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Im Grunde läuft doch nie etwas nach Plan. Deshalb hat Mia Becker selten einen, und überhaupt sollte sie auf Wolke sieben schweben und ihr Glück genießen. "Niklas hätte diesen Heiratsantrag niemals machen dürfen", darüber war sie sich im Klaren – im Nachhinein. Denn ab da gerät die Sache gehörig ins Wanken. Tja, und als sie ihren Zukünftigen erwischt, wie er an fremden Keksdosen nascht, bricht Mia mit ihrem Fisch Franzl Hals über Kopf zu ihrer besten Freundin nach Italien auf. Ein bisschen Urlaub mit etwas Sonne, um den Liebeskummer wieder loszuwerden. Aber eigentlich auch ein Land, um das sie seit acht Jahren einen ganz großen Bogen machte, und das nicht nur wegen der glubschäugigen Kakerlaken, die es dort gibt. Der simple Grund: Tom Corneli. Aber Italien wäre ja schließlich groß genug für sie beide. Sie müsste sich nicht mal mit diesem eingebildeten Kleinstadtcasanova unterhalten, und wenn, dann nur über das Nötigste. Dumm nur, dass sie ihm gleich ins Auto knallt, nachdem sie gerade einmal die 'große Zehe' über die Grenze gestreckt hat. Denn ab jetzt beginnt Mias Leben erst wirklich kompliziert zu werden. Hinzu kommen kleine und größere Dramen, Sissi die Zweite, ein neuer Job, einige Tequilas zu viel, Elvis, zwei Mechaniker (Mario & Luigi), ein beschissener Lagerfeuersong und ständig seine Ex.
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Seitenzahl: 725
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Impressum neobooks
BAND I
written by Melanie Huber
Buchbeschreibung:
Im Grunde läuft doch nie etwas nach Plan. Deshalb hat Mia Becker selten einen, und überhaupt sollte sie auf Wolke sieben schweben und ihr Glück genießen. „Niklas hätte diesen Heiratsantrag niemals machen dürfen“, darüber war sie sich im Klaren – im Nachhinein. Denn ab da gerät die Sache gehörig ins Wanken.
Tja, und als sie ihren Zukünftigen erwischt, wie er an fremden Keksdosen nascht, bricht Mia mit ihrem Fisch Franzl Hals über Kopf zu ihrer besten Freundin nach Italien auf. Ein bisschen Urlaub mit etwas Sonne, um den Liebeskummer wieder loszuwerden. Aber eigentlich auch ein Land, um das sie seit acht Jahren einen ganz großen Bogen machte, und das nicht nur wegen der glubschäugigen Kakerlaken, die es dort gibt.
Der simple Grund: Tom Corneli.
Aber Italien wäre ja schließlich groß genug für sie beide. Sie müsste sich nicht mal mit diesem eingebildeten Kleinstadtcasanova unterhalten, und wenn, dann nur über das Nötigste. Dumm nur, dass sie ihm gleich ins Auto knallt, nachdem sie gerade einmal die ‚große Zehe‘ über die Grenze gestreckt hat. Denn ab jetzt beginnt Mias Leben erst wirklich kompliziert zu werden. Hinzu kommen kleine und größere Dramen,
Sissi die Zweite, ein neuer Job, einige Tequilas zu viel, Elvis, zwei Mechaniker (Mario & Luigi), ein beschissener Lagerfeuersong und ständig seine Ex.
Über den Autor:
Melanie Huber wuchs in einem kleinen Ort in Oberösterreich auf, der im Volksmund ganz anders genannt wird, als er tatsächlich heißt. Dort lebt sie nach wie vor mit ihrer Familie. Die Autorin ist verheiratet und Mutter von 3 Kindern. Nach ihrer Ausbildung zur Mediendesignerin/Medienfachfrau, machte sie sich 2006 selbstständig und gründete die Firma creativ-werk.
‚Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut‘, ist ihr erster Roman und in zwei Teilen erschienen.
Mehr erfahrt Ihr unter:
www.melanie-huber.at
facebook: @autorinmelaniehuber
BAND I
written by Melanie Huber
Österreich
www.melanie-huber.at
Für Selina, Michelle und Manuel
Kapitel 1
Vielleicht JA … vielleicht NEIN …
Ganz ehrlich. Jetzt war ich richtig froh, endlich in diesem überfüllten Bus zu stehen. Obwohl ich mit zu wenig Platz und Enge durchaus meine Probleme hatte.
Zwei Stationen noch.
Absichtlich blieb ich neben der Tür stehen, um gleich loszustürmen, wenn es so weit war. Wie fast immer war ich schon einige Minuten zu spät dran. Nebenbei bemerkt befand sich meine Laune ziemlich weit unten im Keller. Jedes Mal, wenn der Busfahrer auf die Bremse trat, hatte ich Panik, ich würde auf den Typen vor mir knallen und mir dabei eine Extraportion an Grippeviren abholen, die er mit seinem ständigen Niesen in den Kosmos verteilte. Ich krallte die Finger meiner linken Hand noch fester in den Kunststoffriemen. Die andere war voll mit wichtigem Krimskrams, der nicht mehr in meine Handtasche gepasst hatte und einem Pappbecher, gefüllt mit meinem morgendlichen Lebenselixier. Ohne Koffein ging schon mal gar nichts. Etwas seitlich von mir saß ein kleiner, rothaariger Junge mit Sommersprossen breit grinsend auf seinem Sitzplatz, und anstatt mich freundlich zu grüßen, streckte er mir tatsächlich seine Zunge entgegen. Wie nett. Für einen kurzen Augenblick wollte ich glatt dasselbe tun. Ignorierend wandte ich mich von ihm ab. Ich ahnte es heute Morgen schon, als ich noch in den Federn lag, dass das heute einer dieser Tage werden würde, an denen es am besten war, gar nicht erst aus dem Bett zu kriechen. Das nächste negative Gefühl überrollte mich, als ich einen verschlafenen Blick auf meinen Wecker warf. Dem war so gegen fünf Uhr zehn der Saft ausgegangen. In meinem Kopf tauchte wahrhaftig dieser rosarote Duracell-Hase auf. Tja, hätte ich doch die teuren Batterien gekauft.
Nur noch eine Station.
Ein Blick auf meine Uhr ließ mich verzweifelt feststellen, dass ich die 5-Minuten-Toleranzgrenze schon längst überschritten hatte. Ben würde nicht gerade glücklich sein, so viel stand schon mal fest. Am liebsten wäre ich selbst zum Fahrer vorgestürmt und hätte ihm mal gezeigt, wo sich das Gaspedal befand. Wäre da nicht dieses überflüssige Schild: Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen. Ich seufzte tief.
Mit Geduld hatte ich auch so meine Probleme.
Natürlich, die Möglichkeit mit meinem roten Miniflitzer in die Arbeit zu fahren bestand, hätte aber absolut nichts gebracht. Um diese Zeit noch einen freien Parkplatz zu finden, – da war ein Hauptgewinn beim Bingo noch wahrscheinlicher. Endlich war es soweit und der Bus hielt. Hektisch stürmte ich in die Freiheit und im Laufschritt eilte ich die Straße hinunter. Vorbei an Passanten und einer Gruppe von Asiaten, die auf Klick-Klick-Reise waren. Der Gehsteig war rutschig. Es regnete schon seit Tagen und teilweise drohten die Gullys überzulaufen. Für Mitte August war es viel zu kalt und ganz eindeutig zu nass. Mir war trotzdem heiß unter meiner dicken Lockenpracht, die zum Teil in meiner Kapuze steckte. Ich spürte langsam, wie sich die Hitze staute. Einerseits wurde mir heiß vom Laufen, und andererseits deshalb, weil der Pappbecher in meiner linken Hand meine Finger dermaßen erhitzte, dass ich schon schmerzhaft spürte, wie sich kleine Brandblasen auf meinen Fingerkuppen bildeten.
Beinahe rammte ich, als ich nach links in eine Seitengasse abbog, eine alte, gebrechliche Dame mit ihrem Mercedes, sprich Rollator. Stolpernd rettete ich mich an ihr vorbei, indem ich mich an einem Laternenmast festhielt und entschuldigte mich kurz. Die Gute wirkte sehr verärgert und ließ ihrem Frust über junge, respektlose Leute wie mich freien Lauf. Was sie wohl zu dem Rotzbengel mit der lockeren Zunge gesagt hätte? Mal nebenbei erwähnt: Hätte sie mich nur besser gekannt, würde sie wissen, dass ich im Grunde ältere Menschen eigentlich gerne mochte. Tja, was soll´s, ich kann es eben nicht jedem recht machen. Ich? Ja ich. Ich heiße Mia Becker, bin Fotografin und seit kurzem 27 Jahre alt. Also habe ich noch genau 2,9 Jahre vor mir um erwachsen zu werden und panische Angst vor der magischen Drei zu entwickeln. Nur noch ein paar Meter musste ich durchhalten, und ich würde da sein. Von Weitem konnte ich mein Ziel, ein altes Backsteingebäude, bereits sehen. Komplett außer Puste kam ich endlich an der großen Eisentür an und wollte den Schlüssel aus meiner Handtasche hervorholen. Aber außer benutzten Taschentüchern, meinem eingepackten Salami-Sandwich für die Mittagspause, Tampons, einem Labello, meinem Handy, einer angerissenen Tutti-Frutti-Schachtel und meinen eigenen Wohnungsschlüsseln fand ich nichts. Niente.Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, steckte ich mir die kleine Papiertasche mit dem Frühstück zwischen die Zähne, zwickte den Coffee-to-go-Becher samt meinem wichtigen Briefumschlag in den linken Ellbogen, und lockerte mir mit meiner freien Hand erstmal die Jacke. Seufzend setzte ich die Suche in meiner Jackentaschen fort – aber nichts. Dann begann ich erneut in meiner Handtasche zu suchen und … wieder nichts. Was ich fand, war einen verlorenen geglaubten Mascara, aber keine Schlüssel! Wütend über mich selbst stampfte ich in den Boden. Das war wieder eine von diesen Situationen, in denen ich es wirklich bereute, mich immer in die falschen kleinen, lederbraunen Handtaschen zu verlieben – die Platz für gar nichts hatten! „Mischt, wo habe ich den bedammten Schlüssel wieder!?“, nuschelte ich mit Packpapier zwischen den Zähnen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als eben zu klingeln. Ich hasste es! Genervt drückte ich auf den kleinen, beleuchteten Knopf an der Sprechanlage. Zuerst ein langes Räuspern, dann krächzte mir eine allzu gut bekannte schrille Stimme im blechenden Sound durch die Sprechanlage ein „Hallo, wer ist denn da?“, entgegen. Immer noch die Pappe zwischen den Zähnen, maulte ich: „Mmh jetscht mach schon auf, … ich binsch, Mia, wer denn schonst?“ Ständig diese blöde Fragerei – das war ja komplett sinnlos! Erstens konnte er mich ja durch die Kamera am Bildschirm sehen und zweitens war ich unverwechselbar mit meiner sonnengelben Regenjacke und mit meiner wilden, lockigen Mähne. Das machte er nur, um mich zur Weißglut zu bringen! „Ich hoffe, du hast auch für mich ein Rosinenbrötchen mit dabei“, ertönte es wieder zurück. „Mensch Ben, jetscht mach´ endlich diese Scheischtür auf, ich bin schon komplett nassch!“ Wie ein kleines Kind stampfte ich wütend vor der Tür herum und … ‚Plumps!‘, da lag es nun, unser Frühstück vom Café Bald Neu – bis zur Hälfte in einer kleinen Pfütze. Na super, was für ein Tag! Das fängt ja alles wieder ganz toll an! Genervt hob ich alles wieder auf. Da ich noch immer vollbepackt vor einer geschlossenen Tür stand, suchte ich mir noch eine saubere, vor allem aber trockene Papierecke und zwickte mir die Papiertasche erneut zwischen die Zähne, bis endlich das ersehnte Geräusch ertönte. Mit dem Rücken drückte ich die Tür auf. Von montags bis freitags, vorausgesetzt es gab keine derartigen Zwischenfälle, ging ich durch diesen aus Backsteinen gemauerten Tunnel und gelangte über eine Wendeltreppe aus Metall ins oberste Stockwerk, wo ich meist von Ben sehnsüchtig erwartet wurde. „Guten Morgen mein Schnauzebärchen“, gluckste er mir fröhlich mit einer für ein männliches Wesen viel zu hohen, schrillen Stimme entgegen. „Da bist du ja endlich! … Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“ Warnend schaute ich ihn an. Nur am Rande bemerkt: An manchen Tagen hasste ich diese Kreativität bei Kosenamen über alles. Und heute war so ein Tag – ohne Zweifel! Ben stand angelehnt an der Tür, bekleidet mit einem hellblauen Overall, der mich immer an Superman´s Gummianzug erinnerte, und wippte mit seinem linken Fuß auf und ab. Sein Blick war fest auf den Sekundenzeiger seiner pinken Ice-Watch gerichtet und es schien, als würde er leise mitzählen. „Warte … du bist neunzehn Minuten und genau … achtundzwanzig Sekunden zu spät! Meine Liebe, das ist definitiv ein Rückschlag!“ Natürlich versuchte er dabei, ein ernstes Gesicht zu machen, was ihm allerdings schwerfiel. Außerdem gingen fünf Minuten auf sein Konto! Ben hatte sich seit ein paar Monaten fest vorgenommen, mich zu einem pünktlicheren Menschen zu erziehen. Hoffnungslos! Das wäre so, als würde man den Schiefen Turm von Pisa geraderücken wollen. Er dokumentierte meine Verspätungen jeden Tag mit präziser Genauigkeit, erstellte in seiner Freizeit sogar Diagramme darüber und nur gelegentlich konnte er eine kleine Besserung erkennen, die aber nur im Sekundenbereich lag, also absolut nicht nennenswert war. Tja, manchmal war ihm wirklich langweilig … Kopfschüttelnd ging ich an ihm vorbei, verkniff mir, ihm einen guten Morgen zu wünschen und verteilte meinen wichtigen Krimskrams auf seinem Schreibtisch. Unser durchweichtes Frühstück legte ich neben seinen Computer auf den Tisch und stellte meinen Becher daneben. Dabei schüttete ich mir etwas heiße Flüssigkeit auf meine ohnehin schon schmerzenden Finger. „Fuck! Arrghh!!!“, war das heiß! Aufmerksam wie er war, reichte er mir gleich ein Taschentuch. „Hier, für dich.“ Ich schob ihm das ganze Paket zu, denn mir war der Hunger sowieso schon vergangen. „Lass´ es dir schmecken. Ist halt schon ein bisschen … naja … vollgesabbert!“ Aber wie ich dieses gefräßige, kleine und liebe Monster kannte, machte ihm das nichts aus. Essen stand auf seiner Rangliste so ziemlich ganz oben. Ich zog meine nasse Jacke aus, hängte sie an der Garderobe auf, zupfte meinen Jeansrock etwas nach unten, meine bunt geringelte Strumpfhose wieder nach oben und ließ mich erschöpft in seinen Bürosessel plumpsen. Unsere neumodernen Bürosessel mit Hightech-Ausstattung sind zwar äußerst gemütlich, aber auch … nennen wir es mal … sehr speziell in ihrer Handhabung. Sie verfügen über eine echt tolle Wippfunktion, die ich bei jeder Gelegenheit ausnutze. Anfangs waren sie vor allem für Ben ein bisschen gewöhnungsbedürftig, da seine Gewichtsmasse eher unregelmäßig verteilt ist. Das meiste lagert vorne an seiner Körpermitte. Das hat zur Folge, dass sein süßer Waschbärbauch eben kugelrund ist. Außerdem ist er noch einen ganzen Kopf kleiner als ich, was ihn aber wiederum knuddelig wirken lässt. Beim Gehen machte er ein leichtes Hohlkreuz und ich könnte wetten, vielleicht auch noch viel Geld dabei verdienen, dass er das nur deshalb tut, um nicht ständig auf die Nase zu fallen. Tja … und die Kombination seines dezent leichten (um nicht gemein zu wirken) Übergewichtes, zusammen mit dem Hightech-Bürosessel, konnte schon fatal enden wenn man, so wie Ben, eben zu sehr von A nach B schaukelt. Da hatte es schon ein paar Mal ein lautes ‚Rums!‘, gegeben und unser Ben landete mit Schwung und einem erschrockenen Blick äußerst unsanft mit seinem Hinterteil auf dem Boden. Ich lehnte mich in seinem Sessel soweit wie nur möglich nach hinten, legte meinen Kopf in den Nacken und streckte meine Beine aus. Jetzt hat der Tag noch gar nicht richtig angefangen, und ich war schon total erledigt! Meine Beine schmerzten ein bisschen. Es war eben nicht empfehlenswert, mit Stiefeln mit hohen Absätze zu laufen. Ausgepowert schaute ich auf die weiße Decke über mir. „Sorry, mein Wecker hat den Geist aufgegeben. Ich kam viel zu spät aus den Federn und habe dann auch noch den Bus verpasst! Anschließend musste ich nochmal zehn Minuten auf den nächsten Bus warten und im Bald Neu war die Hölle los!“ In einer ungeraden Woche war es meine Aufgabe, für unser Frühstück aus unserem Stammcafé Bald Neu zu sorgen. Bedrückt knetete ich meine feuchten Haare durch. „Das weiß ich doch Süße, … aber wir arbeiten ja daran, dass du es vielleicht einmal im Jahr pünktlich zur Arbeit schaffst!“ Verständnisvoll tätschelte er meine Hand. „Hey! … Also soweit ich mich erinnern kann, bin ich bei Weihnachtsfeiern immer noch pünktlich gewesen!“, verteidigte ich mich, und da hätten wir ja schon das eine Mal, von was weiß ich wie vielen Arbeitstagen im Jahr – definitiv! „Tztztzt“, wie eine Gouvernante wackelte er mit seinem Zeigefinger hin und her. „Das zählt aber nicht meine junge Dame!“, konterte er kopfschüttelnd und ein wenig spitz. Er rieb sich die Hände und freudestrahlend packte er das erste Rosinenbrötchen aus, beobachtete es aber dann äußerst kritisch. „Igittigitt! Mia, du sabberst ja schon fast wie ein Bernhardiner!“ Anscheinend machte es ihm doch etwas aus. Er nahm das Brötchen mit zwei Fingern, spreizte dabei den kleinen Finger wie eine feine Lady, ging damit geradeaus in den kleinen Abstellraum, der uns als Teeküche diente, steuerte direkt den Mülleimer an und ließ es angewidert in den Eimer plumpsen. Gleich hinterher folgte der Rest des Papiersäckchens. Was für eine Verschwendung! Rasch trippelte er zurück zu mir, zog sich ein Desinfektionstuch aus einem Päckchen, das immer griffbereit neben seiner Tastatur lag, lehnte sich gegen den Tisch neben mich, und säuberte damit gründlich seine Hände und auch den Platz, auf dem zuvor noch unser Frühstück gelegen hatte. „Sorry, ist mir runtergefallen“, murmelte ich genervt. Mit einem scannenden Blick wanderten die Augen von Mr. Sauberkeit über meine verteilten Habseligkeiten auf seinem Schreibtisch, und erst jetzt fiel ihm mein dickes Kuvert auf. Neugierig zog er es unter meiner Tasche hervor. „Oh, was haben wir denn da?!“ Seine blauen Augen funkelten vor Spannung und er versuchte vergebens, den Absender zu entziffern. Seufzend zog ich die oberste Schublade von seinem Schreibtisch auf und reichte ihm wortlos seine pinkfarbene Lesebrille. Pink war absolut seine Farbe. Seit ich dieses Kerlchen kannte, trug er eine wasserstoffblonde Igelfrisur mit eingefärbten, pinken Spitzen. Aber irgendwie passte es zu ihm. Er war eben ein schriller Vogel; trotzdem hatte ich ihn sehr gerne und er war einer meiner besten Freunde, seit ich in München lebte. Dieses kleine, nervige Gezanke gehörte zu unserem Morgenritual; und obwohl es bestimmt keiner von uns beiden jemals zugegeben hätte, liebten wir es insgeheim. „Merci!“, sagte er bestimmt. „Hmm … Werbeagentur Stoller … wofür brauchst DU bitte eine Werbeagentur?“ „Kannst aufmachen Ben!“ Das ließ sich mein Dickerchen nicht zweimal sagen und öffnete das Kuvert mit seinem Brieföffner. Wie in einem Karussell drehte ich mich mit dem Sessel im Kreis herum, spielte nervös mit dem Saum meines Jeansrockes und wartete gespannt auf seine Reaktion. Ben war nun der Erste, der von meinem zukünftigen (nennen wir es jetzt mal) Ereignis erfuhr. Eigentlich wollte ich das Kuvert zusammen mit Niklas öffnen, aber der war ja, wie so oft, seit er den neuen Job vor drei Jahren angenommen hatte, nicht anwesend. Fünf Jahre ist es bereits her, dass ich nach meinem Studium für Mikes Fotoatelier als Fotografin zu arbeiten anfing. Damals war Ben schon da. Sowie Bürolocher und sämtliches Fotomaterial, gehörte auch Ben fix zum Inventar. Als Assistent war er zuständig für das Lager, für Terminvereinbarungen und er organisierte benötigtes Equipment. Ebenso schaffte er es immer wieder, dass zickige No-Name-Models das taten, was sie eben tun sollten. Nämlich brav ihren Job erledigen, der darin bestand, im richtigen Augenblick zu lächeln, ohne dabei viel zu murren. Im Grunde keine allzu schwere Aufgabe; aber manchmal eine schwierigere Herausforderung, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Ben war einer, der seine Arbeiten akribisch genau abwickelte, dem gut nicht gut genug war, und er machte neben guter Laune auch noch den weltbesten Kaffee! Er war Mädchen für alles. Ohne ihn lief der Laden einfach nicht. Würden wir optisch besser zusammenpassen, und wäre Ben nicht schwul, hätte ich ihn wahrscheinlich von Fleck weggeheiratet.
Ich hingegen bin, was Ordnung halten betrifft, ein sehr chaotischer Mensch. Eines der Hauptprobleme in meiner Beziehung mit Niklas. Ich bin halt sehr kreativ, auch wenn es um Dinge geht, die verstaut werden müssen. Trotzdem konnte man mir Ungenauigkeit bei meiner Arbeit keinesfalls vorwerfen. Ein geschultes Auge für bestimmte Szenen plus der perfekten Kamera und einer Portion Glück für die richtigen Momente. Das war schon die halbe Miete für einen Fotografen. Und von diesen Optionen hatte ich in den letzten Jahren sehr viel von Mike gelernt, sodass ich für einige Stammkunden völlig selbstständig arbeiten durfte, was mir wahnsinnigen Spaß machte, denn ich liebte meine Arbeit über alles. „Mia!“, schrie er, und riss seine kleinen, blauen Glubschaugen so weit auf wie es nur ging. „Das sind ja … Hochzeitseinladungen! … Und da steht überall M & N … drauf!“ Langsam beendete ich meine letzte Drehung und ließ sie vor ihm ausklingen. Fassungslos schaute er mich an. „Wollt ihr etwa … hei … heiraten?“ Er brachte das Wort kaum aus dem Mund, wurde dabei von Sekunde zu Sekunde blasser um die Nase, und sein Teint war gerade dabei, sich in ein ungesundes Grün umzufärben. „Mmh“, brummte ich mit einem beklommenen Gefühl und versteckte mein Gesicht in meinen Handflächen. Ich konnte es ja selbst kaum glauben. Zögerlich beobachtete ich ihn durch meine gespreizten Finger. „Warum guckst du so?“, fragte ich ihn und verschränkte meine Arme schützend vor mir. „Wie gucke ich denn?“, erwiderte er mit einem leicht schnippischen Unterton. „Na so eben, … so … bestürzt?“ Einige Sekunden lang sagte keiner von uns beiden etwas. „Ich weiß auch nicht Mia, das ist schon … eine … sehr wichtige Entscheidung!“ Bei diesem Satz klang er gar nicht mal so schrill wie sonst, sondern eher wie mein Stiefvater. „Ach, wirklich? Glaubst du ich weiß das nicht? Ich bin keine sechzehn mehr!“ „Darf man fragen, warum die zukünftige Braut dann so zermürbt dreinschaut, wenn alles o-k-i-d-o-k-i ist? Lass mich mal raten, mmh … vielleicht WEGEN dem zukünftigen Bräutigam?!“ Seufzend atmete ich tief durch und richtete mich kerzengerade auf. „Er hat mir hoch und heilig versprochen, dass er da sein wird, wenn das Kuvert mit den Einladungen kommt, dass wir es gemeinsam öffnen und jetzt …“ „Ist er wieder einmal NICHT da!“, beendete er meinen Satz. „Oohh, eine Dose Mitleid für Frau Becker bitte!“, rief er nach hinten, als würde ein Kellner mitten in unserem Büro stehen, und schnippte dabei mit den Fingern. „Oder sollte ich schon Frau Neumann sagen?“ „Hahaha, sehr witzig Ben!“ Eigentlich wusste er, wie er mich aufheitern konnte, aber heute wollte ich nicht so recht mitmachen. Diese Sache war mir zu wichtig und ging mir echt an die Nieren! Verbittert schlürfte ich an meinem Kaffee. „Jetzt im Ernst, wann kommt er denn wieder zurück?“ Ich zögerte. „Übermorgen“, gab ich, trotzig auf den Boden starrend, von mir. „Na, das ist ja gar nicht mal so lange hin Mia!“, kam es tröstend von ihm. Angespannt rubbelte ich an meiner Stirn. „Echt super! Ich kann mir genau vorstellen, wie das enden wird. Die ganze Planung von unserer Hochzeit wird an mir hängen bleiben, weil ER keine Zeit hat! Aber so etwas macht man doch zusammen, oder etwa nicht? Oder ist das jetzt zu konservativ? … Zum Schluss versetzt er mich noch am Standesamt.“ Wir hatten ja nicht mal Verlobungsringe! Geschweige denn einen richtigen Termin. Ernsthaft – es gab Zeiten, da überlegte ich mir schon, eine lebensgroße Pappfigur von Niklas anfertigen zu lassen und sie in seiner Wohnung aufzustellen. „Na, na, wer wird denn die Welt gleich so schwarzsehen? Und vielleicht wäre das ja auch nicht mal sooo schlimm …“, summte er leise seinen Satz zu Ende. „Bitte?“ „Ach, nichts weiter … jetzt erzähl mal, wie war denn der Antrag?“ „Der Antrag?“ Ach, da gab es eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Zumindest nicht das, was Ben gerne gehört hätte. Für einen schwulen Mann konnte er sehr romantisch sein. Oder waren das alle schwulen Männer? Ich wusste es nicht. „Findest du das nicht zu … intim?“ „Also hör mal, ich habe dir auch schon öfters von meinen Bettgeschichten erzählt!“ Oh ja, das hatte er tatsächlich, und zwar jede deftige Kleinigkeit. Und da ich mir immer alles gleich in detaillierten Bildern in meinem Kopf vorstellte, mussten diese Erinnerungen mit einer größeren Alkoholmenge wieder von meiner Festplatte gelöscht werden. In solchen Momenten, in denen er mich daran erinnerte, schafften es durchaus wieder ein paar Bilder, erneut ein bisschen aufzuflackern.
Wichtig: Ich sollte dringend an meiner Verdrängungstechnik arbeiten!
Ständig zwei Männer, die gerade … naja, ihr wisst schon was ich meine, würde vielleicht auch noch ein neues Trauma hervorrufen. Und von denen hatte ich schon genug! Der Antrag also … hmm … Vor ein paar Wochen hat Niklas mich nachts geweckt um mich zu fragen, ob ich glücklich mit ihm sei. Ich nörgelte ein bisschen herum, dass auch morgen noch Zeit wäre, um solche Gespräche zu führen. Er ließ aber dennoch nicht locker und so stammelte ich verzweifelt, vor allem weil ich müde war und ohne darüber groß nachzudenken, was er eigentlich hören wollte, ein „Natürlich Niklas!“ Dann meinte er etwas verlegen: „Sollten … wir, ich meine … wir sind ja … schon … eine Zeitlang zusammen … du und ich …“, und ich habe ihn wieder geschimpft, wälzte mich in meinem Bett hin und her und bestand darauf, endlich zum Punkt zu kommen. Da schoss es einfach aus ihm raus. „Sollten wir nicht vielleicht heiraten?“ Schlagartig war ich hellwach und riss meine Augen auf, was eigentlich keinen Sinn machte, denn es war ja immer noch dunkel. „Sollten wir?“, fragte ich ihn mit gebrochener Stimme und außerordentlich verblüfft.
Um Himmelswillen!
Wer rechnete denn mit einem Heiratsantrag mitten in der Nacht im Stockdunklen wenn sich, ganz nebenbei bemerkt, eine der betreffenden Personen im Land der Träume befand. Zerstreut versuchte ich, das gerade Gesagte in mein Hirn zu bekommen und überlegte kurz, ob ich mit vielleicht ja oder vielleicht nein antworten sollte. Ich ließ es letztlich doch sein, denn es war vermutlich kein Scherz. Bilder schossen mir durch den Kopf und ich sah mich schon im Standesamt, wo mich ein Beamter mit Schnauzbart und einer dicken Aschenbecher-Brille auf der Nase fragte: „Mia Becker, möchten Sie Niklas Neumann zu ihrem Ehemann nehmen?“ Und dann mich, wie ich kläglich darauf antwortete: „Ähm, vielleicht?“ „Und, was sagst du?“, fragte mich Niklas erneut. Nüchtern stellte ich fest, dass er es offenbar wirklich völlig ernst meinte. „O-kay?“, sagte ich mit einem mehr unsicheren als mit einem sicheren Gefühl. „Toll! … Das wird bestimmt schön!“, meinte er, drückte mir noch einen Kuss auf die Backe, drehte sich zur Seite und schlief ein. Im Gegensatz zu ihm konnte ich nun nicht mehr schlafen. Mit seinem romantischen Antrag hatte er mir eine Menge Grübelarbeit verschafft. Eigentlich müsste das doch jetzt der Moment sein, wo er mir sagte, wie sehr er mich lieben würde und gleich darauf müssten wir, uns heftig küssend, übereinander herfallen – dachte ich jedenfalls. Nicht aber Niklas. Nein. Denn er fand „ich liebe dich“ zu sagen viel zu schnulzig und betrachtete es als eine überbewertete Floskel. Von ihm kam lediglich ein „du weißt doch, wie wichtig du mir bist.“ Tja, und von WICHTIG hatten wir schon von Grund auf eine unterschiedliche Definition. Am nächsten Morgen kam ich total fertig aus dem Schlafzimmer. Mit einer Haarpracht von Locken, die nach Stehplätzen um die Wette buhlten, setzte ich mich in die Küche an unseren kleinen Frühstückstisch. Niklas war schon frisch geduscht, trug bereits seinen Anzug und war eigentlich schon auf dem Weg zur Arbeit. Pfeifend stellte er mir meine allmorgendliche SOS-Tasse Kaffee hin, drückte mir einen Guten-Morgen-Kuss auf die Stirn und reichte mir die Zuckerdose. Seit vier Jahren waren wir nun zusammen und er merkte es sich immer noch nicht, dass ich meinen Kaffee nur mit Milch trinke. Wortlos und todmüde ließ ich meinen Kopf auf den Tisch sinken, raffte mich dann aber doch auf, um einen kräftigen Schluck Kaffee zu nehmen. Niklas lächelte mir verstohlen zu. „Na, dann tschüss … Frau Neumann!“ Da hustete ich auch schon laut los, weil ich mich an meinem Kaffee verschluckte. „Heiß!“, keuchte ich noch und deutete auf die Tasse, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Höchstwahrscheinlich hätte er auch ohne meine peinliche Rechtfertigung keine ernsthaften Bedenken gehabt. Seit dieser Nacht konnte ich komischerweise nicht mehr so richtig gut schlafen.
Mia Neumann.
Mia … Neu … mann.
Neumann Mia.
Passte das überhaupt?
Also, da bestand auf jeden Fall noch Klärungsbedarf.
Ben musterte mich eindringlich und wartete immer noch gespannt auf meine Geschichte. „Ähm ja …“, raunte ich und verzog mein Gesicht dabei. „Es war … naja … was soll ich sagen? … Es war schön …“ „Jetzt erzähl schon!“, forderte mich Ben erneut auf, dann ging plötzlich die Tür auf und Mike betrat schwungvoll mit seinem Aktenkoffer den Raum. Meine Rettung.
Kapitel 2
Die wahre Liebe ... oder steuerliche Gründe ...
Unser Team war komplett. Schnell versteckte ich die ausgebreiteten Einladungskarten unter meiner Handtasche. Mit meinem Chef wollte ich absolut nicht über meine bevorstehende Hochzeit diskutieren. „Morgen ihr zwei.“ „Morgen“, kam es gleichzeitig aus uns beiden geschossen. „Ben, bringst du mir bitte einen doppelten Espresso in mein Büro?“ Er war kurz angebunden, das hieß, er war im Stress und brauchte absolute Ruhe. Mit einem Blick checkte Ben Mikes bevorstehende Termine auf seinem Tischkalender. Volles Programm. „Selbstverständlich!“ Da sprang Gummizwerg, wie ich ihn oft liebevoll nannte, in die Teeküche und brühte den weltbesten Espresso für unseren Boss. Erleichtert kramte ich meine Sachen zusammen und übersiedelte damit in mein Büro, das sich direkt gegenüber von Bens Schreibtisch befand. Mein kleines aber feines Reich bestand im Wesentlichen aus einem Glaskasten. Wollte ich nicht gestört werden, ließ ich die Rollos runter und machte meine Tür zu. Die stand an den meisten Tagen jedoch weit offen. Ich mochte es, Ben hören zu können und ihn um mich zu haben. Mikes Büro war ein Stück weiter weg. So hatte er Ruhe vor uns und wir die benötigte Ruhe vor ihm. Unser Boss war keine wandernde Heuschrecke, nein, er war ein guter Chef. Mike war schon ziemlich lange im Geschäft und mittlerweile auch schon ein sehr bekannter und äußerst erfolgreicher Fotograf in der Szene. Glücklicherweise war er dabei bodenständig geblieben, behandelte uns fair und bezahlte uns nebenbei auch noch anständig. Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander, denn seine hübsche Frau Isabel kam genau wie ich aus Mondsee, so gingen uns die Gesprächsthemen nie aus. Er sah attraktiv aus, war Mitte vierzig und hat schwarze, kurze Haare, die an den Schläfen schon ein wenig grau zu werden begannen. Außerdem hatte er zwei Söhne, die beide studieren. Alles in allem wirkte er sehr zufrieden mit seinem Leben. Mike war einer der wenigen Menschen, die ich kannte, bei denen ich mir immer dachte: „Der hat es echt geschafft!“ So beeindruckend Mike als Mensch auch war, so war es ebenso auch seine Arbeit und besonders sein Atelier! ‚Altes trifft auf Neues‘ lautete das Motto. Dieses abgewohnte und doch hochmodern eingerichtete Gebäude war voller spannender Eindrücke. Immer wieder entdeckte ich neue Winkel, neue Perspektiven. Früher diente das aus Backsteinen gemauerte Gebäude als Lederfabrik. Teilweise waren auch im Inneren die orangeroten Ziegel sichtbar. Ein paar alte Maschinen erinnerten noch daran, dass hier auch tatsächlich mal hart gearbeitet wurde. Manchmal kamen sie noch zum Einsatz, wenn wir Aktaufnahmen machten. An den kahlen Wänden hingen Mikes Bilder – tolle Kunstwerke, bunt eingerahmt. Seine ausdrucksvollen Fotografien zeigten Szenen zwischen Wirklichkeit und Imagination und schafften es, mich jedes Mal in den Bann zu ziehen. Mittlerweile waren auch schon einige von meinen Fotos mit dabei, was mich schon ein bisschen stolz machte. In der Zeit, in der mein Rechner hochfuhr, ordnete ich meinen Schreibtisch, entfernte ein paar Krümel und warf bekritzelte Notizzettel in den Papiereimer. Kaum erstrahlte mein Bildschirm, öffnete ich auch schon seufzend sämtliche Programme und begann Fotos von einem neuen Bio-Restaurant zu bearbeiten, das Ben und ich vorige Woche abfotografiert hatten. Der Laden sah ganz gut aus, die Einrichtung war hauptsächlich in warmen Cremetönen gehalten und wurde mit apfelgrünen Eyecatchern aufgefrischt. In ein paar Wochen würde der neue Laden in München öffnen. Sie boten Köstlichkeiten aus der Region sowie Exotisches an, führten zusätzlich noch ein kleines Restaurant, und für die, die nicht so viel Zeit zum Essen übrig hatten, gab es auch Bio-Fast-Food. Ich nahm mir fest vor, mit Ben einmal dorthin zu gehen. Ein kurzer Blick aus dem Fenster ließ mich frösteln. Sogleich zupfte ich meine bunt geringelte Strumpfhose zurecht und kuschelte mich etwas fester in meinen Pulli. Dicke Regentropfen fielen schwer vom Himmel und trommelten laut gegen die Fensterbänke. Das Wetter war trübe und es regnete immer noch. Geknickt starrte ich aus dem Fenster. Viele kleine Fensterteile mit schwarzen Rahmen bildeten zusammen ein riesiges Fenster, was das Tropfenschauspiel faszinierend wirken ließ. Trotzdem – ich sehnte mich nach Wärme, nach Sonne. Heute fiel es mir besonders schwer, die nötige Konzentration aufzubringen. Daran trug nur Niklas Schuld. Meine Augen schweiften abermals von meinem Bildschirm nach draußen, aber dieses Mal zu Ben. Gemütlich saß er in seinem Bürosessel, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, und wie so oft schaukelte er gefährlich hin und her. Bis er sein Gleichgewicht verlor und tollpatschig nach vorne plumpste. Er würde es wohl nie lernen! Gerade noch rechtzeitig konnte er sich mit seinen kurzen Beinen abstützen. Suchend blickte er um sich, ob vielleicht jemand, sprich meine Wenigkeit, sein Missgeschick gesehen hatte. Vorausahnend duckte ich mich hinter meinen Bildschirm und kicherte in mich hinein. Unser Gummizwerg war eben urkomisch.
Es vergingen geschlagene zwei Stunden, was eine gefühlte Ewigkeit für Ben sein musste, bis er endlich Zeit hatte, um mir einen kurzen Besuch abzustatten. Wie ein Pfau stolzierte er vor mir auf und ab und beobachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. Dann duckte er sich unter meinen Schreibtisch. Geduldig schaute ich mir seine komische Darbietung eine Zeitlang an, bis es mir aber dann doch zu bunt wurde. Ich rückte mit meinem Sessel ein Stück nach hinten, und schaute ebenfalls unter meinen Schreibtisch. Schließlich wollte ich wissen, was es da Interessantes zu sehen gab. „Na Ben, hast du etwas verloren?“ „Äh … nein.“ „Was ist los mit dir?“ „Genau dieselbe Frage stelle ich mir über dich.“ Ben und ich führten eine für Außenstehende sehr verhaltensauffällige Freundschaft, hatten so manches komische Ritual, aber Frage-und-Antwort-Spiele unter einem Schreibtisch zu spielen, das war neu. „Bitte?! … Könntest du vielleicht etwas deutlicher werden …“ „Ähm … bist du vielleicht schwanger?“ „SCHWANGER?!“ Bei dem Wort alleine zuckte ich zusammen und stieß mir heftig den Kopf an der Tischplatte. Beide richteten wir uns wieder auf und starrten uns gegenseitig perplex an. Ben wollte meinen Bauch auf eine eventuelle ungewöhnliche Wölbung inspizieren. Er war bekannt für seine blühenden Phantasien, aber das ging zu weit. Ich fand als Erste das Wort wieder. „Wie kommst du denn darauf? Habe ich etwa zugenommen?“ „Nein, das ist es ja! Du bist gertenschlank wie immer! Ich würde behaupten kein Gramm.“ „Ja, und kannst du mir vielleicht erklären, wie du dann darauf kommst?“ „Wegen eurer plötzlichen Hochzeit, vielleicht ist ja ein Braten in der Röhre …!“ „Es ist k-e-i-n Braten in der Röhre. Wir heiraten einfach so, weil … naja …“ „Doch nicht etwa aus steuerlichen Gründen?“ „Ben! Du musst das Ganze jetzt nicht emotionalisieren. Wir heiraten weil … wir uns … na, weil wir eben schon lange zusammen sind.“ Genervt widmete ich mich wieder meiner Arbeit, und hämmerte etwas zu energisch in die Tasten. Für Niklas war ein kleiner Schreihals kein Thema und würde es auch nie werden. Er mochte Kinder nicht besonders, Kinder ihn auch nicht. Keine Ahnung, ob ich jemals Kinder wollte; ehrlich gesagt habe ich daran das letzte Mal gedacht, als ich noch mit Puppen spielte. Zuerst war da kein richtiger Partner und dann … hmm … höchstwahrscheinlich zu wenig Zeit. Überhaupt hatte ich schon Schwierigkeiten damit, meine Haustiere am Leben zu erhalten. „Ganz ehrlich Mia, Hand aufs Herz, glaubst du wirklich, dass Niklas d-e-i-n Mann fürs Leben ist?“ „Ja?“, gab ich fragend von mir, und war äußerst irritiert über seine Andeutung. Er schüttelte seinen Kopf, als wüsste er mehr als ich. „Nein?“, sagte ich dann verwirrt. „Ach Ben … ich weiß es doch auch nicht. Das weiß man doch nie! … Oder? Sonst würde es ja auch keine Scheidungen geben.“ „Aber hör dich doch mal selbst reden, dann würdest du dir auch nicht glauben.“
Hatte er vielleicht recht?
Liebte ich Niklas genug, um mit ihm mein restliches Leben zu teilen?
Ein echt mulmiges Gefühl krabbelte mir in die Venen.
„Bitte nerv mich jetzt nicht, … ich soll diese Bilder heute noch fertig bearbeiten! Wir reden später … okay?“ „Na gut, ich lass dich mal wieder, … Tschüssli!“ Gedankenverloren beobachtete ich ihn dabei, wie er wieder aus meinem Büro trippelte und zum Leuchttisch ging, der neben seinem Schreibtisch stand. Mit wild umherfuchtelnden Armen gestikulierte er bei ein paar Fotos mit einem Fadenzähler herum. Dabei fasste er sich immer wieder an die Stirn und schüttelte den Kopf. Offensichtlich dachte er über etwas ernsthaft nach und wirkte dabei sehr aufgebracht. Mir war klar – mit den Fotos konnte seine Reaktion absolut nichts zu tun haben. Ein leises ‚Ping‘, das von meinem Computer kam, riss mich von Ben weg, und ich schaute nach, wer mir wohl eine E-Mail geschrieben hatte. Es war Malou, meine beste Freundin. Freudig öffnete ich ihre Nachricht.
Von: [email protected]
Datum: 14. August 2014
Betreff: dein Bild
Hey Süße!
Stell dir vor, endlich ist unser Wohnzimmer fertig! JUHU! Auch dein Bild hängt schon über unserem Kamin. Hast du heute Abend Zeit zum Skypen? Und nein, wir haben immer noch keine Türen. Leider! Sonnige Grüße – Malou
Sie hatte wirklich mein Bild, das ich vor vielen Wochen mit noch einem Weiteren geschickt hatte, aufgehängt. Das freute und berührte mich auf eine bestimmte Art und Weise sehr. Kurz lugte ich auf meine Armbanduhr. Für eine ausführliche Antwort hatte ich fast keine Zeit. Also meldete ich mich nur kurz zurück, in der Hoffnung, sie würde noch vor ihrem Laptop sitzen.
Von: [email protected]
Datum: 14. August 2014
Betreff: re: dein Bild
Hi!
Schön, ein Lebenszeichen von dir zu erhalten. 20.00 Uhr würde passen, hab viel Arbeit …
Freue mich schon – mia =)
Mit neuem, frischem Elan fing ich wieder an, meine Fotos weiterzubearbeiten. Es war bereits nach Mittag, als ich den fertigen Bilderkatalog zufrieden und mit einem guten Gefühl an unsere Kundschaft weiter mailte. Ich lehnte mich entspannt zurück und kramte aus meiner braunen Ledertasche mein Salamisandwich hervor. Genauso, wie sich niemand wirklich über meine morgendliche Unpünktlichkeit aufregte, war es für mich kein Problem, dass meine Pausen manchmal zu kurz kamen oder dass es abends ab und an mal länger dauerte. Das brachte der Job ebenso mit sich, und dazwischen war immer ein bisschen Platz für Kaffee und einen wichtigen Tratsch mit Ben. Jetzt fand ich auch die benötigte Ruhe, den Inhalt meines wichtigen Kuverts genauer zu betrachten, legte mein Sandwich ab, putzte mir meine Schmierfinger an meinem Jeansrock ab und trank noch einen Schluck aus meiner Mineralwasserflasche. Mit gemischten Gefühlen nahm ich die Einladungen aus dem Kuvert.
Wie vereinbart waren es fünf Layout-Muster und zwei verschiedene Papiermuster-Streifen. Der Grafiker hatte sich echt Mühe gegeben. Alle fünf Einladungen im quadratischen Format waren ein Unikat. Im ersten Moment war ich überfordert, wusste nicht einmal, was mir auf Anhieb besser gefallen würde. Alleine die Entscheidung für M & N oder Mia & Niklas fiel mir schwer. Ich beschloss, alle fünf Einladungen nebeneinander auf meinem Schreibtisch aufzulegen und jede einzelne auf mich wirken zu lassen. Die Schriftwahl war echt toll. Mit meinen Fingern fuhr ich die Konturen nach. Dabei ging mir verschiedenes durch den Kopf. Was würde meine Mom sagen, mein Bruder, naja, eigentlich meine ganze Familie, und natürlich auch Malou, meine beste Freundin? Würde sich überhaupt jemand mit mir freuen, oder wären sie alle der gleichen Meinung wie Ben?
Freue ICH mich eigentlich?
Ich meine, hey – ich, Mia Becker, werde heiraten. Eigentlich müsste ich der glücklichste Mensch auf Erden sein – zumindest in meiner kleinen Welt. Aber ich war es nicht. Das Gefühl wollte sich einfach nicht einstellen. Bekam ich jetzt schon die berüchtigten kalten Füße? Ben hatte absolut recht. Wie sollte mir jemand glauben, wenn ich es selbst nicht einmal tat. Das war echt deprimierend. Kritisch schaute ich mir die Einladungen genauer an. Mmh … welche Meinung würde wohl Niklas zu den Karten haben? Niklas musste immer sofort loswerden, was er dachte, egal, worum es ging. Er überrumpelte mich oft mit seiner Schnelligkeit und zwang mir dann, vermutlich unbewusst, seine Meinung auf. In solchen Momenten ging der Manager in ihm durch. Dann entschieden wir uns meistens für das, was er wollte. Seinen Egoismus schob ich manchmal darauf, dass er ein Einzelkind war. Mir gefiel die Einladung mit einer weißen Calla-Blume und mit silbernen Initialen am besten. Es hatte so etwas von Reinheit, war schlicht und dezent. Unbewusst hallten mir Niklas´ Worte im Kopf nach: „Also, die Karte finde ich viel zu weiß. WIR brauchen etwas mit mehr Pepp!“ Genau sowas in der Art würde er von sich geben. Jetzt waren wir vier Jahre zusammen und manchmal dachte ich, ich würde ihn besser kennen als er sich selbst. Wir waren beide von Grund auf verschiedene Typen, aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an und sollten sich doch auf eine bestimmte Art und Weise irgendwie ergänzen.
Das war doch gut – oder?
Obwohl er für seinen strengen Terminplan nichts konnte, war ich noch immer stocksauer auf ihn, was sich aber bestimmt bis übermorgen, wenn er wieder da war, legen würde. Ich war kein nachtragender Mensch. Der Ärger verging meistens so schnell, wie er kam. Zumindest meistens. Und außerdem wollte ich unsere Wochenendbeziehung, die wir führten, seit er diesen Managerjob angenommen hatte, nicht überstrapazieren. Ich hatte wirklich keine Lust, die wenigen freien Tage, die uns blieben, mit streiten zu verbringen. Meistens musste er kurzfristig in den Flieger steigen, um einen Deal für ein neues Projekt klarzumachen. Das kam in letzter Zeit häufiger vor.
Es war immer ein wichtiger Deal, ein neues Projekt und vor allem s-u-p-e-r-d-r-i-n-g-e-n-d.
Die Wochenenden waren dann auch noch oft mit diversen Cocktailpartys samt Charity-Events verplant. War der Vorwand auch ein ganz anderer, ging es dann doch hauptsächlich ums Geschäft. In einer lockeren Atmosphäre Kunden geschickt näher an sich zu binden, neue Deals abzuschließen – nebenbei noch die gute Sache, Spenden für Bedürftige zu sammeln.
Meistens, wenn so eine Party bevorstand, erfuhr ich es am gleichen Tag, indem mir mein Liebster ein Geschenk überreichte. In dem nett verpackten Karton war ausnahmslos stets ein ausgefallenes Cocktailkleid, was so gar nicht meinem Geschmack entsprach. Eines konnte man Niklas nicht vorwerfen, dass er geizig wäre – ganz im Gegenteil. Aber die Geschenke, die er mir machte, hatten meist einen Hintergedanken, und waren eher als Vorteil für ihn gedacht. Mit der Zeit studierte ich eine Überraschungs-Mimik ein. „Wow, toll, ein Kleid … wer hätte das gedacht?“ Auch wenn ich mich in den sündteuren Kleidern nie richtig wohl fühlte, weil sie einfach zu eng und zu kurz waren und viel zu viel Spitze hatten … Ich trug sie trotzdem, ich wollte ja nicht undankbar sein. Aber tief in mir brodelte es und ich hasste diese Partys mit diesen Angebern und ihren aufgemotzten Tussis, wo die Tragödie perfekt war, wenn ein lackierter Nagel abbrach. Zwischen seinem Arbeitskollegen Udo und ihm herrschte stets ein unerbittlicher Konkurrenzkampf. Meistens hing Udo mit den Zahlen hinterher, was Niklas in ein besseres Licht rückte. Ich konnte Udo nicht leiden, schon aus dem einen Grund nicht, weil er fast keine Situation ausließ, um mich anzumachen. Und das auf eine sehr billige Art und Weise. So ganz nach dem Motto, wenn ich schon das eine nicht haben kann, dann eben das andere. Kaum war ich in seiner Nähe, erhob er augenzwinkernd sein Glas und lächelte mir schmierig zu. Hatte er die Gelegenheit, und wir waren tatsächlich für einen kurzen Augenblick alleine an einem Tisch, überhäufte er mich mit derben Anmachsprüchen. Er ekelte mich richtig an. Niklas nahm es gelassen. Natürlich bekam er mit, was da abging, aber wenn Udo mit mir beschäftigt war, hatte er keine Zeit Deals abzuschließen. Und dass ich eine treue Seele war, wusste er. Also, ich war wichtig, sozusagen auch für sein erfolgreiches Geschäft, und deshalb störte es ihn nicht wirklich.
Nach einigen Champagnergläsern war ich locker, vielleicht auch sarkastischer als sonst, aber ich scherzte gerne mit älteren Damen und Herren. Das waren mir sowieso die Liebsten auf solchen Partys. Niklas stellte mich immer sehr gerne als s-e-i-n-e Zukünftige vor, denn das Wort Lebensgefährtin konnte er partout nicht ausstehen, weil er sich auch ständig dafür rechtfertigen musste, warum er mir immer noch keinen Antrag gemacht hatte. Das Wort Zukünftige passte da wesentlich besser, denn das hieß ja, dass wir bald heiraten würden und dass es, wie so vieles, nur an terminlichen Gründen scheiterte. Hatte ich zu viel von dem leckeren, prickelnden Zeugs abbekommen, fuhren wir auch schon wieder zu seiner Wohnung zurück, bevor ich richtig loslegen konnte und es peinlich für ihn werden würde. Insgeheim schmunzelte ich, denn die Leute dachten bestimmt, ich hätte ein Alkoholproblem. Dabei wollte ich nur so schnell wie möglich wieder weg von der High Society. Niklas war sportlich – naja, zumindest vorm Fernseher. Er liebte Amerikanisches Football, war vier Jahre älter und etwas größer als ich. Besonders wenn es um seine blonden Haare ging, konnte er sehr eitel sein. Die Länge und auch der Style mussten immer passen, bei jeder Wetterlage. Ein Dreitagebart kam für ihn nicht in Frage, auch nicht im Urlaub. Wenn er wollte und er es für angebracht hielt, konnte er richtig charmant sein, besonders wenn es ihm einen Vorteil verschaffte. Obwohl er penibel auf sein Gewicht achtete, liebte er Pommes abgöttisch. Ehrlich gesagt wundere ich mich bis heute, dass er noch nie auf die Idee gekommen war, mir eine Fritteuse zum Geburtstag zu schenken.
Außerdem war er auch noch hübsch, was bestimmt auch noch ein paar andere Frauen bemerkten. Aber meine Oma meinte einmal, er würde mit dem Haufen mitrennen. Sie mochte ihn nicht so gern. Eigentlich machte es mir nicht mehr so viel aus, ihn nicht ständig um mich zu haben. Man gewöhnt sich daran, schneller als einem lieb ist; und an den Tagen, an denen wir uns nicht sahen, konnte ich viele Dinge nur für mich tun – wie beispielsweise Bilder malen. Ich liebte die Kunst und die Malerei, ging wahnsinnig gerne auf Kunstausstellungen. Meine Leidenschaft galt besonders der abstrakten Kunst. Diese Bilder packten mich einfach bei der Hand und entführten mich in eine andere Welt. Für Niklas war Kunst einfach nur unnötiges Zeugs; er sah keinen Sinn darin. Er mochte zwar meine Fotografien, nicht aber meine Bilder, oder Bilder generell nicht. Bis zum heutigen Tag hängt noch kein einziges meiner Bilder in seiner Wohnung. Und das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Ich betonte immer ganz bewusst SEINE Wohnung, denn bis auf Klamotten, eine Topfpalme, ein paar Badeutensilien und Franzl, meinem mittlerweile vereinsamten Goldfisch, befand sich in dieser Wohnung nichts von mir.
„Juhu, Mia, ich habe da etwas für dich!“, jodelte Ben vor sich hin. Wenn Gummizwerg zu mir ins Büro kam, sah man als erstes seinen großen Bauch, dann lange nichts und irgendwann kam dann sein rundliches Gesicht zum Vorschein. Prompt stellte er mir eine Tasse Kaffee auf den Schreibtisch und setzte sich ebenfalls auf einen weiteren Bürosessel, der mitten im Raum stand.
Appetitlos kaute ich auf meinem Salamibrot herum, murmelte ein „Danke, das ist lieb von dir“, und packte dann die Einladungen wieder zurück ins Kuvert. „Mensch Mia-Schatz, jetzt lass den Kopf nicht so hängen! Es wird bestimmt schon alles gut werden!“ „Wenn du es sagst“, ich schluckte einen Bissen Brot hinunter. „Weißt du … vielleicht hast du ja recht und wir überstürzen das Ganze.“ Etwas Hoffnungsvolles lag in seinem Ausdruck. Nachdenklich schlürfte ich an meiner Tasse. „Kann ich dich was fragen?“ „Alles was du willst, Süße.“ Ben schlug die Füße übereinander und nippte ebenfalls an seinem Kaffee. „Findest du, dass wir gut zusammenpassen, ich meine … Niklas und ich?“ Da riss er seine hellblauen Augen auf und musste husten, weil ihm der Kaffee in die falsche Richtung schoss. „Also, das ist absolut … zu direkt … sowas darf ich und kann ich nicht beurteilen!“ „Ach komm schon … wir sind Freunde, wir können uns doch alles sagen!“, mein Blick war leicht verzweifelt auf ihn gerichtet. „NEIN“, platzte es auch schon aus ihm heraus und gleichzeitig hielt er sich die Hand vor den Mund. „Nein … du willst es mir nicht sagen, oder nein, wir passen nicht zusammen?“, fragte ich nochmals vorsichtig nach. Tief durchatmend erklärte er es mir. „Nein, ich denke, ihr passt nicht zusammen.“
Jetzt war ich zutiefst geschockt.
Mit NEIN hatte ich beim besten Willen nicht gerechnet.
Wie konnte er mir das einfach so ins Gesicht sagen, spinnt er?
„Tut mir leid Mia, aber es ist die Wahrheit, und die Wahrheit ist manchmal unschön … aber ich möchte auf keinen Fall, dass meine beste Freundin einen falschen Typen heiratet und den schlimmsten Fehler ihres Lebens begeht …“ Dabei tätschelte er liebevoll meine Oberschenkel. „Warum sollte ich?“, stammelte ich vor mich hin. „Ich weiß auch nicht, bei euch fehlt mir irgendwie die Liebe. Ich denke ihr beide seid zusammen, weil keiner so richtig alleine sein will.“
Das hatte echt gesessen.
Emotionslos trank ich meinen Kaffee aus. „Danke … für deine Ehrlichkeit.“
Kapitel 3
Die dümmste Idee von allen
„Jetzt ruckle doch nicht so herum, mir wird schon ganz schwindelig!“, schimpfte ich mit einem Lächeln im Gesicht. „Ja, ja, warte, ich hab´s gleich … ist die Verbindung noch gut?“ „Bestens.“ „So, und jetzt mach deine Augen zu. Und nicht blinzeln – okay?“ Ich hörte nichts, wartete auf ein Zeichen und wurde langsam ungeduldig. „Ich dachte du wolltest …“, sagte ich, konnte aber meinen Satz nicht beenden, da sie mich schon unterbrach. „Ist das Franzl da hinten?“, fragte sie erstaunt. Vorsichtshalber drehte ich mich um, um sicher zu gehen, aber er schwamm immer noch traurig in seinem runden Goldfischglas herum. „Ja, das ist Franzl“, bestätigte ich. „Was hast du mit ihm gemacht?“ Franzl war mein Goldfisch. Vor zwei Wochen hatte er seine einzige wahre Liebe, seine Sissi verloren. Ihre Reste schwammen jetzt in der Münchner Kanalisation herum. Ich weiß es ist hart, und es gibt bestimmt etwas Schöneres, als in einer Klomuschel beerdigt zu werden, aber ich wusste im ersten Moment nicht, wohin mit Sissi … „Nichts, er trauert eben immer noch, frisst deshalb nicht so viel. Ich habe ihm ein Foto mit einem weiblichen Goldfisch aufs Glas geklebt, damit er Trauerarbeit leisten kann.“ „Du hast echt einen Vogel Mia!“ „Nein – ich habe einen Fisch!“ „Geh und kauf IHM einen echten Fisch! … Der Arme tut mir ja richtig leid!“ „Er trauert Malou!“ „Fische können nicht trauern!“ „Ach komm schon, du wolltest mir ja etwas zeigen – oder nicht?“ „Na gut, dann nochmals von vorne, mach die Augen zu! … Mia, mach sie zu!“ „Okay, ich habe sie jaaa schon zu!“ „Eins, zwei und drei – taratata!“ Und da sah ich auf dem Display meines Laptops einen kleinen Ausschnitt von einem Kamin, über dem mein Bild hing. Ich war echt gerührt. „Du kannst deine Augen aufmachen … Mia? … Was sagst du?“ „Weiß nicht, ich sehe nichts, die Verbindung ist weeeeg … ich kann dich nuuuur mehr hööören“, scherzte ich. „Was wirklich?“ Jetzt sah ich wirklich nur mehr grob verschwommen ihr Auge und ihre Nase, weil sie irgendetwas an ihrem Laptop herumdrückte. Oh Mann, waren das etwa Nasenhaare? „Das war ja nur ein Witz! … Geh mir aus der Sicht Malou!“
„Mensch Mia, das ist nicht lustig! … Aber was sagst du, passt perfekt – oder?“ „Ich bin … sprachlos und ich fühle mich … äußerst … geehrt! Zeig mir doch mal das ganze Wohnzimmer.“ Sie drehte ihren Laptop langsam einmal um ihre eigene Achse. Eines musste man ihr wirklich lassen, die Beste hatte wirklich Geschmack. Ihr neues Wohnzimmer war äußerst stilsicher eingerichtet. Warme, helle Farben ließen den Raum gemütlich erscheinen und luden zum Kuscheln ein. „Echt schön geworden“, gab ich ehrlich von mir. „Du kannst gerne auch mal persönlich vorbeikommen und dir unser Haus anschauen!“ „Willst nur wieder angeben! … Ach nö – ich bleib lieber hier im verregneten, trostlosen München! Da gefällt´s mir viel besser.“ Marie-Louise war meine beste Freundin, eigentlich mehr noch, sie war wie eine Schwester für mich – unzertrennlich – bis sie Gianni heiratete. Unsere Freundschaft begann schon relativ früh, da sie nur ein paar Häuser entfernt von uns wohnte. Ihre Eltern führten ein sehr nobles, aber traditionelles Vitalhotel. Sie war oft bei uns und wir spielten häufig zusammen mit meinem kleinen Bruder. Zu seinem Leidwesen Vater-Mutter-Kind. Denn Malou war ein Einzelkind, was die Sache nicht gerade leichter machte, als sie mit Gianni nach Italien auswanderte.
Malou war nur ein paar Monate älter, besuchte den gleichen Kindergarten und dieselbe Schule wie ich. Wir verstanden uns auch ohne Worte, weinten zusammen bei Free Willy, hatten eine Schwäche für Comiczeichnungen, wünschten, es würde Batman wirklich geben, und Tom Cruise ließ unsere Mädchenherzen im Film Top Gun gleich zweimal höher schlagen. Wir spielten die Videokassette so oft rauf und runter, bis der Videorecorder das Band fraß, und wir nur mehr schreiend den Kampf der Ameisen mit ansahen, der am Bildschirm flimmerte. Die Tragödie war sozusagen ziemlich perfekt! Mit dreizehn nahmen wir, wie fast alle Mädchen, Reitunterricht. Träumten von großen Springreitturnieren und Preisen. Mit unseren Müttern zusammen kauften wir uns das erste Handy. Damals noch, heutzutage kaum vorstellbar, mit einem schwarz-weißen Mini-Display, und als Fluffy, Malous Hamster, das Zeitliche segnete, trauerten wir gemeinsam. Eine ganze Woche lang trugen wir nur schwarze Klamotten. Letztlich waren wir unzählige Stunden füreinander da; in guten und auch in schlechten Tagen. Wir wurden älter und auch die Jungs wurden allmählich interessanter. Einst hatten wir uns felsenfest geschworen, dass sich niemals ein Junge oder ein Mann zwischen uns drängen würde, und heute denke ich, dass dies viel schneller passierte, als es uns lieb war. Meine beste Freundin war äußerst hübsch, hatte langes, blondes Haar, ein sonniges Wesen und die Jungs standen Schlange. Sie war ziemlich stolz und ließ sie reihum abblitzen. Natürlich gab es auch bei mir ab und an eine kleine Schwärmerei, aber nach dem ersten Kuss dachte ich meistens, wie werde ich den schnell wieder los. Bis es mich dann doch irgendwann ziemlich heftig erwischte. Im Gegensatz zu Malou war ich plötzlich in einen voll süßen, dunkelhaarigen Jungen verliebt (insgeheim schwärmte ich immer schon für dunkelhaarige Typen. Wie ich an einen semmelblonden Mann geraten konnte, ist mir bis heute schleierhaft). Hätte es das Klassenbuch nicht gegeben, hätte er vermutlich nicht mal gewusst, dass auch ich in derselben Klasse saß. Irgendwann, so nach eineinhalb Jahren, fiel ich ihm dann doch auf. Am Semesteranfang, im Maturajahr, auf der Geburtstagsparty eines Schulkollegen. Naiv wie ich war, glaubte ich damals noch ernsthaft, Träume von der großen Liebe könnten wahr werden. Die Realität traf mich hart. Nach kurzer Zeit war die Beziehung vorbei. Vielleicht hätte ich den Schmerz in meinem Herzen schneller überwunden, wenn ich ihn nicht jeden Tag hätte sehen müssen. Wenn ich einfach flüchten hätte können. Aber ich hatte noch beinahe zwei ganze Semester vor mir, sodass ich gezwungen war jeden Tag mit anzusehen, wie er andere Mädels anmachte und mich mit blöden Sprüchen erniedrigte. Ich steckte meine ganze Energie ins Lernen, was nicht gerade ein Nachteil war. Malou spendete mir unzählige Stunden des Trostes, war immer für mich da, ohne sich auch nur einmal zu beschweren (dafür gab es andere in unserer Clique). Sie glaubte trotzdem noch an die Liebe. Sie war überzeugt, ich hätte mich nur in den falschen Kerl verliebt. Mit ihrem Optimismus hoffte sie, mich aus meiner Depri-Wolke zu holen, bis sie selbst ein ähnliches Abenteuer erleben durfte. Und so kam es, dass das Lied ‚Männer sind Schweine‘ von den ‚Ärzten‘ zu unserer persönlichen Hymne wurde! Das Thema Jungs war für die nächste Zeit definitiv abgeschrieben – dachten wir zumindest … Sozusagen hatten wir sämtliche Härtetests durch, die eine echte Freundschaft eben aushalten musste, tja, und auch den ersten gemeinsamen Urlaub – natürlich ohne Eltern! Keine Ahnung, wer damals die Blitzidee hatte. Aber in den Sommerferien, mit einem ausgezeichneten Abschluss in der Tasche und bevor wir zu studieren anfingen, beschlossen wir gemeinsam ans Meer zu fahren. Ich denke, es war Malou, die mich aus meinem Trott reißen wollte. Im Nachhinein betrachtet war das von allen Ideen die dümmste, die wir je hatten. Wir waren süße neunzehn Jahre jung, und völlig planlos ließen wir einfach unsere Finger auf einer Landkarte über den Ort, wo unsere Reise hingehen sollte entscheiden, und damit auch über unser Schicksal. Hauptsache weit weg von unserem Heimatort, irgendwohin wo es Sonne, Strand und Meer gab. Das Ganze war natürlich topsecret. Nicht mal unsere Eltern wussten Bescheid. Auch nicht mein Bruder. Sie glaubten, wir würden eine ganze Woche bei einer Freundin zelten. In Wirklichkeit machten wir – und jetzt kommt´s – Italien unsicher. Aus dem Meer wurde ein See, da unsere Finger unbegreiflicherweise am Gardasee festhingen. Genau genommen in Bardolino. Wir besaßen beide kein Auto, demzufolge brauchten wir einen Platz in einem Flieger, und natürlich auch noch ein Hotel. Bevor es losgehen konnte, benötigten wir Geld. Also haben wir fast jeden idiotischen Job angenommen, den wir bekommen konnten. Wir verteilten in überdimensional großen Weintrauben- und Erdbeerkostümen Flyer an Passanten für eine Fruchtmesse. Wiesen Autos in freie Parkplätze ein, mangels Berufserfahrung wurden wir da allerdings gleich wieder gefeuert. Zuletzt arbeiteten wir bei einer Imbisskette, wodurch wir, wenn wir abends heimkamen, von weiten schon nach Pommes rochen. Als wir jeden Cent zusammengekratzt hatten, buchten wir einen Flug und ein Zimmer in einem Zwei-Sterne-Hotel. Mehr war einfach nicht drin. Anhand der Fotos schaute das Hotel eigentlich ganz passabel aus. Die Poolanlage und die Zimmer waren auch ganz nett abgebildet. „Traumurlaub, wir kommen!“, riefen wir noch, als wir Anfang August am Flughafen auf unseren Flug warteten. Aus dem Traum wurde leider ganz schnell ein Albtraum. Wie sich herausstellte, waren die Fotos ein Fake. Die Zimmer waren ja noch akzeptabel, bis auf die kleinen Mitbewohner – auch Kakerlaken genannt. Böse Zungen behaupten, ich wäre nicht gut zu Haustieren, und das wurde diesen Biestern mehr als nur einmal zum Verhängnis. Das Essen ging gar nicht, deshalb ernährten wir uns anfangs nur von Wassermelonen. Die kleinen Mengen an Grappa, die wir uns täglich gaben, brachten unser Immunsystem auf Vordermann und waren wohl der Grund dafür, dass wir nicht ernsthaft erkrankten. Naja, bei den massenhaften Freizeitangeboten des Hotels wurde es uns bald zu langweilig, und an blöden, aber manchmal auch an guten Ideen, mangelte es uns eigentlich nie wirklich. So fuhren wir mit dem Taxi in die nächste Stadt und ließen uns zu einem angesehenen Club, der von außen wie ein Schloss ausschaute, kutschieren. Laute, gute Musik, die uns gefiel, dröhnte nach außen, und wir waren echt in Stimmung. Der Einlass verlief nicht ganz unproblematisch, aber Malou – langhaariges, blondes Girl, Traum eines jeden Italieners – ließ ihr verführerischstes Lächeln spielen und ich schaute mir vergnügt ihr Spektakel an. Nach elendslangem Zögern ließ uns der Türsteher doch noch passieren – was ich ein paar Stunden später allerdings ziemlich bereute … Der Club wirkte urig, aber äußerst edel. Es kam uns vor, als würden wir eine Gruft betreten. Überall Gewölbe, und an den grauen Mauern befestigte schwarze Wand-Kronleuchter spendeten gedämpftes Licht. In der Mitte waren eine riesige Tanzfläche und mehrere Bars. Es war ziemlich voll, die meisten Tische belegt. Überall wimmelte es nur von wohlhabenden, süßen, italienischen Männern, mit jeweils einem Rudel hübscher Damen. Wir fielen ganz schön auf, denn irgendwie waren wir die einzigen Touristen. Bei uns zu Hause würde man sagen, wie zwei Kasnocken spazierten wir durch den Club. Malou und ich schlängelten uns, vor Selbstbewusstsein nur so strotzend, an mehreren Tischen vorbei, und gingen in Richtung der Bar neben der Tanzfläche. Wir bestellten uns eine Cola, die wir gleich mal austranken, und als der DJ Hits von ‚Cypresshill‘ auflegte, fanden wir uns schon auf der Tanzfläche wieder. Wir bildeten uns tatsächlich ein, dass wir gut tanzen könnten. Im Nachhinein schäme ich mich bis heute für die spastischen Verrenkungen, die wir da abgezogen haben. Aber es war scheißegal, denn es kannte uns ja niemand, was sich bedauerlicherweise schnell änderte. Am Rand der Tanzfläche standen ein paar Jungs, die an Bierflaschen nippten. Ständig schielten sie zu uns rüber und ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie sich über uns köstlich amüsierten. Vom Aussehen her waren sie ja ganz süß, und einer von ihnen, ein blonder Typ, hatte wohl Gefallen an meiner besten Freundin gefunden. Das merkte man schon daran, wie intensiv er sie beobachtete. Außerdem war er unter dem schwarzhaarigen Haufen mit seiner blonden Haarpracht nicht zu übersehen. Guckte Marie-Louise mal scheu in seine Richtung, sah er anfangs verlegen weg, lachte laut und quatschte gleich mit seinem Freund, der nur beharrlich zu nicken schien. Nach einer Weile traute er sich dann doch, drehte den Kopf schief und lächelte ihr verlegen zu. Wohl auch deshalb, weil sie ihn ununterbrochen anstarrte. Malou hüpfte nervös herum. Geschickt drehte sie sich um, um auszuschließen, dass er an ihr vorbei grinste. Sie konnte gar nicht so recht glauben, dass das süße Lächeln ihr gegolten hatte. Ich hatte sie noch nie so erlebt, dachte noch, sie würde mir gleich zusammenbrechen. Blondi ging an uns vorbei, schenkte der Besten nochmals einen Blick, der mehr sagte, als er eigentlich sollte, und ging zum Pult des DJs hoch. Kaum hatte der DJ etwas rhythmische Musik aufgelegt, kam Blondi wieder zurück auf die Tanzfläche und fing mit Malou zu tanzen an. Hätte ich es damals nur annähernd geahnt, dass sie diesen Typ gleich heiraten würde, ich hätte sie gepackt und wäre schreiend mit ihr aus dem Lokal gerannt.
Nein – natürlich nicht!
Ich war eine gute Freundin und ich gönnte ihr das Glück von Herzen. Es dauerte nicht lange und der Wackeldackel, ich meine den nickenden Kumpel mit dem er noch zuvor geredet hatte, näherte sich auch mir – tänzerisch. Oh Mann – zu unserem Bedauern konnten die beiden das auch noch richtig gut! Jedenfalls viel besser als wir. Langsam, aber doch bestimmt, tastete sich Blondi an Malou heran. Mit einem Blick bat er um Erlaubnis seine Hand auf ihre Hüften zu legen, dann verkeilte er sein Bein mit ihrem und beide folgten den Klängen der Musik. Hallo?! War das wirklich noch Malou?