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Aus dem Zeitspiegel ist eine Sammlung von Märchen, Sagen und Erzählungen, die die deutsche Volkskultur und Geschichte widerspiegeln. Die Geschichten sind geprägt von traditionellen Motiven und vermitteln wichtige Botschaften über Liebe, Freundschaft und Familie.
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Seitenzahl: 333
Aus dem Zeitspiegel
Ludwig Bechstein
Es war einer der drückend heißen Julitage des Jahres 1828, als ich, damals noch wohlbestalltes Apothekersubjekt, in der Officin saß, und mich, da es eben nichts zu tun gab, mit meinen Lieblingsstudien, Reisebeschreibungen, beschäftigte. Vor mir auf den Tisch lag die neue Berghausische Karte von Afrika, und Reisen von Burchell, Richardson, Campbell und Andern. Eine unbezwingliche Sehnsucht regte in meinem Innern gar mächtige Flügel. Es litt mich nicht mehr in dem Stande, dem ich angehörte; er war mir mit allen seinen kleinen Unannehmlichkeiten, seinen großen Verantwortlichkeiten, seinem medizinischen Unrat längst zur drückenden Fessel geworden, die abstreifen zu können, mein tägliches Gebet war. Fort aus dem einengenden kleinlichen Alltagsleben, hinaus in die weite herrliche Welt, an die Mutterbrust der Natur sehnte sich glühend mein Herz. In ferne, unbekannte Länder hin wünschte ich zu reisen, neue Pflanzen zu finden unter den fremden Zonen, neue Thiere, nie zuvor gekannte Mineralien. Ich beneidete die Glücklichen, denen es vergönnt war, in entlegenen Weltheilen zu forschen, und zu streben nach neuen Schätzen der Natur, um unser Wissen, unsere Erkenntnis zu bereichern, ich pries ihr Loos als ein wahrhaft beseligendes.
Auch meinen Namen wollte ich sehen bei den Namen derer, die durch Reisen und Entdeckungen im Reiche der Natur berühmt geworden, auch ich wollte meinen Anteil haben von den Kränzen, mit denen Ehre und ein dankbares Vaterland sie schmückten, aber in meiner Lage — wie war es möglich? Ohne -Mittel, ohne Connexionen — gebannt, um das Leben zu fristen, an Receptirtisch und Laboratorium — haderte ich oft mit dem Geschick, das jene begünstigte und mich umsonst im sehnsüchtigen Verlangen schmachten ließ.
Doch es war mir eine liebliche Hoffnung erblüht, von deren Duft sich meine Seele nährte. Die afrikanische Gesellschaft in London suchte durch ihre Agenten in Deutschland junge, der Naturwissenschaft kundige Männer, um sie in Gesellschaft englischer Naturforscher auf Entdeckungsreisen auszuschicken; dieß hatte ich gehört, und sogleich an einen jener Agenten geschrieben. Die Antwort konnte jeden Tag eintreffen.
Wer schon selbst einmal hoffend und schmachtend in die ferne Zukunft geblickt hat, und jahrelang geseufzt nach der günstigen Stunde, wem dann, als er schon allmählich sinken sah den grünenden Palmbaum seiner Hoffnung, doch noch ein gütiges Geschick Erhörung seiner heißen Wünsche zulächelte, o nur der kann meine grenzenlose Freude fassen, meinen Jubel ermessen, denn sie schlug mir, diese Götterstunde, der Briefträger kam, er brachte bejahende Antwort, ich war selig.
Wie mit Zauberschnelle ging nun alles von Statten, was meine Reise betraf; ich entsinne mich nur dunkel, daß ich mit meinem Prinzipal einen großen Zank hatte, weil er mich nicht gleich fortlassen wollte, und daß sich bald ein taugliches Subjekt (fürwahr, ein göttliches Wort!) fand, meine Stelle zu ersetzen, da mit Zuversicht angenommen werden kann, daß jährlich eintausend hoffnungsvolle Pharmaceuken ohne Stellen am Teiche Bethesda liegen, und warten, bis da oder dort für sie ein Platz offen wird. —
Im Eilpostflug durchrauschte mein Leib die Länder, meine Seele war aber schon voraus nach Afrika. Als ich durch die Lüneburger Haide fuhr, gedachte ich an das öde Flachland der Koranas, erblickte in den Haidschnucken die Fettschwanzheerden der Hottentottenkraals, in den Staubwirbeln der Chausseen die Sandwolken der Steppen.
Ich grüßte mit Wonnegefühlen das Meer, ein Dampfschiff trug mich hinaus in die Wasserwüste. Und ich sah die Kreidefelsen Altenglands aus dem Schoose der Wogen emporsteigen, und seufzte: «O ihr Gestade von Yarmouth und Harwich, wäret ihr doch Tafelbai oder Nadelkap! und mein Herz sehnte sich, als wir näher und näher der riesigen Weltstadt kamen, auf die großen Kauffahrteischiffe, die stolz und majestätisch auf der Themse mit wehenden Wimpeln und geschwellten Segeln uns vorüberrauschten, hinaus auf die grünen Wellenringe der uralten Weltschlange, des länderumgürtenden Ozeans.
Nur Geduld, du freies, frohes, sehnsüchtiges Herz, zügle dein Sehnen, bald, bald geht südwärts die Fahrt!
Daß ich in London war, weiß ich mich auch nur dunkel zu erinnern, doch ist mir, als habe ich eine ungeheure Stadt gesehen voll Paläste und Hütten, schmale, himmelhohe Häuser, Straßen voll Schmutz, und darin ein ewigreges Drängen, Treiben, Hin- und Herwogen zu Wagen, zu Fuß und zu Roß, bis die Augen müde wurden vom Schauen.
Und ich sah eine dämmernde Nebelwolke schwimmen über der Weltstadt, sie wurde kleiner und düsterer, je mehr sich das Schiff entfernte, das nun mit mir dahinfuhr, in den ewigen Ozean hinaus.
Nach langer, langer Fahrt legten wir an auf einer wilden Insel mitten im Weltmeer, deren kahle Felsenhöhen düster und drohend in die Luft emporstiegen. Und es ging die Sage unter dem Schiffsvolk, es sei dort zu sehen ein Riesengrab, und bald stand ich bei dem Grabe, das von Trauerweiden melancholisch umrauscht war, und täuscht Erinnerung mich nicht, so sah ich in den Zweigen der Bäume große schwarze Vögel sitzen, und langsam mit den Flügeln schlagen, und ich glaubte die Vögel mit leisen klagenden Menschenstimmen singen zu hören:
Hier liegt Er begraben, Der Verwesung Raub! Vor dem die Völker gezittert haben; Hier ruht sein Staub!
Aber weiter ging die Fahrt, oft zitterten meine Blicke sehnsüchtig über des Weltmeers endlose Flächen hin. Mir war, als sei ich daheim gestorben, und auf der Reise in ein anderes Dasein begriffen, und es wollte bisweilen in meiner Brust eine Stimme laut werden, die wie Heimweh klang. Ach, es war doch schön gewesen, in der Welt, die ich verlassen. Hatte mir auch die Lebenssonne nicht ihre hellsten Strahlen gesandt, so hatte mich doch der Mond lieb gehabt, und meine stillen Träume gar magisch und wunderbar erhellt. Ich hatte geliebt, und hatte gelitten, all den unsaglichen Schmerz, den verschmähte Liebe bietet, und nun schien mir erst im Innern die Wahrheit auszugehen, daß mich eigentlich die Liebe, das Weh der Entsagung fortgetrieben aus jenen stillen Kreisen, in denen ich früher heimisch gewesen, und daß für das Herz, das ich dort verloren, mir kein Erdteil, keine Welt Ersatz geben könne. Diese und andere melancholische Gedanken zu zerstreuen, begann ich die angenehme Sprache der Hottentotten zu erlernen; ein guter holländischer Missionär, Myn Heer Duyvel, hatte die Güte, mir darin Unterricht zu erteilen. Anfangs wurde mir es freilich schwer, so wohllautend zu schnalzen, zu schmatzen und zu gurgeln, wie mein würdiger Lehrer, und ich wünschte mir oft das Talent und Organ einer Turteltaube oder eines Truthahns, um die Kehllaute richtig hervorzubringen.
Als ich eben einmal Myn Heer Duyveln das Vater Unser hottentottisch vorbetete: cita boh, t’humme inga t’siha, t’sa di kamink ouna, hem kouqueent see — blieb ich schon beim Kommen des Reichs stecken, als vorn Mastkorb durch das Sprachrohr der Ruf: Lands niederschallte, und auf dem Schiffe von hundertstimmigem Jubel erwidert wurde. Myn Heer Duyvel ließ seinen Scholaren im Stich, eilte aufs Verdeck, ich ihm nach, und bald sahen wir am fernen Horizont den Gipfel des Tafelberges in die Wolken ragen.
Sei mir gegrüßt, Südafrika, mit deiner wundervollen Natur, deinen immergrünen Riesenwäldern voll üppigen Pflanzenwuchses, deinen Felsen, mit seltsamgeformten Kaktusarten, stachlichen Aloe’n und Mesembryanthemen bekleidet! Ich werde deine Elephantenheerden sehen, das plumpe Rhinoecros und die schlanken Antilopen, deinen königlichen Strauß, und deine prächtigen Papagaien!
So jubelte ich der Küste entgegen, die heller und heller aus dem Meeresschoos emporstieg; ein Berggipfel nach dem andern, in wunderbaren Duft gehüllt, wie ein rätselhaftes zaubervolles Geheimnis, trat hervor; stolzer schien das Schiff die Wogen zu durchfurchen, bald grüßte der Donner seiner Kanonen die Kapstadt. — —
Die Gesellschaft war klein, mit der ich durch das Kapland dahinzog, oft über sanfte Anhöhen und freundliche kühle Täler, in denen , eine paradiesische Vegetation heimisch, dann immer höher hinauf zu den schwarzen Bergen, wo schon wilder die Landschaft wurde, öder und menschenleerer; dann über die Steppe Karos, wo das Auge nichts sah, als kriechendes Schlinggesträuch, Kaktus in wunderbarer Gestaltung, und Mesembryanthemen, die den Boden weit überspannen mit grünen Netzen; dann kamen wir in die Länder der Buschmannen, voll düsterer Wälder, in denen Panther und Löwen heimisch, in denen Wölfe und Hyänen heulten, die von Elephantenheerden durchstrichen wurden, in denen Rhinoceros und Nilpferde haußten, auch Affen in Unzahl, schlanke flüchtige Gazellen, und die hochragenden stolzen Giraffen, dann fürchterliche Riesenschlangen und viel wunderbare Kreatur, noch namenlos und unbeschrieben, aus dem Geschlecht der Eidechsen, Käfer und Schmetterlinge, von denen wir herrliche Sammlungen anlegten.
O Wunderwelt, o geheimnißvolle Schöpfung! Wie zauberhaft umfing mich all das Niegesehene! Welche Pflanzen, welche Blumen, — welche Bäume! Die Sprache verstummt, die Feder entsinkt der Hand, die dir, gütiger Leser, wohlwollende Leserin, so gern schildern möchte mit der Gluth der Phantasie, was dort glühend, blühend, strahlend, brennend aus tausend Blumensternen dem Auge leuchtete, in tausend Liedern dem Ohr erklang, was mit Wunderdüften die Sinne berauschte. Jene Täler, wie kühl, wie einsam! Wenn ich mit meinen Gefährten auf schmalbetretenen Pfaden so dahinschritt , ringsum Palmen-, Akazien- und Lorbeerwälder, darunter hohe, mit tausend und aber tausend buntfarbigen Blütenglocken geschmückte Erikasträucher, die nur in kleinen verkrüppelten Exemplaren eine Zierde unserer Treibhäuser sind, und daneben ein stiller Fluß durch umbuschte Ufer schlich, an denen die bunten Tigerlilien ihre Prachtkelche entfaltet hatten , da war mir, als habe ein Traum mich in das wunderbare Land entrückt, und ich fürchtete das Erwachen. So fern, so unendlich fern zu sein von der Heimath! Wohl war es auch dort schön gewesen, wenn ich mit Freunden und holden jugendlichen Freundinnen an Sommersonntagen hinausgegangen war in den stillen Grund, wo die Mädchen Sträußer pflückten von den lieblichen Vergißmeinnicht, den zarten Glockenblumen, den purpurroten und goldfarbigen Gnaphalium, und Kränze wanden von Cyanen, oder dem Schlangengewinden des frischgrünen goldstäubenden Lycopodium, das in den Wäldern meiner Heimath wuchernd, den Boden weich überpolstert. Aber hier war ein anderer Farbenton in der Landschaft, dort Mondschein, hier Sonnengold, dort Erdfarbe, hier Enkaustik. Aber dort —- dort hatte ich Freundschaft und Liebe zurückgelassen! Liebe? — Daß doch das Menschenherz nicht vergessen kann, daß ich doch unter den hundert Essenzen, Tinkturen, Elixieren, Extrakten, Wässern, Ölen und Balsamen meiner Apotheke nicht einen Balsam auf Seelenwunden, nicht ein linderndes Öl für den-Schmerz des Herzens, nicht das Lethewasser, nicht den Lotosextrakt des Vergessens hatte! Wo wächst die Mohnpflanze, aus der das Opium quillt, das kummervolle Erinnerungen einschläfert? Nicht in Europas Gärten und Hainen, nicht in Kaschmirs Rosenthälern, nicht in Amerikas Bananenwäldern, ach, auch unter Afrikas Artokarpusbäumen nicht. Doch eine andere Blume wurzelt überall , eine dornenvolle Rose, eine stachliche Karde, eine brennende Nessel, eine juckende Katiang — Entsagung! --- Aber ich irre zu weit ab vom Faden meiner Erzählung, ich sollte ja nicht schwärmen, und ich wollte auch nicht, aber wer kann denn dafür, daß ihm die Augen voll Tränen quellen, wenn er im Rauch steht? Auch Erinnerung ist ein Rauch, der die Augen rot beizt, Wenn das — Kätzlein in die Sonne blintzelt, muß es niesen. —
Wir schifften auf einigen Kähnen den gelben Fluß hinauf. Ein Arzt ein Mathematiker, Myn Heer Duyvel, meine Wenigkeit, ein Diener und vier schwarze Sklaven, die rudern mußten. Die Fahrt ging langsam, oft hinderte ein Regenguß, oft drohte ein wilder Schwarm der Eingebornen, mißfarbiger Quaiquäs, aber Myn Heer Duyvel schnalzte lieblich in ihrer Zunge mit ihnen, und sie ließen uns ungehindert auf ihrem Ky Gariep ziehen. Pfeile regneten aus den Büschen nach uns abgeschossen von tückischen, blödsinnigen Koranas, deren Geheul uns oft erschreckte, und die Spitzen der Pfeile glänzten vorn Saft des Giftbaumes, in den sie getaucht waren, wir aber trugen Kleider von der gegerbten Haut des Nashorns, undurchdringlich, wie Panzerhemden. Oft versandte die Sonne »glühenden Brand« und wir mußten ruhen unter dem Schattendach der Fächerpalmen oder der traubenblüthigen zartblätterigen Gummibäume. Aber die Nächte, die hellen herrlichen Sternennächte! Wenn es nun schwieg in den Wäldern und Tälern, das laute Geschwätz der Papagaien, das Gekreisch der Affen, wenn der Elephant ruhte, und das gigantische Flußpferd nur von Zeit zu Zeit schlummernd schnaubte, und Riesenphalänen um die Uferblumen surrten, und der Mond sich in dem stillen Strome spiegelte, und nur von weitem in langen Pausen ein brüllender Löwe den Donner seiner Stimme durch die Sternennacht rollen ließ, o da war mir wunderbar zu Mute, ich war beklommen, und doch froh, Gefühle, die ich nicht zu schildern vermag, erfüllten mein Inneres. Mir war, als schiffte ich auf dem Nil, und werde bald zu heiligen Isis- und Osiristempeln gelangen, und zu dem stillen Todtensee Möris, und eingehen in die Schauerstille der Pyramiden und der Königsgräber, und nimmer wiederkehren zum Licht des Erdentages. Da, in stiller Nachtzeit, nahm ich auch etwas Absonderliches wahr an Myn Heer Duyveln, der mit mir in einem Kahne fuhr, daß nämlich derselbe immer und immer wach war, daß er, wenn wir alle schliefen, hinausredete in die Nacht, in unbekannter, wunderlicher Sprache, daß es auch war, als würde ihm zuweilen Antwort aus der Nähe und Ferne. Ueberhaupt übte dieser Mann mehr und mehr eine Gewalt aus über meine Begleiter und mich, der wir uns wohl oder übel fügen mußten. Ihn allein verstanden unsere Schwarzen, er allein konnte ihnen Befehle erteilen; er war es, der uns leitete, er war der Pfade, der Ströme und Flüsse kundig, er besänftigte die wilden Horden der Buschmänner, die uns totschießen, die Schwärme der Kaffern, die uns erschlagen wollten, endlich vertrieb er mehr als einmal durch eine Drohung, in Gott weiß welcher Sprache, gefräßige Raubthiere, die uns verspeisen wollten. Das kam uns wunderbar vor, allein befragten wir ihn, so antwortete er nichts, lächelte nur geheimnißvoll, und machte mit seinen beiden Daumen die Mühle.
Wir waren nun bereits sehr weit in das-Innere des Landes vorgedrungen. Unser Arzt hatte in Gemeinschaft mit mir chemische Untersuchungen in Menge über die Mineralien, die wir fanden, angestellt; er hatte Thiere und Pflanzen zergliedert, und manches Ungewisse berichtigt, manches noch Unbekannte bestimmt. Der Mathematiker hatte Pläne gezeichnet, Gegenden aufgenommen, die Sterne beobachtet, die Abweichungen der Magnetnadel in dieser Zone notiert; ich hatte schöne Herbarien angelegt, Schmetterlinge, Käfer, Libellen und was ich nur fand und fing angespießt und aufbewahrt, kleine Thiere und Vögel ausgestopft, Schlangen ausgehäutet, Eidechsen in Spiritus gehängt, und wir vermeinten allesammt, es werde doch nun Zeit zur Rückkehr, denn immer heißer brannte die Sonne, immer unfahrbarer wurde der Oranje, immer pfadloser die Wälder und in Stich ließen uns alle Karten und Bücher, die wir mitgenommen, wir waren jetzt in einem Lande, das noch keines Europäers Fuß betreten, das da vor uns lag, ein tiefes unerschlossenes Geheimnis, ein Labyrinth voll Grausen, eine grausame Sphinx, die uns in den Abgrund des Todes zu stürzen drohte, wenn wir nahten, ihre tiefen Rätsel zu lösen. Den Moquanna-Kraal hatten wir weit hinter uns, an den Quellen des gelben Stroms hielten wir ein Nachtlager unter unserm Zelte, wir hatten schon Mangel an manchem Unentbehrlichen, sollten wir noch weiter?
Auf diese Frage, die wir an uns richteten, lächelte Myn Heer Duyvel wieder geheimnißvoll, faltete die Hände, machte mit den beiden Daumen die Mühle, und ließ sich folgendermaßen tröstlich vernehmen:
»Meine Herren! Wie lobenswert auch der Eifer war, den Sie bisher in Erforschung der Natur dieses Erdteils bewiesen haben, so muß ich doch mit Bedauern wahrnehmen, daß dieser Eifer jetzt abzunehmen scheint, und Sie sich zurücksehnen nach den Fleischtöpfen Aegypti. Was Sie bis jetzt gesehen, erforscht, entdeckt, und gefunden zu haben glauben, ist nicht der Rede, geschweige denn der Kosten wert, die eine edle afrikanische Gesellschaft in England darauf verwandt hat, Sie hierher zu schicken. Ich will nun gar nicht in Abrede stellen, daß eine edle afrikanische Gesellschaft in London am Theetisch, oder beim Porter hinter dem Ofen es besser hat, als eine kleine englische Gesellschaft in Afrika, z. B. hier an den Quellen des Ky-Gariep, wie sie hier in der Wirklichkeit versammelt ist, allein einmal haben Sie, meine Herren, eine Verpflichtung eingegangen, die Sie verpflichtet, neue Länder, Menschen, Säugethiere, Vögel, Amphibien, Fische, Insekten, Würmer, Pflanzen und Steine zu entdecken, sollte auch kein Einziger von Ihnen die Ehre haben, seine Haut wieder heim zu bringen, folglich, meine Herren, sind Sie gezwungen, genötigt, mit mir, der ich die Ehre haben werde, Ihr Führer zu sein, weiter in das Land, etwa noch zweimal so weit, als Sie bis jetzt von der Kapstadt an gerechnet, gedrungen sind, einzudringen, bis nach dem Königreich Maravi, wo meine — Großmutter — Selbstherrscherin und Alleinregentin — seit undenklichen Zeiten — ich weiß nicht, ob Sie von ihr gehört haben — meine Herren — ja — was ich Ihnen sage — ja —«
- Wir saßen alle wie versteinert, und glaubten, Myn Heer Duyvel rede im Fieber, oder habe, gegen seine Gewohnheit, sich im Arak übernommen, von dem wir ein Fäßlein voll mit uns führten, um in Ermangelung des ächten Spiritus Vini, Thierlein darin aufzubewahren. Was faselt der Mann? Wie kommt er uns vor? Verstehen wir recht? fragten wir einander; Myn Heer Duyvel hörte es nicht, er war entschlafen; zum ersten mal war es, daß wir ihn schlafen sahen. Und so fest schlief der Mann, als wolle er nimmer wieder erwachen.
»Kennt Ihr das Königreich Maravi?« tönte unsere Frage gegeneinander, und die Antwort lautete: »Wir wissen wohl, daß es tief im Innern ein Volk geben soll, also geheißen, und eine Stadt, die diesen Namen führen soll, und einen großen, breiten, vornehmlich aber langen See, gleiches Namens, aber nichts wissen wir von des Volkes Art und Sitte, nichts von der Häuser- und Einwohnerzahl der Stadt Maravi, kennen nicht den Gott, der dort verehrt wird, wissen nicht ob daselbst ein Lyceum illustre, oder ein theologisches Seminar befindlich, oder eine Sternwarte, haben auch nie etwas Gründliches erfahren über des Sees Länge, Breite und Tiefe und etwaige Inseln, noch viel weniger aber in den Zeitungen gelesen von der Frau Großmutter Myn Heer Duyvels, königl. Majestät. Ferner wissen wir nicht, wie weit wir noch bis dahin haben, und welchen Weg, doch wäre das Myn Herrn Duyvels Sorge, der unser Führer sein will.«
»Ja! Führer sein will!« sprach, plötzlich aus seinem Schlaf erwachend, Myn Heer Duyvel im tiefen Baß, und erhob sich von seinem Sitz. »Wir haben, Kinder,« fuhr er fort: »bis zur Residenz Maravi von diesem Punkt aus just noch zweihundert vierzig geographische Meilen, von da ab aber bis zum See sind noch zwei kleine Stunden, und man geht in einer anmutigen Allee von Upas-Bäumen hin.«
»Upas-Bäume?« stammelten wir bebend und erschrocken.
»Nicht anders, Kinder,« fuhr Myn Heer Duyvel hämisch lächelnd fort: »und dort werdet Ihr nun die herrliche Gelegenheit haben, den Baum zu zeichnen, ihn einzurangiren in Eure Systeme von A bis Z und Eure Herbarien mit seinen Blüten zu schmücken. Und Thiere, Kinder! Thiere sage ich Euch, von denen in Europa kein Naturforscher eine Ahnung hat, die Ihr fangen werdet und mitbringen, und nach Euren Namen nennen! Die Krokodilheuschrecke, der Schlangenscorpion, der Basiliskscolopender, das gehörnte Kameel, die Schnabelziege, die Elephantenlaus! Und Pflanzen, Kinder! Pflanzen! Die Affenkopftragende Palme, die netzblättrige Fackeldistel, die graue Gespensterblume, die Seufzerweide, die am Ufer des Sees wächst, und wie mit einer Menschenstimme stöhnt, wenn der Wind ihre Zweige bewegt! O, und noch mehr, noch viel tausendmal mehr, ich kann nicht Alles sagen!«
So redete der Missionär, und wir riefen begeistert aus: »Noch Maravi! Nach Maravi! Führen Sie uns, würdigster Myn Heer Duyvel! Wir folgen Ihnen! Wir sind mit Leib und Seele die Ihrigen!«
»Topp!« schrie der Holländer, und hielt uns seine Hände hin, wir schlugen ein; doch da zuckte jeder im Schmerz zusammen, denn Myn Heer Duyvel hatte etwas lange und scharfe Nägel, die er auf der ganzen Reise nicht beschnitten, und hatte jeden damit unversehens blutig gekratzt; die schwarzen Sklaven, die zusahen, fletschten ihre weißen Zähne aus gräuliche Art, und der Holländer leckte seine Nägel begierig ab.
Mir ward ganz sonderbar bei alle diesem zu Mute, ich wußte nicht, was ich von dem frommen Manne denken sollte, doch blieb mir zu langem Denken keine Besinnung, ich entschlief, wie vorhin der rätselhafte Myn Heer Duyvel.
In der Frühe des andern Tages stand vor dem Zelt ein Rollwagen, auf dem unsere Habseligkeiten an Sammlungen, Instrumenten und Lebensmitteln gepackt waren, wir setzten uns darauf, angespannt waren sechs Antilopen, ein Schwarzer fuhr , und so sausten wir nur so, ohne Aufenthalt fort und immer fort, daß uns Hören und Sehen verging, und ehe wir es gedacht, waren wir über dem Zambese- oder « Kuama-Strom, und nicht lange währte es, so hatten wir das Reich Maravi erreicht. Wunderbare, unermeßliche Fülle einer phantastischschaffenden Natur! Nicht mehr auf Erden glaubte ich zu wandeln, so wie ich es hier fand, so hatte ich mir immer gedacht, müsse es aussehen auf irgend einem andern Planeten, andere Formen und Bildungen in den Organismen, jedes Baumblatt anders gestaltet, als ich je eines geschaut , jedes Thier von einer Art, wie noch in keinem naturhistorischen Bilderbuch Europa’s jemals abkonterfeit. Drache, Basilisk, Greif, Ruck, waren keine Fabelthiere mehr, hier waren sie in Menge heimisch; wild in den ewigen Urwäldern, die sich um den ungeheuren See zogen, und zahm am Hofe der Frau Königin Großmutter, auf die ich gleich zu reden komme. Wir fuhren aus der Residenz Maravi ungesäumt nach Schloß Duyvelskloof, dem Sommeraufenthalt der Selbstherrscherin, um Ihrer Majestät vorgestellt zu werden. Die Reise ging durch die schon oben erwähnte Upas-Allee. Kein Gras und kein Kraut wuchs unter den düsteren Giftbäumen, ein Duft umwehte sie, der den Atem beengte, und den Hauch in die Brust zurückpreßte. Gerippe von Thieren, die durch die Allee gelaufen, und von Vögeln, die darüber hingeflogen und alsbald todt niedergefallen waren , bedeckten in Menge den Weg; wir kamen glücklich hindurch. Myn Heer Duyvel hatte jedem von uns ein Büchslein zugestellt, an welchem wir riechen mußten während der Fahrt, darinnen ein Balsamum sulphnris befindlich, dessen Gestank alles übertraf, was nur in der Welt irgend stinken mochte, daher er auch die tödtlichgiftige Ausdünstung der Upas-Bäume glücklich überwältigte.
Wir standen im Audienzsaal, ganz betäubt von all dem Niegesehenen, Unerhörten, Unaussprechlichem was uns umgab. Wunderseltsames Bildwerk der abenteuerlichsten Thier- und Menschengestalten schmückte die Wände, die aus glänzendem Rohr geflochten waren. Die Dienerschaft, kohlschwarze, nackte Scheusale, mit Schürzen und Kronen von den brennendrothen Federn der Papagaien und Flamingo’s, und bemalt mit Gummigutti, das mit Goldstaub gemischt war, starrte uns mit funkelnden Blicken an; Myn Heer Duyvel führte uns durch sechs Säle in den siebenten, wo wir nun der Erscheinung der Königin Großmutter schweigend und ehrfurchtsvoll harrten. Ein bunter Teppich teilte sich, die schwarzen Sklaven küßten den Staub, die Herrin erschien. Aber nun, Leser, wie nun gleich die schicklichen Worte finden zu dem schriftlichen Konterfei der Großmutter Myn Heer Duyvels, königl. Majestät? Meinst Du, eine Matrone sei uns entgegengetreten? Meinst Du, ein sterblich Weib sei es gewesen, was wir staunenden Auges, klopfenden Herzens erblickt? Nein, es war die heilige Diana der Epheser, es war die Isis der Ägyptier, es war die ebenholzfarbige Göttin der Nacht, die in einer Mumienhülle auf einem goldenen Thron saß, ein Riesenbild, dessen Füße keiner erblickte, aber auf die Hülle waren in brennenden Farben gemalt allerlei Thiere, Hirsche und Krokodile, Vögel und Seekrebse, Bienen und heilige Käfer, dazwischen Ähren und Trauben, Mohnstengel und Lotosblumem und vom Haupt des hohen Bildes, auf dem mit sanftem Schimmer über einer Mauerkrone ein Sichelmond glänzte, wallte ein weißer, durchsichtiger Schleier bis zur Erde nieder, doch das Gesicht blieb tief verhüllt. Wohl aber sahen wir durch den Schleier mit einigem Schauer, daß am Leibe der Göttin, so weit er sichtbar war, Brust an Brust sich drängte, üppig schwellend, und ein Zauber ging aus von diesen Brüsten, daß uns war, als müsse alles Leben, und mit ihm auch wir, an sie sinken mit kindlicher Lust, und als quelle eng ihnen die Milch den Unsterblichkeit. Und wir fielen unwillkürlich nieder, und küßten des Göttinbildes zartgewobenen, weit herabwallenden Schleier. Da ging um uns her eine große Verwandlung vor. Aus den Pfeilern und Säulen des Saales knospete grüne Blätterfülle, dazwischen blühte Wunderblumenpracht hervor, die Thiere alle, die gemalt waren, gewannen Leben, die Blumen Duft, die Trauben schwollen, die Ähren neigten sich körnerschwer, aus den Mohnköpfen rieselte blauer und weißer Saamenregen. Die Schwarzen waren nicht mehr nackt, seidene Gewande umflossen sie, ihre Federkronen waren zu goldenen geworden. Myn Heer Duyvel war verschwunden, an seiner Stelle stand ein Mann im altäghptischen Priesterschmuck vor uns, um das Haupt eine heilige Binde, er trug des holländischen Missionärs Züge, die aber mild und freundlich geworden waren, und er öffnete seine Lippen, und redete also zu uns:
»Meine Kinder-! Es falle von Eurem Auge die Binde der Täuschung, und das Gestirn der Wahrheit gehe Eurem Innern auf. Nimmer hättet Ihr den heiligen Boden betreten, auf dem Ihr jetzt steht, hätte ich in Euch nicht die hohe, heiligflammende Liebe zu der Gottheit erkannt, vor der die Welt kniet. Ich habe Euch geprüft, und Euch durch die Prüfung eingeführt zum Schauen. Hinweg mit der Erinnerung an meinen verrufenen Namen, hinweg mit dem Märchen von meiner Großmutter, das ich Euch erzählte, Ihr steht in dem Tempel der Allmutter, der Weltamme, der vor Jahrtausenden die Völker am Indus und Ganges , am Euphrat und Nil dienten, der nach Jahrtausenden noch feiernde Jubelhymnen ertönen werden. Auch Ihr, meine Kinder dientet ihr, und die Liebe zu ihr lockte Euch wie mit Sirenengesang und süßer Zauberstimme nach einem fernen Weltteil fort. Ihr habt Helmath, Geliebte, Freunde verlassen, nicht um den schnöden, kargen Lohn der naturforschenden Gesellschaften, sondern fortgezogen von dem allmächtigen Trieb, der in Euch lebendig war, und nun seid Ihr eingetreten in den Tempel, den so viele suchen, und den keiner findet, wenn ich ihn nicht leite und läutere, prüfe und weihe. Und wer bin ich? Ich bin Horus, der Sohn der Sonne, und die Ihr vor Euch seht, ist die Weltgebärerin, die schaffende Urkraft, aus deren Schoos Welten rollen, und Lebensströme quellen. Hier ist ein ewiger Gottesdienst und ich bin Gott und Priester zugleich. Einst standen unsere Tempel in Ägypten, aber die Schwinge der Zeit, die mächtiger ist als wir, wehte sie um; da trugen unsterbliche Priester und Königssöhne die heiligen Bilder fort, und Tausende des Volkes folgten ihnen nach, immer aufwärts, dem Lauf des gesegneten Nil entgegen. Verlassen war das blühende Meroe, das jetzt Merove genannt wird, und die Isis wich aus Sais, nicht mehr grüßte Memnons Säule tönend den Sonnengott, und keine Königsleiche mehr ward in der Pyramiden Nacht gesenkt. Wie zogen fort mit den Heiligthümerm weit, weit, unermeßlich weit, ließen zur Linken das Mondgebirge, von dem sich sprudelnde Quellen nach Norden stürzen, die den Europäern unter dem Namen der Nilquellen bekannt sind, aber andern Ursprung hat der heilige Strom, aus dem See Maravi zieht er seine weite Schlangenbahn — aus dem See, auf und an dem wir das neue Reich der Allmutter gründeten, wo wir sie noch lebend fanden, zeugend, schaffend, bildend, gestaltend, wo wir siebenhundert Städte bauten, und dem neuen Reich einen alten Namen gaben, denn Maravi ist eins mit Merove, und nur durch die Mundart verschieden. Unsers Reiches Schutzmauern sind undurchdringliche Wüsten und steile Gebirge , die noch keines Wanderers Fuß überschritt. Euch aber, meine Auserwählten, habe ich im Schlummer hierhergeführt. Ihr sollt bei uns wohnen, sollt essen von dem Baum des Lebens, und selig sein; an Rückkehr aber denkt nicht. Betrachtet Euch als gestorben in Eurer Heimath, und wieder erwacht in einer andern Welt , denn fürwahr, das seid Ihr. Ich berührt Euer Ohr, und Ihr hört den ewigen Sternengesang der Sphären, ich lege den Finger auf Euer Auge, und Ihr seht mit Götterblicken in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und es gibt für Euch kein Geheimnis mehr. Es gibt nur eine Gottheit, das ist die Natur, meine unsterblichen Söhne; sie ist die Kraft, die alles Zeugende, und die Liebe, die alles Empfangende, in ihr ist Leben und Lebenslust, sie ist das All, und die Allmacht! Folgt mir, daß ich Euch zu ihren Priestern weihe!«
Während der wunderbare Isispriester so sprach, waren die goldenen-Hüllen wieder vor das Bild der schwarzen Mohrengöttin gefallen, und die Dämmerung war eingebrochen. Wir standen ganz erstaunt, ganz betäubt, und folgten willenlos dem geheimnißvollen Führer. Sieben schwarze Königssöhne leuchteten uns vor, hinab zum Ufer des nachtüberhüllten Sees, in dem sich die letzte Helle des Abendhimmels spiegelte, der ewigtodt im tiefen Schweigen vor uns zu liegen schien. Doch bald entbrannten glühende Sterne, und der Mond ging auf über dem fernen Eisgebirge hinter Makua, und es wurde lebendig auf dem See. Glänzend erleuchtete Schiffe ruderten nach einem Eiland, das sich aus den Wellen erhob, wunderbarer Klang erwachte ringsum, leuchtende Riesenkäfer und Laternenträger von ungewöhnlicher Größe siegen umher, alles war magisch, ungeheuer und bei aller Schönheit doch grausig und sinneverwirrend, so daß ich weder zum ruhigen Schauen, noch zum stillen Denken gelangen konnte.
Wir standen wieder in einem Tempel, noch herrlicher und kostbarer ausgeschmückt wie der erste , und ein riesig hohes Bild der Alma Mater saß auf goldenem Throne da.
Unser Führer entfernte alle Begleiter, und sprach nun zu mir und den Engländern:
»Meine Söhne, jetzt kniet nieder vor der Mutter alles Erschaffenen , und sprecht laut und vernehmlich nach, was ich Euch versage, dann sollt Ihr teilhaftig sein unsterblichen Glücks , und vom Baum des Lebens essen, doch zuvor richtet dorthin Eure Blicke!« Und er zeigte auf die nur leichtverschleierten Brüste der Allmutter. O Wunder über Wunder! Jede Brust war ein Mädchengesicht von zauberischer, hinreissender Schönheit. Das süßeste Lächeln schwebte um jeden Munds zartes Schmachten, wollüstige Sehnsucht, südliche Gluth flammte bald aus diesem, bald aus jenem Augenpaar. Jeder Reiz der circassischen Schönheit leuchtete in zarten Nuancen aus diesen engelholden Gesichtern und meine Reisegefährten blickten starr darauf hin. Mich aber durchschauerte ein wehmutsvoller Schmerz; unter diesen Mädchengesichtern war auch eines, das der glich, die ich angebetet, und auf ewig verloren hatte, und ich wandte seufzend meine Blicke ab.
»An diesen Brüsten sollt Ihr hangen, Kinder!« rief der Priester der großen Mutter; »doch zuvor sprecht mir die Eidesformel nach: »Ich glaube nur eine Gottheit, das ist die Natur! Sie ist ewig, sie schafft ewig, sie ist entstanden durch sich selbst, aus ihr strömt Alles, in sie fließt Alles zurück! Ich schwöre, nur ihr zu dienen, ich schwöre ab meine früher gefaßten Irrthümer!«
Meine Gefährten sprachen nach, immer blickend auf die wollustatmenden Mädchengesichter am Körper des Götterbildes, ich aber rief : »Das ist Gotteslästerung! Ich schwöre nichts ab, ich glaube, daß Gott der Herr, der Ewige, Unwandelbare, die Natur erschaffen hat, und die Welt, und Alles, was in ihr ist! Ich glaube an den Heiland Ich — —«
Ein Donner, als berste ganz Afrika, erschütterte das All; das Isisbild brach prasselnd zusammen, und uns umhüllte eine Aschenwolke, in der die Mädchengesichter herumflatterten mit Schlangenleibern. Meine Gefährten lagen todt unter den Trümmern, mich aber packte Myn Heer Duyvel, denn plötzlich war der Priester wieder zum alten Holländer geworden, mit entsetzlicher Übermacht, und heulte knirschend: »Du sollst es büßen , Wurm! Wurm! toller Wurm! der mein altes Reich zerstören will! ist das mein Dank? das mein Dank? Du sollst büßen , büßen! —« und damit schleuderte er mich fort, weit fort über den See, ich flog lange, und sank endlich auf einer kleinen Insel nieder in das Uferschilf. Ächzend raffte ich mich auf, und kroch durch das Schilf, das mir die Hände blutig schnitt, vollends ans Land. Der Mond schien, es war fast taghell, aber auch um mich her unheimlich lebendig. Doch mein erst Gefühl war »Preiß und Dank,« daß ich noch lebe, und nicht in die Netze Myn Heer Duyvels und seiner Frau Großmutter gefallen war, Leute, von denen ich nun wußte, was von ihnen zu halten. Aber bald erfaßte mich wilder Schmerz, starres Entsetzen-, Der Wind erhob sich , und ich hörte und von den Seufzerweiden am Ufer unaussprechliche Klagetöne , wie sie der tiefste Schmerz eines Sterbenden , die Angst einer Gebährenden, der Jammer der Verzweiflung ausstößt. Und der See erbrauste, als wühle ein Orkan ihn aufs und über ihn schossen in ungeheuren Wellenringen schwarze Wasserschlangen, und der Boden zitterte, von einem schweren, dumpfen Tritt, und wie ich umhersah, erblickte ich auf vier Säulen, stark wie Mauertürme, einen wandelnden Berg, wie ein hohes Haus. Es war der Vorzeit Riesenthier, ein Mammut, das sich auf der Wiese äste im Mondschein, und die Palmen abgraste, wie Halme, doch blieb es fern von mir, aber um mich lebte es von scheußlichen Kreaturen. Stinkende Stapelien hauchten Pestduft aus, und ihre spinnengestaltigen Blumen schienen lebendig zu sein, und um mich her zu kriechen. Auf den klebrigen Blättern der jungen Sträucher des Rhue toxicodendron saßen große Heuschrecken, das wandelnde Blatt, die Gottesanbeterin und das Riesengespenst; mehr denn ein Chamäleon blies den aschfarbigen Leib auf, daß es kugelrund wurde , Basiliskenaugen funkelten durch das Laubgrün; unversehens griff ich auf etwas Welches, Eiskaltes, und sah mit Schauder und Abscheu, als ich hinblickte, daß es eine gehörnte Kröte gewesen. Dort hockte die Pipa, und ließ Junge aus den Eiern schlüpfen, die ihr auf dem Rücken klebten; dort fletschte mir ein häßlicher Pavian die Zähne. Ich konnte mich kaum mehr regen vor eckelhaftem und giftigem Gewürm, das mich umkroch, und schon begann , an mir zu fressen und zu nagen, wie an einem Leichnam.
Auf dem See blühten wunderbare Nelumbinurosen , die aussahen, wie Todtenschädel, und mich alle angrinsten, und die Seufzerweiden stöhnten fort und fort ihre melancholischen Klagen.
»O, mein Gott!« seufzte ich tief auf, und blickte zum ewigen Sternenhimmel, dort Trost zu suchen, aber, o Grauen! da standen drei Monde am Himmel, einer im Norden , der zweite im Osten, der dritte im Süden; zwischen ihnen flammte die Feuerruthe eines Kometen, und tief am Horizont ging ein schöner Stern unter.
»O, mein Gott!« begann ich noch einmal: »soll ich denn hier sterben , unbekannt, ungenannt, unbetrauert? Acht warum blieb ich nicht daheim und nährte mich redlich? hatte freilich nur achtzig Gulden Gehalt jährlich, aber ich litt doch keine Not, hatte Zeit übrig für mich , und durfte Donnerstag Nachmittag und einen Sonntag um den andern ausgehen! Mein Prinzipal war ein guter Mann, und die Frau Prinzipalin wußte vortreffliche Käse zu bereiten!Und ich hatte herzliebe Freunde, die mir gut waren, auch liebte ich — ja, ich liebte, und war ich auch nicht allzuglücklich, so war doch auch der Schmerz ein süßer. Und da plagt mich der Teufel fortzugehen aus der Heimath, alles im Stich zu lassen, und stracks nach Maravi zu laufen, neue Entdeckungen zu machen. Schöne Entdeckungen, schöne Bekanntschaften! - Ach, säß ich doch wieder am kleinen Tisch in der Apotheke zum weißen Schwan, und machte Kapseln! O süßer Receptirtisch, oft verwünscht, holdes, rusiges Laboratorium, tausendmal verflucht, angenehmer, kühler Keller, duftender Kräuterboden, vollgepfropfte Materialkammer, alle unzähligemal zum Teufel gewünscht, schaltete und eselte ich doch wieder in euch herum, ich wollte traun gern nicht wieder fort!« Also seufzte ich ärmstes aller armen Subjekte am See Maravi, doch
da stieß kein Nachen vom sichern Strand der mich bringe aus dem verwünschten Land —
aber aus dem Seeufer loderten schreckliche Irrlichter auf und schwebten über den Wassern, bleich und grauenvoll und die Monde standen hoch am Himmel, und der Komet fuhr bald zu dem einen, bald zu dem andern, und schlug ihm mit seines Schweifes feuriger Rute ins Gesicht, und die Weiden seufzten, die Palmen krachten, der Boden bebte vom Tritt des Mammut, das sich wackelnd bewegte, die Stapelien stanken, die Heuschrecken schwirrten, die Kröten und Spinnen bombardierten einander mit Gift, der Aff saß auf dem Baum und lachte kreischend auf mich herab. Da kroch noch ein scheußliches Thier hervor, schuppenbedeckt, über und über phosphoreszierend, das hatte einen Scorpionenschwanz und sechs fürchterliche Scheeren, und fünfzig gegliederte, haarige Füße und eine Nase wie ein Krebs, und mir ahnte, das sei mein Tod, denn das Thier kam gerade auf mich zu und ich konnte schon kein Glied mehr rühren; zwischen seinen Schuppenringen ließ es aber einen Saft von sich, gleich dem Maiwurm, der alles tötete, was er nur berührte, Pflanzen und Thiere. Und der Affe auf dem Baume schrie mit zeternder Stimme: »Eine Elephantenlaus! eine Elephantenlaus!« und eilte davon, ich wollte mich aufraffen und konnte nicht, näher kam es, schrecklich näher, jetzt faßte es meine Hand, — zwickte sie, mein Blut stockte, noch einmal gellte in mein Ohr der Ruf: »Eure Elephantenlans!« Da —- erwachte ich-.
»Hä schluf ju gar well feste! [ Er schlief ja gar wild (sehr) fest.]« sprach die Stimme eines alten Bauernweibes, das mich an der Hand wach gerüttelt. »Eine Elephantenlaus!«
Ich fuhr auf, starrte das Weib an , fühlte an meinen Kopf, rieb mir die Augen. Ja, ich hatte geschlafen , geträumt, häßlich geträumt. Ich war noch in der Apotheke, war noch bei dem guten Prinzipal, und den guten Käsen, niemals hatte ich mit einer englisch-afrikanischen Gesellschaft zu tun, nie mit ihren Agenten. Myn Heer Duyvel war mir eine unbekannte Größe.
Eilig und schweigend klomm ich die Leiter hinauf, holte die Büchse mit der Aufschrift Anacakdia herunter, und gab der Frau ihre Elephantenlaus, (welches die kleine nierenförmige Nuß des Anacardium orientale ist, die in gewissen Gegenden der Aberglaube den Kindern anhängt, ihnen das Zahnen zu erleichtern, oder auch gegen Zahnschmerz braucht, und die, jenen seltsamen Namen führt), sodann trat ich eben so schweigend zu meiner Defekttafel, las, was ich zu arbeiten habe, und wog, immer noch an den wunderlichen Traum und Maravi denkend, nach der Pharmacopoea borussica die Stoffe zum Emplastrum Lythargyrii compositum zusammen.
Ein Nachtstück aus dem Künstlerleben;
Im Hause des wackeren Bildhauermeisters Sebaldus war Freude die Fülle. Der einzige Sohn, die Hoffnung des Vater-, die Wonne des Mutterherzens war zurückgekehrt aus Italien, wohin er vor drei Jahren gereist war, sich in seiner Kunst, der Malerei, auszubilden, und lag jetzt, schöner, gereifter, ein herrlicher Jüngling, am Herzen der treuen Eltern, der liebevollen Geschwister. Bald durchlief die frohe Kunde seiner Ankunft das kleine Städtchen, und die Freunde, die Verwandten eilten herbei, den jungen Künstler willkommen zu heißen, dessen blühende Wangen die südliche Sonne gebräunt hatte; die Bilder zu sehen, die er mitgebracht, den Erzählungen zu lauschen, auf deren Mitteilung Alle gespannt waren, denn es war in den Augen der Bewohner des kleinen Städtleins etwas gar Großes, in Italien gewesen zu sein, wo die Sonne der Kunst feuriger glüht, wie in dem kälteren Nordland, und es war zum ersten mal, daß ein Einheimischer sich mit solcher Liebe der Kunst geweiht, daß sie ihn fortzog, wie an einem Zauberbande, nach ihren Tempeln, wie nach ihrer Wiege. Und wie nun der junge Sebaldus von Zeit zu Zeit schöne Bilder sandte, so schön, wie niemals ein Maler in Niederheim, so wollen wir sein Heimatstädtchen nennen, zu Stande gebracht hatte, wie Briefe von berühmten Meistern, seinen Lehrern und Freunden, an den alten Bildhauer einliefen, die meldeten, wie treu der Kunst sein Sohn sei, und wie fleißig, und wie alles, was sein Pinsel schaffe, den Stempel des inneren Genius an sich trage, Briefe, die der alte wackere Mann natürlich seinen lieben Freunden mitteilen mußte, da wurden die Freunde und auch andere Mitbürger nicht wenig stolz auf den jungen Landsmann in Rom, denn das Lob, das aus der Meister Munde geht, ist gleich einer güldenen Ehrenkette, und ziert einen Jüngling köstlicher, denn ein Prunkgewand. Jene Freunde aber und Mitbürger des Sebaldus vermeinten, wenn der junge Maler nun wieder komme, werde er noch stolzer auf seine Kunst sein, wie die Freunde auf ihn, und er werde sich nicht mehr wohlgefallen in dem kleinen und armen Niederheim, das ihm so wenig bieten könne, weder für die Kunst, noch für das Leben. Daran hatten aber dem jungen Sebaldus die Freunde Unrecht getan, wie sie bald, und mit inniger Freude wahrnahmen. Er war hinausgezogen mit frischem, keckem Jünglingsmut, in Jahren, wo so leicht der Mut zum Übermut wird; er hatte viel geträumt von fremder Pracht und Herrlichkeit, und hatte ein Eldorado geglaubt in der Fremde; aber in der Fremde war ihm die Heimat lieb und teuer geworden, wie ein Mutterherz, und er hatte ihrer oft gedacht vor seiner Staffelei, oft auch ihr stille Grüße gesandt über die Alpen. Und er hatte in der Fremde die Kunst gefunden und sie brünstig lieb gewonnen, und sie treu und redlich geübt. Geliebt und geübt