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Jesse Jackson verlässt seine Braut am Tage der Hochzeit um einem ehemaligen Freund zu helfen. Da er dummerweise beim Pferdediebstahl erkannt wird, wird er zum Outlaw. Seine Gedanken sind aber immer noch bei seiner Braut.
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Max Brand
Der wilde Jackson
Roman
Aus dem Amerikanischen übertragen von Dr. Franz Eckstein
Basel, 2018
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Über die erstarrten Lavaflächen und die Sanddünen der Wüste war die wilde Jagd gegangen, die Ausläufer der Berge hinauf bis zur steilen Höhe des Jackson-Passes und dann wieder hinab in die offene, langsam abfallende Ebene, auf der grünes, saftiges Gras wogte, weil der ragende Gebirgszug stets die ziehenden Regenwolken festhielt und sie zwang, ihr befruchtendes Naß hier niedergehen zu lassen.
Bis jetzt war es Larry Burns gelungen, seinen Vorsprung vor der Meute, die ihn verfolgte, beizubehalten. Meute war übrigens nicht bildlich gesprochen, denn man benutzte tatsächlich Hunde, um Larry Burns einzufangen! Mindestens ebenso gefährlich wie diese waren jedoch die zehn, zwölf ausgesuchten Reiter, die hinter diesen Hunden hergaloppierten, und am gefährlichsten für ihn war unter ihnen ein Mann mit schlohweißen Haaren, mit buschigen, silbrigschimmernden Brauen über den mitleidlosen Augen und mit fest aufeinandergepreßten Lippen, die seinem grauen Gesicht das Aussehen gaben, als ob er dauernd über ein unlösliches Problem nachgrübele – der Distriktskommissar Tex Arnold.
Obwohl der Gehetzte sofort, als er Hunde hinter sich kläffen gehört, davon überzeugt gewesen war, verloren zu sein, hatte er bereits mehr als zweihundert Meilen auf seiner tollkühnen Flucht zurückgelegt, bei der ihm nicht nur sein fabelhaftes Reiten, sondern auch seine genaue Kenntnis der Gegend zustatten kam. Zweimal hatte er bisher die Pferde gewechselt, allerdings ohne deren Besitzer vorher um Erlaubnis zu fragen – aber was bedeutete schließlich Pferdediebstahl für einen, der wegen Mordes verurteilt war und der um die Handgelenke die stählernen Armbänder trug, die zwar federleicht sind, doch unzerreißbar?
Offenbar hatte aber auch das Aufgebot, das ihn verfolgte, die Pferde kürzlich gewechselt, denn seitdem er über die freie Ebene jenseits des Passes dahinjagte, vernahm er das Dröhnen der Hufe und das schrille Geblaffe der Meute immer näher und näher hinter sich.
Dabei quälte rasender Durst Larry Burns, der seit mehr als zwölf Stunden keinen Tropfen über die rissigen Lippen bekommen hatte, die nach alkalischem Wüstenstaub und salzigem Schweiß schmeckten, wenn er sie mit der Zunge anzufeuchten versuchte. Das Schlucken wurde ihm schwer, sein Schädel brannte, jedes Glied des ausgedörrten Körpers schmerzte ihn unerträglich – aber er war entschlossen, sich nicht zu ergeben, um keinen Preis in die Armsünderzelle zurückzukehren, aus der er kam, sondern lieber kämpfend zu sterben.
Nur den Aufenthalt in diesem entsetzlichen Raum nämlich fürchtete er, nicht den Tod selbst, nicht die scheußlich einfache Prozedur des Gehenktwerdens, ja nicht einmal den grausigen Moment, da ihm das Seil um den Hals gelegt und er gefragt werden würde, ob er noch irgend etwas zu sagen habe, und für den er sich während der Haft das Folgende als seine letzten Worte zurechtgelegt hatte:
»Ich habe immer mein eigenes Leben gelebt«, wollte er unter dem Galgen erklären, »und mich auf meine Weise stets wohl dabei gefühlt. Den Mord an Carson, das wiederhole ich, habe ich nicht begangen, obwohl das ja jetzt gleichgültig ist, da ihr mich deswegen verurteilt habt und es auf eins herauskommt, ob ich schuldig oder unschuldig sterbe. Alles, was ich je im Leben angestellt habe, habe ich allein getan, ich habe nie Mitschuldige oder Freunde gehabt, bis auf einen einzigen, aber der interessiert euch nicht, denn der ist längst umgekippt und ein solider Bürger geworden, der Dummkopf. Was die Welt mir bieten konnte, hab' ich genossen, also knüpft mich in drei Teufels Namen auf, und der Satan mag euch dafür holen!«
Diese Rede wollte er ihnen halten, jedes Wort, jede Silbe hatte er genau bedacht, bis er nichts mehr daran zu ändern gefunden. Alles darin entsprach der Wahrheit, denn er hatte tatsächlich das Verbrechen, das man ihm zur Last legte, nicht auf dem Gewissen – auch stimmte es, daß er immer allein gearbeitet und nie einen Freund gehabt hatte, bis auf einen einzigen.
Ach ja, wenn dieser eine ihm zur Seite gestanden hätte, dann wäre es wohl nie soweit mit ihm gekommen, und wenn der ihm helfen wollte, könnte er selbst jetzt noch seinen Verfolgern entgehen. An diese Hoffnung klammerte er sich wie der Ertrinkende an einen Strohhalm, und das Haus dieses ehemaligen Freundes war auch das Ziel, dem er mit Aufbietung seiner letzten Kräfte zustrebte.
Aber wie würde jener ihn aufnehmen?
Schwer fiel es Larry Burns aufs Herz, daß er nicht immer ehrlich gegen diesen selbstlosen Freund gewesen war, sondern ihn manches liebe Mal sogar betrogen hatte. Doch im Laufe der Jahre verblassen ja meist die schlimmen Eindrücke, und nur die Erinnerung an das Gute, das man zusammen erlebt, bleibt lebendig – gebe Gott, daß sich diese Erfahrung auch in seinem Falle bewahrheiten möge!
Burns versuchte, es sich etwas bequemer im Sattel zu machen, indem er sich, soweit es ging, nach vorn beugte, denn die Schmerzen in seinen Beinen, namentlich auf der Innenseite der Oberschenkel, spotteten jeder Beschreibung, die Nackenmuskeln waren verkrampft, als hätte er dauernd Keulenschläge ins Genick erhalten, die Schädeldecke drohte ihm zu zerspringen.
Leider zeigte es sich sehr bald, daß der veränderte Sitz ihm keinerlei Erleichterung, sondern nur eine Abwechslung in seine Schmerzen brachte.
Er bereute es jetzt schwer, daß er während der langen Tage seiner Haft stumpfsinnig im Winkel seiner Zelle gehockt und vor sich hin gebrütet hatte, statt sich, so gut oder so schlecht es ging, durch Freiübungen Bewegung zu machen und seinen Körper geschmeidig zu erhalten. Wäre er am Anfang seiner Flucht zwanzig Pfund leichter gewesen – soviel hatte er bestimmt im Gefängnis Fett angesetzt, wenn er es auch inzwischen wohl längst wieder einbüßte –, dann wäre es dem Aufgebot sicher nicht gelungen, ihm so dicht auf die Fersen zu rücken!
Er wagte es gar nicht, sich umzusehen, sondern starrte verzweifelt geradeaus, denn das Bellen der Meute verriet ihm, daß seine Verfolger den Paß jetzt auch bereits hinter sich haben mußten. Er bohrte seinem Pferd die Sporen in die Weichen, doch das ermattete Tier beschleunigte kaum noch seine Gangart, das große Gewicht seines Reiters hatte seine Kräfte verzehrt. Wie verfluchte Burns jetzt seine Größe und die hohe Gestalt, auf die er früher immer so stolz gewesen, weil sie ihn über den Durchschnitt der Menge erhob!
Angestrengt lauschend versuchte er zu berechnen, wie weit die Verfolger noch hinter ihm wären und wie lange es noch dauern könne, bis sie ihn einholen würden. Eine gute halbe Stunde mochte wohl bis dahin noch vergehen, denn schließlich waren ihre Gäule ja auch alles andere als frisch – nicht umsonst hatte er in den zwei Tagen, die die Jagd dauerte, bereits das dritte Pferd zuschanden geritten.
War schon eine großartige reiterliche Leistung, die er da vollbracht hatte – spaltenlang würden die Zeitungen darüber berichten, natürlich ohne ein Wort der Anerkennung für ihn, sondern nur voller Lob und Bewunderung für den Herrn Kommissar.
Beim Gedanken an den Distriktskommissar packte den Flüchtling nicht nur kalte Furcht, sondern auch ein namenloser, grimmiger Haß. Wahrhaftig, er wollte gern sterben, wenn er diesen bleichen, kaltblütigen Menschenjäger um den Ruhm prellen könnte, ihn zur Strecke gebracht zu haben!
Der Weg wandte sich jetzt um eine Hügelkette herum, und da sah er sein Ziel vor sich: ein kleines, anspruchsloses, weiß angestrichenes Haus mit rotem Dach leuchtete ihm aus einer Gruppe hoher Silberpappeln entgegen.
Der Stall, der sich dahinter erhob, hatte noch nicht gestanden, als er das letztemal hier gewesen war, auch die Pferdekoppel war bedeutend vergrößert worden – kein Zweifel, der Besitzer dieses Gütchens war vorwärtsgekommen, hatte also Geld und Wohlstand auch auf andere Weise erworben als mit dem Revolver in der Hand – indem man ehrlich, in harter Tagesfron den Boden bearbeitete.
»Wahrhaftig, er hat recht gehabt«, sagte Larry Burns halblaut vor sich hin, »wir alle, die wir ihn ausgelacht haben, waren die Dummköpfe – er allein hat den richtigen Weg gewählt!«
Er war zu matt, um diesen Gedanken klarer durchzudenken, das Gehirn schmerzte ihn genau wie der ganze Körper, aber halb unbewußt stieg er immer wieder in ihm auf, begleitet von dem sehnsüchtigen Wunsch, vieles, was er im Leben getan, ungeschehen machen zu können.
Das todmüde Pferd schien in dem weißen Häuschen das Ziel des qualvollen Rittes zu wittern, denn es hob ein wenig den Kopf und beschleunigte seinen stolpernden Galopp.
Da die Ranch völlig einsam lag und es weit und breit keine Nachbarn gab, hatte Larry Burns damit gerechnet, seinen Freund, allein anzutreffen, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, denn als er näher kam, sah er vor dem Haus mindestens ein Dutzend Reitpferde angebunden, auch mehrere Einspänner und größere Wagen hielten davor. Irgend etwas mußte hier also los sein, da in solcher Menge die Menschen nur zusammenkamen, wenn es sich um eine Taufe, eine Hochzeit oder ein Begräbnis handelte.
»Allmächtiger, wenn Jesse gestorben wäre?« fuhr es Larry Burns durch den Kopf.
Dieser Gedanke ließ ihn seine entsetzliche Müdigkeit und seine eigene, verzweifelte Lage fast vergessen, er konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß dieser Mann, das Urbild heißen, pulsierenden Lebens, auch einmal starr und unbeweglich auf der Totenbahre liegen sollte. Er sah seinen schlanken, biegsamen und doch so unendlich kraftvollen Körper vor sich, das schöne, schmale Gesicht, in dem ein Paar dunkle, kluge Augen funkelten, das gütige, verstehende Lächeln, das um die Winkel seines feingeschwungenen Mundes spielte, und vor allem seine sprechenden, geschmeidigen Hände, von denen jeder einzelne Finger ein Sonderleben für sich zu führen schien. Alles dies sollte ausgelöscht, von der Welt, die einen solchen Menschen nur einmal trug, verschwunden sein?
Das wütende Kläffen der Meute, das ihm der Wind über die Hügel hinter sich zutrug, riß ihn aus seinem Grübeln in die furchtbare Gegenwart zurück. Irgend etwas mußte geschehen, dies Haus da war die einzige Zuflucht, die ihm noch blieb.
Er trieb sein Pferd in die Pappelgruppe hinein, stieg aus dem Sattel und taumelte auf das Haus zu. Seine gefesselten Hände ließen es ihm geraten erscheinen, nicht einfach einzutreten, sondern sich erst einmal durch einen verstohlenen Blick durchs Fenster davon zu überzeugen, was da drinnen vor sich gehe.
Das Zimmer, in das er mit blutunterlaufenen Augen hineinstarrte, wimmelte von Männern und Frauen, aber zu einem Begräbnis schienen sie, Gott sei Dank, nicht zusammengekommen zu sein, denn dazu war die Unterhaltung zu lebhaft, waren die Mienen zu heiter.
Rasch, ehe man ihn bemerkte, trat Larry Burns zurück und an das nächste Fenster – jetzt sah er, um was es sich handelte, denn hier stand ein junges Mädchen in Weiß mit einem wehenden, weißen Brautschleier auf dem Kopf. Er erkannte sie wieder nach den Schilderungen, die sein Freund ihm oft von ihr gegeben hatte, wenn diese wohl auch offenbar etwas gar zu rosig gefärbt gewesen waren.
Eine Venus war sie jedenfalls nicht, keine majestätische Schönheit, sondern einfach ein hübsches Mädel – aber innerlichen Wert mußte sie haben, denn sonst hätte sie schwerlich einem so eigenwilligen und ungewöhnlichen Charakter Jahre hindurch die Treue bewahrt und geduldig auf ihn gewartet.
Da war er ja auch selbst, sein Freund Jackson, dessen schlanker, geschmeidiger Körper an eine blitzende Damaszenerklinge gemahnte, dessen Bewegungen leicht und graziös waren wie die einer Katze.
Also gerade an seinem Hochzeitstage kam er zu ihm!
Schwer fiel dem Gehetzten diese Erkenntnis aufs Herz, und mit einemmal fragte er sich, ob er denn überhaupt noch das Recht habe, sich einen Freund Jacksons zu nennen, der sich ja doch schon seit langem von seinen früheren Kameraden getrennt hatte und ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft geworden war, deren Gesetze er peinlichst beobachtete. Und hatte er – Larry Burns – ihm nicht, auch abgesehen davon, genügenden Grund gegeben, ihn jetzt zu verleugnen?
Er kam sich recht kläglich vor, während er, von den Blättern des rankenden Weines, der das offene Fenster umrahmte, mit klopfendem Herzen beobachtete, was da in dem Zimmer vorging – er konnte zu keinem Entschluß kommen, ob er sich zeigen solle oder nicht.
Die Braut hatte ihrem Bräutigam die Hände auf die Schultern gelegt und blickte ihm ernst, forschend ins Gesicht.
»Was ist denn mit dir, Mary«, fragte Jackson lächelnd, »du bist ja mit einemmal ganz feierlieh geworden und siehst mich an, als ob du Mitleid mit mir hättest?«
Über ihr Gesicht glitt ein Lächeln, das aber gleich wieder verschwand.
»Vielleicht hab' ich das auch, Jesse«, sagte sie. »Jedenfalls ist jetzt der Moment gekommen, wo du dir zum letztenmal die Sache überlegen mußt – noch ist es nicht zu spät, noch kannst du zurücktreten.«
»Aber, um Gottes willen, Mary, wie kommst du auf solchen Gedanken? Du weißt doch, daß ich dich liebe!«
»Gewiß, das weiß ich«, antwortete sie schlicht, »aber ebenso weiß ich, daß du deine Freiheit liebst. Du bist im Begriff, dich für ewig zu binden, nicht nur an mich, sondern auch an dieses Fleckchen Erde, das dir vielleicht eines Tages zu eng werden wird, an eine schwere, einförmige Arbeit, die du vielleicht eines Tages verfluchst.«
»Mary, ich bitte dich, was sind das für Gedanken? Habe ich nicht –«
Sie schloß ihm den Mund mit der Hand.
»Sprich nicht weiter, Geliebter, ich weiß alles, was du sagen willst. Es ist auch kein Zweifeln an dir, was mich so reden läßt – nur um mich handelt es sich! Wenn du mich heute verlassen würdest, käme ich darüber hinweg, später, wenn ich erst Frau und Mutter bin, würde ich daran zugrunde gehen. Darum ist es mir heiliger Ernst, wenn ich dich jetzt allein lasse und dir fünf Minuten Zeit gebe, noch einmal mit dir zu Rate zu gehen. Bedenke alles genau, wäge alles Für und Wider noch einmal gegeneinander ab – in fünf Minuten komme ich zurück und hole mir deine Antwort, die dann endgültig sein soll.«
Damit wandte sie sich ab, ging zur Tür, nickte ihm lächelnd noch einmal zu und verschwand im Nebenzimmer, wo ihr Erscheinen lautes Hallo und fröhliches Lachen auslöste.
Jackson, der ihr bis zuletzt mit dem Blick gefolgt war, schritt jetzt nachdenklich auf das Fenster zu, und dabei sah er das verstörte Gesicht zwischen den Weinranken. Er fuhr zurück, dann aber näherte er sich wieder mit seinen katzenartigen Bewegungen, die dem Draußenstehenden von früher her noch wohlvertraut waren, und fragte:
»Zum Teufel, was soll das? Wer ist da?«
»Ich bin's, Larry Burns«, erwiderte der Flüchtling, vortretend, und streckte ihm seine gefesselten Hände wie flehend entgegen. »Mit Hunden sind sie hinter mir her, zweihundert Meilen bin ich geritten, ich kann nicht mehr weiter, ich bin verloren, wenn du mir nicht hilfst.«
Seine Stimme zitterte, zumal das wütende Gebell der Meute bereits bedenklich nahe klang – jeden Moment konnten die Verfolger auftauchen.
»Wieso verlangst du von mir Hilfe?« fragte Jackson eisig-ablehnend. »Ein Mörder verdient kein Mitleid, du hast den armen Carson ermordet, also sollen sie dich ruhig aufhenken, mehr bist du nicht wert.«
»Ich habe Carson nicht umgebracht, wahr und wahrhaftig nicht!«
»Wer hat es denn dann getan?«
»Blaze, glaub mir's, Blaze ist's gewesen.«
»Lügst du auch nicht?«
»Es ist die Wahrheit, bei Gott, ich schwör' dir's!«
»Wo ist dein Pferd?«
»Drüben zwischen den Pappeln.«
Jackson trat ins Zimmer zurück und kam gleich darauf mit einem Stück Draht wieder. Sein Blick verriet nicht allzu große Sympathie für den ehemaligen Kameraden, aber inniges Mitleid mit dem Gehetzten, der um sein Leben bangte. Mit zusammengebissenen Zähnen arbeitete er an den Schlössern der Handschellen, die sich unter seinen geschickten, schlanken Fingern verblüffend schnell öffneten.
Mit einem Satz sprang er dann durch das Fenster und flüsterte dem Befreiten hastig zu:
»Verbirg dich im Stall drüben; wenn es dunkel wird, such Mary auf, ich lasse ihr sagen, sie soll dir geben, was du brauchst – ich werde dein Pferd nehmen und sehen, daß ich die Hunde von deiner Spur abbringe!«
Jackson traute seinen Augen nicht – ein derartig abgetriebenes, vollkommen ausgepumptes Pferd, wie er es da mit hängendem Kopf und eingeknickten, zitternden Knien zwischen den Pappeln fand, hatte er in seinem Leben noch nicht gesehen. Trotzdem zögerte er keinen Moment, denn nachdem er einmal in einer mitleidigen Aufwallung und aus Kameradschaft das gefährliche Wagnis übernommen, dachte er nicht daran, jetzt davon zurückzutreten, sondern nahm den Zügel und sprang, ohne die Steigbügel zu benutzen, mit einem Satz in den Sattel.
Das Tier schwankte von dem Anprall hin und her, und es dauerte eine ganze Weile, ehe es das Gleichgewicht wiederfand. Jackson wartete mit zusammengebissenen Zähnen, bis das Pferd fest stand, dann trieb er es vorwärts, jedoch nur mit Hilfe der Zügel, ohne die Sporen zu benützen.
Es war, als ob sich seine ungeheure Lebenskraft und Energie dem ermatteten Pferd mitteile, denn es kam verhältnismäßig ganz gut vorwärts, obwohl Jackson nicht auf die offene Straße hinausritt, auf der es das Tier natürlich leichter gehabt hätte, sondern zwischen den Bäumen blieb, wo er den Windungen des Gehölzes folgte.
Als er dieses dann verließ, erkannte er an der Art, wie sich das Hundegebell an den Stämmen brach, daß die Verfolger es eben betreten hatten. Das Pferd zuckte zusammen, denn es war lange genug vor diesen Lauten davongejagt, um mit ihnen den Begriff einer drohenden Gefahr zu verbinden, und so gelang es Jackson unschwer, es in einen, wenn auch sehr matten, Trab zu bringen.
Der Weg führte jetzt über eine Wiese, wo zwanzig von seinen Pferden weideten, Tiere, die er selber gezogen hatte und auf die er besonders stolz war. Obwohl es durchaus keine Vollblüter waren, zeigte sich in ihnen das gute, alte Araber- und Berberblut, das die Konquistadoren einst in Mexiko eingeführt hatten. Entschieden, er war mit seiner Zucht auf dem richtigen Weg, dachte er sich, wenn auch nicht allzu groß, so waren die Pferde doch wie aus gehämmertem Stahl, zuverlässige, ausdauernde Geschöpfe mit Muskeln wie Sprungfedern. Mit einem von ihnen hätte er das ganze Aufgebot, das hinter dem armen, unschuldigen Larry Burns herjagte, auslachen können – nie und nimmer würde man ihn eingeholt haben!
Aber das ging natürlich nicht, der Witz war ja, die Leute und Hunde dadurch irrezuführen, daß er Burns' Pferd ritt.
Was würde ihm wohl geschehen, wenn sie ihn faßten? Man würde ihm den Prozeß machen, weil er einem verurteilten Verbrecher zur Flucht verholfen, würde ihn zweifelsohne schwer bestrafen und dadurch sein mühsam aufgebautes bürgerliches Leben hoffnungslos wieder zerstören.
Der Gedanke an diese Möglichkeit veranlaßte ihn, das Pferd von neuem anzutreiben. Unbedingt mußte er die freie, übersichtliche Wiese hinter sich und den jenseitigen Wald erreicht haben, bevor die wilde Jagd aus dem Pappelgehölz hervorbrach, denn sonst würde jeder auf den ersten Blick sehen, daß nicht mehr Larry Burns' breitschultrige Gestalt hier im Sattel saß.
Das todmüde Pferd hielt durch, es schaffte es, und erst als Jackson im Schatten der Bäume geborgen war, hörte er das Blaffen der Meute ungehemmt über die Wiese schallen.
Am Waldesrand hatte er noch einmal nach seinem Haus zurückgeschaut. Jetzt waren wohl gerade die fünf Minuten vergangen, die Mary ihm als Bedenkzeit gegeben hatte. Erhobenen Hauptes, mit einem vertrauenden Lächeln würde sie eintreten und das Zimmer leer finden, sich anfangs wohl ungläubig umschauen, einen dummen Scherz von ihm vermuten, aber dann? Mußte sie nicht annehmen, daß er sich wie ein elender Schurke davongeschlichen habe, statt die Gelegenheit, die ihre Großmut ihm bot, wenigstens wie ein Mann zu benutzen, dazubleiben und ihr ehrlich ins Gesicht zu sagen, daß er im letzten Augenblick noch anderen Sinnes geworden? Diese furchtbare Enttäuschung konnte Marys Tod sein, und selbst wenn sie darüber hinwegkam, ihre Liebe zu ihm würde sicher daran sterben.
Kalter Schweiß trat Jackson bei diesem Gedanken auf die Stirn.
Aber das war ja alles Unsinn – er brauchte ja nur die dumme Geschichte, die er zur Rettung des zu Unrecht verfolgten Kameraden übernommen, möglichst rasch zu Ende führen, dann konnte noch alles wieder gut werden.
Eine innere Stimme jedoch, die dieser Zuversicht widersprach, vermochte er nicht zum Schweigen zu bringen. Es war ja auch zu merkwürdig, daß diese unwahrscheinliche Sache sich gerade heute an seinem Hochzeitstag ereignete! Sah es nicht aus, als ob das Schicksal diesen Schlag von langer Hand vorbereitet hätte, um ihn in letzter Minute noch von Mary zu trennen?
Durch das Unterholz gedeckt, wandte er sich um. Die Hunde, sichtlich erschöpft, waren auf der Wiese draußen stehengeblieben, hoben jetzt witternd die Köpfe und nahmen dann, die Nasen auf dem Boden, kläffend und schweifwedelnd die Spur wieder auf; die nachfolgenden Reiter trieben ihre Pferde, die genau so ausgepumpt waren wie das Larry Burns', mit Peitschen, Sporen und wilden, ermunternden Zurufen von neuem an – zweifellos hatten zum mindesten die Hunde ihn bereits gesehen.
Jackson fühlte, daß seine Chance, durchzukommen, verzweifelt gering, kaum eins zu tausend stand. Außerdem war zu befürchten, daß die Leute des Aufgebotes hier im Dunkel des Waldes nicht gleich merken würden, daß jetzt ein wesentlich schmächtigerer Reiter im Sattel saß, sondern sofort, wenn sie ihn zu Gesicht bekamen, das Feuer eröffnen würden – und zwar nicht auf das Pferd, um eine weitere Flucht unmöglich zu machen, sondern mitleidlos auf seine Person, denn um noch zarte Rücksichten zu nehmen, waren sie entschieden durch die lange Jagd zu müde und verbittert.
Das Unterholz wurde immer dichter und höher, so daß er sich hier recht gut hätte verstecken können, wenn die Hunde nicht gewesen wären, deren immer lauter und wütender werdendes Bellen ihn halb wahnsinnig machte. Nervös griff er nach dem Kolben des Gewehrs, der aus dem langen Sattelhalfter hervorragte, entschlossen, wenigstens ein paar von den lästigen Kläffern stumm zu machen – dann würden die anderen schon von ihm ablassen. Mitten in der Bewegung aber hielt er inne – nein, er wollte alles vermeiden, was ihm als Verbrechen ausgelegt werden könnte, denn sonst würde er sich jede Aussicht, doch noch an Marys Seite glücklich zu werden, endgültig verscherzen.
Immer näher kam das Geblaffe der Meute, immer deutlicher hörte er das Knacken und Brechen im Unterholz, aber es war einfach unmöglich, das erschöpfte Pferd in eine raschere Gangart zu bringen.
Zu Jacksons Linken gähnte jetzt ein tiefer Abgrund, in dem ein kleiner Bach murmelte – wenn er über den hinübergelangen könnte, wäre er wenigstens fürs erste aus aller Gefahr gewesen, aber leider war das Tal viel zu breit, selbst mit einem frischen Vollblüter hätte er den Sprung darüber nicht wagen können.
Eigentlich war es ja sinnlos, daß er den todmüden Gaul immer weiter und weiter in das dichte Gestrüpp hineinjagte, es blieb ihm ja doch nichts übrig, als sich in den nächsten Minuten dem Gesetz auszuliefern, das er, sehr gegen seinen Willen, wieder verletzt hatte.
Schon war er hierzu entschlossen, als er plötzlich stutzte: vor ihm zeigte sich eine natürliche Brücke über den Abgrund, eine mächtige Rottanne, die wohl bereits vor Jahren umgestürzt sein mochte, hatte sich quer über die Tiefe gelegt. Sollte er versuchen, da hinüberzureiten? Der Stamm schien zwar stellenweise schon arg morsch zu sein, aber vielleicht hielt er das Gewicht noch aus.
Eine wilde Freude am Außergewöhnlichen, die Lust, mit der Todesgefahr zu spielen, kam seit langem wieder einmal über ihn.
Absteigen und das Pferd am Zügel hinter sich herziehen, konnte er natürlich nicht, wenn das Tier überhaupt hinüberkam, dann nur durch die Hilfen, die er ihm vom Sattel aus geben konnte.
Die freiliegenden Wurzeln der Tanne bildeten gewissermaßen eine Treppe, und sie trieb er das Pferd hinauf, oben aber wollte es nicht weiter, sondern stemmte alle vier Beine fest ein. Jacksons Herzschlag setzte einen Moment lang aus, denn jetzt sah er, daß der Stamm nicht so breit war, wie er angenommen hatte, und überdies mit feuchtem, also schlüpfrigem Moos bedeckt war.
Er griff fest in den Zügel und sprach leise auf das zitternde Tier ein, doch dieses hatte die Ohren zurückgelegt und weigerte sich entschieden, auch nur einen Schritt nach vorn zu machen. Sicher wäre es selbst einem so vollendeten Reiter wie Jackson nicht gelungen, das Pferd vorwärts zu bekommen, wenn nicht in diesem Moment die Hunde in nächster Nähe aus dem Unterholz hervorgebrochen wären und ihr gellendes Bellen das Pferd mehr geängstigt hätte als die Gefahr, die vor ihm lag.
Mit kleinen, unsicher tänzelnden Schritten schob es sich vorwärts, krampfhaft bemüht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Den Kopf hielt es ganz tief gesenkt, als ob es sich von der Festigkeit jeder Stelle erst überzeugen wolle, ehe es den Huf darauf setzte. Unendlich langsam kamen sie vorwärts, aber es ging doch voran.
Das Kläffen der Hunde klang immer lauter und näher, jetzt mußten sie bereits dicht an den Wurzeln der Rottanne sein, denn Jackson fühlte, wie das Pferd unter ihm wieder zu zittern begann. Er suchte es zu beruhigen und ihm die Sache dadurch zu erleichtern, daß er sein Gewicht ganz gleichmäßig verteilte. Die Füße hatte er aus den Steigbügeln gezogen, um die Möglichkeit zu haben, sich vielleicht an dem Stamm festzuhalten, wenn das Pferd straucheln und abstürzen sollte.
Im übrigen kam ein Gefühl völliger Gleichgültigkeit über ihn, denn ein Blick in die Tiefe, aus der ihm von den faulenden Blättern ein modriger, dumpfer Grabgeruch entgegenschlug, sagte ihm, daß ein Sturz dahinunter unbedingt tödlich sein mußte.
Als sie ungefähr die Mitte dieser lebensgefährlichen Brücke hinter sich hatten, holte sie ein Hund, der den anderen vorausgeeilt war, ein. Das Pferd, am ganzen Körper bebend, blieb stehen; Jackson wandte sich so vorsichtig, daß er nicht einen Augenblick den Schwerpunkt verlegte, im Sattel um, zog langsam den Revolver, zielte ruhig und schoß. Die Kugel zerschmetterte den Schädel des riesigen, gefleckten Bluthundes – wie ein Klumpen sauste er in den Abgrund hinab.
Als Jackson sich wieder umdrehte, fühlte er, wie ein Huf des Pferdes abrutschte; er war schon im Begriff, nach vorn aus dem Sattel zu springen, doch es gelang dem Tier, sich auf drei Beinen im Gleichgewicht zu halten. Je weiter es sich der jenseitigen Talwand näherte, um so schneller ging es vorwärts, und mit einem letzten Sprung erreichte es den festen Boden.
Ohne sich auch nur noch einmal umzusehen, trieb Jackson das noch immer zitternde Tier in das Dickicht hinein, denn von drüben her drangen bereits Rufe der Enttäuschung und der Verwunderung an sein Ohr.
Obwohl ein Dutzend Kugeln um ihn herum einschlugen, stieg Jackson ab, denn das arme Pferd schwankte und war offenbar am Zusammenbrechen. Er zog es hinter einen dicken Baumstamm, der ihm genügend Schutz bot, und setzte sich selbst auf einen vorspringenden Wurzelstumpf.
Erstaunt merkte er, daß seine Hände zitterten, nicht stark, aber doch immerhin merklich. Entschieden, er war schlapp und verweichlicht, denn in früheren Tagen hatten schwierigere Dinge und größere Lebensgefahr seine Nerven nicht in Unordnung gebracht!
Jetzt hörte er, wie man die Hunde zurückpfiff, die die Spur bis zur Mitte des Baumstammes verfolgt, an der Stelle aber, wo ihr Gefährte abgestürzt war, jaulend und winselnd haltgemacht hatten. Er war den Verfolgern so nahe, daß er deren Unterhaltung genau verstehen konnte.
»Ich hatte gedacht, er wollte sich von Jackson einen frischen Gaul geben lassen«, sagte eine hohe, schneidende Stimme.
»Nein, daß er das nicht versuchen würde, wußt' ich, Jackson hat doch nichts mit einem elenden Mörder gemein«, antwortete eine tiefere, herrische Stimme, die Jackson veranlaßte, aufzustehen und hinter dem Baumstamm hervor nach der anderen Talseite hinüberzuspähen.
Er erkannte in dem Sprecher sofort den Distriktskommissar Tex Arnold, und ihm wurde ziemlich beklommen zumute, denn lieber hätte er eine ganze Armee auf seiner Fährte gewußt als gerade diesen Mann, dessen Gegenwart es ihm auch erklärlich machte, daß das Aufgebot so lange zusammengeblieben war und die Verfolgung Larry Burns' nicht schon längst als aussichtslos aufgegeben hatte.
»Er war doch aber mit Burns befreundet«, wandte der erste Sprecher ein.
»Er kannte ihn wohl, war aber nie mit ihm befreundet«, erwiderte der Kommissar, »dazu war er denn doch immer etwas zu wählerisch.«
»Na, ich weiß nicht, er hat früher schon recht seltsamen Umgang gehabt«, meinte der andere.
»Jackson war in seiner Art ein ganzer Kerl, lieber Tom«, entgegnete Arnold überzeugt. »Zehn Jahre meines Lebens hätte ich darum gegeben, wenn ich ihn damals, als er noch gegen das Gesetz stand, erwischt und gefaßt hätte, doch ich hab' leider niemals das Glück gehabt – ihn heute aber schlechtmachen zu wollen, ist wahrhaftig nicht am Platz! – Übrigens, dem Burns hätt' ich den Mut, über den Stamm da zu reiten, nie zugetraut.«
»Wenn man eine Ratte in die Enge treibt, beißt sie«, sagte ein anderer.
»Das schon«, meinte der Kommissar, »aber hier stimmt der Vergleich nicht. Ich hätte begriffen, wenn dieser Larry Burns sich zum Kampf gestellt und auf uns geschossen hätte, aber über den Baum zu reiten, erfordert Nerven, wie sie der Bursche bestimmt nicht besitzt.«
»Aber er muß doch über die nötige Nervenkraft verfügen, denn er hat es geschafft«, erwiderte Tom.
»Nun und nimmer«, beharrte Arnold verbissen.
»Na schön, du sollst recht haben«, entgegnete Tom trocken, »dann ist eben ein Engel herniedergestiegen und hat ihn mitsamt seinem Gaul 'rübergetragen.«
»Sieh mal, Tom, du bist doch, wie ich weiß, ein sehr mutiger Mensch, und zu reiten verstehst du auch recht anständig – nicht?«
»Vielen Dank für die gute Meinung!«
»Würdest du es riskieren, da 'rüberzureiten.«
»Ich bin doch nicht wahnsinnig!« rief Tom ganz entsetzt. »Schließlich hat alles seine Grenzen, auch die Begeisterung für Recht und Gesetz!«
»Na also«, erwiderte der Kommissar trocken. »Auch das, was ein Larry Burns kann, hat seine Grenzen, und das Kunststück da geht unbedingt über seine Kraft.«
»Ich kann mich nur an Tatsachen halten«, entgegnete Tom, »und Tatsache ist, daß die Hufspuren auf dem Baumstamm die gleichen sind, die wir verfolgen.«
Trotzdem der Kommissar sich als erster hiervon überzeugt hatte, blieb er unerschütterlich bei seiner Meinung.
»Etwas Merkwürdiges steckt jedenfalls dahinter, wenn ich auch nicht weiß, was«, sagte er kopfschüttelnd. »Da 'rüber können wir nicht, das wäre reiner Selbstmord, wir müssen uns also damit abfinden, daß uns der Verbrecher für heute entschlüpft ist und wir ihn erst morgen fassen werden. Ich denke, wir folgen zunächst erst einmal dem Lauf dieses Baches abwärts, denn irgendwo werden sich ja wohl seine Ufer so weit senken, daß er passierbar wird.«
Jackson hatte genug gehört, und da sein Pferd sich inzwischen ein wenig verschnauft hatte, brach er auf, das Tier am Zügel hinter sich her führend. Vorläufig hatte er noch keine Eile, denn er wußte genau, wie weit das Aufgebot zu reiten hatte, ehe es eine Stelle fand, die einen gefahrlosen Übergang gestattete, und außerdem mußte er das vollkommen ausgepumpte Pferd schonen, da es das einzige Mittel war, um die Verfolger von Larry Burns abzulenken, der eine Ruhepause von vierundzwanzig Stunden unbedingt nötig hatte.
Was inzwischen wohl bei ihm zu Hause vorging? Ob Mary auf ihn warten würde oder angenommen hatte, daß seine Liebe zur ungebundenen Freiheit größer gewesen sei als seine Neigung zu ihr?
Die meisten Menschen werden in kritischen Momenten, wenn es für sie um Sein oder Nichtsein geht, bitter und mürrisch, manche suchen mit fest aufeinandergebissenen Zähnen verzweifelt nach einem Ausweg, andere wieder toben in sinnloser Wut gegen das Schicksal, Jesse Jackson aber – – lächelte. Sein Auge strahlte, stolz hob er den Kopf, die Todesgefahr, in der er sich befand, belebte sein ganzes Wesen.
Unbeirrt vorwärts schreitend, war er schließlich an einen kleinen Wasserlauf gekommen, in den er das Pferd knietief hineinführte, um es vorsichtig und allmählich zu begießen. Es war jedoch so völlig erschöpft, seine Muskeln und Nerven waren durch die übermäßige Arbeit, die es geleistet hatte, so hoffnungslos verkrampft, daß auch das erfrischende Bad nichts mehr nützte und das arme Tier unter seinem Gewicht buchstäblich zusammenbrach, als er wieder in den Sattel stieg.
Jackson war ganz außer sich – das war ja Mord, glatter Mord! Er mußte unbedingt ein anderes Pferd haben, und zwar mußte der Wechsel vor den Augen der Verfolger stattfinden, doch in so großer Entfernung, daß selbst Tex Arnolds Falkenblick nicht erkennen konnte, ob da Larry Burns oder ein anderer sich auf den frischen Gaul schwang. Allerdings machte er sich dadurch zum Dieb, zur schlimmsten, verachtetsten Sorte, die der Westen kennt, zum Pferdedieb!
Mancherlei Verbrechen hatte man ihm in früheren Jahren zugetraut, aber niemals ein so gemeines. Doch da half jetzt alles nichts, er mußte die Sache, die er nun einmal auf sich genommen hatte, auch zu Ende führen – es ging ja um Larry Bu [...]