Ausgewählte Erzählungen für die Jugend - Lew Tolstoi - E-Book

Ausgewählte Erzählungen für die Jugend E-Book

Lew Tolstoi

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Beschreibung

›Ausgewählte Erzählungen für die Jugend‹ ist ein Geschichtenband mit spannenden Erzählungen des russischen Schriftstellers Lew Tolstoi. Darin werden Bären gejagt, es geht in den Kaukasus und die Einsamkeit Sibiriens. Enthalten sind die Erzählungen: Wovon die Menschen leben, Die Wallfahrer, Meine Hunde, Die Bärenjagd, Der Gefangene im Kaukasus, Jermak und die Eroberung Sibiriens

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LUNATA

Ausgewählte Erzählungen für die Jugend

Lew Tolstoi

Ausgewählte Erzählungen für die Jugend

© 1922 Lew Tolstoi

Aus dem Russischen von Alexander Eliasberg

Umschlagbild: Léonard-Alexis Daligé de Fontenay

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Die Bärenjagd

Der Gefangene im Kaukasus

Jermak und die Eroberung Sibiriens

Die Wallfahrer

Wovon die Menschen leben

Meine Hunde

Die Bärenjagd

Wir trafen uns im Walde und berieten uns, was nun zu machen sei: sollen wir jetzt gleich auf die Suche nach diesem Bären gehen oder an die drei Tage warten, bis er wieder zur Ruhe kommt und sich irgendwo niederlegt?

Wir befragten die Bärenjäger unter den Bauern, ob man diesen Bären jetzt wieder einkreisen könne. Ein alter Bärenjäger sagte: »Nein, es geht nicht, man muß ihm Zeit lassen, zur Ruhe zu kommen; nach fünf Tagen wird man ihn einkreisen können, wenn man ihn aber jetzt verfolgt, so macht man ihn nur scheu, und er wird sich nicht niederlegen.«

Ein junger Bärenjäger widersprach aber dem Alten und sagte, man könne den Bären jetzt wohl einkreisen: »Bei diesem Schnee wird der Bär nicht weit fortkommen können, er ist zu feist. Er wird sich heute noch irgendwo niederlegen. Und wenn er sich nicht niederlegt, so hole ich ihn auf den Schneeschuhen ein.«

Auch mein Freund wollte den Bären nicht verfolgen und riet zu warten.

Ich sagte: »Was sollen wir streiten? Tut, was ihr wollt, ich werde aber mit Demjan die Spur verfolgen. Wenn wir ihn einholen, so ist es gut, und wenn wir ihn nicht einholen, so ist es einerlei: heute haben wir sowieso nichts zu tun, es ist aber noch nicht spät.«

So machten wir es auch.

Unsere Genossen gingen zu den Schlitten und fuhren ins Dorf, und ich und Demjan versorgten uns mit Brot und blieben im Walde.

Als die anderen gegangen waren, untersuchten Demjan und ich unsere Gewehre, steckten die Schöße unserer Pelze in die Gürtel und gingen der Bärenspur nach.

Das Wetter war schön: frostig und windstill. Auf den Schneeschuhen kamen wir aber schwer vorwärts: der Schnee war tief und locker. Im Walde gab es noch keine feste Schneeschicht, außerdem hatte es einen Tag vorher geschneit, und die Schneeschuhe versanken eine Viertelelle und noch tiefer in den Schnee.

Die Bärenspur war weit sichtbar. Man konnte genau sehen, wie der Bär gegangen und wie er stellenweise bis an den Bauch eingesunken war und den Schnee aufgewühlt hatte. Anfangs verfolgten wir die Spur durch den Hochwald; als die Spur dann durch niederes Tannengehölz ging, blieb Demjan stehen und sagte: »Jetzt müssen wir die Spur aufgeben. Er wird sich wohl hier niederlegen. Er hat angefangen, sich hinzusetzen, man sieht es ja im Schnee. Lassen wir die Spur seitwärts liegen und machen wir einen Bogen. Wir müssen aber ganz still sein, nicht schreien, nicht husten, sonst scheuchen wir ihn auf.«

Wir bogen nach links ab. Als wir an die fünfhundert Schritt gegangen waren, sahen wir die Bärenspur wieder vor uns. Wir gingen wieder der Spur nach, und diese führte uns auf die Landstraße. Wir blieben auf der Landstraße stehen und untersuchten, nach welcher Richtung der Bär weitergegangen sei. Stellenweise sahen wir auf der Straße Abdrücke der ganzen Bärentatze mit den Zehen, stellenweise Spuren von Bastschuhen, wie sie die Bauern tragen. Der Bär war offenbar in der Richtung auf das Dorf zu gegangen.

Wir gingen die Landstraße entlang. Demjan sagte: »Jetzt brauchen wir gar nicht auf die Straße zu schauen: wir werden schon im Schnee sehen, wo der Bär nach rechts oder nach links abgebogen ist. Irgendwo muß er doch abgebogen sein, der Bär wird doch nicht ins Dorf gehen.«

So legten wir etwa eine Werst auf der Landstraße zurück. Da sahen wir eine Spur, die von der Straße seitwärts führte. Wir sahen genauer hin: was für ein Wunder! Es war wohl eine Bärenspur, sie führte aber nicht von der Straße in den Wald, sondern aus dem Walde auf die Straße: die Zehen waren zur Straße gerichtet. Ich sagte: »Es ist ein anderer Bär.« Demjan sah hin, dachte nach und sagte: »Nein, es ist wohl derselbe, aber er will uns irreführen. Er ist von der Straße rückwärts abgebogen.« Wir gingen der Spur nach; ja, es stimmte. Der Bär war wohl an die zehn Schritt von der Straße rückwärts gegangen, hatte sich hinter einer Tanne umgedreht und war dann vorwärts gegangen. Demjan blieb stehen und sagte: »Jetzt werden wir ihn sicher umgehen können. Er kann sich nirgends niederlegen als in diesem Sumpfe. Wollen wir einen Bogen machen.«

Wir machten einen Bogen durch dichtes Tannengehölz. Ich war schon sehr müde, und das Fahren auf den Schneeschuhen wurde sehr beschwerlich. Bald stieß man auf einen Wacholderbusch und blieb an ihm hängen, bald bekam man einen Tannenast zwischen die Füße, bald rutschte ein Schneeschuh auf die Seite, bald fuhr man gegen einen unter dem Schnee verborgenen Baumstumpf oder Klotz. Ich war erschöpft. Ich zog den Pelz aus, ich war in Schweiß gebadet. Demjan schwamm aber wie in einem Boot. Die Schneeschuhe bewegten sich unter ihm ganz von selbst. Nirgends blieb er hängen, nirgends rutschte er aus. Er warf sich auch noch meinen Pelz über die Schultern und trieb mich immer zur Eile an.

Wir machten einen Umweg von etwa drei Werst und gingen um den Sumpf herum. Ich fing an, zurückzubleiben, – die Schneeschuhe rutschten immer auf die Seite, und die Füße verfingen sich ineinander. Plötzlich blieb Demjan vor mir stehen und winkte mit der Hand: »Hörst du, wie die Elster über dem Windbruch schreit; der Vogel wittert ihn aus der Ferne. Er ist es.«

Wir bogen ab, gingen noch eine Werst und gerieten wieder auf die alte Spur. So hatten wir einen Kreis um den Bären herum gemacht, und er war innerhalb unseres Kreises geblieben. Wir machten halt. Ich nahm mir die Mütze vom Kopfe und knöpfte alle Kleider auf: es war mir heiß wie in einem Dampfbade, und ich war so naß wie eine Maus. Auch Demjan war ganz rot geworden und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »Herr,« sagte er, »wir haben unsere Sache gemacht, jetzt müssen wir ausruhen.«

Durch den Wald leuchtete aber schon das Abendrot. Wir setzten uns auf die Schneeschuhe, um auszuruhen. Wir holten aus dem Sacke Brot und Salz; ich aß zuerst etwas Schnee und machte mich dann an das Brot. Das Brot schmeckte mir so gut wie noch nie im Leben. So saßen wir eine Weile. Indessen fing es zu dunkeln an. Ich fragte Demjan, ob es bis zum Dorfe noch weit wäre. »Ja, so an die zwölf Werst. Wir werden es auf die Nacht erreichen, jetzt müssen wir aber ausruhen. Zieh deinen Pelz an, Herr, sonst erkältest du dich.«

Demjan brach einige Tannenzweige ab, stampfte den Schnee fest und bereitete ein Lager; wir legten uns nebeneinander hin und verschränkten die Hände im Nacken. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ich plötzlich einschlief. Ich erwachte nach etwa zwei Stunden. Etwas hatte gekracht.

Ich war fest eingeschlafen und hatte ganz vergessen, wo ich mich befand. Ich sah mich um – was für ein Wunder, wo bin ich? Ich sehe um mich her einen weißen Palast mit weißen Säulen, und alles glitzert und strahlt. Ich blicke hinauf – über mir sind weiße Streifen und Bögen, und zwischen den Bögen eine stahlblaue Decke mit vielen bunten Feuern. Ich sah mich um und besann mich, daß wir uns im Walde befanden, und merkte, daß ich die verschneiten und bereiften Bäume für einen Palast gehalten hatte; die Feuer waren aber die Sterne, die am Himmel zwischen den Ästen flimmerten.

Am Abend war Reif gefallen: auf den Ästen lag Reif, auf meinem Pelz lag Reif, auch Demjan war ganz von Reif bedeckt, und von oben fiel Reif herab. Ich weckte Demjan. Wir stellten uns auf unsere Schneeschuhe und gingen weiter. Im Walde war es ganz still, wir hörten nur, wie unsere Schneeschuhe über den weichen Schnee glitten und wie ab und zu ein Baum im Froste krachte, so daß es im ganzen Walde widerhallte. Nur ein einziges Mal raschelte etwas Lebendiges ganz nahe an uns vorbei und lief davon. Ich sagte mir gleich, daß es der Bär sei. Wir gingen an die Stelle, wo wir das Rascheln gehört hatten, und sahen eine Hasenspur. Die jungen Espen ringsherum waren angenagt. Hier hatten also Hasen geäst.

Wir kamen wieder auf die Landstraße, banden die Schneeschuhe am Gürtel fest und gingen die Straße weiter. Das Gehen fiel uns leicht. Die Schneeschuhe klapperten hinter uns auf der festgefahrenen Straße, der Schnee knirschte unter den Stiefeln, der kalte Reif klebte wie Flaum auf den Gesichtern. Die Sterne schienen uns an den Ästen entlang entgegenzulaufen, sie leuchteten bald auf und erloschen dann wieder, der ganze Himmel war in Bewegung.

Mein Freund schlief. Ich weckte ihn. Wir erzählten ihm, wie wir den Bären umgangen hatten, und befahlen dem Wirt, für den nächsten Morgen Bauern als Treiber zu bestellen. Wir aßen zur Nacht und legten uns schlafen.

Ich war so müde, daß ich bis zum Mittag hätte schlafen können, aber mein Freund weckte mich. Ich sprang auf und sah, daß mein Freund schon fertig angekleidet war und sich mit seinen Gewehren zu schaffen machte.

»Wo ist Demjan?« Er war schon längst im Walde. Er hatte schon die Einkreisung nachgeprüft, war wieder hier gewesen und dann mit den Treibern weggegangen. Ich wusch mich, zog mich an und lud meine Gewehre; wir setzten uns in einen Schlitten und fuhren hin.

Der Frost war noch immer streng, alles war still, und die Sonne blieb unsichtbar; oben schwebte ein Nebel, und Reif fiel herab.

Wir legten an die drei Werst auf der Landstraße zurück und näherten uns dem Walde. Wir sehen – unten schwebt ein blauer Rauch, und Bauern und Bauernweiber mit Knüppeln stehen herum.

Wir stiegen aus und gingen auf die Leute zu. Die Bauern sitzen da, braten sich Kartoffeln und scherzen mit den Weibern.

Auch Demjan war mit ihnen. Die Leute erhoben sich, und Demjan führte sie fort, um sie längs des Kreises, den wir gestern gemacht hatten, aufzustellen. Die Männer und Weiber, zusammen dreißig Seelen, stellten sich in einer geraden Linie auf, – man sah sie nur bis zum Gürtel – und verschwanden im Walde; mein Freund und ich folgten dann ihrer Spur.

Der Weg war zwar schon festgestampft, aber das Gehen fiel nicht leicht; dafür konnte man nirgends hinfallen, – man ging wie zwischen zwei Mauern.

So gingen wir etwa eine halbe Werst weit; da sahen wir, wie Demjan uns von der anderen Seite entgegenlief und mit der Hand winkte, daß wir zu ihm kämen.

Wir kamen zu ihm heran, und er wies uns unsere Plätze an. Ich stellte mich auf meinen Platz und sah mich um.

Links von mir ist hohes Tannengestrüpp; durch das Gestrüpp hindurch kann ich weit sehen, und hinter den Bäumen erkenne ich die dunkle Gestalt eines Treibers. Mir gegenüber steht dichtes junges Tannengebüsch, etwa mannshoch. Die Äste hängen herab und sind vom Schnee zusammengeklebt. Mitten durch das Gebüsch führt ein schneeverwehter Pfad. Der Pfad mündet gerade vor mir. Rechts von mir ist wieder dichtes Tannengebüsch, und hinter diesem eine Wiese. Und ich sehe, wie Demjan meinen Freund auf dieser Wiese aufstellt.

Ich untersuche meine beiden Gewehre, spanne die Hähne und überlege mir dann, wo ich mich am besten hinstellen soll. Drei Schritt hinter mir ragt eine hohe Fichte. Ich will mich an der Fichte aufstellen und das andere Gewehr an sie lehnen. Ich ging zur Fichte, sank bis über die Knie ein, stampfte neben dem Baume einen Raum von anderthalb Ellen fest und richtete mich da ein. Das eine Gewehr nahm ich in die Hand und lehnte das andere mit gespannten Hähnen an die Fichte. Ich zog den Dolch aus der Scheide und steckte ihn wieder hinein, um mich zu vergewissern, ob er sich im Notfalle leicht herausziehen ließe.

Kaum hatte ich mir's bequem gemacht, als ich Demjan im Walde schreien hörte: »Er geht, er geht! Er kommt!« Und sofort fingen die Bauern mit verschiedenen Stimmen zu schreien an: »Er kommt! Uh–uh–uh!« schrien die Männer. »Ai! Hi–hi!« schrien die Weiber mit hohen Stimmen.

Der Bär war im Kreise. Demjan trieb ihn vor. Überall ringsum schrien die Bauern, nur ich und mein Freund standen schweigend und unbeweglich da und warteten auf den Bären. Ich stehe da, schaue hin, höre, und mein Herz klopft. Ich stütze mich aufs Gewehr und zittere. Gleich wird er herausspringen, denke ich mir, ich werde zielen und schießen, und er wird hinfallen … Plötzlich höre ich, wie links etwas in den Schnee einstürzt, es ist aber weit von mir. Ich blicke auf das hohe Tannengebüsch: fünfzig Schritt hinter den Bäumen steht etwas Schwarzes und Großes. Ich lege an und warte. Ich denke mir: ob er nicht näher kommt? Ich sehe: er zuckt mit den Ohren, wendet sich um und geht zurück. Nun kann ich ihn von der Seite ganz sehen. Ein Riesenvieh! Ich ziele viel zu schnell und paff! Ich höre, wie meine Kugel einen Baumstamm trifft. Ich sehe durch den Rauch hindurch, wie mein Bär gegen die Treiberkette rennt und im Walde verschwindet. Nun, denke ich mir, ich habe meine Sache verdorben, jetzt wird er nicht mehr zu mir kommen; entweder kommt mein Freund zum Schuss oder der Bär rückt gegen die Bauern vor, jedenfalls nicht gegen mich. – Ich stehe da, habe mein Gewehr wieder geladen und lausche. Die Bauern schreien von allen Seiten, aber rechts, nicht weit von meinem Freund, schreit ein Weib besonders laut: »Da ist er! Da ist er! Da ist er! Hierher! Hierher! Ai–ai–ai!«

Sie sieht wohl den Bären dicht vor sich. Ich erwarte ihn nicht mehr und blicke nach rechts zu meinem Freund hinüber. Ich sehe: Demjan läuft mit einem Stöckchen in der Hand, ohne Schneeschuhe, auf dem Fußpfade zu meinem Freund, hockt sich neben ihn hin und deutet auf etwas mit dem Stock, als ob er zielte. Ich sehe, mein Freund legt an und zielt dorthin, wohin Demjan zeigt. Paff! Nun, denke ich mir, er hat ihn getroffen. Aber ich sehe, mein Freund läuft gar nicht zum Bären. Er hat entweder vorbeigeschossen oder schlecht getroffen. Der Bär wird nun zurückgehen, denke ich mir, zu mir wird er aber nicht mehr kommen. Was ist denn das? Ich höre plötzlich, wie etwas wie ein Sturmwind gegen mich loszieht, ganz in der Nähe bricht der Schnee ein, ich höre ein Schnauben. Ich sehe vor mich hin: er saust auf dem Pfade durch das Tannengestrüpp direkt auf mich zu und scheint vor Angst ganz von Sinnen. Nun ist er nur noch fünf Schritt vor mir, ich kann ihn ganz sehen – die schwarze Brust und den riesengroßen Kopf mit rötlichem Schimmer. Er saust direkt mit der Stirne auf mich zu und schüttet den Schnee nach allen Seiten. Ich sehe es den Augen des Bären an, daß er mich nicht sieht und bloß von Angst getrieben aufs Geratewohl dahersaust. Aber er rennt direkt auf die Fichte zu, an der ich stehe. Ich lege an, drücke ab, er ist aber noch näher gekommen. Ich sehe, ich habe vorbeigeschossen, er merkt es aber nicht, saust direkt auf mich zu und sieht mich noch immer nicht. Ich senke etwas das Gewehr, stoße ihn damit beinahe vor den Kopf, – paff! Ich sehe: ich habe ihn wohl getroffen, aber nicht getötet.

Er hob den Kopf, zog die Ohren ein, fletschte die Zähne und ging auf mich los. Ich ergriff das andere Gewehr; kaum hatte ich es aber in der Hand, als er mich schon in den Schnee geworfen hatte und über mich hinübergesprungen war. Es ist gut, denke ich mir, daß er mich umgeworfen hat. Ich richte mich auf und fühle, daß mich jemand niederdrückt und nicht aufstehen läßt. Er war so ins Rennen gekommen, daß er nicht mehr halten konnte und über mich hinübergesprungen war; dann wandte er sich aber um und wälzte sich mit seinem ganzen Rumpf über mich. Ich fühle, etwas Schweres liegt auf mir, ich fühle etwas Warmes über meinem Gesicht, ich fühle: er nimmt mein ganzes Gesicht in seinen Rachen, meine Nase ist schon in seinem Maul, ich spüre seinen heißen Atem, der nach Blut riecht. Er drückt meine Schultern mit den Tatzen nieder, und ich kann mich nicht rühren. Ich bemühe mich nur, meinen Kopf aus seinem Rachen herauszuziehen und an die Brust zu drücken und meine Nase und die Augen zu befreien. Er will mich aber just an den Augen und an der Nase packen. Ich fühle: er hat mich mit den oberen Zähnen an der Stirne dicht unter den Haaren gepackt, mit den unteren Zähnen aber unter den Augen, hat die Zähne zusammengepreßt und nagt. Es ist mir, als schneide man mir den Kopf mit Messern; ich wehre mich, suche mich zu befreien, er nagt aber wie ein Hund an mir herum und schnappt immerzu. Einmal befreite ich meinen Kopf, er packte ihn aber wieder. Es ist mein Ende, denke ich mir. Plötzlich fühle ich Erleichterung. Ich sehe hin: er ist nicht mehr da, er ist aufgesprungen und davongerannt.

Als mein Freund und Demjan sahen, daß der Bär mich in den Schnee geworfen hatte und an mir nagte, waren sie zu mir gestürzt. Mein Freund wollte mir möglichst schnell zu Hilfe kommen, machte aber einen Fehler: statt auf dem ausgetretenen Pfade zu laufen, lief er über den unberührten Schnee und fiel hin. Während er sich aufrichtete, nagte der Bär immer an mir herum. Demjan aber, der gar kein Gewehr, sondern nur einen Stock hatte, rannte den Pfad entlang und schrie: »Er hat den Herrn umgebracht! Er hat den Herrn umgebracht!« Er lief und schrie den Bären an: »Ach, du Verrückter! Was tust du! Laß es, laß es!«

Der Bär hörte auf ihn, ließ mich liegen und lief davon. Als ich mich erhob, war im Schnee so viel Blut, als ob man einen Hammel geschlachtet hätte, das Fleisch hing mir über den Augen in Fetzen herunter, aber vor lauter Aufregung spürte ich keinen Schmerz.

Mein Freund kam herbei, auch die Bauern versammelten sich. Sie untersuchten meine Wunde und benetzten sie mit Schnee. Ich dachte aber gar nicht an die Wunde und fragte bloß: »Wo ist der Bär? Wo ist er hingeraten?« Plötzlich hören wir: »Da ist er, da ist er!« Wir sehen – der Bär rennt wieder zu uns. Wir griffen nach den Gewehren, aber niemand fand Zeit, loszudrücken, – er war schon vorbeigerannt. Der Bär war wild geworden, wollte wieder an mir nagen, hatte aber die vielen Menschen erblickt und Angst bekommen. Wir erkannten an der Spur, daß er am Kopfe blutete; wir wollten ihn verfolgen, mir tat aber der Kopf weh, und wir fuhren in die Stadt zum Arzt.

Der Arzt vernähte meine Wunden mit Seide, und sie fingen an zu verheilen.

Nach einem Monat machten wir uns wieder gegen diesen Bären auf; es gelang mir aber nicht, ihn zu töten. Der Bär kam nicht aus der Umkreisung heraus, sondern ging immer herum und brüllte mit schrecklicher Stimme. Demjan machte ihm den Garaus. Mein Schuss hatte ihn am Unterkiefer verwundet und ihm einen Zahn herausgeschlagen.

Dieser Bär war sehr groß und hatte ein schönes, schwarzes Fell.

Ich ließ es ausstopfen, und der Balg liegt bei mir in der Stube. Die Wunden an meiner Stirn sind verheilt und haben nur ganz schwache Spuren hinterlassen.

Der Gefangene im Kaukasus

I

Im Kaukasus diente ein Herr als Offizier. Er hieß Schilin.

Einmal bekam er einen Brief von daheim. Seine alte Mutter schrieb ihm: »Ich bin schon alt und möchte vor dem Tode meinen geliebten Sohn sehen. Komm, um von mir Abschied zu nehmen, beerdige mich und kehre dann mit Gott in Deinen Dienst zurück! Ich habe aber eine Braut für Dich ausgesucht: sie ist klug und hübsch und besitzt ein Gut. Wenn sie Dir gefällt, heiratest Du sie vielleicht und bleibst ganz hier.«

Schilin wurde nachdenklich. Die Alte war schon in der Tat gebrechlich; vielleicht sieht er sie nicht wieder. Er kann ja hinfahren, und wenn die Braut hübsch ist, auch heiraten.

Er ging zum Oberst, nahm Urlaub, verabschiedete sich von den Kameraden, spendierte den Soldaten zum Abschied vier Eimer Branntwein und machte sich auf die Reise.

Im Kaukasus war damals Krieg. Die Straßen waren am Tage wie bei Nacht nicht passierbar. Wenn ein Russe zu Fuß oder zu Pferde aus der Festung kam, brachten ihn die Tataren um oder entführten ihn in die Berge. Darum bestand der Brauch, daß zweimal in der Woche von einer Festung zur anderen Begleitmannschaften gingen. Vorne und hinten gingen die Soldaten und in der Mitte die anderen Leute.

Die Sache war im Sommer. Bei Sonnenaufgang versammelten sich die Fuhren vor der Festung, die Begleitsoldaten kamen heraus, und man machte sich auf den Weg. Schilin saß im Sattel, ein Wagen mit seinen Sachen zog mit den anderen Fuhren.

Man hatte fünfundzwanzig Werst zu fahren. Der Zug bewegte sich langsam: bald machten die Soldaten halt, bald sprang ein Rad von einer der Fuhren oder ein Pferd blieb stehen, und alle hielten und warteten.

Die Sonne ist schon über den Mittag hinüber, aber der Zug hat erst die Hälfte des Weges zurückgelegt. Staub und Hitze, die Sonne brennt nur so, und man kann nirgends Schutz finden. Nackte Steppe: kein Baum, kein Strauch am Wege.

Schilin ritt etwas voraus, machte halt und wartete, bis der Zug näher kam. Er hört, wie hinter ihm ein Hornsignal gegeben wird: alles machte wieder halt. Da denkt sich Schilin: »Soll ich nicht allein, ohne die Soldaten vorausreiten? Das Pferd unter mir ist gut, und wenn ich auf die Tataren stoße, sprenge ich davon. Oder soll ich lieber nicht vorausreiten?«

Er hält und überlegt sich. Da reitet zu ihm ein anderer Offizier, namens Kostylin, mit einem Gewehr heran und sagt:

»Schilin, laß uns allein reiten! Ich halte es nicht länger aus, ich möchte essen, und dann diese Hitze! Mein Hemd kann man einfach auswringen.«

Kostylin ist aber ein schwerer, dicker Mann, ganz rot, und der Schweiß rinnt ihm nur so herunter. Schilin überlegt sich und sagt:

»Ist dein Gewehr geladen?«

»Ja, es ist geladen.«