Männlich glauben - Manfred Gerland - E-Book

Männlich glauben E-Book

Manfred Gerland

4,8
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Männer glauben anders. Männer suchen Herausforderungen, die nicht nur den Geist betreffen. Eine Spiritualität, die Männer fasziniert, ist mehr als Andacht und Gebet. Manfred Gerland zeigt an vielen Beispielen Schritte einer alltagstauglichen Spiritualität. Körper und Kraft, Erfahrung von Ohmacht und Macht, die Rolle eines spirituellen Begleiters und das Finden der eigenen Aufgabe sind Themen auf diesem männlichen Weg zu Gott.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 174

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
13
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Manfred Gerland

Männlich glauben

Eine Herausforderung für denspirituellen Weg

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur idee

Umschlagmotiv: © shutterstock

Autorenfoto: © privat

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Buch) 978-3-451-61256-5

ISBN (E-Book) 978-3-451-80212-6

Inhalt

Vorwort

Männer und Religion – eine Problemanzeige

1. Körperlichkeit wahrnehmen und gestalten

2. Das Größere suchen

3. Einen Mentor finden

4. Sich einer Aufgabe stellen

5. Lebensübergänge bewältigen

6. Christus erkennen

7. Frucht bringen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Vor einigen Jahren besuchte ich eine kirchliche Fortbildungsveranstaltung zum »Sakralen Tanz«. Vierzig Frauen und nur vier Männer hatten sich zu diesem Kurs eingefunden – und ich mittendrin. Schon beim Warming-up war die Dominanz des Weiblichen deutlich spürbar. Frauen in bewegungsbequemer Kleidung füllten den Raum mit ihren schwingenden, wogenden und ausladenden Bewegungen. Nun wurden wir von der Anleiterin aufgefordert, die »strahlende Sonne« in einer Geste zum Ausdruck zu bringen. Unsicher schaute ich mich in der Runde um und sah, dass alle mit den Armen eine runde und kreisende Bewegung machten. Noch ehe ich darüber nachdenken konnte, was meine Geste sein könnte, fühlte ich mich ebenfalls zu einer großen kreisenden Armbewegung veranlasst. Ähnliches wiederholte sich in den nächsten Stunden noch einige Male und bereitete mir zunehmend Unbehagen.

Am Abend zogen wir Männer uns zurück, um uns über unsere Befindlichkeit in diesem Kurs zu verständigen. Bei so viel weiblicher Präsenz und Körperlichkeit fühlten wir uns irgendwie überrollt und fragten uns, ob die improvisierten und einstudierten Bewegungsabläufe unserem männlichen Empfinden entsprächen. Die Kursleiterin ermutigte uns schließlich zu eigenen männlichen Ausdrucks- und Bewegungsformen, was uns allerdings in der Folge nur sehr bedingt gelang.

Männlich glauben – wie geht das eigentlich in einem Umfeld, in dem Frauen durch ihr zahlenmäßiges Übergewicht und ihr selbstbewusstes Auftreten Räume und Atmosphären in Kirche und Gesellschaft bestimmen und Männer zunehmend auf dem Rückzug sind?

Männer brauchen heute Ermutigung und Unterstützung, sich ihres Glaubens und ihrer Spiritualität zu vergewissern und sich eigene männliche Zugänge zu erschließen, die ihrer Natur und Persönlichkeit entsprechen. Dazu will dieses Buch eine Orientierung geben.

Es kann aber auch eine Hilfestellung sein, dass Frauen auf ihrem spirituellen Weg den männlichen Anteil ihrer Persönlichkeit (animus) entdecken, stärken und integrieren wie umgekehrt die Männer ihren weiblichen (anima). So sind die Attribute »männlich« und »weiblich« nicht nur biologisch zu definieren, sondern markieren auch unterschiedliche Wege des Glaubens, die nicht an ein Geschlecht gebunden sind.

Einige Leser werden das, was in diesem Buch als typisch männlich oder typisch weiblich vorgestellt wird, für sich nicht nachvollziehen können und anders empfinden, vielleicht, weil die Darstellung des Männlichen manchmal sehr allgemein und typisiert erscheint. Ich möchte damit jedoch oft nur eine Tendenz beschreiben.

Als Modell für einen männlichen Glauben schien mir die Figur des Christophorus beinahe vorbildlich, der – wie Martin Luther bereits feststellte – »nicht eine Person ist, sondern ein Ebenbild aller Christen. Die Geschichte will nicht eine Historie sein, sondern will das christliche Leben vor Augen malen« (aus einer Predigt vom 25. Juli 1529). Die Geschichte des heiligen Christophorus trägt sehr starke legendäre Züge und birgt in sich viele archaische und archetypische Bilder und Motive, die manchmal sehr fremd erscheinen, aber durchaus geeignet sind, einen spirituellen Weg zu beschreiben, zu entdecken und nachzuvollziehen.

Jedes der nachfolgenden Kapitel schließt mit einer Übung oder einer konkreten Anregung zur Praxis ab, die zeigen, dass »männlich glauben« sich nicht in theoretischen Erwägungen erschöpft, sondern ein Übungsweg ist, der erst in der Wiederholung einzelner Schritte gangbar wird. Die Übungen sind wirklich als Übungen gedacht, das heißt: Lesen Sie bitte die Anleitungen mehrmals durch, prägen Sie sich die einzelnen Schritte ein. Legen Sie dann das Buch aus der Hand und beginnen Sie mit der Übung.

Ich danke allen, die direkt oder indirekt an der Entstehung dieses Buches beteiligt waren, besonders den Männern aus den Kursen und den Teilnehmern der Pilgerwanderungen des Klosters Germerode sowie dem Männertreff Herleshausen, denen ich viele Anregungen verdanke.

Das Buch ist meinen Kindern Maira, Manuel, Hanna-Maria, Samuel und Gabriel gewidmet.

Kloster Germerode, im Februar 2014

Manfred Gerland

Männer und Religion – eine Problemanzeige

Religion ist im sogenannten christlichen Abendland Frauensache geworden. Männer tun sich schwer, einen Zugang zu ihr zu finden. Viele von ihnen umgehen, ja fliehen geradezu die Welt der Religion und nehmen Abstand von der Kirche.

Der Auszug beziehungsweise der Rückzug der Männer aus dem kirchlichen Leben in den letzten fünfzig Jahren ist eklatant. Männer sind nicht nur religiösen Fragen gegenüber distanzierter als Frauen, sondern auch in der Partizipation am kirchlichen Leben auffällig und zunehmend auf dem Rückzug. Nach wie vor sind zwar die höchsten Leitungsämter sowohl der römisch-katholischen als auch der evangelischen Kirchen in Deutschland vorwiegend von Männern besetzt, aber auch das ändert sich gerade. In den Leitungsämtern der evangelischen Landeskirchen, aber auch in der mittleren Ebene sowie in der Besetzung der Pfarrstellen halten zunehmend Frauen Einzug. Die Kirchenvorstandswahlen in den evangelischen Landeskirchen der letzten Jahre haben zu einem deutlichen Übergewicht von Frauen in den Entscheidungsgremien der Kirchengemeinden geführt. Auf der Ebene der ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist dies schon seit Jahrzehnten zu beobachten. Gottesdienste und kirchliche Veranstaltungen werden überwiegend von Frauen besucht (geschätzte 80 Prozent).

Kirche wird an der Basis also fast ausschließlich von Frauen organisiert und gestaltet. Diese Entwicklung ist erklärungsbedürftig und von den Kirchenleitungen in ihrer ganzen Dramatik noch nicht wirklich wahrgenommen worden.

Es ist daher verständlich, dass hauptamtliche Vertreter der kirchlichen Männerarbeit, die diese Entwicklung seit Jahren beobachten, als Erste reagiert haben und Umfragen in Auftrag gegeben haben. Laut der empirischen Studie »Männer in Bewegung – Zehn Jahre Männerentwicklung in Deutschland« aus dem Jahr 2009 – eine bundesweite Befragung von 2400 Männern und Frauen, die von der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands in Auftrag gegeben worden ist – sagen immerhin 39 Prozent der Männer, sie seien religiös. Zehn Jahre zuvor waren es noch 37 Prozent. Der Anteil der Frauen, die sich als religiös einstufen, ging im selben Zeitraum von 67 auf 43 Prozent zurück. Zugenommen hat bei Frauen und Männern der Anteil der »überzeugten Atheisten«.

Zugenommen hat bei Männern seit 1998 auch die Verbundenheit mit der Kirche, was sich aber nicht in einem stärkeren Gottesdienstbesuch niederschlägt. Unter Protestanten wie Katholiken gewann die Auffassung an Boden, dass man auch ohne Kirchgang ein guter Christ sein könne. Den Einfluss der Kirche auf das eigene Leben stufen nur 21 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen als förderlich ein.

Das traditionelle christliche Gottesbild (»Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat«) findet unter den evangelischen und katholischen Befragten nur bei 30 Prozent Zustimmung. Aus anderen Untersuchungen ist bekannt, dass sich Männer zunehmend für einen dogmatisch nicht gebundenen Glauben starkmachen und eine nichtpersonale Gottesvorstellung, die ihnen genügend Raum für einen persönlichen Interpretationsrahmen des Glaubens eröffnet, bevorzugen. Die Studie empfiehlt der kirchlichen Männerarbeit, hier »entsprechende Settings anzubieten«, die auf die veränderte Bedürfnislage von Männern eingehen.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Männer zwar im Vergleich zur Befragung von 1998 religiös ein wenig interessierter erscheinen, aber immer noch auf einem quantitativ geringen Niveau.

»Was Männern Sinn gibt – Leben zwischen Welt und Gegenwelt«, so lautet eine von Martin Engelbrecht und Martin Rosowski herausgegebene Umfrage bzw. Studie, die im Jahr 2005 von der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirchlichen Arbeitsstelle für Männerseelsorge in den deutschen Diözesen in Auftrag gegeben und vom Institut zur Erforschung der religiösen Gegenwartskultur an der Universität Bayreuth durchgeführt wurde. Bei dem zugrundeliegenden Forschungsprojekt »Die unsichtbare Religion bei kirchenfernen Männern« wurden Männer zwischen zwanzig und siebzig Jahren aus Bayern und Sachsen in persönlichen Interviews befragt. Als ein wichtiges Ergebnis hält die Studie fest: »Männer fühlen sich sehr wohl spirituell kompetent – doch sie legen hohen Wert darauf, ihre religiösen Erfahrungen selbstbestimmt zu gestalten und ihnen ihre eigene männliche Stimme zu geben« (ebd., S. 28).

Männer im Islam

Muslimische Männer haben in der Regel keine Probleme mit der Religion und dem Glauben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein gewichtiger liegt darin, dass der Islam und insbesondere seine Geistlichen im Unterschied zum Christentum einfache Wahrheiten und eine sehr stark ritualisierte spirituelle Praxis lehren und vertreten.

In den fünf Säulen des Islam finden die Gläubigen klare Vorgaben für ihren Glauben und ihre religiöse Praxis. Dies verhilft insbesondere Männern, die sich allgemein eher über das Tun als über das Sein definieren, leichter zu einer religiösen Identität.

Das Glaubensbekenntnis als die erste Säule des Islam ist denkbar knapp und einfach formuliert: »Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Dieses Bekenntnis ist für alle islamischen Gläubigen verbindlich und kommt in den rituellen Gebeten immer wieder vor. Es ist sozusagen die Essenz der Religion. Wer dieses Bekenntnis im Glauben und vollen Bewusstsein dreimal hintereinander aufsagt, ist ein Muslim. So einfach ist das!

Die zweite Säule des Islam stellt das rituelle Gebet dar. Fünfmal am Tag soll sich der Gläubige zum Gebet gen Mekka wenden, nachdem er sich zuvor einer rituellen Waschung unterzogen hat. Die dabei zu rezitierenden Formeln sind gleichbleibend und einfach zu lernen. Der Alltag wird so durch die rituellen Gebete unterbrochen, strukturiert und auf Gott bezogen. Indem der Gläubige sich in seiner alltäglichen Arbeit durch das Ritual unterbrechen lässt, gibt er dem die Ehre, dem er sein Leben verdankt. Hinzu kommt das Gemeinschaftsgebet am Freitagmittag in der Moschee. Es ist für Männer verpflichtend und gleichzeitig eine willkommene Möglichkeit, in die Gemeinschaft der Gläubigen, in kommunikative und gesellige Rituale einzutreten und von ihnen gestärkt zu werden.

Die Armenabgabe ist die dritte Säule, auf der die Religion des Islam beruht. Sie ist klar geregelt (2,5 bis 10 Prozent des Einkommens bzw. Vermögens) und wird von jedem erwachsenen Muslim als Beitrag für die Armenfürsorge erwartet und nach Möglichkeit gegeben.

Als vierte Säule ist das Fasten im islamischen Monat Ramadan vorgeschrieben. Gefastet wird vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang. Es wird nichts gegessen, nichts getrunken, nicht geraucht und kein ehelicher Verkehr vollzogen. Es gilt also in jeder Hinsicht die Enthaltsamkeit. Das sind klare Vorgaben, die mit Mühe und Anstrengung verbunden sind, aber der religiösen Praxis in einer konsumorientierten Gesellschaft Gewicht geben und dem einzelnen Gläubigen helfen, Maß zu finden und zu halten.

Die fünfte Säule stellt die Pilgerreise dar. Jeder Muslim soll, sofern möglich, mindestens einmal in seinem Leben nach Mekka pilgern und sich dort den vorgeschriebenen Ritualen unterziehen (vgl. Manfred Gerland, Faszination Pilgern, S. 168 ff.). Das Wichtigste ist die siebenmalige Umrundung der Kaaba, des Zentralheiligtums des Islams. Diese Pilgerfahrt ist für alle, die einmal daran teilgenommen haben, eine lebensprägende Erfahrung.

Was macht nun die Attraktivität der muslimischen Religion gegenüber dem Christentum insbesondere für Männer aus? Der Islam bietet seinen Gläubigen einfache, klare Antworten auf schwierige Fragen des Glaubens und Handlungsanweisungen in einer immer komplizierter werdenden Welt. Nicht wenige Menschen suchen dies auch im Christentum, jedoch meist vergeblich. Ein Muslim hat darüber hinaus einen elementaren Gewinn von seinem Glauben und seiner spirituellen Praxis: Er kann dem Feuer der Hölle entkommen und in das Paradies gelangen. Im Christentum stellt sich der Gewinn, die Erlösung und Heilsgewissheit (sofern sie für heutige Christen überhaupt noch Relevanz haben), weitaus schwieriger und komplizierter dar. Da sie nicht abhängig ist von einer religiösen Leistung, bleibt dem gläubigen Christen nur, auf die Gnade Gottes zu vertrauen, das heißt zu glauben. Dieser Glaube wird von den einen als eine Entlastung von allen frommen Werken verstanden, von anderen als ein diffuser Vollzug einer inneren Einstellung.

Im religionswissenschaftlichen Vergleich zwischen Islam und Christentum gilt der Islam für westliche Betrachter meist als voraufklärerisch-naiv und fundamentalistisch, das Christentum hingegen – von griechischer und abendländischer Philosophie geprägt, in der Reformation grundlegend erneuert, in der Aufklärung geläutert und der Moderne verpflichtet – als die deutlich überlegene Religion.

Im neuzeitlich abendländisch geprägten Christentum sind die theologischen Lehrer und Geistlichen im Unterschied zum Islam akademisch Gebildete, die ein wissenschaftliches Studium durchlaufen haben und eine hochreflektierte, dogmatisch und ethisch elaborierte Botschaft verkündigen und auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren, die aber von ihren Mitgliedern oft nicht mehr nachvollzogen und verstanden wird. Daneben gibt es in der abendländischen Kirche eine zunehmende Banalisierung der Verkündigung durch einseitige Auflösung der theologischen Komplexität in eine einfache Liebesreligion. Davon wird später noch zu reden sein.

Der Islam ist eine deutlich männlich-patriarchal geprägte und ausgerichtete Religion, in der es für Männer klare Rollen und Identitäten gibt. Eindeutige und wiederholbare Rituale, aber auch eine einfache Botschaft ermöglichen selbst wenig gebildeten Männern eine religiöse Praxis und Identität. Während wir es im christlichen Abendland mit einer Intellektualisierung und Verbürgerlichung von Religion zu tun haben, findet sich im Islam noch eine elementarisierte Form, die Männer in ihren religiösen Grundbedürfnissen anspricht.

Die Angst der Männer vor der Religion

Was sind nun die Gründe für die männliche Zurückhaltung in religiösen und kirchlichen Fragen und spiritueller Praxis? Sind die Männer religiösen Fragen gegenüber uninteressierter als Frauen oder haben sie etwa Angst vor der Religion? Fehlt ihnen vielleicht ein religiöses Gen? Oder sind die Kirchen in ihren Angeboten und in ihrer Sprache mittlerweile so weiblich dominiert, dass Männer sich mit ihren Themen nicht mehr angesprochen fühlen?

Der Auszug bzw. Rückzug der Männer aus dem religiösen und kirchlichen Leben ist nicht nur Ausdruck eines Desinteresses oder gar Ausdruck ihres Emanzipationsbestrebens, sondern auch Folge von zum Teil unbewusster Angst vor der Religion. Der christliche Glaube basiert auf Erfahrungen, Haltungen und Einstellungen, die auf den neuzeitlichen Mann in mancher Hinsicht bedrohlich, ja sogar lebensgefährlich wirken.

In der christlichen Religion werden Erfahrungen der Passivität und der Abhängigkeit thematisiert und in sozialen Zusammenhängen symbolisch gestaltet: Aus Anlass von Geburt, Heirat und Tod werden Übergangsrituale gefeiert (Taufe, Trauung, Beerdigung), die helfen sollen, die erlebte Ohnmacht in diesen Lebensübergängen zu verarbeiten. Für Männer, die vom Wahn der Machbarkeit bestimmt sind, wirken solche Themen und Rituale schwierig. Das Kreuz bzw. der gekreuzigte Christus, der in diesen Ritualen eine zentrale Rolle spielt, ist das Gegenbild dieser Vorstellung von Machbarkeit und Selbstbeherrschung. Dass da einer von ihnen am Kreuz festgenagelt wird, dem Spott und der Gewalt der Menschen ausgeliefert, das bedroht männliches Empfinden stärker als weibliches und löst tiefsitzende Ängste aus.

In der christlichen Religion werden zudem Erfahrungen der Infantilität thematisiert und in sozialen Zusammenhängen symbolisch gestaltet: Nach biblischer Tradition sind die Gläubigen Kinder, Söhne und Töchter Gottes, des himmlischen Vaters. Sie werden durch die Taufe in diese Beziehung gerückt und immer wieder eingeladen, im Glauben ihre Gotteskindschaft anzunehmen. Solcher Glaube kann vor dem Rückfall in falsche Infantilität bewahren und helfen, zu einer erwachsenen, reifen Form von Männlichkeit zu gelangen. Mit den Worten der Bibel: »Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, dachte wie ein Kind, urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was kindlich an mir war« (1 Korinther 13,11). Viele Männer verdrängen heute jedoch die eigenen Kindheitsanteile. Sie tun sich schwer mit zweckfreien spielerischen Aktivitäten. Gleichwohl sind sie von einem kindlichen Glauben und einer Naivität beherrscht, man könne das, was man zerstört hat, auch wieder reparieren. Der zerstörerische Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen ist unter anderem von dieser infantil-naiven männlichen Mentalität geprägt, die keine Verantwortung übernehmen will. In der Kirche gibt es außerdem relativ oft den Typ des kindlichen Mannes, der nicht erwachsen geworden ist und der zu seiner Macht (zu verstehen im Sinne von Einflussnahme) in Bezug auf andere Menschen kein positives Verhältnis findet. Mit Hinweis auf Jesus von Nazaret, der angeblich auf alle Macht verzichtet habe, lehnen viele religiös oder kirchlich geprägte Männer (unter ihnen viele Pfarrer) Macht generell ab. Sie haben geradezu Angst vor ihr. Wenn jedoch Macht nicht ergriffen und gestaltet wird, »geht sie zum Teufel«. Es werden sich andere finden, die in das Machtvakuum hineinstoßen und es unter Umständen mit Absichten und Energien verbinden, die Menschen zerstören und in Abhängigkeit bringen. Dass manche selbsternannte friedliebende Männer mit ihrem erklärten Machtverzicht das Thema Macht nur verdrängen, ist offensichtlich. Sie können dann auf andere Weise unglaublich autoritär werden.

In der christlichen Religion werden schließlich Erfahrungen der Emotionalität thematisiert und im sozialen Zusammenhang symbolisch gestaltet. Gerade in religiösen Kontexten steigen manchmal Sehnsüchte, Ängste, Träume der Vereinigung und Vernichtung aus der Trieb- und Gefühlswelt empor, die auf Männer besonders bedrohlich wirken, weil sie selbst keinen Zugang zu ihren Emotionen haben. Eine Parole der Neuzeit, von Männern ausgegeben und von Männern beherzigt, lautet deshalb: Beherrsche dich, deine Gefühle, deine Triebe! Der so beherrschte Mensch ist aber auch der beherrschbare Mensch. Die Erziehungsmethoden für Jungen in der Hitlerjugend während des Nationalsozialismus in Deutschland, die auf körperliche und mentale Abhärtung und absolute Kontrolle der Emotionen abzielten, hatten die Erziehung zum gehorsamen, willenlosen Soldaten und seine totale Beherrschbarkeit zum Ziel.

Zum Glauben gehören emotionale Erfahrungen und Fähigkeiten. Man wird berührt, es findet etwas in einem selbst Resonanz, es kommt etwas zum Schwingen. Als der Samariter auf der Straße von Jericho nach Jerusalem einem ausgeraubten und verletzten Mann am Wegesrand begegnete, fühlte er Barmherzigkeit in sich aufsteigen, es »jammerte ihn«, er wurde bis in die Eingeweide hinein vom Elend des anderen berührt, sodass er nicht anders konnte, als sich diesem leidenden Menschen zu stellen und zuzupacken. Barmherzigkeit ist eine Haltung aus Glauben und nicht aus Emotionen.

Glauben ist nicht mit Emotionalität zu verwechseln. Das, was den Glauben bewirkt und stärkt, ist etwas von außen Kommendes. Das Wort Gottes und der Heilige Geist begründen und bewirken den Glauben, indem sie von außen kommend das Herz eines Menschen ergreifen und verändern. Religion ist also ein Machtgeschehen, das Menschen nachhaltig beeinflusst und verändert. Wer nicht richtig auf dieses Geschehen vorbereitet und eingestellt ist, den kann es auch zerstören. »Denn voll Leben ist Gottes Wort und voll Kraft und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark, und ein Richter ist es über Gedanken und Gesinnungen des Herzens« (Hebräer 4,12), das heißt, das Wort Gottes strukturiert den Menschen bis in seine Emotionen und hilft zu unterscheiden zwischen den aufkommenden Regungen aus einer dunklen Gefühls- und Triebwelt und dem Anruf und Anspruch Gottes im eigenen Herzen.

Die Angst der Männer vor der Religion ist nicht ganz unbegründet. Es kann durchaus gefährlich sein, sich in der Religion der göttlichen Macht anzuvertrauen, sich ihr passiv zu überlassen, die Kontrolle abzugeben und von starken Emotionen oder vom Geist Gottes ergriffen und berührt zu werden.

Die Feminisierung von Kirche und Glauben

Neben der Angst vieler Männer vor der Religion scheint auch die zunehmende Feminisierung von Kirche und Spiritualität ein wesentlicher Grund dafür zu sein, dass Männer sich dort nicht mehr wohlfühlen und auf Abstand gehen.

Nicht nur in der Kirche, sondern auch in esoterischen Gruppen und Zirkeln, überall dort, wo es um Religion und Spiritualität geht, machen Frauen ihren Einfluss zunehmend geltend. Sie stellen nicht nur die Mehrheit der Teilnehmer beziehungsweise Teilnehmerinnen, sondern prägen und bestimmen auch als Verantwortliche weithin die Themen, Fragestellungen, Methoden und Inhalte von Veranstaltungen. Bis in die Theologie und kirchliche Verkündigung hinein ist die Dominanz des Weiblichen zu spüren. Dass diese Entwicklung, die in den letzten Jahrzehnten mit dem Aufkommen der feministischen Theologie begonnen hat und rasant fortgeschritten ist, ein entscheidend wichtiges emanzipatorisches Potenzial hat und für die Frauen und die Kirche einfach dran und notwendig war und ist, ist nicht zu bestreiten. Mittlerweile haben wir aber in der evangelischen Kirche (und von der soll im Folgenden vor allem die Rede sein) einen Zustand von kirchlichem Leben erreicht, der viele Männer tief verunsichert.

Männer finden sich mit ihrem Lebensgefühl und mit ihren Themen offenbar immer weniger in ihrer Kirche wieder. Der zunehmende quantitative und qualitative Einfluss und Niederschlag weiblicher Inhalte und Formen im Bereich von Spiritualität und kirchlichem Leben scheint mit dem Rückzug der Männer aus dem kirchlichen Leben in unmittelbarer Wechselbeziehung zu stehen. Den Frauen ist an dieser Stelle kein Vorwurf zu machen. Die Männer haben diese Entwicklung durch ihren Rückzug befördert und sind jetzt damit an der Reihe, sich als Gegenüber und Partner wieder ins Spiel zu bringen.

Doch schauen wir zunächst auf einige Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Kirche und Gesellschaft: Die Rolle und pastorale Identität von Pfarrerinnen und Pfarrern hat sich in dieser Zeit erheblich verändert. Von den 60er- bis 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts verstanden sich Pfarrerinnen und Pfarrer vor allem als Verkündiger und Verkünderinnen des Evangeliums, als Prophetinnen und kritische Mahner und Kämpferinnen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Sie versuchten, durch ihre Verkündigung und pastorale Arbeit Einfluss auf gesellschaftliche Fragen und Probleme (Nato-Doppelbeschluss, Atomenergie, Friedens- und Ökologiebewegung usw.) zu nehmen. In den 90er-Jahren änderten sich die gesellschaftlichen Themen und damit das Selbstverständnis der Pfarrerinnen und Pfarrer. Im Zuge psychosozialer Fokussierungen und Problemstellungen verstanden sie sich zunehmend als Helfer beziehungsweise Helferinnen. Diakonische Beratungsstellen und Projekte sprossen aus dem Boden. Heute wird von ihnen erwartet, dass sie in einer gesamtgesellschaftlichen und kirchlichen Verunsicherung und Suchbewegung Werte liefern und zu Sinnagenten werden. Kämpferische Töne hört man seit den 90er-Jahren nur noch selten von den Kanzeln. Aus der Verkündigung werden Begriffe und Themen wie »Sünde«, »Gericht«, »Gesetz«, »Strafe« gestrichen.