Auslaufmodell Supermacht - Michael Moran - E-Book

Auslaufmodell Supermacht E-Book

Michael Moran

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Beschreibung

Auch Deutschland wird das Machtvakuum füllen müssen - ob es uns nun gefällt oder nicht. Spätnachts im Kanzleramt: Gebannt starren Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Guido Westerwelle und ihre engsten Mitarbeiter und Vertrauten auf den Bildschirm. Sie verfolgen eine streng geheime GSG-9-Kommandoaktion, die den meistgesuchten Terroristen der Welt zur Strecke bringen soll. Aus dem Lautsprecher knarzt es: "Zielobjekt ausgeschaltet." Wir alle wissen: So hat sich die Geschichte natürlich nicht zugetragen. Ort des Geschehens war das Weiße Haus, auf Angela Merkels Sessel saß Barack Obama, Hillary Clinton schlug entsetzt die Hand vor den Mund und die Elitetruppe, die Osama bin Laden tötete, war das SEAL Team Six. Bisher konnte sich alle Welt darauf verlassen, dass die USA die Kohlen aus dem Feuer holen. Doch das ist bald Geschichte. Amerika will und kann nicht mehr die Rolle des Weltpolizisten spielen. Man mag das begrüßen oder bedauern, an folgender Frage kommt man nicht vorbei: Und was dann? Klar ist: Das entstehende Machtvakuum muss gefüllt werden, und Deutschland wird dabei nicht außen vor bleiben können. Dieses Buch bietet beides: eine schonungslose Analyse der (Fehl-)Entwicklungen, die den Abstieg der USA verursacht haben, und umfassende Ausblicke auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Rest der Welt. Brauchen wir einen neuen Weltpolizisten? Mehrere? Oder eröffnen sich ganz neue Perspektiven für eine größere Machtbalance? Michael Moran zeigt auf, wie die USA ihre neue Rolle finden können und in welche neuen Rollen Deutschland, Russland, China und Co schlüpfen müssen.

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Auslaufmodell Supermacht

Die neue Rolle der USA und was das für den Rest der Welt bedeutet

Michael Moran

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

The Reckoning

9783864701191

Copyright der Originalausgabe 2012: Copyright © Michael Moran, 2012.

First published in 2012 by PALGRAVEMACMILLAN®in the United States – a division of Macmillan Publishers Limited, registered in England, company number 785998, of Houndmills, Basingstoke, Hampshire RG216XS.

Published by arrangement with St. Martin’s Press, LLC. All rights reserved. Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLC durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen, vermittelt.

Copyright der deutschen Ausgabe 2013: © Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Egbert Neumüller Gestaltung und Satz: Jürgen Hetz, denksportler Grafikmanufaktur Gestaltung und Herstellung: Johanna Wack, Börsenmedien AG Lektorat: MoritzMalsch Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-087-3

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenban ken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach Tel: +4992219051-0 • Fax: +4992219051-4444 E-Mail: [email protected] www.plassen.dehttp://www.facebook.com/plassenverlag

Für Caitlin, Griffin und Hannah Marie

Inhaltsverzeichnis

TitelImpressumWidmungVORWORTEINFÜHRUNGKAPITEL 1 - ÜBERGEPÄCK: DER KAMPF DES WESTENS GEGEN DIE REALITÄTKAPITEL 2 - WENN SICH DIE WELT DREHT, SCHLÄGT DIE SCHWERKRAFT ZUKAPITEL 3 - AMERIKAS MITTELSCHICHT — WIE EIN FROSCH IM KOCHENDEN WASSERKAPITEL 4 - VON DER KURZWELLE ZUM FLASHMOB: DIE TECHNIK BRINGT DEN LAUF DER GESCHICHTE AUF TRABKAPITEL 5 - MENETEKEL IM NAHEN OSTENKAPITEL 6 - CHINA UND AMERIKA: DIE GEFAHREN DER GEGENSEITIGEN ABHÄNGIGKEITKAPITEL 7 - DER NICHT BESONDERS PAZIFISTISCHE PAZIFIKRAUMKAPITEL 8 - INDIEN, BRASILIEN UND DAS NEUE AMERIKANISCHE DREAMTEAMKAPITEL 9 - EUROPA: PIIGS, KANARIENVÖGEL UND BÄREN —— OJE!KAPITEL 10 - TEILNAHME ODER VERWEIGERUNG?DANKSAGUNGENANMERKUNGEN

VORWORT

VON DR. NOURIEL ROUBINI

Im Herbst 2011 machten die globalen Märkte eine weitere Phase der europäischen Staatsschuldenkrise durch. Sie begann im kleinen Griechenland und man ließ es zu, dass sie sich wie eine ansteckende Krankheit entlang der Nahrungskette der Volkswirtschaften der Eurozone ausbreitete, bis die Bedrohung vor den Türen Italiens und Frankreichs stand – der achtgrößten und der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt. Wie schon bei früheren europäischen Krisen, in denen die lokalen Führungen versagten und die Gefahr einer Ausbreitung über die Grenzen des Kontinents hinaus bestand, erklang der Ruf nach jemandem – irgendjemandem –, der die Situation retten sollte. Doch im Gegensatz zu den Krisen des vergangenen Jahrhunderts, angefangen beim Ersten Weltkrieg, waren nicht die Vereinigten Staaten Ziel der dringenden Bitten. Vielmehr wandten sich Emissäre aus Italien, Griechenland, Irland und anderen Not leidenden Ländern der Eurozone an China, auch wenn die Bereitschaft Chinas, krisengeschüttelte Mitglieder der Eurozone zu retten, mehr Wunsch als Wirklichkeit war.

Noch vor gar nicht so langer Zeit hätte die Vorstellung, dass ein Urgestein der Gruppe der Sieben (G7) wie Italien den Hauptvertreter des autoritären Staatskapitalismus um Hilfe bittet, in den Vereinigten Staaten die Alarmglocken schrillen lassen. Amerika hätte interveniert und eine Rettungsaktion organisiert, so wie es das 1994 in Mexiko, 1998 in Südkorea, 1999 in Brasilien und in vielen anderen Ländern mit Schwellenland-Krisen sowie in beiden großen globalen Konflikten des 20. Jahrhunderts getan hat. Aber die vergangenen drei Jahre haben der Supermacht einen heftigen Realitätsschock verpasst. Sogar das Angebot von Finanzhilfen an die engsten Verbündeten würde nur dazu dienen, den Anschein zu wahren. Amerika hat – ebenso wie Japan, Großbritannien und, ja, sogar Deutschland – seine eigenen Probleme.

Wie Michael Moran in den folgenden Kapiteln seines Buches Auslaufmodell Supermacht: Amerika auf dem Prüfstand. Was wird aus der Welt ohne Weltpolizist? argumentativ darlegt, befindet sich die Welt, die aus dem Humus des amerikanischen Jahrhunderts hervorgegangen ist, in der Krise. Es wurde schon viel darüber geschrieben, dass der wirtschaftliche und politische Einfluss der Vereinigten Staaten schwindet, über den Aufstieg der BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika – und anderer Schwellenländer sowie über die politischen Fehler, die demografischen Probleme und die Schulden, die den alten „Westen“ und seinen asiatischen Schützling Japan bedrängen. Aber nur wenige haben sich über die praktischen Konsequenzen Gedanken gemacht, die es für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten hat, wenn der politische Status quo, den die Macht Amerikas in diversen Regionen auf dem ganzen Erdball aufrechterhält, Abnutzungs- und Verschleißerscheinungen aufweist und vielleicht sogar zerbricht.

Der unkontrollierte Bankrott von Lehman Brothers 2008 brachte beinahe das globale Finanzsystem zum Einsturz und die Gefahr, dass ein relativ kleiner Anbieter von Staatsanleihen wie Griechenland oder ein anderer Eurostaat zahlungsunfähig wird, kann die gemeinsame europäische Währungvernichten. Dementsprechend wäre die Auflösung der Macht der Vereinigten Staaten eine Katastrophe von globalen Ausmaßen. Moran schreibt: „So wie Großbritanniens langwieriger Rückzug von der globalen Vorherrschaft im frühen 20. Jahrhundert wird auch der Rückzug der amerikanischen Macht in unserem Jahrhundert zum ersten Mal seit Jahrzehnten Teile der geopolitischen Grenzlinie bloßlegen, welche die Macht, der politische Wille und der diplomatische Einfluss Amerikas bislang noch beschirmen.“

DIE KRISE DER ENTWICKELTEN WELT

Vielleicht sollte es uns nicht überraschen, dass Italiens verzweifelter Appell keine Alarmglocken läuten ließ. Denn schließlich folgte seine Bitte, dass China massive Käufe italienischer Staatsanleihen tätigen möge, auf die faktische Beinahe-Insolvenz dreier europäischer Staaten – Griechenlands, Irlands und Portugals –, worauf die Politiker der Europäischen Union mit halbherzigen Maßnahmen, Kirchturmpolitik und Ablehnung reagiert hatten. Indes wurde im Jahr 2011 außerdem Japans Wirtschaft durch eine Kombination aus Naturkatastrophen, von Menschen gemachten sowie von der Politik verursachten Desastern übel zugerichtet – dank dieser Kombination steckt Japan mitten in einem dritten verlorenen Jahrzehnt der Verschuldung und der annähernden Depression in Folge. Und natürlich war das Schauspiel eines Beinahe-Bankrotts der Vereinigten Staaten und der Herabstufung seiner langfristigen Bonität durch Standard & Poor’s zu erleben.

Wie konnte das geschehen? Wie Moran überzeugend argumentiert, liegt ein Gutteil des Problems darin, dass in Italien, den Vereinigten Staaten und anderen hochentwickelten Volkswirtschaften der wirtschaftliche Diskurs heutzutage von Politikern und InvestmentProfis – Fondsmanagern, Händlern und Stock-Pickern – vorangetrieben wird. Erstere werden durch mangelndes Wissen, Parteiinteressen und kurzfristige Wahlzyklen behindert, Letztere sind fest darauf programmiert, sogar auf Kosten der langfristigen wirtschaftlichen Stabilität ihren kurzfristigen Profit zu maximieren. Verschlimmert wird dies noch durch den Hochfrequenzhandel, der die Volatilität schürt, auf der ihre Erträge basieren. Und all das wird noch durch den Hallraum der Finanzmedien und der Blogosphäre verstärkt, die sieben Tage die Woche rund um die Uhr durch marktschreierische Kommentare aufgebauschte Sofort-Informationen liefern.

Doch mehr als drei Jahre, nachdem der Kollaps von Lehman Brothers ein Schlaglicht auf die Fäulnis und die irrigen Meinungen geworfen hat, die in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts im Fundament des Kapitalismus herrschten, merkt die Welt jetzt, dass sie sich dem Abgrund nicht mehr entziehen kann. Wie einem Schiff, das mit aller Kraft gegen die Strömung eines mächtigen Wasserfalls ankämpft, wird der Weltwirtschaft von Regierungen der Treibstoff entzogen, indem sie eine kurzfristig belastende Sparpolitik umsetzen. Sie bestehen darauf, das langfristige Problem aggressiv anzugehen – zu viele private und staatliche Schulden, die abgebaut werden müssen –, während die kurzfristige Schwäche und die Krise drohen, uns alle in den Abgrund zu reißen.

Die zügige Reaktion der Zentralbanken und Wirtschaftspolitiker nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 (die ihnen nicht gedankt wurde) verhinderte eine zweite Große Depression. Wenn aber dieses Mal verquere politische Maßnahmen die Welt wieder in die Rezession stürzen, wird es weitaus schwieriger, zu verhindern, dass das Abrutschen in einer ausgewachsenen Depression und in einer Finanzkrise endet, die genauso schlimm oder noch schlimmer wird als die in den Jahren 2008 und 2009. Die entwickelte Welt ist zu hoch verschuldet, um die Lage zu retten. Den Vereinigten Staaten ist ganz einfach die wirtschaftliche und politische Munition ausgegangen. Den aufstrebenden Schwellenländern fehlt es indes an ausgefeilten Institutionen, politischer Führung und der schieren Wirtschaftskraft, die Weltwirtschaft vom Abgrund wegzuziehen.

DAS PULVER IST VERSCHOSSEN

Bis Mitte 2010 konnten die Politiker immer wieder ein neues Kaninchen aus dem Hut zaubern, mit dem sie eine bescheidene konjunkturelle Erholung der entwickelten Welt befeuern konnten. Staatliche Konjunkturanreize, Notenbankzinsen nahe null, zwei Runden quantitativer Lockerung (QE) seitens der Federal Reserve – was im Grunde bedeutet, dass Geld gedruckt wurde –, die Bereitstellung zweckgebundener Mittel für faule Schulden und Billionen Dollar an Rettungsgeldern und Liquiditätsreserven für Banken und Finanzinstitute: Die Verantwortlichen haben alles ausprobiert. Und jetzt gehen ihnen die Kaninchen aus.

Die Finanzpolitik – die fast überall getroffene Entscheidung, die Ausgaben radikal zu kürzen und sich eher auf den Umfang der Staatsverschuldung zu konzentrieren als auf die aktuelle Krise – zehrt derzeit gewaltig am Wirtschaftswachstum der Eurozone und des Vereinigten Königreichs. Selbst in den Vereinigten Staaten und selbst, wenn Präsident Obamas 447 Milliarden Dollar schwerer Gesetzentwurf zur Schaffung von Arbeitsplätzen irgendwie zum Gesetz wird, werden die Regierungen der Bundesstaaten, die Kommunalverwaltungen und jetzt auch die Bundesregierung trotzdem die Ausgaben kürzen. Schon sehr bald werden sie die Steuern erhöhen, um die Deckungslücke zwischen dem Bedarf an Dienstleistungen und den Staatseinnahmen zu schließen.

Eine weitere Runde von Bankenrettungen ist politisch nicht durchsetzbar und wirtschaftlich nicht machbar, denn die Not der meisten Regierungen – insbesondere in Europa – ist so groß, dass sie sich keine Rettungsaktionen mehr leisten können. Tatsächlich schüren die Risikobeurteilungen ihrer Staatsanleihen sogar Bedenken hinsichtlich des Gesundheitszustands der Banken Europas, in deren Besitz sich der größte Teil der zunehmend wackligen Staatsanleihen befindet.

Auch die Geldpolitik kann uns nicht mehr viel helfen. In der Eurozone und in Großbritannien wird eine etwaige quantitative Lockerung durch die über dem Inflationsziel liegende Teuerungsrate eingeschränkt. Sie wird zwar kommen, aber zu spät und zu klein. Während ich dies schreibe, scheint die Fed zwar entschlossen zu sein, eine dritte Runde der quantitativen Lockerung (QE3) zu lancieren, aber auch sie wird zu spät kommen und zu klein ausfallen. Die QE2 von 2010 in Höhe von 600 Milliarden Dollar sowie die Steuererleichterungen und Transferzahlungen in Höhe von einer Billion Dollar haben ein Wachstum von gerade einmal drei Prozent bewirkt – und das genau ein Quartal lang. Danach sackte es im ersten Halbjahr 2011 wieder auf ein Prozent zurück. Die QE3 wird viel kleiner werden und weniger dazu beitragen, die Asset-Preise wieder zu erhöhen und das Wachstum wiederherzustellen. Und über die traditionelle geldpolitische Lockerung hinaus sollten die Notenbanken die Kreditbedingungen lockern, um dafür zu sorgen, dass die Kreditvergabe insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen sowie an anfällige Haushalte wiederhergestellt wird.

Die Abwertung der Währung ist keine für alle entwickelten Volkswirtschaften gangbare Option: Sie brauchen ja alle eine schwächere Währung und eine bessere Handelsbilanz, um das Wachstum wiederherzustellen, aber das können nicht alle zur gleichen Zeit haben. Der Rückgriff auf die Wechselkurse, um die Handelsbilanz zu beeinflussen, ist somit ein Nullsummenspiel. Und daher zeichnen sich am Horizont Währungskriege ab, wobei Japan und die Schweiz schon erste Schlachten ausfechten, um ihre Wechselkurse zu schwächen. Andere werden bald folgen, auch die Vereinigten Staaten.

WIE DER STURZ ABGEWENDET WERDEN KANN

Gibt es eine Möglichkeit, die Katastrophe zu vermeiden – dem Motor des globalen Wirtschaftsraums den Leistungsschub zu verleihen, den er braucht, um von dem tosenden Wasserfall wegzukommen? Ein ausgewogener Ansatz erfordert, dass heute Arbeitsplätze geschaffen werden, und zwar unter anderem durch staatliche Konjunkturspritzen, die auf produktive Investitionen in die Infrastruktur abzielen. Außerdem erfordert er eine größere Steuerprogression und weitere kurzfristige Steueranreize bei mittel- und langfristiger Steuerdisziplin, die mit der Zeit anfängt, das Anwachsen der Schuldenberge zu bremsen, die die meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften der Welt angehäuft haben. Das geht weder schnell noch leicht, sondern es wird – um Donald Rumsfeld zu zitieren – eine lange, harte Plackerei.

Im Finanzsektor sind Schritte nötig, um das Agieren der Zentralbanken als Geldverleiher letzter Instanz zu verstärken und so ruinöse Bankenpaniken und insbesondere Paniken bei Staatsanleihen zu verhindern. Die Banken müssen erkennen, dass es in ihrem Interesse liegt (und in manchen Fällen buchstäblich eine Frage der Selbsterhaltung ist), die Schuldenlast insolventer privater und öffentlicher Haushalte sowie Unternehmen zu vermindern. Die globalen Finanzpolitiker müssen eine strengere Aufsicht und Regulierung des Finanzsystems verordnen, das immer noch Amok läuft. Dazu gehört auch die Zerschlagung von Banken, die „too big to fail“ sind, und von oligopolistischen Kartellen. Außerdem ist bezüglich der Eigenkapitalquoten kurzfristig Nachsicht nötig, damit das Kreditaufkommen wieder wächst.

Und wie auf den folgenden Seiten dargelegt wird, müssen Amerika und seine Verbündeten außerdem anfangen, Strukturen, Beziehungen und Regeln aufzubauen, welche die Stabilität im Pazifikraum, in Südasien, in Europa, Afrika und Lateinamerika aufrechterhalten, bevor die Macht der Vereinigten Staaten noch weiter schwindet. Wie Sie sehen werden, ist die Absicherung bei einigen der engsten Verbündeten Amerikas bereits in vollem Gange. Von Berlin bis Ankara und von Taipeh bis Tokio begreift man zunehmend, dass die amerikanischen Streitkräfte zwar noch unübertroffen und dominierend sind, aber dass dies angesichts der langfristigen konjunkturellen Stagnation, des Vormarschs bahnbrechender Technologien und der zunehmenden Ambitionen einiger Regionalmächte, gewisse von Washington auferlegte „Vorgaben“ neu zu überdenken, nicht ewig so bleiben kann.

Mit der Zeit müssen sich sowohl die Vereinigten Staaten als auch andere fortgeschrittene Volkswirtschaften, deren Sicherheit sie im Laufe der vergangenen 70 Jahre gewährleistet haben, überlegen, wie sie nach der kollektiven globalen Dominanz, die sie im Gefolge des Zweiten Weltkriegs errichtet haben, eine weiche Landung hinbekommen. Das bedeutet, dass sie weniger in satellitengestützte Waffensysteme oder in Überschalljäger investieren sollten – auch wenn es in einer unberechenbaren Welt nach wie vor praktisch ist, sie zur Hand zu haben – und mehr in Humankapital, Qualifi kationen sowie in soziale Sicherungsnetze, um die Produktivität zu steigern und die Arbeitskräfte in die Lage zu versetzen, in der globalisierten Wirtschaft wettbewerbsfähig, flexibel und erfolgreich zu sein. Die Alternative dazu sind – ebenso wie in den 1930er-Jahren – endlose Stagnation, Depression, Währungs- und Handelskriege, Kapitalkontrollen, Banken- und Finanzkrisen, Staatsbankrotte sowie massive soziale und politische Instabilität. In diesem Szenario hat niemand etwas zu gewinnen – nicht China, nicht Russland, nicht Amerika und nicht Europa. Und vor allen Dingen dieses Szenario will Auslaufmodell Supermacht abwenden.

Dr. Nouriel RoubiniNew York im Dezember 2011

EINFÜHRUNG

Das Schicksal meinte es ganz gut mit mir. Die beste Zeit meiner Karriere – zuerst als Reporter, dann als Redakteur und Journalist für internationale Angelegenheiten bei der BBC, beim Council on Foreign Relations und schließlich bei Roubini Global Economics – fiel sauber mit dem Höhepunkt des weltweiten Einflusses Amerikas zusammen. Als die kommunistischen Regimes in Europa stürzten, wurde ich Zeuge der Ereignisse und zeichnete sie aus erster Hand auf, und zwar für Radio Free Europe/Radio Liberty, den US-finanzierten „Alternativsender“, der damals seinen Sitz in München hatte. Als gelernter Journalist und als Historiker aus Neigung ergriff ich jede Gelegenheit, auf der Welle des Wohlwollens gegenüber den Vereinigten Staaten zu reiten, die in die vergessenen Winkel Südosteuropas schwappte. Wo vor Kurzem noch ein eiserner Vorhang gewesen war, öffnete plötzlich das Aufblitzen eines amerikanischen Passes alle Türen.

Seither ist dieser amerikanische Traum allerdings zur hypnotischen Trance geworden. Schon lange vor den Anschlägen des 11. September war allen, die genau aufpassten, klar geworden, dass der „Sieg“ im Kalten Krieg den Vereinigten Staaten große Lasten aufgebürdet hatte, die irgendwann ihre Stellung als einzige verbliebene Supermacht gefährden würden. Selbst nachdem Terroristen nach jenem schicksalhaften Sommertag Tausende Menschen getötet hatten, gründete das politische Establishment Amerikas seine innen- und außenpolitischen Entscheidungen weiterhin auf die Annahme, die Vereinigten Staaten seien dazu ausersehen, in Ewigkeit alle anderen Nationen zu überragen. Eine solche Kurzsichtigkeit hat schon früheren Großmächten geschadet. Die französische Armee, die damals als beste der Welt galt, zerbröckelte 1940 unter Hitlers Blitzkrieg innerhalb von nur fünf Wochen. „Wir litten unter einer Krankheit, die den Franzosen nicht eigentümlich ist, nämlich unter der Krankheit, [im Ersten Weltkrieg] siegreich gewesen zu sein und uns für sehr schlau zu halten“, sagte einmal General André Beaufre, Angehöriger des französischen Oberkommandos. „Der Sieg ist eine sehr gefährliche Gelegenheit.“ 1

Die Fehlkalkulationen, die zum Krieg im Irak führten, und die leichtsinnige Politik, die beinahe das gesamte globale Finanzsystem über eine Klippe stürzen ließ, hätten eigentlich ernüchternd wirken müssen. Und doch sind manche Amerikaner der Meinung, die Vereinigten Staaten hätten unter der Sonne des 21. Jahrhunderts immer noch Anspruch auf eine Stellung als Primus inter Pares. Der größte Teil der restlichen Welt ist allerdings weniger erpicht darauf, weiterhin in ihrem Schatten zu stehen, was angesichts der jüngsten Geschichte nicht überrascht.

Dieses Buch hat nicht die Absicht, den Niedergang Amerikas vorherzusagen – die Variablen, die mit derartigen Vorhersagen verknüpft sind, ermuntern zu wüsten, finsteren Szenarien, die von den aktuellen Fakten nicht gestützt werden. Auch ist dieses Buch nicht ausschließlich für Amerikaner geschrieben. Aufgrund des Schicksals oder aus Not, oftmals auch unwissentlich und sogar gegen den eigenen Willen hängt ein großer Teil der Welt in Sachen Wohlstand und Stabilität von der Wirtschaftsleistung der riesigen amerikanischen Volkswirtschaft und von der Fähigkeit des US-Militärs ab, Dutzende ausgesprochener und unausgesprochener Garantien zu geben, welche regionale Machtgleichgewichte auf dem ganzen Planeten aufrechterhalten. Amerika wird noch eine Generation lang oder länger mächtig und relevant für weltpolitische Angelegenheiten bleiben, allerdings sind seine Tage als weltweit konkurrenzloser Wirtschafts- und Militärgigant gezählt. Meinen amerikanischen Lesern sollte klar sein, dass ich keine Durchhalteparolen ausgeben möchte. Den Amerikanern ein gutes Gefühl zu vermitteln oder zu behaupten, eine wundersame Kombination aus Genialität und göttlicher Gunst werde ihr Land bis ans Ende der Zeiten auf dem Spitzenplatz halten – das ist die Stellenbeschreibung eines Politikers. Dieser Berufsstand verbiegt Wahrheiten so, dass sie zu kurzfristigen Zielen passen, und er setzt Schmeicheleien ein, um Unterstützung zu heischen. Wenn Sie so etwas wünschen, klappen Sie jetzt den Buchdeckel zu. Aber wenn die Wirklichkeit Sie reizt, lesen Sie das richtige Buch. Auslaufmodell Supermacht ist genau das, was sein Titel andeutet: ein Versuch, eine unvoreingenommene, emotionslose Position hinsichtlich der Macht Amerikas zu finden und die Implikationen für den Wohlstand, die Sicherheit und die externen Garantien zu postulieren, die sich daraus ergeben. Ob Sie nun ein Bürger der großartigen Republik sind, ein Verbündeter, der auf ihre Sicherheitsgarantien angewiesen ist, oder ein Handelspartner, der von dem globalen Wirtschaftssystem profitiert, das von der Macht Amerikas aufrechterhalten wird – es ist unerlässlich, dass Sie verstehen, inwiefern Sie dieser sich wandelnden Dynamik ausgesetzt sind, wenn Amerika aus der Stratosphäre der Supermacht wieder auf die Erde herabsteigt.

Alle außer den abgehobensten Ideologen haben inzwischen erfasst, dass die neuen wirtschaftlichen und geopolitischen Realitäten von den Vereinigten Staaten verlangen werden, die unbefristeten Verpflichtungen zu überdenken, die sie in glücklicheren, gedeihlicheren Zeiten ihrem eigenen Volk sowie seinen Freunden und Verbündeten auf dem gesamten Planeten gegenüber eingegangen sind. In den kommenden Jahren – wahrscheinlich während der Amtszeit des Gewinners der Wahlen 2012 – wird das Ausmaß immer offensichtlicher werden, in dem die globale Macht und der globale Einfluss Amerikas nachlassen. In dieser Zeit wird die Regierung entweder ihre steuer- und außenpolitischen Prioritäten in Ordnung bringen, oder sie beginnt einen viel rasanteren Abstieg, als irgendjemand im Mainstream derzeit glaubt – vorangetrieben von Bonitätsabstufungen, finanziellen Turbulenzen und sehr wahrscheinlich auch einem mutiger gewordenen ausländischen Rivalen.

Solche Veränderungen können mit erschreckender Geschwindigkeit kommen – mit Leichtigkeit innerhalb der Lebenszeit eines Menschen. Mein Großonkel Tony Berry wurde in den 1930er-Jahren in England in ein Empire hineingeboren, das immer noch fast ein Viertel der Erdenbewohner beherrschte – von den Wogen ganz zu schweigen. Tony verbrachte einen großen Teil seiner Jugend damit, Bilder von der großartigen Schlachtschiffflotte der Royal Navy zu malen. Mit 15 ging er zur Marine. Den Zweiten Weltkrieg verpasste er zwar um ein paar Jahre, aber er diente im Koreakrieg. Eines Tages, vor Jahren, erzählte er mir in seinem Wohnzimmer in Hamilton, Ontario, wo er sich nach einer langen Navy-Karriere zur Ruhe gesetzt hat, von dem Schock, der durch die Mannschaft seines Zerstörers lief, als ihre Flotille unter Führung eines Flugzeugträgers im Japanischen Meer vor Korea endlich mit der riesigen amerikanischen Flotte zusammentraf.

„Im Vergleich zu den Yankees sahen wir aus wie ein Haufen heruntergekommener Schiffe, die als Ziele für Schießübungen taugen“, erzählte er mir. Den Briten wurde schnell klar, dass ihre Flugzeuge – verschlissene, schlecht gewartete Modelle aus dem Zweiten Weltkrieg – weder schnell genug waren noch genügend Reichweite besaßen, um zusammen mit ihren amerikanischen Pendants zu fliegen (geschweige denn gegen ihre sowjetisch gerüsteten nordkoreanischen Gegner anzukommen). Außerdem fehlte es der britischen Flotte an Durchhaltevermögen, erinnerte sich Tony: Sie musste sich immer wieder in den Hafen zurückziehen, um Nachschub zu fassen, während die Amerikaner ihre Schiffe auf See versorgten.

„Für einen jungen Seemann war das erniedrigend“, sagte er mir Jahre später. „Wir hielten uns ja immer noch für die Besten der Besten. Aber in Wirklichkeit war für das Empire schon die Sonne untergegangen. “ 2

Für die Vereinigten Staaten wird das Drehbuch ganz anders ablaufen. Trotz des Wirbels um China und andere Schwellenländer werden die Vereinigten Staaten von der Welt immer noch um ihre wirtschaftliche, militärische und intellektuelle Macht beneidet. Und trotz ihres unbesonnenen Verhaltens im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts sind die Vereinigten Staaten immer noch in beeindruckender Weise zu echter Selbsterkenntnis fähig, was man von den Sowjets, den Briten und unzähligen anderen Mächten nicht sagen kann, die im Laufe der Geschichte den Erdball dominiert haben. Der Hinweis, dass der Kaiser nackt ist, wäre dort im besten Fall ein schlechter Karriereschachzug gewesen und im schlimmsten Fall tödlich. In letzter Zeit haben sogar die Falken unter den amerikanischen Politikern die Politik des Alleingangs aufgegeben – dass Amerika in der Welt tun könne, was es wolle, um seine Vormachtstellung aufrechtzuerhalten. Nach links tendierende politische Figuren, die in den Abgrund der amerikanischen Staatsverschuldung blicken, kommen zu ähnlichen Schlüssen, wenn auch aus anderen Beweggründen. Die Debatte über Libyen im Jahr 2011 war aufschlussreich: Durch seine Reaktion auf den Aufstand gegen den Diktator, Oberst Muammar al-Gaddafi, zwang Präsident Barack Obama die europäischen Mächte, bei der Abwendung der humanitären Katastrophe und des Flüchtlingsdramas, die sich in ihrem Hinterhof am Mittelmeer zusammenbrauten, die Führung zu übernehmen. Das war die richtige Entscheidung. Zu Hause in den Vereinigten Staaten drehte sich die Debatte indes nicht nur um die Exit-Strategie, sondern legte ausnahmsweise auch viel Wert darauf, welchen finanziellen Anteil an einer Mission, die voraussichtlich rund 100 Millionen Dollar pro Woche kosten würde, die Vereinigten Staaten tragen sollten. Senator Richard Lugar, der republikanische ehemalige Vorsitzende des Senatsausschusses für Außenbeziehungen und bis vor Kurzem fröhlicher Interventionist, verkörperte das neue Denken im Kongress. Er sagte: „Wir debattieren so gut wie jeden Tag über die Haushaltsdefizite, über das bevorstehende Erreichen der Schuldenobergrenze und über unsere riesigen wirtschaftlichen Probleme, aber im Hinterzimmer geben wir Geld für eine militärische Operation in Libyen aus.“ 3 Dass es mit dieser Mission letztlich gelang, einen Diktator abzusetzen, der mittels Terroranschlägen Hunderte Amerikaner getötet hatte, interessierte diejenigen wenig, die sich darauf konzentrierten, Erbsen zu zählen oder Punkte für anstehende Wahlen zu sammeln.

Sind also die Tage des amerikanischen Blankoschecks für weltweite Angelegenheiten wirklich vorbei? Ich glaube, dass sich der psychologische Kater hält und dass die Amerikaner darum kämpfen werden, mit den Einschränkungen zurechtzukommen, die ihnen die globalen Veränderungen aufzwingen werden. Nach all den Jahren wird es Zeit brauchen, den „Exzeptionalismus“ – also die Vorstellung, dass Amerika irgendwie von Gott dazu bestimmt ist, die Welt zu beherrschen – in das gleiche historische Museum zu stellen wie „die Bürde des weißen Mannes“ und „separate but equal“. Aufgrund der Äußerungen des französischen Schriftstellers Alexis de Tocqueville, das Amerika, das er in den 1820er-Jahren besuchte, sei derart auf praktische, kommerzielle Belange konzentriert, dass es eine Ausnahme von dem barbarischen Nationalismus sei, der Europa plagte, wurde der sogenannte „amerikanische Exzeptionalismus“ im Denken mancher Menschen zu einem Mythos der Unfehlbarkeit, der irrationales Verhalten begünstigt. 4 Die Entscheidungen, die an so unterschiedlichen Orten wie Vietnam, der NASDAQ, Somalia, dem Libanon und dem Büro des örtlichen Immobilienmaklers in Katastrophen mündeten, können zumindest teilweise auf diese irrige Meinung zurückgeführt werden. Die Vereinigten Staaten sind in dieser Welt eine einmalige, revolutionäre, innovative und häufig umgestaltende Macht, aber keine dieser Wahrheiten nimmt sie von den Gesetzen der Physik oder der Moral aus. Wie jeder andere Riese kann auch Amerika straucheln, es blutet nach einem Schnitt und es wird eines Tages in der Geschichte versinken. Wenn man diese Tatsachen als Ketzerei behandelt, beschleunigt man die Ankunft dieses Tages bloß.

Eines finde ich ironisch: Nachdem ich meine Karriere dem Bemühen gewidmet habe, die Amerikaner dazu zu bringen, dass sie der Welt ihre Aufmerksamkeit schenken, halte ich es jetzt für notwendig, ihnen dabei zu helfen, die Verbindungen des Landes mit der Welt zu entwirren. Das ist nicht das Gleiche wie ihr den Rücken zu kehren – die globale Wirtschaft macht Isolationismus unmöglich, genau wie sie aus der alten Unterscheidung zwischen Wirtschafts- und Außenpolitik Unsinn macht. Die eine hat ohne die andere keine Bedeutung. Das ist zwar schon seit Jahrzehnten so, aber trotzdem haben sich die Kompetenzzentren in der Regierung, an den Hochschulen und in der Finanzindustrie dem nicht angepasst.

Als vor zwei Jahrzehnten Deutschland wiedervereinigt wurde, arbeitete ich dort als Journalist für Radio Free Europe/Radio Liberty. Fast augenblicklich wurden die düstere Arithmetik von nuklearen Nutzlasten, schweren Panzerdivisionen und anderen Grundelementen der mitteleuropäischen Schlachtordnung überflüssig. Die Schaffung eines funktionsfähigen Banken- und Verbrauchersektors – bei ständigem Ausgleich zwischen dem fragilen nationalen Wiedererwachen in Osteuropa und der Demütigung des zusammengebrochenen Imperiums in Moskau – erwies sich als kniffligere Aufgabe als die Abschaltung der Waffensysteme.

Als ich vor einem Jahrzehnt in New York lebte, wurde ich zusammen mit vielen meiner Nachbarn Zeuge eines weiteren historischen Wendepunkts, als am 11. September 2001 Passagierflugzeuge in den Glasfassaden der Türme des World Trade Centers verschwanden. In den Tagen danach erfuhr ich, dass unter den Toten vier Menschen waren, die ich kannte, unter anderem der Bruder meiner Tante – Feuerwehrleutnant Thomas O’Hagan – und ein alter Freund aus England namens Graham Berkeley, der an Bord des United-Flugs 175 war. Dieser Angriff beendete eine Phase, in der sich die Vereinigten Staaten nach innen gewandt hatten, nachdem sie 1989 den Sieg verkündet und ihre Wachsamkeit aufgegeben hatten. Leider lieferte der 11. September keine Gelegenheit, nach innen zu blicken, sondern er öffnete einer reaktionären Politik Tür und Tor, welche die Fähigkeiten der Vereinigten Staaten überschätzte, die Welt nach ihren Vorlieben umzubauen. Dies halste uns mit Pakistan und Saudi-Arabien die falschen Verbündeten auf, es führte dazu, dass wir im Irak in einen irregeleiteten Krieg zogen, und schließlich verspielten wir damit viel von der Bewunderung und dem Wohlwollen, das uns das friedliche Ende des Kalten Krieges beschert hatte.

Vor allem aufgrund dieser Fehler, zu denen noch der darwinistische Ansatz der Deregulierung des Finanzsystems hinzukommt, die den globalen Kapitalismus beinahe ruiniert hat, stehen die Vereinigten Staaten jetzt vor einer der schärfsten Krisen, die es seit dem Bürgerkrieg gegeben hat – vor einer Krise der Fähigkeiten und der Selbsterkenntnis. Angesichts dieser Herausforderung werden die Amerikaner entweder aus dem riesigen Reservoir der Ausdauer und Kreativität schöpfen, das sie durch die bisherigen Krisen gebracht hat, oder sie werden in der Verdrängung schwelgen und in einen noch steileren Sturz in Richtung Bankrott und globale Bedeutungslosigkeit einschwenken, während die Weltwirtschaft von neueren, potenteren Konkurrenten dominiert wird.

Beide Parteien tragen Schuld daran, dass kein nachhaltiger Weg für die Versprechen vorgezeichnet wurde, die das Land seinen Rentnern, Beamten, verwundeten Veteranen und armen Arbeitern gemacht hat, denn beide haben an die wirtschaftliche Scharlatanerie geglaubt, die in die Große Rezession führte. Aber die Republikaner müssen die Bürde annehmen, dass sie in der kurzen Zeit von sieben Jahren den Vereinigten Staaten auf der Weltbühne den Boden unter den Füßen weggezogen und damit Wohlwollen und Vertrauen in die amerikanische Führung vernichtet haben, dessen Aufbau den gesamten Kalten Krieg lang gedauert hatte. Der Demokrat oder Republikaner, der im Weißen Haus sitzt, hat nun die Aufgabe, den Schaden zu begrenzen und die unkontrollierte Auflösung der Macht zu verhindern, die frühere Reiche unter der Führung kurzsichtiger, eigennütziger Männer zu Fall gebracht hat.

Michael MoranHoboken, New Jersey, im Dezember 2011