Ausweitung der Konsumzone - Christian Blümelhuber - E-Book

Ausweitung der Konsumzone E-Book

Christian Blümelhuber

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Beschreibung

WERBUNG MANIPULIERT UNS! Das wissen wir längst. Aber wie schaffen es die modernen Methoden des Marketings, so erfolgreich unsere Bedürfnisse anzusprechen und unseren Konsum zu steuern? Welche Rolle wir Kunden in der schönen neuen Welt des Marketings spielen, verrät der Top-Marketingexperte Christian Blümelhuber. Sein Blick in die geheimen Kommandozentralen des Marketings zeigt: Marketing ist mehr Spiel denn je. Wer erfolgreich mitspielen will, muss die Regeln kennen - um sie brechen zu können.

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Christian Blümelhuber

Ausweitung der Konsumzone

Wie Marketing unser Leben bestimmt

www.campus.de

Information zum Buch

Werbung manipuliert uns! Das wissen wir längst. Aber wie schaffen es die modernen Methoden des Marketings, so erfolgreich unsere Bedürfnisse anzusprechen und unseren Konsum zu steuern? Welche Rolle wir Kunden in der schönen neuen Welt des Marketings spielen, verrät der Top-Marketingexperte Christian Blümelhuber. Sein Blick in die geheimen Kommandozentralen des Marketings zeigt: Marketing ist mehr Spiel denn je. Wer erfolgreich mitspielen will, muss die Regeln kennen - um sie brechen zu können.

Informationen zum Autor

Christian Blümelhuber ist InBev-Baillet-Latour-Professor für Euromarketing an der Freien Universität Brüssel. Der international anerkannte Wissenschaftler lehrt(e) unter anderem in München an der Universität, der Technischen Universität und der Hochschule für Fernsehen und Film, an der Virginia Tech University in Blacksburg sowie der Open University in Ho-Chi-Minh-Stadt.

Zusammen mit einem Partner entwickelte er zwei neue Sportarten. Als gefragter Redner und renommierter Marketingexperte inspiriert er Manager und verlangt vom Marketing wieder mehr Glamour, Eleganz und Verantwortung! Christian schreibt mit Bic-Bleistiften, mag spektakuläre Grand Hotels - und findet BMW todlangweilig!

Weitere Infos unter www.konsumzone.de.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2011 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Hißmann, Heilmann, Hamburg

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39464-0

E-Book ISBN: 978-3-593-41149-1

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

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EINLEITUNG

oder

Wie dieses Buch funktioniert, mit welchen Begriffen es operiert, wie auch Kunden Marketing machen und warum es schöner wäre, wenn Marketing schöner wäre

Was treibt Strategen, Verführer und Bastler an?

BMW, Pepsi und Leica, Google, Ebay und Ei, Ei, Ei Verpoorten. »Geiz ist geil«, »Katzen würden Whiskas kaufen«, »Für das Beste im Mann«, »Quadratisch, praktisch, gut«, »Keine Sorge, Volksfürsorge«. Verkaufsförderung und Kundenbindung, AdWords und Testimonials.

Marken, Slogans und Konzepte – das verbinden sicherlich die meisten von uns mit dem Marketing und der Konsumzone.

Aber das? »Radfahren«, »Eine Ausbildung zur Fotografin«, »Auf der Brooklyn Bridge laufen«, »Olympia 2012«, »Eine eigene Galerie« ….

Das alles sind Antworten auf die Frage: »Was treibt dich an?« Der Hintergrund? Eine großartige Kampagne der Volks- und Raiffeisenbanken im Jahre 2009, an der man zunächst die Besetzung der Hauptrolle loben muss: Dettmar Cramer, der große »Fußball-Professor« der Siebzigerjahre, der mit Bayern München zweimal den |8|Landesmeisterwettbewerb gewann und für die Volks- und Raiffeisenbanken ein sensationelles Comeback gab …

Die Kampagne der Volks- und Raiffeisenbanken ist ein perfektes Beispiel für modernes Marketing, für Marketing heute. Denn sie ist in dreierlei Hinsicht, die ich alle im Marketing unserer Postpostmoderne für zentral halte, wegweisend. Geht man üblicherweise in der Marketingliteratur von zwei Protagonisten aus, die das Geschehen bestimmen – erstens der Verführer, der Kreative in den Marketing-, PR- und Werbeagenturen, und zweitens der Stratege, der im Unternehmen arbeitet –, so kann man das Geschehen nicht (mehr) verstehen, wenn man nicht eine dritte Instanz berücksichtigt: den Konsumenten. Marketing ist keine Einbahnstraße, und die Kunden sind keine passiven, braven Schafe, die nur reagieren. Sie nehmen vielmehr am Spiel teil und drängen aktiv ins Marketing hinein. Strategen, Verführer und Kunden werden uns durch das Buch begleiten. Während die ersten drei Kapitel eher allgemein gehalten sind, gehe ich danach auf den Verführer ein. Seine Aufgabe ist es, »Reize« zu setzen, »Aufmerksamkeit« zu erzeugen und die »Sympathie« des Konsumenten zu gewinnen. Kurz gesagt, er kreiert ein verführerisches Image. Die folgenden Kapitel sind dem Strategen gewidmet, der mit »Daten« operiert und »Preise« gestaltet. Er plant und steuert mit »Strategien«. Die letzten drei Kapitel sind dem Konsumenten gewidmet, also uns. Es zeigt, wie wir als Kunden in das Marketing eingreifen. Wir sind Bastler, Bricoleur oder auch Spieler. Marketing wird zum »Spiel«, wir begehren immer besseren »Service«, und der wichtigste Rohstoff ist »Freundschaft«.

Der Konsument als Marketer

Der erste Stratege der Volks- und Raiffeisenbanken war Friedrich Wilhelm Raiffeisen, sein einziges Buch das erste Strategiepapier: Die Darlehenskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und |9|Arbeiter von 1866. Seither hat sich die Erde mehrfach um die eigene Achse gedreht. In der Zeit der Banken- und Finanzkrise erschienen die Volks- und Raiffeisenbanken als Dinosaurier, die, irgendeinem glücklichen Zufall geschuldet, dem Bankentod von der Schippe gesprungen waren. Die Komplettrenovierung stand an. Mit dem Schlüsselwort »Antrieb« dockte die Bank, sozusagen direkt aus dem 19. Jahrhundert, an der Gegenwart an.

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In flüchtigen und ökonomisch nervösen Zeiten wie diesen braucht jeder, um Erfolg zu haben, einen starken Antrieb. Warum also nicht einfach danach fragen? Und zwar nicht nur rein rhetorisch, als Frage |10|im Werbespot, auf die man im Grunde gar keine Antwort haben möchte, sondern in der Realität. Kunden als auch die Mitarbeiter aller Ebenen wurden gefragt, was sie antreibt. Schließlich wollten die Mitarbeiter vorbereitet sein, wenn ein Kunde sie nach ihrem Antrieb fragen würde. Das ging so weit, dass unter der Unterschrift in jeder E-Mail eines jeden der 170000 Mitarbeiter stand, »was ihn antreibt« – und so drang die strategische Grundidee bis in die feinsten Kapillare der vereinigten Genossenschaftsbanken vor.

Die Umsetzung der strategischen Vorgaben durch die Berliner Agentur Heimat ist nicht minder hochklassig. Der dokumentarische Stil, der weitgehende Verzicht auf ein Drehbuch und die scheinbar amateurhaft verwackelten Bilder erzeugten – oft versucht, selten erreicht – eine Atmosphäre der Authentizität. Während Marketing und Werbung ansonsten unter dem Generalverdacht der Lüge, Manipulation und Täuschung stehen, gelingt es der Kampagne und dem zentralen Spot mit Dettmar Cramer, glaubhaft zu sein – und damit, Vertrauen zu schaffen. Wenn Dettmar Cramer sagt, er habe die »Veränderung« zu seinem »Wesen« gemacht, dann trifft er ins Mark unserer Zeit. Er bestätigt sozusagen, was Peter Sloterdijk in seinem letzten Meisterwerk Du mußt dein Leben ändern anthropologisch feststellt: »Wer Menschen sucht, wird Akrobaten finden.«1

Kommen wir zum bastelnden Konsumenten. Die Frage »Was ist dein Antrieb?« war eine Aufforderung zum Tanz. In Scharen antworteten die Kunden. Einige dieser Antriebe kennen Sie ja schon. In den Werbespots der Volks- und Raiffeisenbanken und auf YouTube kann man sich viele der Statements ansehen. Es gab »konforme« Antworten, aber auch sehr unübliche. Zum Beispiel die von Marcel: »Was mich antreibt: HIV!« Er benutzt die Frage, um eine nicht vorgesehene, aber sinnvolle und völlig legitime Antwort zu geben. Er möchte über seine Erkrankung wirkungsvoll Auskunft geben und zur Aufklärung beitragen. Auf die Frage »Wie weit willst du gehen«, lautet seine Antwort sozusagen: so weit wie möglich, jedenfalls noch viel weiter.

Der Bastler praktiziert eine »Kunst des Handelns« (Michel de Certeau), die sich das, was sie vorfindet, aneignet und für ihre eigenen |11|Zwecke ummodelliert. Oder mit den Worten Stephen Browns: »Manche Kunden eignen sich das Produkt an und führen es dann Verwendungen zu, die man […] so nicht vorausgesehen hat.«2 Der Bastler betreibt eine Praxis des »Umfunktionierens«3, macht etwas, das buchstäblich nicht im Sinne des Erfinders ist. Der Bastler übt gegenwärtig die subtile Kunst von »Mietern«4 aus, allerdings ohne Mietvertrag. Bastler wohnen in besetzten Häusern, sie gehen anarchistisch mit den herumliegenden, sich auftürmenden Marketingmaterialien um. Es kommt etwas heraus, was den ursprünglichen Absichten widerspricht und sie durchkreuzt oder auch gar nichts mehr damit gemein hat und in keinerlei Beziehung zu ihnen steht. Basteln heißt, die Kommunikationen, aus denen Marketing besteht, auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen. Ein Remix der Botschaften – bis sie unkenntlich werden und sich in andere Botschaften verwandeln, die im Original nicht angelegt waren (oder doch?). Ein Spiel, dessen Regeln sich der Empfänger-Konsument widersetzt und kurzerhand eigene formuliert. Unkontrollierbar und mit unvorhersehbarem Ausgang. Konsumenten sind »verkannte Produzenten, Dichter ihrer eigenen Angelegenheiten, und stillschweigende Erfinder eigener Wege durch den Dschungel der funktionalistischen Rationalität«.5

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Wenn man akzeptiert, dass Konsumenten nicht nur Empfänger von Marketingbotschaften und -imperativen sind, sondern selbst |12|aktiv eingreifen, dann verändert sich die Architektur von Konsum und Marketing. Der Stratege und der Verführer können keineswegs unbehelligt vermarkten. Sie müssen vielmehr mit einem unberechenbaren und unkontrollierbaren Dritten rechnen. Marketing heute ist ein Spiel mit einem Akteur, der nicht zu bändigen ist. Und das heißt: Die Zeiten miefiger Manipulation sind ein für alle Mal vorbei. Strategen und Verführer sind keine Täter, Konsumenten keine Opfer. Wer vermarktet, orientiert sich heute an den Formeln »Einbeziehen, nicht manipulieren« und »Unterstützen statt kontrollieren«. Denn wer den Kunden neppen, schleppen, bauernfangen möchte, bescheißt sich letztendlich selbst. Das Marketing von morgen muss sich darauf einstellen, am besten schon heute.

Nach den großen Erzählungen

Der französische Philosoph Jean-François Lyotard hat 1979 in seinem Essay Das postmoderne Wissen das Ende der großen Erzählungen verkündet.6 Die Meistererzählungen der Moderne haben ihre Deutungskraft in der Postmoderne weitgehend eingebüßt. Das ist im Marketing nicht anders. Vormals eherne Grenzen, vor allem die zwischen dem Marketing auf der einen und den Konsumenten auf der anderen Seite, haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Wir alle sind Strategen, Verführer und Bastler. Wir alle nehmen verschiedene Rollen an, je nach Kontext, Situation und Zweck.

Die großen Erzählungen des Marketings der Moderne, von den vier Ps des klassischen Marketingmixes – wir kommen später noch darauf – über den Verkaufstrichter, den Sales Funnell, bis hin zur Kundenorientierung als Erfolgsfaktor Nummer eins haben heute ihren Status eingebüßt. Zu Recht, denn sie können nicht mehr erklären, wie, warum und worum sich die Marketingwelt dreht. Jene Erzählungen geistern zwar auch durch diesen Text, ignorieren kann man sie schließlich nicht. Aber heute ist die Lage auf den Märkten und im Marketing so aufgesplittert, dass alle Generalerklärungen |13|scheitern müssen. Ich habe versucht, daraus die Konsequenzen zu ziehen. Sie werden keine große, sondern viele kleine Erzählungen kennenlernen. Wenn Sie so wollen, eine bunte Nummernrevue, die unterhalten soll, die Sie aber auch gerne als Werkzeugkasten nutzen können.

Wer ein Buch schreibt, macht sich, bevor er beginnt, Gedanken über das Marketing und den Konsum seines Buchs: Er stellt sich die Zielgruppe vor. Ich bekenne, versagt zu haben. Ausweitung der Konsumzone ist »ein Buch für alle und keinen«, wie Friedrich Nietzsche über seinen Zarathustra gesagt hat. Es ist für alle interessant, die sich in dem genannten Reigen als Bastler verstehen, als Konsumenten sehen. Und das sind wir ja schließlich alle – irgendwie. Ein allerletztes Wort noch zu den Fachbegriffen. Die meisten Konzepte und Theorien, die berühmtesten Forscher und Marketer: Sie alle kommen aus den USA. Und deswegen ist die Sprache des Marketings Englisch. Ich habe versucht zu übersetzen, was möglich war, doch einige Ausdrücke sind nur verlustreich oder gar nicht zu übersetzen.

|14|Schönheit, bitte! Danke!

Alle Kapitel von Ausweitung der Konsumzone bestehen aus zwei Aufzügen. Das erste Nummerngirl trägt ein Schild mit der Aufschrift Wissen, auf dem zweiten steht Meinung. Wenn man das überhaupt unterscheiden kann. Strategen und Verführer wissen und meinen etwas über Marketing, und dem Konsumenten geht es nicht anders.

Von mir, als »Fachmann« und »Experte« des Marketings, erwartet man gemeinhin eine Portion Wissen. Ich versuche auch gerne zu helfen. Aber auch ich habe Meinungen zu diesem und jenem. Ich sehe die Konsumzone nicht nur rational – wer könnte das schon –, sondern verhalte mich oft genug emotional. Wie jeder andere auch lehne ich so manche Marketingtrickserei ab. Und gehe vielen dieser Kniffe doch auf den Leim. Ich bekenne: Ich bin ein Gefangener des Marketings. Ich kenne alle Tricks und falle trotzdem auf alle rein (und damit bin ich schon auf mich selbst reingefallen, denn natürlich kenne ich bei weitem nicht alle Tricks). Insofern ich dem Marketing und der Konsumentenforschung7 verfallen bin, bin ich aber auch ein Gefangener. Ich kann nicht verschweigen, dass ich eine gewisse Leidenschaft für meine Disziplin pflege. Und meine Leidenschaft, die bekanntlich Leiden schafft, gilt zuerst der Schönheit.

Zu den ganz großen Themen im Marketing der letzten Jahre gehört die Corporate Social Responsibility (CSR), die soziale Verantwortung der Unternehmen. Man kann sich über das Konzept der CSR – seine Ausbeutung durch PR-Strategen und seine Effektivität – streiten, was ich an dieser Stelle unterlasse. Ich möchte Sie vielmehr auf etwas hinweisen, was ich analog die Marketing Aestetic Responsibility nennen möchte. Viele Strategen wollen nur das eine: mehr verkaufen. Aber darüber vergessen viele ihre ästhetische Verpflichtung gegenüber der Welt »da draußen«. Wie mit der Gießkanne überziehen sie den gesamten öffentlichen Raum mit hässlicher, geschmackloser Außenwerbung und belästigen so jeden damit, ob er nun will oder nicht, ob er zur Zielgruppe gehört oder nicht.8

|15|Der vielbeschworene Other oriented value9, den immer mehr Kunden einfordern, sollte auch in ästhetischer Hinsicht in den Mittelpunkt rücken. Das Marketing hat auch Verantwortung gegenüber denjenigen, die es ansprechen will, und jenen, die kein direktes Ziel sind. Kurz gesagt: Marketing wäre schöner, wenn es schöner wäre. Sie werden dieses Thema auf den folgenden Seiten immer wieder finden. Ich spare mir deswegen an dieser Stelle weitere Ausführungen und mache Sie vorerst nur darauf aufmerksam, dass mir das Thema der ästhetischen Verantwortung sehr am Herzen liegt. Eleganz, Wohlklang, Schönheit, bitte! Danke!

In einer Nebenrolle wird Ihnen auf den folgenden Seiten immer wieder Mephisto begegnen, der große Stratege und Verführer, der, wenn es um die Wurst, in seinem Fall also die Seele geht, durch und durch bastelnder Konsument ist – und jeden Preis für das eine »Produkt« zu zahlen bereit.

Ich bin der Geist, der gerne konsumiert! Und das mit Recht; denn alles, was geplant, designed, vermarktet wird, ist wert, dass es über den Tresen geht; drum besser wär’s, dass mehr Schönes entstünde. So ist denn alles, was ihr Aushecken, Betören, Spielen, kurz, die Konsumzone nennt, mein eigentliches Element.

|31|Dreierlei Apfel: verführerisch, strategisch, spielerisch

Ich bin der Geist, der in den sauren Apfel beißt! Und das mit Recht; denn obwohl alles, was entsteht, zugrunde geht, wär’s nicht besser, dass nichts entstünde. So ist denn alles, was ihr iPhone, iPod, den Macund iTunes nennt, mein eigentliches Element.

Ich bin kein Freund von Massenware – und doch Kunde von Apple. Mein Computer ist von Apple, meine Laptops, mein Telefon, mein Tablet. Meine Präsentationen erstelle ich auf Keynote, mein Browser heißt Safari, Bücher kaufe ich immer häufiger von iBook, die Software im App Store. Und gerade weil ich Kunde bin, kann ich kein Fan sein …

Ich meine nicht nur die üblichen Verdächtigen – mangelhaften Service und überteuerte Preise –, sondern etwas viel Grundsätzlicheres. Apple stirbt. Die große Zeit ist vorbei. Unwiederbringlich. Apple wird zunehmend »uncool«, egal wie oft die Marke als coolste unserer Zeit oder aller Zeiten gefeiert wird:20 »Was jeder hat, taugt nicht mehr zum Statussymbol«.21 Schrullig, skurril und sympathisch – das war einmal. Das Versprechen der Exklusivität, das Apple nicht zuletzt so verführerisch machte, wird nicht mehr eingelöst: Täglich gehen beinahe eine Viertelmillion iPhones und iPads über den Tresen. Und der Coolness-Faktor in den Keller, wenn man nur einen Blick, sagen wir, in eine Lufthansa-Lounge wagt und sieht, wer dort den Apple nutzt. Der clevere, junge Typ in Jeans und Shirt, der im Chor mit dem älteren, bebrillten Bauchträger im zu großen Anzug bekennt: »I am a mac«.22 Wo ist er geblieben? Wo finden wir ihn noch?

Rufen wir uns noch mal die großen Pluspunkte von Apple ins Gedächtnis: das von Leica23 und Braun abgekupferte Design (aus der Zeit, als Leica und Braun noch Synonyme für Design waren), die bestechend einfache Bedienung und die vorbildlich umgesetzte Verknüpfung aller Produkte zu einem System. Zweifelsohne: Apple hat nicht nur attraktive, sondern auch verführerische |32|Produkte und Systeme. Fürs ganze Leben, die Arbeit (iWork) und das Private (iLife).

Und Apple verführt nicht nur: Sie spielen auch. Sie machen es der Konkurrenz damit schwer. Niemand anderes ist befugt, die Standards zu setzen. Wir erwarten das von Apple. Und diese Erwartungshaltung hat das Unternehmen selbst geschaffen. Indem es uns schon lange am Marketingspiel beteiligt. Unzählige Webseiten gibt es, die den Kult um die Marke anheizen. Die eingeschworene Gemeinschaft der Apfel-Pilger macht gerne für Big Apple Werbung, klebt sich das Logo auf die Windschutzscheibe, missioniert den gesamten Freundeskreis, geht mit den Produkten gut sichtbar hausieren … Apple hat das spielerische Marketing durch Kunden sehr früh und sehr intensiv genutzt, um an die Spitze zu gelangen.

Steve Jobs, Superheld der digitalen Welt und Chef-Stratege, ist Herr über ein Maximum an Daten. Als er die zweite Generation des iPad präsentierte, war seine erste Botschaft an die Gemeinde: »In den drei digitalen Stores (iTunes, App Store und iBooks) gibt es mehr als 200 Millionen Accounts mit Kreditkartendaten«.24 Überflüssig zu erwähnen, dass dies bestimmt nicht die einzigen Daten sind, die dem Konzern zur Verfügung stehen. Und die werden, deswegen sind sie ja so kostbar, genutzt, um Angebote maßzuschneidern und zu empfehlen – vor allem in den genannten drei Stores, die nicht nur auf Datensammlungen basieren, sondern zu ihnen beitragen, etwa durch Empfehlungen wie bei Amazon, Datensammlung wie bei Google oder ein Freundschaftsdatenverknüpfungstool wie bei Facebook.

Apple hat gerade auch deswegen Erfolg, weil es eigentlich alles falsch macht. Fail better könnte man diese Methode nennen, die das Kernprinzip des Marketings missachtet: die Kundenorientierung. Apple sucht nicht den »Fit« mit dem Kunden, sondern setzt auf »Sexyness«. Mit anderen Worten: Apple folgt nicht dem Kunden – der soll gefälligst dem Unternehmen folgen. Und wir lassen uns ein auf dieses Spiel. Aber es ist keine gewagte Prognose, |33|dass sich der Wind auch mal dreht. Das Experiment Apple-TV ist beispielsweise gründlich danebengegangen. Noch fallen solche Fehlschläge nicht ins Gewicht, aber die Häufung von Fällen könnte ein deutliches Zeichen sein. Bisher hatte Apple mit den meisten Experimenten Glück. Sogar, dass der Microsoft MP3-Player Zune schöner war als der hässliche iPod nano und das Windows Phone 7 eine elegantere Benutzeroberfläche als das iPhone hat – bisher prallte alles an der sagenhaften Erfolgsstory ab. Aber es drängen gerade jetzt kleine, noch junge Anbieter nach oben, die »coolere« und »exklusivere« Produkte in den Markt bringen. Apple ist schon längst kein Jäger mehr, sondern Gejagter.

Irgendwann ist es vorbei mit aller Herrlichkeit. Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht … Dann übernehmen andere. Das ist der Gang der Geschichte. Von den Unternehmen, die die Ökonomie im Jahr 2020 dominieren werden, sind knapp drei Viertel noch gar nicht »geboren«25. Nur ein Viertel existiert heute schon. Ob Apple dabei ist?

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SHOPPING

oder

Wieso Konsumenten ihre Kindheit träumen, weshalb man sich gut überlegen sollte, einen neuen Morgenmantel zu erwerben, und warum der Axe-Effekt auch ohne Geruchsfernsehen funktioniert

Schöner Shoppen

»Geld erwerben erfordert Klugheit. Geld bewahren erfordert eine gewisse Weisheit, aber Geld schön auszugeben ist eine Kunst«, schrieb Berthold Auerbach um 1880. Wie wahr! Aber wie sieht diese Kunst heute aus?

Shoppen ist ein Ritual, für manche ein Hobby und sicher eine treibende Kraft des modernen Lebens. Shopping bietet die Möglichkeit, sich selbst zu erfinden und zu erkennen, sich zu belohnen und zu therapieren, zu sozialer Interaktion und Demonstration. Wer kauft, zeigt, dass er dazugehört. Dass er die Mechanismen unserer Aufmerksamkeitsökonomie, unserer konsumistischen Vitrinen-Gesellschaft verstanden hat und über die notwendigen Kompetenzen und Ressourcen verfügt. Konsumieren ist nicht nur Menschenrecht, sondern universelle Menschenpflicht.1

Rudy Giuliani, Bürgermeister von New York, forderte am 12. November |35|2001, kurz nach dem Angriff auf den westlichen Lebensstil: »Go to Restaurants! Go shopping!« Was nichts anderes heißen sollte als: »Konsumiert und haltet den Wirtschaftskreislauf am Laufen. Ohne ist die Freiheit bedroht.«

Beim Shopping geht es nicht nur um die Versorgung mit dem Notwendigen, um »ökonomische« und »effiziente« Einkäufe. Viel interessanter ist es, aus purer Lust heraus individuelle Wünsche zu befriedigen. Es ist insofern extravagant, als es außerhalb der bloßen Notwendigkeit liegt.2 Das Ziel heißt Genuss, nicht aber Wirtschaftlichkeit. Natürlich kann auch ein Versorgungskauf Spaß machen, das Jagen und Sammeln von Schnäppchen Lust bereiten. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Konsum als anstößig galt. Einst kam der Konsum »von oben« und sickerte durch die Decke nach unten – salopp gesagt: Der Adel setzte einen Trend, die Massen folgten, soweit ihnen gegeben. Man spricht in diesem Fall vom Trickle-down-Effekt.3