5,49 €
DER BOSS UND DIE SEXY LÜGNERIN von MAUREEN CHILD Seit Kurzem gibt es einen Spion in Vance Waverlys exklusivem New Yorker Auktionshaus. Und seine Assistentin Charlotte wird verdächtig nervös, sobald Vance in ihre Nähe kommt. Grund genug, ihr zu misstrauen! Vance beschließt, sie zu verführen - natürlich nur, um sie zu entlarven. AUS VERSEHEN VERHEIRATET von BARBARA DUNLOP Der Elvis-Imitator in Las Vegas war ein echter Standesbeamter - und jetzt ist Kaitlin ausgerechnet mit Zach verheiratet, diesem einflussreichen Macho, mit dem sie noch eine Rechnung offen hat. Nach Beratung mit ihrer besten Freundin macht Kaitlin ihm ein scharfes Angebot … NUR EINE PERFEKTE AFFÄRE? von CHARLENE SANDS Caroline und Sam sind sich einig: Sie wollen nur eine heiße Affäre, aber keine feste Bindung. Doch nach einem Monat merkt Caroline, dass sie Sams leidenschaftliche Zärtlichkeit nie wieder missen will. Sie gesteht ihm ihre Liebe - und erfährt, dass Sam sie belogen hat …
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 600
Maureen Child, Barbara Dunlop, Charlene Sands
BACCARA EXKLUSIV BAND 181
IMPRESSUM
BACCARA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: BACCARA EXKLUSIV, Band 181 – 2019
© 2012 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Gilded Secrets“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Maike Stein Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1780
© 2011 by Barbara Dunlop Originaltitel: „The CEO’s Accidental Bride“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sabine Bauer Deutsche Erstausgabe 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1697
© 2006 by Charlene Swink Originaltitel: „Bunking Down with the Boss“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Alina Lantelme Deutsche Erstausgabe 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1442
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733725754
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Vance Waverly blickte auf die eindrucksvolle Fassade des Auktionshauses, das seinen Namen trug. Das Gebäude hatte im Laufe der letzten 150 Jahre ein oder zwei Faceliftings erhalten, aber seine Bestimmung zeigte sich immer noch deutlich: Hier wurde das Schöne, das Antiquarische, das Einzigartige ausgestellt.
Er lächelte und ließ den Blick über alle Stockwerke schweifen, sieben insgesamt, eine Glückszahl. Vor dem Eingang standen zwei Zypressen schweigend Wache. Auf den Fensterscheiben spiegelte sich die Frühsommersonne. Der Balkon im zweiten Stock hatte ein schwarz geschmiedetes Eisengitter. Der graue Stein, aus dem das Haus gebaut war, verlieh ihm seine Würde, und auf dem ovalen Fenster über der Flügeltür stand schlicht: Waverly.
Ein Anflug von Stolz erwachte in Vance, als er das Werk betrachtete, das sein Urgroßonkel Windham Waverly geschaffen hatte. Mit diesem Auktionshaus hatte er sich unsterblich gemacht. Das Haus war weltweit bekannt und genoss einen ausgezeichneten Ruf.
Nun war Vance einer der letzten Waverlys. Daher lag es in seinem ureigensten Interesse, dafür zu sorgen, dass das Haus weiterhin seine Spitzenstellung unter den Auktionshäusern weltweit behauptete. Er war Vorstandsvorsitzender und stets in alles involviert – von der Gestaltung des Katalogs bis zum Aufspüren von Gegenständen, die es wert waren, bei Waverlys versteigert zu werden. Er war hier mehr zu Hause als in seiner Luxuseigentumswohnung, die auf den Hudson blickte. Dort schlief er lediglich.
Hier lebte er.
„Hey, Kumpel!“, rief jemand hinter ihm. „Wollen Sie da den ganzen Tag rumstehen?“
Ein FedEx-Fahrer mit einer Sackkarre, auf der sich die Pakete stapelten, stand ungeduldig hinter ihm. Vance trat zur Seite und ließ ihn vorbei.
Bevor er das Haus betrat, grummelte der Mann: „Die Leute meinen alle, der Gehweg gehöre ihnen allein.“
„New York muss man einfach lieben“, murmelte Vance.
„Morgen.“
Vance blickte nach rechts. Sein Halbbruder kam über die Straße auf ihn zu. Roark war nur selten in New York und gerade hierhergeflogen, um einige seiner Geschäftskontakte zu treffen. Er war genauso groß wie Vance, über eins achtzig, hatte braune Haare und grüne Augen. Da endete die Familienähnlichkeit auch schon, aber sie hatten ja auch nur den Vater gemeinsam. Und bis vor fünf Jahren, als Edward Waverly gestorben war, hatte Vance nicht einmal von seinem Halbbruder gewusst.
Seit damals hatte sich zwischen ihnen eine enge Freundschaft entwickelt, für die Vance sehr dankbar war – auch wenn Roark darauf bestand, dass sie ihre familiäre Verbindung geheim hielten. Roark war immer noch nicht davon überzeugt, dass Edward Waverly wirklich sein Vater war. Als Beweis gab es nur einen Brief, den Edward, zusammen mit dem Testament, hinterlassen hatte. Vance reichte das, doch er respektierte den Wunsch seines Bruders.
„Danke, dass du kommst.“ Vance nickte ihm zu.
„Könnte wichtig sein“, erwiderte Roark, während sie gemeinsam das Auktionshaus passierten und weiter zu einem kleinen Café um die Ecke gingen. „Ist spät geworden gestern, und ich bin eigentlich noch gar nicht wach.“
Er trug eine dunkle Sonnenbrille, eine abgetragene braune Lederjacke, ein T-Shirt, Jeans und Stiefel. Kurz beneidete Vance seinen Bruder. Er hätte auch lieber Jeans getragen, aber die Arbeit bei Waverlys verlangte nun mal Anzug und Krawatte. Und Vance tat immer, was verlangt wurde.
„Ja“, sagte er, als sie sich einen Tisch vor dem Café aussuchten. „Es ist wichtig. Oder könnte es sein.“
„Faszinierend.“ Roark drehte im selben Moment wie Vance seine Kaffeetasse um, und sie warteten beide, bis die Kellnerin die Tassen gefüllt und ihre Bestellungen entgegengenommen hatte, bevor sie ihr Gespräch fortsetzten. „Also, lass hören.“
Vance umfasste seine Tasse mit beiden Händen und musterte die schwarze Flüssigkeit darin. Normalerweise gab er nichts auf Gerüchte oder Tratsch. Und für Menschen, die das taten, hatte er nichts übrig. Doch wenn es um Waverlys ging, konnte er nicht einfach weghören.
„Hast du das Gerede über Ann mitbekommen?“
„Ann Richardson?“, fragte Roark. „Unsere Geschäftsführerin?“
„Ja, die Ann.“ Mal im Ernst, wie viele Anns kannten sie schon?
Roark legte die Sonnenbrille auf den Tisch und schaute sich kurz um. „Welches Gerede?“
„Über sie und Dalton Rothschild. Du weißt, wer das ist, oder? Leiter des Rothschild-Auktionshauses, unseres größten Konkurrenten?“
Ein, zwei Sekunden lang starrte Roark ihn einfach nur an. Dann schüttelte er den Kopf. „Nie im Leben.“
„Ich will das ja auch nicht glauben“, gab Vance zu.
Ann Richardson war eine brillante Geschäftsführerin. Klug und fähig wie sie war, hatte sie sich in der Firma nach oben gearbeitet und war die jüngste Leiterin eines Auktionshauses dieser Größe.
Roark lehnte sich zurück. „Und was genau hast du gehört?“
„Tracy hat mich angerufen und vorgewarnt wegen der Kolumne, die heute in der Post erscheint.“
„Tracy Bennett, die Reporterin? Deine Ex?“
„Ja. Sie hat gesagt, die Story würde heute rauskommen.“
„Welche Story?“
„Dass Ann eine Affäre mit Dalton hatte.“
„Ann ist zu klug, um auf Dalton reinzufallen.“ Roark winkte ab.
Zu gern hätte Vance dasselbe getan. Aber seiner Erfahrung nach trafen Menschen ständig dumme Entscheidungen. Und gaben dann „der Liebe“ die Schuld daran. Aber in Wahrheit war das doch nur eine Ausrede, damit sie tun und lassen konnten, was immer ihnen gefiel. Liebe war ein Märchen, das Grußkartenfirmen und Hochzeitsmessen einem weismachen wollten.
„Ich stimme dir ja zu“, sagte er, „aber wenn da irgendwas zwischen ihnen …“
Roark pfiff. „Was könnten wir da schon tun?“
„Nicht viel. Ich werde mit Ann reden, ihr von dem Artikel erzählen.“
„Und?“
„Und ich möchte, dass du die Augen und Ohren offen hältst.“ Vance fixierte seinen Bruder. „Ich vertraue Ann, aber ganz sicher nicht Dalton. Der wollte Waverlys schon immer aus dem Weg haben. Wenn er uns nicht aufkaufen kann, wird er es mit einer Übernahme versuchen – oder versuchen, uns ein Grab zu schaufeln.“ Vance trank einen Schluck Kaffee und blickte Roark entschlossen an. „Und das werden wir nicht zulassen.“
„Guten Morgen, Mr. Waverly. Ich habe Ihren Kaffee und den Terminplan für die Woche vorbereitet. Oh! Und die Einladung zur Gartenparty von Senator Crane ist gestern noch gebracht worden.“
Vance blieb vor seinem Büro stehen und musterte seine neue Assistentin. Charlotte Potter war zierlich und kurvig und trug ihr gewelltes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte lebhafte blaue Augen, und ihr geschwungener Mund schien ebenso wie sie auch ständig in Bewegung zu sein.
Sein Vorgänger hatte sie sehr geschätzt, und nur auf dessen Bitte hin hatte Vance sie übernommen. Gerade mal eine Woche war sie jetzt seine Assistentin, aber Vance wusste bereits, dass ihre Zusammenarbeit nicht funktionieren würde.
Sie war zu jung, sie sah zu gut aus und war zu … Sie drehte sich um und bückte sich, um die unterste Schublade des Aktenschranks zu öffnen, und Vance schüttelte den Kopf. Er starrte auf ihre runden Pobacken in der schwarzen Stoffhose. Charlotte war zu … viel.
Als sie sich aufrichtete und ihm einen dicken Umschlag überreichte, sagte er sich, er solle sie einfach an jemand anderen im Unternehmen abschieben. Er konnte sie schließlich nicht feuern, nur weil sie ihn ablenkte. Aber ihm missfiel diese Ablenkung.
Vance hatte lieber matronenhafte Frauen oder einen Mann im Vorzimmer, ob es nun politisch korrekt war oder nicht.
Seine frühere Assistentin Claire war mit fünfundsechzig in Rente gegangen. Sie war kühl, unerschütterlich und notorisch pedantisch gewesen, was ihren Arbeitsplatz anging. Jeder Bleistift hatte stets an seinem Platz gelegen. Vance hatte immer darauf vertrauen können, dass Claire alles im Griff hatte.
Charlotte hingegen … Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den Benjamini in der Ecke, die Farne auf dem Regal am Fenster und die dunkelvioletten Usambaraveilchen auf dem Schreibtisch. Dort standen auch gerahmte Fotos, die er noch nie näher betrachtet hatte; bislang hatte er einfach nur das Durcheinander wahrgenommen.
Ihre Stifte steckten in einem Becher, der wie ein Footballhelm der New York Jets geformt war, und neben dem Telefon stand eine Schüssel mit M&Ms. Ganz klar, diese Bitte hätte er niemals erfüllen dürfen. Keine gute Tat bleibt ungestraft, hatte sein Vater immer gesagt.
Vance mochte keine Ablenkung an seinem Arbeitsplatz, und jetzt, wo ihm Schwierigkeiten mit Rothschild drohten, duldete er sie noch viel weniger. Und wenn ihn das zu einem verdammten Chauvinisten machte, nun, dann war das eben so.
Als einer der letzten Waverlys, die noch im Auktionshaus arbeiteten, zog Vance es vor, seine Geschäftsstunden ganz und gar dem Geschäftlichen zu widmen. Und eine attraktive junge Frau förderte nun einmal nicht seine Konzentrationsfähigkeit.
„Danke, Charlotte.“ Er ging auf sein Büro zu. „Und stellen Sie bitte keine Anrufe durch, bis die Vorstandssitzung vorbei ist.“
„Natürlich. Oh, und nennen Sie mich doch Charlie“, erwiderte sie fröhlich.
Vance blieb stehen und blickte zurück. Ihr strahlendes Lächeln war einfach umwerfend. Sie ging zu ihrem Schreibtisch und begann, die Post zu sortieren. Ihr langes Haar fiel ihr über eine Schulter und lag auf ihrer Brust. Etwas in ihm zog sich zusammen. Er hasste es, sich das einzugestehen, aber er musste zugeben, dass man diese Frau unmöglich ignorieren konnte.
Verärgert über sich selbst lehnte er sich gegen den Türrahmen und nippte an dem Kaffee, den sie ihm gegeben hatte. Er beobachtete sie und merkte, dass sie vor sich hinsummte, dieselbe Melodie wie schon die ganze Woche lang. Sie summte sie völlig schräg. Vollkommen unmusikalisch schräg.
Erschöpft schüttelte er den Kopf. Er musste das Londoner Büro anrufen, sich nach den anstehenden Auktionen dort erkundigen. Auch die Gerüchte über Ann beschäftigten ihn immer noch, die Gefahr, die drohte, wären die Gerüchte wahr. Und er war ganz und gar nicht in Stimmung für die Vorstandssitzung, die für den Nachmittag anberaumt war.
Charlotte richtete sich auf und drehte sich um. Sie keuchte auf und legte eine Hand auf ihre Brust, als müsse sie dafür sorgen, dass ihr Herz darin bliebe. Dann lachte sie kurz und schüttelte den Kopf. „Sie haben mich vielleicht erschreckt. Ich habe gedacht, Sie wären in Ihr Büro gegangen.“
Das hätte er auch tun sollen. Stattdessen hatte er sich ablenken lassen. Nicht gut. „Haben Sie schon die Tagesordnung für die Sitzung heute fertig? Ich möchte noch ein paar Notizen machen, bevor ich mich mit dem Vorstand treffe.“
„Natürlich.“ Sie zog einen Hefter aus einem Stapel und reichte ihn ihm. „Ich habe neben der Tagesordnung auch gleich noch eine Liste mit den Privatsammlungen ausgedruckt, die in den nächsten Wochen zur Auktion anstehen.“
Er schlug den Hefter auf und blätterte darin. Seine alten Notizen waren jetzt fett gedruckt auf der Tagesordnung vermerkt, und er schaute sich die weiteren Papiere dahinter an, hielt bei der letzten Seite inne. „Was ist das?“
„Oh.“ Sie lächelte. „Das Layout für den nächsten Katalog hat ein wenig gedrängt gewirkt, daher habe ich ein paar der Bilder neu angeordnet und …“
Er betrachtete ihre Arbeit und musste zugeben, dass es so viel besser aussah. Die Vasen aus der Ming-Dynastie wurden jetzt einzeln präsentiert und erstrahlten in all ihrer Schönheit, im Gegensatz zu vorher, wo sie alle zusammen auf ein Blatt gequetscht worden waren.
„Ich weiß, das hätte ich nicht tun sollen, aber …“
„Sie haben gute Arbeit geleistet.“ Er schloss den Hefter und blickte in ihre sanften blauen Augen.
„Wirklich?“ Sie strahlte ihn an. „Danke. Das ist toll. Ich war ein bisschen nervös, weil ich mir das einfach rausgenommen habe, das kann ich Ihnen sagen. Mir liegt viel an meinem Job hier, und ich will alles richtig machen.“
Als er den Feuereifer in ihrem Blick sah, machte sich ein ungewohntes Schuldgefühl in Vance breit. Sie vibrierte förmlich vor Begeisterung über ihren neuen Job. Und er fühlte sich noch schlechter, weil er bereut hatte, sie eingestellt zu haben.
Vielleicht sollte er dem hier also eine Chance geben. Er musste einfach aufhören, Charlotte als Frau zu sehen.
Doch ein kurzer Blick auf ihre zierliche, kurvige Figur machte diesen Gedanken zunichte.
Das Telefon klingelte, und sie hob ab. „Vance Waverlys Büro.“
Ihre Stimme klang sanft. Verführerisch. Oder vielleicht bildete er sich das nur ein.
„Warten Sie bitte einen Moment.“ Sie drückte eine Taste auf dem Telefon und drehte sich zu Vance um. „Das ist Derek Stone vom Londoner Büro.“
„Oh, gut.“ Er war dankbar für den Vorwand, in sein Büro gehen zu können. „Stellen Sie ihn bitte durch, Charlotte. Und danach keine weiteren Anrufe mehr.“
„Selbstverständlich, Mr. Waverly.“
Vance schloss die Tür. Kaum bemerkte er das dumpfe Geräusch seiner Schritte auf dem polierten Holzfußboden. Gemälde Alter Meister sowie noch unentdeckter Künstler hingen an den elfenbeinfarbenen Wänden. Hinter seinem Schreibtisch boten große Fenster einen Ausblick auf die Madison Avenue und das immer geschäftige Manhattan.
Er griff nach dem Telefonhörer und wandte dem Ausblick den Rücken zu, während er am Schreibtisch Platz nahm. „Derek. Gut, dass du anrufst.“
Völlig erschöpft stieß Charlotte den Atem aus und schlich sich an ihren Schreibtisch zurück. Das fröhliche Grinsen auf ihrem Gesicht fühlte sich so spröde an, als könnte es jeden Moment zerbrechen, und sie hoffte bei allen Heiligen, dass Vance Waverly nicht gemerkt hatte, wie nervös er sie machte.
„Warum muss er auch so gut riechen?“, murmelte sie vor sich hin, als sie sich setzte. Sie stütze sich mit den Ellbogen auf und legte den Kopf in die Hände. Sie musste sich in den Griff bekommen.
Ihre Hormone waren leider nicht ihrer Meinung und tanzten weiter aufgeregt durch ihren Körper. Das passierte ihr jedes Mal, wenn sie Vance Waverly begegnete, und es war verdammt beschämend. Wie konnte sie sich so zu dem Boss hingezogen fühlen, der die Hälfte der Leute hier im Haus in Angst und Schrecken versetzte?
Aber so war es nun mal. Er war groß und breitschultrig. Und seine dunkelbraunen Haare sahen immer leicht verwuschelt aus. In den braunen Augen fanden sich kleine Goldsprenkel, und seinen Mund verzog er so gut wie nie zu einem Lächeln. Bei ihm ging es immer nur ums Geschäft, und sie hatte das deutliche Gefühl, dass er sie genauestens beobachtete und nach einem Vorwand suchte, sie zu feuern.
Sie würde ihm keinen liefern.
Dieser Job war das Wichtigste in ihrem Leben. Nun ja, dachte sie und schaute auf das Foto des lächelnden Kleinkinds, das Zweitwichtigste. Aber auf beruflicher Ebene gab es nichts Besseres. Für Vance Waverly, einen Vorstandsvorsitzenden, zu arbeiten war ihre große Chance, und die würde sie nicht aufs Spiel setzen.
Charlie nickte vor sich hin und atmete tief durch. Sie warf noch einmal einen Blick auf das Foto von ihrem Sohn Jake und rief sich in Erinnerung, dass sie vielleicht auf Bitten eines alten Freundes hin eingestellt worden war, aber alle Qualifikationen mitbrachte, diesen Job hervorragend zu meistern. Sie würde stets gut gelaunt und optimistisch und fröhlich bleiben, auch wenn es sie umbrachte.
Als ihr Telefon klingelte, griff sie eilig danach. „Vance Waverlys Büro.“
„Wie läuft’s?“, ertönte die bekannte weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung.
Charlie blickte schnell auf die geschlossene Tür zum Büro ihres Chefs. „Bislang ganz gut.“
„Und was hat er zu deinen Ideen zum Katalog gesagt?“
„Du hast recht gehabt, Katie.“ Sie stellte sich vor, wie ihre Freundin unten in der Buchhaltung grinste. Charlie hatte im Geheimen am neuen Layout des Katalogs gearbeitet und die Vorstellung davon genossen, wie sie ihn gestaltet hätte. Erst auf Katies Vorschlag hin hatte sie ihre Ideen Vance gezeigt. „Er meint, ich habe gute Arbeit geleistet.“
„Hab ich’s dir nicht gesagt?“ Katie tippte, während sie sprach; Charlie hörte, wie sie mit den Fingern auf die Tastatur einhämmerte. „Ich wusste doch, dass ihm deine Ideen gefallen würden. Er ist klug. Er muss einfach merken, dass du fantastische Arbeit leistest.“
„Die ganze letzte Woche lang hat er mich einfach nur beobachtet, als würde er darauf warten, dass ich Mist baue.“
„Vielleicht beobachtet er dich einfach nur, weil du umwerfend aussiehst.“
„Das glaube ich nicht.“ Obwohl der Gedanke einen heißen Schauer in ihr auslöste. Sofort löschte sie ihn mit einem Schwall imaginären Eiswassers. Schließlich war sie nicht wegen einer Verabredung hier. Sie wollte sich ein besseres Leben aufbauen, für sich und für ihren Sohn. Und der neue Job mit der wunderbaren Gehaltserhöhung war Teil des großen Plans. Sie musste nur ihren neuen Boss davon überzeugen, dass sie unverzichtbar war.
„Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut?“, entgegnete Katie. „Glaub mir, wenn ich vom anderen Ufer wäre, dann würde ich versuchen, bei dir zu landen.“
Charlie lachte angesichts dieser Idee. Katie jonglierte mit so vielen Männern, dass sie kaum einen Moment für sich hatte. Aber Katie hatte nicht ganz unrecht. Die meisten sahen, wenn sie Charlie anschauten, die Blondine mit großen blauen Augen und Brüsten, auf die jede Barbiepuppe stolz gewesen wäre, und zogen daraus sofort den Schluss, dass sie keine einzige funktionierende Gehirnzelle haben könnte. Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie damit zugebracht zu beweisen, dass sie sich irrten.
Das eine Mal, das sie ihrem Herzen statt ihrem Verstand gefolgt war …
„So ist er nicht“, sagte sie und schaute wieder auf die geschlossene Bürotür.
„Süße, alle Männer sind so.“
Charlie ignorierte den Kommentar und senkte die Stimme. „Ich weiß, dass er mich nur aus Gefälligkeit gegenüber Quentin eingestellt hat.“
„Und? Wen kümmert’s, warum er dich eingestellt hat?“ Das Tippgeräusch verstummte plötzlich. „Es ist egal, wie du an den Job gekommen bist. Das Entscheidende ist, dass du ihn hast. Und bereits bewiesen hast, dass du perfekt dafür bist.“
„Danke“, sagte Charlie. „Dann werde ich jetzt an der perfekten Ablage arbeiten. Wir hören uns später wieder.“
Noch als sie auflegte, lächelte Charlie.
Zwei Stunden später knüllte Vance die Zeitung zusammen. Schnell zügelte er seine aufsteigende Wut. Genau wie Tracy gesagt hatte, stand die Story um eine mögliche Affäre zwischen Ann Richardson und Dalton Rothschild auf Seite 26. Für einen Moment gestattete sich Vance die Hoffnung, die Story könnte zwischen all den Anzeigen auf der Seite unbemerkt bleiben.
Aber die Chancen dazu tendierten gegen null. Nichts liebten die Leute mehr als einen ordentlichen Skandal, und über diesen würde man wochenlang sprechen. Die Gerüchte um die Affäre beunruhigten ihn weniger als der Gedanke an mögliche geheime Absprachen. Er hoffte auf Teufel komm raus, dass da nichts dran war, denn sonst mussten sie mit offiziellen Nachforschungen, Anklagen – womöglich mit dem Ruin Waverlys – rechnen.
Er schnappte sich den Hörer und tippte eine Nummer. Ungeduldig wartete er, dass sein Anruf angenommen wurde. „Verdammt, Tracy!“, blaffte er, als sie sich meldete.
„Vance, das ist nicht meine Schuld.“ Tracys Stimme blieb ruhig. „Mein Redakteur hat einen Tipp bekommen, und dem sind wir nachgegangen. Ich habe dich immerhin vorgewarnt.“
„Ja, das war wirklich eine große Hilfe.“ Spät in der Nacht hatte Tracy ihn angerufen. Nicht gerade viel Vorwarnzeit, und er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie das nur getan hatte, damit er noch etwas länger darüber brüten konnte.
„Gibt es irgendwelche Beweise für die Story?“
„Du weißt, dass ich dir darauf nicht antworten kann.“
„Schön. Aber wenn du noch weitere ‚Tipps‘ bekommst, lass es mich wissen, bevor du damit in den Druck gehst, ja?“
„Keine Versprechen“, konterte sie. „Klingt das irgendwie vertraut?“ Sie legte auf.
Vance zuckte zusammen. Vor einem Jahr hatte er eine Affäre mit Tracy gehabt, ein paar Monate lang. Und als er mit ihr Schluss gemacht hatte, hatte er sie daran erinnert, dass er die Affäre mit den Worten „keine Versprechen“ begonnen hatte.
Diese Warnung gab er jeder Frau, die in sein Leben trat. Er suchte nicht nach einer lebenslangen Bindung. Er hatte erlebt, was der Tod seiner Mutter und seiner älteren Schwester seinem Vater angetan hatte. Zum Teufel, das hatte den Mann völlig gebrochen, ihn als leere Hülle zurückgelassen. Wenn Liebe eine solche Macht hatte, dann wollte Vance nichts damit zu tun haben. Da er also nicht nach einer Ehefrau suchte, keine Familie gründen wollte, war es da nicht besser, von Anfang an ehrlich zu sein?
Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, schließlich hatten sie mit der aktuellen Situation nichts zu tun. Vance steckte die Hände in die Hosentaschen. Waverlys war alles, was er hatte, und er würde es verdammt noch mal nicht verlieren. Seine Familie hatte dieses Unternehmen aufgebaut, und als einer der letzten Waverlys würde er alles dafür tun, um es zu erhalten.
Er aktivierte die Gegensprechanlage. „Charlie, würden Sie bitte in mein Büro kommen?“
Wenige Sekunden später stand sie in der Tür. Ihr langes blondes Haar hing über eine Schulter, und sie sah ihn aus großen blauen Augen an. Wieder spürte Vance, wie ihm heiß wurde, und er musste das Gefühl mit Macht unterdrücken.
„Gibt es ein Problem?“
„Das könnte man so sagen.“ Vance winkte sie herein. Er deutete auf das große Sofa an der gegenüberliegenden Wand. „Setzen Sie sich.“
Als sie auf dem Sofa Platz nahm, bemerkte er den wachsamen Ausdruck in ihren Augen.
„Entspannen Sie sich.“ Er setzte sich ans andere Ende des Sofas. „Ich werde Sie nicht feuern.“
Sie stieß den Atem aus und lächelte ihm zu. „Gut zu wissen. Was kann ich dann für Sie tun?“
Er blickte sie an. „Sie können mir alles erzählen, was Sie in letzter Zeit über Ann Richardson gehört haben.“
„Wie bitte?“
„Wenn es Gerede gab, will ich es wissen“, sagte er kurz angebunden. „Sie haben bestimmt von dem Artikel gehört.“
Sie sah kurz von ihm weg. „In der letzten halben Stunde stand das Telefon kaum still.“
„Großartig. Wer?“
„Ich habe einen ganzen Stapel mit Nachrichten auf dem Schreibtisch, aber hauptsächlich waren es die anderen Vorstandsmitglieder und ein paar Reporter. Und ein Kabelsender hat wegen eines Interviews angefragt.“
Er ließ sich gegen die Sofakissen fallen und schüttelte den Kopf. „Das wird noch viel schlimmer werden, bevor es vorbeigeht.“ Er musste dringend mit Ann reden. Herausfinden, was genau vorging. Und eine Verteidigungsstrategie ausdenken. Sein Blick bohrte sich in Charlies. „Ich weiß, dass die Leute hier im Unternehmen darüber reden. Was haben Sie gehört?“
„Ich höre nicht auf Tratsch.“
„Was eigentlich ja gut ist. Aber jetzt muss ich wissen, worüber getratscht wird.“
Sie wirkte, als würde sie einen Kampf mit sich selbst ausfechten. Kurz erwog Vance, aus seiner Bitte einen Befehl zu machen, unterließ das aber. Er brauchte so viele Informationen wie möglich und wollte sie daher nicht unnötig gegen sich aufbringen.
Sie biss sich auf die Unterlippe. „Alle sind besorgt. Sie haben Angst, Waverlys könnte geschlossen werden und sie könnten ihre Jobs verlieren. Ehrlich gesagt, bin ich auch etwas beunruhigt. In dem Artikel stand etwas von möglichen Absprachen …“
„Ja, ich weiß.“
„Was sagt denn Ms. Richardson?“
„Ich habe noch nicht mit ihr gesprochen. Zwar habe ich eine Vorwarnung zu dem Artikel bekommen, aber nicht rechtzeitig, um noch irgendwas zu unternehmen. Das wird bestimmt auch noch Thema der Vorstandssitzung.“
„Was glauben Sie, was da vorgeht?“, fragte sie.
Zu spät realisierte er, dass er eine Tür zwischen ihnen geöffnet hatte, indem er sie um ihre Meinung gebeten hatte. Noch vor einer Woche wäre sie zu ängstlich, zu nervös gewesen, um so eine Frage zu stellen. Das hatte sich nun offenbar geändert. Seltsamerweise machte ihm das nichts aus. Sie war eine aufmerksame Zuhörerin, und es tat ihm gut, die Sache mit jemandem besprechen zu können.
„Ich weiß es nicht“, gab er zu, was ihn viel Überwindung kostete. Er war nicht daran gewöhnt, im Dunkeln zu tappen. „Ich mag Ann. Und sie ist mir immer wie eine vernünftige, ehrliche Frau vorgekommen. Sie war immer gut für Waverlys …“
„Aber?“
Unwillkürlich lächelte er leicht. Nicht nur eine gute Zuhörerin, auch eine einfühlsame. Das Zögern in seiner Stimme hatte sie sofort gehört.
„Aber die Wahrheit ist, dass ich sie nicht gut kenne. Niemand hier kennt sie wirklich. Sie leistet gute Arbeit, aber bleibt sehr für sich.“
„Das machen viele hier“, erwiderte sie.
Er legte den Kopf schräg. „Was soll das heißen?“
„Entschuldigung.“ Sie versteifte sich. „Ich wollte nicht – ich habe nur gemeint, dass Sie – na ja, Sie sind auch ein ziemlicher Einzelgänger, und … O Gott, bringen wir es hinter uns, feuern Sie mich einfach.“
Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte Vance. Überraschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, und er wusste, dass es sich auf seinem spiegelte. Die ganze Woche lang hatte er bedauert, Charlotte Potter eingestellt zu haben. Im Moment wusste er nicht einmal mehr warum. Sie war klug und kompetent, und sie brachte ihn zum Lachen.
Wenn sie nur nicht so gut duften würde.
„Wie schon gesagt: Ich werde Sie nicht feuern.“
Immer noch irritiert von den heißen Gefühlen, die in ihm aufstiegen, drängte Vance all das entschlossen zurück und stand vom Sofa auf. „Wenn Sie irgendetwas hören, lassen Sie es mich umgehend wissen.“ Seine Stimme hatte wieder einen geschäftsmäßigen Ton. Boss zu Assistentin. So wie es sein sollte.
Charlie erhob sich langsam, das Kinn kämpferisch gereckt. „Ich werde meine Kollegen nicht ausspionieren.“
Damit stieg sie nur noch weiter in seiner Achtung. Vance schätzte Loyalität. „Ich bitte Sie nicht zu spionieren. Sie sollen nur zuhören.“
„Das kann ich machen.“
„Gut.“ Er öffnete seine Garderobe und holte seinen Mantel heraus. „Ich gehe jetzt zur Vorstandssitzung.“ Er warf einen Blick auf die Uhr an seinem linken Handgelenk. Wenn er nicht sofort losging, dann würde er zu spät kommen. Und Vance Waverly kam nie zu spät.
„Ich sollte so gegen vier zurück sein – bitte haben Sie dann die Berichte über den Zustand der Ming-Vasen für mich bereit.“
„Natürlich, Sir.“
Er hörte ihren scharfen Klang und bedauerte kurz, dass sie dasselbe tat wie er – zurück auf Geschäftsbeziehung schaltete. Dann ließ er das Bedauern fallen. Besser so. Leichter. Und viel logischer. Er blickte nicht zurück, als er das Büro verließ und zu der Sitzung ging, die vieles bei Waverlys verändern könnte.
Charlie stieß den Atem aus. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. Für ein paar wenige Momente hatten Vance und sie sich unterhalten wie … Freunde. Kurz hatte sie hinter die kühle Fassade blicken dürfen, die den Mann sonst umgab.
Und dieser kurze Einblick hatte sie fasziniert und den Wunsch nach mehr geweckt. Ganz und gar nicht gut, schalt Charlie sich. Mehr von Vance Waverly zu wollen machte genauso viel Sinn, wie sich einen Nachmittag in Paris zu wünschen. Und wie die große Chance, Wirklichkeit zu werden.
Mit diesen Gedanken begab sie sich wieder an die Arbeit. Sie nahm einen Hefter von ihrem Schreibtisch und machte sich auf den Weg zum Schmuckverkaufsraum im zweiten Stock. Sie musste Herkunftsberichte für einige Schmuckstücke abgeben.
Der dicke Teppichboden dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, als sie über den Flur zum Aufzug ging. Aus den Büros drangen leise Stimmen zu ihr heraus. Hier auf dem siebten Flur wurden die Entscheidungen getroffen, die Waverlys an der Weltspitze der Auktionshäuser hielt. Und genau hier werde auch ich meine Spuren hinterlassen, sagte sie sich und betrat den Fahrstuhl.
Die ersten zwei Stockwerke des altehrwürdigen Gebäudes waren den Verkaufsräumen vorbehalten. Jeder von ihnen war anders. Und alle waren sie wunderschön.
Eichendielen streckten sich ins schier Unendliche. Gemälde und Skulpturen zierten die Wände, und in riesigen Vasen standen Blumen, deren Duft dezent in der Luft lag.
Die Atmosphäre war ähnlich ehrfürchtig wie die in einer Kirche. Und warum auch nicht? Hier waren Schätze aus aller Welt versammelt, um bewundert und dann verkauft zu werden. Charlie ging zum Raum am Ende des Flurs und trat durch die großen Flügeltüren.
„Charlie!“ Justin Dawes kam ihr entgegengeeilt. Er war der Leiter der Edelstein-Abteilung. Er war um die vierzig, wurde langsam kahl und war viel zu dünn. Seine freundlichen blauen Augen schienen in einem ständigen Zwinkern gefangen, ein Fluch seines Berufsstandes, wie er einmal erwähnt hatte. Er blickte zu viele Stunden durch Lupen auf die Edelsteine, die er so sehr liebte.
Heute wirkte er ein bisschen gehetzt und weniger wie sein kultiviertes Selbst. Seine Krawatte hing lose herab, und er hatte die Ärmel seines weißen Hemdes bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. „Haben Sie die Herkunftsberichte?“
„Genau hier.“ Sie gab ihm den Hefter.
„Gut. Fantastisch.“ Schnell sah er die Papiere durch. „Sie wurden alle bestätigt?“
„Wiederholt.“ Sie lächelte. „Justin, Sie haben die Steine selbst begutachtet. Noch bevor die Herkunftsberichte hier waren. Machen Sie sich keine Sorgen. Alles ist in Ordnung.“
„Es ist eine bedeutende Sammlung.“ Er betrachtete den Raum, in dem in zwei Tagen die Auktion stattfinden würde. „Wollen Sie mal einen Blick drauf werfen?“
„Sehr gerne.“
Er nahm ihren Arm und führte sie herum. Charlie konnte einen bewundernden Seufzer nicht zurückhalten. Die Juwelen in ihren Schaukästen funkelten wie herabgefallene Sterne – oder Stücke eines Regenbogens.
„Kommen Sie, schauen Sie sich dieses Stück hier an, es ist umwerfend.“
„Oh, mein Gott!“ Unter dem Glas lag eine Kette, wie sie noch nie eine gesehen hatte. An einem Golddraht, so fein wie eine Haarsträhne, hingen unendlich viele Diamanten und Rubine. Die Steine waren in den zierlichen Golddraht eingeflochten und hingen wie Träume aufgereiht an der dünnen Kette. Die Rubine glänzten, und die Diamanten waren …
„Wunderschön.“
„Nicht wahr?“ Justin starrte die Steine verliebt an. „Die Königin von Cadria hat sie getragen, vor über hundert Jahren. Die Kette wurde speziell für sie angefertigt – mancher behauptet von Fabergé selbst.“ Er seufzte leise. „Das können wir natürlich nicht mehr beweisen, auch die königliche Familie weiß das heute nicht mehr. Wirklich eine Schande. Hätte das nicht beeindruckend ausgesehen auf dem Herkunftsbericht? Trotzdem, das Stück ist atemberaubend.“
Charlie fürchtete sich fast schon, in der Nähe der Kette zu atmen. „Sie ist absolut bezaubernd. Aber warum werden so viele der königlichen Juwelen versteigert?“
„Ah.“ Er zwinkerte ihr zu. „Der König möchte seine Großmutter mit einer Stiftung ehren. Und die Erlöse dieser Auktion kommen direkt dieser Stiftung zugute. Außerdem glaubt er, dass die Publicity, die diese Auktion hervorruft, noch mehr Leute zu Spenden anspornen wird, ganz im Sinne der Wohltätigkeit seiner Großmutter.“
„Kommt mir trotzdem noch furchtbar vor, all diesen Familienbesitz zu verkaufen.“
„Oh, machen Sie sich mal keine Sorgen über die Königsfamilie, Süße. Die haben so viele Juwelen und Glitzerkram, dass sie gar nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Diese Stücke hier werden vermutlich nicht mal vermisst.“
„Also ich würde eine Kette wie die hier vermissen. Ich würde sie zwar vermutlich nicht tragen, ehrlich, ich hätte zu viel Angst, sie zu zerbrechen oder zu verlieren – aber ich würde sie vermissen.“
„Sie haben ein weiches Herz, Charlie.“ Justin lächelte. „Und Sie werden die Legende zu dieser Kette lieben.“
„Eine Legende?“
„O ja. Alle guten Steine haben eine Legende. Der damalige König ließ diese Kette speziell für seine Braut anfertigen, als Hochzeitsgeschenk. Es heißt, die Rubine wären verzaubert und würden das Geheimnis für eine lange und glückliche Ehe bergen.“
Charlie fragte sich, wie es wohl wäre, so sehr geliebt zu werden. „Das ist wunderbar.“
Justin blinzelte ihr zu. „Ja. Und es wird den Preis für die Kette in die Höhe treiben. Die Bieter mögen nichts lieber als eine gute Story zu einem schönen Schmuckstück.“
Sie konnte einfach nicht anders, sie musste lachen. „Sie sind schamlos.“
„Ertappt“, gab er mit einem Grinsen zu.
Charlie streckte eine Hand nach dem Glaskasten aus, dann hielt sie inne, bevor sie ihn berührte.
„Keine Sorge. Das Alarmsystem ist gerade ausgeschaltet. Hier.“ Justin hob den Glasdeckel hoch.
„So sieht sie noch schöner aus.“ Charlie seufzte.
„Möchten Sie sie streicheln?“, fragte er lachend.
„Streicheln, anprobieren, nach Hause mitnehmen und in den Schlaf singen.“ Sie legte die Hände auf den Rücken, um nicht der Versuchung zu erliegen und die Steine anzufassen.
„Da kann ich Ihnen keinen Vorwurf draus machen. Und bei Ihrem Hautton würde sie Ihnen fantastisch stehen.“
Fast konnte Charlie schon fühlen, wie sich die goldene Kette kühl um ihren Hals schmiegte, wie sich jeder Stein eisig kalt an seinen Platz legte. Oh, es wäre wundervoll und erschreckend zugleich, etwas zu besitzen, das so … magisch aussah. Dann stellte sie sich den Ausdruck auf Vance Waverlys attraktivem Gesicht vor, während er ihr die Kette umlegte und – Okay. Schluss damit!
Mit den Leuten, die hier hereinkommen und mit den Juwelen der Königin wieder hinausgehen konnten, hatte sie nichts gemein. Was auch bedeutete, mahnte sie ihre Hormone, dass sie nichts mit Vance Waverly gemein hatte.
„Ich werde diese unbegründeten Gerüchte nicht mit einer Rechtfertigung würdigen“, sagte Anne Richardson sanft. Ihr Blick glitt über die am Tisch versammelten Vorstandsmitglieder. „Und ich hoffe, ich kann auf die Unterstützung von Ihnen allen zählen.“
Einige der Versammelten rutschten unruhig auf den Stühlen herum, nur Vance blieb ruhig und fixierte die Frau, die ihnen mit der Haltung einer jungen Königin gegenüberstand. Der Blick aus ihren eisblauen Augen war scharf, und sie erwiderte furchtlos das Starren der Vorstandsmitglieder. In ihrem elegant geschnittenen Hosenanzug stand sie aufrecht da, wirkte ebenso stark wie stolz, und forderte jeden Einzelnen von ihnen heraus, ihr zu widersprechen.
Vance hatte Ann Richardson schon immer bewundert, aber nie so sehr wie in diesem Moment. Nach diesem Zeitungsartikel würde man in der ganzen Stadt über sie flüstern, spekulieren. Aber es schien, als hätte sie sich für einen Umgang damit entschieden – eiserne Gleichgültigkeit –, und dazu konnte er ihr nur gratulieren. Würde sie die Vorwürfe vehement bestreiten, so würde sie den Gerüchten nur neues Futter liefern.
Die Vorstandsmitglieder sahen erschüttert und besorgt aus, und er wusste, dass sie alle an die möglichen Folgen dachten. Wenn sich die Situation nicht schnell klären ließ, könnten sich die Gerüchte erst zu einem ernsthaften Verdacht und dann gar zu einem Fakt entwickeln. Ob sie nun schuldig war oder nicht, die Sache konnte leicht Anns Karriere und ihren Ruf zerstören – und auch Waverlys.
Die Stille im Raum war betäubend, während die Sekunden verstrichen. Auch Vance schwieg, denn er wollte erst die Reaktionen der anderen hören, bevor er sich äußerte. Er wusste, er würde nicht allzu lange warten müssen. Es wurden zehn Sekunden.
„Das Ganze ist unfassbar“, ereiferte sich George Cromwell.
„Es sind alles haltlose Anschuldigungen.“ Anns Stimme blieb ruhig. „Ich würde Waverlys niemals einem Risiko aussetzen, und ich hoffe, dass Sie alle das wissen.“
„Ja, Ann“, erwiderte George Cromwell. „Ich bin mir sicher, wir alle wissen Ihre Hingabe an unser Unternehmen zu schätzen. Aber dieser Artikel zeigt deutlich, dass wir ein Problem haben.“
Vance bemerkte Anns winziges Zucken. Allerdings war er sicher, der Einzige zu sein, der es gesehen hatte.
„Der Artikel besteht aus nichts weiter als Gerüchten und Vermutungen.“
„Aber er ist da“, entgegnete George Cromwell. „Und wo Rauch ist, ist auch Feuer, das zumindest werden die Leute denken.“
Vance verdrehte die Augen. Typisch George, der musste jedes Klischee aussprechen. Der alte Fuchs war längst übers Rentenalter hinaus, aber er hatte keinerlei Absicht, seinen Vorstandsposten aufzugeben. Er mochte die Macht. Er mochte den Einfluss. Und im Moment sah es so aus, als bereite es ihm Vergnügen, Ann in die Mangel zu nehmen.
„Wie können wir uns in dieser Sache auf Ihr Wort verlassen, wenn diese Reporterin ganz offenbar genug Beweise hatte, um diese Story zu bringen?“
„Seit wann muss eine Reporterin eine Story beweisen?“, fragte Ann geringschätzig. „In den Tageszeitungen steht mehr Fiktion als Sie im Buchladen nebenan finden werden. Das wissen Sie doch alle.“
Gutes Argument, dachte Vance, der die Geschäftsführerin immer noch prüfend betrachtete. Er wünschte sich, er würde Ann besser kennen. Aber sie war immer darauf bedacht gewesen, die Menschen um sich herum auf Abstand zu halten – und diese Strategie könnte sich jetzt als fatal erweisen.
„Die Leute glauben, was sie lesen.“
„Ach, sei doch still, George“, mischte Edwina Burrows sich vom anderen Ende des Tisches ein.
„Du weißt, dass ich recht habe!“
Die zwei älteren Vorstandsmitglieder schossen weiter verbale Pfeile aufeinander ab, und Vance beobachtete Ann. Es musste hart sein, dieser Bande gegenüberzustehen und sich gegen Gerüchte zu verteidigen.
Schließlich wandte sie sich ihm zu. „Vance? Was sagst? Du bist der letzte Waverly im Vorstand, und daher schätze ich deine Meinung. Glaubst du mir?“
Vance betrachtete sie. Er wusste, dass nun alle auf seine Einschätzung warteten. Was immer er jetzt sagte, konnte die Vorstandsmitglieder für Ann einnehmen oder gegen sie aufbringen. Wie auch immer – er war zuallererst dem Unternehmen verpflichtet. Tausende von Leuten und deren Jobs hingen von Waverlys ab. Aber er schuldete auch Ann seine Unterstützung. Sie war eine kluge und kompetente Geschäftsführerin und hatte ihm nie Grund gegeben, an ihrer Loyalität zu zweifeln.
Trotzdem war er nicht überzeugt, dass sie in allem die Wahrheit sagte. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, in einem Punkt hatte George recht. Diese Reporterin hatte irgendetwas aufgeschnappt, etwas, was sie zu dieser Story veranlasst hatte. Doch falls Ann tatsächlich eine Affäre mit Dalton hatte, bezweifelte Vance, dass sie Waverlys schaden wollte.
„Ich glaube dir“, sagte er laut und deutlich. Letztendlich vertraute er immer auf seinen Instinkt.
Ihre Schultern entspannten sich ein wenig.
Aber er war noch nicht fertig. „Nichtsdestotrotz müssen wir vorbereitet sein, sollte diese Reporterin weiter mit Schmutz um sich werfen.“ Seine stille Botschaft an sie verstand sie sicher: Wenn ich mich in dir täusche, hast du besser einen guten Plan in der Hinterhand – denn wenn ich dich zur Rettung Waverlys feuern muss, bist du Geschichte.
Sie nickte ihm kurz und knapp zu.
„Du hast recht.“ Sie wandte sich wieder an den gesamten Vorstand. „Dalton Rothschild darf man nicht trauen. Wenn er glaubt, dass er den Riss in unserer Rüstung finden kann, wird er handeln.“
„Wie?“, fragte Edwina.
Ann biss die Zähne aufeinander. „Eine feindliche Übernahme wäre nicht ausgeschlossen.“
Vance hörte still den empörten Schreien und dem aufgebrachten Flüstern zu. Warum hatte niemand von ihnen daran gedacht? Erst den Ruf des Hauses ruinieren und dann die Trümmer aufkaufen. Kein schlechter Plan, dachte Vance mit eisiger Gelassenheit. Aber einer, der schiefgehen konnte. Dafür würde er sorgen.
Er beobachtete Ann, wie sie darauf wartete, dass der Tumult sich legte. Als ihr das zu lange dauerte, klopfte sie mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, wie eine Lehrerin, die eine laute Klasse zur Ruhe bringen wollte. Stille kehrte ein.
„Wir müssen alle ab sofort sehr vorsichtig sein. Unsere Angestellten genau beobachten. Wenn Dalton Ernst macht, könnte er jemanden von uns als Spion anwerben. Wir dürfen im Moment nichts als gegeben hinnehmen. Waverlys braucht uns – uns alle und unsere Wachsamkeit.“
Der Gedanke an einen Spion im eigenen Haus behagte Vance ganz und gar nicht. Warum sollte jemand Waverlys betrügen? Das Unternehmen bot beste Arbeitsbedingungen, sorgte gut für alle Angestellten. Zum Teufel, sie hatten im vierten Stockwerk sogar eine Kindertagesstätte eingerichtet, damit Mütter sich während der Arbeit keine Sorgen um ihre Kinder machen mussten.
Kinder.
Der Gedanke löste eine Erinnerung aus. Das gerahmte Foto auf Charlies Schreibtisch. Das Foto eines kleinen Jungen, der in die Kamera grinste und dabei zwei unglaublich winzige Zähne zeigte. Unbehagen stieg in ihm auf, während die Vorstandssitzung weiterging.
Kurz fragte er sich, ob er nun Charlie misstrauen musste.
Er hörte den auf- und absteigenden Stimmen im Raum zu, was er normalerweise nicht tun musste, um zu wissen, was gesagt wurde. Die beiden einzigen Frauen im Vorstand, Veronica Jameson und Edwina Burrows – beide große Damen der Gesellschaft und beide in den Siebzigern –, standen immer an Anns Seite.
„Ich bin mir sicher, Sie wissen am besten, was zu tun ist, Ann“, sagte Veronica.
„Danke. Das weiß ich zu schätzen.“
„Da bin ich mir sicher“, mischte Simon West sich hörbar verärgert ein.
„Mir ist klar, wie schwierig diese Situation für uns alle ist.“ Anns Stimme übertönte die aller anderen. „Aber wenn wir zusammenhalten, bin ich mir sicher, dass wir …“
„Zusammenhalten? Wogegen? Eine vorübergehende Gefahr? Oder gegen Sie?“ Simon, ein runzeliger, kleiner Mann, schlug mit seinem Gehstock auf den Tisch, um die anderen zum Zuhören zu bringen. Selbst Vance schreckte aus seinen Gedanken auf.
Simon war länger bei Waverlys, als irgendwer zurückdenken konnte. Manche behaupteten, er wäre schon bei der Einweihung des Hauses vor 150 Jahren dabei gewesen. Ein Lächeln huschte bei diesem Gedanken über Vances Gesicht.
Simon war wütend und wirkte, als bekäme er gleich einen Herzinfarkt. „So etwas ist hier noch nie passiert! Nicht bevor wir zugelassen haben, dass eine Frau die Geschäfte führt!“
„Oh, um Himmels willen“, murmelte Vance. Manchmal vergaßen die Mitglieder der alten Garde, dass sie in einer modernen Welt lebten, in der Frauen nicht mehr zu Hause am Herd blieben, es sei denn, sie wollten das.
„Das ist nicht hilfreich, Simon.“ Ann blieb ruhig, und Vance bewunderte sie für ihre Geduld. Wäre es um ihn gegangen, dann hätte er sicherlich den Gehstock an sich gerissen und ihn in die nächste Ecke gefeuert.
Veronica und Edwina stürzten sich in Verteidigung ihres Schützlings ins Getümmel, und Vance verdrehte die Augen.
Er warf einen Blick auf den leeren Stuhl am Tisch. Sein Onkel Rutherford Waverly hätte dort sitzen sollen. Und Vance hätte jetzt zu gern dessen Meinung zu all dem gehört. Doch Rutherford hasste alles, was mit Waverlys zu tun hatte, seit er und Vances Vater sich vor Jahrzehnten heftig gestritten hatten. Auch Vance hatte mit seinem Onkel seit Jahren nicht gesprochen.
Trotzdem hätte er jetzt gern die Unterstützung eines kühleren Kopfes gehabt. Eine unvoreingenommene Meinung gehört.
„Ob es uns nun gefällt oder nicht, die Situation ist, wie sie ist.“ Ann brachte die Streithähne zum Verstummen, indem sie so leise und ruhig sprach, dass sie still sein mussten, um ihre Worte zu verstehen. „Falls Dalton Rothschild eine Übernahme plant, müssen wir alle die Augen offen halten und auf Anzeichen von Betrug oder Verrat achten. Sosehr es mir missfällt, das zu sagen, jemand von unseren Leuten könnte für den Feind spionieren.“
Wieder sah Vance seine neue Assistentin vor sich. Was wusste er schon wirklich über sie?
Zurück an ihrem Schreibtisch, arbeitete Charlie die Post von Vance auf. Anfragen für Echtheitsprüfungen aus der Gemälde-Abteilung und die gerade hereingekommenen Zertifikate für die Ming-Vasen, deren Auktion als Nächstes anstand.
Sie überflog alle Berichte auf dem Bildschirm, bevor sie sie zum Drucker schickte. Es faszinierte sie, über Künstler zu lesen, die vor Jahrhunderten gelebt und so wunderschöne, fragile Kunstwerke geschaffen hatten, die ihre eigenen Leben überdauert hatten.
Wie musste es gewesen sein, solch langlebige Kunst zu erschaffen? Hatten sie erwartet, dass ihre Werke so lange bestehen bleiben würden? Oder hatten sie nur daran gedacht, eine Vase zu schaffen, die einen reichen Käufer anlocken würde, damit sie ihre Familie ernähren könnten? Das würde wohl niemand je wissen, aber Charlie liebte es, sich die Leben dieser längst gestorbenen Künstler auszumalen. Was sie wohl denken würden, wenn sie ihre Vasen hier in einem modernen Auktionshaus sehen könnten?
Während der Laserdrucker summte, ertönte ein heller Klang, der eine hereinkommende Mail ankündigte. Sie öffnete das Mail-Programm und klickte auf den Betreff. Dann erstarrte sie.
Ihr Blick blieb auf dem Bildschirm haften, ihr Herz stand still. Ihr stockte der Atem.
Angst stieg in ihr auf und fraß sich in ihre Seele.
Vance verließ den Sitzungssaal und dachte über das nach, was Ann gesagt hatte. Er wollte so gern glauben, dass da nichts war zwischen ihr und Dalton Rothschild. Ebenso wie er glauben wollte, dass niemand eine feindliche Übernahme vorbereitete. Und dass jemand bei Waverlys für den Feind spionieren könnte, war ein schier unerträglicher Gedanke.
Einzig noch schlimmer war, was ihm seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Wenn er schon jemanden der Spionage verdächtigte, würde er Charlotte Potter genau unter die Lupe nehmen müssen. Sie war neu im Unternehmen. Neu als seine Assistentin. Eine Position, die ihr Zugang zu vielen vertraulichen Informationen über das Haus verschaffte.
Er marschierte den langen Flur zu seinem Büro entlang, und wer immer ihm entgegenkam, machte ihm umgehend Platz. Vance nahm das nur am Rande wahr. Seine Gedanken rasten. War Charlie eine Spionin? Oder war sie so unschuldig, wie sie aussah?
Er musste herausfinden, was hier vorging.
Charlie starrte auf die wenigen Sätze der Mail.
Ich weiß, wer Du wirklich bist. Leite alle Geschäftsunterlagen der letzten fünf Jahre von V. Waverly an diese Adresse weiter, oder riskiere vor einem Gericht, als ungeeignet zur Mutter erklärt zu werden.
„Ungeeignet?“ Charlie drehte sich der Magen um, als die kleine, ordentliche Welt, die sie sich aufgebaut hatte, um sie herum einstürzte.
Furcht verschlang sie, und sie konnte kaum atmen. Sie war nicht ungeeignet. Sie liebte ihren Sohn und würde um ihn kämpfen. Und doch flüsterte eine Stimme in ihr: Die Vergangenheit hat dich eingeholt, Charlie. Du kannst sie nicht ändern. Kannst sie nicht verstecken. Wenn jemand herausfindet …
„Jemand hat es herausgefunden. Aber wer?“ Sie hörte die Eiseskälte der Angst in ihrer Stimme. Das hier konnte nicht geschehen. Es war unmöglich. Niemand hier in New York wusste etwas über sie – weder wo sie aufgewachsen war noch wer ihre Familie war. Außer …
Die Erkenntnis ließ sie zitternd zurück. Die einzige Person, die ihre Vergangenheit kannte, war Jakes Vater. Der Mann, den sie nicht mehr gesehen hatte, seit sie ihm gesagt hatte, dass sie schwanger war.
Ein Mann, der nicht einmal existierte, wie sie schnell herausgefunden hatte, als sie damals nach ihm gesucht hatte.
O Gott, sie war so eine Idiotin gewesen! So jung und dumm und vertrauensvoll. Frisch aus der Kleinstadt angekommen, hatte sie einen Job auf dem untersten Level bei Waverlys bekommen und sich so … kultiviert gefühlt. Das leibhaftige Klischee: Junge Frau kommt in die Großstadt. Kennt niemanden. Ist überwältigt von den Möglichkeiten einer Welt, die größer ist, als sie je geglaubt hätte.
Schnell hatte sie eine kleine Wohnung in Queens gefunden. War jeden Tag mit der U-Bahn nach Manhattan gefahren. Hatte sich als Teil der großen, geschäftigen und aufregenden Stadt gefühlt. Im Rückblick konnte sie sehen, was für eine leichte Beute sie für den Mann gewesen war, der sie verführt hatte.
Sie hatte ihr Telefon fallen lassen, und der große, attraktive Mann hatte es für sie aufgehoben. Ein Blick in seine lächelnden braunen Augen und sie hatte jegliche Vernunft verloren, die ihre Großmutter ihr jahrelang gepredigt hatte.
Sie schämte sich immer noch, wenn sie daran dachte, wie leichtgläubig sie auf seine Komplimente hereingefallen war. Seine Aufmerksamkeiten.
Er hatte sie im Sturm erobert, hatte sie in nur wenigen Wochen in sein Bett bekommen und sie davon überzeugt, dass es wahre Liebe war. Sie war überwältigt gewesen, weil so ein bedeutender Architekt wie Blaine Andersen sie und nur sie gewollt hatte. Er hatte ihr erzählt, sein Urgroßvater hätte das Waverly-Auktionshaus entworfen. Er war so liebevoll und nett gewesen – hatte ihr Blumen und Süßigkeiten ins Büro gebracht, hatte ihren Blackberry gefunden, beide Male, die sie ihn verloren hatte. Er war der Traumprinz, daran hatte sie geglaubt.
Bis sie ihm erzählt hatte, dass sie schwanger war. Und er verschwunden war. Und sie ihn gesucht und entdeckt hatte, dass Blaine Andersen, Architekt, gar nicht existierte. Dass der Andersen, der das Waverly entworfen hatte, nie Kinder gehabt hatte. Dass sie bereitwillig all die Lügen geschluckt hatte, weil sie so sehr geliebt werden wollte. Akzeptiert.
Die Erinnerungen schwirrten ihr durch den Kopf und ließen sie voller Wut zurück. Das musste Blaines Werk sein. Nur ihm hatte sie ihre Vergangenheit anvertraut.
„Du wirst mich kein zweites Mal zur Närrin machen“, murmelte sie und tippte schnell eine Antwort.
Wer bist Du?
Die Antwort traf umgehend ein. Spielt keine Rolle. Ich kenne dich. Und ich werde dafür sorgen, dass du dein Baby verlierst.
Allein schon die Worte auf dem Bildschirm zu sehen, krampfte sich ihr Bauch vor Furcht zusammen. Der Absender, wer immer er war, hatte einen Link mitgeschickt. Voller Angst klickte sie darauf.
Ein alter Zeitungsartikel erschien auf dem Bildschirm. Eine Story über ihren Vater und wie er gestorben war. Schnell klickte sie das alles weg, als könnten sich die Worte in den Bildschirm einbrennen und als Schandfleck darauf zurückbleiben.
Charlie presste die Hände zusammen, bis ihre Knöchel weiß wurden. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie vor Gericht um ihren Sohn kämpfen müsste, würde sie verlieren. Das wusste sie.
„O Gott!“
„Probleme?“
Sie fuhr herum und sprang auf. Vance Waverly stand im Türrahmen. Wirkte sie so schuldig, wie sie sich fühlte? Konnte er die Panik in ihren Augen sehen? Wie lange stand er schon da? Was hatte er gesehen? Was gehört?
Er trat ins Zimmer und schien es ganz und gar auszufüllen. Er war so groß, so breitschultrig, und seine Augen waren scharf genug, um einer Frau bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Sie hoffte, sein Blick ginge in genau diesem Moment nicht so tief.
„Nein“, brachte sie schließlich hervor. „Keine Probleme.“ Die Lüge kam ihr leicht über die Lippen, auch wenn sie einen bitteren Geschmack zurückließ. Sie wollte kein Leben führen, das sie zum Lügen zwang. Aber welche Wahl hatte sie?
„Gut.“ Er musterte sie immer noch. „Haben Sie die Papiere für die Ming-Vasen fertig?“
„Ja, ich bringe sie Ihnen sofort.“
„Ist wirklich alles in Ordnung?“ Er betrachtete sie nachdenklich und mit schmalen Augen.
Reiß dich zusammen, Charlie! ermahnte sie sich. Sie durfte ihn nicht sehen lassen, wie durcheinander sie war. Er durfte nicht wissen, dass jemand versuchte, sie zu erpressen. Sie konnte nicht riskieren, dass jemand herausfand, wer sie war – wenigstens nicht, bis sie einen Ausweg aus diesem Chaos gefunden hatte. Ihr würde schon was einfallen. Sie brauchte nur etwas Zeit. Nur ein bisschen Zeit.
Charlie atmete kurz durch und nickte. „Selbstverständlich. Ich hole Ihnen die Papiere.“
Als er in sein Büro zurückging, fiel sie in sich zusammen. Was sollte sie bloß tun? Wenn sie wie verlangt die Unterlagen weiterleitete, konnte sie das den Job kosten. Leitete sie die Papiere nicht weiter, konnte sie ihren Sohn verlieren. Doch wenn sie beim Weiterleiten der Papiere erwischt wurde, konnte sie ins Gefängnis kommen und ihren Sohn verlieren.
Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie kämpfte gegen sie an. Sie würde nicht weinen. Sie war nicht mehr das naive junge Ding, das Jakes Vater verführt und betrogen hatte. Sie war älter. Klüger. Sie hatte sich verbrannt und ihre Lektion gelernt. Und jetzt musste sie nicht nur sich selbst beschützen. Sie war eine Mutter. Und niemand würde ihr den Sohn wegnehmen.
Niemand.
In den folgenden Tagen behielt Vance seine neue Assistentin genau im Blick. Sicher, er kannte sie nicht gut, aber selbst er erkannte die Veränderungen an ihr. Sie war sprunghaft. Nervös. Wenn sie ihr Mail-Programm öffnete, schien es, als erwarte sie, ihr Computer würde explodieren.
„Irgendwas stimmt nicht mit ihr“, sagte er.
„Dann finde raus, was es ist“, erwiderte Roark.
„Tolle Idee. Warum bin ich da nicht drauf gekommen?“
Roark ignorierte den Sarkasmus und zuckte nur mit den Schultern. Er ließ den Blick über die Fußgänger auf der Fifth Avenue schweifen. Der Sommer war da, und die Sonne schien sichergehen zu wollen, dass das auch ja alle bemerkten. Der Himmel war strahlend blau, die Hitze geradezu drückend, und der absolute Verkaufsschlager an den Straßenkiosken war eiskaltes Wasser.
Selbst unter dem großen Sonnenschirm spürte Vance die Hitze noch. Trotzdem hatte er darauf bestanden, mit seinem Bruder hier draußen zu essen, wo sie nicht belauscht werden konnten.
„Erst gestern habe ich Charlie an meinem Schreibtisch überrascht. Sie ist so bleich geworden, als würde sie gleich umfallen.“
Roark grinste. „Das muss gar nichts heißen. Du kannst Furcht einflößend sein.“
Vance runzelte die Stirn. Das stimmte doch nicht. Oder? Nun ja, wenn er so darüber nachdachte – die meisten Leute wichen vor ihm zurück, wenn er einen Raum betrat. War es also nur das? War Charlie einfach nur in seiner Gegenwart nervös?
„Nein, das ist es nicht.“ Vance schüttelte den Kopf. „Sie hat nicht ängstlich gewirkt, sondern schuldig.“
Roark drehte sich wieder zu ihm um und schob die Sonnenbrille hoch. „Wenn du wirklich wissen willst, was los ist, dann kitzel es aus ihr heraus. Verführ sie.“
„Wie bitte?“
„Ein nettes Abendessen. Ein kleiner Tanz. Ein bisschen Wein …“ Er zuckte wieder mit den Schultern. „Der schnellste Weg, der Sache auf den Grund zu gehen.“
„Und unmoralisch.“
„Genauso wie den Arbeitgeber ausspionieren.“
„Ich kann kein Date mit meiner Assistentin haben.“
„Dagegen gibt es keine Regeln.“
„Aber es gibt Anzeigen wegen sexueller Belästigung.“
Roark lachte. „Ich habe nicht gesagt, dass du mit ihr schlafen sollst.“
Nein, aber zu genau dieser Vorstellung waren seine Gedanken abgewandert, ganz ohne Hilfe. Seit Tagen dachte er nun über Charlie Potter nach, und dabei ging es nicht nur um Verdachtsmomente.
Ihre Haare waren für ihn fast schon zu einer Besessenheit geworden. Er wollte durch diese blonden Locken streichen und sie kühl an seiner Haut spüren. Und ihr Duft – leicht und blumig schien er in der Luft zu hängen, auch wenn sie gar nicht im Büro war. Der Klang ihrer Stimme – und ihre Beine in den Schuhen mit diesen unglaublich hohen Absätzen, die sie immer trug … Ja, sie beschäftigte ihn viel zu sehr in letzter Zeit.
„Und wenn ich herausfinde, dass sie schuldig ist?“, fragte Vance.
„Dann feuerst du sie. Oder – du benutzt sie, um Rothschild mit falschen Informationen zu füttern.“
„Benutzen und wegwerfen – das meinst du doch damit, oder?“ Auch wenn er nicht in der Waverly-Familie aufgewachsen war, schien Roark deren Feinfühligkeit zu haben. Vielleicht lag das im Blut. Zum Teufel, nachdem er den Verlust von Frau und Tochter erst einmal überwunden hatte, war ihr eigener Vater von einer Frau zur nächsten gehüpft. Sein Herz hatte er kein zweites Mal aufs Spiel gesetzt, und so war Vance in einem Liebesvakuum aufgewachsen. Und er hatte von seinem Vorbild gelernt.
Roark war mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, also war es bei ihm vielleicht ähnlich gewesen. Wodurch wir nur noch mehr Gemeinsamkeiten haben, dachte Vance.
„Wenn sie schuldig ist, schuldest du ihr gar nichts“, sagte Roark. „Ist sie unschuldig, musst du auch nichts unternehmen. Eine Win-win-Situation.“
„Ich werde drüber nachdenken.“ Als hätte er in den letzten Tagen an irgendwas anderes gedacht.
„Gut. Halt mich auf dem Laufenden.“ Roark setzte seine Sonnenbrille wieder auf. „Morgen früh bin ich weg. Hab noch ein paar Dinge zu erledigen, und dann geht’s nach Dubai.“
„Dubai?“ Vance lächelte. Sein Halbbruder war ein Genie, wenn es darum ging, wertvolle Dinge für Auktionen bei Waverlys aufzutreiben. Der Nachteil daran: Er war kaum je in New York. Er flog so viel in der Weltgeschichte herum, dass er bereits seinen dritten Reisepass hatte – so schnell füllte er sie mit Stempeln.
„Ja.“ Roark grinste. „Bin was Unglaublichem auf der Spur. Wenn ich das bekomme, ist es mit Rothschilds Glück vorbei. Wir wären so weit an der Spitze, dass die uns nicht mal mehr berühren könnten.“
„Was ist es?“
„Eine Überraschung. Wird das Warten wert sein. Vertrau mir.“
Und das tat Vance. Er warf eine paar Geldscheine auf den Tisch und folgte seinem Bruder. Taxifahrer hupten, in der Ferne heulte die Sirene eines Krankenwagens, und der Geruch von Hot Dogs lag in der Luft.
„Pass auf dich auf“, bat Vance.
„Mach ich doch immer.“ Roark schlug ihm auf die Schulter. „Ich bin bald zurück. Und ich habe mein Satellitentelefon immer dabei. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“
„Mach ich.“ Vance sah Roark hinterher, bis er in der Menschenmasse verschwunden war.
Sein Bruder, der Schatzjäger, war auf und davon, auf der Jagd. Und Vance musste seine eigene Jagd beginnen. Die Verführung der Assistentin. Missmutig schloss er sich einer Gruppe Fußgänger an und überquerte die Straße. Er hatte so ein Gefühl, dass Roarks Job wesentlich uninteressanter würde als seiner.
Die ganze Woche über war Charlies Nervenkostüm bis aufs Äußerste angespannt. Sie tat ihr Bestes und riss sich zusammen, aber …
„Nummer 32“, rief der Auktionator.
Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch und zuckte zusammen. Durch ihre Adern strömte so viel Adrenalin, dass sie vermutlich aus eigener Kraft bis zum Mond und zurück hätte fliegen können.
Charlie mahnte sich selbst zur Konzentration und trug ein Teakholztablett mit einer mit Diamanten und Saphiren besetzten Tiara in den Auktionsraum. Sie zwang sich, nicht mehr an den Erpresser zu denken, der ihr jetzt täglich immer bedrohlichere Mails schickte. Sie durfte jetzt keinesfalls stolpern und hinfallen, das Tablett aus den Händen rutschen lassen, sodass die Tiara gegen die nächste Wand knallen würde.
O Gott! Allein der Gedanke brachte sie dazu, aufrecht und langsam zu gehen. Der Auktionator starrte sie an, als wolle er sagen: Nun machen Sie schon!
Sie ignorierte ihn und blieb neben dem Podium stehen. Dabei hielt sie das Tablett leicht geneigt, damit das Publikum einen guten Blick auf die Tiara werfen konnte.
An jedem anderen Tag würde sie das hier genießen. Sie würde dem Publikum zulächeln und stolz zum Podium schreiten, weil sie so Teil der Waverly-Tradition würde.
Heute konnte sie sich gerade so aufrecht halten.
Sie hätte sich krankmelden und die heutige Auktion verpassen können. Aber sie brauchte das Geld, das die Überstunden bringen würde. Und sie wollte nicht zulassen, dass ihre Welt ganz und gar aus den Angeln gehoben wurde. Sie wollte keine Angst haben, also gab sie vor, keine zu spüren. Sie wollte nicht verlieren, was sie sich hier aufgebaut hatte.
„Wir starten mit einem Gebot von 35.000 Dollar.“
Der Auktionator begann sein Spiel, und Charlies Gedanken schweiften wieder ab. Sie musste eine Lösung finden. Jeden Tag öffnete sie voller Furcht ihre Mails. Und jeden Tag fasste der Erpresser sich kürzer. Bedrohlicher. Seit der ersten hatte sie ihm nicht mehr geantwortet und gehofft, er würde somit annehmen, sie bekäme seine Mails nicht.
Doch auch wenn sie darauf hoffte, wusste sie, dass das nicht passieren würde.
Wer auch immer ihr diese Mails schickte, wollte Informationen und würde nicht aufhören, bis er oder sie diese bekam. Und wo würde Charlie das hinbringen?
Ins Gefängnis oder nur in die Arbeitslosigkeit? Würde sie ihren Sohn verlieren?
Ihr Herz begann zu klopfen, und sie fühlte sich schwach. Sie schluckte und hielt sich aufrecht. Die Gebote kamen jetzt immer schneller. Nummern wurden gehoben und gesenkt. Bieter nickten. Telefone klingelten, und anonyme Bieter gaben ihre Gebote ab. Aufregung lag in der Luft, aber Charlie fühlte nichts davon. Schließlich sauste der Hammer des Auktionators herunter, und das Geräusch ließ sie zusammenzucken.
„Verkauft für 75.000 Dollar.“
Das war für Charlie das Zeichen, die Tiara in den Aufbewahrungsraum zurückzubringen. Dort würde der neue Besitzer sie nach dem Ende der Auktion abholen.
Justin nahm ihr die Tiara ab. „Danke, Süße. Sie können sich jetzt ein bisschen ausruhen. Ich brauche Sie erst wieder für die Nummern 41 und 46.“
Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich werde hier sein.“
„Hey, alles in Ordnung mit Ihnen?“
Gott, war sie so leicht zu durchschauen? Wie konnte sie jemals als Spionin erfolgreich sein und etwas unter Vance Waverlys Nase stehlen, wenn schon Justin – ein Mann, der kaum von den Schätzen aufblickte, die er überwachte – sofort bemerkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte?
„Alles okay. Ich bin nur ein bisschen hungrig. Hab das Frühstück ausgelassen.“
„Dann gehen Sie und essen Sie was.“ Er tätschelte ihr den Arm. „Wir haben Snacks für alle im Pausenraum aufgebaut.“
„Mach ich.“
Aber Justin hörte schon gar nicht mehr zu. „Sam, leg die Onyxringe auf roten nicht auf schwarzen Samt. Wer soll sie denn so sehen?“
Das Auktionsteam um sie herum war geschäftig, und Charlie stahl sich hinaus auf der Suche nach etwas Ruhe. Ein bisschen Zeit für sich, zum Nachdenken.