Auf Klick ins Glück - Christien Maria Eisenbarth - E-Book

Auf Klick ins Glück E-Book

Christien Maria Eisenbarth

0,0

  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Erotik
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Zwei sehr unterschiedliche Menschen, die mitten im Leben stehen, begegnen sich zufällig auf einer Bussinessplattform. Der kopflastige Professor aus dem hohen Norden trifft auf eine quirlige Freiberuflerin aus dem Süden. Per Mail nähern sie sich an und trotz des Handicaps, das sie in der Seele trägt, entwickelt sich aus dem virtuellen Flirt eine romantische Beziehung um Liebe, Lust, Angst und Hoffnung… Der Leser erhält intime Einblicke in einen berührenden Briefwechsel und in leidenschaftliche Begegnungen. Die treffend klare Sprache der Autorin wird - trotz aller Deutlichkeit - niemals obszön. Eine Story, die unter die Haut geht. Zeigt sie doch auf ihre eigene und leichte Weise, wie lange Missbrauch in einem Menschen nachklingen kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 404

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



© 2016 Christien Maria Eisenbarth

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-4732-4

e-Book:

978-3-7345-4733-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Auf Klick ins Glück

Fast 50 Jahre und kein bisschen weise?

Christien Maria Eisenbarth

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich wünsche mir, dass es gelingt Sie ein wenig in den Bann meines Romans zu ziehen. Eine Geschichte, wie sie auch Ihnen jeden Tag passieren könnte. Natürlich gibt es da ein paar autobiographische Momente, doch Carin und Sebastian sind schon ganz eigene Persönlichkeiten.

Viel Vergnügen mit „Auf Klick ins Glück“,

Ihre

Christien Maria Eisenbarth

Prolog

Heute rangiert das Internet bereits auf Platz Drei der Orte, an denen sich Verliebte zum ersten Mal treffen. Gleich nach Kneipen, Bars, Clubs und sonstigen öffentlichen Plätzen. Auch wenn die über 40-Jährigen nicht unbedingt eine Dating-App auf ihrem Handy haben, menschelt es online sehr. Soziale Netzwerke wie Facebook, XING, LinkedIn, Google+ etc. sind längst allgegenwärtig.

Die Annäherung über eine Internet-Plattform hat ihren besonderen Reiz auch durch die Distanz des Mediums. Warnten die Experten früher vor Vereinsamung im Netz, so sind sie heute davon überzeugt, dass die digitale Kommunikation mehr Intimität entstehen lässt. Im virtuellen Raum müssen wir keine Rolle spielen, wie wir das in der Gegenwart eines sinnlich wahrnehmbaren Gegenübers wohl tun würden.

Carin sucht nach großen Projekten, die sie mehrere Jahre beschäftigt hatten, nach neuen Auftraggebern und Aufgaben. Sie bedient sich dabei natürlich auch der „Business-Plattform XING“, die mit mehr als zehn Millionen Mitgliedern als führendes berufliches Netzwerk im deutschsprachigen Raum gilt. Carin hat sich mühsam mehrere Tausend Kontakte geschaffen und erfreut Ihr persönliches XING-Netzwerk durch wechselnde Zitate und Aphorismen in den Statusmeldungen. Als sie unter den Profilbesuchern einen Professor Dr. Dr. Sebastian A. entdeckt, ist sie überrascht. Was mag er wohl auf ihrem Profil gesucht haben? Neugierig macht sie einen Gegenbesuch und blickt auf das sympathische Foto eines schon ergrauten und streng wirkenden Mannes. Sie überfliegt das Profil. Es geht um Medizin, Chemie und Biologie, um Forschung, Gutachten und Expertisen. Das ist nun gar nicht Carins Thema.

Kurzerhand schickt sie ihm eine Kontaktanfrage:

Sehr geehrter Professor A.,

ich freue mich über Ihren Besuch auf meinem Profil. Schön, dass Sie mich nicht übersehen haben. Da ich alle Angebote immer unter meinen Kontakten erfrage, pflege ich hier ein sehr großes Netzwerk. Deshalb ist mir diese Plattform eine wunderbare Hilfe geworden – auf der Suche nach Dienstleistern, aber auch bei der Auftragsakquise.

Ihre Kontaktbestätigung würde mich freuen. Vielleicht ergeben sich überraschende Synergien, wenn Sie einmal Unterstützung bei der Projektorganisation, im Marketing oder für Ihre Werbung brauchen?

*lächel*

Herzliche Grüße

Carin S.-R.

Es ist überraschend, wie schnell eine geschäftlich geplante Begegnung zwischen Carin und Sebastian privat wird. Wie sie per Mail ganz vorsichtig das Wesen des anderen erkunden und überrascht werden von einer unerwarteten Nähe. Nach nur wenigen Wochen des Emailkontaktes lädt der Professor Carin zu einem Kennenlernen nach Wien ein. Er habe dort zu tun und schickt Ihr die Adresse seines Hotels in der Innenstadt. Carin sagt kurzerhand zu.

Mit ihrem kleinen, roten Cabrio macht sie sich wenige Tage später auf den Weg nach Wien. Normalerweise fährt sie schnell und oft auch mal gewagt, doch heute denkt sie über das bevorstehende Treffen nach. Je näher sie Wien kommt, umso mulmiger ist ihr zumute. Vielleicht hätte sie ihrer Neugier nicht nachgeben sollen? Es ist doch unvernünftig sich nach ein paar Mails mit einem Fremden zu treffen. Was wusste sie überhaupt von diesem Professor, außer ein paar beruflicher Angaben auf Xing und dem, was er sie wissen ließ? Ja, sein Foto sah sehr vertrauenserweckend aus und der kluge Blick zog sie magisch an. Sie hatte schon immer ein Faible für kluge und gebildete Männer. Trotzdem – konnte man nicht jeden Tag lesen, was bei solchen Blind Dates so alles passiert? Es war leichtsinnig! Mehr als leichtsinnig – aber jetzt auf halbem Wege würde sie nicht umkehren - also auf ins Abenteuer!

Ein Parkplatz gegenüber der angegebenen Adresse war frei, wie für sie reserviert. Ob man da länger stehen dürfte? Carin wollte auf keinen Fall riskieren, dass man ihr rotes „Baby“ auch noch abschleppt. Sie betritt 10 Minuten vor der vereinbarten Zeit das Foyer, setzt sich in eine Ecke und hält Ausschau nach dem Unbekannten. Er ist noch nicht da. An der Rezeption fragt sie nach den Parkbedingungen und kauft Parkmarken, als der Professor plötzlich neben ihr steht. Er war riesig und Carin musste trotz hoher Absätze aufblicken. Ein unwahrscheinlich großer und dicker Mann steht vor ihr und begrüßt sie formvollendet mit einem warmen Lächeln und einem neugierigen Blick aus braungraugrünen Augen. Carin reicht ihm etwas verdattert die Hand und ist froh, dass er ihre Sprachlosigkeit mit ein paar charmanten Begrüßungsfloskeln überspielt. Er erklärt ihr den Weg zum nächsten Parkhaus. In der Zwischenzeit wolle er sich kurz frischmachen und sie dann im Foyer erwarten. Wiens Weihnachtsmärkte stünden auf dem Programm.

Carin ist so nervös, dass sie beinahe an der Einfahrt des Parkhauses vorbei gerauscht wäre. Sie findet eine Lücke in einer Ecke gleich bei der Ausfahrt und parkt rückwärts ein. Da sie sehr viel mit dem Auto unterwegs ist, macht ihr das Einparken Spaß. Oft sucht sie sich extra kleine Parkbuchten aus, die so mancher männliche Zuschauer dem Rotschopf im roten Cabrio nicht zutraut.

Sie lässt sich Zeit auf dem Weg zum Hotel. Ihr Magen fühlt sich mulmig an und die Nervosität hat sie voll im Griff. Was soll schon passieren, versucht sie sich Mut zu machen. Wir sind hier schließlich nicht alleine. Die Stadt ist auch voller Menschen und abgelegene Straßen und Ecken würde sie zu meiden wissen. Er wirkt so gütig - dieser riesige Mensch, geht es ihr durch den Kopf. Sie hätte ihn sich nie so groß und schwer vorgestellt – schätzungsweise 140 kg Mann. Carin führte sich die Gestalt wieder vor Augen, aber nein - es stieß sie nicht ab. Obwohl sie nie mit einem so üppigen Menschen je näher zu tun hatte. Diese klugen Augen mit dem neugierigen und dennoch sprühenden Blick, hatten es ihr gleich angetan. Auch der samtweiche Bass und der nordische Akzent gefielen ihr.

Er nahm sie im Foyer in Empfang und schlug vor, sich direkt auf den Weg zu machen. Es gäbe mehrere Weihnachtsmärkte, die mit ihrem unterschiedlichen Charme eine ganz eigene Wirkung hätten. Carin müsse sie unbedingt sehen. Er erzählte ihr über die Stadt und Traditionen und Carin vergaß nach und nach ihre Anspannung. Der warme Klang seiner Stimme nahm sie voll ein.

Auf dem ersten Markt tranken Sie einen Glühwein und standen direkt unter einem großen Baum, der mit roter Herzlichterkette dekoriert war. Dann stellte sich unmittelbar vor ihnen auf dem kleinen Platz eine Bläsergruppe zum Weihnachtskonzert auf. „Jetzt haben wir einen Platz in der ersten Reihe“, lacht Carin. Nach dem zweiten Musikstück drängt Sebastian zum Weitergehen. Die Unterhaltung ist leicht und angenehm. Carin erlebt Wien mit all dem Weihnachtsschmuck zum ersten Mal und ist begeistert. Sie kann sich an allem freuen und Sebastian beobachtet lächelnd die strahlenden Kinderaugen, wie sie immer wieder etwas Neues entdecken. „Wir sind gleich alt und doch wirkt Carin verdammt jung und erfrischend“, denkt Sebastian. „Man würde sie am liebsten einfach in den Arm nehmen und küssen.“ Doch das wagt er noch nicht. Wenn sich hin und wieder fast zufällig ihre Hände beim Gehen streifen, kommt da dieser andere Blick. Er kann ihn nicht deuten. Fast ängstlich wirkt sie dann. Sebastian wird dem auf den Grund gehen.

Am Stephansplatz haucht er einen vorsichtigen Kuss auf ihre Wange und sie schreckt zurück. Ihn trifft ein Blick, der eher ängstlich als überrascht ist. Er kann sich das in diesem Moment der Harmonie einfach nicht erklären. Doch er würde zurückhaltender sein. Er möchte sie keinesfalls vor den Kopf stoßen. Glücklicherweise verzog sich diese kleine Spannung zwischen ihnen gleich wieder. Sie entdeckte einen Smart als Polizeiwagen und amüsierte sich darüber. Auch der zweite und dritte Weihnachtsmarkt machten Sebastian zum ersten Mal so richtig Spaß. Er brauchte Carin nur zu beobachten, ihre Begeisterung für alle möglichen Kleinigkeiten und ihre Freude an den Menschen und der Stimmung. Natürlich hatte der zweite Glühwein auch seine Wirkung. Sie war jetzt etwas ungezwungener und erzählt immer wieder kleine Episoden aus ihrem Leben. „Ich hab Hunger, Sie nicht? Wollen wir hier eine Bratwurst essen oder möchten Sie lieber in ein Lokal gehen?“ „Lassen Sie uns lieber schön einkehren, ich glaube ihnen täte ein wenig Wärme jetzt gut!“

Auf dem Weg zu einem guten Lokal, das der Professor natürlich kennt, warf Carin wie selbstverständlich einen Euro in den Hut eines Bettlers. „Warum tun Sie das? Nicht selten unterstützt man damit ganze Banden“, fragt Sebastian. „Auch wenn der Mann womöglich zu einem organisierten Trupp gehört, ich gebe immer etwas, weil ich nicht an seiner Stelle hier sitzen möchte.“ Sebastian lächelt. Nun, das war natürlich auch eine Sichtweise. Plötzlich hüpfte sie zu einem Schaufenster mit einem blau erleuchteten Weihnachtsbaum. Sie konnte sich über die Sonnenbrillen als Baumschmuck amüsieren und Sebastian lacht über das große Kind. Er hatte lange keinen Menschen mehr erlebt, der mit so viel Freude durchs Leben geht.

Es war ein wunderbarer Abend mit leichten und auch tiefen Gesprächen und Carin spürte, dass dieser riesige Bär ein ganz besonderer Mensch ist. Sie fühlt sich angezogen von der tiefen Stimme, den sanften Augen und schöpft Vertrauen in die Ruhe, die er ausstrahlt. Sebastian ist ebenso hingezogen von dem fröhlichen Wesen. Er kann ihr die Heimfahrt in dieser Nacht ausreden. 400 Kilometer waren ja auch eine Strecke, die man sich nach Glühwein und Punsch nicht antun sollte. An der Rezeption im vollbelegten Hotel machte Sebastian ein Zimmer für Carin in der Nähe fest. Er begleitet Sie zum Parkhaus Ihre Tasche holen und gemeinsam erwarten sie das Taxi.

Carin ist gerade ins Bett geschlüpft, als sich Sebastian per Handy meldet. Sie erzählt von dem afghanischen oder ägyptischen Taxifahrer, der ihr auf dem kurzen Weg seine halbe Lebensgeschichte erzählt hatte und sie plauderten über die kleinen Erlebnisse des gemeinsamen Abends. Carin genießt es zu flirten. Als sie endlich auflegten, schreibt sie eine vorwitzige SMS, die den armen Sebastian lächeln, aber auch lange nicht einschlafen lässt. Ja, das war schon eine etwas „anrüchige“ SMS - meint sie zumindest, kuschelt sich in die Decke und schläft mit einem Lächeln ein.

Sebastians Anruf weckte sie auf. Sie wollten sich in seinem Hotel treffen und dann gemeinsam frühstücken. Er habe einen kleinen Ausflug geplant, um ihr etwas ganz Zauberhaftes zu zeigen. Obwohl das Wetter umgeschlagen hatte und es stürmisch und kalt war, willigte Carin ein. Das Ziel würde er nicht verraten. Zuvor wolle man aber in einem typischen Wiener Caféhaus in der Nähe frühstücken.

Sebastien entschied sich für ein Standardfrühstück während Carin drei Rühreier zum Kaffee bestellt. Es war eines dieser Wiener Caféhäuser mit einem ebenso typischen Kellner. Es verging geraume Zeit, Sebastian hatte sein Frühstück schon fast beendet, als er an den Tisch trat und Carin erklärte: „Sie müssen entschuldigen, gnädige Frau. Aber die Eier kamen so derangiert aus der Küche, dass ich sie zurückgeben und neu ordern musste. Bitte gedulden Sie sich noch ein Sekündchen.“ Sebastian und Carin lachten über den Wiener Schmäh. Nirgends anders auf der Welt hätte ein Kellner seinen Fehler charmanter erklären können. Kurz darauf servierte er formvollendet ein perfekt arrangiertes Omelett.

Der Ausflug führte sie an den Neusiedlersee. Der Bootssteg schwankte an diesem stürmischen Tag und Carin fror. Sie fuhren ein Stück zurück und in Rust erklärte Sebastian ihr die Stadt. Sie begeisterte sich für die vielen Storchennester auf den Hausdächern, die sie unbedingt zur Brutzeit noch einmal sehen wolle. Er zeigte ihr auch die Gebäude, die als Kulisse für die TV-Serie „Der Winzerkönig“ gedient hatten. Dann entdeckte sie das Zeichen für Illuminati über einem Hauseingang. Sie hatte so etwas noch nie bewusst wahrgenommen und wusste auch nichts darüber. Deshalb holte Sebastian etwas aus: „Illuminati heißt „die Erleuchteten“. Es handelt sich hier um eine Geheimgesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, durch Aufklärung und sittliche Verbesserung die Herrschaft von Menschen über Menschen überflüssig zu machen. Der Philosoph und Kirchenrechtler Adam Weishaupt hat diese Gesellschaft 1776 in Ingolstadt gegründet. 1785 wurde sie dann verboten. Es gibt bis heute Verschwörungstheorien, dass die Geheimgesellschaft noch existiert und ihr mächtiger Einfluss nicht nur die Entstehung der USA beeinflusst hat. Auch für die Französische Revolution wurden Illuminaten verantwortlich gemacht. Fast alle bedeutenden Führer der Revolutionäre seien Freimaurer gewesen. Es wird behauptet, dass diese Freimaurer heute noch große Macht besitzen.“ Ihre Unwissenheit beschämt Carin. Nach dem „Vortrag“ wagt sie erst einmal nicht den erklärenden Prof. anzublicken und fühlt sich wie ein kleines, dummes Schulmädel. Ja, der Mann neben ihr hat schon sehr viel mehr Wissen und Bildung. Natürlich fasziniert sie das, doch gleichzeitig erkennt sie, wie schlecht ihre eigene Allgemeinbildung doch ist.

Sie musste als Kind sehr oft mit ihren Eltern umziehen. Sich immer wieder auf eine neue Umgebung und neue Menschen einlassen. Die häufigen Schulwechsel führten dazu, dass sie beispielsweise die Hitlervergangenheit Deutschlands in drei verschiedenen Schulen durchkauen musste. Von Geschichte als großes Ganzes hatte Carin keinen Schimmer. Ihr Abitur war sehr gut gewesen, doch in einigen Fächern hatte sie riesige Lücken. Jetzt schämte sie sich dafür und das Blut schoss ihr in die Wangen, was sie für ihn noch reizender aussehen lässt. Erst als er sie in ein Café einlädt, weicht die Röte.

Am Kaffeetisch berühren sich scheinbar ganz zufällig, ihre Finger – immer wieder mal. Doch bei jeder Berührung blicken ihn diese bergseeblauen Augen fragend, manchmal erschrocken an. Er denkt über dieses ungewöhnliche Verhalten nach, spricht sie aber nicht darauf an, möchte ihr nicht zu nahe treten. Sie scheint sehr sensibel und auch verletzlich zu sein. Dieser süße, rote Lockenschopf hat es ihm schon im ersten Augenblick angetan. Er möchte sie unbedingt näher kennenlernen und wiedersehen. Auf keinen Fall darf er sie jetzt mit irgendwelchen Fragen vor den Kopf stoßen. Carin reißt ihn aus seinen Gedanken: „Hey, was ist los? Sie erzählen ja gar nichts mehr?“ „Ich habe über Sie nachgedacht“, gibt er ehrlich zu.

Draußen scheint es noch kälter geworden zu sein. Begleitet von Schnee und Regen machen sie sich auf den Rückweg nach Wien. Sie wollen noch eine Kleinigkeit zusammen Essen, dann muss Carin zurückfahren. Am 19.12. will man sich wiedersehen.

01.12. / 22:17h

SIE

Ich bin gut angekommen. Vielen Dank für die schöne Zeit.

ER

Jetzt machen Sie mich aber verlegen oder wollen Sie mich ein wenig Anstacheln? Ich habe zu danken, liebe Carin. Komme gerade vom Radeln und denke dabei immer an unser nächstes Treffen.

SIE

Aber nein, das passt nicht zu dem klugen Professor. Widersprechen sich denn die Verlegenheit und das Anstacheln nicht? Oder hat es einen besonderen Hintergrund?

ER

Verlegen sein und Anstacheln widerspricht sich nicht. Beides ist gleichzeitig möglich. Ich wollte ja nur die Zeit bis zum 19.12. etwas verkürzen, habe gehofft, sie würden anders reagieren. Leider ohne Erfolg. *und-schon-wieder-verlegen-lächelnd - aber-dabei-flirtend*

SIE

Lieber Sebastian,

das widerspricht sich schon! Außerdem ist das mein Part: die Verlegenheit und a bisserl Angst auch vor der eigenen Courage. Das passt nicht zu dem Bär mit dem dominanten Blick. Ich kann das nicht ganz glauben.

Sie sind noch radeln gewesen bei der Kälte?

ER

Liebe Carin,

ich bin vielschichtig, unbestritten. Den wirklichen Sebastian müssen Sie für sich selbst erkunden. Selbstbewusst und schüchtern zugleich ja, das geht. Deshalb endet ja hier auch die Virtualität. Radfahren lächle, im Keller gegen die Wand. Und danach Zielwerfen auf die Dartscheibe. Der Eindruck unserer ersten realen Begegnung in Wien ist mir total präsent. Carin - ich freue mich auf Sie. Gute Nacht.

Mit einem Lächeln im Gesicht schläft Carin ein und erwacht auch am nächsten Morgen in Gedanken an Sebastian wieder lächelnd. Schon etwas ungewöhnlich für einen Morgenmuffel, der vor dem ersten Schluck Kaffee lieber nicht angesprochen wird und vor sich hin wurschtelt um wach zu werden.

Am nächsten Morgen

SIE

Guten Morgen, die Sonne lacht, der Kaffee ist wunderbar und das weichgekochte Frühstücksei genau richtig. Ich hoffe, Ihnen geht`s ebenso gut heute Morgen. Meine Tochter hat mich geweckt, weil sie wie immer - mal wieder etwas vergessen hat und Mama einspringen muss! Aber mit einem Charme, dass man automatisch lächelt und einfach hilft. :-)

Dann wollte mir mein Kater auch noch zeigen, dass er markieren kann - mit großen, türkisen Augen und einem Blick, da holt man dann einfach wortlos den Putzlappen und ein Desinfektionsmittel - und Schwamm drüber. :-)

Dann Post von Sebastian schon zum Kaffee! :-) Haben Sie einen anstrengenden Tag heute? Oder eher einen gelassenen - wie ich Glückspilz?

Grusserl, Carin

ER

Na, das liest sich ja sehr einladend, liebe Carin.

Ich hatte einen raschen Kaffee und ein ebenso rasches Brötchen, ein weichgekochtes Ei kann ich mir heute - zeitlich - nicht leisten. Zuviel ist in Wien geschehen, als dass ich unbedingt die Ruhe dafür hätte. Also, ran an den Spaß! Wie alt ist Ihre Tochter? Geht sie noch zur Schule - bei der jungen Mutter? Und wozu ist der Kater gut, außer zum duftreichen Markieren? Zum Kuscheln?

Dann sende ich jetzt mal ganz liebe und kuschelige Frühstücksgrüße aus meinem Büro an Ihren sonnigen Frühstückstisch. Ich habe heute zwei Besprechungen, zum Glück auf Deutsch und nicht japanisch und am Nachmittag heißt es lesen, lesen, lesen... (und immer mal an die Carin denken - *passiert-mir-häufiger*). Sie sind ein Glückspilz. Das ist gut. Ich mag Glückspilze und Glückskäferle und Glücksbärinnen :-)

LG Sebastian

SIE

Hallo Sebastian!

Ich hätte Sie schon auf ein Frühstücksei eingeladen - kein Problem mit dem Eierkocher. :-) Sie haben also viel zu tun heute? Na, dann aber ran! Ich halte die Daumen, dass alles nach Wunsch gelingt. :-) Meine Tochter ist 27 geworden vor einigen Tagen und studiert gerade an der Fernsehakademie. Mein wundervoller Kater ist auch zur Freude meiner Katzendamen da und ein oder zweimal im Jahr gibt‘s dann auch Katzennachwuchs. Und zum Kuscheln sind sie alle gut. - Haben Sie auch Kinder? Sie sprechen japanisch? Das ist ja klasse!

Ich habe als eigentlich mathematisch begabter Mensch immer gedacht, Sprachen sind nicht meine Stärke. Aber dann habe ich die kleine, agile Vera F. Birkenbihl mit ihren Ansichten und Lehrmethoden kennengelernt und gleich 120 Lektionen Englisch im Auto trainiert und wiederholt.

Nachdem das geklappt hat, frische ich nun mein Französisch auf - da hatte ich wirklich so gut wie alles vergessen und die Sprache auch nie genutzt. Auf diese Weise kommt beim Autofahren keine Langeweile auf und es macht auch Spaß. Außerdem bleibt das Köpfchen so in Übung. Für anschließend steht dann Türkisch oder Arabisch auf dem Plan - einfach, weil es mich interessiert.

Herrlich, dass Ihre Gedanken doch ab und zu abschweifen :-) Und – sicher sind es auch die Widersprüche an Ihnen, die mich anziehen. :-(

Haben Sie eigentlich Erfahrung mit dem Temperament von Skorpion-Frauen? Wenn nicht, dann überlegen Sie sich das lieber nochmal mit dem besseren Kennenlernen. *grins* Wir sind nämlich sehr anstrengend, launisch, ungeduldig, können vor Wut sprühen, sind auch beleidigend und schlagen ganz schön um uns, wenn man uns angreift oder verletzt....

Aber das Temperament ist auch anders rum recht intensiv. Die Skorpionmädels übernehmen Verantwortung für sich und andere, sind fleißig, setzten sich durch und können - trotz allem - führen. Aber - sie können leider auch einmal ganz klein in sich zusammenfallen, Kummer bis zur Todessehnsucht ausleben.

Mag sein, dass Skorpioninnen anstrengend sind - ab und zu! Aber sie sind niemals langweilig! :-) Ist das nun Abschreckung genug? Wollen Sie mich nun immer noch ein zweites Mal treffen? - Ich könnte es verstehen, wenn Sie jetzt lieber kneifen. Obwohl ich mir das von dem dominanten Sebastian nicht denken kann- nur von dem klugen und bedachten.

Grusserl aus dem sonnigen Süden,

Carin

ER

Tja Carin, ich muss Ihnen sagen, Ihre Vergraultechniken (das kommt übrigens aus der Fliegersprache) sind wenig erfolgreich. Ich hoffe, Sie sind in Ihrem Beruf erfolgreicher, denn ansonsten wären Sie schon längst pleite. Das mit dem Frühstücksei merke ich mir.

Allerdings wäre es mir - bevor Sie weitere Vergraulattacken starten sehr recht, wenn wir beide für den 19.12. um 12.30 einen definitiven Ort des Treffens festlegen würden. Hatte Sie um einen Vorschlag gebeten als Eingeborene - und hoffe nun inständig auf eine Antwort.

- Die Tochter ist also 27, das geht doch biologisch gar nicht. Also, mit 10 kann niemand Mutter werden :-) Ich habe zwei Söhne, 17 und 15 Jahre alt. Beide gehen noch aufs Gymnasium, ein Ende ist in Sicht. -Katzen habe ich keine, Hunde auch nicht, nicht mal ein Aquarium. Auch keine Briefmarkensammlung, die ich Ihnen zeigen könnte.....Japanisch - nun ja - sprechen ist zu hoch gegriffen.

Ich habe 1 Jahr in Tokio verbracht und kann daher meiner Freude und meinem höflichen Unwillen Ausdruck verleihen, verstehe etwas und kann vor allem dieses Japse-Englisch sprechen. Ich bin sprachlich nur mittelmäßig begabt, mit Englisch kommt man ja auch überall durch. Sogar in meinem geliebten Arabien. Wobei Sie recht haben, arabisch ist eine tolle Sprache, obwohl die Zukunft eher chinesisch spricht leider.

- Abschweifen? Habe ich das geschrieben? Das trifft es nicht ganz. Ich sehe mir dann Ihr Bild an. - Leider haben Sie es auf XING wieder geändert, und dann sind meine Gedanken bei Ihnen. Dann denke ich über diese Skorpi-Frau nach, was sie so treibt, was sie vorhat, wie wird sie bei unserem nächsten Treffen sein. - Wie wird sie in diesen Momenten wirklich ausschauen, wie riechen (das ist sehr wichtig im Leben, sich riechen zu können). Wie wird sie reden und reagieren, wenn wir ungestört und alleine sind. Diese Virtualität der Worte hat eben Grenzen, enge Grenzen.

Ich kenne Skorpioninnen, ja! Ich war sogar mal in eine verliebt. Und sie war so, wie Sie es beschreiben. Aber sie war auch sehr leidenschaftlich - ich musste halt immer nur aufpassen, dass ich den Giftstachel nicht abbekam - aber ich bin ja auch nicht ganz dumm :-). Ich erinnere mich gern an die Skorpionin - wobei, jeder Mensch ist verschieden, deshalb - auch deshalb - bin ich so gespannt auf Sie. Der “dominante” Sebastian ist gleichzeitig auch “klug und bedacht”, und mit allen diesen von Ihnen dargestellten Eigenschaften sagt der - Sebastian: “Wann sehen wir uns?”

Bis dann, Sebastian

Nach dem Carin Ihren Job in der Geschäftsleitung einer großen Immobiliengesellschaft aufgegeben hatte, war - nach einigen Wochen der Erholung und Orientierung - noch keine konkrete Idee für ein neues Betätigungsfeld gereift. Insgeheim bereute sie es schon, dass sie den Job so hingeschmissen hatte. Aber Ihr Auftraggeber hatte sie so vereinnahmt, dass sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten war. Manchmal verschwand er einfach ein oder zwei Monate in ein Ayurvedisches Hotel in Asien um seine Depression zu pflegen und überließ ihr die Verantwortung über seine Unternehmen. Irgendwann war sie nicht nur für die beiden Immobilien-AGs, die Vermögensverwaltungsgesellschaft und die vier großen Objektgesellschaften seiner Gewerbeimmobilien verantwortlich, auch sein Privatleben legte er in Ihre Hände. Ob es um Änderungen des Ehevertrages ging oder die Terminierung der Brustvergrößerung seiner Frau, alles zählte zu Carins Aufgaben.

Als sie eines Morgens in sein Büro trat und er sich beschwerte, dass er die letzten zwanzig Jahre nur noch schlechten Sex gehabt hätte, hatte Carin genug. „Mein lieber Werner, warum kaufst Du Dir dann nicht einfach guten Sex“, fragte sie und wendete sich zum Gehen. An der Türe blieb sie noch einmal stehen. „Jetzt trennen sich unsere Wege. Du hast mir die Verantwortung für Deine Geschäfte übergeben und ich habe sehr viel bei Dir gelernt. Dafür danke ich Dir. Aber Dein Privatleben ist mir einfach egal. Wenn Du möchtest bleibe ich noch bis zum Monatsende, damit Du Ersatz finden kannst.“ Sie verschwand in Ihr Büro. Eine Stunde später trat er an Ihren Schreibtisch, um alles nochmals zu besprechen und ein Ende der Zusammenarbeit abzuwenden. Doch Carins Entschluss stand fest. Und es tat ihr richtig gut.

Trotzdem waren die Arbeitslosenzahlen gerade in dieser Zeit erschreckend hoch. Jobangebote gingen oft so ganz an Carins beruflicher Ausrichtung vorbei und der Bewerbermarkt in den Zeitungen war riesig. Alle priesen ihr Können an. Wie sollte sie da mit Ihren so unterschiedlichen Talenten und Erfahrungen auffallen?

Sie hatte sich um viele sehr unterschiedliche Aufgaben beworben und schon Vorstellungsgespräche mit potentiellen Auftraggebern geführt. Aber - dann stimmte entweder das Aufgabengebiet nicht, war eintönig und anspruchslos oder es wurde eine inakzeptable Bezahlung geboten. Am schlimmsten waren die zahlreichen „Stellenangebote“, in denen man sich Online erst ein Filmchen ansehen sollte. 99 Prozent davon waren Angebote von Strukturvertrieben, sogenanntes Multi-Level-Marketing, kurz MLM genannt. Immer ging es um ein „passives Einkommen“, das aber immer erst einmal sehr viel Aktivität voraussetzte.

Carin hatte vor langer Zeit miterlebt, wie die GEM-Collection mit hochpreisigen Parfums in Alabasta-Behältern und Aalhaut-Accessoires Leute für Ihren Strukturvertrieb anwarb. Jeder musste überteuerte Ware in Höhe von acht oder neun Tausend Mark kaufen und war angehalten, neue Strukturmitglieder zu werben. Allein mit dem Verkauf der Ware war es nicht einfach aufzusteigen. Jeder neu Geworbene jedoch brachte richtig Geld ein und hievte einen in eine höhere Bezahlungsstufe. Umso mehr Leute man unter sich vereinen konnte, umso mehr würde man verdienen. Carin hielt das System für einen Verkaufsschabernack. In der GEM-Collection damals, und vielen der MLM-Unternehmen auch noch, ging und geht es hauptsächlich darum, ununterbrochen Händler zu rekrutieren. Nur wenige Produkte werden überhaupt zu Einzelhandelspreisen an Verbraucher abgegeben. Der Warenumsatz wird also mit den Händlern gemacht und nicht mit dem eigentlichen Verkauf an Endkunden.

Die Unternehmen werben mit den Verdienstmöglichkeiten der Händler, loben das Netzwerk-Geschäftsmodell als zukünftiges Vertriebsmodell mit beherrschender Vormachtstellung im Warenabsatz und nicht wenige Jobsuchende lassen sich voller Hoffnungen darauf ein. Nach Carins Meinung verdienen an diesen Systemen immer nur diejenigen, die es ins Leben rufen und einige erfahrene erste Vertriebler, die die „Struktur-Maschinerie“ durch gekonnte „Mitgliederwerbung“ anschieben. Wer später kommt, hat nur wenige Chancen auf die versprochene „finanzielle Unabhängigkeit“.

Damals wurde die GEM-Collection auf der Höhe ihres Erfolges als Schneeballsystem vom Gericht verboten und Carin kümmerte sich um einen Freund, der den ersten Wareneinkauf finanziert hatte. Jetzt konnte er sich mit seinem Gehalt als Lehrling im letzten Ausbildungsjahr die Rückzahlungen und Zinsen nicht mehr leisten.

In dieser Zeit war Carin noch als Studentin in München und arbeitete nebenbei für eine Versicherung, um ihr Studium zu finanzieren. Nach einigem Erfolg im Verkauf von Lebensversicherungen durfte sie das Baufinanzierungsgeschäft erlernen. Das war nicht nur interessant, es öffnete ihr auch die Türen zu einigen Banken. Carin sprach mit einem dieser Banker über das Problem ihres Freundes und eine Übernahme bzw. Umschuldung seines Privatdarlehens. Sie hatte Erfolg. Die Bank übernahm das Darlehen, streckte es auf eine längere Laufzeit und ihr Freund konnte sich die kleineren Raten leisten. Das sprach sich unter den Mitgliedern des aufgelösten Unternehmens so schnell herum, dass Carin sich vor Anfragen kaum noch retten konnte. Schon morgens vor sieben Uhr standen ehemalige „Struktur-Vertriebler“ vor ihrer Türe und auch am Abend nach 19 Uhr blieb das Telefon nicht still. Dass sich so viele Leute für die GEM-Collection verschuldet hatten, war Carin ein Rätsel. Sie machte ein Geschäft daraus und teilte sich mit den Banken die Bearbeitungsgebühr bei der Umschuldung, schließlich brachte sie ihnen Neukunden.

Für Carin selbst war jede Art von MLM als Job von da an ein Tabu. „Für den Einzelnen aber ist dieser Vertriebsweg so erfolgsversprechend, wie UFO-Beobachtungen im Bereich der Wissenschaft. Wer so zu finanzieller Unabhängigkeit finden möchte, kann auch auf einen Gewinn in der Spielbank spekulieren“, pflegte Carin diese Angebote abzutun. Trotzdem hatte sie sich diese Vertriebe immer wieder einmal angeschaut. Auch im Fach Wirtschaftsrecht an der Uni war sie damit beschäftigt. Die Legalität von MLM stehe auf schwachen Beinen und beruhe auf einem einzelnen Gesetz von 1979, für eine einzelne Firma. Doch die Richtlinien in dieser Entscheidung würden routinemäßig von der Industrie ignoriert. Die mangelnde Gesetzgebung und nachlässige Überwachung machen es den MLM-Initiatoren leicht.

Wenn man wie Carin ein paar Jahre in einem Geschäft oder Projekt verschwunden war, kannten potentielle Auftraggeber einen nicht mehr. Sie musste dann - wie jeder Jobsuchende auch - den frustrierenden Weg der Projektsuche gehen. Sie recherchierte intensiv auf XING und entschied sich zusätzlich wieder einmal für Inserate in der Süddeutschen Zeitung. Um im preiswerten Bewerbermarkt nicht unterzugehen, stellte sie den Nutzen ihrer Arbeitskraft für den Auftraggeber an erste Stelle. „Sie planen neue Projekte, doch die Arbeit wächst Ihnen über den Kopf? Ich übernehme gerne Verantwortung...“ Sie hatte nicht wirklich mit viel Reaktion gerechnet, doch das Telefon stand nicht mehr still. Selbst am Sonntag kamen noch Anrufe, die aber meist nur von MLM-Vertrieben.

Als sie am Freitag dann eine aufgeregte, sehr jung wirkende Frau anrief und von einer „grandiosen Geschäftsidee“ erzählte… Voller Begeisterung sprach Sie von einem Kinderprojekt, das sie in München plane. Dazu bräuchte sie dringend Unterstützung. Sie habe im Augenblick nur eine Sekretärin, die aber völlig überfordert sei mit den Aufgaben. „Ihr Inserat hat mir einfach riesig gefallen. Vielleicht könnten Sie mir gleich bei der Konzeption und Realisierung beistehen? Ich brauche jemanden, der auch Verantwortung übernimmt und alles überblickt. Es gibt wahnsinnig viel zu tun. Objektsuche, Genehmigungsverfahren und, und, und. Ach, was erzähle ich denn. Das ist Ihnen sicher nicht neu. Ich bräuchte Sie einfach für alles, als meine Vertretung. Jetzt suche ich gerade ein Büro. Wir mussten bis jetzt in meinem Haus in Bogenhausen arbeiten, aber ich habe nun etwas Geniales in Aussicht. Wir könnten in einer Bürogemeinschaft in einer alten Villa hier in der Gegend ein paar Räume anmieten. Wann können Sie starten? Kann ich sie heute noch treffen? Es gibt ein kleines Lokal hier in der Straße...“ sie überschlug sich fast beim Sprechen. Carin stimmte dem Treffen spontan zu. Sie war von dem ungewöhnlichen Anruf ein wenig überfahren.

Doch dies wurde Ihr neues Projekt, das sie fast drei Jahre von der Planung, Umsetzung bis zum Erreichen des Break Even begleitete. Unter ihrer Leitung entstand ein Hallenspielplatz und eine bilinguale Vorschule mit Kindergarten und Grippe auf über 2000 Quadratmetern Fläche. Doch wieder hatte Carin denselben Typ Auftraggeber, wie in der Immobilienbranche zuvor. Die Auftraggeberin benahm sich häufig wie ein hyperaktives Kind, das nicht gerne alleine war. Carin musste den Ersatz-Lebensmittelpunkt stellen, wenn gerade kein Lover in Sicht war. Sie lernte die Kinder, Angestellte, Eltern und auch den Ex kennen und zählte schnell zur Familie dieses reichen Clans. Da die Aufgabe so spannend und reizvoll war und auch genug Geld für das Projekt zur Verfügung stand, nahm sie die vereinnehmende Art gerne in Kauf. Es war einfach eine tolle Aufgabe und die Mitarbeiter standen hinter ihr. Als man Carin dann drei Jahre später mitten im Geschäft ganz plötzlich ersetzte, verletzte sie das zutiefst. Das Projekt war wie ein Baby für sie. Aber irgendwann stand da ein kluger Marketingmann vor der Türe ihrer Prinzessin, wie sie die etwas egozentrische Auftraggeberin heimlich nannte, und verkaufte Ihr teuerste Werbung und seine Frau als Geschäftsführerin. Uneins musste Carin das Projekt abgeben, ihre letzten Gehälter einklagen und sah sich dann noch einer Klage der Auftraggeberin gegenüber, die behauptete, sie habe Gelder veruntreut. Das war ein Schlag ins Gesicht, der erst verkraftet sein wollte. Es dauerte schon einige Zeit, bis Carin sich gedanklich befreite und sich einfach auf das Können und Wissen ihres Anwalts verlassen konnte.

Erst als sie den Kopf wieder etwas frei hat, macht Carin sich erneut auf die Suche. Das Auf und Ab in Ihrem Leben ist spannend, aber nicht wirklich einfach. Ihre Reserven sind fast aufgebraucht, da die letzten Gehälter noch nicht bezahlt wurden, das stresst nun umso mehr. Sie ist intensiver denn je im Netz unterwegs.

Die Begegnung mit dem Professor tut ihr gerade jetzt richtig gut. Er ist so ganz anders und scheint in sich zu ruhen. Es gelingt ihm immer, ihre trüben Gedanken zu vertreiben. „Eine tolle Begegnung, ein toller Mann, der mir einfach gut tut! Endlich keine Vorwürfe, als wäre ich unfähig mein Geld zu verdienen, wie das Magnus immer in solchen Tiefs andeutet. Gerade so, als wäre ich von ihm abhängig! - Nein, Sebastian ist ganz anders und das hilft mir. Vielleicht habe ich deshalb auch keine Skrupel ihn noch besser kennenzulernen.

02.12./ 22:17h

SIE

Lieber Sebastian,

nun also endlich zu unserem Treffen: 19.12. um 12:30h, im FORMULA UNO, München Schwabing, Georgenstraße Ecke Leopoldstraße. Da gibt es Freitagmittag schon Parkplätze - notfalls in den Seitengassen.

Ich finde die Vorstellung, dass Sie länger in Japan waren aufregend. Verraten Sie mir, was Sie dort hingeführt hat?

Ihr Kompliment zu meiner Tochter - Sie kennen doch meinen Jahrgang vom XING-Profil! Da kommt so ein Kompliment nicht mehr wirklich an. :-( Bei der Gelegenheit fällt mir ein, ich sollte den Jahrgang mal aus diesem Profil entfernen. - Sie haben also zwei Söhne. Jetzt wundert mich nichts mehr! Mit 2 Söhnen – da müssen Sie sich ja auskennen ...auch mit dem weiblichen Geschlecht!! Der Nachwuchs hat sicher häufig Damenbesuch?

Dass ich das Foto auf meinem Profil wieder rausgenommen habe? Es sei aufreizend und unanständig, wie ein Jurist seines Zeichens - aus meinen Kontakten meinte. So hatte ich das nicht gesehen und auch nicht gewollt. :-(( Es sind einige derartige Reaktionen gekommen und ich gebe zu, das hat mich etwas verletzt.

So, nun war das kleine Weibchen aber folgsam und hat den Termin bestätigt.

Keine Angst, der Skorpi ist heute nicht bei Kräften, hat selber Bedenken und Ängste und ist jetzt traurig. Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass ich das nun anspreche. - Ihre Zeilen habe ich zuerst als Anschiss empfunden... Vielleicht muss ich Ihnen doch noch was erklären - bevor wir uns wiedersehen. Es gibt ein Handicap und reale -Ängste. Ich schreibe Ihnen darüber aber nur, wenn Sie das möchten - damit die zweite Begegnung nicht wieder so verkrampft wird…

Schicke Ihnen einen lieben Gruß, Carin

ER

Liebste Carin,

bitte klären Sie mich auf. Was möchten Sie mir sagen? Schon in Wien war da eine Schreckhaftigkeit, die mich irritiert hat. Einige Male meinte ich Furcht in Ihren großen Augen zu sehen. Ich weiß, dass da etwas ist, das Sie beängstigt und nicht in Ruhe lässt. Würde Ihnen so gerne helfen. Haben Sie doch ein wenig Vertrauen zu mir. Vielleicht schicken Sie mir ein paar aufklärende Zeilen an meine private Mailadresse? Ich möchte Sie aber nicht bedrängen und werde warten.

In Japan war ich im Rahmen meiner Studien und habe mich mit der „traditionellen japanischen Heilkunst“ beschäftigt - von Kampo-Medizin über japanische Akupunktur und Shònishin bis hin zu Shiatsu und Sotai. Besonders interessiert hat mich die Frage nach der Möglichkeit einer Kombination westlicher Medizin mit überlieferten heilkundlichen Methoden.

Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern an der Universität in Tokio, vor allem auch im Bereich der Biowissenschaften, war eine lehrreiche Zeit für mich.

Langweile ich Sie gerade, liebe Carin? Vielleicht sollte ich einfach von interessanteren Dingen schreiben? Oder warten, ob da vielleicht noch ein paar klärende Zeilen von Ihnen bei mir eintreffen?

Ich freue mich riesig auf den 19.

LG Sebastian

SIE

Lieber Sebastian,

Sie langweilen mich keineswegs. Ich finde es sehr spannend, was Sie so tun und erlebt haben – auch, wenn das alles gar nicht mein Thema ist. Bio und Chemie habe ich schon in der Schule nicht sonderlich geliebt. Vielleicht ist es gerade deshalb jetzt interessant für mich?

Hm, - eigentlich wollte ich Ihnen ja erklären, was mit mir los ist. Ich habe große Angst vor unserem Treffen und mir ist schon klar, dass Ihnen in Wien meine Unsicherheiten aufgefallen sind. Ich kann nicht wirklich darüber sprechen. Trotzdem möchte ich es erklären oder wenigstens versuchen, es zu erklären. Und - ich verlasse mich auf die „ärztliche Schweigepflicht“ in diesem Fall!

Ich kann Ihnen nicht wirklich schildern, was wie geschehen ist. Aber ich bemühe mich, es dennoch so anzudeuten, dass Ihnen klar ist, was geschah und was mich ausmacht.

Vielleicht fang ich ganz früh an:

Ich kam erst in die Planung, nachdem mein Bruder im Alter von fünf Jahren gestorben war. Meine Geburt war eine kleine Enttäuschung für meinen Vater und auch meinen Großvater – „noch a Mädel“. Vielleicht ergab es sich gerade deshalb, dass ich als echter Wildfang heranwuchs. Es war wohl auch der Grund, dass ich etwas freier erzogen wurde, als meine ältere Schwester. Ich habe viel angestellt, von Paps und Opa allerhand beigebracht bekommen und habe mich mehr als Junge gefühlt. Meine Kindheit war traumhaft.

Abenteuerlustig bin ich als Teenager natürlich auch einmal durchgebrannt…

Da war ich dann allerdings schon fast 14 Jahre alt. Per Autostopp in die Großstadt, so das Ziel. Ich wollte meinen Cousin in München besuchen. Kaum am Stadtrand abgesetzt, hatte ich erste Probleme mit dem Fahrplan der S-Bahn und bin wohl in die falsche Richtung gefahren.

Irgendwann am Abend stand ich auf einem abgelegenen Bahnhof und versuchte auf der Netzkarte den Leuchtenbergring zu finden. Die Zeit schien nicht vergehen zu wollen - keine S-Bahn in Sicht. Ganz allein wartete ich am Bahnsteig… dann nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Ich war für mehrere Tage verschwunden, bis einer der jungen Männer Mitleid hatte. Ich weiß nicht, ob ich sonst überlebt hätte.

Heute noch macht mir dieses Geschehen Probleme. Jede schnelle Bewegung, ein fester Griff und …

… - die Flashbacks sind eine Qual.

Wenige Jahre später wurde ich krank. An den Verletzungen in meinem Unterbauch bildeten sich Verwachsungen. Mit 19 Jahren musste ich erstmals operiert werden. Es folgten viele OPs. Immer wieder neue Geschwüre an den Vernarbungen – und irgendwann ist es dann wohl alles gekippt. Diagnose: Bösartig. Vor einigen Jahren die letzte, eine 9-Stunden-OP.

Bereits nach der ersten Chemo habe ich dann ziemlich eigenmächtig die Behandlung abgebrochen und beschlossen, ohne Therapie gesund zu werden.

Lieber Sebastian, Sie sehen, es ist mir gelungen – bis jetzt.

Nun kennen Sie mein „Handicap.“ Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Dieser verdammte Vorfall hat mein ganzes Leben beeinflusst! Und auch das Leben meiner Tochter, die in Angst um ihre Mutter viel gelitten hat. Sie ist nun psychisch leider auch vorbelastet, aber sie ist das Beste, was mir im Leben passiert ist.

Ich lese diese Zeilen nun nicht mehr nach, sonst lösche ich alles wieder.

Bitte löschen Sie einfach alles – auch aus Ihrem Kopf!

Sie verstehen nun meine Ängste vor unserem Treffen? Ich bin alles andere als einfach…

Lieber Sebastian, wenn Sie nun lieber einen Schritt zurückgehen, dann löschen Sie mich einfach aus Ihrem Gedächtnis und melden sich nicht mehr. Ich würde es verstehen.

Gut, dass Sie mich jetzt nicht sehen können. Den Blick könnte ich nicht ertragen…

*Tränen*

Carin fühlte sich elend. Sie hatte nie wirklich darüber sprechen können und nun war ihr klar, dass es ihr auch nicht möglich war, das alles präziser zu formulieren. Sie konnte die Geschehnisse nicht einmal niederschreiben. Wann würde sie all das nur endlich verarbeitet haben? Solange niemand ihr Nahe kam, verdrängte sie es erfolgreich. Doch sobald sie sich verliebte, war die Angst wieder da. Die nächtlichen Panikattacken und Flashbacks bei jeder unbedachten oder schnellen Bewegung. Sie ging nun auf die 50 zu und verhielt sich wie ein dummer Teenager, wenn ein Mann auch nur versuchte sie zu umarmen.

Es kann niemand nachvollziehen, was da in einem vorgeht, wenn jemand nicht Ähnliches durchgemacht hat. Kein Mensch ahnt, was Missbrauch für Folgen hat, dass man ein Leben lang kämpft. Es ist nicht vorbei, nur weil es aufgehört. Es ist immer da – Tag und Nacht. Die Angst als lebenslänglicher Begleiter.

Vielleicht hätte ihr damals psychologische Betreuung geholfen, doch sie wollte nicht, dass man davon erfährt, dass man davon spricht, dass man sie darauf anspricht, dass sie darüber sprechen muss. Sie hat sich mit ihrem Kummer in sich zurückgezogen. Schließlich war sie damit nie allein. Es gibt und gab Tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Missbrauch erleben mussten und alle müssen sie damit leben.

Carin schämte sich dafür. Nein, sie hatte es nicht zu verantworten und dennoch – schämte sie sich bis unter die Haarwurzeln.

Nach diesem Geständnis versuchte sie sich erst einmal ein wenig rar zu machen. Sie mied alle Plattformen und ließ das Handy ausgeschaltet

Doch lange hielt sie nicht durch. Die Neugierde trieb sie wieder an den Computer und ins World Wide Web. Schließlich waren durch Ihre Erklärung die Schmetterlinge im Bauch noch lange nicht weg. Sie hoffte insgeheim natürlich, dass der Professor sich dadurch nicht abschrecken lassen würde. Um ihn etwas zu locken, tauschte sie auch ihr Foto auf XING wieder aus.

Zwei Tage danach, 18:12h

ER

Welché ein wundervolles Bild von Ihnen auf Xing. Ich freue mich total, dass Sie es wieder gewechselt haben. Muss mich sputen, habe noch einen Termin mit dem Vorstand eines Pharmakonzerns.

LG Sebastian

Später am Abend

SIE

Ein Foto nur für dominante, kluge Bären *verlegen* gute Nacht....

ER

... von einer klugen und schönen Frau.... Schlafen Sie gut.

SIE

Vielen Dank für die “Blumen” :-) das war aber noch ein später Gruß? Wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag heute.

ER

... und Sie senden mir einen frühen Gruß. Als Selbständiger bin ich meist nicht vor 09.30 im Büro. Nun aber - geht es an die Arbeit. Was treiben Sie heute?

SIE

Hallo lieber Sebastian,

hatte bereits um acht Uhr ein ewig langes Telefonat, evtl. neue Zusammenarbeit, neuer Auftrag :-) Wenn ich allerdings Pech habe, will der vermeintliche Auftraggeber nur flirten. Sollte ich Glück habe - wäre es interessant. Eine kleine Firma mit neuen Ideen hat für die Projektorganisation und das Marketing angefragt. Um vierzehn Uhr muss ich dann in Österreich bei einem Doc antreten und anschließend wollte ich mir in Salzburg noch ein paar alte, leer stehende Gebäude in der Altstadt genauer anschauen.

Ich hatte früher auch mit Projektentwicklung zu tun und das ist davon ja nicht so weit weg. Vielleicht fällt mir das Passende dazu ein und ich kann dafür begeistern, Leider ist es schon sehr abgelegen. Und dann habe ich noch eine Stunde für mich, auf Rezept vom Doc für die Seele :-) Vielleicht bummeln oder einen Kaffee auf der Rückfahrt. Heute Abend dann Freunde zum Essen eingeladen. - Na, sind Sie zufrieden mit meinem Tagesplan, Herr Professor ;-)?

Ich freue mich auf Ihre Stimme und gebe zu, es tut richtig gut ein wenig zu flirten.

Schönen Tag wünsche ich Ihnen

ER

Kann ich Dich gleich anrufen?

SIE

Ja! DU? Klingt gut!

Aber nur unter einer Bedingung! Lassen Sie uns mein „Handicap“ nicht erwähnen, ja?

Die Telefonate zwischen Carin und Sebastian sind immer harmonisch und bringen die beiden einander näher. Carins belastendes Erlebnis bleibt immer außen vor. Sebastian geht sehr liebevoll auf ihre Eigenarten und Fragen ein und hat einen Weg gefunden, ihr Angst und Nervosität zu nehmen.

12.12. / 23:14h

ER

Liebe Carin,

jetzt bin ich der, der müde ist, aber von innen heraus einfach nicht schlafen kann. Was mir durch den Kopf geht, unsere erste Begegnung in Wien:

- Carin mit Handy am Ohr

- rote Herzen im Baum

- Hand an Hand mit Dir

- Christkindlmarktpunsch

- Weihnachtsbläser und wir in der ersten Reihe

- ein zarter Hauch von Kuss auf dem Stephansplatz

- blauer Weihnachtsbaum mit Sonnenbrillen

- der Bettler und die warmherzige Carin

- der Polizeismart für die smarte Offizierstochter - afghanische und ägyptische Taxifahrer

- zärtliche nächtliche SMS

- der rote Liebling mit dem Klappverdeck - wundervolle Bergseen, mal forsch, mal ängstlich

- 3 Spiegeleier mit Warteperiode

- suchende und spielende Fingerkuppen

- Storchennester und Illuminati

- zwei auf einem schwankenden Steg

- Apfelschorlen fürs gegenseitige Anlehnen

- Kleingeld in der Parkgarage

- und unendlich viele Augen-Blicke.....................................

Und nun kennst Du ein paar Gründe von ganz vielen, die mich gerade lächeln und nicht einschlafen lassen.

Es ist schön mit Dir. Danke, Sebastian

SIE

Moin, Moin Doktorchen, lieber Sebastian,

nimm’ dringend die rosa Brille ab. Du hast da nämlich die andere Seite der Carin übersehen - das Gegenteil: Launisch, unwirsch, ungeduldig, streitsüchtig, bösartig, verletzend und dabei auch noch treffsicher. Ich bin schon auch mal richtig böse und habe diese Seite ganz unbeherrscht selten hundertprozentig im Griff.

Vielen Dank für Deine wunderbaren Zeilen. Nie hat mir jemand so liebevoll geschrieben. Ich fühle mich verzärtelt und ein wenig zuhause, ja - geborgen - das ist schon das richtige Wort. Ich hatte viel Zeit gestern im Auto und unter dem Rotschopf hat’s ganz schön gerattert. Einen Mann wie Dich habe ich nie getroffen. So viel verständnisvolle Zurückhaltung ist mir neu. Ich habe auch keinen Vatertick – wenngleich mich Deine Augen ein wenig an ihn erinnern.

Aber, Professorchen, wenn Du mich dann etwas fragst, das mich an die Gefühle eines Schulkindes erinnert, dann möcht’ ich mich am liebsten so in Deinen Arm verkriechen, dass Du mich nicht mehr siehst und Dein Vorhaben änderst. Ich schäme mich sehr für mein mangelndes Wissen und für das Gestolper in anderen Sprachen. Darum lerne ich ja so viel im Auto. Wie schon mal erzählt… Erst sind Sprachen dran und anschließend wieder Papa Schwanitz, wenigstens ein grober Überblick, eine Blitztour durch Geschichte, Literatur, Kunst und Weltbilder. Irgendwie hab ich von Nichts wirklich eine Ahnung. In solchen Momenten möchte ich mich verkriechen. Das war auch bei Papa schon so. :-( Jetzt verrat ich Dir aber noch etwas - und das war bei Paps sicher nicht so.

Die liebevollen, kleinen Fingerspiele und Berührungen bei unserem Treffen haben meinen Körper an etwas Seltenes erinnert. Lust - die einfach aus mir kommt - eine Sehnsucht nach Berührung.

Nun mache ich mich wohl selbst verlegen und Du musstest das nicht aus den Augen lesen ...hab Dir einfach ein weiteres Stückchen aus der Seele in die Hand gegeben.

Du lächelst gerade, wie heute Nacht? Und nun gehe ich endlich runter zum ersten Schluck Kaffee und bin offiziell wach.

Hier ist alles weiß, richtig schön und schrecklich kalt. Bei Dir auch Schnee?

Carin

ER

*Dich-ganz-zärtlich-in-den-Arm-nehmend* liebe Carin, guten Morgen. Ich weiß, wie Du auch sein kannst, weil wir alle ganz viele verschiedene Seiten haben. Auch ich kann schrecklich grässlich sein - wenn die Resonanzen nicht stimmen, wenn die Augen keine gemeinsame Sprache finden können, wenn die Finger nicht Zärtlichkeit und die Umarmung keine Geborgenheit geben können.

Aber all das, liebe Carin, habe ich an diesen beiden Tagen in Wien bei uns gespürt, denn unsere Resonanzen haben gestimmt. Ich habe Dich ein wenig kennengelernt, und ja, ich kann mir vorstellen, dass Du unbeherrscht sein kannst, wenn Du Dich in eine Ecke gedrängt fühlst, wenn Du keinen Ausweg mehr kennst, wenn Du nicht mehr weiter weißt und die Panik in Dir steigt. Wenn Du Dich über Deine eigene Hilflosigkeit ärgerst und den Angriff wagst. In ganz anderer Weise hast Du gestern einen “Angriff” gewagt.

Es war so wunderschön, wie auch Deine Hand immer wieder den Kontakt zu mir suchte, wie wir beide die Fingerspiele genossen haben, die nicht nur bei Dir deutlich Empfindungen hervorgerufen haben – so viel sei schon einmal von mir verraten. Nicht nur ich kann Dir - und das freut mich sehr - Geborgenheit geben, auch Du hast mir viel gegeben.

Nicht nur Du fühlst Dich wohl und aufgehoben. Die Spiegelstriche der Empfindungen haben mich die ganze Nacht begleitet, und im Traum und im Wachen habe ich immer wieder Deine schelmisch frechen, lieben, ängstlichen und forschenden bergseeblauen Augen gesehen und Deine Hände und Lippen gespürt. Heute Nacht warst Du bei mir - ich habe es deutlich gefühlt. Ich möchte Dich nicht abfragen, nicht examinieren, ich möchte Dich nur sprechen und lachen hören, mehr und mehr über Dich und von Dir erfahren. Diese liebenswerte Menschin Carin verstehen lernen. Und Dir dabei - jetzt oute ich mich - so sehr nah sein, wie Du es zulassen kannst.

Und ganz wichtig: Die Carin braucht sich für überhaupt nichts zu schämen. Nicht für das, was sie ist, wie sie ist, wer sie ist, was sie kann und was sie nicht kann. Diese Carin ist einfach eine tolle Frau - fertig!!! Es ist unglaublich schön zu lesen, was ich selbst spürte und in Deinen Augen erahnte, wenn unsere Finger miteinander spielten, sich ganz leicht berührten und dann ganz fest verschränkten, sich zart aneinander rieben um sich dann immer wieder ganz tief ineinander einzurollen.

Als ich Deine Mail las, habe ich gelächelt und gleichzeitig - sei mir nicht böse - mit den Tränen gekämpft. Auch DU Carin, hast mich berührt.

Sebastian

SIE

Hey Doktorchen! Jetzt aber a bisserl arbeiten! Sonst bin ich noch der Grund dafür, wenn sich Deine Auftraggeber beschweren! Ich bin ja nicht allein… Habe mich trotzdem riesig über Dein Brieflein gefreut :-)

Busserl

Später dann, 22:46h

ER

Ich bin auch nicht allein! Noch nicht. Es ist alles Gewöhnung. Als wir heirateten, habe ich ihr vorher gesagt, wie ich meine Arbeit verstehe und dass ich plane, selbständig zu werden. Sie könne damit finanziell hoffentlich ein gutes Leben führen, aber auf mich muss sie dabei weitestgehend verzichten. Und so hat sie es sich über die Jahre eingerichtet.

Ein Spruch in all dieser Zeit war: "Ruf mich nicht an, wenn es brennt, sondern erst, wenn die Feuerwehr wieder weggefahren ist." So hat sie mit bester finanzieller Unterstützung die Kinder großgezogen und ihr Leben führen können - wie sie es wollte. Mir geht es - wie sagt man so schön - den Umständen entsprechend gut.