Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung -  - E-Book

Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung E-Book

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Beschreibung

Der Mensch kann sich neues Wissen prinzipiell auf zwei Arten aneignen: mithilfe des Bewusstseins (explizit, intentional) oder beiläufig, also durch Lernmechanismen, die unterhalb der Schwelle des Bewusstseins operieren (implizit). Wie aber werden neue Sprachen erworben? Und welche Optionen eröffnet dies für eine erfolgreiche Sprachvermittlung? Der Sammelband skizziert für ausgewählte Erwerbsbereiche (z.B. Morphologie, Syntax) zentrale Aspekte impliziten und expliziten Wissens und Lernens und diskutiert Effekte und Nutzen impliziter und expliziter Vermittlungs- und Förderansätze im Kontext des Deutschen als Erst-, Zweit- und Fremdsprache.

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Karin Madlener-Charpentier / Giulio Pagonis

Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung in der Sprachvermittlung

Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache

 

DOI: 10.24053/9783772056871

 

Karin Madlener-Charpentier / Giulio Pagonis (Hrsg.)

ORCID: http://orcid.org/0000-0002-5471-3415

DOI: https://doi.org/10.24053/EAN(ePDF)

 

© 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.de

eMail: [email protected]

 

ISSN 0067-4508

ISBN 978-3-7720-5687-1 (Print)

ISBN 978-3-7720-0187-1 (ePub)

Inhalt

Dieser Sammelband ist gewidmetDankOptionen der didaktischen Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung1. Ausgangslage2. Lernen, Spracherfahrung und Aufmerksamkeit3. Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung3.1. Implizite Formfokussierung3.2. Explizite Formfokussierung3.3. So implizit wie möglich, so explizit wie nötig4. Die Beiträge im SammelbandLiteraturKonstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens: Lernprozesse und Steuerungsoptionen aus gebrauchsbasierter Perspektive0. Einleitung1. Konstruktionsbasierte Grammatik1.1. Konstruktionen als Basiseinheiten der Sprache1.2. Konstruktionsnetzwerk, Exemplare und Abstraktionen1.3. Konstruktion sprachlichen Wissens1.4. Erwerbsprozesse und Lernmechanismen1.5. Zwischenfazit: Grammatik als Konstruktion2. Konstruktionen im Zweitspracherwerb2.1. Konstruktion einer zweiten Sprache2.2. Input & Inputverarbeitung in der L2: Chunks & Entrenchment2.3. Input & Inputverarbeitung in der L2: Mustererkennung & Generalisierung2.4. Zwischenfazit: L2-Konstrukti(k)on2.5. Skizze einer gebrauchsbasierten didaktischen FormfokussierungLiteraturTeil 1: Input und AufmerksamkeitslenkungAufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten: Gelingensbedingungen impliziten und expliziten inzidentellen Zweitsprachlernens1. Formfokussierung & inzidentelles Lernen2. Maximale Inputquantität: Inputfluten3. Optimale Inputqualität: Effekte von Typ- und Tokenfrequenzmanipulationen4. Fazit und Ausblick: Durch implizite Formfokussierung Chunking & Mustererkennung fördernLiteraturInputspezifizierung und Bewusstmachung als Methoden sprachtherapeutischer Intervention1. Von kognitiven Mechanismen zu didaktischen Methoden2. Implizite und explizite Methoden in der Sprachintervention3. Methodenvergleichende Interventionsstudien4. Fazit zur Eignung von Methoden in unterschiedlichen KontextenLiteraturImplizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung1. Einleitung2. Erwerb und Förderung: Grundlagen3. Warum Sprachförderung im Kitaalter?4. Impliziter Spracherwerb, implizite Formfokussierung5. Früher Zweitspracherwerb der deutschen Pluralmarkierung beim Substantiv6. Didaktische Überlegungen zu einer impliziten FormfokussierungLiteraturAnhang A: Phase I Spiel 2 „Der Frühling bringt Blumen“Anhang B: Phase I Spiel 4 „Der Hahn hat Geburtstag“Anhang C: Phase I Spiel 6 „Wie viele Beine?“Anhang D: Phase II Spiel 2 „Einkaufen“Skewing – ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung?1. Schulischer Fremdsprachenunterricht und die didaktische Formfokussierung2. Erkenntnisse zum Strukturerwerb aus der Erst- und Zweitspracherwerbsforschung4. FazitLiteraturAnhang 1: Unterrichtsverlauf in den Experimentalgruppen (EG-Skewing und EG-Gleichverteilung) in Versuchsreihe AAnhang 2: PartnerübungAnhang 3: Test (20 Items) in den Versuchen 1–3Anhang 4: Versuchsreihe B, KG – 1. Stunde – Arbeitsblatt qui/queAnhang 5: Test (26 Punkte) in Versuchsreihe B, Versuch 4Teil 2: Output und BewusstmachungFormfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog1. Einleitung2. Fokussierte Aufgaben und Aufmerksamkeit3. Korrekturen und Metasprache in der Peer-Interaktion4. Fazit: Formfokussierung durch LernendeLiteraturAnhang A: Transkriptionskonventionen in Anlehnung an GAT 2 (Selting et al. 2009:391–393)Anhang B: Aufgabe „A1-Skype-Termin“Anhang B: Aufgabe „A1-To-do-Liste”Anhang C: Aufgabe „A1-Bildbeschreibung“Anhang C: Aufgabe „B1-Dictogloss“Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz durch gezielte Bewusstmachung1. Einleitung: Linguistischer und spracherwerbstheoretischer Hintergrund2. Didaktisches und empirisches Design3. Ergebnisse4. Erste Texte in der Zielsprache DeutschLiteraturAnhang AAnhang BZu den Effekten eines explizit bewusstmachenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache1. Spracherwerbstheoretische Annahmen2. Erwerbsprobleme beim deutschen Wortakzent3. Didaktische Optionen gesteuerter Aufmerksamkeitslenkung4. Studie zur expliziten Bewusstmachung der deutschen Wortakzentstruktur5. Ergebnisse der Untersuchung6. Zusammenfassung und weiterer UntersuchungsbedarfLiteraturAnhang: Übungen zur Lokalisierung des deutschen WortakzentsDie Interface-Hypothese: Annahmen zum Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen im Spracherwerb1. Einleitung2. Gedächtnissysteme und Wissensbestände3. Die Rolle des Bewusstseins4. Unterschiedliche Positionen zum Interface5. Empirische Überprüfung der Effekte von aufmerksamkeitslenkenden und bewusstmachenden Verfahren6. Implikationen für den gesteuerten FremdsprachenerwerbLiteraturTeil 3: Implikationen für die LehrerbildungFocus-on-Form in der Lehrkräftefortbildung1. Einleitung2. Das Formfokussierungsparadigma: Focus on Meaning, on Form oder on FormS?3. Zentrale Konzepte des Focus-on-Form-Ansatzes4. Interaktionskompetenz und ko-konstruktiver Wissensaufbau als Basis für Focus-on-Form5. Fortbildung zu Focus-on-Form6. Zusammenfassung und FazitLiteraturFachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden – metasprachliches Wissen und Registerflexibilität1. Einleitung2. Das Registererwerbsmodell von Ravid und Tolchinsky (2002)3. Aufbau von registerspezifischen Ressourcen4. Registerflexibilität und metasprachliche Bewusstheit im späten Spracherwerb5. Die ReFlex-Studie6. Zusammenfassung und AusblickLiteraturAutorInnenverzeichnis

Dieser Sammelband ist gewidmet

Brigitte Handwerker († 2020)

und

Konstantinos Pagonis († 2020)

Dank

Der vorliegende Sammelband geht auf eine Reihe von Workshops zum Leitthema „Bewusstmachung in der Sprachvermittlung: Kognitive und didaktische Perspektiven auf Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache“ zurück. Die Workshops wurden geleitet von Karin Madlener-Charpentier, Beate Lütke und Giulio Pagonis und fanden in Heidelberg (2014, 2018), Basel (2015, 2017, 2019) und Berlin (2016) statt.

Wir danken an dieser Stelle allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Workshops für spannende Beiträge, anregende Fragen und bereichernde Diskussionen!

Weiterhin danken wir den herausragenden Kolleginnen und Kollegen, die uns durch ihre wegweisenden Ideen in Bezug sowohl auf erwerbstheoretische Fragestellungen als auch auf didaktische Optionen einer Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung inspiriert und uns in persönlichen Gesprächen über viele Jahre begleitet und ermutigt haben. An erster Stelle sind dies Nick C. Ellis, Brigitte Handwerker (†2020), Erika Kaltenbacher und Heike Behrens.

Unser herzlicher Dank gilt schließlich all den weiteren wundervollen Menschen, die uns privat und beruflich begleiten und die uns unter anderem auch während der langen Arbeit an diesem Sammelband geduldig ertragen, uns von nah und fern motiviert, ermuntert und unterstützt haben. Insbesondere sind dies Dorothee Pagonis, Hervé Charpentier, die Madleners, Hana Klages, Kirstin Mascher, Yvonne Ziegelmeier, Nicole Schumacher, Andrea Ender, Mirjam Weder und Philipp Dankel.

Zuletzt danken wir Carolin Brandt und Leonie Massoth für das sorgfältige Korrekturlesen und Formatieren des Textes und selbstverständlich dem Verlag für die gute Zusammenarbeit.

Optionen der didaktischen Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung

Karin Madlener-Charpentier & Giulio Pagonis

1. Ausgangslage

Sprachkompetenzen eröffnen Wege zu gesellschaftlicher Teilhabe. Der Grundgedanke der Teilhabe durch Sprache bezieht sich auf die Verfügbarkeit von erst-, zweit- und fremdsprachlichen Kompetenzen1 für verschiedene Ziele und Zwecke des Sprachgebrauchs, zum Beispiel für den Zugang zu schulischer Bildung, zu beruflicher Aus- und Weiterbildung, zum Arbeitsmarkt und zu Optionen lebenslangen Lernens; für die Teilhabe am Alltagsleben und die Mitgestaltung von gesellschaftlichen Prozessen; aber auch für das Absolvieren einer Sprachprüfung im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens oder als Zugang zu einem Studien- oder Ausbildungsgang im In- oder Ausland. Für all diese Ziele und Zwecke sind Sprachkompetenzen auf unterschiedlichen Niveaustufen nötig, von sprachlichen Basiskompetenzen über fortgeschrittene Text- und Gesprächskompetenzen bis hin zu spezifisch bildungs-, fach- und berufssprachlichen und gegebenenfalls auch sprachreflexiven Kompetenzen.

Vor diesem Hintergrund wird u. a. diskutiert, wie Maßnahmen der Sprachvermittlung und Sprachförderung dazu beitragen können, Individuen bei der Ausbildung ihrer Sprachkompetenzen gezielt zu unterstützen. Dabei unterscheiden sich Ziele und dementsprechend auch Förderbedarfe in verschiedenen Gruppen von SprachlernerInnen und SprachnutzerInnen stark (siehe z. B. Klages & Pagonis 2014 zu ein- und mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen; Hoefele & Konstantinidou 2018 zu ein- und mehrsprachigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der beruflichen Bildung; Ender & Madlener 2019 zu neuzugewanderten jugendlichen und jungen erwachsenen Geflüchteten und MigrantInnen). Daher muss es das Ziel von Vermittlungs- und Fördermaßnahmen sein, den Erwerb von Sprachkompetenzen so zu unterstützen, dass Teilhabe entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Zielsetzungen möglich wird.

Die Entwicklung wirkungsvoller Maßnahmen der Sprachvermittlung und Sprachförderung setzt dabei ein umfassendes Verständnis grundlegender Aspekte von Spracherwerb voraus: Erst wenn bekannt ist, wie Spracherwerb in verschiedenen Kontexten funktioniert und unter welchen Bedingungen der Erwerb sprachlicher Kompetenzen gut voranschreitet, können Sprachlerngelegenheiten gezielt optimiert und Erwerbsprozesse bei verschiedenen Zielgruppen und für verschiedene Lerngegenstände und Sprachverwendungsbereiche systematisch unterstützt werden. Daher setzt sich der vorliegende Sammelband mit einer Reihe von Fragen auseinander, die an der Schnittstelle zwischen Spracherwerbsforschung und Sprachdidaktik verortet sind:

Welche grundlegenden Lernmechanismen werden für die Aneignung von Sprachkompetenzen angenommen?

Unter welchen Bedingungen gelingt sprachliches Lernen in verschiedenen Kontexten (Erst-, Zweit- und Fremdspracherwerb) gut?

Welche didaktischen Konsequenzen, Handlungsspielräume und Optionen ergeben sich zielgruppenspezifisch aus diesen erwerbstheoretischen Annahmen? Wie können Lernbedingungen also didaktisch so beeinflusst werden, dass Lernprozesse angestoßen und optimiert, die Lerngeschwindigkeit und der Lernerfolg erhöht werden?

2. Lernen, Spracherfahrung und Aufmerksamkeit

Gegenstand des Spracherwerbs sind aus Sicht gebrauchs- und konstruktionsbasierter Ansätze Form-Bedeutung- bzw. Form-Funktion-Zuordnungen. Diese sogenannten Konstruktionen können mehr oder weniger abstrakt sein (z. B. Wortart Nomen vs. ein konkretes Nomen wie Buch) und mehr oder weniger komplex (z. B. eine Mehrwortverbindung wie etwas durch die Blume sagen vs. ein Morphem wie Blume). Regelhaftigkeiten wie die Ditransitiv-Konstruktion (NomenNominativ Verb NomenDativ NomenAkkusativ) werden in diesem Ansatz als komplexe abstrakte Form-Funktion-Zuordnungen beschrieben (Tab. 1, siehe Tomasello 2003:101, siehe auch Diessel 2015, Goldberg 2013).

 

einfach

komplex

konkret

Buch, Blume

etwas durch die Blume sagen

abstrakt

Nomen

Ditransitiv-Konstruktion

Tab. 1:

Komplexitäts- und Abstraktheitsgrade im Konstruktionsinventar

Die traditionelle, kategorische Unterscheidung zwischen (konkretem und bedeutungsvollem) Lexikon und (abstrakter, kombinatorischer, bedeutungsleerer) Grammatik wird in diesen Ansätzen aufgegeben. Für den Erwerb aller Form-Bedeutung-Zuordnungen (konkret oder abstrakt, einfach oder komplex) werden dieselben allgemein-kognitiven Lernmechanismen angenommen (N. Ellis 2003:63, siehe Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band).

Aktuelle gebrauchs- und konstruktionsbasierte Modelle des Spracherwerbs gehen von der Annahme aus, dass die Aneignung von Sprachkompetenzen großteils implizit verläuft (N. Ellis 2013, Ortega 2015). Dabei wird implizite Aneignung verstanden als „acquisition of knowledge about the underlying structure of a complex stimulus environment by a process which takes place naturally, simply and without conscious operations“ (N. Ellis 1994:1–2, 2015:3). Implizites Lernen ist also ein unbewusster Prozess der allmählichen induktiven Abstraktion von Regelhaftigkeiten bzw. Mustern, der auf der Verarbeitung von Sprache in kommunikativ bedeutungsvollen Kontexten beruht (N. Ellis & Cadierno 2009:124, Ortega 2015:355). Dieser implizite Modus der Sprachaneignung wird abgegrenzt von der Fähigkeit des Menschen zum expliziten Lernen, also dem Lernen unter Einsatz des Bewusstseins. Explizites Lernen kann lernerinitiiert stattfinden (z. B., wenn Lernende ein Problem identifizieren, bewusst nach Informationen und Lösungen suchen und Hypothesen entwickeln) oder es kann von außen angestoßen werden (wie beim bewussten Lernen von Regeln, die in einem gesteuerten Erwerbskontext z. B. durch eine Lehrperson angeboten werden) (N. Ellis 2015).

Für den Erstspracherwerb wird grundsätzlich angenommen, dass selbst komplexe und abstrakte Konstruktionen (z. B. Verbstellungsmuster) erfolgreich implizit erworben werden, sofern Lernende in ausreichendem Maße an bedeutungsvoller sozialer Interaktion beteiligt sind (Behrens 2009, Matthews & Krajewski 2015, siehe aber Kauschke in diesem Band zu monolingualen Kindern mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen). Hingegen wird häufig darauf verwiesen, dass der Erwerb einer Zweit- oder Fremdsprache in der Regel weniger erfolgreich verläuft (u. a. N. Ellis 2015, N. Ellis & Cadierno 2009, Hyltenstam & Abrahamsson 2003, Meisel 2021). Die Gründe für diesen Erwerbsnachteil im späten Fremd- und Zweitspracherwerb werden kontrovers diskutiert; aus gebrauchsbasierter Perspektive sind zwei Aspekte zentral:

Zum einen wird der sogenannte Limited L2 Endstate (N. Ellis 2008) auf ein mangelhaftes Sprachangebot zurückgeführt, wenn die für einen erfolgreichen Erwerb erforderliche Quantität an Spracherfahrung in der Fremd- oder Zweitsprache nicht verfügbar ist:

[L2] learners have to enter into communication from experience of a very limited number of tokens. Their limited exposure poses them the task of estimating how linguistic constructions work from an input sample that is incomplete, uncertain, and noisy (N. Ellis 2011:203, siehe auch Hart & Risley 2003, Pfenninger 2014).

Auch die erforderliche Qualität des Sprachangebots wird als Ursache für Erwerbsnachteile diskutiert, z. B. weil (für den Erstspracherwerb typische) interaktionale Modifikationen und Elaborationen des Inputs ausbleiben (z. B. Wiederholungen, Reformulierungen, Elaborationen, Nachfragen oder Vereinfachungen, siehe Kappeler Suter & Plangger 2018, Szagun 2013), sodass Zweit- und FremdsprachenlernerInnen (L2-LernerInnen) in vielen Fällen nicht auf dieselbe Reichhaltigkeit von Spracherfahrung zurückgreifen können wie ErstsprachlernerInnen.

Zum anderen wird angenommen, dass der verfügbare Input in der Zweit-/Fremdsprache nicht optimal verarbeitet und für den Spracherwerb genutzt werden kann: „Although L2 learners are surrounded by language, not all of it ‚goes in‘“ (N. Ellis 2015:12). Hier wird auf das Konzept der Learned Attention (N. Ellis 2006) verwiesen, also auf das Problem, dass L2-LernerInnen ggf. durch von der Erstsprache geformte Sprachverarbeitungs- und Aufmerksamkeitsroutinen daran gehindert werden, für die Zweit-/Fremdsprache relevante Konstruktionen im Sprachangebot wahrzunehmen, wenn diese von denen der Erstsprache abweichen (N. Ellis & Cadierno 2009:112). In diesem Fall wird, bildlich gesprochen, die Aufmerksamkeit der L2-Lernenden für bestimmte Merkmale des L2-Inputs blockiert, und zwar durch Routinen der Sprachverarbeitung in der Erstsprache. Diese Aufmerksamkeitsblockierung wird als problematisch betrachtet, denn „[u]m Lernprozesse zu generieren, müssen (neue) Sprachelemente in mehr oder weniger expliziter Form in den Aufmerksamkeitsfokus gelangen“ (Schifko 2008:37, siehe auch Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band).

Vor diesem Hintergrund soll in diesem Sammelband gefragt werden, welche didaktischen Steuerungsmöglichkeiten geeignet sind, um Spracherwerb gezielt zu unterstützen, und welche Rolle Verfahren der Formfokussierung (s. u.) dabei spielen, dem Quantitätsproblem, dem Qualitätsproblem und/oder dem Blockierungsproblem zu begegnen.

3.Formfokussierung zwischen Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung

Ansätze der didaktischen Formfokussierung (sog. Pedagogical Focus on Form/FoF; siehe Long & Robinson 1998) sind grundlegend kommunikativ, also bedeutungs- und interaktionszentriert angelegt. Sie entstehen im Kontext aufgabenbasierter Sprachvermittlung (sog. Task-Based Language Teaching, u. a. R. Ellis 2017a, Long 2015, Niemeier 2017) und basieren auf der Beobachtung, dass L2-Lernende trotz reichhaltiger kommunikativer Settings häufig nur eingeschränkte Kompetenzen (vor allem in Bezug auf die Komplexität und Korrektheit ihres L2-Gebrauchs) erreichen:

Canadian total immersion projects […] have shown that grammar does not develop on its own just by exposing the learners to rich input but that the result is rather one of fossilised reduction (Niemeier 2017:19, siehe auch Swain 1985).

Ansätze der Formfokussierung (FoF) erlauben bzw. fordern im grundlegend kommunikativen Lernkontext daher spontane oder auch vorgeplante, in jedem Fall aber typischerweise kurze Episoden der Aufmerksamkeitslenkung auf oder auch Bewusstmachung von Form-Bedeutung-Zuordnungen (Doughty & Williams 1998a, R. Ellis 2016). Damit unterscheidet sich FoF gleichermaßen von strikt kommunikativen, ausschließlich bedeutungsorientierten didaktischen Ansätzen (sog. Focus on Meaning/FoM, z. B. Immersionsansätze) und von traditionellen expliziten und grammatikorientierten Vermittlungsansätzen, in denen formale Paradigmen häufig in Isolation (ohne kommunikative Einbettung) vermittelt werden (sog. Focus on FormS/FoFS).

Die didaktische Formfokussierung versteht sich dabei nicht als geschlossene Methode, sondern als „Bauanleitung für bestimmte unterrichtliche Vorgehensweisen“ (Schifko 2008:37). Diese FoF-Techniken vereint in Abgrenzung zu FoFS das Bestreben, die Sprachvermittlung aufgaben- und bedeutungsorientiert anzulegen und an den aktuellen Ausdrucksbedürfnissen der Lernenden auszurichten, weswegen dekontextualisierte, behavouristisch motivierte Übungsformen wie z. B. isolierte Pattern Drills ebenso abgelehnt werden wie Verfahren, die sich darauf beschränken, den Lernenden kontextlos deklaratives Wissen über grammatische Strukturen und Regeln zu vermitteln. In Abgrenzung zu FoM verbindet alle FoF-Varianten hingegen das Ziel, die (gesprochene oder geschriebene) sprachliche Form im Rahmen eines prinzipiell kommunikativ ausgerichteten Unterrichts (pro- oder reaktiv) didaktisch zu forcieren (Tab. 2).

 

FoM

FoF

FoFS

kommunikative Einbettung

+

+

-

didaktische Forcierung

reaktiv (durch Feedback) und/oder proaktiv (durch Vorgestaltung des Sprachangebots)

-

 

 

+

+

durch Bewusstmachung der Form

-

-

(implizite FoF)

+

(explizite FoF)

+

Tab. 2:

Merkmale didaktischer Formfokussierung (FoF) in Abgrenzung zu FoM und FoFS

Tabelle 2 illustriert mit der Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter Formfokussierung (implizite FoF, explizite FoF) die oben eingeführte Grundannahme der didaktischen Formfokussierung, dass nämlich Form-Bedeutung-Zuordnungen „in mehr oder weniger expliziter Form“ (Schifko 2008:37, H.d.V.) in den Aufmerksamkeitsfokus der Lernenden gelangen müssen, wenn Lernprozesse angestoßen werden sollen. Damit wird ausgesagt, dass im Kontext einer didaktischen Forcierung eine Beteiligung des Bewusstseins an der Sprachverarbeitung je nach Lernendengruppe, Lerngegenstand und Kontext zwar sinnvoll sein kann, aber keineswegs notwendig ist (Doughty & Williams 1998b, Schifko 2011).

3.1. Implizite Formfokussierung

Von impliziter Formfokussierung wird gesprochen, wenn durch die didaktische Vorgestaltung eines kommunikativ relevanten Sprach- und Interaktionsangebots der Versuch unternommen wird, die unterschwellige Aufmerksamkeit der LernerInnen auf Form-Bedeutung-Zuordnungen im Kontext zu lenken, ohne dass diese als Lerngegenstand bewusst werden und/oder metasprachlich reflektiert werden sollen.

Bei impliziten Verfahren der Formfokussierung wird also vermieden, das Bewusstsein der Lernenden auf Formen im Input zu lenken oder Regelzusammenhänge bewusst zu machen. Stattdessen soll durch weniger invasive Vermittlungsoptionen (z. B. vorgeplant durch Inputfluten, s. Hernández 2011, Madlener 2015; oder reaktiv/spontan durch Recasts als Feedbackform, s. R. Ellis, Loewen & Erlam 2006, Lyster 2004) die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, dass Lernende notorisch schwierige, komplexe, wenig saliente und ggf. durch L1-Routinen blockierte sprachliche Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input wahrnehmen und erwerbsförderlichen Intake generieren.

Es wird in diesem Zusammenhang von unterschwelliger bzw. unbewusster Aufmerksamkeit (Attention) gesprochen, wenn zwar die Orientierung der Lernenden auf bestimmte Anteile des Inputs hin erfolgt, sodass diese Anteile des Inputs mit erhöhter Wahrscheinlichkeit wahrgenommen und (im Sinne der Herstellung von Form-Bedeutung-Zuordnungen) verarbeitet werden, dabei aber nicht das Bewusstsein (sog. Consciousness) der Lernenden an der Wahrnehmung der sprachlichen Form beteiligt ist (s. Gass 1997:8–12).

3.2. Explizite Formfokussierung

Bei expliziter FoF wird hingegen die bewusste Aufmerksamkeit der Lernenden (punktuell) während der kommunikativen Aushandlung explizit auf die Form des sprachlichen Ausdrucks gelenkt; die Form-Bedeutung-Zuordnung wird den Lernenden damit also bewusst gemacht (im Sinne des Noticing nach Schmidt 2001, s. Swain 1995:129–130), ggf. wird auch eine bewusste Hypothesenbildung in den Lernenden angestoßen (Swain 1995:130–132), sodass auch das bewusste Verstehen (Understanding) bzw. Reflektieren von Regelhaftigkeiten (Swain 1995:132–140) ins Spektrum der explizit formfokussierenden Verfahren fällt – unter der Bedingung allerdings, dass diese explizite Formfokussierung und Bewusstmachung stets im Rahmen eines kommunikativen Unterrichtsrahmens erfolgt.

Man spricht also von expliziten Techniken der Formfokussierung, wenn in einer grundlegend kommunikativ eingebetteten Lehrsituation der didaktische Versuch unternommen wird, das Bewusstsein der Lernenden relativ aufdringlich, in der Regel aber punktuell und bedarfsorientiert, auf ein sprachliches Problem oder auf ein oder mehrere konkrete Exemplare einer ausgewählten Form-Bedeutung-Zuordnung zu lenken, die für die Lösung einer kommunikativen Aufgabe relevant sind (z. B. vorgeplant durch Consciousness Raising Tasks, s. R. Ellis 2017b:511, Wong 2005, oder durch Textrekonstruktions- oder -reparaturaufgaben, s. Eckerth 2008; spontan/reaktiv durch Feedback-Typen wie Prompts, s. Mackey 2012).

Dieses didaktische Vorgehen sei vorrangig bei relativ wenig salienten Form-Bedeutung-Zuordnungen (wie z. B. Artikelformen) sinnvoll, vor allem wenn sie zusätzlich stark mit L1-Konstruktionen kontrastieren (N. Ellis 2015:12, R. Ellis 2017b:522, Schifko 2008:45). Explizite FoF soll in erster Linie dazu beitragen, dass neue Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input bemerkt und (im Sinne des Weak Interface, N. Ellis 2007) in der Folge auch für implizite Lernprozesse zugänglich werden:

The primary conscious involvement in L2 acquisition is the explicit learning involved in the initial registration of pattern recognizers for constructions that are then tuned and integrated into the system by implicit learning during subsequent input processing (N. Ellis 2015:14).

Unter dem Ansatz einer (im oben eingeführten Sinne gebrauchsbasierten) didaktischen Formfokussierung (siehe Madlener-Charpentier & Behrens in diesem Band) kann also vorläufig angenommen werden, dass sich – im Rahmen eines generell kommunikativ-interaktionalen Vermittlungsansatzes – eine (punktuelle) explizite Formfokussierung, ggf. auch in Form der Vermittlung deklarativen Wissens, zielführend und erwerbsförderlich auswirkt, wenn die entsprechende Aufmerksamkeitslenkung bzw. Bewusstmachung längerfristig die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass kritische Form-Bedeutung-Zuordnungen im Input von Lernenden mit Aufmerksamkeit belegt werden und damit potenziell Intake für die implizite Ableitung abstrakter Strukturen generiert wird (Doughty & Williams 1998a, b, Long & Robinson 1998, N. Ellis 2007, 2008, R. Ellis 2016, siehe auch Kohl-Dietrich & Maiberger in diesem Band).

Als geradezu kontraproduktiv kann sich explizite FoF hingegen erweisen, wenn sie – in Annäherung an FoFS – das Bewusstsein der Lernenden allzu aufdringlich von der Bedeutungsseite weg auf die sprachliche Form lenkt: Da bewusste Verarbeitungsprozesse kognitiv aufwändig sind, unterbrechen sie gegebenenfalls Makroprozesse der Sprachverarbeitung bzw. der Form-Bedeutung-Zuordnung (Doughty 2001:211–212, Schifko 2008:38); es soll durch die Aufmerksamkeitslenkung aber eben gerade „kein Bruch mit dem Verstehen, Aushandeln oder Produzieren von Bedeutungen“ (Schifko 2008:38) entstehen. So ist laut Wong (2005) beispielsweise in Bezug auf das sogenannte Visual Text Enhancement festzustellen, dass stark aufmerksamkeitslenkende typographische Hervorhebungen wie z. B. Fett- oder Farbdruck tatsächlich zu besserem Noticing der entsprechenden Formen (z. B. Präteritumsendungen) führen, dies aber ggf. auf Kosten des verstehenden Lesens und damit auch des längerfristigen Erwerbs, der auf der Herstellung von Form-Bedeutung-Beziehungen beruht.

3.3. So implizit wie möglich, so explizit wie nötig

Wenn aus der Perspektive einer didaktischen Formfokussierung also explizite Vermittlungstechniken und auch explizites Wissen über Sprache durchaus „legitimer Bestandteil des Unterrichts“ (Schifko 2008:44) sein können, so doch nur unter der Bedingung, dass dabei die „Aufrechterhaltung des Bedeutungsbezugs nicht aus dem Blick gerät“ (ebd.). Bewusstmachende, gegebenenfalls auch metasprachliche Episoden sollten daher tendenziell kurz und in jedem Fall funktional eingebettet sein (Schifko 2008:38). Die grundlegende Ausrichtung des Unterrichts solle stets kommunikativ und bedeutungszentriert bleiben: „Aufmerksamkeit auf Form [bzw. Form-Bedeutung-Paare] erfolgt im Rahmen einer kommunikativen Zielsetzung“ (ebd.; siehe auch Doughty & Williams 1998a, b, R. Ellis 2016, Long & Robinson 1998).

Der Einsatz expliziter Formfokussierung stellt also eine Art Gratwanderung dar: Einerseits soll eine explizite Formfokussierung nicht zu einer isolierten FormENfokussierung (FoFS) werden, andererseits die Aufmerksamkeitslenkung auch nicht zu gering ausfallen. Anteile expliziter Instruktion dürfen jedenfalls nicht zum Selbstzweck werden, sondern müssen punktuell und bedarfsorientiert eingesetzt werden und sich grundsätzlich auf Form-Bedeutung-Zuordnungen beziehen, nicht auf rein formale Paradigmen:

whatever language we teach, and whether we teach it using implicit or explicit pedagogical techniques, it must always be taught in the service of meaning making and communication and at the level of language constructions rather than rules (Tyler & Ortega 2018:7).

Tabelle 3 fasst die wesentlichen Merkmale von Verfahren der (impliziten und expliziten) Formfokussierung in Abgrenzung zu FoM und FoFS zusammen:

 

FoM

FoF

FoFS

 

 

implizit

explizit

 

Sprache als …

Kommunikationsmittel

Kommunikationsmittel

Lerngegenstand

Ziel

sprachliches Können

sprachliches Können

Sprachwissen

Aufgabentypen

kommunikative Aufgaben

kommunikative

Aufgaben

dekontextualisierte Übungen

Lehrerseitige Aufmerksamkeitslenkung

keine

Formfokussierung

geplant:

proaktiv oder reaktiv

struktureller

Syllabus

angestrebter Grad der lernerseitigen Aufmerksamkeit für Form(-Bedeutung-Zuordnung)en

bewusste Aufmerksamkeit für Bedeutungen; unbewusste Verarbeitung der Form-Bedeutung-Zuordnungen

unbewusste Aufmerksamkeit für Form-Bedeutung-Zuordnungen: Attention

bewusste Aufmerksamkeit für Form-Bedeutung-Zuordnungen: Noticing, ggf. Understanding

Bewusst-

machung von Formen, Paradigmen und Regeln

Tab. 3:

Bedeutungs- vs. formzentrierte Ansätze der Sprachvermittlung. Bei der Unterscheidung zwischen impliziter und expliziter FoF wird von einem Kontinuum ausgegangen, siehe u. a. Doughty & Williams (1998b) und Schifko (2011) für Aufgabentypen zwischen impliziter und expliziter Formfokussierung.

Die zentralen, bisher noch weitgehend ungeklärten didaktischen Fragen in Bezug auf die Optionen, Anwendungskontexte und Wirksamkeit verschiedener Techniken impliziter und/oder expliziter didaktischer Formfokussierung, die sich durch die Beiträge in diesem Sammelband ziehen, sind dabei die folgenden:

1.

Unter welchen Bedingungen und in welchen Erwerbskontexten ist es für welche Lernendengruppen tatsächlich zielführend bzw. ausreichend, implizite Angebote der Formfokussierung zu unterbreiten bzw. relativ wenig aufdringliche Verfahren der Aufmerksamkeitslenkung einzusetzen (zum Beispiel Inputanreicherungen)? An welchen konkreten didaktischen „Stellschrauben“ (Frequenz, Variation, Progression, Prototypikalität etc.) kann in diesen Fällen begründeterweise gedreht werden?

2.

Wann ist es sinnvoll und nützlich oder gar notwendig, auch explizitere Formen der Aufmerksamkeitslenkung und Bewusstmachung anzubieten (wie z. B. korrektives Feedback oder Erklärungen), um z. B. Inputmangel zu kompensieren oder Effekte von Learned Attention aufzubrechen? Wie können diese expliziteren FoF-Optionen erwerbsförderlich gestaltet werden, wie kann also eine explizite Formfokussierung konkret angelegt sein?

3.

Inwiefern ist das didaktische Vorgehen abzustimmen auf lernerbezogene Faktoren (z. B. Alter, Vorwissen, Arbeitsgedächtniskapazität oder Mustererkennungsfähigkeit) und/oder auf lerngegenstandsbezogene Faktoren (z. B. die Abstraktheit und Komplexität des Erwerbsgegenstandes; die Salienz und Variabilität der Zielstrukturen im Input und ihre kommunikative Funktionalität und Transparenz)?

Gerade für die Zielsprache Deutsch steht die Entwicklung eines umfassenden didaktischen Modells zur Formfokussierung und die Entwicklung und Ausdifferenzierung von Vermittlungs- und Förderkonzepten für die Vielfalt an Lerngegenständen, Zielgruppen, Leistungsniveaus und Erwerbskontexten nach wie vor aus. Ob für Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache aus bildungsfernen Familien, die in Schulleistungsstudien in ihren (schrift-)sprachlichen Leistungen auffällig sind (siehe u. a. Ehlich, Valtin & Lütke 2012), für mehrsprachige Kinder und Jugendliche im sprachlich heterogenen Klassenzimmer (Ahrenholz & Oomen-Welke 2010) oder für im Schulalter zugewanderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (sogenannte SeiteneinsteigerInnen, Ender & Madlener 2019, Reich 2017), stellt die Entwicklung eines didaktischen Rahmens, der situationsgerechte Vorschläge bezüglich des Einsatzes formfokussierender Techniken formuliert, ein zentrales Desiderat dar. Der vorliegende Sammelband bringt erwerbstheoretische Hintergründe, didaktische Vorschläge und empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit ausgewählter formfokussierender Sprachvermittlungs- und Sprachförderoptionen für den L1- und L2-Kontext von der Vorschule bis zur Erwachsenenbildung zusammen, um diese Lücke zu füllen.

4. Die Beiträge im Sammelband

In den Beiträgen in diesem Sammelband werden ausgewählte didaktische Teilfragen zum Lernen und Lehren des Deutschen als Zielsprache theoretisch diskutiert und empirisch untersucht. Dies betrifft Fragen (a) zu den Zielen des Lehrens und Lernens, also u. a. zum Kompetenzbegriff und zum Verhältnis von (explizitem) Wissen und (implizitem) Können; und (b) zu den Wegen des Lehrens und Lernens sowie zu den entsprechenden didaktischen Optionen und Effekten ausgewählter aufmerksamkeitslenkender bis bewusstmachender Vermittlungs- und Fördertechniken in verschiedenen Kontexten.

Der Sammelband wird von einem erwerbstheoretischen Beitrag eröffnet, der als Grundlage für die folgenden Beiträge betrachtet werden kann. Die weiteren Beiträge sind dann in drei thematische Abschnitte gebündelt, und zwar (1) Input und Aufmerksamkeitslenkung; (2) Output und Bewusstmachung sowie (3) Implikationen für die Lehrerbildung.

Zentrale Hintergrundannahmen für den gesamten Sammelband schlüsselt der erste Beitrag Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens: Lernprozesse und Steuerungsoptionen aus gebrauchsbasierter Perspektive von Karin Madlener-Charpentier und Heike Behrens auf. Er fasst grundlegende Annahmen gebrauchs- bzw. konstruktionsbasierter Ansätze von Sprache und Spracherwerb zusammen und fokussiert dabei Erwerbsprozesse, Lernmechanismen und Gelingensbedingungen sprachlichen Lernens. Der Beitrag kontrastiert insbesondere erst- und zweit- bzw. fremdsprachliche Erwerbskontexte und zeigt die spezifischen Herausforderungen des Zweit- und Fremdspracherwerbs auf. Vor diesem Hintergrund werden ausgewählte Optionen einer (gebrauchsbasierten) didaktischen Formfokussierung skizziert und erwerbstheoretisch begründet.

Der erste thematische Schwerpunkt Input und Aufmerksamkeitslenkung beinhaltet vier Beiträge. Diese umreißen erwerbstheoretische Hintergründe, Einsatz- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie Wirkeffekte vorrangig inputbasierter impliziter Formfokussierungsoptionen.

Der erste Beitrag Aufmerksamkeitslenkung durch strukturierte Inputfluten: Gelingensbedingungen impliziten und expliziten inzidentellen Zweitsprachlernens von Karin Madlener-Charpentier ruft grundlegende Annahmen in Bezug auf die Rolle des Inputs bzw. der Inputverarbeitung im Spracherwerb auf. Vor dem Hintergrund der spezifischen Erwerbsherausforderungen im L2-Kontext werden Optionen einer gebrauchsbasierten didaktischen Formfokussierung beschrieben und begründet, die auf die Optimierung der Inputquantität und der Inputqualität abzielen. Es wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen sogenannte Inputfluten erwerbsförderlich sein können und welche Rolle Wiederholung und systematische Variation von Sprachmaterial für den L2-Erwerb spielen. Auf Basis einer Reihe von Interventionsstudien werden Vorschläge skizziert, wie Inputfluten für verschiedene Kontexte, Erwerbsgegenstände und Lernerpopulationen erwerbsförderlich gestaltet werden können.

Der zweite Beitrag Inputspezifizierung und Bewusstmachung als Methoden sprachtherapeutischer Intervention von Christina Kauschke zeigt auf, inwiefern inputmaximierende Methoden (z. T. in Kombination mit expliziter Bewusstmachung) im Kontext der Sprachförderung bzw. Sprachtherapie wirksam eingesetzt werden können. Dazu wird die Rolle impliziten und expliziten Lernens bzw. Wissens in der Sprachförderung und -therapie für Kinder verschiedenen Alters kritisch diskutiert. Auf Basis zweier empirischer Studien werden Optionen und Effekte des Einsatzes sogenannter Inputanreicherungen für verschiedene Lernendengruppen aufgezeigt; es wird gezeigt, dass Kinder unterschiedlichen Alters von implizit aufmerksamkeitslenkenden Verfahren der Inputanreicherung profitieren, dass der mögliche Nutzen zusätzlicher metasprachlicher Instruktion hingegen kontextabhängig ist (nämlich nur in der Gruppe mit sprachtherapeutischen Bedarfen auftritt, nicht aber in der Gruppe mit Sprachförderbedarf) und ihre Wirksamkeit daher weiterer Untersuchungen bedarf.

Der dritte Beitrag Implizite Formfokussierung in der elementarpädagogischen Sprachförderung von Giulio Pagonis diskutiert, in Anlehnung an das Sprachförderprojekt „Deutsch für den Schulstart“1, Prinzipien einer implizit formfokussierenden Sprachdidaktik für mehrsprachige Kinder im Elementarbereich. Mit Blick auf den Erwerbsgegenstand Plural (d. h. Kennzeichnung des Plurals am Nomen) werden erwerbstheoretische und didaktische Perspektiven aufgezeigt, wie Vorschulkinder in ihrer natürlichen, unbewussten Sprachentwicklung im Deutschen als Zweitsprache gezielt und systematisch unterstützt werden können. Dabei stehen implizit aufmerksamkeitslenkende Verfahren der Inputstrukturierung sowie die Progression innerhalb der Fördereinheit „Plural“ im Mittelpunkt. Es wird skizziert, welche Arten der Inputanreicherung in welchen Phasen der Plural-Aneignung erwerbstheoretisch geeignet sind und wie sie didaktisch gewinnbringend umgesetzt werden können.

Der vierte Beitrag Skewing – ein Prinzip bei der expliziten Strukturvermittlung? von Katrin Henk erweitert die Frage nach den Effekten strukturierten Inputs im schulischen Fremdspracherwerb um die Frage nach den Effekten strukturierten Outputs. Dies vor dem Hintergrund der Annahme, dass Input (Rezeption) und Output (Produktion) im Klassenzimmer grundsätzlich gemeinsam gedacht werden müssen. Anhand einer Reihe empirischer Studien im schulischen Französischunterricht wird aufgezeigt, inwiefern ein implizit formfokussierendes Vermittlungsverfahren den Erwerb einer ausgewählten, notorisch schwierigen morphosyntaktischen Struktur unterstützt. Fokussiert wird dabei das Prinzip des Skewing (der Schiefverteilung), wonach eine kleine Zahl zentraler Vertreter eines Musters den Großteil der zur Verfügung gestellten Exemplare der Zielstruktur ausmacht (N. Ellis 2009). Dieses Prinzip wird sowohl auf den Input der Lernenden angewandt als auch auf die Prompts, auf deren Basis die Lernenden selbst Sprache produzieren. Die Studien legen nahe, dass Skewing positive Effekte auch in einem grundlegend explizit ausgerichteten Lernsetting entfalten kann.

Der zweite thematische Schwerpunkt Output und Bewusstmachung umfasst ebenfalls vier Beiträge. Diese zeigen die Bandbreite expliziter formfokussierender Verfahren, ihre Einsatzmöglichkeiten und Wirkeffekte für erwachsene Lernende auf.

Der erste Beitrag Formfokussierung und Aufmerksamkeit im kollaborativen Dialog von Nicole Schumacher, Max Möller, Ingo Fehrmann und Torsten Andreas diskutiert die zentrale Frage, inwiefern eine in interaktionalen Aufgaben angelegte Aufmerksamkeitslenkung tatsächlich zu einem potenziell erwerbsförderlichen Sprachgebrauch führt. Im Mittelpunkt stehen sprachreflektierende Sequenzen, sogenannte Language-Related Episodes (Swain & Lapkin 2001:104), in denen Lernende bei der Bearbeitung von kollaborativen Aufgaben spezifische aufgabenbezogene Formen und Bedeutungen aushandeln, sodass Sprache gleichzeitig als Kommunikationsinstrument und als Lerngegenstand fungiert. Es wird aufgezeigt, welche Aufgabentypen sich für verschiedene Kompetenzniveaus anbieten, auf welche sprachlichen Phänomene die Lernenden bei der Bearbeitung grundlegend kommunikativer Aufgaben tatsächlich ihre Aufmerksamkeit richten und welche konkreten Indikatoren für lernerseitige Aufmerksamkeit sich dabei beobachten lassen. Anhand von Ausschnitten aus Interaktionssequenzen zwischen Lernenden werden dazu vor allem Selbst- und Fremdkorrekturen sowie metasprachliche Sequenzen diskutiert und bezüglich ihres Lernpotenzials analysiert.

Der zweite Beitrag Integrierte Förderung von Grammatik und Schreibkompetenz durch gezielte Bewusstmachung von Ingo Fehrmann fokussiert den Erwerb der Verbzweitstellung und der textstrukturellen Optionen der Vorfeldbesetzung im Deutschen als Fremdsprache durch japanische Lernende. Diese wurden nach dem Ansatz der sogenannten Concept-Based Instruction (CBI; Lantolf 2011) unterrichtet. Dabei wurde, unterstützt durch systematische Visualisierungen, explizites Wissen über die Verbstellung und die Funktion des Vorfeldes vermittelt. Auf Basis der Ergebnisse von Schreibaufgaben ausgewählter Lernender werden Wirkung und Wirksamkeit der konzeptbasierten Bewusstmachung und der integrierten Schreib- und Grammatikförderung analysiert. Dabei zeigt sich, dass die Lernenden, die nach den CBI-Prinzipien unterrichtet wurden, nicht nur in Bezug auf die sprachliche Korrektheit der Satzbaumuster (Verbzweitstellung), sondern auch in Bezug auf die Angemessenheit der Textstrukturen (Vorfeldbesetzung) bessere Leistungen zeigen als Lernende in einer Vergleichsgruppe.

Der dritte Beitrag Zu den Effekten eines explizit-formfokussierenden Aussprachetrainings zum deutschen Wortakzent bei erwachsenen, frankophonen Lernenden des Deutschen als Fremdsprache von Franziska Baumeister erweitert die Bandbreite der betrachteten Lerngegenstände exemplarisch um die phonologische Ebene. Der Beitrag beschreibt die Befunde einer Unterrichtseinheit, die auf die bewusste Reflexion von Betonungsmustern im Deutschen abzielte. Berücksichtigt wurden dabei die Regelhaftigkeiten der Betonung morphologisch einfacher und ausgewählter komplexer Wortstrukturen, die für frankophone Lernende eine Herausforderung im Erwerb des Deutschen als Fremdsprache darstellen. Die Studie legt nahe, dass es zumindest bei einigen Lernenden gelingt, durch relativ kurze bewusstmachende Interventionen die Aufmerksamkeit für die deutschen Betonungsmuster zielführend zu erhöhen. Die Anschlussfrage, ob die kurzfristige Bewusstmachung über den korrektiven, bewussten Zugriffsmodus (im Sinne des Monitors) hinaus auch auf den Bereich der unbewussten Aufmerksamkeit wirksam ist und gegebenenfalls den Aufbau impliziter Sprachkompetenz begünstigt, bedarf weiterer Untersuchungen.

Der vierte und abschließende Beitrag Die Interface-Hypothese – Modelle und ihre empirische Überprüfbarkeit von Dorothee Kohl-Dietrich und Eva Maiberger bietet eine zusammenfassende, einordnende und erweiternde Reflexion der in den vorausgegangenen Beiträgen aufgerufenen Annahmen zur Rolle expliziten Wissens für den Aufbau einer impliziten Sprachkompetenz. Dazu werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei „klassischen“ Hypothesen zum sogenannten Interface zwischen (explizitem) Wissen und (implizitem) Können aufgeschlüsselt und in Bezug auf die potenzielle Rolle expliziten Wissens bzw. explizit formfokussierender, bewusstmachender Vermittlungstechniken interpretiert. Basierend auf Cintrón-Valentín und N. Ellis (2015) wird schließlich aufgezeigt, wie die Wirksamkeit formfokussierender Verfahren empirisch untersucht werden kann und inwiefern verschiedene, mehr oder weniger stark bewusstmachende Verfahren der Formfokussierung dazu beitragen können, kurzfristig die Effekte erlernter selektiver Aufmerksamkeit im Bereich der Morphologie aufzubrechen. Die weiterführende Frage, welche der in der zitierten Studie eingesetzten Verfahren auch längerfristig und außerhalb des Laborkontexts am erwerbsförderlichsten sind, bedarf weiterer Untersuchungen.

Der dritte thematische Schwerpunkt ist den Implikationen für die Lehrerbildung gewidmet. Hier sind zwei weiterführende Beiträge zusammengefasst, die verschiedene Domänen der Lehrerbildung in den Blick nehmen.

Der erste Beitrag Focus on Form in der Lehrkräftefortbildung von Daniela Rotter skizziert einerseits die (Interaktions-)Kompetenzen, die Sprach- und Fachlehrpersonen brauchen, um eine sinnvolle und kompetente Umsetzung von formfokussierenden Verfahren im Klassenzimmer zu gewährleisten, und andererseits die Herausforderungen, denen Lehrpersonen in Bezug auf die Umsetzung und Anwendung von formfokussierenden Verfahren im sprachlich heterogenen Klassenzimmer begegnen. Basierend auf Einblicken in eine Fortbildungsveranstaltung wird reflektiert, wie Lehrpersonen der Primarstufe das relevante Wissen in Bezug auf die erwerbstheoretischen Hintergründe und die Optionen der didaktischen Formfokussierung vermittelt werden kann und wie ihre Handlungskompetenzen erweitert werden können.

Der zweite Beitrag Fachsprachliche Kompetenzentwicklung bei Grundschullehramtsstudierenden – metasprachliches Wissen und Registerflexibilität von Milena Kuehnast und Beate Lütke schließlich skizziert ein aktuelles Forschungsprojekt, in dem die Entwicklung der Registerflexibilität von Lehramtsstudierenden über die Zeit des Studiums hinweg verfolgt wird. Unter Registerflexibilität wird die Fähigkeit der Lehramtsstudierenden verstanden, in Abhängigkeit von salienten Merkmalen der kommunikativen Situation (u. a. kommunikativem Ziel und sozialer Relation zum Adressaten) ein angemessenes Register für die Erklärung ausgewählter fachlicher Phänomene zu wählen. Das im Beitrag beschriebene Projekt fokussiert damit den potenziellen Zusammenhang zwischen der fachspezifischen Qualifikation der Studierenden und ihrer wachsenden Bewusstheit für die soziokulturellen Bedingungen sprachlichen Handelns, und zwar unter der Annahme, dass ein zunehmend kontrollierter Zugriff auf Fach- und Registerkenntnisse dazu eingesetzt werden kann, Kommunikationsabläufe zu optimieren.

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Konstruktion(en) erst- und zweitsprachlichen Wissens: Lernprozesse und Steuerungsoptionen aus gebrauchsbasierter Perspektive

Karin Madlener-Charpentier & Heike Behrens

Abstract: Dieser Beitrag schlüsselt aus einer gebrauchsbasierten Perspektive die grundlegenden Annahmen zum Erstspracherwerb (L1-Erwerb) auf und skizziert Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Zweitspracherwerb (L2-Erwerb). Dabei werden Annahmen zu sprachlichen Repräsentationen in Bezug gesetzt zu Lernprozessen, ihren Gelingensbedingungen und schließlich zu Steuerungsoptionen: Wie ist sprachliches Wissen abgespeichert? Wie werden im Erwerbsverlauf nach und nach die strukturellen und funktionalen Regelhaftigkeiten aus der konkreten Spracherfahrung abstrahiert? Unter welchen Bedingungen laufen diese Verarbeitungsprozesse erfolgreich ab? Wodurch unterscheiden sich typischerweise L2- und L1-Erwerbskontexte in Bezug auf Spracherfahrung und -verarbeitung? Und welche Optionen gibt es dementsprechend aus der Perspektive einer gebrauchsbasierten didaktischen Formfokussierung, um L2-Spracherfahrung bzw. L2-Erwerbsbedingungen so zu optimieren, dass L2-Lernprozesse möglichst erfolgreich ablaufen können?

0. Einleitung

The term constructionist is intended to evoke both the notion of ʻconstructionʼ and the notion that our knowledge of language is ʻconstructedʼ on the basis of the input together with general cognitive, pragmatic and processing constraints. (Goldberg 2009:93-94)

Wie kommt der Mensch zur Sprache? Und was ist überhaupt Sprache? In der Sprachwissenschaft dominierten bis in die Anfänge des 21. Jahrhunderts theoretische Ansätze, die unter Sprache in erster Linie ein abstraktes System grammatischer Regeln verstehen, durch die Wörter zu Sätzen kombiniert werden. Dieses System wird dabei in seinen Grundzügen als angeboren betrachtet. Wir betrachten Sprache und Spracherwerb aus einer anderen Perspektive, in der die titelgebenden Konstruktionen einen zentralen Platz haben und die u. a. interessante Optionen für die Vermittlung von Fremdsprachen eröffnet. Diesen Ansatz bzw. diese Familie von Ansätzen bezeichnen wir im Folgenden als konstruktions- bzw. gebrauchsbasiert.1

Konstruktionen im Sinne von Goldberg (2009) oder N. Ellis (2002) sind konventionalisierte, erlernte Form-Bedeutung-Zuordnungen. Konstruktionsbasierte Ansätze in Sprachwissenschaft (Boas 2013, Diessel 2015, Goldberg 2009, 2013) und Spracherwerbsforschung (Behrens 2009, Diessel 2013, 2019, N. Ellis 2003, Ibbotson 2013, Tomasello 2003) sind grundlegenden Annahmen der Kognitiven Linguistik (Langacker 2000) verpflichtet. Dazu gehören die folgenden (nach N. Ellis & Cadierno 2009:111–112):

(1)

Sprache ist Teil der menschlichen Kognition. Sprachverarbeitung und Spracherwerb basieren auf allgemeinen kognitiven Prozessen der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Kategorisierung und unterliegen den Beschränkungen des Arbeitsgedächtnisses.

(2)

Die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation ist die Äußerung in ihrem konkreten Kontext. Alle sprachlichen Einheiten haben eine Funktion; durch die Kopplung von Form und Funktion ist es LernerInnen möglich, das Sprachsystem auf Basis einer funktionalen Analyse der Äußerungen zu erschließen.

(3)

Das sprachliche Wissen von LernerInnen wie kompetenten SprecherInnen ist darstellbar als strukturiertes Netzwerk von Konstruktionen, d. h. konventionalisierten Form-Bedeutung-Zuordnungen unterschiedlicher Abstraktheit und Komplexität.

(4)

Sprache ist nicht angeboren, sondern wird in der Auseinandersetzung mit bzw. durch die Verarbeitung von bedeutungsvollem Input in sozialer Interaktion erworben. Dabei beeinflussen Inputcharakteristika wie Vorkommensverteilungen und die relative Salienz und semantische Transparenz von Konstruktionen den Erwerb.

Der Terminus Konstruktion ruft nach Goldberg (2009:93–94) einerseits Annahme (2) auf, dass Konstruktionen die grundlegenden Einheiten in Sprachbeschreibung, Sprachverarbeitung und Erwerb darstellen. Andererseits verweist der Terminus auf Annahme (4), dass sprachliches Wissen nach und nach in der Auseinandersetzung mit dem Input (re-)konstruiert wird.

1. Konstruktionsbasierte Grammatik

Wenn wir im Folgenden verkürzt von Grammatik sprechen, ist damit die mentale Repräsentation sprachlichen Wissens gemeint, die SprecherInnen dazu befähigt, verbal miteinander zu kommunizieren: Äußerungen zu produzieren, die von anderen verstanden werden, und die Äußerungen von anderen zu verstehen, auch wenn diese in genau derselben Form vorher noch nie aufgetreten sind (Taylor 2012:6). Dabei wird die traditionell kategoriale Unterscheidung zwischen Grammatik (im engen Sinne) und Lexikon zugunsten eines lexikogrammatischen Kontinuums zwischen ein- und mehrteiligen, mehr oder weniger stark fixierten und abstrakten bzw. transparenten und idiomatischen Konstruktionen aufgehoben (s. Abschnitt 1.1.).

Grammatik in diesem Sinne beinhaltet also lexikalisches, strukturelles, semantisches und pragmatisches Wissen. Dazu zählt u. a. Wissen um nichtwörtliche Bedeutungen (wie z. B. in jemanden auf die Palme bringen oder Geistesblitz) und um häufig wiederkehrende Sequenzen (wie z. B. Guten Tag, Lass uns gehen oder Wären Sie bitte so freundlich und würden…) sowie deren situative Kontexte, aber auch Wissen um kreative Möglichkeiten der Verwendung von sprachlichen Mustern (z. B. in Bayern zittert sich ins Halbfinale). Wissen kann dabei bewusst sein, ist aber im Normalfall für ErstsprachverwenderInnen unbewusst.

Kinder erwerben dieses Wissen für ihre Erstsprache(n) (L1) in den ersten Lebensjahren, und zwar im Normalfall ohne umfassende explizite Erklärungen und allgegenwärtige explizite Korrekturen. Dazu müssen sie aus den konkreten Äußerungen im Input zunehmend generelle Regelhaftigkeiten und Muster abstrahieren, d. h. das Repertoire der zielsprachlichen Konstruktionen rekonstruieren, so dass flexible Sprachproduktion und das Verstehen neuer, kreativer Äußerungen möglich werden (siehe Abschnitte 1.1 bis 1.5). Gebrauchsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass im Prinzip dieselben Lernprozesse auch im Zweit- und Fremdspracherwerb (L2-Erwerb) angewendet werden (Ortega 2015:368), dass es aber aufgrund des Vorwissens der LernerInnen, durch explizite Instruktion gerade in gesteuerten L2-Erwerbskontexten (Fremdsprachenunterricht) und durch unterschiedliche Erwerbssituationen vor allem im Hinblick auf die Reichhaltigkeit und Variabilität der Spracherfahrung in der L2 zu anderen Erwerbsverläufen kommen kann (siehe Abschnitt 2).

1.1. Konstruktionen als Basiseinheiten der Sprache

Constructions are stored, conventionalized pairings of form and function that are entrenched in the speech community and in the minds of individual speakers as means to express specific semantic or discourse functions. (N. Ellis 2002:167)

Konstruktionen sind Form-Bedeutung-Zuordnungen auf allen Ebenen des Sprachsystems. Sie können lexikalisch fixiert sein (Morpheme, Wörter, Mehrwortverbindungen), teilweise variabel (z. B. un-klug, un-sauber, un-ehrlich oder Ich hätte gern ein Eis/Bier/Wasser) oder ganz abstrakt, sodass im Prinzip jeder Teil der Konstruktion mit anderen Wörtern gefüllt werden kann (z. B. Ditransitiv wie X VERBt Y ein Z, oder Passiv wie X wird von Y geVERBt). Und sie können semantisch transparent sein (wie z. B. in un-schön und Öffnen Sie bitte die Tür) oder idiomatisch (wie z. B. in un-geschickt oder etwas durch die Blume sagen). Konstruktionen werden als die Grundeinheiten der Sprachbeschreibung, der Sprachverarbeitung und des Spracherwerbs angesehen, da sie – und nicht ausschließlich die (Summe der) Bedeutung der einzelnen Wörter – die Funktion einer Äußerung bestimmen.

Konstruktionsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass kompetente erwachsene SprecherInnen einzelne Exemplare, d. h. konkrete Vorkommen von Konstruktionen, neben schematischen Abstraktionen und Generalisierungen speichern und in der Sprachverarbeitung abrufen (Abbot-Smith & Tomasello 2006). Konstruktionen können also gleichzeitig auf mehreren Ebenen entschlüsselt und/oder gespeichert werden. So kann z. B. die Äußerung Ich hätte gern ein Bier als kommunikativ relevante vorgefertigte, lexikalisch fixierte Einheit genutzt werden (man denke an Urlauber, die einen solchen Satz als Formel lernen), aber auch als Vertreterin des teilweise variablen Musters Ich hätte gern ein X und/oder der abstrakten transitiven Verb-Argument-Konstruktion NP1 Verb NP2 analysiert werden. Selbst wenn also eine abstrakte Generalisierung existiert, d. h. auch wenn SprecherInnen über Wissen darüber verfügen, wie eine Äußerung auf Basis einer hochabstrakten Regelhaftigkeit (z. B. NP1 Verb NP2) gebildet werden kann, können sie ebenso auf konkrete Exemplare oder Muster zugreifen, um dieselbe Information zu verarbeiten (Behrens 2009:431, Dąbrowska 2006:12).

1.2. Konstruktionsnetzwerk, Exemplare und Abstraktionen

The grammar lists the full set of particular statements representing a speaker’s grasp of linguistic conventions, including those subsumed by general statements. Rather than thinking them an embarrassment, grammarians regard particular statements as the matrix from which general statements (rules) are extracted. (Langacker 1987:46)

Konstruktionen und Äußerungen sind auf Basis ihrer Teilkomponenten und abstrakterer Schemata mit anderen Strukturen vernetzt. Das in Netzwerken strukturierte Gesamtinventar von Konstruktionen, das sogenannte Konstruktikon, bildet das Wissen der SprecherInnen über die Konventionen ihrer Sprache ab (Diessel 2019).

Schaut man sich einen Teil dieses Konstruktikons an, sieht man, dass z. B. bestimmte (Typen von) Verben in ähnliche Konstruktionen eingehen. In Abbildung 1 (Madlener 2015:306) ist auf der oberen Abstraktionsebene eine Gruppe von Verben (Kopulaverben) abgebildet, die eine Gleichsetzung der Argumente X und Y ausdrücken (z. B. Hans ist ein Lügner, Hans bleibt ein Lügner, Hans sieht aus wie ein Lügner etc.). Äußerungen mit dieser Struktur repräsentieren ein sogenanntes Schema, eine starke Abstraktion weg vom Detail hin zu den übergeordneten Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten (Langacker 2000:4). Mit entsprechender Erfahrung lernen LernerInnen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Kopulaverben erkennen und können die Subschemata (2. Ebene) für die weitere Generalisierung nutzen, d. h. ihr strukturelles Wissen darüber, was mit der Kopula sein möglich ist, auch auf Äußerungen mit bleiben oder scheinen anwenden. Gleichzeitig sind die Bestandteile solch abstrakter Schemata auch mit anderen Konstruktionen vernetzt, wie man in Abbildung 1 am Beispiel der Form ist sieht: Semantisch gesehen tritt ist in einer Reihe von Konstruktionen auf, die Zustände beschreiben (3. Ebene). Als Zustandsprädikate treten verschiedene kleinere Konstruktionstypen auf (z. B. eine Nominalphrase wie Ärztin, ein Adjektiv wie krank, eine Präpositionalphrase wie im Garten etc.1), die wiederum Teil anderer (hier ebenfalls nicht eingezeichneter) Schemata sind (z. B. Präpositionalphrasen als Adverbiale wie in Anna arbeitet im Garten).

Abb. 1:

Verschiedene Ebenen der Abstraktion in einem Ausschnitt des Konstruktikons (Madlener 2015:306); konkrete Realisierungen (Exemplare) von Konstruktionen sind unten verortet, nach oben hin werden die Repräsentationen zunehmend abstrakt (schematisch).

Die Besonderheit konstruktionsbasierter Ansätze ist nun, dass sich LernerInnen das System von den größeren, funktional relevanten und potenziell teilweise nicht komplett analysierten Einheiten her erschließen: Man kann Sprache erfolgreich und korrekt verwenden, wenn man größere Einheiten als vorgefertigte Versatzstücke reproduziert, ohne dass man die systematischen, regelhaften Verbindungen zu anderen Konstruktionen kennen muss.

Korpusbasierte und experimentelle Studien zeigen, dass kompetente SprecherInnen im Normalfall große Anteile wiederkehrender, eingeschliffener Äußerungsteile verwenden (Wray 2002). Mit anderen Worten: In vielen Fällen produzieren SprecherInnen nicht etwa auf Basis ihres Regelwissens kreativ ganz neue Äußerungen, Strukturen und Wortkombinationen, sondern greifen auf (teilweise) vorgefertigte Teilkonstruktionen als Versatzstücke zurück. Diese werden in Routinesituationen als unanalysierte Einheiten (sogenannte Chunks, N. Ellis 2003) benutzt, auch wenn sie grundsätzlich in ihre Einzelteile zerlegbar und als Muster analysierbar wären (Sinclair 1991:110–112).

Der hohe Anteil von solchen als Ganzes gespeicherten Mehrworteinheiten im L1-Diskurs trägt zu Routine, Ökonomie und Gelingen der L1-Sprachverarbeitung und L1-Kommunikation bei (Wray 2017). Chunks lassen muttersprachliche SprecherInnen natürlich und idiomatisch klingen und sie auch lange Äußerungen flüssig produzieren (Pawley & Syder 1983). Die hohe Erwartbarkeit dieser wiederkehrenden vorgefertigten Mehrworteinheiten hat auch für die HörerInnen Vorteile: Da innerhalb eines wiedererkennbaren Chunks die Sequenz mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagbar ist, sind Anteile, die z. B. im Umgebungslärm untergegangen sind, leicht zu rekonstruieren. Ebenso sind bekannte Chunks leichter zu verarbeiten, sodass das Arbeitsgedächtnis mehr Zeit hat, neue Informationen zu verarbeiten. Mit Hilfe von Chunks oder Prefabs (Bybee 2010) ist gesprochene Sprache für L1-SprecherInnen auch unter widrigen Bedingungen weitgehend verständlich und flüssig produzierbar (Wray 2017).

Für das Erlernen von Sprache(n) impliziert dies, dass der Weg zur Sprachbeherrschung nicht vorranging oder gar ausschließlich „über die Grammatik“ geht, wie es logisch nötig wäre, wenn wir Sätze immer regelgeleitet aus den kleinsten Einheiten konstruieren würden. Für die Fremdsprachenvermittlung ist dies eine besonders wichtige Erkenntnis, da sie es erlaubt, das Erlernen von Kommunikation und Grammatik über geschickte Input-Steuerung zu verbinden. Aus gebrauchsbasierter Sicht ist es nicht zielführend für L2-LernerInnen, hochabstrakte grammatische Regeln (und ihre Ausnahmen) bewusst auswendig zu lernen, ebenso wie eine ungerichtete Inputflut LernerInnen überfordern kann. Zunehmend generalisierte Regelhaftigkeiten sollten sich im Gegenteil in einem graduellen Prozess der Musterabstraktion aus einem strukturierten, kommunikativ relevanten Inputangebot mit möglichst vielen Vorkommen der jeweiligen Zielstruktur herleiten (s. Madlener-Charpentier in diesem Band).

1.3. Konstruktion sprachlichen Wissens

[…] children do not experience constructions but only utterances; they must (re-)construct for themselves the constructions of their language from the individual utterances they experience. (Ibbotson & Tomasello 2009:60)

Der Begriff der Konstruktion hat sich nicht nur in der Sprachbeschreibung, sondern auch in der Spracherwerbsforschung als praktikabel erwiesen (Tomasello 1998, Behrens 2009). Der Konstruktionsbegriff ermöglicht

eine flexible und dynamische Darstellung sprachlichen Wissens unterschiedlicher formaler und funktionaler Abstraktheitsgrade (Lesart 1: Konstruktionen als Basiseinheiten der Sprache).

eine Beschreibung der allmählichen Entwicklungs- und Generalisierungsprozesse im Erwerbsverlauf (Lesart 2: (Re-)Konstruktion sprachlichen Wissens aus dem Input).

Sprachliches Wissen wird primär durch Spracherfahrung in bedeutungsvoller, sozial kontextualisierter kommunikativer Interaktion erworben (Behrens 2009). Das Konstruktionsinventar bzw. Kategoriensystem der Sprache wird im Erwerbsverlauf durch die LernerInnen aus dem Input rekonstruiert, und zwar mit Hilfe allgemeiner sozio-kognitiver Verarbeitungs- und Lernmechanismen (N. Ellis 2003).

Spracherwerb beruht also auf allmählicher Abstraktion struktureller und funktionaler Regelhaftigkeiten über konkrete Äußerungen im Input (Ibbotson & Tomasello 2009:60). Dabei beginnt der L1-Erwerb typischerweise mit kommunikativ funktionalen, weitgehend unanalysierten Einheiten unterschiedlicher Größe (Wray 2002). Graduell werden dann durch (vorwiegend unbewusste) Analysen der Vorkommensverteilungen im Input variablere Muster und Schemata generalisiert (N. Ellis 2002:143, Tomasello 1998).

LernerInnen müssen also drei grundlegende Herausforderungen meistern: In einem ersten Schritt1 müssen sie relevante Teile des Inputs abspeichern bzw. in Intake transformieren. Unter Intake wird der Anteil des Inputs (d. h. des Sprachangebots) verstanden, der tatsächlich verarbeitet und zumindest kurzfristig als Form-Bedeutung-Zuordnung gespeichert wird und daher in die Entwicklung der Lernergrammatik eingehen kann (Wong 2005:29). Dazu müssen wiederkehrende Form-Bedeutung-Zuordnungen identifiziert, aus dem Lautstrom segmentiert und im Langzeitgedächtnis verankert werden. Diese Form-Bedeutung-Zuordnungen werden zu Beginn potenziell als unanalysierte Versatzstücke behandelt. Mit Wiederholung im Input und imitativer Nutzung in der eigenen Produktion werden Teilkonstruktionen automatisiert und stehen zunehmend gut für einen flüssigen Abruf zur Verfügung. Häufige Sequenzen mit hoher Oberflächenähnlichkeit sind in dieser Stufe gute Kandidaten für Intake, Speicherung als Chunks und Imitation.

Durch den Vergleich wiederkehrender Ähnlichkeiten und Unterschiede in Formen und Funktion sowohl zwischen verschiedenen abgespeicherten Einheiten als auch zwischen abgespeicherten Einheiten und neu registriertem Input setzt typischerweise die Mustererkennung ein. Es entsteht so eine beginnende Ordnung oder Kategorisierung über die bis dahin unverbundenen unanalysierten Einzelexemplare und ihre Komponenten. Dies wird potenziell begünstigt durch die Wahrnehmung systematischer Ko-Variation zwischen Formen und Bedeutungen im Input. Für den L1-Erwerb ist dabei die Rolle der Bezugspersonen, die mit den Kindern immer wieder gleiche und ähnliche verbale Routinen durchspielen und sich im Sinne eines Gerüst-Bauens (engl. Scaffolding) den wachsenden Fähigkeiten anpassen, gut belegt, ebenso wie die entstehenden Sprachprobleme, wenn dieses Zusammenspiel nicht funktioniert.

Dabei muss eine Analyse der Regelhaftigkeiten bzw. kleinstmöglichen Einheiten einer Struktur nicht notwendigerweise erfolgen (Needs-Only Analysis, Wray 2002:131). Wenn eine Analyse erfolgt, dann graduell, sodass emergente Muster typischerweise als „lokale Grammatiken“ (Behrens 2009:436) zuerst um feste lexikalische Einheiten, sogenannte Inseln (Behrens 2009:432, Tomasello 1992), angelegt werden. Ein Kind muss beispielsweise anfangs noch nicht wissen, dass Eigenschaften, die auf das Verb werfen zutreffen (z. B. die Kombinierbarkeit mit einem Akkusativobjekt und einer Richtungsangabe wie in ich werfe das Buch auf den Boden), auch auf legen, schubsen, schieben, rollen etc. übertragbar sind. Die anfängliche Inselhaftigkeit von Mustern und die allmählich zunehmende Abstraktheit der sich herauskristallisierenden Schemata zeigt sich besonders im graduellen Erwerb von Verben und Verb-Argument-Konstruktionen:

Longitudinal child-language acquisition data suggest that, to begin with, each word is treated as a semantic isolate in the sense that the ability to combine it with other words is not accompanied by a parallel ability with semantically related words. […] children are picking up frequent patterns from what they hear around them, and only slowly making more abstract generalizations as the database of related utterances grows. […] in the early stages the child learns about arguments and syntactic markings on a verb-by-verb basis, and ordering patterns and morphological markers learned for one verb do not immediately generalize to other verbs. (N. Ellis 2003:70)

Schließlich muss weitergehend generalisiert werden (im obigen werfen-Fall z. B. auf ein kausatives Bewegungsschema NP1 Verb NP2 Präposition NP3). Kompetente SprecherInnen imitieren ja nicht nur mit geringfügigen Variationen, was sie gehört haben, sondern produzieren regelmäßig und mit Leichtigkeit Äußerungen, die sie vorher nie gehört haben. HörerInnen wiederum haben normalerweise keine Probleme mit dem Entschlüsseln solcher neuen Äußerungen wie z. B. Die wollte unbedingt noch mehr vertuppern (im Kontext einer Tupperware-Party) oder Der muss immer gleich alles schubladisieren (über einen unflexiblen Kollegen), sofern sie eine Erweiterung bekannter Muster sind. SprecherInnen bzw. HörerInnen müssen also auch über relativ abstrakte Schemata verfügen, die über den registrierten Input hinausgehen, um flexibel kreative lexikalische Exemplare komplexer Konstruktionen, aber auch neue komplexe Konstruktionen zu bilden und zu verstehen. Die ursprünglichen Chunks werden dabei aber nicht verworfen, sondern stehen in Routinesituationen weiterhin als Processing Shortcuts zur Verfügung (Wray 2002).

1.4. Erwerbsprozesse und Lernmechanismen

Constructivist views of language acquisition hold that simple learning mechanisms operating in and across human systems for perception, motor action and cognition while exposed to language data in a communicatively rich human social environment navigated by an organism eager to exploit the functionality of language are sufficient to drive the emergence of complex language representations. (N. Ellis 2003:63)

Konstruktionsbasierte Ansätze gehen davon aus, dass Spracherwerb auf Erfahrung basiert und dass es daher nicht notwendig ist, angeborene Grammatiken und Sprachlernfähigkeiten zu postulieren. Spracherwerb ist durch allgemeine perzeptuelle, motorische und kognitive Verarbeitungs- und Lernprozesse in Kombination mit den ausgeprägten soziokognitiven Fähigkeiten des Menschen hinreichend erklärbar (N. Ellis 2003:63). Notwendig ist lediglich ein kommunikativ bzw. sprachlich reichhaltiges, sozial kontextualisiertes Umfeld, das (die Motivation für) bedeutungsvolle Interaktion fördert und ein umfangreiches Set an Sprachdaten (d. h. Input) zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten, der Input und die Inputverarbeitung sind der Schlüssel zum Spracherwerb.

Longitudinale Studien wie z. B. Hart und Risley (1995) zeigen, dass signifikante Unterschiede in der Menge und Qualität des Inputs bestehen, welcher Kindern als Erwerbsbasis zur Verfügung steht, und dass diese Unterschiede sich langfristig signifikant auf den Erwerb auswirken. So erwerben Kinder aus bildungsnahen Haushalten, in denen deutlich mehr und in einer Weise mit den Kindern gesprochen wird, die Kinder zur sprachlichen Interaktion ermutigt, im Vorschulalter signifikant mehr Wortschatz als Kinder, die weniger, weniger ermutigenden und weniger elaborierten Input zur Verfügung haben (Hart & Risley 2003:7–8). Diese Unterschiede sind essenziell, da Wortschatzgröße nachweislich mit Grammatikentwicklung korreliert (Saxton 2010:144) und frühe Wortschatzentwicklung die rezeptiven und produktiven lexikalischen, semantischen und syntaktischen Fertigkeiten sowie Leseverstehenskompetenzen in der späteren Primarschulzeit (9–10 Jahre) vorhersagt (Hart & Risley 2003:8).

Im Folgenden werden ausgewählte (sozio-)kognitive Verarbeitungs- und Erwerbsmechanismen beschrieben, die auch für den Spracherwerb nutzbar gemacht werden.

1.4.1. Joint Attention

Gemeinsame Aufmerksamkeit (Tomasello 2008) entsteht durch gleichzeitige Ausrichtung des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus der interagierenden Personen auf dasselbe Objekt oder Ereignis. Joint Attention kann z. B. durch Blicke, Zeigegesten oder verbal (Guck mal, das Auto; Weißt du noch, als wir damals in Frankreich …) hergestellt werden und etabliert einen gemeinsamen kommunikativen Referenzpunkt. Spracherwerb basiert grundlegend auf Joint Attention im Hier und Jetzt: Lernbar sind neue sprachliche Einheiten als Form-Bedeutung-Zuordnungen, wenn klar ist, worum es geht bzw. worauf sie sich beziehen – normalerweise eben auf etwas, das im gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus steht (Behrens 2009:436).

1.4.2. Entrenchment

Durch wiederholte Erfahrung werden Gedächtnisspuren für Form-Bedeutung-Zuordnungen gestärkt. Dieser Prozess wird Entrenchment (Einschleifung) genannt (Tomasello 2003:300–301). Häufige Konstruktionen werden zunehmend stabil gespeichert und nach und nach automatisiert, sodass sie immer besser für den Abruf zur Verfügung stehen (im Sinne eines kognitiven Trampelpfades