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Wege der Achtsamkeit. Mit allen Sinnen in der Natur unterwegs sein Sich bewegen, den Kopf frei bekommen und die Natur genießen: All das sind gute Gründe, rauszugehen. Aber die Natur kann so viel mehr sein als nur eine Arena für sportliche Aktivitäten oder ein Erholungsort für gestresste Großstädter. Manfred Gerland ist Pfarrer für Meditation und geistliches Leben. Er zeigt, wie Sie lernen können, die Stimme der Natur zu hören und die Spuren Gottes in ihr zu entdecken. In seinem Ratgeber erläutert er, wie einfach es ist, die heilsame Kraft von Wäldern und Wiesen für sich zu nutzen. Mit seinen Tipps und Anregungen wird der Gang nach draußen zum Weg zu sich selbst! - Kraft schöpfen in der Natur: ein Praxisbuch für Sinnsucher und Naturliebhaber - Verbindet Achtsamkeitspraxis mit christlicher Mystik und Spiritualität - Mit Anleitungen für Gebet, Meditation und Achtsamkeitsübungen - Ein inspirierendes Geschenk für Spaziergänger, Wanderer und Outdoor-Fans Die Wunder vor unserer Haustür: rausgehen, innehalten, Gott begegnen Die Vorstellung, dass der Kosmos zu uns spricht, ist weit verbreitet. Ob Christentum, Buddhismus oder Naturreligionen: In vielen spirituellen Traditionen und Religionen spielen Naturerfahrung und Begegnungen mit Gottes Schöpfung eine wichtige, sinnstiftende Rolle. Beim Wandern, Pilgern oder Waldbaden ist es immer öfter die Sehnsucht nach Ruhe, Kraft und Verwandlung, die Menschen nach draußen treibt. Dieses Praxisbuch steckt voller Ideen für spirituelle Entdeckungen – ein anregender Begleiter für Ihre nächsten Spaziergänge und Wanderungen!
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Manfred Gerland
Die Spiritualitätder Natur entdecken
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2021 by edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Printed in EU
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Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.
Cover: Anja Haß, Leipzig
Coverfoto: Fifin Yulia Ningsih / Unsplash
Innengestaltung: Thomas Puschmannm · fruehbeetgrafik.de, Leipzig
Fotos: Annie Spratt / Unsplash
Bildbearbeitung: Jessica Zaydan
Druck und Bindung: Czech News Center a. s.
ISBN 978-3-96038-287-4
eISBN 978-3-96038-301-7
www.eva-leipzig.de
In der Natur unterwegs zu sein, ist gut für Körper, Geist und Seele. Hier kann man seinem Bewegungsdrang folgen und ein Gefühl von Weite und Freiheit erleben. Und wenn man mit allen Sinnen unterwegs ist, kann man nicht nur sich selbst, sondern auch Gott begegnen. Dieses Buch bringt die Achtsamkeitsbewegung mit Schätzen der christlichen Mystik und Schöpfungsspiritualität in Verbindung. Es will zum Rausgehen anregen und den Blick und das Herz für die Schätze unserer Umwelt weiten. Denn das Wunder beginnt direkt vor der Haustür. Und es lohnt sich, einfach mal innezuhalten und sich aufzumachen, um aufzuatmen.
Seit meiner Jugend bin ich als leidenschaftlicher Wanderer und Pilger mit der Natur eng verbunden. Als Pfarrer für Meditation und geistliches Leben habe ich siebenundzwanzig Jahre lang im evangelischen Kloster Germerode bei Kassel und an anderen Orten Meditationskurse, Studienreisen, Pilgerwanderungen, Wege der Achtsamkeit und Gottesdienste auf dem Weg geleitet. Als geistlicher Begleiter, Referent und Autor bin ich weiterhin in diesem Bereich tätig. Meine Motivation dabei ist, anderen zu helfen, die Natur mit allen Sinnen zu erleben, sie wertzuschätzen, zu lieben und in ihr zu gesunden. Für mich ist sie Ort vielfältiger Gottesbegegnungen.
Ich danke Annegret Grimm (Grimm-Kommunikation, Weimar) für die kompetente Beratung und Unterstützung bei der Entstehung des Buches und dem chrismon Verlag für die Aufnahme in sein Programm.
Manfred Gerland
Herleshausen, im April 2021
Einleitung
Die Stimme der Natur
Achtsamkeit
Sehnsucht
Heilsame Unterbrechung
Aufbruch
Auf der Schwelle
Anderort
Unterwegs
Waldbaden
Loslassen und empfangen
Die Welt ist Gottes so voll
Die drei Augen
Verbundenheit
Gott ist gegenwärtig
Leben inmitten von Leben
Hören
Einswerden
Lehrmeisterin Natur
Kraftorte
Vier Pfade
Geben und nehmen
Anverwandlung
Zum Schluss
Quellennachweise
Literatur
Übungen
Schenk dir einen Wüstentag
Schwellenritual
Meditatives Gehen
Waldbaden
Den eigenen Atem wahrnehmen
Eine Handvoll Erde
Angehaucht und durchströmt vom Atem des Lebens
Verbunden sein
Deine Strahlen fassen und dich wirken lassen
Pirschen wie die Indianer
Hören
Ich in dir und du in mir
Mein Baum – von den Wurzeln bis zur Krone
… der ist wie ein Baum
Kraft aus der Erde
Mandala aus Naturmaterialien
Aufatmen, in Bewegung kommen, die Natur genießen – das war und ist die große Sehnsucht nach so vielen Einschränkungen, die wir in jüngerer Vergangenheit erlebt haben. Immer mehr Menschen sind jetzt spazierengehend, wandernd, walkend, joggend unterwegs in der Natur, um die Bewegung zu genießen und auf andere Gedanken zu kommen. Sie haben dabei ihre nähere Umgebung und Heimat neu entdeckt und schätzen gelernt. Das wird auch in Zukunft so bleiben und sich vielleicht noch verstärken.
Die Natur als Gegenwelt zum Alltag erfährt eine immer größere Wertschätzung, hilft sie doch vielen dabei, aus Burnout, Depressionen und mancherlei körperlichen Gebrechen herauszukommen und neue Kraft zu schöpfen. Psychotherapeutische, psychosomatische und auch physiologische Therapien werden immer öfter in die Natur verlegt, um die heilsamen Kräfte der Natur unterstützend zu nutzen, wie zum Beispiel das Waldbaden, das erwiesenermaßen heilende Wirkungen hat.
In vielen Religionen und spirituellen Ansätzen spielt die Natur bzw. die Schöpfung eine wichtige, sinnstiftende Rolle. Die Verbindung von Achtsamkeit, Mensch und Natur hat vor allem im Buddhismus eine jahrtausendealte Geisteshaltung und spirituelle Praxis der Selbstfindung und spirituellen Erfahrung wachsen lassen. Naturanschauungen indigener Völker, Stämme und ihrer Religionen werden heute aufgrund der dahinterstehenden naturnahen Lebensweise und ihres animistischen Verständnisses der Natur gern von esoterischen Naturanschauungen rezipiert. Oft sind solche esoterischen Modelle patchworkartig aus unterschiedlichsten Religionen und Naturanschauungen ausgewählt und sehr zufällig zusammengestellt oder so kombiniert, wie es dem Autor gerade in sein Konzept passt. Der Buchmarkt ist mit unzähligen esoterischen Sachbüchern und Ratgebern zum Thema Natur und Achtsamkeit geradezu überschwemmt, und es ist wirklich ein Glücksfall, hier etwas Solides zu finden.
Dem Christentum wird oft vorgeworfen, es habe die Natur entzaubert und entgöttlicht und sie spätestens seit der Aufklärung mit dem biblischen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen (1. Mose 1,28), zum Objekt und zur Verfügungsmasse menschlicher Ausbeutung degradiert. Insbesondere der Protestantismus habe, so Max Weber, alles Magische aus der Welt verbannt, Gott in ein unerreichbares Jenseits verschoben und die Natur als reine Materie verstanden und behandelt. Daran ist viel Wahres. Und doch gibt es bereits im Neuen Testament der Bibel die Vorstellung des universalen Christus, der die Schöpfung durchdringt und mit seinem Geist belebt. Hieran hat die christliche Mystik, zum Beispiel einer Hildegard von Bingen, eines Meister Eckharts oder Gerhard Tersteegens, angeknüpft. Wir brauchen also das Christentum oder unseren Kulturkreis nicht zu verlassen, um Anregungen und Orientierung für eine sinnstiftende und achtsame Schöpfungsspiritualität zu bekommen. Das gilt auch für eine verantwortliche, ökologische Praxis. Die christlichen Kirchen haben seit mindestens dreißig Jahren die Bewahrung der Schöpfung zu einem zentralen Thema gemacht und sind heute ein wichtiger Kooperationspartner für unterschiedliche Umweltbewegungen.
In den letzten Jahren ist weltweit eine neue Sensibilität für die Bedrohung der Natur durch den Menschen und, damit verbunden, ein neues Umweltbewusstsein gewachsen. Eine junge Generation fürchtet zu Recht um ihre Zukunft und den Erhalt der Biodiversität und der Grundlagen des Lebens auf der Erde. Sie fordert radikal einen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Natur und eine neue weltweite Politik, die den Klimawandel und seine Folgen begrenzt. Auch Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Laudato si“ aus dem Jahr 2015 seiner „Sorge für das gemeinsame Haus“ Ausdruck verliehen und wegweisende Perspektiven für einen neuen ökologischen Lebensstil aufgezeigt. Er wirbt für einen Paradigmenwechsel, bei dem es ihm um Einfachheit, Verzicht mit Freude, Genügsamkeit, Demut und eine Kultur der Liebe und Achtsamkeit unter allen Geschöpfen geht. Weil alles mit allem verbunden ist, sind wir eingeladen, „eine Spiritualität der globalen Solidarität heranreifen zu lassen, die aus dem Geheimnis der Dreifaltigkeit Gottes entspringt“.1 Mahnungen und politische Forderungen allein werden keine neue Haltung zur Natur, kein neues Bewusstsein und keine neue Praxis hervorbringen. Der Pädagoge Heinrich Pestalozzi war davon überzeugt: „Nur was wir kennen und lieben, sind wir zu schützen bereit.“ Wir schützen, was wir lieben.
Die Liebe zur Natur zu wecken und zu befördern, Zusammenhänge deutlich zu machen und ein neues Bewusstsein der Verbundenheit unter allen Geschöpfen zu fördern, ist ein großes Anliegen dieses Buches. Die Liebe zur Natur schlummert bereits in unseren Herzen. Sie macht sich bemerkbar in unserer Sehnsucht nach ursprünglicher Verbundenheit mit ihr. Sie führt uns in die Tiefe der Wälder, auf die Gipfel der Berge und in die Weite der Meere. Sie motiviert uns aber auch, für die Bewahrung der Schöpfung noch entschiedener und entschlossener einzutreten.
Zu Übungen der Achtsamkeit in der Natur sind Sie in diesem Buch eingeladen. „Achtsamkeit“ ist ein seit Jahren inflationär genutzter Begriff. Für manche ist er nur ein abgegriffenes, schwammiges Modewort. Als Pfarrer für Meditation und geistliches Leben habe ich seit über zwanzig Jahren Erfahrungen mit der Methode der Achtsamkeit sammeln und Menschen darin in der Meditation und Kontemplation anleiten und begleiten dürfen. Achtsamkeit ist die Aufmerksamkeit für das, was im Moment ist. Sie ist die Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks im Hier und Jetzt. Achtsamkeit kann man gut in der Beobachtung des Atems oder des Leibes (z. B. Bodyscan), aber auch in der Begehung der Natur lernen und üben. Die Achtsamkeit öffnet vielfältige Kanäle der Wahrnehmung und ist eine ausgezeichnete Methode für die Begegnung und Vereinigung mit der Natur.
Sie können beim Lesen des Buches an jeder Stelle einsteigen, auch können Sie sich einzelne Übungen herauspicken, die Sie interessieren. Das handliche und griffige Format lädt dazu ein, das Buch beim nächsten Spaziergang oder Wanderung in die Tasche zu packen und vor Ort aufzuschlagen und die Übungen tatsächlich auch zu machen. Lesen Sie sich die Anleitung vorher mehrfach durch und verinnerlichen Sie sie, damit Sie sich im Vollzug ganz auf das Erleben einlassen können. Wenn Sie selbst gute Erfahrungen mit den Übungen gemacht haben, können Sie damit auch Gruppen anleiten.
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.
JOSEPH VON EICHENDORFF (1788–1857)
Wohin gehen Menschen, wenn sie in die Natur aufbrechen? Was können sie dort erfahren, und was kommt dort möglicherweise auf sie zu? Ist die Natur nur Arena sportlicher Aktivitäten, Sanatorium für gestresste Großstädter, Objekt unserer Erkundungen und Eroberungen, stumme Materie, oder spricht sie zu uns, antwortet sie gar mit eigener Stimme? Solche grundsätzlichen Fragen sollen in der gebotenen Kürze hier erörtert werden. Denn dies ist die Grundlage und Voraussetzung unserer Expedition in die Natur, die wir mit diesem Buch unternehmen wollen. Wir folgen dabei unter anderem dem Resonanzkonzept Hartmut Rosas, der sehr eindrücklich zeigt, wie die Natur zu der zentralen Resonanzsphäre der Moderne geworden ist.2 Die Vorstellung, dass der Kosmos bzw. die Natur zu uns spricht oder gar singt, ist weit verbreitet. Sie lässt sich in ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen finden, beispielsweise in den Werken der deutschen Romantik, wie in Joseph von Eichendorffs eingangs zitiertem Gedicht „Wünschelrute“. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Welt von einer kosmischen Sinfonie durchdrungen ist und dass man nur den richtigen Ton treffen und anstimmen muss, um die Melodie aufzuwecken und zum Schwingen und Klingen zu bringen. Nach dieser Auffassung ist die Welt resonanzfähig, nicht, indem sie einfach nur ein Echoraum ist, in dem der Klang widerhallt und es so herausschallt, wie er eingedrungen ist, sondern indem sie uns mit eigener Stimme antwortet.
Für den Theologen Friedrich Schleiermacher (1768–1834) ereignet sich im „Anschauen des Universums“ eine dynamische Begegnung des Menschen mit der Natur, in der es zu einer wechselseitigen Berührung kommt, die man als religiöse Erfahrung bezeichnen kann. Alles Angeschaute habe eine unmittelbare Rückwirkung auf den Anschauenden. Dabei kann es sogar zu einer gegenseitigen Durchdringung kommen, die er folgendermaßen beschreibt: „Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblick ihre Seele, denn ich fühle all ihre Kräfte und ihr unendliches Leben, wie mein eigenes; sie ist in diesem Augenblick mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahnung wie die meinigen.“3 Nach Hartmut Rosa steckt hinter dieser Anschauung und Erfahrung die „Idee einer entgegenkommenden, antwortenden Welt, die uns berührt und der wir unsererseits entgegenzugehen vermögen“.4 Natur ist demnach für den Menschen ein resonantes Gegenüber, auf das es zu hören gilt. Mensch und Natur sind zwar zunächst zwei in sich abgeschlossene Erscheinungen bzw. Subjekte, die sich aber auch gegenseitig durchdringen und gegenseitig korrigieren und widersprechen können.
Überall dort, wo Menschen meinen, dringend wieder einmal in die Natur, das heißt ins Freie, in den Wald, an den Fluss oder in den Garten gehen zu müssen, ist dieser Wunsch verbunden mit der Ahnung bzw. Überzeugung, man könne, wenn man auf die Natur hört oder in die Natur geht, sich selbst finden. Das ist insgeheim auch die Erwartung vieler Pilger, die sich wie Hape Kerkeling auf eine längere Pilgerwanderung begeben. Menschen brechen auf aus der Enge ihrer Alltagswelt, mit einer oft noch unbestimmten Sehnsucht nach Weite und Freiheit, nach Kraft und Verwandlung, die sie in der Natur, auf dem Weg oder an einem ganz bestimmten Ort für sich oder andere erwarten. Sie sind dabei auf der Suche nach sich selbst, weil sie meinen, sich irgendwie verloren zu haben in den vielen Anforderungen, die in Arbeit und Familie auf sie einstürmen. Krisen in der Lebensmitte verunsichern zusätzlich und kosten viel Kraft. Sie sind auf der Suche nach Orientierung und Kraft für ihr Leben.
In der Psychobewegung der letzten Jahrzehnte ist immer wieder die Rede von Kraftressourcen, die man in sich selbst finden und aktivieren könne. Die Arbeit an der eigenen Identität, ein Zu-sich-selbst-Kommen, wird als Aufgabe und Ziel so mancher Outdoor-Aktivität angesehen. Viele derer, die zu einer Pilgerwanderung aufgebrochen sind, um sich selbst zu finden, sind auf dem Weg zunächst in große Turbulenzen geraten. Die Anstrengungen des Weges haben sie durchgeschüttelt und manchmal an den Rand der Verzweiflung gebracht. Auf dem Weg ist ihnen vielleicht unter Schmerzen das Liebste genommen worden: die Geborgenheit, die Sicherheit, die Gewohnheit. Beim Pilgern oder anderen vergleichbaren Outdoor-Aktivitäten kann es zu ganz unvermuteten Erfahrungen kommen: Statt zur Ruhe zu kommen, durchlebt man eine Art Wandlungs- und Sterbeprozess, wird aufgewühlt und kommt mit den eigenen Möglichkeiten an seine Grenzen.
Der Rückzug in die äußere Natur gilt noch immer als eine der verlässlichsten Methoden, die Stimme der inneren Natur wahrzunehmen. Die innere Natur durch die äußere Natur zu verstehen, erscheint dabei als Voraussetzung für gelingendes Leben. Die zwei Aufrufe „Höre in dich hinein!“ und „Höre auf die Natur!“ verschmelzen zu einer Haltung und Handlung.5 Immer wieder berichten Menschen von Erfahrungen, wie sie dem (Lock-)Ruf des Meeres oder der Berge gefolgt, zu Expeditionen aufgebrochen sind und dort nicht einfach nur Wellness und Harmonie oder die Bestätigung ihrer eigenen Position erlebt haben, sondern wie ihnen dort Unverfügbares, Widerständiges und Eigensinniges begegnet ist, das sie durch eine Krise zu sich selbst gebracht und verwandelt hat. So auch Hape Kerkeling am Ende seiner Pilgerwanderung: „Dieser Weg ist hart und wundervoll. Er ist eine Herausforderung und eine Einladung. Er macht dich kaputt und leer. Restlos. Und er baut dich wieder auf. Gründlich. Er nimmt dir alle Kraft und gibt sie dir dreifach zurück.“6 Diese transformierenden Erfahrungen sind unterm Strich viel wertvoller als ästhetisch schöne Erlebnisse oder romantische Gefühle. Es geht in der Begegnung mit der Natur neben ästhetisch und emotional bewegenden Erfahrungen vor allem um die Transformation eigener Zustände und Befindlichkeiten, die sich in einem Prozess der Anverwandlung der Natur ereignet. Dabei wird ihr die Möglichkeit eingeräumt, mit eigener Stimme und Wirkkraft zu antworten und mit der eigenen inneren Natur zu kommunizieren.
Aber das andere gibt es natürlich auch, dass man in der Betrachtung einer Landschaft, der Weite des Meeres oder beim Wandern im Wald in eine psychophysische Wechselbeziehung mit der Natur tritt und ganz berührt und fasziniert ist. Die Atmung, die Körperhaltung, der Hautwiderstand und die Einstellung des Sinnesapparates verändern