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Unter dem Titel “Neues Deutsches Märchenbuch” findet sich eine Sammlung von Märchen und Sagen aus deutschen Landen, zusammengestellt vom Schriftsteller Ludwig Bechstein (1801-1860). Bechsteins patriotische Lyrik und seine historischen Erzählungen und Romane, wie z. B. “Der Dunkelgraf”, sind heute kaum noch bekannt. Geblieben sind seine Märchensammlungen, wie die hier vorliegende Ausgabe. Mit dem Ziel, erzieherisch zu wirken, veränderte er oft die überlieferten Geschichten. Seine Sammlung von Volksdichtung war auch als Beitrag zur Förderung der deutschen nationalen Einheit gedacht. Bechstein sammelte auch Sagen. Sein umfangreiches “Deutsches Sagenbuch” (1853) wurde zwar nicht so populär wie seine Märchensammlungen, wird aber bis heute als Kompendium der deutschen Sagen genutzt. Der Umfang des Buches entspricht ca. 200 Druckseiten.
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Seitenzahl: 423
DAS NEUE DEUTSCHE MÄRCHENBUCH wurde zuerst veröffentlicht im Jahr 1856.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2021
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-96130-390-8
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
NEUES DEUTSCHES MÄRCHENBUCH
Impressum
Vorwort
Quellenangaben
Aschenpüster mit der Wünschelgerte
Das Natterkrönlein
Das klagende Lied
Schneider Hänschen und die wissenden Tiere
Sonnenkringel
Der starke Gottlieb
Gevatterin Kröte
Seelenlos
Der undankbare Sohn
Das Hellerlein
Der schwarze Graf
Vom Büblein, das sich nicht waschen wollte
Das winzige, winzige Männlein
Die schlimme Nachtwache
Der gastliche Kalbskopf
Die scharfe Schere
Das tapfere Bettelmännlein
Zwergenmützchen
Der Wandergeselle
Marien-Ritter
Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte
Die drei Wünsche
Die Kuhhirten
Das Unentbehrlichste
Der Fischkönig
Die Schlange mit dem goldnen Schlüssel
Die goldene Schäferei
Die verwünschte Stadt
Schab den Rüssel
Der redende Esel
Der fromme Ritter
Der wandernde Stab
Die Wünschdinger
Das blaue Flämmchen
Undank ist der Welt Lohn
Der fette Lollus und der magere Lollus
Die Adler und die Raben
Vom Hasen und dem Elefantenkönige
Von einem Hasen und einem Vogel
Von einem Einsiedel und drei Gaunern
Der listige Rabe
Der Dieb und der Teufel
Die verwandelte Maus
Der Raben Arglist und Rache
Die beiden Brüder
Schlange Hausfreund
Die Schlangenamme
Klare-Mond
Siebenhaut
Das Dukaten-Angele
Eine kleine Bitte
Buchtipps für dich
Kostenlose eBooks
A p e B o o k C l a s s i c s
N e w s l e t t e r
F l a t r a t e
F o l l o w
A p e C l u b
L i n k s
Zu guter Letzt
Der deutschen Jugendwelt übergebe ich ein neues Märchenbuch, neu nach der Auswahl der Stoffe, neu und völlig selbständig in der Behandlung.
Über den endlich festgestellten Begriff des Wortes Märchen habe ich schon öfter Anlaß gehabt, mich zu äußern, so in den Vorreden zur ersten und zur zwölften (ersten illustrierten) Ausgabe meines Deutschen Märchenbuches,Leipzig, bei Georg Wigand, 1844 und 1853 – in der Abhandlung »Das Märchen und seine Behandlung in Deutschland«, in der Zeitschrift Germania, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nation Leipzig, Avenarius und Mendelssohn, 1852, Band 2, Lieferung 5, und endlich in meinem Buche »Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes«. Leipzig, T.O. Weigel, 1854. 3 Teile. Seitdem habe ich dennoch fortwährend über die Form und die Natur des eigentlichen Märchens weiter nachgedacht, und habe gefunden, daß ein großer Teil der Märchen, selbst in den besten Sammlungen, keineMärchen, sondern häufig nur Fabeln, Anekdoten, oder kleine Erzählungen (Novellen) sind. Das eigenste Element des Märchens ist das Wunderbare, wo dieses fehlt, ist ein wenn noch so gut erzählter und dichterisch bearbeiteter Stoff kein Märchen. Es muß im Märchen etwas geschehen, das im gewöhnlichen Leben nicht geschieht, z.B. daß Tiere reden,daß Menschen und Tiere sich verwandeln oder verwandelt werden, daß Verstorbene wieder erscheinen, daß mythische Wesen oder auch Gespenster, Tode usw. in den Kreis der Handelnden treten, daß der Teufel eine Rolle spielt, daß die Begabungen mit ungeheurer Kraft, mit Unsichtbarkeit und allem, was in das Gebiet der Wunschdinge gehört, vorkommen. Das Märchen leiht gerne vom heidnischen Mythus seinen Schmuck; bisweilen auch vom christlichen, und im letzteren Falle gewinnt es dann legendenartige Färbung, ohne deshalb selbst Legende zu werden.
Hauptsache ist beim Märchen, mindestens nach meiner Ansicht: daß es jede Namhaftmachung einer bestimmten geographischen Örtlichkeit vermeide, es wäre denn eine ganz allgemeine, wie Indien, Welschland, oder eine erdichtete, nicht vorhandene; denn durch diese oder durch Namennennung einer bekannten Persönlichkeit tritt es alsbald in das Gebiet der Sage über. Auch die Sage verwebt sich oft sehr innig mit dem Elemente des Wunderbaren und mit dem Mythus, aber das ist eben der Hauptunterschied zwischen ihr und dem Märchen, daß sie diese Elemente auch missen kann, die Örtlichkeit aber kann die Sage kaum missen. Nennt aber das Märchen, wie deren viele tun, Jesus, Maria und einzelne Apostel, so wird es dadurch nicht zur Sage, denn wenn das Märchen sich dieser Personen aneignend bedient, so benutzt es nur Züge aus dem christlichen Mythus, womit jedoch keineswegs gesagt sein soll, die heiligen Überlieferungen des Christentums seien Mythen. Vielmehr sind diese vom Märchen benutzten Züge aus dem deutschen Volkstum hervorgegangen, und wurden in aller kindlichen Unschuld erzählt, wie anderseits in altüberkommenen magischen Formeln gegen Krankheiten deren hunderte beginnen: Jesus und Maria, oder Jesus und Sankt Petrus, u.a. gingen einmal miteinander in einen Garten, und dergl.
Ich habe indes aus guten Gründen weder in mein erstes Märchenbuch, noch in dieses zweite einen der letzterwähnten mehr parabelartigen Stoffe aufgenommen, ebenso in dieses neue keinen einzigen Stoff der in meiner früheren Sammlung enthaltenen, und endlich verzichtete ich jetzt auf eine nur zu häufig begegnende Richtung im Kindermärchen: auf böse Stiefmütter, und zwar aus einem vielleicht beachtungs-und empfehlenswerten ethischen Grunde. Nichts lesen Kinder lieber als Märchen, und unter den vielen tausend Kindern, in deren Hände alljährlich Märchenbücher gelangen, sind gewiß sehr viele sogenannte Stiefkinder. Fühlt nun ein solches Kind, nachdem es eine Menge Märchen gelesen hat, darin böse Stiefmütter auftreten (die Stiefmütter der Märchen sind durchgängig alle böse), sich irgend von der eigenen Stiefmutter – einerlei, ob verdienter oder unverdienter Weise – verletzt und gekränkt, so setzt sich in der jungen Seele durch Vergleiche die Abneigung gegen seine Pflegerin fest, und diese Abneigung kann so mächtig wachsen, daß sie den Frieden und das Glück der Familie trübt, und die Herzen lebenslänglich einander entfremdet. Es wird also gut sein, dergleichen Ideen durch Märchen nicht zu wecken und zu nähren.
Kein einziges der vorliegenden Märchen habe ich selbst erfunden; ich entnahm die Stoffe teils mündlicher Überlieferung, teils Schriftquellen, bearbeitete sie aber alle selbstständig. Jeder Märchenstoff bedingt seinen eigenen Erzählungston, der bisweilen ernst und traurig, selbst schaurig und erschütternd sein muß, bisweilen heiter, humoristisch, ja ausgelassen lustig werden darf. Dies gut zu treffen ist Sache des Erzählers, des Dichters. Man begegnet auch in den besseren Quellensammlungen nicht selten trefflichen Märchenstoffen, die jedoch matt erzählt sind, und denen es zuletzt noch obendrein an einem rechten Schluß und Ende gebricht. Der innigen Verwandtschaft zu- und miteinander begegnet man überall; häufig klingt ein Märchen aus dem andern heraus, geht eins in das andere über. Das Märchen ist in steter Wandlung begriffen; bald verliert es Einzelzüge oder läßt sie fallen, bald nimmt es neue an, wie auch Ton und Farbe charakteristischer Heimat; so z.B. klingen in echten Volksmärchen Tirols eine Menge derer wieder, die in der Sammlung der »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm stehen, aber sie sind dort selbstständig und tragen den nationalen Typus des Landes zur Schau, dem sie angehören.
Ich nenne im nachfolgenden meine Quellen, denen ich die Stoffe dieser Sammlung entnahm, und will auch in Kürze die Verwandtschaft zu andern nachweisen, wo sie lebhaft hervortritt.
1. Aschenpüster mit der Wünschelgerte. »Jahrbücher des Vereins für Meklenburgische Geschichts- und Alterthumskunde. Herausgegeben von G.C.F. Lisch.« 5. Jahrgang 1840. Man könnte glauben, dieses Märchen deute nach der bekannten Aschenbrödel hin, es ist dies aber kaum mit einem Zuge der Fall, eher könnte der Eingang entfernt an das »Nußzweiglein« denken lassen.
2. Das Natterkrönlein. Aus bekannter überall lebender Volkssage vom Otterkönig hervor gegangen, hier mit Benutzung von Ignaz und Josef Zingerle: »Kinder- und Hausmärchenaus Süddeutschland.« Innsbruck und Regensburg 1852 und 1854. II. S. 106. »Die Krönlnatter«. Dort ohne rechten Schluß. Ich habe es erweitert und abzurunden gesucht.
3. Das klagende Lied.Nach Th. Haupts »Zeitschrift für deutsches Alterthum.« III. S. 35. Dieses schaurige Märchen hat Verwandtschaft mit dem: »Der singende Knochen«, bei Grimm: K.u.H.M. 28. und zum »Machandelbaum«, ist aber dennoch völlig selbstständig.
4. Schneider Hänschen und die wissenden Tiere. Nach J.W. Wolf: »Deutsche Märchen und Sagen«, Leipzig 1845, Nr. 4. Das verratene Geheimniß. Erinnert an K.u.H.M. 107, Die Krähen, ist aber durchdachter und abgerundeter wiedergegeben.
5. Sonnenkringel. Vielfach mündlich umgehend; bei Grimm, K.u.H.M. 115. »Die klare Sonne bringt's an den Tag.« Verwandt in seiner ethischen Beziehung mit »Das Rebhuhn« in meinem D.M.B.
6. Der starke Gottlieb. Nach mündlicher Überlieferung aus dem obern Saaltale – begegnet in mannigfaltiger Veränderung, es ist der Zug des Sieges der Roheit und der ungeschlachten Kraft gegen die Verfeinerung, aber auch des Natursinnes gegen Ränke, Falschheit und Arglist.
7. Gevatterin Kröte. Mündlich im Vogtlande; dort mit örtlichem Anklang, halb Sagen- halb Märchenstoff.
8. Seelenlos. Keineswegs, wie der Titel vermuten lassen könnte: »Der Mann ohne Herz«. Nach J.W. Wolf, a.a.O. No. 20 »Ohneseele«; verwandt im Eingange mit dessen 23. »Die dankbaren Tiere«. Ich dichtete es völlig um.
9. Der undankbare Sohn. Aus gleicher Quelle, 35. »Die Schlange am Halse«. Wolfs Schluß ist matt, ich gab ihm Rundung und Vollendung.
10. Das Hellerlein. Volksmündlich; in Thüringen und Hessen. Bei Grimm: »Der gestohlene Heller«. Wie der ethische Zug der Reue,der durch dieses Märchen klingt, verbreitet ist, zeigt eine Sage aus Vachdorf im Werratale. Dort nahm ein Bauer heimlich aus dem Klingelbeutel einen Dreier, nahm sich aber diese Tat dann so zu Herzen, daß er schwermütig wurde, nur immer seufzte und nichts weiter sprach als: »Ach das Dreierlein! Ach das Dreierlein!« bis er sich aus Melancholie in einen Brunnen stürzte.
11. Der schwarze Graf. Aus den oben angeführten Meklenburg. Jahrbüchern a.a.O. Steht selbstständig und eigentümlich als echtes Schauermärchen da.
12. Vom Büblein, das sich nicht waschen wollte. Findet sich auch bei den Br. Zingerle, am oben a.O. 1. S. 41. 7. »Der höllische Thorwartl«. Dort völlig ohne Pointe. Ähnelt dem M. bei Grimm, K.M. 100. »Des Teufels rußiger Bruder«, welches aber mehr ausgesponnen ist.
13. Das winzige, winzige Männlein. Nach mündlicher Mitteilung aus dem Saaltale. Die gemeinsame Wanderschaft von Dreien begegnet häufig in den Märchen, ebenso ist ein wahres Element derselben das einsame Waldhäuschen, nicht minder der fast unvermeidliche Menschenfresser. Vergleiche Wolf, a.a.O. 13. Trotz dem Vorhandensein aller dieser Züge ist dieses Märchen dennoch selbstständig.
14. Die schlimme Nachtwache. Bei Br. Zingerle II. 350. »Die schlimme Wirtin«.
15. Der gastliche Kalbskopf. Nach d. Meklburg. Jahrb. a.a.O. wo es aber keinen rechten Schluß hat.
16. Die scharfe Schere. Volksmündlich in Franken, und zwar mit lokaler Färbung; es ist dieser Sagenstoff aber so echt märchenhaft, daß ich denselben gern in die vorliegende Form umdichtete.
17. Das tapfere Bettelmännlein. Bei d. Br. Zingerle, II. 2. Scheint Nachhall des »tapfern Schneiderlein«, ist aber völlig umgebildet und der Tiroler Bergnatur angepaßt. Ich habe in meiner Niederschrift ihm volle Selbstständigkeit zu geben versucht.
18. Zwergenmützchen. Bei Wolf a.a.O. 13. »Der Zwergenberg«. Die unsichtbar machende Tarnkappe der Zwerge begegnet häufig, sowohl in Märchen, als auch in Sagen. Bei Wolf ist der Stoff etwas dürftig, ohne Not töten die Zwerge zwei der Brüder, und der Schluß fehlt völlig; von der Tochter des Müllers, die doch am Eingange ihres Vaters Augapfel genannt wird, ist gar nicht wieder die Rede. Ich habe das Märchen erweitert und ihm einen passenden Schluß gegeben.
19. Der Wandergeselle. Mündlich aus dem Saaltale. Es hat Verwandtschaft mit »Die drei Hunde« in meinem D.M.B. und mit andern, doch ist der Zug mit der zu erlösenden Königstochter ganz verändert, die Namen der Hunde sind andere, und der Stoff ist offenbar ursprünglich, ja man könnte dieses Märchen ein Doppelmärchen nennen. Auch ein Zug vom »Schmied von Jüterbogk« findet sich darin vor. Wenn jemand Lust hat, zu tadeln, daß ich den Schluß launig hielt und in etwas ihn modernisierte, mag er's tun. Kein Märchen ist an eine bestimmte Zeit gebunden, es kann in ältester, wie in neuester Zeit spielen, je nach des Dichters Belieben, nur muß, so weit dies möglich, der Ton der Erzählung ein der gewählten Zeit angepaßter sein.
20. Marien-Ritter. Nach v. der Hagen: Gesammtabenteuer. Stuttgart und Tübingen. 1850. III. 74. Mittelhochdeutsches Gedicht von legendenhafter Färbung, das ich in Prosa umwandelte.
21. Vom Knaben der das Hexen lernen wollte. Aus den Meklenb. Jahrb. a.a.O. Es hat viel Eigentümliches, doch erinnern die Züge der mannigfachen Verwandlung an mehr als ein verwandtes Märchen.
22. Die drei Wünsche. Verwandt mit einem mittelhochdeutschen Gedichte in den bei 20. angeführten Gesamtabenteuern; II. 37. geht aber auch volksmündlich in Thüringen und Hessen um. Bei Grimm K.u.H.M. ist es 87. »Der Arme und der Reiche«, dort sind der Armen zwei, Mann und Frau. Ich habe in meine Darstellung die Züge des mittelhochdeutschen Gedichtes eingewebt, und dem ganzen selbstständige Behandlung angedeihen lassen.
23. Die Kuhhirten. Nach den Meklenb. Vereins- Jahrb. a.a.O. Auch bei Grimm: K.M. 173. »Rohrdommel und Wiedehopf«. Dort sehr kurz.
24. Das Unentbehrlichste. Bei d. Br. Zingerle a.a.O. Th. I. 31. »Notwendigkeit des Salzes«. Man tut nicht wohl, das, was das Geheimnis eines Rätsels ist, seine Lösung, dem Leser gleich als Titelüberschrift vorzusetzen. Ich habe gesucht, dem Märchen mehr dramatisches Leben zu geben, als die Erzähler meiner Quelle getan.
25. Der Fischkönig.Jahrb. d. Meklenb. Vereins, a.a.O. bei Grimm: K.M. 172. »Die Scholle«. An beiden Orten fast allzukurz.
26. Die Schlange mit dem goldenen Schlüssel. Vielfach abgewandelt im Volksmunde, wie in Büchern.
27. Die goldene Schäferei. Volksmündlich im Orlagau, und zwar dort mit örtlichem Anklang. Es ist aber offenbar mehr romantisches Märchen, als Sage. W. Börnerteilt es zuerst, aber sehr ausgeschmückt mit in seinen »Volkssagen aus dem Orlagau etc.« Altenburg, 1838, und da mir daran lag, zu erfahren, was er hinzugedichtet, so fragte ich brieflich deshalb bei ihm an, und er schrieb mir: »In der Sage von der goldenen Schäferei ist alles Volksüberlieferung bis auf die Ausschmückung des Heimchenreiches und die vorkommenden Zwiegespräche. Sie können die Sage noch allenthalben in der Umgegend erzählen hören.« Ich mußte bei meiner Umdichtung der Sage in ein Märchen die vielen örtlichen Beziehungen hinweglassen, und tat dies um so lieber, als mir manche äußerst zweifelhaft erschienen.
28. Die verwünschte Stadt. Eigentlich Alpensage aus der Nähe des Matterhorns; aber angehaucht vom Zauber der Märchenpoesie. In meinem Deutschen Sagenbuche Nr. 18. Hier von mir erweitert und in düsterer Färbung gehalten.
29. Schab den Rüssel. Der Name eines Hauses in Wien, daher dort volksmündlich; Andeutung des märchenhaften Elementes in: Emil: »Romantisch historische Skizzen aus Österreichs Vorwelt«, Wien, 1837, aber dort äußerst dürftig, matt und ohne Spitze.
30. Der redende Esel. Ein Rübezalmärchen, dem alten Buche: »Der etc. Schlesische Rübezahl«etc., Breslau und Leipzig, 1728, entnommen. Ich habe es ein wenig erweitert, dramatischer gehalten, und die örtliche Beziehung zugleich mit dem Namen des Berggeistes hinweg gelassen.
31. Der fromme Ritter. Volksmündlich, begegnet auch als Lokalsage. Ich behandelte den Stoff schon früher als Romanze, in m. Gedichten, Frankfurt, Sauerländer 1836, unter gleicher Überschrift.
32. Der wandernde Stab. Diesen echten ernsten Märchenstoff fand ich in einer Nummer des Morgenblattes 1856, als Schleswig Holsteinische örtliche Sage nebst Bruchstücken eines Volksliedes, aber ohne die Beziehung auf Ahasver, die ich hinzu tat, um dem Stoffe mehr Gewicht und Haltung zu geben.
33. Die Wünschdinge. Nach Wolf a.a.O. 26. »Von vier Wunschdingen«. Der Wunsch und das Wünschelwesen sind geheimnisvolle Elemente in vielen Märchen, ich möchte sagen: mythische Elemente, da Wuotan selbst Wunsch heißt. Das Wünschtüchlein erinnert an das Märchen von »Rolands Knappen«, an das Märchen vom »Tischgen decke Dich«, und dergleichen. Ich habe versucht, einigen Humor einzuweben, zu welcher Behandlung der Stoff sich ungesucht bot, den Wolf etwas sehr trocken gibt.
34. Das blaue Flämmchen. Nach J.W. Wolf: »Hessische Sagen«. Göttingen, 1843. Nr. 145. »Erlöste Seele«. Hat keine Verwandtschaft mit dem Grimmschen K.M. 116. »Das blaue Licht«.
35. Undank ist der Welt Lohn. Mündlich, aus dem obern Saaltale. Dasselbe Märchenelement, was in dem K.M. 27. »Die Bremer Stadtmusikanten« enthalten ist, nur daß dort der Hauptträger des meinigen, der Bäckergeselle fehlt, und die Füchse Räuber sind.
36. Der fette Lollus und der magere Lollus. Diesen echten und ganz eigentümlichen Märchenstoff entnahm ich Wolfs Hessischen Sagen. 229. Lollus. Dieser Lollus dürfte kaum Bezug zu dem angeblichen Gotte der Franken gleichen Namens haben, wie der Verfasser, indem er in den Anmerkungen auf meinen »fränkischen Sagenschatz« hinweist, zu vermuten scheint.
37. Die Adler und die Raben.
38. Vom Hasen und dem Elefantenkönige.
39. Von einem Hasen und einem Vogel.
40. Von einem Einsiedel und drei Gaunern.
41. Der listige Rabe.
42. Der Dieb und der Teufel.
43. Die verwandelte Maus.
44. Der Raben Arglist und Rache.
bilden zusammen eine Tiermärchenkette, wie ich deren in meinem oben erwähnten deutschen Märchenbuche auch einige gegeben habe. Die Quelle ist das alte treffliche Buch: »Der alten Weisen Exempel« etc. das hervorgegangen ist aus indischen Überlieferungen, und seit undenklichen Zeiten seine reiche Stoffülle der späteren Benutzung darbot. Der ursprüngliche Verfasser soll ein Bramine, des Namens Sindbad oder Sendabar gewesen sein.
Ich habe mit Beibehaltung der Eigentümlichkeit der alten deutschen Bearbeitung, die so schlicht und einfach und allverständlich ist, und mit Hinweglassung einiger für Kinder nicht passenden Erzählungen sehr wenig abgeändert, nur hier und da gekürzt und den Stil ein wenig geglättet.
45. Die beiden Brüder. Nach mündlicher Überlieferung im Saaltale. An die Stelle des Wunderbaren, welches in diesem Märchen eigentlich unvertreten ist, tritt die Großartigkeit der Dummheit, mit ihrer komischen Wirkung. Dummheit, in das phantastische Gebiet über getrieben, vermag völlig überraschend und wunderbar zu wirken.
46. Schlange Hausfreund. Mündlich umgehend, doch auch in Büchern begegnend; als örtliche Sage in Lauingen heimisch, s.m. Deutsches Sagenbuch, 961. »Die Schlange als Gast«. Ich entnahm der Sage den rein märchenhaften Zug, daß die Schlange mit der Katze Freundschaft schließt, wodurch sich die folgenden Märchen verbinden ließen.
47. Die Schlangen-Amme. Mündlich und auch in Büchern. Von mir unter gleichem Titel als Gedicht bearbeitet. (Gedichte. 1836. S. 180 u.f. In Schwaben begegnet derselbe Stoff als Lokalsage. D.S.B. 942). Er ist aber so völlig märchenhaft, daß ich ihn gern in den Kreis dieser Märchen gezogen habe.
48. Klare-Mond. Nach einigen Motiven in J.W. Wolfs D.S.u.M. darin Hexensagen mit Vorliebe behandelt sind; es wurden Züge von 151, »Die Katzenlinde« und von 154, »Klaren Mondschein trinken«, miteinander verbunden. Der Schluß erinnert an »Des Bischofs Katze«. D.S.B. 421.
49. Siebenhaut. Nach einem Tiroler Märchen, das die Brüder Zingerle mündlich in Absamhörten. (Kin der- und Hausmärchen aus Süddeutschland. 2. Sammlung. S. 173.) »Die Schlange«. Ich habe es in etwas gekürzt, und die Verwandlungsszenen lebendiger gehalten. Der letzte Zug erinnert unter andern an »Das blaue Flämmchen«, Nr. 34 dieser Sammlung. Die Märchen 46 bis 49 habe ich zu einer kleinen Kette verbunden.
50. Das Dukaten-Angele. Mündlich im Saaltale, völlig originell, und echtes Kindermärchen; ich habe nur einige allzudrastische derbvolkstümliche Züge tilgen oder mildern müssen, dafür andere erweitert, und es völlig zu meinem Eigentum gemacht, auch die Namen gab ich dazu. Das Angele deutet nach den Wunschdingen, wie der Heckepfennig, das Galgenmännlein u. dgl. aber ohne grausigen dämonischen Beischmack, den das letztere hat.
Das moralische Element, welches unsern deutschen Volks- und Kindermärchen zum größeren Teil innewohnt, will ich hier nicht des breiteren auseinander legen. Verständige Eltern und Erzieher werden dessen auch in dieser Sammlung in Fülle finden. Schon die Weisheit der ältesten Völker hüllte tief eindringliche ethische Lehren in das Gewand des harmlosen Märchens. Ich schließe auch diese Sammlung mit dem Wunsche, daß sie nützend, wie erfreuend wirken möge.
Meiningen, im September 1856.
Ludwig Bechstein
Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine einzige schöne Tochter, welche er über alle Maßen liebte. Seine Frau war gestorben. Die Tochter war außerordentlich schön und was sie nur immer wünschte, das gab ihr der Vater, weil er kein größeres Glück kannte, als sein Mägdlein zu erfreuen, vielleicht auch, weil sie ein Wünschelfräulein war, dem jeder Wunsch ausging. – »Schenke mir ein Kleid Vater, das von Silber steht, ich will dir auch einen Kuß dafür geben!« sprach eines Tages die Tochter zum Vater, und sie empfing bald das Kleid, und der Vater empfing seinen Kuß.
»Schenke mir ein Kleid lieber Vater, das vom Golde steht!« sprach die Tochter bald darauf, »und ich will dir zwei Küsse geben.«
Auch diesen angenehmen Tauschhandel ging der Vater ein.
»Schenke mir ein Kleid, das von Diamanten steht, liebster Vater und ich will dir drei Küsse geben!« bat wiederum die Tochter, und der Vater sagte ihr: »Du sollst es haben, aber du machst mich arm.«
Der Vater schaffte das Kleid, und die Tochter fiel ihm dankend um den Hals, und küßte ihn dreimal, und rief: »Nun, herzgoldener, herzallerliebster Vater, schenke mir eine Glücksrute und Wünschelgerte, so will ich stets dein Goldkind sein, und alles tun, was ich dir an den Augen absehen kann!«
»Mein Kind«, sprach der Vater: »eine solche Gerte habe ich nicht, auch wird sie schwer zu bekommen sein, doch will ich mein Glück versuchen, dich ganz glücklich zu machen.«
Da verreisete der Vater und nahm sein letztes Vermögen mit, und forschte nach einer Wünschelgerte, aber kein Kaufmann hatte dergleichen feil. So kam der Mann weit in ein fernes Land, da fand er von ohngefähr einen alten Zauberer, und hörte, daß dieser eine Wünschelgerte besitze. Diesen Zauberer suchte der nur zu gute Vater auf, und trug ihm sein Anliegen vor, und fragte, was die Gerte kosten solle?
Der alte Zauberer sprach: »Wenn die Menschen Wünschelgerten mit Geldekaufen könnten, so würde es auf Erden bald keinen Wald mehr geben, und wenn auch jedes Bäumelein und jedes Zweigelein eine solche Rute wäre. Der eine solche Gerte empfängt, opfert seine Seele, und stirbt drei Tage nachher, wenn er sie aus der Hand gegeben, es wäre denn, er gäbe sie jemand, der auch seine Seele dafür zu opfern gelobt und bereit ist. Dann geht die Seele des Besitzers frei aus.«
»Gut«, sprach der Vater jener Tochter. »Meinem Kinde zu Liebe scheue ich das verlangte Opfer nicht. Gib mir die Gerte!« – Der alte Zauberer ließ den Mann seinen Namen in ein Buch schreiben, und erfüllte sein Verlangen. Die weite Reise nach der Gerte zehrte den letzten Rest des Vermögens des reichen Mannes auf, der alles an die Tochter gewendet, aber es war ihm einerlei. Sienur durch Erfüllung aller ihrer Wünsche glücklich zu sehen, war sein einziger Wunsch und Gedanke. Es ist gut, dachte er: wenn ich sterbe, denn sie würde doch noch mehr wünschen, und wenn ich ihr nun keinen Wunsch mehr erfüllen könnte, würde ich selbst sehr unglücklich sein.
Mit größter Freude empfing die Tochter aus ihres Vaters Hand, den sie mit Sehnsucht zurückerwartete, die Wünschelgerte, und wußte nicht, wie sie ihm danken sollte.
Aber nach drei Tagen hatte die Tochter einen neuen Wunsch. Sie hatte von einem überaus schönen Prinzen gehört, der in einem fernen Lande wohne, sehr reich und aller Liebe würdig sei. Den wollte sie gern zum Gemahl haben.
Der Vater aber sprach: »Meine geliebte Tochter, ich gab dir alles, was ich besitze, und für deine Wünschelgerte gab ich Leib und Leben, ja meine Seele dahin. Ich scheide von dir; schaffe du dir den Prinzen selbst, den du dir wünschest, lebe glücklich und denke mein in Liebe.« Mit diesen Worten neigte der Vater sein Haupt und verschied. Seine Tochter beweinte ihn aufrichtig und schmerzlich, und sprach: einen bessern Vater hat es nie gegeben! – Und darin hatte sie sehr recht.
Als nun der Vater dieser Tochter zur Erde bestattet war, blieben ihr nicht Verwandte, nicht Geld und Gut. Da tat sie ein Alltagskleid an, das war ein Krähenpelz, nahm ihr Silberkleid, ihr Goldkleid und ihr Diamantkleid, und hing alle drei über ihre Schulter, dann nahm sie die Wünschelgerte in die Hand, und schwang sie, und wünschte sich in die Nähe des Schlosses, darin der gerühmte Prinz wohnte. Da war es, als ob ein Wind sie sanft erhebe, und sie schwebte, von der Luft getragen, eilend zur Ferne, und war bald in einem Parkwalde, in dessen Nähe sie das Prinzenschloß durch die dicken Eichbaumstämme schimmern sah. Sie schlug mit der Gerte an die dickste dieser Eichen, und wünschte, daß da drinnen ein Schrein wäre, in dem sie ihre Kleider aufhängen könne, und ein Stübchen, sich darin umzukleiden, und das geschah auch gleich alles. Sie verstellte nun ihre Gestalt in die eines Knaben, und trat, mit dem Krähenpelze angetan, in das Prinzenschloß. Der Geruch feiner Speisen führte sie der Küche zu; dort bot sie dem Koch ihre Dienste an, als ein eltern- und heimatloser Knabe.
»Wohlan«, sprach der Koch: »du sollst mein Aschenpüster werden, sollst früh die Feuer anschüren, und am Tage unterhalten, und sorgen, daß keine Asche umher falle, dafür sollst du dich alle Tage satt essen. Mußt aber auch des gnädigsten Herrn Prinzen Röcke ausbürsten und seine Stiefeln putzen und glänzend machen. – Das Mädchen wartete als Knabe ihres Amtes, und sahe nach einigen Tagen den Prinzen, der von der Jagd kam, dem Küchengang entlang schritt, und einen Vogel, den er geschossen, in die Küche warf, damit derselbe gebraten werde. Der Prinz war so schön und herrlich von Gestalt und Ansehen, daß Aschenpüster alsbald eine heftige Liebe zu ihm fühlte. Gar zu gerne wäre sie ihm genaht, doch wollte sich das nicht schicken. Da hörte sie, drüben auf einem Nachbarschlosse werde eine fürstliche Hochzeit gehalten, die daure drei Tage lang, und da sei der Prinz der vornehmste Gast, und fahre täglich hinüber zum Tanze. Alles Volk und wer vom Schloßgesinde nur immer konnte, lief hinüber, die Pracht der Festlichkeiten mit anzusehen. Da bat Aschenpüster den Koch, ihr doch auch zu erlauben, hinüber zu gehen, und dem Tanze zuzusehen, denn die Küche sei in Ordnung, jedes Feuer gelöscht, jedes Fünklein tot, und die Asche wohl verwahrt. Der Koch erlaubte seinem Diener, sich das erbetene Vergnügen zu gewähren. Aschenpüster eilte nach ihrer Eiche, kleidete sich in das silberne Kleid, und verwandelte ihre Knabengestalt in die eigene, dann schlug sie an einen Stein mit ihrer Wünschelgerte, da wurde ein Galawagen daraus, und rührte an ein Paar Roßkäfer, daraus wurden stattliche pechschwarze Rosse, und ein Grasfrosch wurde zum Kutscher und ein grüner Laubfrosch zum Livreejäger. In den Wagen setzte sich Aschenpüster, und heidi, ging es fort, als flögen wir davon. In den Tanzsaal trat die stattliche Jungfrau, und von ihrer Schönheit war alles geblendet. Der Prinz gewann sie gleich lieb, und zog sie zum Tanze auf; sie tanzte entzückend, und war sehr glücklich, aber nach einigen Reigen schwand sie aus dem Saale, bestieg ihren draußen harrenden Wagen, schwang ihre Gerte, und rief:
»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«
Es sah es auch niemand, wohin sie fuhr, aber der Prinz war über das schnelle Verschwinden seiner schönen Tänzerin sehr unruhig, und da auf alle seine Fragen, wer sie gewesen, und woher sie sei? niemand Auskunft geben konnte, so verbrachte er die Nacht in großer Unruhe, die sich am Morgen in einen schrecklichen Mißmut und in die üble Stimmung verwandelte, von der selbst Prinzen bisweilen befallen werden können.
Der Koch brachte des Prinzen Stiefeln in die Küche, und klagte über dessen Mißlaune, indem er die Stiefeln Aschenpüster zum Putzen und Wichsen übergab. Sie übernahm diese Arbeit, und wichste die Stiefeln so schön, daß der Kater sich mit Wohlgefallen darin spiegelte, und seinem Ich im Spiegel einen Kuß gab; davon verschwand an der Stelle, wo der Kater sich geküßt, der Glanz.
Als Aschenpüster nun in ihrer Knabengestalt und im Krähenpelze in des Prinzen Zimmer trat, und die Stiefeln hineinstellte, sah der Prinz gleich den matten Fleck, nahm den Stiefel, warf ihn ihr an den Kopf, und schrie: »Du Bengel von Aschenpüster! Wirst du wohl besser Stiefeln putzen lernen?!« –
Aschenpüster hob den Stiefel auf, und machte ihn wieder durchweg glänzend und schwieg.
Abends fuhr der Prinz abermals zum Tanze, und Aschenpüster erbat noch einmal Urlaub. Da Aschenpüster am vorigen Abende bald wieder gekommen, und nicht über die Zeit ausgeblieben war, wie manches Dienstgesinde gerne tut, so gewährte der Koch wiederum die Bitte – und nun ging Aschenpüster zu ihrem Schrein und Kämmerlein in der Eiche, und tat das goldene Kleid an, schuf sich mit der Wünschelgerte einen neuen Wagen, neue Rosse, neue Bedienung, und fuhr zum Schlosse hinüber. Dort war bereits der Prinz, aber verstimmt. Alles fehlte, weil siefehlte. Da trat sie ein, strahlend wie eine Königin. Er eilte auf sie zu, und führte sie zum Tanze. O wie glücklich machte ihn ihr holdes Lächeln, ihr sinniges Gespräch, ihre heitere schelmische Neckelust! Viel hatte er heute zu fragen, unter andern, wo sie her sei? Lachend antwortete Aschenpüster: »Aus Stiefelschmeiß!«
Eine kurze Stunde weilte Aschenpüster beim Tanze – mit einem Male war sie aus dem Saale verschwunden, rasch saß sie wieder in ihrem Wagen, und sprach ihr Zauberwort:
»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«
Des Prinzen Blick suchte vergebens die geliebte Gestalt. Nach ihr fragend, wandte er sich an diesen und jenen der Hochzeitgäste, niemand kannte sie. Er fragte seinen Geheimen Rat, der mit ihm als sein Begleiter gekommen war: »Sagen Sie mir doch, mein lieber Geheimerat, wo liegt der Ort oder das Schloß Stiefelschmeiß?« –
Der Geheimerat machte eine tiefe Verbeugung, und antwortete: »Durchlauchtigster Prinz! Höchstdieselben geruhen? Stiefelschmeiß – o ja, das liegt – das liegt – in – in – fatal, nun fällt es mir im Augenblicke nicht ein, wo es liegt. Sollte es wirklich einen Ort oder ein Schloß dieses seltsamen Namens geben? Wo sollte selbiges liegen, Eure Durchlaucht?«
Der Prinz drehte dem Sprecher den Rücken zu und murmelte ärgerlich durch die Zähne: »Ich lasse diesem Geheimerat jährlich dreitausend Taler Gehalt auszahlen, und nun weiß er nicht einmal, wo Stiefelschmeiß liegt! – Es ist schauderhaft!« –
Daraus erklärte sich von selbst, daß, als die Morgenröte des nächsten Tages rosig emporstieg, die Laune des Prinzen dennoch keine rosenfarbene war. Er hatte keine Ruhe, wollte früh schon ausgehen, zog seinen Rock an, den Aschenpüster rein gebürstet hatte, entdeckte darauf einige Stäubchen, rief nach einer Bürste, und stampfte mit dem Fuße. Eilend lief Aschenpüster im Krähenpelze mit der Bürste herbei, der Prinz war aber so schrecklich böse, daß er ihr die Bürste aus der Hand riß, sie ihr an den Kopf warf, und ihr zuschrie, sie solle ein anderesmal gleich besser bürsten.
Am letzten Abende des nachbarlichen Hochzeitfestes lief wieder alles hinüber zum Schlosse, und auch der Prinz fuhr wieder hin. Da bat Aschenpüster zum drittenmal um Erlaubnis, auch zusehen zu dürfen, darüber schüttelte der Koch sehr den Kopf, daß der Junge so neugierig sei, doch dachte er: Jugend hat nicht Tugend, und sagte: »Es ist heute das letztemal, laufe hin!«
Aschenpüster lief geschwinde in den Park in die Eiche, zog das Demantkleid an, zauberte sich wieder Rosse und Wagen, Kutscher und Lakaien, und er schien wie ein lebendiger Schönheitsstrahl beim Feste. Der Prinz tanzte vor allem mit ihr, und nur mit ihr, und fragte sie zärtlich, wie sie denn heiße? Aschenpüster lächelte schelmisch und antwortete: »Cinerosa Bürstankopf.«
Den Vornamen, der auf Rosa ausging, fand der Prinz, zumal er kein Latein verstand, sehr schön, den Zunamen aber befremdlich – er hatte diese gewiß reiche und angesehene Familie noch nie nennen hören, doch sprach der, von Liebe bezwungen, indem er ihr seinen Ring an einen Finger schob: »Wer du auch sein magst, schönste Cinerosa! Mit diesem Ringe verlobe ich mich dir!« – Mit hoher Schamröte auf den Wangen blickte Aschenpüster zur Erde und zitterte. Gleich darauf entfernte sie sich, als der Prinz nur einen Augenblick seine Augen anderswohin wandte. Schnell saß sie im Wagen, aber der Prinz hatte soeben Befehl gegeben, den seinen dicht hinter dem ihren aufzufahren, damit er ihr folgen könne. Aschenpüster schwang ihre Wünschelgerte und sprach:
»Hinter mir dunkel, und vor mir klar,
Daß niemand sehe, wohin ich fahr!«
Und da rollte sie hin – rasch saß jetzt auch der Prinz in seinem Wagen, und rollte ihr nach, aber da war ihr Wagen nicht mehr zu sehen, gleichwohl hörte man dessen Räder rollen, und so folgte der Wagenlenker des Prinzen diesem Schall. Der Tanz hatte diesesmal am längsten gedauert, schon zog der frühe Morgen dämmernd heran; die Stunde war bereits da, in der die Küchenarbeit begann, Aschenpüster zauberte schnell ihren Wagen und ihre Bedienung fort, und hatte nicht Zeit, sich erst umzukleiden, sie verbarg daher eiligst ihr Demantkleid unter dem Krähenpelze und eilte in die Küche. Der Prinz aber, welcher dem Wagen des herrlichen Mädchens nachgefahren war, sah sich mit Verwunderung dicht vor seinem eigenen Schlosse, und wußte nicht, wie ihm geschah, war daher wieder sehr mißmutig und dazu sehr unmustern und übernächtig.
»Unser Prinz ist gar nicht wohl auf!« sagte zu Aschenpüster der Koch. »Er muß ein Kraftsüpplein haben oder eine Chocolade – zünde rasch Feuer an.« – Der Morgenimbiß wurde schnell bereitet, Aschenpüster warf des Prinzen Ring hinein, der Koch trug die Tasse auf. Der Prinz trank und fand am Boden mit Erstaunen seinen Ring und fragte hastig: »Wer war so früh schon in der Küche?«
»Euer Durchlaucht, niemand als ich und der Aschenpüster« – antwortete der Koch.
»Schicke mir diesen Burschen gleich einmal herein!« gebot der Prinz, und als Aschenpüster kam, sah ihn der Prinz ganz scharf an, aber der Krähenpelz verhüllte alle Schönheit.
»Komme her, tritt näher, Aschenpüster!« gebot der Prinz. »Komm, kämme mich, mein Friseur liegt noch in den Federn!«
Aschenpüster gehorchte; sie trat ganz nahe an den Prinzen heran und strählte ihm mit elfenbeinernem Kamme das volle weiche Haar. Der Prinz befühlte den Krähenpelz; derselbe war an einigen Stellen abgetragen, daher etwas mürb und fadenscheinig, und durch die abgeschabten Fäden blitzte es so funkelklar wie Morgentau, das war der Demantglanz des Prachtgewandes, das Aschenpüster noch unter ihrem Krähenpelze trug.
»Jetzt kenne ich dich, o Liebe!« rief voll unaussprechlicher Freude der Prinz. »Jetzt bist du mein, jetzt bin ich dein! Auf ewig!« Und schloß die Braut in die Arme und küßte sie.
Kurz vor der Hochzeit bat die schöne Braut sich von ihrem geliebten Bräutigam noch eine Gnade aus. Der gute Koch, der Aschenpüster so wohlwollend aufgenommen und so freundlich und gütig sie behandelt hatte, empfing von dem Prinzen den Ritterschlag und wurde zum Erbtruchseß erhoben. Das war ihm recht, da brauchte er das Essen nicht mehr zu kochen, wie sonst, sondern konnte es an der fürstlichen Tafel in aller Ruhe selbst mit verzehren helfen, und als die Hochzeit prachtvoll gefeiert wurde, da trug er im vollen Glanze seiner neuen Würde, geschmückt mit Stern und Orden, dem prinzlichen Paare mit eigener Hand die Speisen auf.
Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen; diese nannten die Alten mit mancherlei Namen, als Otterkönig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen, und sie haben gesagt, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück.
Bei einem geizigen Bauer diente eine fromme, mildherzige Magd, und in dessen Kuhstalle wohnte auch eine Krönelnatter, die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte, denn diese Nattern haben die Gabe, schöner zu singen als das beste Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute, was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles, da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war, wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an, und dieser kam es immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben. Und da gewöhnte sie sich, in ein kleines Untertäßchen etwas euterwarme Kuhmilch zu lassen, und dem Schlänglein dieses hinzustellen, und das trank die Milch mit gar großem Wohlbehagen, und drehte und wendete dabei ihr Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein, und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle.
Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr, daß, seit sie dieselbe mit Milch tränkte, ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen zur Welt brachten, worüber sie die größte Freude hatte.
Da traf sich's einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Krönleinnatter ihr Tröpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt, und weil er geizig und happig über alle Maßen war, so begehrte er gleich so wild auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.
»Du miserable nichtsnutze Dirn, die du bist!« schrie der böse Bauer. »So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!«
Die arme Dirne konnte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen, aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte, sondern er schrie und zankte sich mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben: »Aus dem Hause, sag ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst d' dein Bündel, aber gleich! Und machst, daß du aus dem Dorfe fort kommst, und läßt dich nimmer wieder blicken, sonst zeig ich dich an beim Amt, da wirst d' eingesteckt und kriegst den Staubbesen, du Malefiz-Wetterdirn!« –
Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein, und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. Da wurde ihr weh ums Herz, im Stalle blökte ihre Lieblingskuh. – Der Bauer war weiter gegangen; sie trat noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen, denn frommem Gesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen, daher pflegt man auch zu sagen, im ersten Dienstjahre spricht die Magd: meines Herrn Kuh, im zweiten: unsere Kuh, und im dritten und in allen folgenden: meine Kuh.
Und da stand nun die Dirn im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand – und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen.
»Leb wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern.« Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie nie getan, das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte.
Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wußte nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glücke aus, der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude.
Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge Bursche des Dorfes, dem entbrannte gleich in Liebe das Herz zu der Dirne, und er grüßte sie und fragte sie: Wohin sie gehe und warum sie scherze? (aus dem Dienst scheide). Da sie nun ihm ihr Leid klagte, hieß er sie zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, ersende sie. Wie nun die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich zu ihr ein großes Vertrauen und behielt sie im Hause, und als am Abende die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und da deuchte allen, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels, und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt, und gewannen zu der Dirne eine mächtig große Liebe. Und als abgegessen war, und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen hatte, und das Gesinde die Stube verlassen, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne, und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: »Frau Mutter, segnet mich und die – denn die nehm ich mir zur Frau oder keine. Sie hat mir's einmal angetan!«
»Sie hat's uns allen angetan«, antwortete die alte Frau Schulzin. »Sie ist so fromm als sie schön ist, und so demütig als sie makellos ist. In Gottes Namen segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gern zur Schnur.«
So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu.
Mit jenem geizigen Bauern aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben, ging es baldigst den Krebsgang. Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg. Er mußte erst sein Vieh verkaufen, dann seine Äcker, und alles kaufte der reiche Schulzensohn, und seine Frau führte die lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt, in ihren Stall, und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand. Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder. Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte: »Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, so viel du willst, und da hast du auch dein Krönlein wieder, mit tausend Dank, daß du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß.«
Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieb Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.
Es war einmal ein König, der starb und hinterließ seine Frau, die Königin, und zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Die Tochter war aber ein Jahr älter als der Sohn. Und eines Tages stritten die beiden Königskinder miteinander, welches von ihnen beiden König werden sollte, denn der Bruder sagte: »Ich bin ein Prinz, und wenn Prinzen da sind, kommen die Prinzessinnen nicht zur Regierung«; die Tochter aber sprach dagegen: »Ich bin die erstgeborene und älteste, mir gebührt der Vorrang.« Beides, was die Kinder da sagten, sagten sie in aller Unschuld und hatten die Worte nur so aufgeschnappt von dem Hofgesinde, ohne den Sinn so recht eigentlich zu verstehen. Da sie nun über ihren Streit nicht einig wurden, so gingen sie miteinander zur Mutter und fragten diese: »Sage, liebe Mutter, welches von uns beiden wird dereinst König werden?« – Diese Frage betrübte die Mutter, denn es blickte der Keim der Herrschsucht durch dieselbe, die nicht wurzeln soll im Gemüte eines Kindes, und sie antwortete: »Liebe Kinder! Seht einmal hier das schöne Blümlein recht genau an, und dann gehet in den Wald und suchet. Wer von euch beiden dieses Blümchen zuerst findet, der wird dereinst König werden.« – Die Kinder sahen sich voll Aufmerksamkeit das Blümchen an; sein Stengel war gestaltet wie ein Szepterlein, und endete in eine halbaufgeschlossene Lilie. Und die Kinder gingen ganz harmlos zusammen in den Wald, und begannen zu suchen, und wie sie so suchten, so kamen sie bald auseinander, daß eins das andere aus den Augen verlor. – Und da fand die kleine Prinzessin zuerst das Blümchen, und freute sich darüber und sah sich nach dem Bruder um, der war aber nicht da. Und da dachte das Kind: er wird wohl bald kommen, ich will hier auf ihn warten, und legte sich auf den weichen Rasen und in den kühlen Baumschatten, und es war so still im Walde, Käfer und Bienen summten bloß, und eine nahe Quelle murmelte leise, und der Himmel blickte tiefblau durch die grünen Baumwipfel herab auf den grünen Waldesrasen. Die kleine Prinzessin hatte ihr Blümchen in die Hand genommen und weil es so still und sie ein wenig müde war, so entschlummerte sie in Gottes Namen.
Es dauerte nur eine kleine Weile, so kam der Bruder an die Waldstelle, wo seine Schwester schlief; er hatte aber das Blümchen, welches er suchte, nicht gefunden; und da sah er die Schwester am Boden liegen, süß schlummernd, und die hatte das Blümchen in ihrer Hand.
Da stiegen in des Prinzen Seele schwarze Gedanken auf, und Schreckliches kam ihm in den Sinn.
Ich muß König werden, ich! dachte er, und die Schwester soll es nicht werden! Lieber will ich sie töten, und will die Blume nehmen und damit heim gehen, und dann werde ich König.
Ach, da hieß es recht: gedacht und getan. Der Prinz ermordete sein unschuldiges Schwesterlein im Schlafe und verscharrte es im Walde, und deckte Erde darauf und Rasen auf die Erde, und kein Mensch erfuhr etwas von dieser bösen Tat, denn wie der Prinz nach Hause kam, so sagte er, seine Schwester sei im Walde von ihm hinweg und ihren eigenen Weg gegangen. Wie er die Blume gefunden gehabt, habe er den Rückweg nach Hause angetreten und geglaubt, sie sei auch schon nach Hause.
Und da sind viele Jahre hingegangen und die alte Königin hat fort und fort getrauert über die verlorene Tochter, die sie im ganzen Walde fruchtlos suchen ließ, und hat sich den Tod gewünscht, weil sie selbst die geliebte Tochter fortgeschickt hatte, und als ihr Sohn nun die Jahre seiner Mündigkeit erreicht hatte, so ward er König.
Und nach manchem manchem Jahre kam ein Hirtenknabe in jenen Wald, der hütete dort seine Herde, und stocherte zum Zeitvertreibe und aus langer Weile mit seiner Schippe in dem Rasen herum, wie die Hirten öfter tun, die manchesmal Herzen und Namen und Kreuze in den grünen Rasen graben, und da grub er von ohngefähr ein Totenbeinlein aus von der getöteten Prinzessin, das war so rein und weiß wie Schnee. Und der Hirtenknabe machte ein paar Löchlein in das Beinlein, so wurde daraus eine kleine Flöte, und diese setzte der Hirtenknabe an seine Lippen und blies. Da quollen klagende Töne aus dem Totenbeine, ach, so unendlich traurig, und es war ordentlich, als singe in demselben eine weinende Kindesstimme, daß der Hirtenknabe selbst weinen mußte, und konnte doch nicht aufhören zu blasen. Es lautete aber das klagende Lied also:
»O Hirte mein, o Hirte mein,
Du flötest auf meinem Totenbein!
Mein Bruder erschlug mich im Haine.
Nahm aus meiner Hand
Die Blum die ich fand,
Und sagte, sie sei die seine.
Er schlug mich im Schlaf, er schlug mich so hart –
Hat ein Grab gewühlt, hat mich hier verscharrt –
Mein Bruder – in jungen Tagen.
Nun durch deinen Mund
Soll es werden kund,
Will es Gott und Menschen klagen.«
Und immer war nur das eine und immer das eine Lied aus der beinernen Flöte zu bringen, und immer blies es der junge Hirte wieder, während ihm jedesmal die hellen Tränen über die Wangen herabrollten.
Wenn das klagende Lied im Walde erklang, da wurden alle Vögelein stumm und traurig, hingen Köpflein und Flügel und schwiegen; auch die Käfer und Bienen summten nicht mehr, und selbst das Murmeln der plätschernden, geschwätzigen Quelle war nicht mehr zu hören – es wurde so recht, was man sagt: totenstill.
Schallte das klagende Lied über eine Trift, so hingen die Tiere der Weide wehmütig die Häupter, und keines gab einen Laut; auch der Hund bellte nicht mehr und sprang nicht, wie sonst, fröhlich umher, vielmehr duckte er sich und winselte ganz leise, denn es war für alle Kreatur etwas Herzzerschneidendes in dem klagenden Liede. Aber der Hirtenknabe konnte nicht müde werden, dieses Lied zu flöten, bis einst ein Rittersmann am Hag vorüberkam, der hörte auch das Lied und fühlte, daß seine Augen tropften, und hielt, und ließ nicht nach, bis der Hirtenknabe ihm, dem Ritter, die kleine Flöte käuflich abtrat. Und nun zog der Ritter im ganzen Lande herum, und blies das Lied, und brachte mit demselben alle Welt zu Tränen.
So kam dieser auch an den Hof, wo der junge König auf dem Throne saß, von dem das Lied sang und klagte, und die alte Königin Mutter lebte auch noch, und es wurde ihr Kunde gebracht von dem ritterlichen Spielmanne, der ein Lied flöte, von dessen Melodei alle Herzen erzitterten und alle Seelen mit tiefer Trauer erfüllt würden.
Die alte Königin aber, die stets traurig war, sprach: »Was könnte es in der Welt geben, das trauriger wäre, als meine Trauer? Ich wüßte nichts, mich wird das klagende Lied des Spielmannes nicht trauriger machen, als ich ohnehin bin. Lasset ihn immerhin kommen.« –
Der ritterliche Spielmann kam und blies:
»O Ritter mein, o Ritter mein,
Du flötest auf meinem Totenbein!
Mein Bruder erschlug mich im Haine.«
Kaum hatte die alte Königin diese wenigen Worte vernommen, so schoß schon ein Tränenstrom aus ihren Augen – aber als es weiter tönte:
»Nahm aus meiner Hand
Die Blum, die ich fand
Und sprach, sie wäre die seine« –
da stieß die Königin einen gellenden Schrei aus und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Der Spielmann erschrak darüber und wollte absetzen, aber das konnte er nicht – das Lied wollte jedesmal, wenn es begonnen war, zu Ende gespielt sein – und als der letzte Ton mit tiefer Klage verzitterte, da erwachte die Königin aus ihrer Ohnmacht und rief: »Mir, mir die Flöte! Um alle meine Schätze – mir diese Flöte!«
Und der ritterliche Spielmann ließ der Königin die beinerne Flöte und sagte, er begehre keine Schätze – und nahm nichts an und zog weiter.
Und die Königin schloß sich ganz allein in ihre tiefsten Gemächer und blies das Lied und weinte so lange, bis sie fast keine Tränen mehr hatte.
Der König aber war ein lebenslustiger froher Herr geworden, der hatte seine Freude an Sang und Klang, und feierte gern heitere Feste, und freute sich seines Lebens. Einst geschah es, daß er auch ein Fest zu feiern beschlossen hatte, und waren zahlreiche Sänger und Spielleute bestellt, und zahlreiche Gäste eingeladen worden. Der Sitte gemäß, hatte der junge König nie unterlassen, seine Mutter auch jedesmal einzuladen zu seinen Festen, aber sie hatte niemals Teil genommen, weil sie, wie sie dem Sohne dankend sagen ließ, zu viele Trauer im Herzen habe. Als aber diesesmal die Einladung wiederum an sie gelangte, da ließ sie sagen, sie werde Teil nehmen. Dies wunderte den König und befremdete ihn, und er wußte nicht, ob er sich darüber freuen sollte.