Aufstand in der Wüste - Thomas Edward Lawrence - E-Book

Aufstand in der Wüste E-Book

Thomas Edward Lawrence

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Beschreibung

»So groß kann ein Leben also auch sein!« - Winston Churchill Dies ist die wahre Heldengeschichte eines außergewöhnlichen Mannes, T.E. Lawrence. Sein leidenschaftlicher Einsatz für seine Ideale und sein unerschrockener Mut haben ihm seinen Platz in der Geschichte gesichert: Als der legendäre Lawrence von Arabien. Er einte die arabischen Stämme und trieb sie zu einem Aufstand gegen das übermächtige Osmanische Reich. Dieses Buch in seinen eigenen Worten beschreibt die reichen Facetten einer ebenso faszinierenden wie irritierenden Persönlichkeit. Wir lesen eine fulminante und fesselnde Abenteuergeschichte, ein Historienroman vor realem Hintergrund. Man stelle sich eine Welt ohne Lawrence vor, die eine völlig andere gewesen wäre - unmöglich. Dies ist spannende, gelebte Geschichte. Mit Bildtafeln und Kartenmaterial. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 657

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Thomas Edward Lawrence

Aufstand in der Wüste

Die Geschichte des „Lawrence von Arabien“

Thomas Edward Lawrence

Aufstand in der Wüste

Die Geschichte des „Lawrence von Arabien“

(Revolt in the desert)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Dagobert von Mikusch EV: P. List, Leipzig, 1927 4. Auflage, ISBN 978-3-954181-13-1

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Zum Au­tor – Tho­mas Ed­ward La­wrence

Vor­wort – Ber­nard Shaw ur­teilt über La­wrence

Ein­lei­tung

Bild­ta­feln

1. Storrs lan­det in Djid­da

2. Ritt zu Fai­sal

3. Fai­sals Auf­ge­bot

4. Rück­schlä­ge bei Jan­bo

5. Fai­sal rückt nach Nor­den vor

6. Tak­tik und Po­li­tik

7. Auf­bruch nach Sy­ri­en

8. Die ei­gent­li­che Wüs­te

9. Fes­te bei den Stäm­men

10. No­ma­den und No­ma­den­le­ben

11. In wei­te­ren Kämp­fen bis zur Küs­te

12. Aka­ba, Suez, Al­len­by

13. Um­grup­pie­rung

14. Der Feind wird auf­ge­sta­chelt

15. Mi­nen­le­gung

16. Sieg und Plün­de­rung

17. Neue Plä­ne

18. Wie­der über die Bahn­li­nie

19. An­wer­bun­gen

20. Vor­stoß zur Brücke

21. Ein Zug wird ab­ge­fan­gen

22. Rück­kehr zur Welt

23. Kampf um Ta­fi­leh

24. Der Win­ter schließt uns ein

25. Vor­stoß ge­gen Maan

26. Oberst Daw­nays Ope­ra­tio­nen

27. Vor­be­rei­tun­gen

28. Bux­ton und das K.K.K.

29. Im Vor­trab

30. Un­ter­bre­chung der Haupt­bah­nen

31. Schar­müt­zel und Rück­zug

32. Die Kö­nig­li­che Luft­flot­te greift ein

33. Die tür­ki­schen Ar­meen zer­brö­ckeln

34. Ve­rei­ni­gung mit den Eng­län­dern

35. Ein­zug in Da­mas­kus

36. Stür­mi­sche Re­gie­rungs­bil­dung

Mein Ne­kro­log – T. E. La­wrence †

Wie die­ser Ne­kro­log ent­stand

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Auf­stand in der Wüs­te

Das Le­ben Jesu

Vom Krie­ge

Ge­schmacks­ver­ir­run­gen im Kunst­ge­wer­be

An­sich­ten der Na­tur

Über den Um­gang mit Men­schen

Die Kunst Recht zu be­hal­ten

Wal­den

Rö­mi­sche Ge­schich­te

Der Un­ter­gang des Abend­lan­des

und wei­te­re …

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Zum Autor – Thomas Edward Lawrence

Tho­mas Ed­ward La­wrence (✳ 16. Au­gust 1888 in Tre­ma­doc, Wa­les; † 19. Mai 1935 in Clouds Hill, Eng­land), be­kannt als La­wrence von Ara­bi­en, war bri­ti­scher Archäo­lo­ge, Ge­heim­agent und Schrift­stel­ler. Be­kannt wur­de La­wrence vor al­lem durch sei­ne Be­tei­li­gung an dem von den Bri­ten for­cier­ten Auf­stand der Ara­ber ge­gen das Os­ma­ni­sche Reich wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges.

La­wrence stu­dier­te Archäo­lo­gie und Ori­en­ta­lis­tik in Ox­ford. Von 1912-1914 nahm er an Aus­gra­bungs­ar­bei­ten in Ägyp­ten teil. Wäh­rend des 1. Welt­krie­ges war er beim bri­ti­schen Ge­heim­dienst in Ägyp­ten tä­tig.

Er ge­wann das Ve­trau­en des Emirs Fei­sal und or­ga­ni­sier­te eine Re­vol­te der Be­dui­nen­stäm­me und führ­te die Ara­ber ge­gen die Tür­ken.

Un­be­frie­digt von der bri­ti­schen Au­ßen­po­li­tik schied er 1922 aus dem Ko­lo­ni­al­dienst aus, ver­schenk­te sei­nen Be­sitz und trat als Sol­dat un­ter falschem Na­men in die Ar­mee ein. Er schied 1935 aus dem Mil­tär­dienst aus und ver­un­glück­te kurz dar­auf bei ei­nem Mo­tor­ra­d­un­fall.

Zu ei­nem Klas­si­ker wur­de das bild­mäch­ti­ge Wüs­te­n­epos La­wrence von Ara­bi­en von Da­vid Lean aus dem Jahr 1962 mit Pe­ter O’Too­le in der Haup­trol­le, Alec Guin­ness als Fai­sal, so­wie Anthony Quinn und Omar Sha­rif.

Vorwort – Bernard Shaw urteilt über Lawrence

Un­ter den er­staun­li­chen Er­schei­nun­gen die­ser Welt ist die er­staun­lichs­te ein In­di­vi­du­um, das bis zur letz­ten mensch­li­chen Gren­ze li­te­ra­ri­scher Ge­nia­li­tät vor­ge­drun­gen ist, oder ein jun­ger Mann, der in die Früh­zeit sei­nes Le­bens ein Aben­teu­er von epi­scher Brei­te und Wucht ge­legt hat. Die Wahr­schein­lich­keit, dass ei­ner von die­sen bei­den Fäl­len ein­tritt, scheint ge­rin­ger zu sein als eins zu ei­ner Mil­li­on. Aber mit wel­cher Zahl lie­ße sich der Sel­ten­heits­ko­ef­fi­zi­ent von je­man­dem aus­drücken, der die­se bei­den Fäl­le in sich ver­eint! Tat­säch­lich ist die­se glück­haf­te. Ver­ket­tung von un­se­rem er­staun­li­chen Zeit­al­ter her­vor­ge­bracht wor­den, in dem wir alle mit ver­hal­te­nem Atem sit­zen und Ka­ta­stro­phen er­war­ten. Es er­scheint »Oberst La­wrence« (er pflegt sich selbst in An­füh­rungs­zei­chen zu set­zen) und er ist schon als Über­brin­ger von Nach­rich­ten aus dem Tür­kisch-Ara­bi­schen Krieg sa­gen­haf­ter als je­ner Pries­ter Jo­hann, der be­kannt­lich oder nicht be­kannt­lich im Mit­tel­al­ter christ­li­cher Kö­nig von Abes­si­ni­en war. Bei nä­he­rem Hin­se­hen ent­puppt er sich un­wi­der­steh­lich als der Ver­fas­ser ei­nes der we­ni­gen großen Hel­den­bü­cher der Welt­ge­schich­te, – da­bei hat er die Ta­ten, von de­nen er er­zählt, in ei­nem Al­ter voll­bracht, in dem jun­ge Kom­pa­nie­of­fi­zie­re kaum den Mund an der Ka­si­no­ta­fel auf­ma­chen dür­fen.

Das Schick­sal ei­nes Man­nes, der sei­nen Pfeil ver­schos­sen hat, ehe er 30 wur­de, und für den es kei­ne Wel­ten mehr zu er­obern gibt, lässt sich be­we­gend mit dem Los ei­nes Ge­nies ver­glei­chen, das un­be­weint stirbt, ohne Ehren und Ruhm, und das nach ei­nem Jahr­hun­dert aus­ge­gra­ben wird und zur Uns­terb­lich­keit kommt. Nie­mand ist in der Lage, zu ent­schei­den, wel­ches Los be­nei­dens­wer­ter ist. Aber es wird ge­mil­dert, wenn der Held als zwei­te Seh­ne am Bo­gen li­te­ra­ri­sche Fä­hig­kei­ten be­sitzt; und La­wrence ist da­mit auf das reichs­te ge­seg­net. Er kann je­den Schau­platz, jede Per­sön­lich­keit, je­den Vor­gang durch sei­ne ein­fa­che Art der Be­schrei­bung mit sol­cher Le­ben­dig­keit vor uns er­ste­hen las­sen, dass wir mehr da­von er­füllt sind, als wenn wir mit ei­ge­nen Au­gen und Ohren da­bei­ge­we­sen wä­ren. Von 1000 Beo­b­ach­tern wür­den 999 die Ein­zel­hei­ten nicht be­merkt ha­ben, von de­nen sein Be­richt strotzt. Wenn er zum Bei­spiel den Auf­bruch von Fai­sals bun­ten Scha­ren so plas­tisch ge­schil­dert hat, wie er ihn selbst er­leb­te, ha­ben wir gleich­zei­tig auf das deut­lichs­te er­fah­ren und emp­fun­den, wie ein Ara­ber auf ein Ka­mel steigt, wie er sei­ne selt­sa­me Ge­wan­dung für den Ritt sich zu­recht­fal­tet, und wie er es au­ßer­dem fer­tig­bringt, sei­nen Skla­ven (falls er einen be­sitzt) mit sich zu füh­ren, wie ein Eu­ro­pä­er sei­nen Man­tel­sack mit sich führt. Was die Schil­de­rung des Land­schaft­li­chen an­langt, so hat kein zei­len­fül­len­der Ro­man­schrei­ber mit sei­nem chro­ni­schen Stoff­man­gel je­mals auch nur an­nä­hernd La­wrences sel­te­ne Fä­hig­kei­ten auf die­sem Ge­biet er­reicht. Und sol­che Be­schrei­bun­gen wir­ken nicht – wie sonst im­mer –, als wä­ren sie in den Text hin­ein­ge­flickt: son­dern sie sind so sehr in das We­sen sei­nes Bu­ches ver­wo­ben, dass wir nicht für einen Au­gen­blick das Ge­fühl für den Wüs­ten­pfad, auf dem wir da­hin­ziehn, ver­lie­ren, für die Ber­ge um uns und über uns, für die bö­sen Lau­nen des Kli­mas, für Nacht und Mor­gen, für Son­nen­un­ter­gang und Mit­tags­glut.

Ganz spon­tan emp­fin­det man auch das We­sen der Leu­te, mit de­nen uns der Au­tor be­kannt macht: man hört den Klang ih­rer Stim­me, man sieht den wech­seln­den Aus­druck ih­rer Ge­sich­ter, und all das ohne die Pla­cke­rei, mit der ein Le­ser in an­de­ren Fäl­len sich sol­che Ein­drücke er­ar­bei­ten muss. La­wrence ist von ma­gi­scher Klar­heit: was er schil­dert, ist über­zeu­gend wie die Wirk­lich­keit und ge­heim­nis­voll wie eine schö­ne Opern­vor­stel­lung. Al­les, was er be­schreibt, ist so viel­stim­mig wie eine Or­che­s­ter­par­ti­tur. Die leuch­ten­den Hö­hen von Aben­teu­er­ro­man­tik he­ben sich deut­lich von ei­nem In­fer­no ge­quäl­ter Lei­ber und be­schwer­ter See­len ab, und man ist froh, un­ter ih­nen ge­le­gent­lich ein­mal einen hunds­ge­mei­nen Schur­ken zu tref­fen, nur da­mit man über ihn la­chen kann. La­wrence be­sitzt eine Mil­ton­sche Düs­ter­keit und Grö­ße; ge­le­gent­lich wei­chen die Zwei­fel sei­nes Ge­müts und die Un­rast sei­nes Her­zens ei­nem fast teuf­li­schen Hu­mor und ei­ner pro­vo­zie­ren­den Toll­kühn­heit.

Aus dem »Spec­ta­tor«.

Einleitung

Le­ben und Ta­ten des Obers­ten La­wrence

Als das bri­ti­sche Wel­treich ge­schaf­fen oder bes­ser aus zu­fäl­li­gen, der Gunst des ge­schicht­li­chen Au­gen­blicks zu dan­ken­den Erobe­run­gen ent­stan­den war, fehl­te zu­letzt noch ein wich­ti­ges Ver­bin­dungs­glied, das die in sämt­li­chen Erd­tei­len ver­streu­ten Stücke zu­sam­menschloss. Zwar be­saß oder be­herrsch­te man den durch Suez­ka­nal und Ro­tes Meer füh­ren­den See­weg nach In­di­en und den fer­nasia­ti­schen Be­sit­zun­gen, doch war es eben nur die eine, durch ein­zel­ne Stütz­punk­te ge­si­cher­te Was­ser­stra­ße, und zwei­tens blieb sie ge­ra­de an ih­rer emp­find­lichs­ten Stel­le stän­dig be­droht, so­lan­ge die Ge­bie­te nörd­lich des schma­len, von Kanal und Ro­tem Meer ge­bil­de­ten Durch­las­ses in frem­den Hän­den wa­ren. Die­se fast ganz von Ara­bern be­wohn­ten Län­der: Pa­läs­ti­na, Sy­ri­en, Me­so­po­ta­mi­en und die ara­bi­sche Halb­in­sel, ge­hör­ten seit vie­len Jahr­hun­der­ten zum Os­ma­ni­schen Reich, ei­nem über­al­ter­ten und in der be­ste­hen­den Form kaum mehr le­bens­fä­hi­gen Ge­bil­de. Die bri­ti­sche Re­gie­rung hat von je­her die in der Po­li­tik so wich­ti­ge Kunst des Ab­war­tens ver­stan­den. Sie sah dem lang­sa­men Abster­ben des »kran­ken Man­nes am Bos­po­rus« ru­hig zu und sorg­te nur da­für, dass ihr selbst kei­ne Zu­kunfts­mög­lich­kei­ten ab­ge­dros­selt wür­den. So ließ Eng­land die un­ter deut­scher Lei­tung in Bau be­grif­fe­ne Bag­dad­bahn, die vom Bos­po­rus zum Per­si­schen Golf füh­ren soll­te, ge­wis­ser­ma­ßen in ei­ner Sack­gas­se en­di­gen und nahm das letz­te und wich­tigs­te Stück von Bag­dad bis Bas­ra un­ter ei­ge­ne Kon­trol­le. Denn der si­che­re Be­sitz des Per­si­schen Golfs mit dem Aus­gang zum In­di­schen Ozean war eine der Voraus­set­zun­gen für die weit aus­grei­fen­den Plä­ne Groß­bri­tan­ni­ens.

Mit der jung­tür­ki­schen Re­vo­lu­ti­on und ih­ren Fol­gen – wei­te­re be­deu­ten­de Ge­biets­ver­lus­te und die Bal­kan­krie­ge von 1912 und 1913 – trat eine aku­te Kri­se ein. Die über­stürz­ten Ver­su­che, sich durch Re­for­men in zwölf­ter Stun­de den Da­seins­be­din­gun­gen der Zeit an­zu­pas­sen, führ­ten nur zu ei­ner wei­te­ren Lo­cke­rung der an sich schon längst brü­chi­gen, das wei­te Reich kaum mehr zu­sam­men­hal­ten­den Klam­mern. So­bald die Jung­tür­ken die von Eu­ro­pa über­nom­me­ne Na­tio­na­li­dee für das ei­ge­ne Volk in An­spruch nah­men und als Kampf­ruf auf ihre Fah­ne schrie­ben, wur­de der glei­che Ge­dan­ke auch von den nicht­tür­ki­schen Völ­ker­schaf­ten des Reichs auf­ge­grif­fen und auch von ih­nen zur For­de­rung er­ho­ben. Das galt be­son­ders von den Ara­bern, die als ein al­tes Kul­tur­volk mit großer Ver­gan­gen­heit die wenn auch nur läs­si­ge Ober­herr­schaft der aus Asi­en ein­ge­wan­der­ten Tür­ken stets un­wil­lig er­tra­gen hat­ten. Die neu­en, von Kon­stan­ti­no­pel aus­ge­hen­den Tür­ki­sie­rungs­be­stre­bun­gen weck­ten nun aber erst recht das Ras­sen­be­wusst­sein der Ara­ber. In den ara­bi­schen Län­dern – fast die Hälf­te des Os­ma­ni­schen Reichs – be­gann es zu gä­ren. Vie­ler­orts, na­ment­lich un­ter der städ­ti­schen Be­völ­ke­rung, bil­de­ten sich Ge­heim­bün­de mit dem Ziel der Wie­der­ge­win­nung der ara­bi­schen Un­ab­hän­gig­keit.

Eng­land be­sitzt ein sehr fein ent­wi­ckel­tes Ge­hör für un­ter­ir­di­sche Vor­gän­ge, und so nahm es auch sehr bald das lei­se Grol­len un­ter den ara­bi­schen Volks­tei­len des Tür­ki­schen Reichs wahr. An­zei­chen deu­te­ten dar­auf hin, dass in ab­seh­ba­rer Zeit viel­leicht die Stun­de na­hen könn­te, um lang ge­heg­te Wün­sche zu ver­wirk­li­chen. In Voraus­sicht des­sen wur­de im Jah­re 1913 auf Ver­an­las­sung Lord Kit­che­ners, des da­ma­li­gen Ober­be­fehls­ha­bers in Ägyp­ten, eine Ex­pe­di­ti­on nach der Si­nai­halb­in­sel und dem süd­li­chen Pa­läs­ti­na ent­sandt, die of­fi­zi­ell ar­chäo­lo­gi­sche For­schun­gen vor­neh­men soll­te und un­ter die­ser wis­sen­schaft­li­chen Tar­nung auch die Ge­neh­mi­gung der tür­ki­schen Be­hör­den er­hielt. In Wahr­heit aber hat­te sie den ge­hei­men Auf­trag, ein viel­leicht zu­künf­ti­ges Auf­marsch­ge­biet auf sei­ne Mög­lich­kei­ten für Trup­pen­be­we­gun­gen zu er­kun­den und die un­zu­läng­li­chen Kar­ten da­nach zu ver­bes­sern und zu ver­voll­stän­di­gen. Zu die­ser Ex­pe­di­ti­on ge­hör­te auch ein jun­ger, eben fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­ger Ge­lehr­ter, Archäo­lo­ge sei­nes Zei­chens, der dank sei­ner Kennt­nis der ara­bi­schen Spra­che und sei­ner Er­fah­rung im Um­gang mit der Be­völ­ke­rung wert­vol­le Diens­te leis­te­te. Sein Name war Tho­mas Ed­ward La­wrence. Nun ist es eine Ei­gen­tüm­lich­keit des bri­ti­schen Wel­treichs, dass es, zum min­des­ten in sei­nen wich­tigs­ten Tei­len, von Au­ßen­sei­tern, Aben­teu­rern könn­te man sa­gen, von Pri­vat­men­schen auf ei­ge­ne Verant­wor­tung und oft auch ei­ge­ne Kos­ten zu­sam­men­ge­bracht wor­den ist. Es be­gann mit den eli­sa­be­tha­ni­schen Frei­beu­tern, setz­te sich fort über einen Dra­ke, Ra­leigh, Cli­ve1 bis zu Ce­cil Rho­des, dem Be­grün­der Süd­afri­kas, und schließ­lich T. E. La­wrence, des­sen Name un­trenn­bar mit dem Ein­bau des Schluss­stücks je­nes rie­si­gen Ge­bäu­des ver­knüpft ist.

Wie die meis­ten die­ser Weg­be­rei­ter des Em­pi­re fiel auch La­wrence nach Art und We­sen aus dem ge­wohn­ten Rah­men her­aus, war ein Ein­zel­gän­ger, stand au­ßer­halb al­ler Norm und Re­gel, zeig­te Ab­son­der­lich­kei­ten und Ex­zen­tri­zi­tä­ten, wo­für üb­ri­gens sei­ne durch­schnitt­lich sehr kor­rek­ten Lands­leu­te im­mer viel Ver­ständ­nis ha­ben. So zum Bei­spiel leg­te er auf sei­ne äu­ße­re Er­schei­nung gar kei­nen Wert, wie das auch von Ce­cil Rho­des be­rich­tet wird, und er­schi­en oft in ge­ra­de­zu »va­ga­bun­den­haf­tem« Auf­zug. Mit Ce­cil Rho­des hat­te er auch das ge­mein­sam, dass in bei­der Le­ben das weib­li­che Ele­ment nie auch nur die ge­rings­te Rol­le ge­spielt hat.

Schon La­wrences Aus­se­hen war un­ge­wöhn­lich. Er hat­te eine klei­ne zier­li­che Ge­stalt – »wie eine kir­kas­si­sche Tän­ze­rin«, hat ihn ei­ner cha­rak­te­ri­siert. Auch sein Ge­sicht hat­te, we­nigs­tens in der Mit­tel­par­tie, mit den graublau­en, meist et­was ver­schlei­er­ten Au­gen et­was Mäd­chen­haf­tes. Dar­über aber er­hob sich eine hoch­ge­wölb­te, sehr männ­li­che Stirn, und ihr Ge­gen­part bil­de­te die lang­ge­zo­ge­ne, stark aus­ge­präg­te, ecki­ge und har­te Kinn­par­tie. Die­ses Äu­ße­re spie­gel­te die bei­den Haupt­sei­ten sei­nes We­sens. Denn er war ein küh­ler Tat­mensch von nie er­lah­men­der Zä­hig­keit und Wil­lens­kraft und zu­gleich ein fan­ta­sie­vol­ler Träu­mer oder bes­ser Vi­sio­när – eine Po­la­ri­tät, wie man sie ge­mein­hin bei den als nüch­tern und prak­tisch gel­ten­den Eng­län­dern nicht so sel­ten fin­det, und die oft ge­ra­de ih­ren schöp­fe­ri­schen Staats­män­nern ei­gen war. Über­blickt man das Wer­den des bri­ti­schen Wel­treichs, so könn­te man fast sa­gen, das Fan­tas­ti­sche wur­de Er­eig­nis.

Was La­wrence ge­wor­den ist, hat er nur sich selbst zu ver­dan­ken. Er ent­stamm­te ei­ner ver­arm­ten Fa­mi­lie, die nach lan­gem Auf­ent­halt in Ir­land nicht mehr recht im eng­li­schen Hei­mat­bo­den Wur­zel fas­sen konn­te. Die El­tern zo­gen un­s­tet von Ort zu Ort, bald dies­seits, bald jen­seits des Kanals, bis dann nach dem Tode des nie recht eine Be­schäf­ti­gung fin­den­den Va­ters die Mut­ter sich in Ox­ford nie­der­ließ, wo sie ihre fünf Söh­ne schlecht und recht durch­brach­te. Die Mit­tel zum Schul­be­such und erst recht zum Uni­ver­si­täts­stu­di­um er­hielt der jun­ge La­wrence durch Sti­pen­di­en, die zu er­wer­ben sei­ner großen Be­ga­bung nicht über­mä­ßig schwer fiel. Im üb­ri­gen such­te er sein ei­ge­ner Herr zu blei­ben, hielt sich ab­seits des an eng­li­schen Schu­len so stark aus­ge­präg­ten Ge­mein­schafts­le­bens und über­ließ sich, ein Veräch­ter je­der Re­gel und Ord­nung, un­be­küm­mert den bei­den star­ken An­trie­ben sei­ner Na­tur. Sie stan­den in in­ne­rem Zu­sam­men­hang. Es war ein Schwei­fen in die Fer­ne, kör­per­lich wie geis­tig. Tags­über war er meist un­ter­wegs, al­lein im­mer auf wei­ten Fahr­ten zu Rade durch das Land, er­wei­tert in den Fe­ri­en zu ein­sa­men Wan­de­run­gen durch frem­de Län­der. Spä­ter trat das Mo­tor­rad an die Stel­le, was sei­ner Lust an Be­we­gung noch mehr ent­ge­gen­kam, und was ihm schließ­lich auch zum Ver­häng­nis wur­de.

Nachts durch­streif­te er eben­so ru­he­los das wei­te Reich des Geis­tes. Er las und las, auf ei­ner De­cke oder Ma­trat­ze lie­gend, um gleich an Ort und Stel­le zwi­schen­durch schla­fen zu kön­nen. Meist hat­te er gleich­zei­tig sechs Bän­de aus der Ox­for­der Biblio­thek ent­lie­hen, die er nach we­ni­gen Ta­gen um­tausch­te. Bü­cher und Mo­tor­rad wa­ren die ein­zi­gen Be­sitz­tü­mer, auf die er Wert leg­te. Für Geld und Gel­des­wert hat­te er kaum Sinn, dar­an fehl­te es ihm auch im­mer.

Bei al­ler Will­kür und Ab­son­der­lich­keit sei­ner Le­bens­füh­rung, über die sei­ne eng­li­schen Bio­gra­fen nicht ge­nug er­zäh­len kön­nen, darf man in­des­sen nicht über­se­hen, dass die For­mung sei­nes We­sens doch der gül­ti­gen Norm ent­sprach. Vor al­lem eig­ne­te er sich eine gründ­li­che hu­ma­nis­tisch-klas­si­sche Bil­dung an, die jen­seits des Kanals noch heu­te als un­er­läss­lich an­ge­se­hen wird für den Be­griff des wah­ren »gent­le­man« oder, viel­leicht et­was en­ger, aber ge­nau­er aus­ge­drückt, für den, der der füh­ren­den Schicht des Vol­kes an­ge­hö­ren oder zu ihr auf­stei­gen will. Die­se Füh­rer­schu­le ist vor al­lem Ox­ford; und sei­ner sehr aus­ge­spro­che­nen Prä­gung konn­te und woll­te sich auch La­wrence nicht ent­zie­hen, der sei­ne ge­sam­ten Lehr- und Bil­dungs­jah­re dort ver­brach­te. Im Grun­de war und blieb er durch und durch Eng­län­der. (Für den Au­ßen­ste­hen­den ist das leich­ter er­kenn­bar.) Er be­herrsch­te zum Bei­spiel die grie­chi­sche Spra­che so si­cher, dass er noch in spä­te­ren Jah­ren, wo an­de­re ihre Schul­kennt­nis­se längst ver­ges­sen ha­ben, in Mu­ße­stun­den eine Ho­mer­über­set­zung an­fer­tig­te und her­aus­gab.

Sehr merk­wür­dig nun, wie der jun­ge Wis­sen­schaft­ler auf eine ihm un­be­wuss­te, gleich­sam ma­gi­sche Wei­se von der selt­sa­men, ein­zig noch be­ste­hen­den Lücke im Bau des bri­ti­schen Wel­trei­ches an­ge­zo­gen wur­de, wo noch Auf­ga­ben wink­ten, die sei­ner un­ge­wöhn­li­chen Na­tur ent­spra­chen. We­sen und Werk fan­den, wie vom Schick­sal be­stimmt, zu­ein­an­der. Sei­ne Nei­gung war von Ju­gend an die Archäo­lo­gie. Wie ein Wie­sel war er über­all hin­ter Scher­ben von rö­mi­schen und mit­tel­al­ter­li­chen Ton­ge­fäßen her, sam­mel­te un­er­müd­lich Ab­bil­dun­gen von al­ten Kir­chen und Grab­plat­ten und wur­de zu ei­nem Meis­ter im Dach­klet­tern, um von ir­gend­ei­nem Turm oder Gie­bel aus neue ar­chi­tek­to­ni­sche Seh­win­kel für fo­to­gra­fi­sche Auf­nah­men zu ge­win­nen.

All­mäh­lich spe­zia­li­sier­te er sich auf mit­tel­al­ter­li­che Bur­gen und Be­fes­ti­gungs­wer­ke. Er er­forsch­te sie auf ei­ner Fe­ri­en­wan­der­schaft durch Frank­reich. Die Bur­gen führ­ten ihn zur Be­schäf­ti­gung mit der Kriegs­bau­kunst; die­se wie­der­um er­for­der­ten zu ih­rem Ver­ständ­nis die Er­for­schung der da­mit ver­knüpf­ten Be­la­ge­rungs­ope­ra­tio­nen, fer­ner­hin das Stu­di­um der Feld­zü­ge und der Stra­te­gie über­haupt. Der an­ge­hen­de Ge­lehr­te er­warb also auf die­sem Um­we­ge Kennt­nis­se, die ihn auf eine spä­te­re, ganz au­ßer­halb sei­nes Fa­ches lie­gen­de, vor­wie­gend mi­li­tä­ri­sche Auf­ga­be vor­be­rei­te­ten.

Aber wei­ter. Da er sich mit dem Mit­tel­al­ter be­fass­te, wur­de er ganz von selbst auf die Kreuz­zü­ge ge­führt. Da­mit war ei­gent­lich schon das Stich­wort ge­fal­len, der End­punkt der merk­wür­di­gen Spi­ra­le er­reicht. Denn die großen Kämp­fe zwi­schen Abend- und Mor­gen­land hat­ten sich zu­meist ge­ra­de in je­nen ara­bi­schen Ge­bie­ten ab­ge­spielt, die dem bri­ti­schen Reich des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts zu sei­nem si­che­ren Zu­sam­menschluss noch fehl­ten.

La­wrence wähl­te für sei­ne Dis­ser­ta­ti­on das The­ma: »Der Ein­fluss der Kreuz­zü­ge auf die mit­tel­al­ter­li­che Kriegs­bau­kunst Eu­ro­pas«. Vor der Aus­ar­bei­tung be­schloss er, auch noch die Sch­lös­ser der Kreuz­fah­rer in Sy­ri­en auf­zu­su­chen, und be­trat so auf ei­ner Fe­ri­en­rei­se zum ers­ten Male das Land, das ihn so­bald nicht wie­der los­las­sen soll­te.

Nach sei­ner Art durch­streif­te er ganz al­lein und zu Fuß mit we­nig Geld und noch we­ni­ger Ge­päck vier Mo­na­te lang in der hei­ßes­ten Jah­res­zeit kreuz und quer die Län­der zwi­schen Jor­dan und Eu­phrat. Der Ox­for­der Stu­dent ent­sag­te al­len ge­wohn­ten Vor­zü­gen eu­ro­päi­scher Zi­vi­li­sa­ti­on. Er wan­der­te von Dorf zu Dorf, aß mit den Be­woh­nern aus der ge­mein­sa­men Schüs­sel, wo­bei die Fin­ger Mes­ser und Ga­bel er­set­zen muss­ten, und über­nach­te­te in ih­ren ärm­li­chen Be­hau­sun­gen. Was das heißt, kann nur der er­mes­sen, der je in den von Schmutz und Un­ge­zie­fer star­ren­den Lehm­hüt­ten der Be­dui­nen ver­ge­bens Schlaf zu fin­den such­te. Aber bei die­ser Art des Rei­sens er­lern­te er rasch die Spra­che der Ara­ber, drang in ihre Denk- und Le­bens­wei­se ein und er­warb sich Übung in dem oft recht schwie­ri­gen Um­gang mit ih­nen – wie­der­um die bes­te Vor­be­rei­tung auf die Auf­ga­be, die, ihm noch un­be­kannt, sei­ner war­te­te.

Nach­dem er auf der Uni­ver­si­tät sei­nen Grad er­wor­ben hat­te, kehr­te er sehr bald wie­der nach dem Ori­ent zu­rück. Zu­sam­men mit an­de­ren lei­te­te er die von ei­ner bri­ti­schen wis­sen­schaft­li­chen Ge­sell­schaft un­ter­nom­me­nen Aus­gra­bun­gen ei­ner al­ten Het­ti­ter­stadt in Djera­b­lus am obe­ren Eu­phrat, und zwar – selt­sa­mes Spiel des Zu­falls – just an ei­ner Stel­le, in de­ren un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft deut­sche In­ge­nieu­re die große Brücke über den Eu­phrat bau­ten im Zug der Eng­land so miss­lie­bi­gen und auch nie vollen­de­ten Bag­dad­bahn.

Dort in Djera­b­lus blieb er vier Jah­re, bis er 1913 zu der ge­tarn­ten Er­kun­dungs­ex­pe­di­ti­on nach dem Si­nai, wie oben er­wähnt, ab­be­ru­fen wur­de und so zum ers­ten Mal in ge­hei­mem Auf­trag in den Dienst sei­nes Va­ter­lan­des trat.

In­zwi­schen spitz­ten sich die na­tio­na­len Ge­gen­sät­ze zwi­schen Tür­ken und Ara­bern im­mer mehr zu. Be­reits im Fe­bru­ar 1913 er­schi­en Emir Ab­dul­lah, ei­ner der Söh­ne Huss­eins, Groß­sche­rifs von Mek­ka und Va­salls des Sul­tans, bei Lord Kit­che­ner in Kai­ro und teil­te ihm un­ter dem Sie­gel der Ver­schwie­gen­heit mit, dass sein Va­ter den küh­nen Wunsch hege, die tür­ki­sche Ober­herr­schaft ab­zu­schüt­teln und für den Hed­schas mit den Hei­li­gen Städ­ten Mek­ka und Me­di­na die Un­ab­hän­gig­keit zu er­kämp­fen. Der Ab­ge­sand­te fand, wie sich den­ken lässt, einen sehr ver­ständ­nis­vol­len Zu­hö­rer.

Wäh­rend des Welt­krie­ges wur­den die vor sei­nem Aus­bruch an­ge­knüpf­ten Fä­den wei­ter­ge­spon­nen. Nach lan­gem Hin und Her und schwie­ri­gen Ver­hand­lun­gen ge­lang es Eng­land An­fang des Jah­res 1916, den miss­traui­schen Hus­s­ein aus sei­ner vor­sich­ti­gen Re­ser­ve her­aus­zu­lo­cken. Ge­gen das Ver­spre­chen, Herr­scher ei­nes un­ab­hän­gi­gen ara­bi­schen Reichs zu wer­den, soll­te Groß­sche­rif Hus­s­ein die Fah­ne des Auf­stands ge­gen den tür­ki­schen Ober­herrn ent­rol­len. Die bri­ti­sche Zu­sa­ge ent­hielt nichts über Grö­ße und Gren­zen des zu­künf­ti­gen Ara­ber­staa­tes, auch wa­ren ei­ni­ge un­be­stimm­te Vor­be­hal­te ein­ge­floch­ten.

Es ist nicht an­zu­neh­men, dass der ver­schla­ge­ne und in al­len Win­kel­zü­gen der Di­plo­ma­tie er­fah­re­ne Hus­s­ein sich über die Dop­pel­sin­nig­keit und Ver­zwickt­heit der Pak­tab­ma­chun­gen ge­täuscht ha­ben soll­te, da er ver­schie­de­ne Ein­wen­dun­gen er­hob. Aber ein län­ge­res Zö­gern hät­te die gan­ze Er­he­bung über­haupt in Fra­ge stel­len kön­nen. Dem Tür­ken war das ge­hei­me Spiel zwi­schen Mek­ka und Kai­ro na­tür­lich nicht ver­bor­gen ge­blie­ben. Dsche­mal Pa­scha, der all­mäch­ti­ge Ober­be­fehls­ha­ber von Sy­ri­en und Pa­läs­ti­na, schlug mit star­ker Hand zu. Er ließ eine gan­ze An­zahl Ver­däch­ti­ger aus den ers­ten ara­bi­schen Fa­mi­li­en ohne viel Fe­der­le­sens auf­hän­gen, vie­le an­de­re wur­den in ent­fern­te Reichs­tei­le ver­bannt. Fai­sal, ei­ner der Söh­ne Huss­eins, von dem in die­sem Buch viel die Rede ist, weil­te da­mals als wi­der­wil­li­ger Gast im Haupt­quar­tier Dsche­mals. Er wur­de ge­nö­tigt, der Hin­rich­tung sei­ner ara­bi­schen Ge­sin­nungs­ge­nos­sen zu­zu­se­hen. Die­se Ab­schre­ckungs­maß­nah­men un­ter­drück­ten die ge­plan­te Er­he­bung in Sy­ri­en und ver­hin­der­ten spä­ter auch die tä­ti­ge Mit­wir­kung der dor­ti­gen Be­völ­ke­rung bei dem ara­bi­schen Vor­marsch.

Gleich­zei­tig wur­de von der tür­ki­schen Hee­res­lei­tung eine star­ke Trup­pen­macht ent­sandt, um Mek­ka und Me­di­na zu be­set­zen. Da­mit sah Groß­sche­rif Hus­s­ein nicht nur sei­ne ei­ge­ne Herr­schaft, son­dern auch sei­ne schö­nen Zu­kunfts­träu­me ge­fähr­det. Es blieb ihm nichts üb­rig, als rasch zu han­deln, ohne mit Eng­land ganz ins kla­re ge­kom­men zu sein.

So brach denn der Auf­stand vor­zei­tig und schlecht vor­be­rei­tet im Juni 1916 aus. Nach ei­ni­gen ers­ten Über­ra­schungs­er­fol­gen kam der Rück­schlag. Die aus Be­dui­nen­stäm­men has­tig zu­sam­men­ge­raff­te Ar­mee Huss­eins glich mehr »ei­ner Hor­de wild ge­wor­de­ner Der­wi­sche«, wie sich ein Eng­län­der nicht un­zu­tref­fend aus­drück­te; ge­gen die ge­schul­ten tür­ki­schen Trup­pen ver­moch­ten sie we­nig aus­zu­rich­ten. Der Sturm der ers­ten Be­geis­te­rung flau­te merk­lich ab. Der gan­ze Auf­stand droh­te zu­sam­men­zu­bre­chen, wenn ihm nicht von au­ßen fri­sches Le­ben zu­ge­führt wur­de. Dar­über wa­ren sich Lon­don und Kai­ro nicht ei­nig. Die bri­ti­sche Re­gie­rung, die über­haupt den Vor­gän­gen im fer­nen Ara­bi­en nur ge­rin­ge und je­den­falls kei­ne ent­schei­den­de Be­deu­tung bei­maß, war ge­neigt, das an­schei­nend we­nig aus­sichts­rei­che und zu­dem sehr kost­spie­li­ge Un­ter­neh­men ganz fal­len zu las­sen. Das Haupt­quar­tier in Kai­ro sah da­ge­gen in der ara­bi­schen Er­he­bung sein ur­ei­gens­tes Werk und woll­te das Be­gon­ne­ne, wenn ir­gend mög­lich, auch zu Ende füh­ren.

La­wrence, der Leut­nants­rang er­hal­ten hat­te, war bis da­hin beim Nach­rich­ten­dienst in Kai­ro be­schäf­tigt, wo sei­ne ara­bi­schen Kennt­nis­se und Er­fah­run­gen am bes­ten ver­wen­det wer­den konn­ten. Im Früh­jahr 1916 spiel­te er, wie ei­ner sei­ner Bio­gra­fen be­rich­tet,2 aus wei­ter Fer­ne eine ge­heim­nis­vol­le Rol­le bei der »Erobe­rung« von Er­se­rum durch die rus­si­sche Kau­ka­sus­ar­mee – nach ei­ner auf­fal­lend schwa­chen Ver­tei­di­gung durch die Tür­ken. Er­mu­tigt durch die­sen Er­folg, wur­de La­wrence kurz dar­auf in ge­hei­mer Mis­si­on nach Me­so­po­ta­mi­en ent­sandt, wo der bri­ti­sche Ge­ne­ral Town­send mit sei­ner Trup­pe bei Kut el Ama­ra ret­tungs­los ein­ge­schlos­sen war. La­wrence hat­te den Auf­trag, den tür­ki­schen Ober­be­fehls­ha­ber Ha­lil Pa­scha zu be­stim­men, ge­gen die groß­zü­gi­ge Ab­fin­dung von ei­ner Mil­li­on Pfund Ster­ling den eng­li­schen Trup­pen frei­en Ab­zug aus Kut el Ama­ra zu ge­wäh­ren. Aber dies­mal miss­glück­te der Ver­such mit den sil­ber­nen Ku­geln.

La­wrence ge­hör­te zu den we­ni­gen be­geis­ter­ten An­hän­gern des ara­bi­schen Auf­stands. Als nun die Lage kri­tisch wur­de, ent­sand­te man Sir R. Storrs, Se­kre­tär der Bri­ti­schen Re­si­dent­schaft in Kai­ro, nach dem Hed­schas, um fest­zu­stel­len, wel­che Aus­sich­ten noch für die Er­he­bung be­stän­den und wie man ihr den Rücken stär­ken könn­te. La­wrence be­nutz­te einen Ur­laub, um sich ihm an­zu­schlie­ßen. Mit­te Ok­to­ber 1916 lan­de­ten sie in Dschid­da, der Ha­fen­stadt Mek­kas. An die­ser Stel­le setzt die Er­zäh­lung ein, der wir hier nicht vor­grei­fen wol­len. Sie schließt mit dem sieg­rei­chen Ein­zug in Da­mas­kus zwei Jah­re spä­ter.

Es bleibt noch üb­rig, einen kur­z­en Blick auf die fer­ne­ren Er­eig­nis­se zu wer­fen.

La­wrence, mit drei­ßig Jah­ren Oberst ge­wor­den, blieb nur we­ni­ge Tage in Da­mas­kus. Nach dem fei­er­li­chen Ein­zug Fai­sals nahm er Ur­laub und reis­te nach Lon­don. Nun an Stel­le des Waf­fen­gangs die Po­li­tik ge­tre­ten war, fühl­te er sich als Christ und Fremd­ling fehl am Plat­ze. Mehr noch schmerz­te ihn die Scham, sei­nen Freun­den un­er­füll­ba­re Ver­spre­chun­gen ge­macht oder – wie er selbst sagt – »die höchs­ten Idea­le und die Frei­heits­lie­be der Ara­ber als blo­ße Werk­zeu­ge im Diens­te Eng­lands aus­ge­beu­tet zu ha­ben«. Nach sei­ner Rück­kehr in die Hei­mat sand­te er die ihm für sei­ne Ver­diens­te um den ara­bi­schen Auf­stand ge­wor­de­nen Aus­zeich­nun­gen an sei­nen Kö­nig und des­sen Ver­bün­de­te zu­rück.

Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen un­ter den ver­bün­de­ten Mäch­ten über die Sie­ges­beu­te im Ori­ent zo­gen sich über Jah­re da­hin. In das wir­re Ge­strüpp der Ver­hand­lun­gen, der kreuz und quer lau­fen­den In­ter­es­sen und An­sprü­che, der fort­wäh­rend wech­seln­den Er­eig­nis­se, der ge­hei­men wie of­fe­nen Kämp­fe ein­zu­drin­gen, er­scheint an die­ser Stel­le nicht not­wen­dig. Die Dar­le­gung wür­de ein Buch für sich er­for­dern. Es ge­nügt, auf­zu­zei­gen, was schließ­lich aus den ara­bi­schen Län­dern ge­wor­den ist.

Fai­sal wur­de zu­erst Kö­nig von Sy­ri­en. Als aber auf der Kon­fe­renz von San Remo 1920 Frank­reich das Man­dat über ganz Sy­ri­en zu­ge­spro­chen wur­de, muss­te Fai­sal das Land ver­las­sen. Doch er­hielt er von Groß­bri­tan­ni­en ein an­de­res Kö­nig­reich in Ge­stalt des neu­ge­schaf­fe­nen Irak, im Ge­biet von Me­so­po­ta­mi­en. Ein an­de­rer Sohn des Groß­sche­rifs Hus­s­ein, Emir Ab­dul­lah, er­hielt die Herr­schaft über das eben­falls neu er­rich­te­te Trans­jor­da­ni­en, das sich im Wes­ten an Irak an­schloss. Das mit der Si­nai­halb­in­sel un­mit­tel­bar an Ägyp­ten an­gren­zen­de Pa­läs­ti­na nahm Eng­land als ihm zu­er­teil­tes Man­dat un­ter ei­ge­ne Ver­wal­tung. So hat­te sich Groß­bri­tan­ni­en die ge­wünsch­te Land­brücke von Ägyp­ten nach dem Per­si­schen Golf ge­schaf­fen. Da­bei konn­te es den Teil­kö­nig­rei­chen in der un­ter sei­nem Ein­fluss ste­hen­den Zone ein sehr wei­tes Maß von Selbst­stän­dig­keit zu­bil­li­gen.

Auch der alte Hus­s­ein sah sei­nen Traum, wenn auch längst nicht in dem er­hoff­ten Um­fang, ver­wirk­licht. Er er­hielt den Hed­schas als selbst­stän­di­ges Kö­nig­reich. Doch wur­de sein ru­he­lo­ser Ehr­geiz – hat­te er sich doch so­gar die frei­ge­wor­de­ne Ka­li­fen­wür­de zu­ge­legt – Eng­land bald un­be­quem. Als dann Ibn Saud, der sich zum Herr­scher von ganz Mit­tela­ra­bi­en ge­macht hat­te, noch wei­ter vor­drang und sei­ne Wah­ha­bi­ten­krie­ger den Hed­schas über­rann­ten, ließ Eng­land Kö­nig Hus­s­ein fal­len und er­kann­te die Erobe­rung Ibn Sauds an, nach­dem es vor­her noch den stra­te­gisch wich­ti­gen Ha­fen Aka­ba mit sei­nem Hin­ter­land vom Hed­schas ab­ge­trennt und Trans­jor­da­ni­en zu­ge­wie­sen hat­te. Kö­nig Hus­s­ein starb we­ni­ge Jah­re da­nach im Exil.

La­wrence nahm an der Re­ge­lung der ara­bi­schen An­ge­le­gen­hei­ten tä­ti­gen An­teil. Zu­erst wäh­rend der Pa­ri­ser Frie­dens­kon­fe­renz mit we­nig Glück als Für­spre­cher Kö­nig Fai­sals, spä­ter dann mit mehr Er­folg in amt­li­cher Ei­gen­schaft als Be­ra­ter des da­ma­li­gen bri­ti­schen Ko­lo­nial­mi­nis­ters Win­ston Churchill. Man geht wohl nicht fehl in der An­nah­me, dass die end­gül­ti­ge Ge­stal­tung Ara­biens zum gu­ten Teil sei­nem Ein­fluss zu­zu­schrei­ben ist. Je­den­falls fühl­te er sei­ne Ehre wie­der­her­ge­stellt und sah die Ver­spre­chun­gen, mit de­nen er die Ara­ber in den Auf­stand ge­trie­ben hat­te, im Rah­men des Er­füll­ba­ren ein­ge­löst. Mehr war nicht zu er­rei­chen ge­we­sen. Er hat­te den Ara­bern die Mög­lich­keit ver­schafft, sich selbst un­ter ei­ge­ner Verant­wor­tung zu re­gie­ren und da­mit den Weg des Auf­stiegs zu be­tre­ten.

Von da ab ver­liert sich sein Le­ben in ein mys­ti­sches Halb­dun­kel. Es hat den An­schein, als wäre er stän­dig auf der Flucht vor der Öf­fent­lich­keit, wäh­rend ge­ra­de durch sei­ne Ab­son­der­lich­kei­ten die Welt im­mer wie­der auf ihn auf­merk­sam wird. Selt­sa­me Gerüch­te lau­fen um, und wo in ir­gend­ei­ner Ecke der Erde ein Brand ent­steht, glaubt man die Hand des »ge­heim­nis­vol­len Obers­ten« im Spiel. Was dar­an rich­tig, was falsch ist, kann vor­läu­fig nicht er­mit­telt wer­den; das ruht in den Ge­hei­mak­ten bri­ti­scher Archi­ve.

Tat­sa­che bleibt, dass der ehe­ma­li­ge Oberst im Jah­re 1923 un­ter dem an­ge­nom­me­nen Na­men »Ross« als ein­fa­cher Sol­dat in das eng­li­sche Heer ein­tritt, un­ter Ver­pflich­tung zu elf­jäh­ri­gem Dienst. Was ihn dazu ver­an­lasst hat, weiß im Grun­de nie­mand, so­viel Deu­tun­gen auch ge­ge­ben wur­den. An­fangs ist er bei ei­ner Flie­ger­trup­pe. Aber ein frü­he­rer Ka­me­rad er­kennt ihn und ver­kauft die Sen­sa­ti­ons­nach­richt ge­gen ein an­sehn­li­ches Ho­no­rar an die Ta­ge­spres­se. Da­durch wird ge­wal­ti­ger Staub auf­ge­wir­belt, und das Luft­fahrt­mi­nis­te­ri­um sieht sich ver­an­lasst, La­wrence, ali­as Ross, aus der kö­nig­li­chen Luft­flot­te aus­zu­schlie­ßen. Jede Er­wäh­nung sei­nes Na­mens wird ver­bo­ten. Sehr merk­wür­dig, muss man sa­gen.

Un­ter dem neu­en Na­men »Shaw« taucht er nun bei ei­nem Tank­korps un­ter. Nach zwei Jah­ren wird er in die Flie­ger­trup­pe zu­rück­ver­setzt, dann nach In­di­en und hält sich dort an der äu­ßers­ten Nord­west­gren­ze just in dem Au­gen­blick auf, als im be­nach­bar­ten Af­gha­nis­tan die Re­vo­lu­ti­on aus­bricht. Wie­de­r­um wird durch eine In­dis­kre­ti­on be­kannt, dass der Flie­ger Shaw kein an­de­rer als der be­rühm­te Oberst La­wrence ist, und wie­der sieht sich die bri­ti­sche Re­gie­rung ge­nö­tigt, ein­zu­grei­fen und ihn of­fi­zi­ell nach Eng­land zu­rück­zu­schi­cken. Die eng­li­sche Pres­se mel­de­te, dass T. E. La­wrence nach sei­ner Rück­kehr bei ei­nem Flug­zeu­g­un­glück am 7. Fe­bru­ar 1931 töd­lich ver­un­glückt und in Catt­wa­ter mit mi­li­tä­ri­schen Ehren be­gra­ben wor­den wäre.

Er soll wie­der aus der Ar­mee ent­fernt wer­den, aber darf blei­ben, wenn er sich be­stimm­ten Be­din­gun­gen un­ter­wirft. Die­se lau­ten: Strik­te Be­schrän­kung auf die All­tags­pflich­ten ei­nes ge­wöhn­li­chen Flug­zeug­wär­ters; kei­ner­lei Flü­ge; kei­ne Aus­lands­rei­sen, auch nicht nach Ir­land; we­der Be­su­che bei ir­gend­wel­chen po­li­ti­schen Per­sön­lich­kei­ten, noch Ge­sprä­che mit sol­chen.

Wäh­rend des Res­tes sei­ner Dienst­zeit be­schäf­tigt er sich mit Kon­struk­ti­on von Mo­tor­boot­ty­pen, die Was­ser­flug­zeu­gen in der Nähe der Küs­te rasch Hil­fe brin­gen sol­len, und mit ei­ner Pro­sa­über­set­zung der Odys­see, die in die­ser Zeit er­scheint.

Im Früh­jahr 1934 ist er wie­der Pri­vat­mann und zieht in ein klei­nes Land­haus in Wes­sex mit sei­nen Bü­chern und sei­nem Mo­tor­rad. Ein Jahr dar­auf, im Mai 1935, ver­un­glückt er bei ei­ner Mo­tor­rad­fahrt, als er ei­nem Rad­fah­rer aus­wei­chen will, und zieht sich einen schwe­ren Schä­del­bruch zu.

Wäh­rend sei­nes Kran­ken­la­gers wer­den täg­lich Bulle­tins über sei­nen Zu­stand aus­ge­ge­ben. Der Kö­nig schickt sei­nen Leib­arzt. Das La­za­rett, in dem er liegt, wie auch sein Land­haus wer­den von be­son­ders aus­ge­wähl­ten Mi­li­tär­pos­ten be­wacht: nie­man­dem wird der Zu­tritt ge­stat­tet.

Nach acht Ta­gen ist La­wrence sei­nen Ver­let­zun­gen im Al­ter von 46 Jah­ren er­le­gen. Ganz Eng­land ehr­te den To­ten. Mi­nis­ter Churchill sag­te über ihn: »Ich hat­te die Ehre, sein Freund zu sein; ich kann­te ihn gut und hoff­te es noch zu er­le­ben, dass er eine füh­ren­de Rol­le in den Ge­fah­ren über­neh­men wer­de, die Eng­land jetzt be­dro­hen. Seit vie­len Jah­ren hat das Bri­ti­sche Reich kein so schwe­rer Schlag ge­trof­fen wie sein vor­zei­ti­ger Tod. Er war ein Mann, wie man ihn un­ter fünf­zig Mil­lio­nen nicht wie­der fin­det.«

Im Juli 1935

Da­go­bert von Mi­kusch

Ro­bert Cli­ve, 1725 – 1774, auch »Cli­ve of In­dia«, der Ero­be­rer Ben­ga­lens, war ein bri­ti­scher Ge­ne­ral und Staats­mann. Er war der Be­grün­der der bri­ti­schen Macht in In­di­en.  <<<

Lid­dell Hart, »La­wrence in Ara­bia and af­ter«. Deut­sche Aus­ga­be, Ber­lin 1935.  <<<

Bildtafeln

1. Storrs landet in Djidda

Als wir end­lich im Au­ßen­ha­fen von Djid­da vor An­ker gin­gen, an­ge­sichts der wei­ßen Stadt, die schwe­bend hing zwi­schen dem flam­men­den Him­mel und sei­ner Spie­ge­lung, die leuch­tend über die wei­te La­gu­ne hin wall­te, da kam Ara­biens Glut gleich ei­nem ge­zück­ten Schwert über uns und mach­te uns stumm. Es war ein Ok­to­ber­mit­tag des Jah­res 1916, und die stei­le Son­ne hat­te, wie Mond­licht, alle Far­ben aus­ge­löscht. Man sah nur Licht und Schat­ten, wei­ße Häu­ser und schwar­ze Stra­ßen­schlün­de; da­vor der fahl schim­mern­de Dunst über dem In­nen­ha­fen; da­hin­ter brei­te­te sich in blen­den­dem Glanz ein mei­len­wei­tes Meer von Sand und ver­lor sich ge­gen den Saum ei­ner nied­ri­gen Hü­gel­ket­te, die nur eben wie hin­ge­haucht lag in dem fer­nen Ge­f­lim­mer der Hit­ze.

Hart nörd­lich von Djid­da lag eine zwei­te Grup­pe schwarz­wei­ßer Ge­bäu­de, die in der Spie­ge­lung wie Kol­ben auf und ab tanz­ten, wäh­rend das Schiff vor An­ker roll­te und ein­zel­ne Wind­stö­ße Glut­wel­len durch die Luft tru­gen.

Oberst Wil­son, der bri­ti­sche Ge­schäfts­trä­ger beim jun­gen ara­bi­schen Staat, hat­te uns sei­ne Bar­kas­se ent­ge­gen­ge­schickt; und erst als wir den Fuß an Land setz­ten, über­zeug­ten wir uns von der Wirk­lich­keit die­ser schwe­ben­den Fata Mor­ga­na. Un­ser Weg zum Kon­su­lat führ­te uns an dem wei­ßen Mau­er­werk der noch un­fer­ti­gen Ha­fen­mo­le vor­bei und durch die enge, sti­cki­ge Gas­se der Le­bens­mit­tel­händ­ler. Al­ler­or­ten, vom Dat­tel­ver­käu­fer bis zu den Fleisch­bän­ken, schwirr­ten Scha­ren von Flie­gen gleich Stäub­chen in den schma­len Son­nen­strei­fen, die durch die Rit­zen und Lö­cher der höl­zer­nen und sack­lei­ne­nen Schutz­dä­cher bis in die dun­kels­ten Win­kel der Bu­den sta­chen. Die Luft war wie ein hei­ßes Bad.

Wir er­reich­ten das Kon­su­lat; und da­selbst, in ei­nem schat­ti­gen Raum, ein of­fe­nes Git­ter­fens­ter im Rücken, saß Wil­son, in hoff­nungs­vol­ler Er­war­tung der fri­schen Bri­se von der See, die in den letz­ten Ta­gen aus­ge­blie­ben war. Er er­zähl­te uns, dass Sche­rif Ab­dul­la, der zwei­te Sohn Huss­eins, Groß­sche­rifs von Mek­ka, so­eben in der Stadt ein­ge­zo­gen sei. Ro­nald Storrs und ich wa­ren von Kai­ro aus das Rote Meer her­un­ter­ge­fah­ren, um uns mit Ab­dul­la zu un­ter­re­den. Die­ses gleich­zei­ti­ge Ein­tref­fen war also eine glück­ver­hei­ßen­de Fü­gung; denn Mek­ka, die Haupt­stadt des Sche­ri­fats, ist für Chris­ten un­zu­gäng­lich, und Ge­schäf­te, wie die Storr­s’, konn­ten füg­lich nicht durchs Te­le­fon er­le­digt wer­den. Mei­ne An­we­sen­heit se­gel­te un­ter der Flag­ge ei­ner Ver­gnü­gungs­rei­se; Storrs aber, Ori­en­ta­list und Se­kre­tär bei der Re­si­dent­schaft in Kai­ro, war der Ver­trau­ens­mann Sir Hen­ry Mc Ma­hons bei all den hei­klen Ver­hand­lun­gen mit dem Sche­rif von Mek­ka. Die glück­li­che Ve­rei­ni­gung sei­ner Lan­des­kennt­nis mit der Er­fah­rung und dem Scharf­sinn Sir Hen­rys und dem ge­win­nen­den We­sen Clay­tons hat­ten einen so star­ken Ein­druck auf den Sche­rif ge­macht, dass die­se un­ge­mein schwie­ri­ge Per­sön­lich­keit in den be­ding­ten Ab­ma­chun­gen eine aus­rei­chen­de Si­che­rung sah, um den Auf­stand ge­gen die Tür­kei zu be­gin­nen, und dass er auch spä­ter­hin Eng­land die Treue hielt wäh­rend ei­nes an Wech­sel­fäl­len und ge­fähr­li­chen Kri­sen über­rei­chen Krie­ges.

Ab­dul­la er­schi­en bei uns in fei­er­li­chem Auf­zug, auf ei­ner Schim­mel­stu­te rei­tend, mit ei­nem Ge­fol­ge reich­be­waff­ne­ter Skla­ven zu Fuß und be­glei­tet vom ehr­fürch­tig schweig­sa­men Gruß der Be­völ­ke­rung. Er war noch ganz er­füllt von sei­nem jüngs­ten Er­folg bei Taif und in glück­lichs­ter Stim­mung. Ich selbst sah ihn zum ers­ten Mal, Storrs hin­ge­gen war ein al­ter Freund von ihm und stand mit ihm auf bes­tem Fuß. Mein ers­ter Ein­druck von ihm, wäh­rend sie mit­ein­an­der spra­chen, war der ei­ner be­stän­di­gen Ver­gnügt­heit. Der Schalk saß ihm in den Au­gen­win­keln, und trotz sei­ner fünf­und­drei­ßig Jah­re hat­te er auch schon Fett an­ge­setzt, ver­mut­lich von all­zu vie­lem La­chen. Er scherz­te mit al­len An­we­sen­den auf die lie­bens­wür­digs­te Art. Als sich dann die Un­ter­hal­tung erns­ten Ge­gen­stän­den zu­wand­te, schi­en al­ler­dings die Mas­ke des Froh­sinns zu ver­schwin­den, wie er denn auch sei­ne Wor­te mit Sorg­falt wähl­te und sei­ne Grün­de scharf­sin­nig dar­zu­le­gen wuss­te. Frei­lich hat­te er es auch mit ei­nem Mann wie Storrs zu tun, der in der Dis­kus­si­on hohe An­for­de­run­gen an sei­nen Ge­gen­part stell­te.

Ich hielt mich be­ob­ach­tend im Hin­ter­grund und such­te mir ein Ur­teil über ihn zu bil­den. Der Auf­stand des Sche­rifs hat­te in den letz­ten Mo­na­ten nur ge­rin­ge Fort­schrit­te ge­macht (war so­gar zum Still­stand ge­kom­men: der An­fang vom Ende bei je­dem Klein­krieg) und mei­ner Mei­nung nach lag das an ei­nem Man­gel an Füh­rung; denn nicht Ver­stand, Ur­teil, po­li­ti­sche Ein­sicht, son­dern nur die Flam­me der Be­geis­te­rung ver­moch­ten die Wüs­te in Brand zu set­zen. Mein Be­such galt haupt­säch­lich dem Zweck, den über­ra­gen­den Füh­rer­geist für die Sa­che aus­fin­dig zu ma­chen und sei­ne Eig­nung dar­auf­hin zu prü­fen, ob er den Auf­stand bis zu dem mir vor­schwe­ben­den Ziel vor­wärts zu tra­gen im­stan­de wäre. Im Lau­fe des Ge­sprächs kam ich mehr und mehr zu der Über­zeu­gung, dass der aus­ge­gli­che­ne, küh­le und nüch­ter­ne Ab­dul­la nicht der Pro­phet war, den ich such­te: vor al­lem nicht der Pro­phet mit dem Schwert, der al­lein – wenn die Ge­schich­te wahr spricht – Er­he­bun­gen zu Er­folg zu füh­ren ver­mag. Sein Wert moch­te viel­leicht spä­ter nach glück­li­chem Voll­brin­gen zur Gel­tung kom­men.

Storrs zog mich in die Ver­hand­lung, in­dem er Ab­dul­la nach sei­ner An­sicht über den ge­gen­wär­ti­gen Stand des Feld­zugs frag­te. Die­ser wur­de so­fort ernst und sag­te, er wünsch­te die Eng­län­der von der drin­gen­den Not­wen­dig­keit ih­rer so­for­ti­gen und per­sön­li­chen Mit­wir­kung bei der Sa­che zu über­zeu­gen, was er fol­gen­der­ma­ßen be­grün­de­te:

Durch un­ser Ver­säum­nis, die He­d­jas­bahn zu un­ter­bre­chen, sei­en die Tür­ken in der Lage, fort­ge­setzt Trup­pen und Ma­te­ri­al zur Ver­stär­kung nach Me­di­na zu sen­den.

Fai­sal sei von der Stadt ver­trie­ben wor­den; und der Feind sei be­reits da­bei, eine flie­gen­de Ko­lon­ne al­ler Waf­fen­gat­tun­gen auf­zu­stel­len, um mit ihr ge­gen Ra­be­gh vor­zu­rück­en.

Die Ara­ber in den Ber­gen längs des We­ges nach Ra­be­gh sei­en in­fol­ge un­se­rer Säum­nis zu schwach an Ar­til­le­rie, Ma­schi­nen­ge­weh­ren und sons­ti­gem Ma­te­ri­al, um den Vor­marsch ernst­lich auf­hal­ten zu kön­nen.

Hus­s­ein Ma­bei­rig, der Scheikh der Ra­be­gh-Harb, habe sich auf sei­ten der Tür­ken ge­stellt. So­bald die Ko­lon­ne von Me­di­na vor­rücke, wür­den sich die Harb an­schlie­ßen.

Da­nach also blie­be sei­nem Va­ter nichts an­de­res üb­rig, als sich an die Spit­ze sei­nes Vol­kes von Mek­ka zu stel­len und an­ge­sichts der Hei­li­gen Stadt im Kampf zu ster­ben.

In die­sem Au­gen­blick läu­te­te das Te­le­fon: Der Groß­sche­rif wünsch­te Ab­dul­la zu spre­chen. Er wur­de vom Stand un­se­rer Un­ter­re­dung un­ter­rich­tet und be­stä­tig­te so­gleich, dass er äu­ßers­ten­falls so han­deln wür­de. Die Tür­ken wür­den nur über sei­ne Lei­che in Mek­ka ein­drin­gen. Das Te­le­fon klin­gel­te ab; Ab­dul­la wand­te sich ein we­nig lä­chelnd zu uns und frag­te, ob zur Ver­hü­tung sol­chen Un­heils eine eng­li­sche Bri­ga­de, wenn mög­lich aus mo­ham­me­da­ni­schen Trup­pen be­ste­hend, in Suez trans­port­be­reit ge­hal­ten wer­den kön­ne, um, wenn die Tür­ken von Me­di­na vor­rück­ten, nach Ra­be­gh ge­wor­fen zu wer­den. Was wir über die­sen Vor­schlag däch­ten?

Ich ant­wor­te­te, dass ich sei­ne Mei­nung der ägyp­ti­schen Re­gie­rung un­ter­brei­ten wür­de, dass aber Eng­land nur sehr un­gern Trup­pen der ent­schei­den­den Ver­tei­di­gung Ägyp­tens ent­zie­hen wür­de (ob­gleich er nicht glau­ben dür­fe, dass der Kanal ir­gend­wie ernst­lich durch die Tür­ken be­droht sei), und dass Eng­land noch we­ni­ger ge­neigt wäre, etwa Chris­ten zur Ver­tei­di­gung der Hei­li­gen Stadt zu Hil­fe zu schi­cken, da ge­wis­se mo­ham­me­da­ni­sche Krei­se in In­di­en, die an dem un­ver­jähr­ba­ren Recht des Tür­ki­schen Rei­ches auf die Hara­mein fest­hiel­ten, un­se­re Be­weg­grün­de und un­ser Han­deln falsch aus­le­gen wür­den. Ich glaub­te aber, dass ich sei­ne Vor­schlä­ge viel­leicht wirk­sa­mer un­ter­stüt­zen könn­te, wenn ich über die Ra­be­gh-Fra­ge auf Grund per­sön­li­cher Ein­sicht in die dor­ti­gen Ver­hält­nis­se und Stim­mun­gen zu be­rich­ten in der Lage wäre. Auch wür­de ich Fai­sal gern se­hen, um mich mit ihm über al­les Not­wen­di­ge zu be­spre­chen, na­ment­lich über die Mög­lich­keit ei­ner län­ge­ren Ver­tei­di­gung durch die Stäm­me sei­nes Ber­g­lan­des, wenn wir sie mit Ma­te­ri­al un­ter­stütz­ten. Mein Wunsch sei, von Ra­be­gh die Sul­ta­ni­s­tra­ße ge­gen Me­di­na hin­auf­zu­rei­ten bis zum La­ger Fai­sals.

Storrs leg­te sich ins Mit­tel und un­ter­stütz­te mich nach Kräf­ten, in­dem er dar­auf hin­wies, wie au­ßer­or­dent­lich wich­tig es für das Bri­ti­sche Ober­kom­man­do in Ägyp­ten sei, durch einen ge­üb­ten Beo­b­ach­ter ein­ge­hend und recht­zei­tig über die Lage un­ter­rich­tet zu wer­den. Ab­dul­la ging ans Te­le­fon und ver­such­te die Ein­wil­li­gung sei­nes Va­ters für mei­ne Be­rei­sung des Lan­des zu er­hal­ten. Der Sche­rif nahm den Vor­schlag mit ent­schie­de­nem Miss­trau­en auf. Ab­dul­la setz­te die Grün­de aus­ein­an­der, wies auf die Vor­tei­le hin und übergab dann Storrs das Hör­rohr, der sei­ne gan­ze di­plo­ma­ti­sche Kunst bei dem Al­ten spie­len ließ. Storrs in vol­lem Schwung zu­zu­hö­ren, war ein Ge­nuss, al­lein schon der ara­bi­schen Spra­che we­gen, aber auch eine wirk­sa­me Lek­ti­on für je­den Eng­län­der, wie man mit arg­wöh­ni­schen und wi­der­spens­ti­gen Ori­en­ta­len um­zu­ge­hen hat. Es war schlecht­hin un­mög­lich, ihm län­ger als ei­ni­ge Mi­nu­ten zu wi­der­ste­hen, und auch in die­sem Fal­le er­reich­te er sei­nen Zweck. Der Sche­rif ver­lang­te wie­der nach Ab­dul­la und er­mäch­tig­te ihn, an Ali zu schrei­ben und ihm an­heim­zu­stel­len, mir die Er­laub­nis zum Be­such Fai­sals zu ge­ben, falls er es für an­ge­mes­sen hiel­te und nichts Be­son­de­res da­ge­gen vor­lä­ge. Ab­dul­la ver­än­der­te un­ter Storr­s’ Ein­fluss die­sen be­ding­ten Be­scheid in eine kla­re schrift­li­che An­wei­sung an Ali, mich so schnell wie mög­lich mit gu­ten Reit­tie­ren zu ver­se­hen und un­ter vol­ler Si­cher­heit zum La­ger Fai­sals zu brin­gen. Da das al­les war, was ich, und ein gut Teil von dem, was Storrs be­gehr­te, be­ga­ben wir uns zu Tisch.

Die Stadt Djid­da hat­te uns schon auf dem Weg zum Kon­su­lat gut ge­fal­len. Nach dem Mit­ta­ges­sen, als es ein we­nig küh­ler war oder we­nigs­tens die Son­ne nicht mehr so hoch stand, mach­ten wir uns da­her auf den Weg, um ge­führt von Young, dem Se­kre­tär Wil­sons, ei­nem Mann, der sich in den Din­gen von einst bes­ser aus­kann­te als in den Din­gen von heu­te, die Se­hens­wür­dig­kei­ten zu be­sich­ti­gen.

Djid­da war in der Tat eine merk­wür­di­ge Stadt. Die Stra­ßen wa­ren schma­le Gas­sen, im Ba­sar­vier­tel holz­über­deckt, und da, wo sie of­fen wa­ren, blick­te der Him­mel nur durch einen schma­len Spalt zwi­schen den ho­hen Firs­ten der weiß­ge­tünch­ten Häu­ser. Die­se, aus Koral­len­kalk­stein ge­baut, wa­ren vier bis fünf Stock­werk hoch, durch vier­e­cki­ge Bal­ken ver­steift und mit wei­ten Bo­gen­fens­tern ver­se­hen, die durch graue, vom Bo­den bis zum Dach lau­fen­de Holz­tä­fe­lun­gen ver­bun­den wa­ren. Die Fens­ter in Djid­da hat­ten kei­ne Schei­ben, da­für aber eine Fül­le schö­nen Git­ter­werks, und ei­ni­ge der Um­rah­mun­gen zeig­ten sehr fei­ne Fla­chor­na­men­tik. Die schwe­ren, zweiflü­ge­li­gen Tü­ren aus Teak­holz wa­ren reich ge­schnitzt, oft mit vier­e­cki­gen Guck­lö­chern ver­se­hen und mit An­geln und Ring­klop­fern von kunst­vol­ler Schmie­de­ar­beit. Man sah auch viel Stuck­plas­tik, und an äl­te­ren Häu­sern reich­ge­schnit­te­ne Stein­knäu­fe und Pfos­ten an den zum In­nen­hof ge­hen­den Fens­tern.

Die gan­ze Bau­wei­se er­in­ner­te an den zier­li­chen Fach­werk­stil aus dem Eli­sa­be­tha­ni­schen Zeit­al­ter, na­ment­lich in der über­la­de­nen Ma­nier von Ches­hi­re, je­doch auf eine ka­pri­zi­ös spie­le­ri­sche Art bis zur äu­ßers­ten Spit­ze ge­trie­ben. Die Fron­ten der Häu­ser wa­ren fi­li­gran­ar­tig durch­bro­chen und ge­tüncht, so­dass sie aus­sa­hen wie aus Pap­pe ge­schnit­ten für ir­gend­ei­ne ro­man­ti­sche Büh­nen­de­ko­ra­ti­on. Je­des Stock­werk über­rag­te das an­de­re, kein Fens­ter saß ge­ra­de, und oft­mals stan­den selbst die Wän­de schief. Djid­da war fast wie eine tote Stadt, so laut­los und still. Die wink­li­gen Gas­sen wa­ren mit feuch­tem, mit der Zeit fest­ge­tre­te­nem Sand be­deckt, so­dass man ge­räusch­los wie über einen Tep­pich schritt. Alle die Git­ter und Ni­schen fin­gen je­des lau­te Wort ab. Es gab we­der Wa­gen – dazu wa­ren die Stra­ßen zu schmal – noch Huf­ge­klap­per, noch lär­men­des Trei­ben. Al­les war ge­dämpft, ge­drückt und fast wie ver­stoh­len. Die Hau­stü­ren schlos­sen sich laut­los, wenn wir vor­über­gin­gen. Man hör­te kein Kin­der­ge­schrei, kein Hun­de­ge­bell; und nur in dem noch halb schla­fen­den Ba­sar sa­hen wir ei­ni­ge Fuß­gän­ger. Die we­ni­gen, die wir tra­fen, ma­ge­re Ge­stal­ten mit haar­lo­sen, nar­bi­gen, wie von Krank­heit ver­wüs­te­ten Ge­sich­tern und zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen, glit­ten rasch und scheu an uns vor­bei, ohne uns an­zu­bli­cken. In ih­ren dürf­ti­gen wei­ßen Klei­dern, mit den Käpp­chen auf den ge­scho­re­nen Schä­deln, ro­ten baum­wol­le­nen Über­wür­fen und blo­ßen Fü­ßen sa­hen sie ei­ner wie der an­de­re aus, fast wie uni­for­miert.

Die Luft war töd­lich be­klem­mend, wie leb­los: nicht glü­hend heiß, son­dern voll ei­nes ge­wis­sen Mo­der­duf­tes, ei­nes Hauchs von Al­ter und Er­schöp­fung, wie wir ihn noch in kei­ner an­de­ren Stadt ge­spürt hat­ten: kei­ne Or­gie von Gerü­chen wie in Smyr­na, Nea­pel oder Mar­seil­le, son­dern ein Muff von Ver­braucht­sein, von Aus­düns­tung vie­ler Men­schen, von stän­di­gem, heißem Ba­de­dunst und Schweiß. Man hät­te mei­nen kön­nen, Djid­da wäre seit Jah­ren von kei­nem fri­schen Wind­zug durch­lüf­tet wor­den, und die Stra­ßen be­wahr­ten jahraus jahrein, seit die Häu­ser stan­den und so­lan­ge sie ste­hen wür­den, im­mer die glei­che Luft. Im Ba­sar gab es auch nichts Ge­schei­tes zu kau­fen.

Am Abend läu­te­te das Te­le­fon; der Sche­rif wünsch­te Storrs zu spre­chen und frag­te ihn, ob wir Lust hät­ten, sei­ne Mu­sik­ka­pel­le zu hö­ren. Storrs frag­te er­staunt, was das für eine Ka­pel­le wäre, und be­glück­wünsch­te Sei­ne Hei­lig­keit zu die­ser ent­schie­den kul­tur­för­dern­den Er­wer­bung. Der Sche­rif er­zähl­te, dass beim Haupt­quar­tier des tür­ki­schen He­d­jas-Kom­man­dos ein Trom­pe­ter­korps ge­we­sen war, das je­den Abend vor dem Ge­ne­ral­gou­ver­neur ge­spielt hat­te; und als der Ge­ne­ral­gou­ver­neur durch Ab­dul­la bei Taif ge­fan­gen­ge­nom­men wur­de, ge­riet mit ihm auch sei­ne Ka­pel­le in Ge­fan­gen­schaft. Die Kriegs­ge­fan­ge­nen wur­den zur In­ter­nie­rung nach Ägyp­ten ge­schickt, mit Aus­nah­me der Ka­pel­le, die in Mek­ka zu­rück­be­hal­ten wur­de, um die Sie­ger mit ih­ren Wei­sen zu er­freu­en. Sche­rif Hus­s­ein leg­te das Hör­rohr auf den Tisch in sei­ner Empfangs­hal­le, und wir, ei­ner nach dem an­de­ren fei­er­lich zum Ap­pa­rat ge­ru­fen, hör­ten die Mu­sik in dem fünf­und­vier­zig Mei­len ent­fern­ten Palast von Mek­ka. Storrs gab un­ser al­ler ho­her Be­frie­di­gung Aus­druck, und der Sche­rif, sei­ne Huld über­bie­tend, er­klär­te, dass die Ka­pel­le in Eil­mär­schen nach Djid­da ge­sandt wer­den soll­te, um bei uns im Hof zu spie­len. »Und«, füg­te er hin­zu, »ihr macht mir dann das Ver­gnü­gen, mich von dort aus an­zu­läu­ten, da­mit ich eu­ren Ge­nuss tei­len kann.«

Am nächs­ten Tag be­such­te Storrs Ab­dul­la in sei­nem Zelt au­ßer­halb der Stadt beim Grab der Eva. Sie be­sich­tig­ten zu­sam­men das La­za­rett, die Ba­ra­cken, die städ­ti­schen Be­hör­den und er­freu­ten sich an der Gast­freund­schaft des Bür­ger­meis­ters und des Gou­ver­neurs. Zwi­schen­durch sprach man von Geld, vom Ti­tel des Sche­rifs, sei­nen Be­zie­hun­gen zu den üb­ri­gen Fürs­ten Ara­biens und von der all­ge­mei­nen Kriegs­la­ge: un­ver­bind­li­che Ge­mein­plät­ze, wie sie zwi­schen Ge­sand­ten zwei­er Re­gie­run­gen üb­lich sind. Mich lang­weil­te das, und ich hielt mich meist fern; denn es stand bei mir fest, dass Ab­dul­la nicht der Füh­rer war, den wir brauch­ten.

Als in­ter­essan­ter er­wies sich die Ge­sell­schaft von Sche­rif Scha­kir, Ab­dul­las Vet­ter und bes­tem Freund. Scha­kir, ein Gran­de von Taif, war von Kind­heit an Spiel­ka­me­rad der Söh­ne des Groß­sche­rifs ge­we­sen; und noch jetzt be­trieb er al­les – im Pri­vat- wie im Staats­le­ben – gleich­sam als Spiel im Gro­ßen, mit al­len Mit­teln sei­nes Reich­tums, sei­nes Mu­tes und Selbst­ver­trau­ens. Nie zu­vor war ich ei­nem Men­schen von so jä­her Ge­müts­art be­geg­net: in ei­nem Au­gen­blick um­sprin­gend von fros­ti­ger Wür­de zu ei­nem Wir­bel­wind von Aus­ge­las­sen­heit – stür­misch, lei­den­schaft­lich, kraft­voll, herr­lich. Sein Ge­sicht, von Blat­ter­nar­ben bis auf die letz­ten Haar­wur­zeln zer­fres­sen, spie­gel­te wie die Fens­ter­schei­be ei­nes fah­ren­den Wa­gens al­les zu­gleich, was drin­nen und drau­ßen vor­ging. Bei der Be­la­ge­rung von Taif hat­te Ab­dul­la den Ober­be­fehl ge­habt; Scha­kir aber mach­te mit den Trup­pen einen un­ge­stü­men Vor­stoß, der durch das Über­maß an Toll­kühn­heit fehl­schlug. Die Ara­ber wag­ten nicht, dem schon in eine Bre­sche Ein­ge­drun­ge­nen zu fol­gen; und Scha­kir muss­te um­keh­ren, al­lein und un­ver­wun­det, sei­ne Leu­te ver­flu­chend und ver­la­chend und wil­den Hohn hin­über­ru­fend zu dem ver­dutz­ten Feind, der sich da­durch räch­te, dass er Scha­kirs schö­nes Haus in Taif mit Pe­tro­le­um über­goss und es samt sei­ner kost­ba­ren Samm­lung ara­bi­scher Hand­schrif­ten nie­der­brann­te.

Am Abend kam Ab­dul­la zum Di­ner zu Oberst Wil­son. Wir emp­fin­gen ihn im Vor­hof an der Trep­pe des Hau­ses. Hin­ter ihm kam sein glän­zen­des Ge­fol­ge von Be­dien­ten und Skla­ven, und hin­ter die­sen eine blei­che Schar ab­ge­ma­ger­ter Ge­stal­ten mit bär­ti­gen, kum­mer­vol­len Ge­sich­tern, in zer­lump­te Uni­for­men ge­klei­det und ver­ros­te­te Blech­in­stru­men­te tra­gend. Ab­dul­la wies mit der Hand nach ih­nen hin und kräh­te ent­zückt: »Mei­ne Ka­pel­le!« Wir brach­ten sie im Vor­hof auf Bän­ken un­ter, und Wil­son schick­te ih­nen Zi­ga­ret­ten, wäh­rend wir zum Spei­se­saal hin­auf­stie­gen, des­sen Bal­kon­lä­den in Hoff­nung auf eine fri­sche See­bri­se weit und be­gie­rig ge­öff­net wa­ren. Als wir uns ge­setzt hat­ten, be­gann die Ka­pel­le, un­ter den Flin­ten und Sä­beln von Ab­dul­las Ge­fol­ge, eine Rei­he herz­bre­chen­der tür­ki­scher Wei­sen zu spie­len, wo­bei je­des In­stru­ment sei­ne ei­ge­nen Wege ging. Uns ta­ten von dem Lärm die Ohren weh; aber Ab­dul­la strahl­te.

Wir hat­ten ge­nug von tür­ki­scher Mu­sik und ver­lang­ten nach et­was Deut­schem. Ein Ad­ju­tant trat auf den Bal­kon und rief der Ka­pel­le auf tür­kisch zu, et­was Aus­län­di­sches zu spie­len. Da­rauf stimm­ten sie, et­was wa­cke­lig zwar, »Deutsch­land über al­les« an, just in dem Au­gen­blick, als der Groß­sche­rif in Mek­ka an sein Te­le­fon kam, um un­se­rer Fest­mu­sik zu lau­schen. Wir woll­ten noch mehr deut­sche Mu­sik hö­ren, und sie spiel­ten: »Ein fes­te Burg«. Mit­ten drin aber ver­sack­ten sie in erster­ben­den Dis­so­nan­zen der Trom­meln. Die Fel­le wa­ren durch die feuch­te Luft Djid­das auf­ge­weicht. Sie rie­fen nach Feu­er, wor­auf Wil­sons Die­ner und Ab­dul­las Leib­wa­che gan­ze Hau­fen von Stroh und Kis­ten her­an­schlepp­ten. Über der ent­fach­ten Glut wur­den die Trom­meln un­ter Hin- und Her­dre­hen er­wärmt, und dann leg­ten sie los mit et­was, wo­von sie be­haup­te­ten, es sei der »Hass­ge­sang«; aber wir konn­ten dar­in nichts ir­gend­wie Eu­ro­päi­sches ent­de­cken. Ei­ner der Gäs­te wand­te sich an Ab­dul­la und sag­te: »Es ist ein Trau­er­marsch.« Ab­dul­la be­kam große Au­gen; doch Storrs leg­te sich rasch ret­tend ins Mit­tel und brach­te durch ein ge­schick­tes Wort alle zum La­chen. Zum Be­schluss des Fes­tes sand­ten wir den kum­mer­vol­len Mu­si­kern eine Be­loh­nung, aber sie schwan­gen sich zu kei­ner rech­ten Freu­de an un­se­rer Aner­ken­nung auf und ba­ten nur, nach Hau­se ge­schickt zu wer­den.

2. Ritt zu Faisal

Am nächs­ten Mor­gen ver­ließ ich Djid­da und ge­lang­te zu Schiff nach Ra­be­gh, dem Haupt­quar­tier des Sche­rifs Ali, Ab­dul­las äl­te­rem Bru­der. Als Ali den »Be­fehl« sei­nes Va­ters er­hielt, mich un­ver­züg­lich zu Fai­sal zu sen­den, wur­de er stut­zig, muss­te sich aber fü­gen. Er stell­te mir sein ei­ge­nes präch­ti­ges Reit­ka­mel zur Ver­fü­gung, ge­sat­telt mit sei­nem ei­ge­nen Sat­tel und be­han­gen mit üp­pi­gen Scha­bra­cken und Pols­tern in je­ner aus viel­far­bi­gen Le­der­stücken zu­sam­men­ge­setz­ten Ne­d­jd­ar­beit, mit ge­floch­te­nen Fran­sen und sil­ber­durch­wirk­tem Netz­werk. Als zu­ver­läs­si­gen Füh­rer zum La­ger Fai­sals er­wähl­te er Tafas, vom Stamm der Ha­wa­zim-Harb, nebst sei­nem Sohn.

Ali ließ mich nicht vor Son­nen­un­ter­gang ab­rei­ten, denn kei­ner von sei­nen Leu­ten soll­te mein Ver­las­sen des La­gers be­mer­ken. Selbst vor sei­nen Skla­ven hielt er die Rei­se ge­heim und ver­sah mich mit ara­bi­schem Man­tel und Kopf­tuch, die mei­ne Uni­form ver­hül­len und mir im Dun­keln auf mei­nem Ka­mel eine un­auf­fäl­li­ge Sil­hou­et­te ge­ben soll­ten. Da ich kei­ne Vor­rä­te bei mir hat­te, gab er Tafas Wei­sung, in dem sech­zig Mei­len ent­fern­ten Bir el Scheikh, der ers­ten Ta­ges­rast, Le­bens­mit­tel an­zu­kau­fen, und be­fahl ihm aufs strengs­te, un­ter­wegs je­der­lei neu­gie­ri­ge Fra­gen oder Er­kun­di­gun­gen von mir fern­zu­hal­ten und alle La­ger oder sons­ti­ge Be­geg­nun­gen zu ver­mei­den.

Wir rit­ten durch die Pal­men­hai­ne, die die zer­streu­ten Häu­ser des Dor­fes Ra­be­gh wie ein Gür­tel um­schlos­sen, und dann un­ter die Ster­ne hin­aus, längs der Tiham­ma hin, je­nem san­di­gen und fla­chen Wüs­ten­strei­fen, der sich an der West­küs­te Ara­biens zwi­schen Mee­res­s­trand und Rand­ge­bir­ge auf Hun­der­te von Mei­len ein­för­mig da­hin­zieht. Tags­über herrscht in die­ser Ebe­ne eine un­er­träg­li­che Hit­ze, und ihre Was­ser­ar­mut macht ihre Durch­que­rung höchst be­schwer­lich. Doch war die­ser Weg nicht zu ver­mei­den, da die was­ser­rei­chen Rand­ge­bir­ge von Nor­den wie von Sü­den her zu schroff wa­ren für einen Über­gang mit be­la­de­nen Tie­ren.

Die Küh­le der Nacht war wohl­tu­end nach dem mit Wi­d­rig­kei­ten und Ver­hand­lun­gen hin­ge­schlepp­ten Tag in Ra­be­gh. Tafas führ­te schwei­gend, und die Ka­me­le schrit­ten laut­los über den wei­chen, ebe­nen Sand. Wäh­rend wir so da­hin­zo­gen, dach­te ich dar­an, dass wir hier auf der al­ten Pil­ger­stra­ße rit­ten, auf der seit un­zäh­li­gen Ge­ne­ra­tio­nen das Volk aus dem Nor­den her­ab­ge­zo­gen kam, um die Hei­li­gen Städ­te zu be­su­chen und Ga­ben des Glau­bens am Hei­li­gen Grab nie­der­zu­le­gen. Und mir kam der Ge­dan­ke, dass die Er­he­bung Ara­biens ge­wis­ser­ma­ßen eine Pil­ger­fahrt in um­ge­kehr­ter Rich­tung wer­den könn­te, eine Pil­ger­fahrt, die dem Nor­den – Sy­ri­en – ein an­de­res Ide­al brin­gen wür­de: den Glau­ben an die Frei­heit an Stel­le ih­res frü­he­ren Glau­bens an eine Of­fen­ba­rung.

Meh­re­re Stun­den lang rit­ten wir gleich­för­mig da­hin, nur dass die Ka­me­le bis­wei­len strau­chel­ten und sich wie­der hoch­raff­ten und die Sät­tel krach­ten: An­zei­chen da­für, dass die glat­te Ebe­ne in Trieb­sand­ge­län­de über­ging, das mit nied­ri­gem Strauch­werk be­stan­den und in­fol­ge­des­sen un­eben war, in­dem sich um die Pflan­zen klei­ne Däm­me stau­ten und die Wir­bel der See­win­de die Zwi­schen­räu­me aus­höhlten. Die Ka­me­le schie­nen im Dun­keln nicht gangsi­cher zu sein, und da der stern­be­leuch­te­te Sand kaum Schat­ten warf, wa­ren Une­ben­hei­ten und Lö­cher schwer zu er­ken­nen. Kurz vor Mit­ter­nacht hiel­ten wir an; ich wi­ckel­te mich fes­ter in mei­nen Man­tel und such­te mir eine mei­ner Grö­ße pas­sen­de Kuh­le, in der ich gut bis fast zur Mor­gen­däm­me­rung schlief.

So­bald Tafas den fros­ti­gen Luft­hauch des na­hen­den Ta­ges spür­te, war er auf den Bei­nen, und zwei Mi­nu­ten spä­ter schau­kel­ten wir von neu­em da­hin. Eine Stun­de da­nach, als es eben hell wur­de, klom­men wir einen nied­ri­gen La­var­ücken hin­an, der fast bis zur Höhe mit Flug­sand be­deckt war. Ein schma­ler Aus­läu­fer nahe dem Ufer ver­band ihn mit dem großen La­va­feld von He­d­jas, des­sen We­strand rechts von uns auf­stieg und die Lage der Küs­ten­stra­ße be­stimm­te. Der Rücken war stei­nig, aber nicht lang, die bläu­li­che Lava hat­te bei­der­seits nied­ri­ge Gra­te an­ge­staut, von de­nen aus man – wie Tafas sag­te – die Schif­fe drau­ßen auf dem Meer se­hen konn­te. Zu Sei­ten des We­ges hat­ten hier die Pil­ger Stein­ma­le er­rich­tet. Bis­wei­len wa­ren es ein­zel­ne klei­ne Pfei­ler, aus je drei über­ein­an­der­ge­schich­te­ten Stei­nen be­ste­hend, bis­wei­len re­gel­lo­se Hau­fen, de­nen je­der Vor­über­ge­hen­de nach Be­lie­ben einen Stein hin­zu­füg­te – ohne ei­gent­lich zu wis­sen warum, nur weil es an­de­re auch ta­ten, und die wuss­ten viel­leicht den Grund.

Jen­seits der Höhe stieg der Pfad in eine wei­te, of­fe­ne Ebe­ne hin­ab, die Ma­stu­r­ah, durch die der Wadi1 Fura zum Mee­re floss. Die gan­ze Ober­flä­che war be­deckt mit in­ein­an­der­lau­fen­den, we­ni­ge Zoll tie­fen Rin­nen aus lo­cke­rem Stein­ge­röll: den Bet­ten des Hoch­was­sers, wenn es nach ei­nem der sel­te­nen Re­gen­fäl­le im Ta­reif sich mit stro­mar­ti­ger Ge­walt zum Meer er­goss. Das Del­ta der Fluss­mün­dung war un­ge­fähr sechs Mei­len breit, und in sei­nem un­te­ren Teil tra­ten zu­wei­len für ein bis zwei Stun­den oder selbst ein bis zwei Tage klei­ne Was­ser­läu­fe her­vor. Der Un­ter­grund war vol­ler Feuch­tig­keit und durch die dar­über­lie­gen­de Sand­schicht vor dem Aus­trock­nen ge­schützt, so­dass Dorn­bäu­me und lo­cke­res Busch­werk dar­auf wuch­sen.

Man­che Stäm­me wa­ren einen Fuß im Durch­mes­ser stark und etwa zwan­zig Fuß hoch. Die Bäu­me und Bü­sche stan­den in ein­zel­nen Grup­pen ver­streut, und ihre un­te­ren Zwei­ge wa­ren von Ka­me­len ab­ge­fres­sen, so­dass sie wie künst­lich ge­stutzt aus­sa­hen, was in die­ser Wild­nis einen selt­sa­men Ein­druck mach­te, zu­mal die Tiham­ma sich bis­her nur als eine kah­le Öde ge­zeigt hat­te.

Die Son­ne stand noch nicht hoch am Him­mel, und wir lie­ßen die Ka­me­le über das gleich­mä­ßi­ge Kies­ge­röll zwi­schen den Bäu­men in stän­di­gem Trab ge­hen, um den Brun­nen von Ma­stu­r­ah zu er­rei­chen, der ers­ten Sta­ti­on auf der Pil­ger­stra­ße von Ra­be­gh, wo wir trän­ken und et­was ras­ten woll­ten. Ich war ganz ent­zückt von mei­nem Ka­mel, denn ich hat­te nie vor­her auf ei­nem so treff­li­chen Tier ge­ses­sen. In Ägyp­ten gibt es kei­ne gu­ten Ka­me­le, und die aus der Si­nai­wüs­te, ob­gleich kräf­tig und ab­ge­här­tet, sind nicht dres­siert auf die­sen sanf­ten, gleich­mä­ßi­gen und ra­schen Gang, wie die präch­ti­gen Tie­re der ara­bi­schen Fürs­ten.

Doch blie­ben die Fer­tig­kei­ten mei­nes Ka­mels an die­sem Tage durch­aus un­ge­nützt, denn sie konn­ten nur Rei­tern zu­gu­te kom­men, die sich dar­auf ver­stan­den und den Kniff weg hat­ten, nicht aber mir, der ich le­dig­lich ge­tra­gen zu wer­den er­war­te­te und von die­ser Reit­kunst we­nig Ah­nung hat­te. Es ist nicht schwer, auf dem Bu­ckel ei­nes Ka­mels zu sit­zen, ohne her­un­ter­zu­fal­len; aber mit Ver­ständ­nis das Bes­te aus ihm her­aus­zu­ho­len, ohne bei lan­ger Rei­se Rei­ter und Tier zu über­an­stren­gen, dazu ge­hört al­ler­lei. Tafas gab mir un­ter­wegs ei­ni­ge Win­ke in die­ser Be­zie­hung; und das war in der Tat so ziem­lich das ein­zi­ge, wor­über er mit mir sprach. Der Be­fehl, mich von je­der Berüh­rung mit Men­schen fern­zu­hal­ten, schi­en auch sei­ne ei­ge­nen Lip­pen ver­schlos­sen zu ha­ben. Scha­de, denn sein Dia­lekt in­ter­es­sier­te mich.

Nahe am Nor­d­rand der Ma­stu­r­ah tra­fen wir auf den Brun­nen. Ne­ben ihm stan­den ver­fal­le­ne Stein­mau­ern, wahr­schein­lich einst eine Hüt­te, und ge­gen­über ei­ni­ge Schutz­dä­cher aus Zwei­gen und Palm­blät­tern, un­ter de­nen ein paar Be­dui­nen hock­ten. Wir grüß­ten sie nicht, son­dern Tafas bog hin­ter die Mau­er­rui­nen, und wir stie­gen ab. Dort blieb ich im Schat­ten sit­zen, wäh­rend Tafas und sein Sohn Ab­dul­la die Ka­me­le tränk­ten und für sich wie für mich einen Trunk Was­ser schöpf­ten. Der Brun­nen war alt und ge­räu­mig, mit ei­ner gut er­hal­te­nen stei­ner­nen Ein­fas­sung und ei­ner star­ken Mau­er­kap­pe über der Öff­nung. Er war un­ge­fähr zwan­zig Fuß tief, und zur Be­quem­lich­keit für Rei­sen­de, die, wie wir, kei­ne Sei­le bei sich hat­ten, war in dem Mau­er­werk ein Schacht aus­ge­spart mit Stüt­zen für Hand und Fuß, so­dass je­der­mann hin­ab­stei­gen und sei­nen Zie­gen­schlauch fül­len konn­te.

Un­nüt­ze Hän­de hat­ten Stei­ne in den Brun­nen ge­wor­fen, so­dass der Grund zum Teil ver­stopft war und we­nig Was­ser gab. Ab­dul­la band sei­ne flat­tern­den Är­mel über der Schul­ter zu­sam­men, schürz­te das lan­ge Ge­wand un­ter dem Pa­tro­nen­gür­tel, und, hur­tig ab- und auf­klet­ternd, brach­te er je­des Mal vier bis fünf Gal­lo­nen her­auf, die er für die Ka­me­le in einen Stein­trog ne­ben dem Brun­nen goss. Je­des von ih­nen soff etwa fünf Gal­lo­nen, denn sie wa­ren zu­letzt am Tage vor­her in Ra­be­gh ge­tränkt wor­den. Dann lie­ßen wir sie et­was um­her­schwei­fen, wäh­rend wir fried­lich bei­ein­an­der­sa­ßen und die leich­te Bri­se von See at­me­ten. Ab­dul­la rauch­te eine Zi­ga­ret­te zur Be­loh­nung für sei­ne Mü­hen.

Ei­ni­ge Harb ka­men her­an mit ei­ner großen Her­de Ka­mel­foh­len und be­gan­nen sie zu trän­ken. Ein Mann stieg in den Brun­nen hin­ab, um den schwe­ren Le­de­rei­mer zu fül­len, den dann die an­de­ren Hand vor Hand mit lau­tem Stak­ka­to-Ge­sang her­auf­zo­gen.

Wäh­rend wir ih­nen zu­sa­hen, nä­her­ten sich von Nor­den her zwei Rei­ter auf rasch und leicht tra­ben­den Voll­blut­ka­me­len. Bei­de wa­ren jun­ge Män­ner. Der eine trug kost­ba­re Kasch­mir-Ge­wän­der und ein reich mit Sei­de ge­stick­tes Kopf­tuch; der an­de­re war in ein­fa­chen wei­ßen Baum­woll­stoff ge­klei­det, mit ei­nem Kopf­tuch aus ro­tem Kat­tun. Sie mach­ten ne­ben dem Brun­nen halt; der Reich­ge­klei­de­te glitt an­mu­tig zur Erde, ohne sein Ka­mel nie­der­ge­hen zu las­sen, warf sei­nem Beglei­ter den Half­ter zu und sag­te nach­läs­sig: »Trän­ke sie, ich gehe der­weil mich aus­ru­hen.« Dann schlen­der­te er zu uns her­über und ließ sich im Schat­ten der Mau­er nie­der, nach­dem er einen Blick ge­mach­ter Gleich­gül­tig­keit auf uns ge­wor­fen hat­te. Er bot mir eine frisch ge­dreh­te und ge­kleb­te Zi­ga­ret­te an und sag­te: »Ihr kommt aus Sy­ri­en her­un­ter?« Ich wich höf­lich aus, in­dem ich der Ver­mu­tung Aus­druck gab, er kom­me von Mek­ka, wor­auf er eben­so­we­nig di­rek­te Ant­wort gab. Wir spra­chen dann noch ei­ni­ges über den Krieg und die Ma­ger­keit der Ka­mel­foh­len der Harb.

Der an­de­re Rei­ter stand mitt­ler­wei­le bei dem Brun­nen, mü­ßig die Half­ter hal­tend, und schi­en zu war­ten, bis die Harb ihre Her­de ge­tränkt hät­ten und an ihn die Rei­he käme. Sein jun­ger Herr rief ihm zu: »Was soll das, Mu­stafa? Gib so­fort den Tie­ren zu trin­ken!« Der Die­ner kam zu uns und sag­te be­trübt: »Sie wol­len mich nicht her­an­las­sen.«

»Zum Teu­fel!« rief sein Herr wü­tend, sprang auf und schlug dem un­glück­li­chen Mu­stafa mit dem Reit­stock drei- oder vier­mal über Kopf und Schul­tern. »Geh und fra­ge sie!« Mu­stafa mach­te eine be­lei­dig­te, ver­dutz­te und zor­ni­ge Mie­ne, fast als woll­te er zu­rück­schla­gen, be­sann sich aber ei­nes bes­se­ren und eil­te zum Brun­nen.

Die be­trof­fe­nen Harb mach­ten ihm mit­lei­dig Platz und lie­ßen sei­ne zwei Ka­me­le aus ih­rem Was­ser­trog sau­fen. Sie flüs­ter­ten: »Wer ist er?« und Mu­stafa sag­te: »Der Vet­ter un­se­res Herrn von Mek­ka.« So­fort lie­fen sie hin, knüpf­ten ein Bün­del von ei­nem ih­rer Sät­tel los und streu­ten dar­aus den bei­den Reit­ka­me­len Fut­ter von grü­nen Blät­tern und Dorn­strauch­knos­pen. Die­se sam­meln sie, in­dem sie mit schwe­ren Stö­cken auf die nied­ri­gen Bü­sche schla­gen, bis die ab­ge­bro­che­nen Zweig­spit­zen auf das dar­un­ter aus­ge­brei­te­te Tuch her­nie­der­reg­nen.

Der jun­ge Sche­rif sah ih­nen be­frie­digt zu. Als sein Ka­mel ge­fres­sen hat­te, klet­ter­te er leicht und ohne jede An­stren­gung über den Hals in den Sat­tel, setz­te sich läs­sig zu­recht und nahm sal­bungs­voll Ab­schied von uns, in­dem er des Him­mels rei­che Gna­de auf die Ara­ber her­abrief. Sie wünsch­ten ihm gute Rei­se, und er ritt nach Sü­den zu da­von, wäh­rend wir, nach­dem Ab­dul­la un­se­re Ka­me­le her­bei­ge­bracht hat­te, uns nach Nor­den wand­ten. Zehn Mi­nu­ten spä­ter hör­te ich den al­ten Tafas ki­chern und sah ver­gnüg­te Fält­chen zwi­schen sei­nem grau­en Schnurr- und Voll­bart.

»Was hast du, Tafas?« frag­te ich.

»Herr, du sahst jene bei­den Rei­ter am Brun­nen?«

»Den Sche­rif und sei­nen Die­ner?«

»Ja; aber es war der Sche­rif Ali ibn el Hus­s­ein von Mod­hig und sein Vet­ter, Sche­rif Moh­sin, die Ober­her­ren der Ha­rith, die Tod­fein­de der Mas­ruh. Sie fürch­te­ten, an­ge­hal­ten oder vom Was­ser ver­trie­ben zu wer­den, wenn die Ara­ber sie er­kann­ten. So ga­ben sie sich als Herr und Die­ner aus, von Mek­ka kom­mend. Habt ihr den Zorn Mohs­ins ge­se­hen, als Ali ihn schlug? Ali ist ein Teu­fel. Mit elf Jah­ren floh er aus sei­nes Va­ters Haus zu sei­nem On­kel, des­sen Ge­wer­be das Berau­ben von Pil­gern war, und leb­te bei ihm vie­le Mo­na­te, bis sein Va­ter ihn wie­der ein­fing. Vom ers­ten Tage der Schlacht bei Me­di­na war er bei un­serm Herrn Fai­sal und führ­te die Atei­ba an in den Ebe­nen rund um Aar und Bir Der­wisch. Hier wa­ren die Ka­mel­ge­fech­te, und Ali woll­te kei­nen Mann bei sich ha­ben, der es ihm nicht gleich tun konn­te: ne­ben dem Ka­mel her­lau­fen und sich mit ei­ner Hand in den Sat­tel schwin­gen, wäh­rend die an­de­re die schuss­be­rei­te Büch­se hielt. Die Kin­der der Ha­rith sind Kin­der der Schlacht.« Zum ers­ten Mal floss der Mund des al­ten Man­nes über von Wor­ten.

Wäh­rend er sprach, durch­eil­ten wir die blen­den­de, fast baum­lo­se Ebe­ne, de­ren Bo­den nach und nach wei­cher wur­de. An­fangs war es grau­es Ge­röll ge­we­sen, dicht ge­la­gert wie Kies. All­mäh­lich nahm der Sand mehr und mehr zu und die Stei­ne wur­den sel­te­ner, so­dass man sie schließ­lich ein­zeln nach Far­be und Art un­ter­schei­den konn­te: Por­phyr, Ba­salt, grü­ner Schie­fer. Zu­letzt war es na­he­zu rei­ner wei­ßer Sand, mit ei­ner här­te­ren Ge­steins­schicht dar­un­ter, über den man wie über wei­chen Tep­pich ritt. Die ein­zel­nen Sand­körn­chen wa­ren blank ge­schlif­fen und fin­gen wie klei­ne Dia­man­ten die Son­nen­strah­len in so blen­den­den Re­fle­xen auf, dass ich’s nach ei­ner Wei­le nicht mehr aus­hal­ten konn­te. Ich kniff die Au­gen zu­sam­men und zog mir das Kopf­tuch wie ein Vi­sier bis tief über die Nase, um mich so vor der Hit­ze zu schüt­zen, die mir in gla­si­gen Wel­len vom Bo­den her­auf ins Ge­sicht schlug. Etwa acht­zig Mei­len vor uns tauch­te hin­ter Jan­bo der mas­si­ge Gip­fel des Rud­hwa auf und schwand wie­der in dem flim­mern­den Dunst, der sei­nen Fuß ver­hüll­te. Ganz nahe in der Ebe­ne schie­nen klei­ne form­lo­se Hü­gel den Weg zu sper­ren. Zu un­se­rer Rech­ten zog sich der stei­le Rücken des Beni Ayub da­hin, scharf und kan­tig wie eine Säge, nord­wärts sich ab­da­chend zu ei­ner blau­en, sanf­ten Hü­gel­ket­te. Hin­ter die­ser aber stie­gen mäch­ti­ge Ge­birgs­zü­ge, jetzt von der Abend­son­ne rot be­leuch­tet, gleich ei­ner hoch­ge­stuf­ten Trep­pe mäh­lich hin­an zum ra­gen­den Haupt­mas­siv des Dje­bel Subh mit sei­nen fan­tas­ti­schen Gra­nit­ke­geln. Ein we­nig spä­ter bo­gen wir von der Pil­ger­stra­ße rechts ab und rit­ten von nun ab quer über einen sanft an­stei­gen­den Ba­sal­t­rücken, so von Sand über­deckt, dass nur die obers­ten Gra­te dar­aus her­vor­rag­ten.

Ge­gen Son­nen­un­ter­gang sich­te­ten wir den Wei­ler Bir el Scheikh. Bei Dun­kel­wer­den, als eben die Feu­er der Abend­mahl­zeit an­ge­zün­det wur­den, rit­ten wir durch sei­ne brei­te Stra­ße ein und mach­ten halt. Tafas trat in eine der zwan­zig elen­den Hüt­ten, und un­ter Ge­flüs­ter, un­ter­bro­chen von lan­gen Pau­sen des Schwei­gens, er­han­del­te er Mehl, wor­aus er mit Was­ser einen Teig­ku­chen kne­te­te, zwei Zoll dick und acht Zoll im Durch­mes­ser. Die­sen ver­grub er in die Asche ei­nes Rei­sig­feu­ers, das ihm eine Frau der Subh, die ihn zu ken­nen schi­en, an­ge­facht hat­te. Als der Ku­chen durch­wärmt war, zog er ihn vom Feu­er fort und klopf­te die Asche ab, wor­auf wir ihn un­ter­ein­an­der teil­ten. Ab­dul­la ging dann sich Ta­bak kau­fen.

Man sag­te mir, der Ort habe zwei stein­ge­mau­er­te Brun­nen am Fuß des süd­li­chen Ab­han­ges; aber ich spür­te kei­ne Lust, sie zu be­sich­ti­gen, denn ich war müde von dem lan­gen un­ge­wohn­ten Ritt des Ta­ges, und die Hit­ze in der Ebe­ne hat­te mir stark zu­ge­setzt. Mei­ne Haut war vol­ler Bla­sen, und mei­ne Au­gen schmerz­ten von dem schar­fen Licht­re­flex des silb­ri­gen San­des und der glän­zen­den Kie­sel. Die letz­ten zwei Jah­re hat­te ich in Kai­ro ver­bracht, Tag für Tag am Schreib­tisch hockend, in ei­nem klei­nen über­füll­ten Büro, mit hun­der­ter­lei ei­li­gen Sa­chen be­schäf­tigt, die in­mit­ten ab­len­ken­den Ge­trie­bes durch­dacht und be­spro­chen wer­den muss­ten, aber ohne jede kör­per­li­che Be­tä­ti­gung, au­ßer dem täg­li­chen Gang zwi­schen Büro und Ho­tel. Da­her wur­de mir die­ser plötz­li­che Wech­sel ei­ni­ger­ma­ßen schwer, denn ich hat­te kei­ne Zeit ge­habt, mich erst nach und nach an die pe­sti­len­zia­li­sche2