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Seitenzahl: 418
Gesammelte ErzählungenvonFriedrich Gerstäcker.
Zweiter Band.
Leipzig, Arnoldische Buchhandlung. 1854.
Eine glühende Septembersonne schoß ihre fast senkrechten Strahlen auf die weiten Baumwollen- und Zuckerfelder und ausgedehnten Sümpfe und Prairien Louisianas herab. Die ganze Natur ruhte, oder schien vielmehr matt und kraftlos, verschmachtet und erschöpft zu liegen, und mit fieberheißen Poren den Nachtthau herbeizusehnen, der die lechzenden Lippen der Erde tränken und den Bäumen ihre Farbe, den Blumen ihren Duft wiedergeben sollte. Eine glühende Septembersonne trieb den weichlichen Pflanzer in das Innere seiner kühlen Wohnung zurück, und hinter verschlossenen Jalousien, den claretgefüllten Krystallbecher neben sich, lag er träumend in seinem geflochtenen Schaukelstuhl und vertrieb sich die Zeit dadurch, das in dem Wein rubinartig funkelnde Eis mit dem langen, silbernen Löffel auf- und niederzustoßen und zu zerschmelzen.
Draußen aber im Feld, der sengenden Glutenhitze ausgesetzt, die auf ihre nackten Schultern niederbrannte, standen in langer Reihe die Negersklaven, Männer, Frauen und Kinder mit großen leichten Spahnkörben und sammelten in diese die Baumwollenflocken aus den holzigen Kapseln, und im Schatten eines nicht fernen Pecanbaums, die große lederne Peitsche in der Hand, lehnte der Overseer[1] und überschaute gähnend die keuchende Schar, dann und wann nur einen flüchtigen Blick hinüberwerfend, nach der nicht fernen Piazza des Wohngebäudes, wo allerdings ein freundlicheres, lieblicheres Bild sein Auge fesseln konnte.
[1]: Overseer, die obersten Aufseher der Neger, meistens Weiße und zwar Amerikaner, auch oft Creolen. Die ihnen untergebenen Aufseher, gewöhnlich selbst Neger, werden nur nigger drivers genannt, wie überhaupt nigger der verächtliche und sehr oft angewandte Ausdruck für Neger ist.
Zehn Stufen führten zu der von hohen Chinabäumen und zwei duftigen Magnolien umschatteten Galerie des Herrenhauses empor, und rankende weiße Rosen schlängelten sich hier an den buntgeschnitzten Säulen hinauf, bis sie oben die wilden Reben erreichten, die, unter dem niederen Schutz- und Sonnendache hingezogen, ihre blauen vollen Trauben mitten zwischen den zarten Rosenknospen hineinsenkten, als ob sie den Duft aus diesen ziehen und ihnen dafür den kühlen Saft ihrer Beeren gewähren wollten. Seltene tropische und nordische Gewächse waren dabei rings im Inneren des laubigen Raumes aufgestellt und vermischten ihre Wohlgerüche mit denen der sie umwuchernden Schlingpflanzen.
Doch nicht nur Blum' und Blüte schmückten den Eingang des reichen Beaufort Haus, der als einer der wohlhabendsten Pflanzer am ganzen Fausse Rivière bekannt und geachtet war, nicht allein Blum' und Blüte schwankte und wehte in dem kaum bemerkbaren Westwind, der von der breiten Wasserfläche des »falschen Flusses« herüberzog, sondern noch, aufgehangen zwischen den knospen- und fruchtumdrängten Pfeilern schaukelte, durch die Hand eines kleinen Negerkindes in Bewegung gehalten, eine bunte, wunderlich geflochtene Hängmatte, und darin, das von rabenschwarzen Locken umwogte Köpfchen auf den vollen weißen Arm gelehnt, während das zierliche Füßchen eben unter dem weiten faltigen Kleide sichtbar wurde, lag des Pflanzers holdes Kind, die reizendste Creolin Louisianas, und schaute halb sinnend, halb träumend zu der Blütenpracht hinauf, die von buntfarbigen Schmetterlingen und diamantfunkelnden Kolibris umflattert und beraubt wurde.
Um sie lagen zerstreut theils frisch abgebrochene Blumen, theils große sammetne Magnolienblätter, auf deren schneeige Fläche sie mit der Nadel Figuren und Namen gezeichnet, und selbst einzelne französische Hefte und Journale deckten die Hängmatte und das danebenstehende kleine Tischchen; ein Zeichen, wie Mademoiselle Alles, selbst das Letzte versucht hatte, die Langeweile zu tödten.
Und sandte der sonngebräunte, finstere Aufseher der Schwarzen nach dieser holden Blume seine leidenschaftglühenden Blicke herüber? Wagte er es zu der schönsten und reichsten Erbin des Landes das Auge zu erheben? Nein – wohl wußte er, wie diese ihn haßte und verabscheute, wohl kannte er die Kluft, die zwischen ihm und der Jungfrau in jeder Hinsicht gähnte; nein; er wollte nicht girren und schmachten, er wollte genießen, und ein anderes Wesen als Gabriele Beaufort, hatte sich sein lüsterner Blick ersehen.
Neben der Gebieterin, den breitfaltigen Pfauenwedel in der Hand, mit dem sie dem schönen Mädchen nicht allein Kühlung zufächelte, sondern auch die umherschwärmenden Insekten verscheuchte, lehnte auf weichem Sitz ein fast ebenso liebliches, wenn auch von dem ersten gar sehr verschiedenes Kind. Es war eine Indianerin, die dunkle Bronzefarbe der Haut, das lebhaft funkelnde Auge, die schneeweißen Zähne und das ganze Wesen, die ganze Haltung des Mädchens kündete die Tochter der Wälder, nur das rabenschwarze, sonst lange und straffe Haar schien sich, leicht gekräuselt, jener bläulichen Färbung nähern zu wollen, die den schönen Quadroonenmädchen, den Mischlingen der Weißen und Mulatten, einen so eigenthümlichen Reiz verleiht.
Ihre schlanke Gestalt war in ein weites, luftiges Gewand, nach Art ihres Stammes angefertigt, gekleidet, ein buntgestickter Perlengürtel hielt es über der Hüfte zusammen und bildete mit zwei gleichen Korallenschnuren, eine um den sammetweichen Nacken, die andere um die Schläfe geschlungen, den einzigen Schmuck des holden Mädchens. Nur die aus zartgegerbten Fellen bereiteten Moccasins, in denen die kleinen zierlichen Füße staken, trugen noch die Zeichen der kunstfertigen Hand Nedaunis-Ais' (die kleine Tochter) oder Saisens, wie sie der Kürze wegen von Gabrielen genannt ward.
So wunderlieblich und reizend aber auch das Bild der beiden, von einer Blumenwelt umgebenen Jungfrauen war, so trübe, wehmüthige Gefühle schienen Saisens Busen zu heben und einmal – ach, sie wandte das Köpfchen ab, daß es die Gebieterin nicht bemerken sollte – streifte sie sogar mit dem zarten Finger einen perlenden Tropfen von den langen, seidenen Wimpern und ein leiser, leiser Seufzer entrang sich der Brust des armen Kindes.
Was war es aber, das ihr hier, von Pracht und Ueberfluß umgeben, das Herz beengte? Dachte sie an das Schicksal ihres Stammes? ihres ganzen Volkes, das, von dem Grund und Boden vertrieben der einst sein Eigenthum, durch den Stahl und das Feuerwasser der Weißen fast vernichtet, jetzt im weiten Westen, fern von den Gräbern der Lieben weilen mußte, während eine seiner Töchter dem Abkömmling jener stolzen, trotzigen Race diente, wo sie selbst doch eigentlich die Herrin dieses Landes nach Geburt und Recht war? Ach, sie hätte Ursache gehabt, darüber zu trauern, und die zwei holden Wesen lieferten ein treues, aber darum nur ein so wehmüthigeres Bild der beiden Nationen, der Sieger und Besiegten. Doch es war nicht das, auch nicht das Gefühl der Dienstbarkeit, denn Gabrielen behandelte sie nicht wie eine Dienerin, sondern wie eine Freundin, nein es war wohl die Trennung von den theuern Aeltern, denen sie durch teuflische List geraubt worden. Der Gedanke an die daheim um sie Trauernden füllte auf's Neue ihre Wimpern und diesmal tropfte die Thräne voll und schwer in ihren Schoos hernieder.
Gabriele bemerkte es.
»Saise, meine herzliebe Saise, was fehlt Dir? Warum bist Du immer so traurig und willst mich nicht zur Mitwisserin Deines Kummers machen?« frug theilnehmend die junge Creolin; »bin ich nicht Deine Freundin, und habe ich nicht auch Dir alle meine kleinen Sorgen und Pläne entdeckt und um Deinen Rath und Deine Hülfe gebeten?«
Saise drückte der Herrin Hand und schaute ihr wenige Secunden lang wehmüthig lächelnd in die klaren treuherzigen Augen, dann aber fiel ihr Blick auf das kleine, die Hängematte wiegende Negermädchen und Gabriele, den Wink verstehend, sagte:
»Geh hinunter, Piccaninny[2], und zähle die Küchelchen, die im Hof herumlaufen; komm aber nicht wieder, bis Du mir genau sagen kannst, wie viel es sind«.
[2]: Piccaninny, ein afrikanischer Ausdruck und gewöhnlich für alles das gebraucht, was klein und niedlich ist.
Das kleine runde Dingelchen zog den breiten Mund zu einem freundlichen Grinsen auseinander und sprang schnell durch den schmalen Eingang die Treppe hinab, den Befehl ihrer »Missus« auszuführen. Lächelnd sah ihr Gabriele einen Augenblick nach, dann aber, sich theilnehmend zur Gespielin wendend, sagte sie herzlich:
»Siehst Du – das Kind ist fort, nun erzähle mir aber auch offen, was Dich drückt – gewiß kann ich Dir helfen.«
»Du sollst Alles erfahren,« flüsterte Saise, »vielleicht ist es überdieß besser, daß Du es weißt, denn wenn« – sie schwieg plötzlich und barg schaudernd ihr Antlitz in den Händen.
»Aber was ist Dir, um aller Heiligen willen,« bat Gabriele, »so hab ich Dich nie gesehen.«
»So höre denn,« sagte, sich fassend, die Indianerin, »mit wenig Worten kann ich dir Alles vertrauen; ich habe, wenn auch noch jung, doch schon Entsetzliches erduldet. Ich bin die einzige Tochter eines Riccareehäuptlings, und ein kleiner Theil unseres Stammes – deine Brüder vertilgten fast unsere ganze Nation von der Erde – hatte sich dicht unter den Osagen, zwischen diesen und den Cherokesen niedergelassen. Mein Vater war ein Freund der Weißen – er sah, daß das Wild selten wurde, und fühlte, wie uns die bleichen Gesichter an Klugheit und Kunstfertigkeit überlegen waren; er glaubte aber auch die einzige Sicherheit für die schwachen Ueberreste der Seinigen nur darin finden zu können, daß sich diese den Sitten und Gebräuchen ihrer Sieger anschlössen, den Acker bebauten und ein Volk mit jenen machten. Deshalb war jeder Weiße in unserer Hütte willkommen, und er benahm sich freundlich gegen Alle. Nur einmal erwachte in ihm der alte, fast erstorbene Geist des Kriegers wieder, als einst ein Weißer, ein rauher, unfreundlicher Mann, herzlich von uns aufgenommen, frech und zudringlich gegen mich wurde und zuletzt behauptete, ich dürfe gar nicht so spröde thun, denn ich sei ja doch nur, wie mein Haar auch klar genug beweise ein kleiner – Nigger.«
»Hätte ein Pfeil meinen Vater getroffen, er wäre nicht schneller von seinem Sitze aufgesprungen. Er war Einer der ersten Krieger seines Stammes und meine Mutter die Tochter eines Sioux-Häuptlings gewesen, die er einst bei einem Ueberfall geraubt, liebgewonnen und zum Weibe genommen hatte; um so entsetzlicher traf daher dieses Wort seinen Stolz, und von Wuth und Ingrimm getrieben, riß er den Tomahawk von der Wand und schleuderte ihn nach dem Haupt des – Gastes.«
»Der weiße Mann stürzte besinnungslos nieder, aber in demselben Augenblick ergriff auch meinen Vater mit peinlichem Schmerz der Gedanke, das Gastrecht verletzt zu haben. Er sprang auf den Niedergestürzten zu, untersuchte die Wunde und wartete und pflegte ihn nun wie einen Sohn, bis er sich wieder erholt hatte und unsere Ansiedlung verlassen konnte.«
»Aber jener Mann war ein Teufel – der erhaltene Schlag erfüllte sein Herz mit Wuth und Rache. Während er noch bei uns seine Genesung abwartete, erforschte er lauernd des Hauses und der Nachbarschaft Gelegenheit, und schon nach drei Nächten kehrte er mit seinen Helfershelfern heimlich und verrätherisch zurück. – Sie überfielen still und geräuschlos unsere Hütte, schlugen meinen alten Vater, der sich den Räubern entgegenwerfen wollte, nieder, banden und knebelten mich, hoben mich auf ein Pferd und schleppten mich in wilder, unaufhaltsamer Eile dem großen Flusse[3] zu.«
[3]: Mississippi.
»Als ich aus einer langen Ohnmacht erwachte, umgab mich tiefe Nacht und ich fühlte nur, wie wir im vollen Galopp auf einem harten, schmalen Weg, unter niederen Bäumen und Büschen dahinsprengten, denn der Hufschlag schallte weithin durch die stille Wildniß, und dann und wann streiften kleine Zweige meine Wangen. Was aber auch meine Räuber mit mir im Sinn gehabt, wahrscheinlich fürchteten sie Verfolgung, oder wußten sich wirklich schon verfolgt, denn rastlos, unaufhaltsam eilten sie weiter, und ruhten nicht eher, bis sie einen, sicherlich schon vorher verabredeten Platz erreicht und hier ihre schändlichen Genossen gefunden hatten.«
»Gott allein weiß was später aus meinem alten Vater wurde, ich sah ihn nicht wieder, wohl aber einen fremden, finsteren Mann, der in meinem Beisein, während ich noch gebunden am Boden lag, einen Handel über mich abschloß, von meinem Räuber ein Schreiben – einen Kaufbrief, wie jener es nannte – ausgestellt bekam, und dann Deine arme Saise in ein Canoe trug und mit ihr davon ruderte.«
»Hülflos – verlassen – verloren lag ich auf dem Boden des schwankenden Canoes, aber Alles, was mich bedrohte, stieg in fürchterlichen Bildern vor meiner inneren Seele auf.«
»Ich fühlte, wie ich der Willkür dieses Mannes, der seine gierigen Blicke fest auf mich gerichtet hielt, gänzlich – wehrlos überlassen war, wußte, daß ich als Sklavin verkauft, kein Erbarmen bei den Weißen mehr zu hoffen hatte, und der Gedanke an Selbstmord zuckte da zum ersten Mal durch meine fieberhaft schlagenden Pulse.«
»Arme Saise,« sagte Gabriele.
»Das Canoe war einer der gewöhnlichen, aus Holz roh gehauenen Kähne, schmal und mit rundem Boden; wenn ich mich nur leise bewegte, fühlte ich wie es schwankte, und sah die ängstliche Bewegung des Rudernden, der es im Gleichgewicht zu halten strebte; – ein Ruck – ein plötzlicher Stoß von mir – es schlug um und ich – war frei.«
»Kaum hatt' ich diesen Entschluß gefaßt, als ein kalter Schauer mir fröstelnd durch die Adern rieselte – und starr und entsetzt blickte ich zu dem weißen Manne empor. Dieser aber, der den ängstlichen Ausdruck in meinen Zügen der Furcht zuschreiben mochte, lächelte höhnisch und sagte: »Gräme dich nicht, Püppchen; wenn du hübsch brav bist, sollst du meine kleine Squaw[4] werden,« und dann lachte er so laut und teuflisch, daß er mir in dem Augenblick wirklich wie ein böses, dem finsteren Abgrund entstiegenes Wesen vorkam. Das aber befestigte nur noch mehr meinen Entschluß – ich wollte sterben. Nur dann und wann, wenn das Canoe ein wenig zur rechten oder linken Seite hinüberschwankte, konnte ich das Ufer erkennen, und sah jetzt, daß wir uns unweit einer langen Insel befanden, die, wie es mir schien, gerade vor uns lag. Ich kann schwimmen wie ein Fisch, doch die Bande, die meine Hände zusammenschnürten, versagten mir jede Bewegung; auf keine andere Rettung durfte ich hoffen als die, die der Tod brachte.«
[4]: Der Indianische Name für »Frau«.
»Arme Saise.«
»Noch einmal sandte ich jetzt mein Gebet zu dem Manitou meines Volkes empor – noch einmal blickte ich auf zu dem freundlichen Sonnenlicht, das hell und strahlend, ach für mich zum letzten Male über die ferne Waldung herübergrüßte; noch ein Mal sog ich in langem, langem Athemzuge die balsamische Luft der schönen Welt ein – schloß dann die Augen und warf mich, mit plötzlichem Schwung, mit Anstrengung aller meiner Kräfte, gegen die Seitenwand des schmalen Fahrzeugs.«
»Halt an! wir sinken! schrie entsetzt der Räuber und versuchte auf der anderen Seite das Gleichgewicht wiederherzustellen, doch schnell folgte ich seiner Bewegung und im nächsten Augenblick fühlte ich die kühle Fluth über mir zusammenschlagen. Das Canoe war umgestürzt.«
»Ob jener Weiße schwimmen konnte, wußte ich nicht, auf jeden Fall wäre er in diesem Falle im Stande gewesen, mich, deren Hände noch immer gefesselt, zum nicht so fernen Ufer zu ziehn. Doch lebend sollte er mich nie mehr berühren, ich tauchte unter und zwar mit dem festen Entschluß, nimmer zur Oberfläche zurückzukehren.«
»Gott wollte es anders; von der quellenden Fluth emporgehoben, stieg ich wieder dem Licht entgegen, fühlte aber plötzlich, wie ich mit dem Kopf gegen einen festen Gegenstand anstieß. Im ersten Augenblick glaubte ich, es sei das Canoe, der nächste überzeugte mich aber, daß ich unter Treibholz gerathen wäre, und zwar gerade an einer Stelle, wo ich den Grund mit den Füßen berührte, und wild übereinandergepreßte Stämme eine kleine Höhlung gebildet hatten, in die ich den Kopf bringen und – athmen konnte. Ich war für den Augenblick gerettet; mußte aber nicht der gewaltige Andrang der Strömung, die sich rauschend und schäumend nur eine kurze Strecke von mir entfernt an den Stämmen und Aesten brach, diese schwache Schutzwehr zusammendrängen und mich Zoll für Zoll in die Tiefe wieder zurückdrücken und vernichten? Mit unverzagtem Muth hätt' ich dem raschen Tod ins Auge geschaut, hier aber langsam, langsam vielleicht zu sterben – o, es war fürchterlich.«
Saise barg wieder, von dem Gedanken ergriffen und zusammenschaudernd, ihr Antlitz in ihren Händen.
»Du unglückliches Kind,« flüsterte Gabriele, des schönen Mädchens Stirn an ihrem Busen bergend; »Du unglückliches – liebes – böses Kind, und warum hast Du denn das Alles mir so lang verschwiegen? war das recht von Dir? aber wie entgingst Du jener fürchterlichen Gefahr?«
»Stundenlang,« erzählte Saise weiter, »stundenlang harrte ich, denn noch schrecklicher als der Tod war mir der Gedanke, das Licht des Tages und mit ihm das Antlitz jenes finsteren Mannes wieder zu sehen, ehe ich einen Versuch zu meiner Rettung wagte. Selbst dann aber blieb noch immer die Ausführung schwer und gefährlich, denn im Wasser hatte ich natürlich die Richtung verloren und mußte fürchten, daß ich, unter Wasser fortschwimmend, gerade tiefer in das Treibholz hineingerathen würde, Gott da oben hatte mich aber bis jetzt geschützt, und ihm vertraute ich. Als ich es überdies nicht länger mehr im Wasser aushalten konnte und der Frost meine Glieder schüttelte, horchte ich noch einmal genau, von welcher Richtung das Anprallen der Strömung tönte, berechnete dann schnell, auf welcher Seite der Insel ich mich befinden müsse, und versuchte nun mich der Bande zu entledigen, die meine Hände noch immer gefesselt hielten. Und siehe da – es gelang. Es waren hirschlederne Riemen und die Nässe hatte sie ausgedehnt, meine Hände schlüpften hindurch und – ich fühlte mich frei.«
»Jetzt fürchtete ich Nichts mehr, jener Mann mußte mich lange ertrunken geglaubt und die Stelle verlassen haben – ich tauchte unter – strich kräftig aus und sah nach wenigen, dem Herzen den Schlag raubenden Secunden das liebe herrliche Tageslicht wieder. Doch noch lange wagte ich nicht mich zu erheben, denn ich wußte nicht, wie nahe jener Weiße sei; ich kroch nur leise und vorsichtig an der flachen, von der Sonne warm beschienenen Bank hin, und machte in einem brünstigen Gebet und einem lindernden Thränenstrom dem so arg bedrängten Herzen Luft.«
»Alles Uebrige weißt du. Dein Vater fand mich fünf Tage später im Walde – ich war heimathlos, – zu Hause durfte ich nicht wagen wieder zu erscheinen, meinen eigenen Vater hatten sie vor meinen Augen erschlagen, und wie konnten mich die ärmlichen Ueberreste meines Stammes vor den Verfolgungen der Weißen schützen? Du nahmst mich auf, Gabriele, und an Deinem Herzen habe ich Schutz und Hülfe gefunden.«
»Aber weshalb denn dieser stete Gram, Du liebes Kind?« sagte die Jungfrau schmeichelnd, »sei doch froh wie ich, Du bist ja bei Freunden, die Dir kein Leid geschehen lassen; oder drückt Dich noch ein Schmerz?«
»Hast Du heute gesehen?« frug Saise mit ängstlich umherschweifenden Blicken, »hast Du gesehen, wie sie das arme Wesen ihrem Herrn auslieferten, dem es – er sagte so – entflohen war?«
»Aber das war eine Sklavin und er ihr Herr, liebes Kind.«
»Und woher weißt Du, daß er ihr Herr war? schwur sie nicht, sie habe ihn ihr Lebtage nicht gesehen?«
»Er hatte ja den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand,« lächelte Gabriele; »Du närrisches Kind, was quälst Du Dich denn mit so trüben, ängstlichen Bildern ab; wie mag Dich das nur beunruhigen?«
»Er hatte den Kaufbrief, in dem ihre ganze Person beschrieben stand, und die Leute hier – großer Gott – sie lieferten sie ihm aus –« schrie die Indianerin, von ihrem Sitze emporspringend.
»Hilf Himmel – Saise!« rief Gabriele besorgt, denn sie fürchtete für den Verstand der Unglücklichen, »was fehlt Dir? was hast Du?«
»Gebunden führte er sie hinweg,« fuhr das Mädchen in entsetzlicher Aufregung fort – »gebunden! und auch über mich – auch über mich ist ein solcher Kaufbrief ausgestellt; auch meine Person, mein Aussehn – meine Haare – meine Augen – sogar das Maal auf meiner Schulter beschrieben. – O du allgütiger Gott!« – Sie brach schluchzend zusammen und barg ihr Antlitz in den Kissen des neben ihr stehenden Sessels.
Gabriele war erschreckt aus der Hängematte gesprungen und bog sich leise zu der Unglücklichen nieder; mit tröstenden Worten wollte sie dabei ihren Kummer stillen, aber ach, sie kannte selbst nur zu gut die Gefahr, die unter solchen Umständen, wenn sie von jenem Buben wirklich wiederentdeckt würde, der armen Verfolgten drohte.
»Komm,« sagte sie dann plötzlich zu der Indianerin, deren Angst sich in einer lindernden Thränenfluth gelöst hatte – »komm, fasse Muth, noch weiß ich Rath Dir zu helfen. Du kennst unseren Freund,« fuhr sie fort, als das Mädchen mit den großen dunkeln feuchten Augen zu ihr aufschaute, – »Du kennst den jungen Creolen St. Clyde – er ist uns freundlich gesinnt, – Beiden – Dir sowohl wie mir, und hat sogar selbst lange an den südwestlichen Grenzen Missouris, zwischen den Cherokesen wie Osagen gelebt – der muß Rath schaffen; entweder kann er dorthin eilen und Zeugen herbeiholen, oder er sendet einen Boten, um das zu bewerkstelligen. Auf jeden Fall mußt Du selbst klagbar gegen den Verbrecher auftreten, das ist der einzige Ausweg seinen Angriffen zu begegnen.« – »Cöleste – Cöleste,« rief sie dann ihrer kleinen Negerin, die noch immer eifrig unten beschäftigt war, die toll und bunt durcheinander laufenden Küchlein zu zählen – »Cöleste, komm schnell herauf und schicke mir vorher Endymion.«
Die Kleine gehorchte dem Befehl und erschien gleich darauf selbst oben an der Treppe; die großen dunkeln Augen standen aber voll Thränen, und das Gesicht verzog sie zu einer entsetzlich weinerlichen und ernstkomischen Miene.
»Was fehlt Dir, Cöleste?« frug Gabriele freundlich.
»O Missus« – schluchzte nun das Kind, dessen Schmerz sich bei diesen freundlichen Worten Bahn brach, »o Missus – ich – ich kann – ich kann nicht zählen – zählen – die Küchel – Küchelchen – sie laufen; – huhuhu – sie laufen so geschwinde.«
»Komisches Kind,« lachte Gabriele – »geh – ruf Endymion schnell, und laß die Hühner, Hühner sein.« Endymion brauchte aber nicht mehr gerufen zu werden, er tauchte eben hinter der Gespielin auf und sagte dann leise:
»Missus will 'Dymion – hier ist er.«
»Endymion,« rief Gabriele rasch – »Du weißt, wo Mr. St. Clyde wohnt – wie?«
»Massa Clyde – jes« – nickte der Schwarze – »aber, Missus – ein fremder Gentleman ist unten« –
»Schon gut – schick' ihn zum Vater,« fuhr die Creolin ungeduldig fort – »Zu dem reitest Du, und bittest ihn so schnell als möglich, wenn es angeht heute Abend noch – verstehst Du mich, Endymion? heute Abend noch – herüberzukommen, ich – wir – wir hätten etwas Wichtiges mit ihm zu reden.«
»Aber der Fremde, Missus,« unterbrach sie etwas ängstlich Endymion – »der Fremde – Massa schläft und arme 'Dymion kriegte viel Schläge, wenn ihn weckte –«
»So laß ihn unten in die Halle treten, dort liegen Bücher und er mag sich die Zeit vertreiben, so gut er kann. Du aber, Endymion, mach rasch und füttere zugleich mein Reitpferd, es könnte sein, daß wir es schnell und zu einem eiligen Ritt gebrauchten; mach fort, Endymion, und kehre recht bald zurück.«
Das volle runde Gesicht des Knaben verschwand plötzlich unter der steilen Treppe, und wenige Minuten später hörte man schon am Schallen der Hufe, wie er auf flüchtigem Renner, den Fausse Riviere entlang, dem Mississippi zuflog.
Saise hatte sich aber indessen durch die neue Hoffnung, bald jeder Furcht überhoben zu sein, getröstet; sie wußte – sie mußte es sich wenigstens mit leisem Erröthen gestehen – St. Clyde würde Alles thun was in seinen Kräften stand, sie von jeder Sorge und Gefahr zu befreien, und konnte sie selbst als Klägerin auftreten, dann hätte sich Jener erst, wäre er wirklich erschienen, vor allen Dingen von jedem auf ihm haftenden Verdachte reinigen müssen, und die Beweise ihrer reinen Abstammung konnte sie bis dahin bringen. Sie ergriff der Freundin Hand, hob sie leise an ihre Lippen und flüsterte:
»Du bist gut – Du bist engelgut und hast mir mit Deinen freundlichen Worten Trost und Ruhe in's Herz gegossen.«
Die Mädchen hatten sich eng umschlungen und Gabriele hielt erst lange das Antlitz der holden Tochter der Wälder zwischen den zarten Händen, schaute ihr herzlich und liebevoll in die großen dunkeln Augen und drückte dann einen heißen, innigen Kuß auf ihre Stirn.
Der Overseer bemerkte von seinem Baum aus die Ankunft des Fremden, und schlenderte langsam dem Hause zu.
»Was zum Teufel nur die beiden Mädchen heute so ernstlich zusammen zu schwatzen haben,« murmelte er dabei vor sich hin – »hol mich der Böse, wenn ich nicht wünsche, das kleine rothe Ding wäre mein – verdammt schade, daß man rothes Fell nicht ebenso leicht kaufen kann wie schwarzes. – Wer der Fremde nur sein mag? – Wahrscheinlich ein Baumwollenspekulant aus New-Orleans. – Nun Zeit wär's, daß er käme – hat wohl gewittert, daß unsere Baumwolle noch nicht verschifft ist – muß die Nachlese nun auch mitnehmen.«
Mit diesen leise vor sich hin gemurmelten Bemerkungen schritt er langsam an den, in regelmäßigen Reihen errichteten Negerhütten vorbei, dem Herrenhause zu, stieg die, zu diesem emporführenden hölzernen Stufen hinauf und stand im nächsten Augenblick neben dem eben Eingetroffenen.
»Alle Wetter!« rief er aber hier erstaunt aus – »Pitwell – wo zum Henker kommt Ihr her?«
»Duxon? – bei Allem was blau ist – hier in Louisiana?« entgegnete der also Angeredete, dem Overseer freundlich die Hand entgegenstreckend. – »Seht, so finden sich alte Freunde nach langen Jahren immer doch einmal wieder zusammen. Wo war's doch, daß wir uns zuletzt sahen?«
»Je weniger wir davon sagen desto besser,« lachte Duxon – »ich meines Theils habe wenigstens nie mit der Geschichte geprahlt.«
»Ach – jetzt erinnere ich mich« – lächelte Pitwell – »ja ja, hätte den Spaß bald vergessen; aber Unsinn, 's ist jetzt verjährt und der Mann längst –« er schwieg plötzlich still und warf seinem Gefährten einen schnellen, mißtrauischen Seitenblick zu. »Aber was macht Ihr jetzt?« lenkte er in ein anderes Gespräch ein, »haltet Ihr Euch etwa hier zu Euerm Vergnügen auf, wie die Loafer in der Kalebouse[5] sagen?«
[5]: Loafer ein Herumstreicher, und Kalebouse das Wachthaus in New-Orleans.
»Ich bin Overseer auf der Plantage.«
»Gutes Geschäft das?«
»So ziemlich – nährt seinen Mann.«
»Der Besitzer?«
»Mr. Beaufort.«
»Wie viel Ballen[6]?«
[6]: Eine gewöhnliche Frage in Louisiana, die sich stets auf die Baumwolle bezieht, da der Reichthum der Besitzer nach dieser geschätzt wird.
»Hundertachtzig.«
»Alle Wetter!« rief Pitwell erstaunt – »läßt sich mit dem Mann kein Geschäft machen? der muß ja Geld wie spanisch Moos haben –«
»Wenn Ihr Neger hättet – wir brauchen ein paar tüchtige Arbeiter und eine Dirne in's Haus; aber was Hübsches – der Alte kann die häßlichen Gesichter nicht leiden.«
»Neger? hm – die ließen sich vielleicht anschaffen; bis wann müßt Ihr sie haben?«
»Sobald als möglich!«
»Sind die Preise gut?«
»Das geht an; habt Ihr welche?«
»Hm – ja – aber apropos – wer waren die beiden Damen da oben auf der Gallerie? die Frau und Tochter vom Hause wahrscheinlich, eh?«
»Beiden Damen? 's ist nur eine Dame im Hause,« sagte der Overseer verächtlich – »das andere ist eine Indianerin, die sich auf Gott weiß welche Art hier eingeschlichen hat, und noch dazu merkwürdig stolz und spröde thut – das dumme Ding.«
»So? kann man denn diesen Mr. Beaufort gar nicht einmal zu sehen bekommen? ich möchte gern wissen, welche Art von Mann es ist, ehe ich ein Geschäft mit ihm mache – es handelt sich leichter.«
»Ihr könnt den Yankee nicht verleugnen,« lachte Duxon, »aber ich höre ihn die Treppe herunterkommen. Unter uns gesagt, geht ihm ein Bischen um den Bart mit seiner reizenden Plantage – mit den herrlichen Heerdeneinrichtungen und dergleichen. – Ihr versteht mich schon.«
»Danke – danke!« sagte der Fremde freundlich – »werde nicht ermangeln.«
Mr. Beaufort trat jetzt in's Zimmer, begrüßte den Gast und hieß ihn herzlich in seiner Wohnung willkommen. Bald hatte ihn dieser auch in ein sehr interessantes Gespräch verwickelt und er lud ihn ein, da überdies der Abend nahte, bei ihm zu übernachten, was von jenem bereitwillig angenommen wurde.
Beaufort, ein Mann in den Vierzigen und, wie schon erwähnt, der reichste Pflanzer am False River oder Fausse Riviere, gehörte mit zu jenen südlichen Geldaristokraten, welche das Menschengeschlecht nur in drei Gattungen eintheilen: in Pflanzer nämlich, in keine Pflanzer und in Neger. Die ersteren zerfielen dann freilich wieder in zwei Unterabtheilungen und zwar in solche, die über, und solche, die unter funfzig Ballen erbauten. Aus der ersten Klasse wählte er sich seinen Umgang. Die zweite Gattung – die Nicht-Pflanzer – betrachtete er nur als dazu erschaffen, dem Pflanzer seine verschiedenen Bedürfnisse zuzuführen, und die dritte, die Neger – verabscheute er wie ein ächter Creole. Selbst die fernsten Vermischungen, Mestizen und Quadroonen, waren ihm ein Gräuel, und er duldete sie nur in sofern um sich, als er sie zu seiner Bedienung bedurfte. Soweit ging dabei diese Verachtung der äthiopischen Race, daß er einst in New-Orleans sein Messer nach einem armen Teufel von Mestizen warf, den er in der Dunkelheit für einen ihm befreundeten Creolen angesehen hatte und mit ihm Arm in Arm durch mehre Straßen gegangen war. Die scharfe Klinge fuhr jedoch nur in den Schenkel des zum Tode Erschrockenen, ohne diesem weiteren Schaden zuzufügen.
Das zur Charakteristik Beaufort's. Sein Gast dagegen stach sowohl im Aeußern, wie in seinem ganzen Benehmen gar sehr und zwar keineswegs zu seinem Vortheil gegen den Pflanzer ab. Dieser war wohlbeleibt, von gesunder Gesichtsfarbe und hatte, den Stolz abgerechnet, ganz gutmüthige Züge; der Fremde dagegen sah bleich aus, mit grauen stechenden, aber lebhaften Augen, hoher Stirn und etwas gebogener Nase; doch that sein Blick nicht wohl – er streifte stets unruhig von einem Gegenstande zum andern, und sprang sicherlich im Nu ab, sobald er dem eines andern Auges begegnete. Ihre Unterhaltung war aber lebhaft; – Mr. Pitwell hatte viel gesehen, viel erlebt, verstand, wie es schien, den Baumwollenhandel aus dem Grunde und besaß selbst, seiner eigenen Aussage nach, am Alabama eine nicht unbedeutende Plantage.
So rückte die Zeit des Abendessens heran. Die Sonne war noch nicht untergegangen und der Tisch oben auf der Piazza, des kühlen Luftzugs und der freundlichen Aussicht über die Felder und benachbarten Plantagen wegen, gedeckt. Die Hängematte hing zurückgeschlagen an einem der Pfeiler, Gabriele aber lehnte sinnend daneben, und blickte auf die Straße hinaus, die dem Mississippi zuführte und auf welcher sie den Boten zurückerwartete. Saise saß zu ihren Füßen, hielt schmeichelnd ihre Hand gefaßt, an die sie die heiße Wange lehnte und – folgte den Blicken der Gebieterin und Freundin.
Die Schritte der Männer wurden jetzt auf der Treppe gehört.
»Er bleibt lange,« flüsterte Gabriele.
»Recht lange,« sagte Saise und sie fühlte plötzlich, wie der Freundin Augen auf ihr hafteten – aber sie begegnete ihnen nicht, sondern schmiegte sich nur inniger und fester an sie an.
»Saise – bist Du noch nicht beruhigt?« bat Gabriele – »fehlt Dir noch etwas? sieh nur wie feuerroth Du geworden.«
»Guten Abend, Ladies,« sagte die Stimme des Fremden.
»Um Gottes willen, Kind – was ist Dir? alles Blut flieht aus Deinen Wangen?« rief die Creolin erschrocken, die Veränderung in den Zügen der Freundin bemerkend.
»Guten Abend, Kinder,« wiederholte Mr. Beaufort – »Mr. Pitwell, meine Tochter und ihre Freundin, eine junge Indianerin. – Nun, Gabriele – ist Saise krank? was fehlt dem Mädchen?«
»Ich weiß in der That nicht, Vater – sie erblaßte eben; und zittert jetzt so heftig am ganzen Körper – Saise!«
»Ja,« flüsterte das schöne Mädchen, richtete sich empor, wandte sich gegen den Fremden um, blickte ihn einen Augenblick starr an und stürzte dann mit einem Mark und Bein zerschneidenden Schrei ohnmächtig zu Boden.
Gabriele, die wie ein Blitzesschlag die Wahrheit durchzuckte, warf ihr Tuch über das Antlitz der Freundin – aber es war zu spät – Pitwell, durch das sonderbare Benehmen aufmerksam gemacht, sprang, kaum wissend was er that, auf sie zu, riß das Tuch herunter und rief in höchstem Schreck und Staunen:
»Alle Wetter – meine ertrunkene Sklavin!«
»Eure was?« schrie Beaufort, mit wildem Satz herbeispringend – »Eure Sklavin? Mann, seid Ihr des Teufels? – das ist eine Indianerin, und die werden nicht verkauft.«
»Es ist falsch!« stöhnte Gabriele in entsetzlicher Seelenangst, den leblosen Körper der Unglücklichen unterstützend – »es ist eine teuflische Lüge – dies Mädchen ist den Ihrigen geraubt – ein niederträchtiges Bubenstück ist begangen – Saise ist so frei wie ich selbst – Ihr dürft Euch nicht an ihr vergreifen.«
»Ich fordere mein Eigenthum zurück,« sagte der Fremde finster, und griff zugleich in die Tasche, aus der er ein Paket zusammengebundener Papiere herausnahm. – »Hier ist ihr Kaufbrief,« fuhr er dann, sich gegen den Pflanzer wendend, fort – »ihr Vater war Indianer, ihre Mutter war Mulattin – seht nur ihr Haar an. Und daß es die rechte ist, dafür bürgt Euch, wenn nicht ihr jetziger Schreck, das hier verzeichnete Maal auf ihrer linken Schulter.«
Beaufort durchlief schweigend die Schrift und schritt dann auf Saise zu.
»Zurück, Vater – um Gottes willen zurück« – rief Gabriele in höchster Angst, »Du darfst den Worten jenes Mannes nicht glauben – sie sind falsch, bei dem ewigen Gott da oben.«
»Gabriele,« sagte der Vater freundlich, aber auch sehr ernst – »dies ist ein Geschäft, bei dem Du weiter keine Stimme hast; findet sich das Maal nicht, wie ich hoffen will, – denn den Galgen verdient das Ding, wenn es Niggerblut in den Adern hat und sich dabei untersteht, mit weißen Leuten an einem Tisch zu essen – so ist die Anklage überdies unbegründet; findet es sich aber, dann bleibt die Person keine fünf Minuten mehr unter meinem Dache, oder ich will nicht selig werden – Du weißt, daß ich mein Wort halte.«
»Vater – bei allen Heiligen beschwör' ich Dich – dieser Kaufbrief ist verfälscht – Saise hat mir Alles entdeckt – sie ist den Ihrigen schändlich geraubt – ihr Vater erschlagen, sie selbst fortgeschleppt. –«
»Märchen,« lächelte Pitwell kopfschüttelnd. »Haben Sie schon je einen weggelaufenen Nigger gesehen, mein Fräulein, der sich nicht irgend eine solche glaubwürdige Geschichte ausgedacht hätte?«
»Vater – Vater!« bat Gabriele, und versuchte ihn zurückzuhalten, er stieß sie aber jetzt unwillig bei Seite und rief:
»Nun wird's mir bald zu bunt – ich thue dem Ding ja Nichts; ist sie eine Indianerin, so ist sie so frei wie wir selbst, findet sich aber – ha – beim Teufel – das ist es – Mr. Pitwell –«
»Halt!« schrie Gabriele – deren Blick oft und ängstlich nach der nicht so fernen Straße hinübergeschweift war – »halt! dort kommt Mr. St. Clyde – warten Sie seine Ankunft ab, er kann, er darf das nicht zugeben.«
»Mr. St. Clyde soll zum Teufel gehen,« zürnte der alte Pflanzer – »hat sich der in die Rechte eines fremden Mannes zu mischen? Mr. Pitwell, das Mädchen ist die Ihrige, und meiner Tochter mag sie's danken, daß sie nicht noch vorher eine gehörige Anzahl Peitschenhiebe mitnimmt. Verdammt! ein Nigger, der so frech ist sein Fell zu verleugnen!«
»Wir können sie ja bis morgen früh in irgend eine der Negerhütten schaffen,« sagte Pitwell, auf sie zugehend und seine Hand nach der immer noch Bewußtlosen ausstreckend, »morgen früh« –
Die flüchtigen Schritte eines Mannes wurden auf der Treppe gehört.
»Mr. St. Clyde – zu Hülfe!« rief Gabriele in letzter Noth. In demselben Moment aber daß die Creolin diesen Namen ausstieß und der junge Mann in der Thüre erschien, schlug auch Saise die Augen wieder auf. Ein einziger Blick sagte ihr Alles – wenige Secunden lang barg sie ihr Antlitz an der Brust der Freundin, dann aber hob sie sich, von Gabriele gehalten, empor und schaute, die großen dunkeln Augen weit geöffnet, wild und leise zusammenschaudernd im Kreise umher.
»Um Gottes willen – was ist hier vorgefallen?« rief St. Clyde, indem er auf das zitternde Mädchen zusprang und es unterstützte – »was ist geschehen, Miß Beaufort?«
»Retten Sie Saise,« rief die Jungfrau – »retten Sie Saise vor jenem Buben.«
Der Fremde wurde leichenblaß und starrte wild umher.
»Gabriele!« rief aber der Vater, »jetzt hab' ich's satt – Mr. St. Clyde, überlassen Sie den Nigger sich selbst – es ziemt einem weißen Manne nicht –«
»Mr. Beaufort!«
»Allerdings – das Mädchen ist eine, diesem Gentleman entflohene Sklavin.«
»Das ist eine Lüge,« sagte Saise plötzlich, sich hoch und stolz emporrichtend; das Wort Nigger hatte ihr ihre ganze Kraft und Stärke wiedergegeben; sie fühlte, wie jetzt der Augenblick gekommen, vor dem sie so lange schon gebebt; aber gerade da er gekommen, hatte er auch all' sein Fürchterliches verloren. Ihre ganze Seelenstärke war zurückgekehrt und die Indianerin, die freie Tochter der Wälder in ihr erwacht. –
Aber vergebens erzählte sie jetzt mit klaren, überzeugenden Worten das ganze Bubenstück jenes Schurken, der lächelnd und achselzuckend daneben stand, vergebens rief sie Gott zu ihrem Zeugen an – sie war in Louisiana – ein weißer Mann hatte sie als seine ihm entflohene Sklavin reclamirt – das krause Haar sprach für seine Aussage, mehr aber noch und unantastbar fast der Kaufbrief und ihre darin genau verzeichnete Gestalt. War doch selbst vor nicht gar langer Zeit ein weißes Mädchen, mit blonden Haaren und blauen Augen, aber als die Tochter einer Mestize, hier öffentlich versteigert worden, und wenn diese selbst fast weiß sein mochte, blieb sie Sklavin; wie viel mehr nun eine Indianerin, deren braune Hautfarbe der Amerikaner überdies als der seinen untergeordnet hielt und nur wenig höher schätzte, als die äthiopische Race selbst.
Gabriele wollte, als alle Bitten nutzlos blieben, dem Fremden die Freundin abkaufen, dagegen aber protestirte St. Clyde und zwar mit einer Wärme, die, wenn sie nur aus reiner Menschlichkeit entsprang, ihm alle Ehre machte.
»Nein!« rief er, »nein – das hieße bekennen, sie gehöre zu jenem verachteten Stamm! rein und frei soll sie dastehen und wenn ich den Beweis dazu mit meinem Blute führen sollte. Mr. Pitwell, Sie werden diesen Parish nicht wieder verlassen, ehe Sie sich von der gegen Sie erhobenen Anklage gereinigt haben –«
»Wer klagt ihn an?« rief Beaufort auffahrend, »wer klagt ihn an, Sir? Ein Nigger – seine eigene Sklavin; sind Sie thöricht genug zu glauben, daß das Gericht auf solche Klage eingehen würde? Sie sollten die Gesetze des Staates besser kennen.«
»Ich selber klage diesen Mann an,« rief St. Clyde, »ich selber – nicht diese Unglückliche, die seinen Händen bis dahin nicht überliefert werden darf.«
»Das möchte Ihnen schwer werden durchzusetzen,« hohnlachte Pitwell, »glücklicherweise bin ich vertraut genug mit den hiesigen Gebräuchen. Sie können mich anklagen, aber mein Eigenthum dürfen Sie mir indessen nicht vorenthalten.«
»Herr, Sie müssen erst beweisen, daß Saise Ihr Eigenthum ist!« rief St. Clyde.
»Das ist bewiesen, Mr. St. Clyde!« entgegnete Beaufort kalt – »und jetzt würden Sie mich sehr verbinden, keine weitere Störung hier zu verursachen.«
»Mr. Duxon,« wandte er sich dann an den Overseer, der in diesem Augenblick in der Thür erschien, »haben Sie die Güte, diese entflohene Sklavin – und er deutete auf Saise – in einer der Negerhütten unterzubringen; Sie haften mir aber für ihre Sicherheit.«
»Saise?« rief Duxon erstaunt und wollte kaum seinen Ohren und Augen trauen – »Saise – ein Nigger? – Ei, da muß ja der Teu... –«
»Herr!« rief St. Clyde entrüstet.
»Um Gottes willen!« flehte Saise, seinen Arm ergreifend, »kämpfen Sie jetzt nicht gegen die Uebermacht an – wenden Sie sich an die Gerichte – die müssen mir helfen, ich stehe ja unter dem Schutz der Vereinigten Staaten. Mein Vater hat sein Land an diese abgetreten und sie haben versprochen, ihm beizustehen. Man soll mich nur so lange gefangen halten, bis ich einen Boten zu meinem Stamme schicken kann; Alle werden hierher kommen und Zeugniß für mich ablegen, daß ich die Tochter ihres Häuptlings bin. O, wenn mein Bruder nur wüßte –«
»Dazu braucht es keine Indianer,« lächelte Pitwell, »das kann ich selbst bezeugen; wer aber war Deine Mutter? Eine Mestize – steht es hier etwa anders geschrieben? Diese Mestize gehörte meinem Freund, von dem ich Dich gekauft, und wenn der Dich Deinem Vater so lange Jahre ließ, so geschah es bloß deshalb, daß er Dich erziehen sollte; seine Sklavin bist Du deshalb doch.«
»Meine Mutter war die Tochter eines Siouxhäuptlings,« rief Saise, sich stolz emporrichtend, »und wer das Gegentheil behauptet, lügt!«
Die Faust des alten Beaufort fällte die Unglückliche mit einem Schlage zu Boden.
»Was?« schrie er, »will das Niggerthier noch in meiner Gegenwart einen weißen Mann einen Lügner nennen? Ist's nicht genug, daß sie mich erst selber anlügen und zum Narren haben mußte?«
Er würde seine Worte kaum so unangefochten beendet haben, denn mit einem Racheschrei auf den Lippen sprang St. Clyde auf ihn zu, aber ihm entgegen warf sich Gabriele und beschwor ihn bei Allem, was ihm heilig sei, bei Allem, was er liebe, ihres Vaters zu schonen. Jetzt trat aber auch der Overseer dazwischen und rief dem jungen Manne trotzig zu:
»Herr St. Clyde, ich will Sie hiermit wohlmeinend gewarnt haben, keine überflüssigen Worte mehr zu reden. Die Mamsel steht von diesem Augenblick an unter meiner Wache und wer meine Nigger gegen mich in Schutz nehmen will, dem renne ich einen Fuß kalten Stahl in den Leib!« Und er zog, während er diese Worte sprach, sein schweres Bowiemesser unter der Weste vor.
Clyde war unbewaffnet, und wußte auch, wie die Gesetze einen Overseer oder Sklavenbesitzer schützen, wenn sich ein Fremder in ihre Angelegenheiten ungerufen mischt. Noch kürzlich war auf solche Art ein Abolitionist aus Ohio erschossen, ohne daß der Mörder mehr Ungelegenheiten als ein etwa viertelstündiges Verhör deshalb gehabt hätte; für jetzt mußte er also der rohen Gewalt weichen, aber retten wollte er Saisen, das schwur er sich, und wenn es sein eigenes Leben kosten solle.
»Mr. Beaufort,« rief er, sich noch einmal an den Pflanzer wendend, »Sie werden mir für die Mißhandlung dieser Unglücklichen Rede stehen; jetzt habe ich keine Macht, Ihrer Gewaltthat zu begegnen; thun Sie mit dem armen Mädchen, was Sie verantworten können, aber der ewige Gott da oben ist mein Zeuge, daß ich mich von jetzt an für Saisens Schützer erkläre, und die Gesetze des Staates müssen und werden mir beistehen. Leben Sie wohl, Fräulein Beaufort, und oh – verlassen Sie die Arme nicht – gönnen Sie ihr wenigstens den Trost, zu fühlen, daß sie nicht ganz allein auf der Welt steht.«
Der Overseer hatte indessen zwei Negern, die eben Handwerkszeug zum Hause schafften, heraufzukommen gewinkt und rief diesen nun zu: »Schafft das Mädchen da in Mutter Betty's Hütte hinunter, und Du, Ben, stehst Wache dabei, Dein schwarzes Fell bürgt mir für sie; ich zieh es Dir lebendig vom Leibe, wenn Du sie entwischen läßt.«
»Keine Furcht, Massa« – sagte der Neger grinsend, »aber welches Mädchen, De Lor' bleß you, ich sehe kein Mädchen zum mitnehmen, Missus Saise?«
St. Clyde sprang die Treppe hinab, schwang sich auf sein Pferd und sprengte mit verhängten Zügeln dem Mississippi zu; Gabriele bog sich schluchzend zu dem armen Kinde nieder und band ihr das eigene Tuch um die blutende Stirn, die beiden Neger aber starrten mit weit von einander gerissenen Lippen bald den Einen, bald den Andern an und konnten das Vorgefallene nicht begreifen, bis sie ihres Vorgesetzten erneuter Ruf und die drohend geschwungene Peitsche an die Erfüllung des gegebenen Befehls erinnerte. Sie hoben die Indianerin vom Boden auf und verschwanden mit ihr bald nachher in einer der niederen, gleichförmigen Negerhütten, die in langen, regelmäßigen Reihen, einer kleinen Stadt nicht unähnlich, das Herrenhaus umgaben. Gabriele zog sich auf ihr Zimmer zurück, die Männer aber – der Overseer wurde heute ebenfalls von seinem Prinzipal eingeladen zu Tisch zu bleiben – ließen sich an der Tafel nieder, und Beaufort schien mit dem eisigen Claret allen Aerger und Verdruß hinunterspülen zu wollen, bedankte sich aber, ehe er sein Lager suchte, noch einmal bei dem Fremden, daß er ihn und sein Haus von der Schande befreit habe, »verdammtes Niggerblut« neben Weißen zu beherbergen.
Mr. Pitwell hatte seine Schlafstelle angewiesen bekommen; da aber die Luft kühl war, wie er sagte, so zog er es vor, noch ein Viertelstündchen mit dem Overseer am Flusse auf- und abzugehen, stieg also mit diesem hinunter, und schritt zwischen einer Allee von China- und Tulpenbäumen hin, dem Eingang der Plantage zu, der durch eine dichte Feigen- und Orangenhecke beschattet wurde.
»Hört einmal, Pitwell« – sagte Duxon, hier stehen bleibend – »habt Ihr wieder einen von Euren alten Streichen ausgeübt, he? Ist das Mädchen ein Nigger oder ist's keiner?«
»Was geht's Euch an?« brummte Pitwell, sich ängstlich dabei umsehend – »es kann uns doch Niemand hier behorchen?«
»Keine Seele – aber kommt – Ihr müßt mir die Sache erzählen; verdammt will ich sein, wenn das mit rechten Dingen zugeht. Oh zum Henker, Mann, seid doch nicht so verschwiegen; von uns Beiden wird doch wahrhaftig keiner den Andern verrathen?«
»Nun gut, Ihr sollt Alles wissen, aber kommt fort von hier, ins Freie hinaus,« flüsterte Pitwell, »hier unter den Bäumen ist mir's so unheimlich und kommt mir immer vor, als ob mich Jemand behorchte.«
Die beiden würdigen Leute schritten mitsammen an das Ufer des Fausse Rivière und wanderten hier Arm in Arm herauf und herunter von der Plantage. Pitwell erzählte nun dem Freunde und Bundesgenossen aufrichtig den ganzen Hergang, erklärte ihm aber auch, daß er, trotz seiner Sicherheit, doch nicht abwarten wolle, bis der junge Laffe – St. Clyde – seine Drohungen wahr machen könne, sondern morgen mit dem Frühsten aufbrechen werde.
»Das trifft sich herrlich!« sagte der Overseer, »ich bin mit Beaufort ebenfalls in Abrechnung begriffen und kann Euch vielleicht, wenn Ihr nur noch ein oder zwei Tage bleibt, begleiten. Ueber die jetzige Nachlese läßt sich dann leicht ein ungefährer Ueberschlag machen. Mir gefällt's nicht mehr hier am Fluß, ich will nach Texas und eine eigene Plantage kaufen.«
»Wie? Schon so viel verdient? Das ist geschwind gegangen,« lachte der Fremde.
»Da müßte Einer ein gewaltiger Thor sein,« meinte der Overseer lächelnd, »wenn er auf einer solchen Pflanzung nicht in drei Jahren ein Capitälchen zurücklegen könnte.«
»Mir wär's recht, so lange zu warten,« sagte Pitwell, »aber ich kann nicht, ich muß machen, daß ich das Ding verkaufe; erstlich fühl ich mich hier nicht so recht sicher, und dann – hab ich sonst noch Arbeit. Das Wiederfinden hätte mir übrigens nicht gelegener kommen können; weiß nur der Teufel, wie das kleine Geschöpf dem Ersaufen entgangen ist; mit meinen eigenen Augen hab ich gesehen, wie es unterging, und noch dazu mit gebundenen Händen.«
»Die Indianer können schwimmen und tauchen wie die Fische;« lachte Duxon; »aber wißt Ihr was, Pitwell, ich kaufe Euch die Kleine ab?«
»Was – Ihr? – Aber jener Creole?«
»Mag zum Teufel gehen, ich übernehme jede weitere Verantwortung.«
»Und kauft Ihr sie so, wie ich sie verkaufen kann?« frug vorsichtig der Yankee, »wollt Ihr den Verlust tragen, wenn die Indianer kämen und sie als die Tochter ihres Häuptlings reclamirten?«
»Ja gewiß,« rief spöttisch der Overseer, »aber dafür muß ich sie auch billig haben – ich gebe Euch zweihundert Dollar.«
»Hallo – das ist zu wenig – bedenkt, das Mädchen ist achthundert werth.«
»Wenn ich Euch im Stiche lasse, keine funfzig Cent,« höhnte Duxon.
»Nein, Mann, zweihundert ist bei Gott zu wenig, da ließ ich es doch lieber selber darauf ankommen; gebt mir drei und sie ist Euer!«
»Topp – kommt mit in mein Haus, schreibt den Kaufbrief auf mich über und nehmt das Geld in Empfang.«
»Und glaubt Ihr, daß ich noch, ohne Gefahr zu laufen, ein paar Stunden hier verweilen kann?«
»Ein paar Jahre, wenn Ihr wollt; hab ich erst einmal das Mädchen, so soll sie mir ganz Louisiana nicht mehr entreißen können; die Gesetze müssen in allen Sklavenstaaten auf meiner Seite sein, und es giebt dann nichts Gefährlicheres auf der Welt, als ihnen, gerade in diesem Punkt, widerstreben zu wollen. Kommt, Pitwell, in zehn Minuten muß die schöne Indianerin mir gehören, und morgen schon mache ich meine Anrechte auf sie geltend; nachher kann ihr ganzer Stamm kommen und schwören – mir gleich.«
Die beiden Männer schritten eilig in das zwischen den Negerhütten stehende, und sich nur durch ein höheres Dach und eine Galerie von diesen unterscheidende Haus des Overseers zurück, und schlossen dort den beredeten Handel ab. Pitwell empfing das Geld und Saise wurde dem Overseer als alleiniges und rechtmäßiges Eigenthum überschrieben. Beaufort selbst sollte am nächsten Morgen seinen Namen als Zeuge daruntersetzen.
St. Clyde hatte indessen sein Pferd mit Sporen und Peitsche so angetrieben, daß es, als er vor des Richters Thür in Point-Coupee anhielt, ein paar Secunden lang hin und her schwankte und dann, matt und aufgerieben, wie es war, zusammenbrach; ohne es aber auch nur eines Blickes zu würdigen, flog er die Treppe hinauf, stürzte in des Richters Zimmer und rief diesen, ihm mit wenigen Worten die Frevelthat erzählend, um Beistand an.
Der Richter war ein wackerer Mann, streng rechtlich und in der Ausübung seiner Pflicht menschlich, aber gar bedenklich schüttelte er mit dem Kopfe, als er von dem nach Form Rechtens ausgestellten Kaufbriefe hörte. Er kannte die Gewalt, die ein solches Schreiben hatte.
»Junger Mann,« sagte er nach langer Pause, während er sinnend, den Kopf in die Hand gestützt, zu dem Creolen aufschaute, »das ist eine böse Sache. Erstlich scheint es mir freilich, als ob Sie das Ganze ein bischen zu romantisch ansähen, dann aber, wäre auch wirklich Alles so, wie Sie es schildern, so sehe ich doch nicht ein, auf welche Art es gehoben werden könnte; wir dürfen nicht gegen die Gesetze handeln und wenn wir wirklich den festen Glauben hätten, dem armen Mädchen geschähe Unrecht.«
»Aber Sie werden doch nicht zugeben, daß eine freie Indianerin aufgegriffen und verkauft wird?« rief St. Clyde erzürnt, »dasselbe könnte ja jedem Weißen begegnen, wenn sich zwei Buben vereinigten, einen Kaufbrief über ihn zu schreiben und zu schwören, daß seine Mutter eine Mestize gewesen sei.«
»Das nun wohl nicht,« lächelte der Richter; »ehe ein Weißer verkauft würde, müßten gewaltige Beweise vorliegen, daß er wirklich aus Negerblut abstamme; aber Sie dürfen auch nicht allen solchen Erzählungen weggelaufener Neger glauben; großer Gott, die lügen Ihnen manchmal das Blaue vom Himmel herunter.«
»Wär es denn nicht möglich, die Indianerin den Händen jenes Mannes zu entziehen, bis man Zeugen aus ihrem Stamm herbeischaffen könnte?«
»Bester Freund, der Stamm lebt an die sieben bis achthundert Meilen von hier entfernt, Mr. Beaufort selbst hat sie über vierhundert Meilen den Fluß heruntergebracht; nein, da könnten ja nur alle derartigen, Indianern ähnliche Personen, wie zum Beispiel Mulatten und Mestizen, behaupten, es flösse rein indianisches Blut in ihren Adern, und uns dann ersuchen, nach den Eskimos hinaufzuschicken und Zeugen herunter zu holen. Nein, das geht nicht. Hätten wir aber auch wirklich die Zeugen hier, so sind das immer nur – Indianer. Das Gescheidteste wäre, Sie kauften das Mädchen, wenn Ihnen wirklich so viel daran liegt, als mir vorkommt.«
»Kaufen?« rief St. Clyde mit schmerzdurchbebter Stimme, »kaufen? – und sie ist dann wirklich Sklavin? Ist denn kein Ausweg, die Unglückliche von dieser Schande zu retten?«
»Ich fürchte – nein – auf jeden Fall aber wäre dies das Sicherste, sie doch wenigstens für den Augenblick zurückzuhalten. Vielleicht läßt sich jener Fremde auch bewegen, vorher nur einen Theil der Zahlung zu nehmen, und man kann dann sehen, was weiter in der Sache zu thun ist; was sagen Sie dazu?«
»Ach, bester Richter,« seufzte der junge Creole wehmüthig, »Sie wissen recht gut, daß ich arm bin. Mein einziges Pferd ist mir eben gestürzt, und ich werde kaum Geld genug übrig behalten, mir ein neues zu kaufen. Wie sollte ich die Summe auftreiben, die jener Bube für Saise fordern wird?«
»Hören Sie, St. Clyde, ich will Ihnen einen Vorschlag machen, ich selbst will das Mädchen kaufen und bei mir behalten; haben Sie sich das Geld verdient – so – überlaß ich sie Ihnen.«
»Kaufen und immer nur kaufen!« stöhnte der Creole.
»Nehmen Sie meinen Vorschlag an,« sagte der Richter herzlich, »sie soll in meinem Hause wie eine Tochter behandelt werden.«