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Am Vorabend der Katastrophe scheint es, als hätten sich alle Prophezeiungen erfüllt. Die Welt ist kalt und leer, das Brot trocken, das Bier dünn. Die Menschen haben Angst und die Angst wohnt in Sendling.
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Seitenzahl: 68
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1 Stück Heimattheater aus dem Katastrophenstadl in fünf Szenen
Annemarie Gruber Ignaz Gruber Lorenz Gruber Irene Huber
Wirtin Wirt deren Sohn seine Verlobte
Ludwig Franz Karl Josef
Vier Motorradfahrer
und ein Giesinger Junggesellenverein
Das Sendlinger Gasthaus „Zum besseren Verständnis“, irgendwann im Winter
Am Vorabend der Katastrophe scheint es, als hätten sich alle Prophezeiungen erfüllt. Die Welt ist kalt und leer, das Brot trocken, das Bier dünn. Die Menschen haben Angst und die Angst wohnt in Sendling.
Szene
Szene
Szene
Szene
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Der Vorhang hebt sich und wir blicken in das Innere einer Höhle, die eine Gastwirtschaft in sich birgt. Es mag aber durchaus auch umgekehrt sein. Die Höhle ist eine typische Tropfsteinhöhle, die Gastwirtschaft ist ebenso typisch. Zur Linken sieht man einen Tresen mit Ausschank, dahinter die Tür zur Küche und den Wohnräumen.
Im Hintergrund die Eingangstür mit einem schweren Vorhang als Windfang. Daneben die Garderobe. Zur Rechten ein Kastl und darauf ein Fernsehgerät, dessen Bildschirm für das Publikum nicht zu sehen ist. Rechts in der Kulisse befindet sich, für die Zuschauer ebenfalls unsichtbar, der Eingang zu den Kellergewölben. Schweres Holzmobiliar verteilt sich im Raum, zum Teil von allerlei Tropfstein schon durchdrungen. Der Boden ist uneben, abgetreten und glitschig.
Die Szene ist in tiefe Dunkelheit getaucht, nur da und dort schimmert und glimmert es geheimnisvoll. Unter einigen Stalaktiten stehen Blecheimer. Fast während des gesamten Spiels tropft es und aus der Ferne grollt und donnert es dumpf, wie von mächtigen Steinschlägen. Alles bietet einen trostlosen Anblick und es riecht nach Moder und Verfall.
Knarrend öffnet und schließt jemand die Eingangstür. In den Windfang kommt Bewegung, eine Hand tastet nach dem Lichtschalter, doch es bleibt dunkel. Ein Streichholz wird entzündet. Wir sehen Lorenz Gruber, einen nicht mehr ganz jungen, korpulenten Mann in dicker Winterkleidung. Er tritt hinter den Tresen, steckt einige Kerzen an, legt Mantel und Hut ab und verteilt die Lichter im Raum. Unschlüssig bleibt er stehen, schaut sich suchend um und macht lockende Geräusche.
Lorenz
Ksskss ... ksskss
Er lauscht, seufzt erleichtert auf, setzt sich an einen Tisch und raucht erschöpft. Die Tür öffnet sich abermals knarrend und eine ältere Frau betritt schwer atmend den Raum, bis unter die Arme bepackt mit Taschen und Tüten.
Lorenz
ohne Regung – Mamma.
Annemarie
Loorenz, hast du ... hast du ...
Lorenz
Ja.
Annemarie
Loorenz. Wieviel?
Lorenz
Was?
Annemarie
Wieviel soll ich jetzt machen?
Lorenz
Ja mei. Machst halt, was da ist.
Annemarie
Und einen Kartoffelsalat auch?
Lorenz
Ja logisch! – aus der Küche Kochgeräusche
Annemarie
Ich versteh dich nicht, Lorenz, dass du ausgerechnet heute ...
Lorenz
Mamma, heut is mein Geburtstag!
Annemarie
Ja, das weiß ich doch, aber ... wo, dass wir doch schon immer in der Familie gefeiert haben. Ausgerechnet heute ... Genügt dir das denn nicht mehr?
Lorenz
Mamma! Heut is mein Geburtstag ... des is ...
Annemarie
Ja wennst meinst. Wie spät is denn? Wann kommens denn?
Lorenz
Kurz vor sechse. Müssten gleich kommen.
Annemarie
Ausgerechnet heute. Aber die Irene kommt schon auch, hm?
Lorenz
Mamma! Die Irene hat damit gar nix zum tun. Außerdem ist sie eine Frau.
Annemarie
Ja, ich weiß scho! Gottseidank.
Lorenz
Was ist jetzt mit die Pflanzerl? Machst die heut noch?
Annemarie
Jaa, gleich. Magst nicht doch einen Kuchen, Lorenz? Soll ich nicht doch einen Kuchen backen?
Lorenz
Mamma! Kein Kuchen, kein Kakau, kein Garnix!
Annemarie
Ja, wennst meinst. Mach ich halt die Pflanzerl und einen Kartoffelsalat.
Lorenz
Genau Mamma. Des machst jetzt. Und wenn dann alle da sind, dann ess ma und dann kannst von mir aus einen Kakau machen.
Annemarie
Gell, schon. – Kochgeräusche – Ausgerechnet heute.
Lorenz
Einmal, ein einziges Mal bloß ...
Türknarren. Auftritt Ignaz Gruber. Um die 70, aber lebhaft und für die Jahreszeit zu leicht bekleidet. Er hält eine brennende Stablampe in der Hand.
Ignaz
Ist die Mamma scho zurück?
Lorenz
Ja ... geh, tu die Lampen weg. Wo warst denn so lang?
Ignaz
betätigt den Lichtschalter – Immer noch kein Licht, ha?
Lorenz
Naa. Wie schaust du denn überhaupt aus?
Ignaz
laut – Mamma! Komm her! – Er kramt in seinen Hosentaschen und wirft eine Handvoll Batterien auf einen Tisch – Für den Fernseh. Brauchen wir jetzt aber nicht mehr.
Annemarie
Was ist denn? Bist endlich da. Mei, wie schaust denn du aus? Holst dir ja den Tod!
Ignaz
Aufpassen jetzt! – Er verschwindet wieder nach draußen, um gleich darauf mit einer altmodischen Stehlampe zurückzukehren. – Na, was sagst?
Lorenz
Gar nix ... was is des, Bappa?
Ignaz
Ein gutes Geschäft is des.
Lorenz
Geschäft? Was für ein Geschäft?
Ignaz
Ein Fassl Bier im Monat und eine Flaschen Schnaps und dem Toni sein Generator läuft für uns mit. Verstehst?
Lorenz
Generator? Geht’s dir noch gut, Bappa?
Ignaz
Blendend.
Lorenz
Bappa, wo wohnt der Toni?
Ignaz
Was fragst denn so blöd, ha? Aufpassen jetzt. Jetzt wird’s gleich richtig gemütlich daherin. – Er löscht alle Kerzen. – Mama, schalt ein! – Sie tut’s, es bleibt dunkel. – Scheiße.
Lorenz
Bappa, wie hast jetzt du den Strom daher kriegt?
Ignaz
Ja mei, Verlängerung halt.
Lorenz
Verlängerung? Bappa, des sind ja mindestens ... Wenn nicht noch mehr ... durch den Schnee?! Bappa!
Die Grubers sitzen vor dem Fernsehgerät. Alle drei essen mechanisch. Man sieht, dass sie jahrelange Übung darin haben, sich nicht vom TV-Programm ablenken zu lassen. Das Gerät bleibt stumm, wirkt für den Zuschauer aber wie ein von innen beleuchtetes Kaleidoskop. Die Grubers erglühen in vielen bunten Farben und müssen blinzeln, um in dem grellen Licht überhaupt etwas zu erkennen, bleiben aber tapfer.
Annemarie
Heut is schon arg bunt, ha?
Ignaz
Hmmm ...
Annemarie
Man weiß gar nicht recht, um was es eigentlich geht.
Lorenz
Die Mamma weiß schon wieder nicht, um was es eigentlich geht.
Ignaz
Was?
Annemarie
Schmeckt’s euch?
Beide – Hmmm ...
Soll ich noch einen Kaukau machen, Lorenz?
Lorenz
Naa, Mamma. Kein Kuchen, kein Kaukau, kein Garnix. Passt scho.
Ignaz
Wo bleiben jetzt deine Spezln?
Lorenz
Was weiß ich. Wird halt irgendwas sein.
Ignaz
Hast duu ... hast du heut schon ...
Lorenz
Jaa.
Ignaz
Dann is recht. Holst du mir ein Bier, Mamma? – Sie zapft ihm ein Bier. – Wie alt wird jetz der Bua eigentlich, Mamma?
Lorenz
schaut ihn verständnislos an – Fünfunddreißig, Bappa.
Annemarie
Geh, Bappa, des weißt du doch. Sei doch net so.
Ignaz
Wie bin ich denn? Man kann sich doch nicht alles merken.
Annemarie
Habt’s ihr noch? Wollt’s noch was?
Lorenz
Danke, Mamma.
Annemarie
Is noch genug da.
Lorenz
Scho recht, Mamma.
Ignaz
Und was is mit der Sirene?
Lorenz
Irene, Bappa, Irene. Und mit der Irene is nix.
Ignaz
So?
Lorenz
Heut is Junggesellenabend, Bappa.
Ignaz
Ah geh. Ich seh keinen.
Lorenz
schaut nervös auf seine Uhr – Kommen schon noch.
Ignaz
Nicht, dass d’ dich mit uns langweilst, Lorenz.
Lorenz
Aber wo. Hab mich selten so amüsiert. Was ist jetzt mit deine Kabel, Bappa? Willst die draußen liegen lassen.
Ignaz
Naa. Werd ich’s halt in Gottes Namen nochmal kontrollieren.
Lorenz
Genau, geh a bissl kontrollieren.
Annemarie
Was? Gehst du jetz no raus? Du, jetz gehst mir fei nicht mehr ohne Mantel, gell. – Sie nestelt an ihm rum – Und da dein Schal ... und dein Hut.
Ignaz
Geh Mamma, hör auf.
Annemarie
Nix! Ich darf dich dann wieder kurieren.
Ignaz
Wo is jetz mei Taschenlamp’n – Er kontrolliert, ob die Stehlampe noch eingeschaltet ist – An ... aus ... an. Fertig. Werd’s schon noch sehn. So blöd ist der Alte auch nicht.
Lorenz
Naa, ganz g’wiss. So blöd auch wieder nicht.
Ignaz
Du!
Annemarie
Jetz schleich dich, Mo. – Ignaz ab – Und pass fei Obacht, gell. Mei, Lorenz, was ich mit deinem Bappa schon alles durchgemacht hab.
Lorenz
Mich wundert’s, dass er überhaupt noch lebt. Stromkabel durch den Schnee. Nicht zum glauben.
Annemarie
Er meint’s ja bloß gut.
Lorenz
Jaja.
Annemarie
Magst du jetz noch was essen, Lorenz?
Lorenz
Naa, Mamma, passt scho.
Annemarie
Weil, dann geh ich jetz wieder.
Lorenz
Is recht Mamma.
Annemarie
Du kannst ja noch ein bissl fernsehen, gell. Ich komm schon zurecht.
Lorenz