noch nicht, als ich das letztemal hiergewesen bin«, sagte er.
»Ach, Sie kennen die Gegend schon von früher?«
»Ja, gewiß.«
»Ich auch – zwanzig Jahre mögen es her sein, als ich auf einem Maultier den Timbal da zum ersten Male runtergeklettert kam. Übrigens hatte der Berg damals überhaupt noch keinen Namen, ebensowenig wie der Fluß.«
»Wie ist die Stadt eigentlich zu dem hochtrabenden Namen gekommen?«
»Das ist eine ganz drollige Geschichte«, erwiderte der andere, seine weiche, tiefe Stimme so dämpfend, daß Devon Mühe hatte, die Worte zu verstehen. »Der alte Les Burchard kam hier durch, vor zehn Jahren war das –«
»Ich bin vor fünfzehn hiergewesen«, unterbrach ihn Devon.
»Also Burchard war mit einem Wagen, den acht Maultiere zogen, nach Farralone unterwegs und wollte den Weg dorthin durch dieses Tal hier abschneiden. Er hatte eine Riesentonne voll Alkohol geladen, den er in Farralone mit Gerberlohe und Pflaumensaft mischen wollte, um ihn als echten Whisky zu verkaufen. Unvorsichtigerweise hatte er von dem gefährlichen Zeug selbst reichlich viel gekostet, so daß er nicht mehr ganz sicher im Abschätzen von Entfernungen war und mit dem rechten Vorderrad gerade hier so heftig gegen den Felsen fuhr, daß es in tausend Splitter ging. Da saß er nun und sah sich, plötzlich ernüchtert, die Bescherung an. Er hätte ja den kostbaren Stoff auf kleine Fässer ziehen und auf den Maultieren weiterbefördern können, doch da er weder Fässer noch Packsättel besaß, sagte er sich, wenn er nicht zur Stadt kommen könne, müsse die Stadt zu ihm kommen.«
Der Erzähler machte, leise in sich hineinkichernd, eine Pause, was Devon um so lieber war, als Nummer Zwei gerade ein Streichholz anzündete, um seine Pfeife von neuem in Brand zu setzen. Beim Schein des Hölzchens sah Devon ein junges, hübsches Gesicht mit einem energischen Kinn, das auf eine Kämpfernatur schließen ließ. Es gefiel ihm recht gut, und er prägte jeden Zug genau seinem Gedächtnis ein.
Es gibt sehr verschiedene Arten, ein Menschenantlitz zu betrachten. Die armseligste hinterläßt nur einen unbestimmten Gesamteindruck, die beste dagegen achtet auf solche Einzelheiten, die nicht verändert werden können, weder durch künstliche Narben noch durch einen echten oder falschen Bart: zum Beispiel die Nase, der Winkel, den Nase und Stirn bilden, die Höhe und Breite der Backenknochen, besonders auch die Stellung und Form des Ohres.
Auf diese Weise also gewann Devon ein Bild von Nummer Zwei, so daß er ihn sicher stets und jederzeit wiederzukennen vermochte.
Sein Nachbar an der Brüstung fuhr leise in seiner Erzählung fort:
»Hier an der Stelle, wo wir jetzt sind, baute sich Les Burchard also eine Blockhütte und wartete auf die Stadt, die da kommen sollte.
Jenseits des Timbal wohnte ein Mann, der hieß Devon, und er besaß da eine kleine Ranch mit einigen Kühen. Den suchte Burchard auf und verkaufte ihm ein paar von seinen Maultieren. Er hatte ein Gewehr und Munition, Wild genug gab es in dem Tal hier, so lebte er vorläufig einmal eine Reihe von Monaten von Wildbret und seinem Alkoholvorrat.
Eines Morgens nun erwachte Les mit ziemlich schwerem Kopf und fand das ganze Tal angefüllt mit einem dichten Nebel, der ihn an London erinnerte, in dessen Hafen er einmal als ehemaliger Seemann gewesen war. Deshalb errichtete er dort eine Tafel mit der Inschrift ›London‹. Damit hatte er zwar keine Stadt, aber bereits einen Namen für eine solche.
Bald jedoch fiel es Burchard ein, daß London allein nicht genüge, denn das hätte doch zu Verwechslungen führen können, zumal von dem Original-London wohl die meisten Menschen in Amerika schon einmal gehört haben mochten. Er nagelte also noch ein Brett an seine Tafel und schrieb darauf ›West‹, und darum befinden wir uns heute in West-London, im Gegensatz zu dem an der Themse.«
Nummer Zwei bewegte plötzlich seine hellbrennende Pfeife hin und her.
»Wie weit soll ich gehen?« entzifferte Devon.
Die Antwort im Spiegel, die die Zigarette von Nummer Eins gab, lautete:
»Bring ihn um!«
Der Erzähler fuhr fort:
»Les Burchard hauste noch nicht lange hier in dem Tal, da fand der besagte Devon eines Tages einen Goldklumpen, mit dem er sich schleunigst auf den Weg zur nächsten Stadt machte. Eines Morgens weckten Les die Schläge einer Hacke, die den Felsen abklopfte, und eine Woche später arbeiteten bereits fünftausend Mann da in der Schlucht. Burchard verkaufte seinen Alkohol, den Fingerhut voll für einen Dollar, das Holz seines Wagens für zweitausend Dollar in Gold. Die Maultiere brachten ihm mehrere hundert je Stück ein, und das Leder der Geschirre wurde ihm mit Gold aufgewogen – kurz, Les verdiente so viel Geld, daß er sich hätte zur Ruhe setzen können. Das tat er jedoch nicht, sondern trank, als das scheußliche Zeug in seinem Faß auf die Neige ging, den Rest selber aus und torkelte dann in die Schlucht, um selbst sein Glück als Goldgräber zu versuchen.«
Nummer Zwei, den wohl der letzte Befehl etwas aus dem Gleichgewicht gebracht haben mochte, wie Walt Devon aus der langen Pause, die folgte, schloß, telegraphierte jetzt:
»Wann?«
»Heute Abend um elf«, antwortete der Zigarettenraucher.
»Wo?«
»Bei Purley.«
»Der wackere Les Burchard«, erzählte der Fremde an der Brüstung weiter, »hatte sich so vollgetrunken, daß er kaum noch wußte, wo er war, aber er besaß eine Hacke und eine Schaufel, die allerdings augenblicklich sein ganzes Hab und Gut ausmachten. Als er nun so durch das Tal schwankte, suchte er sich eine Stelle aus, an der andere schon versucht hatten, einen Gang in den Felsen zu treiben, die Sache aber als aussichtslos aufgegeben hatten. ›Hier ist so schön vorgearbeitet‹, sagte er sich, ›da brauch ich mich nicht so mächtig anzustrengen.‹
Die anderen lachten ihn aus, doch da er sich nicht belehren lassen wollte, dachten sie, er würde den Blödsinn schon selbst einsehen, wenn er erst nüchtern geworden wäre. Er klopfte und kratzte also nach seiner eigenen Manier – ohne den geringsten Erfolg natürlich! Kurz vor Feierabend aber schlug er voll enttäuschter Wut mit aller Wucht seine Hacke in den Felsen, und dabei legte er eine Goldader frei, die so reich war, daß er nicht mehr wußte, was er mit all dem vielen Gold anfangen sollte. Da er nun für Geschäftemachen immer schon eine gewisse Schwäche besaß, hat er hier, an der gleichen Stelle, wo damals sein Wagen zusammengebrochen war, diesen Spielpalast erbaut, der ihm Jahr für Jahr recht anständige Summen einbringt. Den größten Luxus, den er sich leistet, ist übrigens ein Koch, ein Chinese, der einfach ein Genie in seinem Fach ist.«
So sehr ihn diese Erzählung auch interessierte, Walt Devon hatte ihrem letzten Teil nur mit halbem Ohre zugehört, denn das Wort »Purley«, das Nummer Eins vorhin telegraphierte, hatte eine besondere Bedeutung für ihn. So hieß nämlich das Kosthaus, in dem er wohnte.
Da keine weiteren Lichtsignale gewechselt wurden, schloß Devon sich einer Anzahl von Gästen an, die in den Spielsaal drängten, wobei er Nummer Eins aus dem Auge verlor. Während er dann, um nicht aufzufallen, am nächsten Roulette ein paar Geldstücke setzte, entdeckte er an einem Pharo-Tisch Nummer Zwei, der einen recht beträchtlichen Haufen von Münzen vor sich liegen hatte.
Zweifellos war der Mann ein Halbblut, das bewiesen die hohen Backenknochen und der eigentümlich verschleierte Ausdruck seiner Augen. Überdies spielte er wie ein Indianer, das heißt: der größte Gewinn ließ ihn genau so gleichgültig wie der schwerste Verlust.
Nachdem er ihn genügend beobachtet hatte, brach Devon auf, denn Roulette verachtete er ebenso wie das Pharo-Spiel, an denen, seiner Meinung nach, nur Betrunkene oder vollendete Idioten Vergnügen finden konnten, da es bei beiden ausschließlich auf Glück ankam.
Es war kurz nach zehn Uhr, als er Mrs. Purleys Haus erreichte, das größte Kosthaus von West-London. Herr Purley hatte es ursprünglich als Kneipe und Spielhölle gegründet, doch da ihm das Roulette nicht rasch genug so viel einbrachte, wie er gehofft, hatte er an der Drehvorrichtung eine kleine Änderung vorgenommen, durch die er das Glück auf seine Seite zwingen konnte. Leider hatte sich ein allzu neugieriger Cowboy die Sache einmal näher angesehen und dann Mr. Purley zwei Kugeln ins Gehirn gejagt.
So stand das große Haus verwaist, und da Mr. Purleys Schulden erheblich waren, sollte es versteigert werden. Doch Mrs. Purley kam gerade noch rechtzeitig aus dem Osten an, um den Auktionator mitsamt den Bietern zum Tempel hinauszuwerfen.
Zunächst reinigte sie einmal das ganze Haus sehr gründlich, dann teilte sie die großen Räume durch dünne Zwischenwände in viele kleine, hing in ihnen Hängematten als Betten auf und machte – ein riesiges Geschäft. Sie war eine sehr energische Dame, stand oft höchstpersönlich hinter dem Schanktisch und hatte bereits mehrmals lärmende Störenfriede mit Bierflaschen niedergeschlagen und sie dann eigenhändig auf die Straße hinausgeschleift.
Als Walt Devon heimkam, fand er die wackere Mrs. Purley im ›Lesezimmer‹ – dreimal am Tag diente dieser nämliche Raum zwar als Speisezimmer, in der übrigen Zeit aber stand er den Gästen als Lesezimmer zur Verfügung.
Im Augenblick war außer der Wirtin niemand darin.
»Sie haben wirklich ein ruhiges Haus, Mrs. Purley«, sagte Devon in ehrlicher Anerkennung.
»Jawohl, ruhig ist's«, erwiderte sie bitter, »keine Musik, kein Laut, nicht einmal die Pfropfen der Bierflaschen knallen! All diese Dickschädel kommen zu mir nur, um von Mitternacht bis zum Morgen zu schnarchen – tatsächlich, ich möchte lieber Drehorgelspieler in Neuyork als Maienkönigin in einem so gottvergessenen, toten Nest wie hier sein!«
»Das ist, weil die Leute einen so großen Respekt vor Ihnen haben, Verehrteste«, entgegnete Devon.
»Ach, Sie meinen, weil ich ab und zu mal ein paar mit blutigen Köpfen nach Hause geschickt habe? Nein, nein, das ist es nicht, die Leute hier haben keinen Sinn für richtige Geselligkeit!«
Dabei schlug sie mit ihrer furchtbaren Rechten so entschieden auf den Tisch, daß dieser bedenklich ächzte.
»Wollen wir zusammen noch was trinken?« fragte Devon höflich.
»Vielleicht«, antwortete sie schmelzend, »wenn es mir gelingt, den Faulpelz von Zapfer wach zu bekommen.«
»Wahrscheinlich arbeitet der Mann zu lange.«
»Der? Lächerlich! Ein Leben führt er wie Gott in Frankreich! Es gibt doch nichts Schöneres, als den ganzen Tag im Kühlen zu stehen und die Leute zu bedienen. Ich würde das am liebsten selbst tun, aber leider fühlen sich die meisten Gäste beengt und unfrei in Gegenwart einer Dame, denn nicht alle meine Gäste sind wirkliche Gentlemen wie Sie, Mr. Devon.«
Sie gingen in den angrenzenden Schankraum, wo Mrs. Purley mit einem energischen Klaps den friedlich schlafenden Kellner weckte, der ihnen dann das schäumende Bier brachte.
»Beteiligen Sie sich auch an dieser schrecklichen Jagd nach dem Gold?« erkundigte sich die trinkfeste Wirtin, die ihr Glas auf einen Zug geleert hatte.
»Gewiß, aber nur auf dem Umweg über die Karten«, erwiderte Devon.
»Das ist auch das einzige Vernünftige«, stimmte Mrs. Purley ihm bei, seufzte tief und fuhr dann fort: »Wie gut könnte ich es jetzt haben, wenn mein seeliger Jim es nicht so grenzenlos ungeschickt angefangen hätte, der dumme Esel!«
In dem ›Lesezimmer‹ nebenan wurde ein Stuhl gerückt; Devon spähte vorsichtig durch die nur angelegte Tür und erkannte das hübsche Gesicht von Nummer Zwei, der sich gerade am Tisch niederließ und eine Zeitung vor sich ausbreitete.
»Wer ist denn das?« fragte er leise die Wirtin.
»Ein gewisser Grierson«, erwiderte diese.
»Er sieht recht gut aus«, meinte Devon weiter.
»Das ist aber nur äußerlich – im Verbrecherviertel von Neuyork sieht man diese Sorte zu Hunderten. Wie heißen doch gleich die weißen Blumen, die gelb werden und verwelken, wenn man sie anfaßt? Ja, richtig: weiße Kamelien! So eine ist der, und unter der Achselhöhle trägt er sicher einen sechsfach geladenen Colt. Sehen Sie sich diese langen, geschmeidigen Finger an – noch nie haben die eine ehrliche Arbeit geleistet. Solche hübschen Jungens, wie der, drücken in Manhattan die Preise, so daß die Ermordung eines Bankpräsidenten kaum noch fünfzig Dollar einbringt. Auf Wiedersehen, mein lieber Mr. Devon, es war mir ein wirkliches Vergnügen, mich mit Ihnen einmal aussprechen zu dürfen. Wenn irgend jemand in meinem Haus Sie stören sollte, lassen Sie es mich nur wissen, ich werde Ihnen schon Ruhe schaffen. Recht gute Nacht denn!«
Damit rauschte sie weitausschreitend hinaus, Devon aber ging ins Lesezimmer, suchte sich gleichfalls eine Zeitung, die nicht viel mehr als einen Monat alt war, und vertiefte sich scheinbar in deren ›Neuigkeiten‹.
Nach einer Weile zog er verstohlen die Uhr: es war ein Viertel vor elf. Wenn die Sache also klappte, wie sie vereinbart war, sollte der Herr Mörder da drüben in fünfzehn Minuten hier in diesem Hause in Tätigkeit treten. Devon nahm sich vor, gleichfalls zur Stelle zu sein, wenn es soweit wäre.
»Haben Sie vielleicht ein Streichholz?« fragte da Grierson.
Devon reichte ihm seine Schachtel über den Tisch hinüber, Grierson zündete sich eine Zigarette an und gab die Schachtel mit lebhaften Dankesworten zurück. Man merkte ihm an, daß er gern eine Unterhaltung geführt hätte.
»Geht es eigentlich in Burchards Spielsaloon beim Pharo ehrlich zu?« fragte er schließlich, um ein Gespräch einzuleiten.
»Keine Ahnung, ich habe nie mitgespielt«, erwiderte Devon.
»Dann lassen Sie auch lieber die Hände davon«, entgegnete Grierson eifrig. »Ich glaube, man wird maßlos betrogen.«
»So?«
»Ja, sicher – neulich war ich mal drauf und dran, den Leuten das Handwerk zu legen, aber dann habe ich mir gesagt, daß es ja doch keinen Sinn hat.«
»Na, erlauben Sie mal – Falschspieler zu entlarven, ist doch ein verdienstliches Werk und eigentlich Pflicht jedes Gentleman.«
»Wieso?« gähnte Grierson. »In so einem Spielsaloon verlieren die Leute ja doch; ob sie ihr Geld ein wenig schneller oder langsamer loswerden, ist im Grunde höchst gleichgültig – meinen Sie nicht auch?«
Devon zuckte die Achseln, der andere schwatzte weiter.
Als es nur noch fünf Minuten vor der angesetzten Zeit war, warf Devon ab und zu eine Frage ein, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen – vielleicht gelang es ihm, den Mörder hier festzuhalten, so daß er seinen Auftrag versäumte.
Irgendwo fing eine Uhr zu schlagen an. Grierson brach mitten im Worte ab und lauschte, machte jedoch keinerlei Anstalten, aufzustehen und den Raum zu verlassen, sondern sah mit einer gespannten Neugier Devon ins Gesicht. Diesem wurde mit einemmal klar: er hatte die Lichtzeichen richtig gedeutet, auf Punkt elf Uhr war ein Mord tatsächlich angesetzt, und – aus einem geheimnisvollen und ihm unerklärlichen Grunde war er selbst das Opfer des geplanten Verbrechens!
Die Uhr hatte zum neuntenmal geschlagen, da wagte Devon – die Hand in seiner Rocktasche – hastig über die Schulter nach der Tür in seinem Rücken zu blicken. Er glaubte, wenn auch undeutlich, zu sehen, daß sich etwas hinter ihm bewegte.
Er wandte den Kopf wieder zurück auf Grierson zu – dessen Arm war gekrümmt und seine rechte Hand im Begriff, den Revolver zu ziehen; da schoß Devon.
Er hatte nicht nötig, eine Waffe zu ziehen, denn für Fälle, wie den vorliegenden, trug er in seiner Rocktasche eine einläufige Pistole bei sich, die ziemlich flach gearbeitet war, so daß man sie von außen nicht bemerkte, aber starkkalibrig genug, um auf kurze Entfernungen einen Gegner zu erledigen. Mehr konnte ein richtiger Colt schließlich auch nicht leisten.
So hatte er nur abgedrückt und trat nun ein wenig zurück, um abzuwarten, bis Grierson, der schon vorher aufgesprungen war, getroffen zusammenbrechen würde.
Doch Grierson brach nicht zusammen!
Die Tasche von Walt Devon füllte sich mit Rauch, der keinen Abzug fand, da kein Kugelloch vorhanden war! Entsetzt erkannte er, daß seine Pistole blind geladen sein mußte.
Grierson hatte inzwischen seine Waffe gezogen. Für Devon gab es jetzt drei Möglichkeiten: entweder konnte er versuchen, die Tür zu erreichen, sich unter den Tisch zu ducken oder geradewegs dem Mörder entgegenzutreten. Er wählte die dritte, denn bei den beiden anderen bestand die Gefahr, ein Stück Blei in den Rücken zu bekommen. So landete er einen kräftigen Linkshaken von der Sorte, die ihm schon während seiner Schülertage gute Dienste geleistet hatten, seitlich auf Griersons Kinn.
Die Wirkung gab einer großkalibrigen Revolverkugel kaum etwas nach; die Knie des Getroffenen knickten ein und sein Blick wurde leer. Mit einer Hand nahm Devon ihm den Colt aus den steifen Fingern, mit der anderen drückte er ihn auf den Stuhl nieder.
Über den Kopf von Grierson blickte er forschend nach der Tür hinüber, doch da bewegte sich nichts. Er untersuchte das Magazin der erbeuteten Waffe – sie war scharf geladen, also bestand kein Zweifel mehr daran, daß tatsächlich ihm der auf der Veranda verabredete Mordanschlag galt. Dafür sprach außerdem die Tatsache, daß die Patrone in seiner Pistole ohne Kugel gewesen war. Zweifellos hatte sie einer der schlauen Banditen entfernt, und er hatte nichts davon gemerkt.
Jetzt wurde draußen Mrs. Purleys Stimme vernehmbar, dann erschien sie selbst, zwei verschlafene Mannsleute vor sich hertreibend.
»Männer wollt ihr sein?« schrie sie. »Feige Schafsköpfe seid ihr! Vorwärts, sucht – hier ist ein Mord geschehen, ich hörte einen Schuß fallen. Was, sehe ich recht? Mr. Devon, Sie haben etwas damit zu tun gehabt?«
Devon, der hinter Griersons Stuhl stand, steckte nämlich gerade dessen Colt in die Tasche, eine ziemlich schwere Waffe, die aber sehr gut in der Hand lag, und deren Mündung er nun Grierson in den Rücken bohrte.
»Ich habe Mr. Grierson die Konstruktion meiner Pistole erklärt«, sagte er, »und dabei ist sie leider losgegangen – entschuldigen Sie vielmals, wenn ich Sie erschreckt habe.«
»War wirklich weiter nichts los?« forschte die Witwe. »Dabei sieht der junge Mann aus, als hätte er mindestens einen Bauchschuß bekommen! Fehlt Ihnen was?«
»Was soll mir fehlen?« fragte Grierson, dessen Stimme allerdings ein wenig matt klang. »Ich fühle mich ausgezeichnet.«
»Schert euch in eure Betten zurück!« befahl Mrs. Purley ihren Begleitern und wandte sich, nachdem diese verschwunden waren, an Devon, den sie dabei, die massigen Arme in die Seiten gestemmt, durchdringend musterte.
»Sie sind mir ein sehr lieber Gast«, sagte sie, »aber ein für allemal: geschossen wird bei mir nicht, denn nichts bringt ein Haus schneller in Verruf als ein paar Morde!«
Mit einem energischen Ruck machte sie kehrt und ging hinaus.
Grierson stand langsam auf, doch seine eigene Waffe, deren Lauf er jetzt in der Magengrube spürte, zwang ihn, die Hände, wenn auch widerwillig, hochzuheben.
»Wozu das?« fragte er mißmutig. »Ich habe weiter nichts bei mir. Aber interessieren würde es mich, wo Sie diese wirksame Art von Linksschwingern gelernt haben – waren Sie mal im Ring tätig?«
Devon antwortete nicht, sondern untersuchte den jungen Mann sehr sorgfältig, fand aber nur noch einen Schlagring, den er an sich nahm, obwohl Grierson mürrisch meinte:
»Was kann ich mit dem lächerlichen Ding schon gegen Sie anfangen?«
»Auf alle Fälle ist es im Augenblick besser bei mir aufgehoben«, erwiderte Devon. »Und nun kommen Sie mal mit, mein Freund!«
Damit führte er ihn in die äußerste Ecke des Zimmers, wo weder ein Fenster noch eine Tür waren, stellte ihn mit dem Rücken gegen die Wand, setzte sich vor ihn hin und begann:
»Da ich Sie heute zum erstenmal sehe, hat natürlich jemand Sie zu dieser Tat angestiftet – wer war das?«
Grierson schlug die Augen nieder, antwortete aber nicht.
»Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Angelegenheit zu erledigen«, fuhr Devon fort. »Ich könnte Sie dem Sheriff überantworten, und der würde Sie ins Gefängnis stecken, das aber, wie die meisten hierzulande, wahrscheinlich keine allzu starken Mauern haben wird. Der zweite Weg wäre, daß ich Sie in irgendeine Kneipe brächte und den dort versammelten Gästen erzählte, was sich soeben hier zugetragen hat.«
»Versuchen Sie's doch«, erwiderte Grierson patzig, »Sie können mir gar nichts beweisen!«
»Die Innenseite meiner Tasche ist von Pulver verbrannt, ohne daß eine Kugel den Stoff durchbohrt hat – das beweist eindeutig, daß meiner Waffe die Kugel ausgebrochen war, bevor Sie Ihren Mordanschlag gegen mich wagten. Die Leute hier haben durchaus nichts gegen eine Schießerei, solange es dabei ehrlich und anständig zugeht, aber gemeinen Mord hassen sie um so abgründiger – das weiß ich, weil ich selbst aus dem Westen stamme. Man wird mir unbedingt glauben, verlassen Sie sich darauf, junger Freund, und Sie an dem nächsten Baum aufknüpfen!«
Während dieser ruhig, aber eindringlich gesprochenen Worte war Grierson blaß und blässer geworden, nervös fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und die schmerzende Stelle am Kinn, sein Blick wurde leer und verzweifelt.
»Mein Gott, hätt' ich mich bloß nicht auf so etwas eingelassen«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber.
»Das wäre allerdings besser gewesen«, meinte Devon, »aber es läßt sich nun leider nicht ungeschehen machen – es müßte denn sein, daß Sie Reue empfänden und mir den Name Ihres Auftraggebers nennen.«
»Ich habe in niemandes Auftrag gehandelt«, antwortete Grierson rasch.
»Ist das Ihr letztes Wort?«
»Jawohl!«
»Schön, dann kommen Sie«, erwiderte Devon, »dann werden wir zusammen in die Stadt gehen, und ich werde den Leuten erzählen, was Sie getan haben.«
»Ich denke nicht daran. Nicht von der Stelle rühre ich mich!« erklärte Grierson in kindischem Trotz.
Devon lächelte nur.
»Sie wollen mich also tatsächlich kalten Blutes ermorden?« fragte der junge Mann, plötzlich sehr kleinlaut geworden.
»Menschen Ihrer Art unschädlich zu machen, ist kein Mord«, entgegnete Devon ruhig, »das ist einfach Bürgerpflicht. Genau wie jeder dafür sorgen muß, daß die Straße vor seinem Haus sauber gefegt ist. Trotzdem gebe ich Ihnen mein Wort: wenn Sie mir die Wahrheit sagen, sind Sie frei.«
Grierson hob die Hand – ganz langsam, damit die Bewegung ja nicht mißdeutet werden könne – und fuhr sich mit dem Finger in den Kragen, der ihm zu eng geworden schien. Wieder schlug er den Blick nieder und starrte auf den Boden – das beste Zeichen, daß er begann, die Nerven zu verlieren.
»Also gut – was wollen Sie wissen?« fragte er schließlich heiser.
»Zunächst einmal den Namen des Mannes, der sich meiner Pistole so vorsorglich angenommen hat.«
»Den weiß ich nicht«, erwiderte Grierson. »Er hat mehr als zwanzig Leute, die für ihn arbeiten und das so geschickt machen, daß selbst ein so gewitzter Mensch, wie Sie, nichts davon merkt.«
»Also schön – lassen wir das auf sich beruhen«, sagte Devon lächelnd, »aber den Namen Ihres Auftraggebers muß ich unbedingt wissen.«
»Aber er wird dahinterkommen, daß ich geschwatzt habe, und mich fassen, wenn ich noch so weit fliehe«, stöhnte Grierson.
»Sie haben ja immer noch die Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen – wenn Sie aber erst den Strick um den Hals haben, ist alles vorbei«, entgegnete Devon unerbittlich.
Grierson zuckte zusammen, seine Schultern bebten.
»Erlassen Sie mir die Antwort« [...]