Außen grün, innen braun - Sam Moore - E-Book

Außen grün, innen braun E-Book

Sam Moore

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Beschreibung

Von Grenzkontrollen im Namen der Umwelt bis zu ökofaschistischen Attentaten: Nachdem sie die Realität des Klimawandels jahrzehntelang geleugnet haben, hat eine neue Generation rechtsextremer Aktivist*innen und rechtspopulistischer Politiker*innen erkannt, dass die Umweltkrise ihre beste Chance ist, Aufmerksamkeit und Macht zu erlangen. Sam Moore und Alex Roberts analysieren die Aneignung ökologischer Themen durch Rechte und skizzieren mögliche Zukunftsszenarien voller Hass und Gewalt, die es zu verhindern gilt. Eine wichtige Lektüre für alle, die sich dem Kampf gegen Rechtsextremismus und für Klimagerechtigkeit verschrieben haben. Mit einem Vorwort der Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl

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Sam Moore undAlex Roberts
Außen grün,innen braun
Wie RechtsextremeKlimakrise und Naturschutzfür ihre Zwecke benutzen
Aus dem Englischenvon Henning Dedekind
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Übersetzung von Sam Moore & Alex Roberts: The Rise of Ecofascism.Climate Change and the Far Right (1. Auflage)© Sam Moore and Alex Roberts 2022
This edition is published by arrangement with Polity Press Ltd., Cambridge.
Deutsche Erstausgabe© 2022 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Konstantin GötschelKorrektorat: Petra KienleTypografie & Satz: Tobias WantzenUmschlaggestaltung: HildenDesign, Stefan HildenCovermotiv: HildenDesign
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-941-3
Der Herausgeber hat sich nach besten Kräften bemüht, dass die URLs der externen Websites, auf die in diesem Buch verwiesen wird, zum Zeitpunkt der Drucklegung korrekt und aktiv sind.Der Herausgeber übernimmt jedoch keine Verantwortung für die Websites und kann keine Garantie dafür übernehmen, dass eine Website aktiv bleibt oder dass der Inhalt angemessen ist oder bleibt.
Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um alle Urheberrechtsinhaber ausfindig zu machen, aber wenn welche übersehen wurden, ist der Herausgeber gerne bereit, die erforderlichen Angaben in einem Nachdruck oder einer Neuauflage zu ergänzen.
Inhalt
Vorwort von Natascha Strobl
Einleitung
Kapitel 1Eine Geschichte des rechtsextremen Ökologismus
Kapitel 2Die extreme Rechte und die Natur heute
Kapitel 3Der Ökologismus der Online-Rechten
Kapitel 4Tödliche ökofaschistische Gewalt
Kapitel 5Droht ein echter Ökofaschismus?
Fazit
Danksagung
Anmerkungen
Über die Autoren
Vorwort

Die Klimakrise als faschistischer Mobilmacher

Alle reden vom Klima. Nur die extreme Rechte nicht. Sie leugnet lieber die von Menschen gemachte Klimakatastrophe.
Dieser Befund stimmt für weite Teile der extremen Rechten. Anstatt etwas gegen die schon deutlich spürbaren Auswirkungen zu tun, wird lieber banalisiert und relativiert. Diese Haltung ist aber in einem Wandel begriffen. Statt zu leugnen, wird die Klimakatastrophe zunehmend affirmiert. Sie wird wahlweise als die Rache einer mystifizierten Natur gesehen oder zumindest als großes Möglichkeitsfenster für eine von Grund auf andere, autoritäre, postdemokratische Neuordnung der Welt. Dieses Subgenre des Neofaschismus heißt »Ökofaschismus«. Wobei der Begriff (wie in den Sozialwissenschaften üblich) umstritten ist, wird er doch auch als Diffamierung der extremen Rechten gegen die Klimagerechtigkeitsbewegung angewandt. Wir haben es hier also mit einem Begriff zu tun, der erst einmal definiert und abgegrenzt werden muss. Das tun Moore und Roberts in diesem Buch gleich zu Beginn und belegen dabei auch den faschistischen Gehalt dieser Bewegung: Es geht um eine Form des Faschismus, die in Anbetracht der Klimakrise ein völkisches Projekt zum Schutz der »weißen Rasse« vor den Auswirkungen eben dieser Krise betreibt. Dieser Schutz steht dabei direkt konfrontativ zur Existenz aller Menschen, die nicht Teil einer (konstruierten) »weißen Rasse« sind.

Ein Blick in die Geschichte

Neu sind diese autoritären Gelüste im Zusammenhang mit Naturschutz natürlich nicht. Der Blick in die Geschichte in diesem Buch zeigt mannigfaltige Einlassungen und Bestrebungen, Naturschutz und völkische Bewegungen zusammenzudenken. Immer wieder gibt es aber auch in den nicht genuin faschistischen Spektren der Ökologiebewegung Bestrebungen, autoritäre Lösungen für akute Probleme zu finden. Eines der Einfallstore für dieses Denken ist die Abwertung des menschlichen Lebens als Kollateralschaden und als nicht in allen geografischen, zeitlichen und sozialen Räumen lebenswert. Hungersnöte sind in diesem Denken eine (vielleicht) bedauerliche, jedoch notwendige Erscheinung. Dieses Denken hat seinen Ursprung beim britischen Ökonom Robert Malthus, der damit nicht nur der völkischen Bewegung ideologisches Werkzeug in die Hand gegeben hat, sondern auch dem ökonomischen Liberalismus. Diese gemeinsamen Wurzeln und das Zusammenspiel von Kapitalismus und Faschismus spielen in diesem Buch eine zentrale Rolle. So wird ein umfassender Blick nicht nur auf die autoritären Lösungen, sondern auch auf die Genese der autoritären Gegenwart geworfen.

Von der Leugnung zur Akzeptanz

Das bestimmende Narrativ der extremen Rechten in Bezug auf die Klimakatastrophe war lange Zeit das der Leugnung. Mittlerweile reicht ihr Umgang damit jedoch von gradueller Akzeptanz bis hin zu Begeisterung. Diese unterschiedlichen Grade werden von Moore und Roberts fein aufgefächert und dargestellt. Dieses Spektrum zeigt auch, dass die extreme und ebenso die faschistische Rechte einen Pragmatismus walten lässt. Leugnung und faschistische Akzeptanz sind so keine starren Gegensätze, sondern verschiedene Aggregatzustände desselben.
Das zu bekämpfende Verhalten ist dabei nicht, dass der Klimakrise in irgendeiner Form begegnet wird. Es geht vielmehr darum, dass der Klimakrise nicht solidarisch und demokratisch begegnet wird. Hinter einem »irgendwie« können sich auch Teile der extremen Rechten versammeln. Das beinhaltet, dass jedes Mittel zur Bekämpfung der Klimakatastrophe recht sei, doch das ist es eben nicht. Die Entgrenzung der Mittel zur Erreichung eines politischen Ziels ist ein Zeichen von Faschismus, wie Robert Paxton es beschreibt. Genau das sehen wir beim Ökofaschismus. Wenn die Leugnung nicht mehr möglich oder gewünscht ist, dann folgt vielleicht die Banalisierung, aber die Akzeptanz der Klimakrise kann für eine faschistische Rechte immer nur ihre Unabwendbarkeit bedeuten. In der Unabwendbarkeit liegt die Entgrenzung der Mittel. Wenn keine Linderung, kein Beikommen mehr möglich ist, dann läuft es auf einen globalen, apokalyptischen Endkampf hinaus. Das ist genau das kriegerische Pathos, das dem Faschismus inhärent ist. Statt über fade kleine und große Lösungen zu diskutieren, geht es um den Erhalt einer imaginierten »weißen Rasse«. In dieser Vorstellung liegt der genozidale Gedanke des Faschismus, der hier auch in der Tradition des Kolonialismus steht: Wir können nicht alle retten, also wählen wir die, die es wert sind zu überleben, nach völkischen Kriterien aus.

Universelle faschistische Auslese

Wer glaubt, dass dies ein Spezifikum in der Bearbeitung der Klimakrise ist, der täuscht sich. Schon in der Einleitung gelingt den Autoren der Brückenschlag zur Pandemie. Auch hier wurde ein solidarischer Gedanke schnell von einem autoritären »wir können nicht alle retten«-Narrativ abgelöst. Einmal etabliert, lässt sich so ein Wunsch nach passiver Auslese schnell in viele Bereiche übertragen. Faschistische Sammlungsbewegungen machen aus dieser passiven Auslese schnell eine aktive. Dies war die Legitimationsbasis für den Attentäter von Christchurch, aber auch im Frühsommer 2022 für jenen aus Buffalo. Dahinter steckt der Gedanke, dass es Weißen vorbestimmt sei, zu entscheiden, wer zu leben und wer zu sterben hat.
Es ist offensichtlich, dass so ein Denken und Handeln nicht vereinbar mit Demokratie ist, es ist ihre absolute Negation. Statt von solidarischer Kooperation wird es geprägt von einem völkisch konstruierten Recht des Stärkeren. Demokratie muss verteidigt werden. Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Krisen. Denn Krise und Angst sind der Sturm, mit dem Faschismus Fahrt aufnimmt. Dabei ist es wichtig, ernsthaft, aber nicht apokalyptisch die Lage zu sondieren, sie zu erklären und auf eine Lösung zu drängen. Eine Zukunft kann es nur geben, wenn es eine Zukunft für alle ist.
Insofern erlaube ich es mir, ein Plädoyer des Fazits vorwegzunehmen: Antifaschismus muss sich mit Klimagerechtigkeit auseinandersetzen und die Klimaschutzbewegung muss antifaschistisch sein. Nicht in Form von vor sich hergetragenen Slogans und Überschriften, sondern als notwendige Bedingung für gemeinsame Kämpfe, um eine solidarische, bessere Zukunft zu erstreiten.
Juni 2022
Natascha Strobl
Einleitung
Am 13. Januar 2020 nahmen wir erstmals den Stift zur Hand, um dieses Buch zu schreiben. Unser Standpunkt schien ebenso klar wie erschreckend: Mit dem Klimakollaps würde auch die politische Normalität in ihren Grundfesten erschüttert werden und die Menschen würden sich auf die Suche nach drastischeren Lösungen begeben. Die eskalierende Klimakrise würde allen Teilen der extremen Rechten neue Chancen bieten. Ein neomalthusianischer Blick auf die Überbevölkerung würde Argumente für eine harte Sicherheitspolitik und undurchlässige Grenzen ebenso liefern wie eine scheinbar zwingende Rechtfertigung für die radikale Verschärfung rassistischer Politiken im Globalen Norden. Vorstellungen von Unreinheit, Verschmutzung und Krankheit, die jahrhundertelang die Stellung der Völker in und zu der Natur bestimmt haben, würden in dem Maße erneut an Bedeutung gewinnen, in dem die Menschen die natürliche Umwelt wieder als antagonistische Kraft erlebten. Das Kapital würde autoritäre Regierungen stützen, die Profite und Wirtschaftswachstum gewährleisteten. Auch wenn wir nicht einverstanden waren mit denjenigen, die den »Ökofaschismus« als eine direkte und unvermeidliche Folge der Klimakatastrophe ansahen, waren wir doch der Meinung, dass eine solche Entwicklung nicht völlig ausgeschlossen werden könne.
An dem Tag, an dem wir zu schreiben begannen, befanden sich 41 Menschen in einem Krankenhaus in Wuhan, China, in einem ernsten Zustand. Ihre Lungen waren von einer seltsamen Form der Lungenentzündung befallen, verursacht durch ein Virus, das bald unter dem Namen COVID-19 bekannt sein sollte. Innerhalb weniger Monate verbreitete sich das Virus über die ganze Welt und einige der sozialen Stressfaktoren, die wir mit dem Beginn des klimabedingten Kollapses erwartet hatten, traten nun ein bis drei Jahrzehnte zu früh ein.
Die Reaktionen auf die Pandemie vermieden es größtenteils, die Klimakrise direkt anzusprechen. Das mag daran liegen, dass die vielfältigen und komplexen ökologischen Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, häufig auf den Zusammenhang zweier Größen reduziert wurden, nämlich den der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre und des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur. Mit einer solchen Vereinfachung kann man das zunehmende Risiko von Pandemien natürlich nicht erklären – genauso wenig wie eine Vielzahl anderer Ereignisse. COVID-19 wurde nicht durch einen Anstieg des CO2-Gehalts verursacht. Aber es war vermutlich ein Ergebnis der Transformation der Umwelt durch die modernen kapitalistischen Gesellschaften.1 In diesem Moment hätten wir nicht nur in unserer Terminologie, sondern in unserem grundlegenden Verständnis der ökologischen Krise den Schritt von der »globalen Erwärmung« zum »Zusammenbruch der Klimasysteme« gehen müssen.
Die Pandemie bot einen Ausblick auf mögliche politische Reaktionen auf den bevorstehenden Klimakollaps. Frühere Reaktionen auf Klimakrisen wie extreme Wetterereignisse waren von Umweltrassismus und staatlicher Gewalt geprägt, aber in diesem Zusammenhang von »Faschismus«, von einer totalen und totalitären gesellschaftlichen Umwälzung zu sprechen, wäre maßlos übertrieben gewesen. Hatten wir ihn uns lange Zeit im Stil eines Katastrophenfilms vorgestellt, als Abfolge von glühend heißen Sommern mit umhertreibenden Eisbären, gelegentlich unterbrochen von einer Flutkatastrophe, begannen wir zu ahnen, dass der Zusammenbruch des Klimasystems in Wirklichkeit sehr viel eher der Pandemie ähneln könnte: massenhaftes Sterben, plötzliche Störungen der globalen Lieferketten, schlagartige, zuvor undenkbare Einschnitte in den Alltag, enorme Unterschiede der Verletzlichkeit verschiedener sozialer und ethnischer Gruppen, allgemein zunehmende Angst und Unsicherheit, rassistisch aufgeladene Schuldzuweisungen, Verschärfung von Überwachungsmaßnahmen, jähe Rückbesinnung von Regierungen auf die aggressive Verteidigung der Interessen ihres Landes und seiner Eliten, Eindringen von Verschwörungsmythen in den Mainstream, Diskussionen über das Ende der Globalisierung, Rückzug in den Protektionismus, beispiellose, plötzlich unumgänglich erscheinende Maßnahmen, unvermittelter Zusammenbruch der Lebensgrundlagen von Milliarden Armen in aller Welt und ein weitreichender weltweiter wirtschaftlicher Schock.
In diesem Buch geht es nicht um die Corona-Pandemie und wir sollten auch nicht erwarten, dass die politischen Reaktionen auf schwere Klimafolgen den heutigen Corona-Maßnahmen genau gleichen werden. Mit dem Klimawandel gehen weitere Krisen einher: extreme Wetterereignisse, Flüchtlingsströme, chronische und akute Nahrungsmittel- und Wasserknappheit, klimabedingte Konflikte und dergleichen. Jede Krise wird anders bewältigt werden, jede Reaktion wird, wie alle Formen der Krisenbewältigung, komplex und vielschichtig sein und bislang häufig verdeckte soziale Strukturen plötzlich ans Tageslicht bringen und sie verstärken. Es sind diese unvorhersehbaren Folgen komplexer Krisen, in denen die große Gefahr durch die extreme Rechte begründet ist.
Eine einflussreiche Umweltschutzbewegung von rechts würde nicht im luftleeren Raum entstehen. Vielmehr könnte sie aus der Geschichte einer reaktionären Naturpolitik schöpfen, die wir als »rechtsextremen Ökologismus« bezeichnen. Im ersten Teil dieses Buchs zeichnen wir die Geschichte dieser Ideen und Praktiken nach, von der kolonialen Naturbewirtschaftung über den Aufstieg des wissenschaftlichen Rassismus und der Eugenik, die »grünen« Aspekte des faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands bis hin zum Überbevölkerungsdiskurs der Nachkriegszeit, zu Strömungen umweltfeindlicher Misanthropie und schließlich zur Versicherheitlichung der Umwelt selbst. Es ist verlockend, sämtliche historischen Erscheinungsformen des rechtsextremen Umweltdenkens in einen Topf zu werfen. Doch dieser Versuchung sollten wir umso mehr widerstehen, als Umberto Eco feststellte, dass der Faschismus selbst dazu neige, die eigene Politik als singuläre Wahrheit zu verstehen, die endlos neu interpretiert werde.2 Wir befassen uns mit einer Geschichte, die episodenhaft und disparat ist, auch wenn sich konsistente Muster abzeichnen. Immer wieder sehen wir, dass die produktive Spannung zwischen der expansiven und oft genug naturzerstörenden Dynamik des Kapitalismus und dem permanenten sozialen Wandel, den er erzwingt, die Triebkraft des rechtsextremen Ökologismus ist. Die Geschichte des rechtsextremen Ökologismus ist deshalb keine bloße Geistesgeschichte, sondern auch eine Geschichte der Natur-Kultur-Schnittstelle des Kapitalismus und ihrer Krisen.
Diese Geschichte offenbart, dass der rechtsextreme Ökologismus im Großen und Ganzen intellektuell beschränkt ist und sich an einem reduzierten und simplifizierten Bild der Natur abarbeitet. Deutlich wird dieses verkürzte Naturverständnis beispielweise durch die Fixierung auf bestimmte Arten oder einzelne Orte. Wenn rechtsextreme Ökologen auch gemäß der alten Maxime der Umweltschützer oft »lokal gehandelt« haben, haben sie doch nur selten »global gedacht«. Die Gefahr dieser intellektuellen Beschränktheit sollte freilich nicht unterschätzt werden: Sie war bisweilen zu einem Völkermord fähig.
Heute hat die Umweltkrise als vom Menschen verursachter Zusammenbruch der Klimasysteme eine allumfassende Dimension angenommen. In den Kapiteln 2 bis 4 befassen wir uns mit den verschiedenen rechtsextremen Reaktionen auf diese Krise. Der Klimakollaps ist weder ein lokales Problem noch eines, das mit Gewalt gelöst werden kann. Und seine Folgen können nicht einfach auf andere – beziehungsweise »die Anderen« – abgewälzt werden. Das Problem entzieht sich also den üblichen Lösungsstrategien der extremen Rechten; dennoch ist es für sie keineswegs irrelevant. In den meisten Ländern war die Verteidigung des Kapitalismus von Anfang an ein wichtiges Ziel rechtsextremer Politik; und wie Andreas Malm weiß, handelt es sich bei der wichtigsten Ursache für den Zusammenbruch der Klimasysteme, nämlich der fortgesetzten Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe, nicht um einen »Nebenschauplatz der bürgerlichen Demokratie« – sondern um die Form, in der sich der heutige Kapitalismus materialisiert.3 Doch indem er den Zusammenbruch der Klimasysteme provoziert, gefährdet er sich selbst, seine Strukturen, und damit auch die Gesellschaftsordnung, die die extreme Rechte verteidigen will.
Angesichts einer Krise solchen Ausmaßes hat die extreme Rechte ihre Naturpolitik einmal mehr diversifiziert und sich zersplittert. Während ein Teil das Problem annimmt, stehen andere Teile dem möglichen Ende der industriellen Moderne ambivalent oder fassungslos gegenüber. Es gibt derzeit keine einheitliche rechtsextreme Naturpolitik. Wie während ihrer gesamten Geschichte sind ihre verschiedenen Akteurinnen und Akteure gespalten: durch unterschiedliche Sichtweisen auf das Problem, durch verschiedene Vorstellungen davon, was eigentlich zur »Natur« gehört und was nicht, durch grundlegende Meinungsverschiedenheiten darüber, worin das Problem eigentlich besteht, durch gewaltige Diskrepanzen hinsichtlich ihrer Taktik und durch Konflikte über langfristige Lösungen angesichts des Klimakollaps.
Diese Akteurinnen und Akteure haben wir nach ihrer gegenwärtigen politischen Form geordnet: erstens rechtsextreme Parteien und andere Teile eines aufkommenden »Umweltautoritarismus«; zweitens jüngere rechtsextreme und faschistische Bewegungen. Sie sind vergleichsweise agil, haben wenig Interesse an Wahlerfolgen und kaum Verbindungen zu etablierten Machtstrukturen – was sie im Zweifelsfall noch gefährlicher macht als den parteilichen Rechtsextremismus; und drittens schließlich die »ökofaschistischen« Terrorgruppen, deren bekanntester Vertreter den Anschlag auf die Moschee in Christchurch verübt und dabei 51 Menschen ermordet hat. Jede dieser Gruppierungen hat ihre eigenen Ziele, ihre eigenen politischen Methoden, ihre eigenen inneren Spannungen. Und häufig stehen sie in einem ausgeprägten Gegensatz zu anderen Teilen der extremen Rechten. Wie in unserem vorherigen Buch, Post-Internet Far Right, behandeln wir die extreme Rechte nicht als abnorme Kraft, die der der Gesellschaft fremd ist und diese von außen bedroht, sondern als deren extremster Teil, der einen komplizierten Tanz mit dem Rest der Gesellschaft vollführt.4
Die Auswirkungen des Klimakollaps sind schon heute allerorten spürbar. Da es sich dabei aber um einen exponentiellen und potenziell endlosen Prozess handelt, treten die allermeisten seiner Folgen in der Zukunft auf. Dieser Zukunft ist das letzte Kapitel unseres Buchs gewidmet. Darin befassen wir uns mit dem, was wir die »ökofaschistische Hypothese« nennen: die weit verbreitete Befürchtung, dass eine Art von Ökofaschismus unsere politische Zukunft bestimmen könnte. Was ist von dieser Prognose zu halten?
Wir beginnen mit der zukünftigen Entstehung reaktionärer Bewegungen. Wir argumentieren, dass insbesondere die lange Geschichte der Leugnung des Klimawandels aufseiten der Rechten zu unerwarteten, komplexen Folgen für ihre künftige Naturpolitik führen wird. Vor allem in den USA sind viele von denen, die die Politik der Mainstream-Rechten unterstützen, durch die beharrliche Leugnung des Klimawandels getäuscht worden. Wenn sie das erkennen – und, was vielleicht noch wichtiger ist, wenn sie endlich realisieren, dass durch diese Täuschung all das gefährdet wird, was Rechte doch zu schützen vorgeben –, führt das wahrscheinlich zu einer Radikalisierung, deren Kurs wir allerdings, wie den jeder Radikalisierung, nicht vorhersehen können. Dass enttäuscht Konservative massenhaft zur Linken überlaufen, erscheint uns allerdings unwahrscheinlich. Denn zwei Reaktionen vermengen sich hier auf besonders gefährliche Weise: ein Aufbegehren gegen diejenigen, die uns überhaupt erst in diese Situation gebracht haben, und gleichzeitig der Versuch, daran festzuhalten, was man bereits hat – entweder als einzelne oder, besorgniserregender, als ethnische Gruppe.
Sollte er sich jemals über das Stadium einer Bewegung hinaus zu einer Regierungsform entwickeln, wird sich ein zukünftiger Ökofaschismus damit auseinandersetzen müssen, dass die Spannung weiter zunimmt, die bisher alle Formen des rechtsextremen Ökologismus geprägt hat: die Spannung zwischen der kapitalistischen Logik der endlosen wirtschaftlichen Expansion einerseits und der Anerkennung und des Schutzes der »natürlichen Ordnung« andererseits. Wir umreißen zwei mögliche Zukunftsszenarien. In beiden dient die extreme Rechte als (womöglich nicht beherrschbares) Werkzeug eines großen Teils des Kapitals. Im ersten Szenario ermöglicht es das fossile Kapitel der extremen Rechten, ihren Kurs der Leugnung des Klimawandels fortzusetzen (wir bezeichnen dies als »Fossile Reaktion«). Im zweiten Szenario macht sich die extreme Rechte den Interessen des staatlichen Sicherheitsapparats und des autoritären Kapitalismus dienstbar, die sich zunehmend auf die geopolitisch heikle Ressourcenbeschaffung für eine grüne Energiewende und die Sicherung von Hegemonieansprüchen in einer neuen Ära des Wettbewerbs der Supermächte richten (wir nennen diese mögliche Zukunft »Akkus, Artillerie und Abgrenzung«). Verkompliziert werden beide Szenarien durch das mögliche Aufkommen rechtsextremer »Klimakollaps-Kulte«.
Lassen Sie uns unser Ziel verdeutlichen. Die weit überwiegende Mehrheit gegenwärtiger Umweltbewegungen und -organisationen ist nicht rechtsextrem. Genauso wenig sind die Anliegen der Umweltbewegungen in irgendeiner Weise »faschistische« Anliegen. Es ist nicht faschistisch, sich für den Naturschutz einzusetzen. In unserem Fazit richten wir unser Augenmerk gerade darauf, wie wir auf rechtsextreme Strömungen reagieren und die Umweltbewegung vor der Vereinnahmung durch diese schützen können. Dafür muss sich die Umweltbewegung politisieren und sich den Fragen der Klimagerechtigkeit zuwenden. Viele tun dies natürlich bereits. Doch in dem Maße, in dem Umweltbewegungen an Bedeutung gewinnen werden, weil sich die Klimakrise immer weiter zuspitzt, werden sie immer zahlreicher werden, während sich ihre Weltdeutungen immer schneller verändern werden. Und genau darin liegt die Gefahr. Die Umweltschutzbewegung hat ihre politische Orientierung in der Vergangenheit schon einmal verändert. Umwelt- und Naturschutz waren historisch bereits genauso Themen der Rechten wie der Linken; und sie können es jederzeit wieder werden. Wie auch immer die Zukunft aussehen wird – Vorstellungen davon, dass die Klimakatastrophe »alle utopischen Visionen und ideologischen Auseinandersetzungen in den Hintergrund drängen wird«, oder dass sich die Menschen in einem weltabgewandten Hedonismus einrichten werden, sind eindeutig falsch.5 Der Zusammenbruch der Klimasysteme wird von nun an nur zu einer noch stärkeren Politisierung führen.
Es gibt nur wenige Bücher über die Umwelt, die einen so drastischen politischen Wandel erwarten, wie wir ihn hier umreißen. Natürlich gibt es Ausnahmen, vor allem Climate Leviathan von Geoff Mann und Joel Wainwright. Darin skizzieren die Autoren vier hypothetische Transformationen der Politik infolge der Klimakrise.6 Unserer Darstellung eines zukünftigen Ökofaschismus am nächsten kommt ihr »Klima-Behemoth«. Er ist durch reaktionäre politische Akteurinnen und Akteure gekennzeichnet, die zwar die Globalisierung der Politik ablehnen, den Kapitalismus aber nicht infrage stellen. Unsere Schilderungen ähneln sich in vielen Punkten, auch wenn wir sie in zwei verschiedene Teile untergliedern. Der zweite Teil unseres Buchs weist gewisse Parallelen zu Manns und Wainwrights »Klima-Leviathan« auf, der nach einer planetaren kapitalistischen Regierung strebt. Bei unseren Mutmaßungen über die Zukunft stellen wir jedoch den brutalen und dezidiert national(istisch)en Charakter der Versicherheitlichung von notwendigen Anpassungen an den Zusammenbruch der Klimasysteme und die prekären Aspekte des Umstiegs auf erneuerbare Energien ins Zentrum. Möglicherweise ist dies schlicht eine Frage der Gewichtung. Wir sind zudem weniger optimistisch als Mann und Wainwright, was die langfristigen Aussichten ihres »Klima-Behemoth« angeht. Während sie glauben, dass er an seinen Widersprüchen zugrunde gehen wird, halten wir es für möglich, wenn auch keineswegs für sicher, dass die extreme Rechte aus ihren Widersprüchen Nutzen ziehen kann, statt einfach an ihnen zu zerbrechen.
Ein weiteres dem unseren vergleichbares Buch ist das kürzlich erschienene White Skin, Black Fuel von Andreas Malm und der schwedischen Aktivistengruppe Zetkin-Kollektiv.7 Es beschreibt die Verflechtung der beiden titelgebenden Elemente: der weißen Haut der wichtigsten historischen Förderer und Fürsprecher fossiler Brennstoffe mit dem schwarzen Brennstoff selbst. Es rückt insbesondere die Leugnung des Klimawandels und die diese beeinflussenden latent oder manifest rassistischen Politiken in den Mittelpunkt. Von unserem Projekt unterscheidet sich das Buch in mehrfacher Hinsicht: Erstens befassen wir uns mit einer breiteren Palette rechtsextremer Akteurinnen und Akteure und betrachten diese deshalb weniger detailliert. Zweitens konzentrieren sich Malm und das Zetkin-Kollektiv auf den Klimawandel und die Reaktionen darauf. Natürlich ist dieser Schwerpunkt gerechtfertigt: Der globale Temperaturanstieg verschärft alle anderen ökologischen Probleme. Mehr noch, er birgt existenzielle Risiken für die gesamte Menschheit. Aber diese Perspektive erschwert es, das Spezifische an der Naturpolitik der extremen Rechten zu erkennen – ihr Gegenstand sind bestimmte Orte, bestimmte Naturmerkmale, Esskultur, Geschlechterpolitik, Überbevölkerung, Energiesicherheit, Vorstellungen von »rassischer« und ethnischer Identität und vieles mehr. Gewiss könnte man die Fokussierung auf jeden einzelnen dieser Aspekte als ein Ausweichen verstehen, um sich den eigentlichen Fragen der Klimapolitik nicht stellen zu müssen. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass das Verständnis dieser vielfältigeren Ausprägungen der Natur wesentlich ist, um den zeitgenössischen rechtsextremen Ökologismus verstehen und seine zukünftige Entwicklung antizipieren zu können. Denn die komplexen Auswirkungen des bevorstehenden Zusammenbruchs der Klimasysteme werden genau dazu führen, dass die politischen Akteurinnen und Akteure eben darüber streiten können, was die eigentlichen und wesentlichen Teile dieser Natur sind. Und genau in dieser Auseinandersetzung wird die vielgestaltige Naturpolitik der extremen Rechten an Relevanz gewinnen.
Andere argumentierten, dass es unerlässlich sei, ein Verständnis des Zusammenbruchs der Klimasysteme zu entwickeln, das über den strahlungsverstärkenden Effekt von Kohlendioxid in der Atmosphäre hinausgeht.8 Dem stimmen wir zu. Ein solches Verständnis ist notwendig, um den aktuellen, vielfach verflochtenen Problemen zu begegnen; es ist aber auch für die politische Auseinandersetzung unerlässlich: Denn eine Klimapolitik, die selbst eine vollständige Dekarbonisierung der Wirtschaft erreichen, für die Vielzahl anderer ökologischer Krisen aber blind bleiben würde, könnte weder das Potenzial der extremen Rechten schmälern, Narrative einer »Krise der Natur« für ihre politischen Zwecke zu nutzen, noch würde sie die Gefahr dessen, was wir »Ökofaschismus« nennen, bannen. Doch sollten wir diesen Begriff überhaupt verwenden?

Zum Begriff des »Ökofaschismus«

Der Begriff »Ökofaschismus« hat eine recht komplizierte Geschichte. Bernhard Forchtner, Herausgeber von The Far Right and the Environment weist darauf hin, dass der Terminus ausgesprochen umstritten und in der wissenschaftlichen Literatur nicht weit verbreitet sei. Für ihn ist der Ökofaschismus ein »Randphänomen«, das in der aktuellen politischen Landschaft keine große Rolle spielt.9 Diesen Befund teilen wir. Warum aber widmen wir dem Ökofaschismus dann ein ganzes Buch? Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen schreiben wir im Vorgriff auf eine Politik der Zukunft und reflektieren dabei zugleich die heutige Politik. Zum anderen halten wir die Angst vor einer »ökofaschistischen« Zukunft für begründet, auch wenn dieser Begriff nicht der präziseste oder nützlichste ist.
Sehen wir uns einmal an, wie der Begriff bisher gebraucht wurde. Zunächst wurde »Ökofaschismus« von rechten Umweltschutzgegnern als Schimpfwort verwendet. Am anschaulichsten ist vielleicht James Delingpoles The Little Green Book of Eco-Fascism, dessen Untertitel The Left’s Plan to Frighten Your Kids, Drive Up Energy Costs and Hike Your Taxes! (»Wie die Linken eure Kinder verängstigen, die Energiekosten in die Höhe treiben und die Steuern erhöhen wollen«) genug über seine politische Einstellung verrät. Als »Faschismus« firmiert hier ganz allgemein das Schreckgespenst staatlicher Intervention.10 Selbstverständlich unterstellen wir keinerlei Ähnlichkeit zwischen linken Umweltschutzbewegungen und Faschismus. Im Sinne des wissenschaftlichen Konsenses betrachten wir den Faschismus als eine Ideologie der extremen Rechten, nicht der Linken. Um einen Satz von Frank Uekötter, dem Verfasser von The Green and the Brown: A History of Conservation in Nazi Germany, zu zitieren: »Wenn Sie dieses Buch in der Hoffnung zur Hand genommen haben, zu erfahren, dass die heutigen Umweltschützer in Wirklichkeit verkappte Nazis sind, dann hoffe ich, dass Sie es bezahlt haben, bevor Sie bis zu diesem Satz gelesen haben.«11
Eine weitere Verwendung des Begriffs »Ökofaschismus« war bei Kritikern der sogenannten Deep-Ecology-Bewegung zu beobachten, die insbesondere von Vertretern der »sozialen Ökologie« wie Murray Bookchin geäußert wurde.12 In den 1980er-Jahren gebrauchte Bookchin den Begriff, um die zunehmend menschenfeindlichen Tendenzen innerhalb der Deep Ecology zu beschreiben, einer Strömung des Umweltschutzes, die »menschlichen Wesen und der nicht-menschlichen Natur denselben Wert zuschrieb und die Prämisse ablehnte, dass der Mensch in jeder moralischen Abwägung einen privilegierten Platz einnehmen sollte«.13 Bookchin reagierte damit auf die Behauptung des Mitbegründers von Earth First!, David Foreman, dass die US‐Hilfe für Äthiopien während der Hungersnot lediglich das Unvermeidliche hinauszögere. Viel besser sei es, »die Natur ihr eigenes Gleichgewicht suchen zu lassen«.14 Bookchin wandte sich damit auch gegen einen unter dem Pseudonym »Miss Ann Thropy« veröffentlichten Artikel im Earth First! Journal, der das HIV-Virus positiv deutete. »Wenn radikale Umweltschützer eine Krankheit erfinden würden, um die Menschheit wieder zu ökologischer Vernunft zu bringen«, so hieß es dort, »dann wäre es wahrscheinlich so etwas wie AIDS.«15
Solche Tendenzen scheint es in manchen Bereichen der Umweltszene immer noch zu geben. Kürzlich wurden sie durch ein einfaches Bild aus den Anfängen der COVID‐19-Pandemie auf den Punkt gebracht: »Corona ist das Heilmittel, Menschen sind die Krankheit.« Dieses Beispiel stellt sich jedoch komplizierter dar: Bald nach seiner Verbreitung stellte sich heraus, dass das Statement von einer dezentral organisierten rechtsextremen Propagandagruppe namens »Hundred Handers« stammte, die so versuchte, Umweltbewegungen zu diskreditieren.16 Am gefährlichsten, war Bookchin überzeugt, seien jedoch neue Formen des »Malthusianismus« und des Überbevölkerungsdiskurses. Darauf gehen wir im Kapitel »Die Geschichte des rechtsextremen Ökologismus« näher ein.
Auch andere Menschen wurden in ähnlicher Weise als »Ökofaschisten« bezeichnet, am prominentesten vielleicht manche der Beteiligten des Sturms auf das US‐Kapitol am 6. Januar 2021.17 In diesem Fall bezieht sich der Begriff auf etwas, das treffend als »Konspiritualismus«, als spirituell aufgeladener Verschwörungsglaube bezeichnet wurde, der »Wellness«-Ideologeme, Verschwörungsmythen und Anrufungen der natürlichen Welt verbindet.18 Auf diese Tendenz gehen wir im Kapitel »Der Ökologismus der Online-Rechten« näher ein.
Als »Ökofaschismus« bezeichnete auch der Moschee-Attentäter von Christchurch seine Ideologie. Er rechtfertigte damit die Ermordung von 51 Gläubigen. Wenige Monate später wurden in El Paso 23 Menschen, größtenteils Latinas und Latinos, getötet. Auch diese Morde wurden mit einer ökofaschistischen Ideologie begründet. Dieses Buch erscheint im Nachgang dieser Anschläge und es ist zu einem gewissen Teil auch ein Versuch, mit den Ängsten umzugehen, die infolge dieser Gräuel entstanden sind, indem es sie zu ergründen und zu systematisieren versucht.19
Wie also definieren wir »Ökofaschismus«? Zunächst müssen wir einen Schritt zurücktreten und fragen: Was ist »Faschismus«? Unsere Definition versucht nicht, einen transhistorischen Idealtypus zu konstruieren, sondern orientiert sich an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Faschismus als historischem Phänomen der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Wir verstehen den Faschismus als eine politische Form, die darauf abzielt, den Nationalstaat zu revolutionieren und zu reharmonisieren, indem sie radikal abgegrenzte »Andere« mit paramilitärischen Mitteln ausschließt.20 Da der Faschismus sich durch eine selbsterklärte enge Verbindung mit einem homogenen »Volk« zu legitimieren sucht, stützt er sich auf die organisierte Masse als wesentlicher Vergesellschaftungsform;21 auf liberaldemokratische Formen der Legitimation ist er dadurch nicht angewiesen. Die totalisierende Vorstellung eines homogenen Volks verlangt nach der Mobilisierung des gesamten Lebens für das faschistische Projekt, sowohl im Sinne des »Privatlebens« als auch der »natürlichen Welt«. Vor diesem Hintergrund entsteht eine umfangreiche und hochgradig normative Naturpolitik.22
Diese weite Naturpolitik ist eine Folge des Eindringens des Kapitalismus in das Leben – wiederum im Sinne von »Privatleben« und »natürlicher Welt«. Der Faschismus interessiert sich also in besonderem Maße für die Schnittstelle zwischen Mensch und Natur sowie für die Ordnung der sozialen Beziehungen entsprechend vermeintlicher Naturgesetze. Da er den Kapitalismus jedoch auf eine mystifizierende und rassifizierende Weise interpretiert, wendet sich die faschistische Naturpolitik nicht konsequent gegen die Eingriffe des Kapitalismus in das Leben, sondern schreibt den verschiedenen Elementen dieser Eingriffe »rassisch« definierte Charakteristika zu. Faschistische Naturpolitik beruft sich auf unerbittliche Regeln von Knappheit, Wettbewerb und Dominanz in der Natur und begründet so den »natürlichen« Charakter des »Rassenkampfes« und die Überlegenheit der eigenen »Rasse« in diesem Kampf.
Es war das globalisierte kapitalistische System – in seiner kolonialistischen Ausprägung –, das die weltweite Vorherrschaft einiger weniger weißer Nationen zur Zeit des Aufkommens des Faschismus ermöglichte. Die kapitalistische Expansion zerstörte aber auch die natürliche Umwelt und die gewachsenen sozialen Beziehungen. Es nimmt daher nicht wunder, dass die Haltung gegenüber dem Kapitalismus eines der herausragenden Spannungsfelder faschistischen Denkens ist: Er ist die Quelle von vielem, was der Faschismus verabscheut, gleichzeitig kann er ihn als den Motor der Herrschaft, die der Faschismus erstrebt, nicht rundheraus ablehnen. Auf diese Ambivalenz antwortet der Faschismus mit einer normativ-rassistischen Lebensphilosophie: Die Herrschaft, die der Kapitalismus ermöglicht, wird bejaht und naturalisiert, während gleichzeitig die Zerstörung der Natur (und der in die Natur eingebetteten sozialen Beziehungen) kritisiert wird. Während also die eine Folge der kolonialistischen Phase der kapitalistischen Entwicklung begrüßt wird, wird die andere abgelehnt. Wir werden diese widersprüchliche Haltung im folgenden Kapitel noch genauer beleuchten.
Als der Faschismus an die Macht gelangt war, bediente er sich der autoritären Instrumente, die der Staat in den vorangegangenen Krisenzeiten und während der kolonialen Expansion erworben hatte.23 Damit begünstigte er die Interessen der herrschenden Klassen. Diese Instrumente dienten aber auch dazu, die faschistische Naturpolitik zu konturieren und zu versuchen, ihre Vorstellung des »Diktats der Natur« umzusetzen. Der oben skizzierte homogene Volksbegriff erforderte eine Läuterung, um sowohl die organisierte Arbeiterklasse als auch die imaginären übermächtigen »Rassenfeinde« der Nation zu vernichten. In seinen Bewegungs-, Partei- und Staatsformen neigte der Faschismus daher zur Gewalt.
Er umfasst somit einen weltanschaulichen Aspekt, eine Reihe politischer Techniken, eine Abhängigkeit von bestimmten historischen Bedingungen und einen impliziten Klassenaspekt, der die anderen Aspekte nur teilweise überlagert.24 Um es noch einmal zu sagen: Der Faschismus ist eine politische Form, die darauf abzielt, den Nationalstaat zu revolutionieren und zu reharmonisieren, indem sie radikal abgegrenzte »Andere« mit paramilitärischen Mitteln ausschließt.
Als »Ökofaschismus« bezeichnen wir insofern einen Teilaspekt des Faschismus als solchem: denjenigen nämlich, der am nachdrücklichsten versucht, seine natürliche Grundlage zu bekräftigen, ungeachtet der Widersprüche, die sich daraus ergeben. Allerdings sind wir der Meinung, dass der Begriff »Ökofaschismus« nicht geeignet ist, um gegenwärtige politische Akteurinnen und Akteure zu beschreiben, mit Ausnahme einiger weniger Randfiguren. Der Hauptgrund dafür ist schlicht die geringe Nützlichkeit des Begriffs »Faschismus«. Jede der politischen Formen, die in der obigen Definition des Faschismus genannt werden (autonome massenhafte Vergesellschaftung, Paramilitarismus, staatlicher Autoritarismus, rassistische Politik), ist derzeit zweifelsohne an verschiedenen Orten der Welt zu beobachten, sie stehen jedoch in der Regel nur in einer losen Verbindung miteinander; vielerorts konfligieren sie sogar. Das muss natürlich nicht auf ewig so bleiben. Das letzte Kapitel dieses Buchs beschäftigt sich mit dem möglichen Wiederaufleben des Ökofaschismus infolge der Klimakrise, aber die vielleicht vordringlichste Absicht dieses Buchs ist es, die weit verbreitete Sorge über den »Ökofaschismus« in einen bewussteren Widerstand gegen jene Formen rassistischer Macht umzuwandeln, die über und durch die Umwelt ausgeübt werden, seien sie »faschistisch« oder nicht.
Wenn das, worüber wir hier schreiben, also größtenteils kein »Ökofaschismus« ist – was ist es dann? Es wurden andere Begriffe vorgeschlagen, wie Jonathan Olsens »rechte Ökologie«, die drei Grundkomponenten enthält: Öko-Naturalismus (das Plädoyer für eine soziale Ordnung nach dem Vorbild der Natur), Öko-Organismus (das Verständnis von Natur und Gesellschaft als einem Organismus) und Öko-Autoritarismus (die Argumentation für illiberale Politiken als bester Lösung für Umweltkrisen).25 Es wurde von anderen darauf hingewiesen, dass es Olsens Fokus auf Deutschland schwierig macht, sein Modell auf andere Kontexte zu übertragen.26 Die Wendung vom »rechtsextremen Ökologismus« wurde auch vorgeschlagen, um eine Verbindung zwischen den Naturvorstellungen der extremen Rechten und ihren Gesellschaftsvorstellungen herzustellen.27