Bad Vöslau in Flammen - Norbert Ruhrhofer - E-Book

Bad Vöslau in Flammen E-Book

Norbert Ruhrhofer

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Beschreibung

Ein gnadenlos witziger Gesellschaftskrimi. Eigentlich wollten die Pokornys nach einem Abendessen im Weingut Schlossberg nur noch eine Runde mit ihrer Beagle-Dame drehen. Doch daraus wird nichts: Vor ihren Augen geht ein leer stehendes Hotel in Flammen auf, in dem später ein Toter gefunden wird. Die Nachbarin des Hoteleigentümers meint den Täter zu kennen, wird aber brutal zum Schweigen gebracht. Als ein weiteres Opfer auftaucht, stehen die Hobbydetektive vollends vor einem Rätsel.

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Seitenzahl: 417

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Norbert Ruhrhofer, 1968 in Wien geboren, startete seine Karriere als Sachbearbeiter im Gesundheitswesen. Schnell war klar, dass es in seiner Berufslaufbahn keinen roten Faden geben würde. Umtriebig verkaufte er nebenbei Verträge fürs Kabelfernsehen und Mitgliedschaften für den WWF, studierte auf dem zweiten Bildungsweg Rechtswissenschaften und arbeitete anschließend als Jurist. Nach weiteren Stationen als Barmann und Spinning-Trainer gründete er ein Unternehmen in der Werbebranche und war lange als Key-Account- und Produktmanager beschäftigt. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller arbeitete er auch als Wachmann und Portier sowie zuletzt als Callcenteragent bei Notruf NÖ. Was er aber schon in den letzten zwanzig Jahren immer wieder tun wollte: Bücher schreiben! 2021 verwirklichte er diesen Traum und veröffentlichte seinen ersten Kriminalroman.

www.norbert-ruhrhofer.at

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Im Gegensatz dazu tragen alle Ortsteile, Sehenswürdigkeiten, Lokale und Geschäfte ihre tatsächlichen Namen. Die Protagonisten essen und trinken im Krimi, was es dort tatsächlich kulinarisch zu probieren gibt. Einzig den Bioladen vom Bio-Berti gibt es in Wirklichkeit nicht.

© 2024 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: picture alliance / Willfried Gredler-Oxenbauer / picturedesk.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Julia Lorenzer

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-223-9

Ein Wiener-Speckgürtel-Krimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Literaturagentur Drews, Augsburg.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Für meinen Dad,der immer an mich geglaubt hat

Personenliste

Willi Pokorny: siebenundvierzig Jahre alt, faul, unsportlich, je nach Jahreszeit entweder mit seinem dunkelgrünen E-Bike oder einem dreißig Jahre alten Ford Escort unterwegs. Derzeit arbeitslos, unterstützt seinen Freund bei der Auslieferung von Bioprodukten.

Toni Pokorny: Die allerbeste Ehefrau der Welt hat ihren vierzigsten Geburtstag hinter sich gebracht, ist sportlich und engagiert sich, Kindern Literatur näherzubringen. Durch einen Grundstücksverkauf finanziell abgesichert, arbeitet Teilzeit in der Gemeindebücherei. Ernährt sich gesund, wünscht sich sehnlichst ein Kind.

Maxime (Beagle-Dame): Die Hündin ist ein vollwertiges Familienmitglied der Pokornys und derzeitiger Kinderersatz.

Gruppeninspektor Friedrich Sprengnagl: Kriminalbeamter im Bereich Leib und Leben in Bad Vöslau, langjähriger Schulfreund vom Pokorny, Intimfeind der Chefinspektorin Wehli, die früher seine Chefin war und ihn jetzt für alle polizeilichen Aktivitäten die Stadtgemeinde betreffend anfordert.

Chefinspektorin Ottilia Wehli: achtunddreißigjährige Kriminalbeamtin, ständig in schwarzer Ledermontur und mit schwarzem Helm mit silbernem Totenschädel auf ihrer 1200er BMW unterwegs, will Leiterin des LKA werden, hat wegen einer gemeinsam vergeigten Soko und eines gescheiterten Grundstückskaufs Probleme mit dem Sprengnagl.

Liesl Katzinger: eine neugierige alte Frau, weiß über alles und jeden in Bad Vöslau Bescheid, bekennende Kettenraucherin, spricht Wörter häufig falsch aus oder verwendet sie sinnentfremdet.

Bio-Berti: langjähriger Schulfreund vom Pokorny und vom Sprengnagl, hat in Großau (Ortsteil der Stadtgemeinde Bad Vöslau) ein Geschäft aufgebaut, in dem er neben Bioprodukten mit Vorliebe Magic Mushrooms und Hanf verkauft.

Tatjana Walcha: ehemalige Schulfreundin von der Toni, jetzt Chefin der Stadtbücherei Bad Vöslau.

Die Hanifl: unbeliebte Doppelhausnachbarin der Pokornys.

Heidrun Zwatzl: stammt aus der DDR, ihr Vater war bei der Stasi, sie hat von ihm Abhörequipment geerbt, bespitzelt ihre Nachbarn mit versteckten Kameras und Mikrofonen.

Der Ludwig: Pflegeheimbewohner, schaut dem Waldorf von den Muppets ähnlich, ist immer mit einem Outdoor-Rollator mit extrabreiten Rädern und tiefem Profil sowie mit einem Fernglas zum Auskundschaften unterwegs.

Der Heini: Pflegeheimbewohner, schaut dem Statler von den Muppets ähnlich, ebenfalls mit Rollator, Fernglas und immer mit dem Ludwig unterwegs.

Claudia Folkert: unsympathische ältere Besitzerin eines Wolfshundes, hat mit jedem in ihrer Umgebung Streit.

Amalia und Dieter Schrott (Ehepaar): Nachbarn der Folkert, es gibt ständig Streit wegen des Wolfshunds der Nachbarin.

Arthur Nussbaum: Gegenübernachbar der Folkert und der Schrotts, hat ebenso wegen des Hunds Streit mit ihr.

Helmut Grammel: Obdachloser, der in dem leer stehenden Hotel Zur Waldandacht wohnt und bei dem Brand ums Leben kommt.

Kurt Ribitsch: Obdachloser, der dem Brand entkommt.

Sonntag, 22. September, 19.30 Uhr

»Fix Laudon!« Der Pokorny dreht die Sohle seines rechten Schuhs nach oben, beugt sich vor und rümpft die Nase. »Na super, das waren sicher die Gruftis«, schimpft er und zeigt auf ein angegrautes Ehepaar. Während die ältere Dame betreten zu Boden schaut, geht der Mann ohne jede Spur von schlechtem Gewissen mit seinem monströsen Schäferhund über den Parkplatz beim Weingut Schlossberg.

»Willi! Nicht so laut, sonst hören die uns noch«, flüstert die Toni.

»Und wenn, was dann?« Hüpfend formt er mit beiden Händen einen Trichter und brüllt: »Dreckschweine, räumt eure Hundescheiße gefälligst weg!«

Die Toni schüttelt den Kopf und reicht ihm zum Reinigen ein längliches Holzstück. »Versuch es damit.«

Verärgert wandert sein Blick zwischen dem Stöckchen und dem Ehepaar hin und her. Er greift mit der rechten Hand danach und hält sich mit der linken an der Schulter der allerbesten Ehefrau der Welt fest. Während er mit angeekelter Miene im Profil seines Schuhs stochert, zieht die Maxime die Toni mit einem heftigen Ruck von ihm weg. Schließlich hat die Beagle-Dame nach einem dreistündigen Schläfchen unter dem Tisch ein dringendes Geschäft zu erledigen. Der Pokorny hüpft auf dem linken Bein durch die Wiese, darauf bedacht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren oder gar in einen weiteren Haufen zu springen. Letztendlich rutscht er auf der regennassen Wiese aus und geht als Verlierer aus dem Ring. Rücklings stürzt er der Länge nach mitten rein ins nächste Glück.

»Kruzitürken!«, flucht er lautstark. »Echt, ich hab die Schweine von Hundebesitzern dermaßen satt. Was ist so schwer daran, die Haufen ihrer Hundsviecher wegzuräumen? Sogar da vorm Heurigen pfeifen die sich nichts. Unglaublich!«

Die Toni reicht ihm die Hand zum Aufstehen und verzieht beim Anblick der Rückseite seines Hemdes das Gesicht. »So kannst du dich nicht ins Auto setzen.«

»Und was soll ich jetzt tun? Wir müssen noch eine Runde mit Maxime drehen. Mir graust, so kann ich nicht herumlaufen.«

»Na ja, es ist eh schon dunkel, sehen wird dich also niemand.«

»Aber riechen, ich stink wie ein Iltis.«

»Beruhig dich. Unsere Süße braucht noch ein bisschen Auslauf, gehen wir einfach bis zum Parkplatz Waldandacht und wieder retour. Bevor du ins Auto steigst«, meint sie grinsend, »ziehst du die Schuhe und das Hemd aus.«

Der Pokorny grummelt. »Ja, ja, hab du nur deinen Spaß.«

»Passt schon, mein Brummbär. Eine schnelle Dusche, und schon sitzen wir beim Tatort. Besser, dort wird gemordet, als du erledigst das gleich hier am Parkplatz.«

»Brr, scheußlich, na, dann los.« Er wischt sich die Schuhe in der Wiese ab, bewegt die Schulterblätter vor und zurück und verzieht angeekelt das Gesicht. Schimpfend stapft er bergauf zum Parkplatz vom geschlossenen Hotel Zur Waldandacht.

Normalerweise benutzen die beiden den Wanderweg, der entlang der Zufahrtsstraße verläuft. Wegen der hereinbrechenden Dunkelheit nutzen sie das Licht der Straßenlaternen und gehen vorsichtig am linken Straßenrand hinauf zum Hotel, als plötzlich ein Mann auf einem unbeleuchteten Fahrrad ums Eck schießt. Mit großen Augen verreißt er beim Anblick der Pokornys den Lenker, rutscht mit dem Hinterrad weg und schlittert seitlich in den Graben am Straßenrand.

Während die Toni zu ihm hinläuft, hat der Pokorny alle Hände voll zu tun, die sich gebärdende Maxime zu bändigen. Sie ist eigenartigerweise nicht an dem Rowdy interessiert, sondern zerrt wie wild Richtung Hotel.

»Aus!«, ruft der Pokorny und wendet sich der Toni zu. »Ist ihm was passiert?«

Der Fahrer rappelt sich auf. Er wirkt panisch, der Schock ist ihm ins Gesicht geschrieben. An seiner Stirn, unter den struppigen, wirr abstehenden grauen Haaren, läuft von einer Schürfwunde Blut herunter. Er sammelt seine Habseligkeiten zusammen, stopft alles in den aufgerissenen Rucksack und rast wortlos mit dem Fahrrad davon.

»Was war das jetzt?«

»Ein Verrückter. Und die Maxime raubt mir noch den letzten Nerv. Aus jetzt!«, schreit der Pokorny und reißt die Augen auf. Ein herrenloser hellbrauner Golden Retriever und ein schwarzer Labrador stürmen auf ihn zu. Schnell leint er die Beagelin ab. Besser, sie verschwindet in den Wald, als an der Leine zwei Artgenossen ausgeliefert zu sein. Letztendlich verliert immer der angeleinte Hund. Doch die beiden wirken friedlich, beschnüffeln die Maxime, drehen sich um, und zu dritt stürmen sie die letzten Meter zum Hotel Zur Waldandacht hinauf.

Die Toni läuft den Hunden nach, der unsportliche Pokorny bemüht sich, Schritt zu halten. Nach der Kurve wissen sie, weshalb die Tiere außer Rand und Band sind. Das geschlossene Hotel brennt, die drei Hunde laufen bellend hinter das Gebäude.

»Maxime, hier!«, schreit die Toni. Von dem bemoosten Dach lösen sich einzelne Schindeln und krachen gefährlich nahe an der Hausmauer hinunter.

An der ohnehin schon sturen Beagelin prallen in dem Chaos alle gut eingelernten Kommandos ab.

Die Pokornys umkreisen in sicherem Abstand das Hotel und finden die Vierbeiner vor einer offen stehenden Tür, aus der dichte Rauchschwaden herauswabern.

»Weg da, ist zu gefährlich!«, schreit der Pokorny, leint die Beagle-Dame an und zerrt sie vom brennenden Hotel weg.

Beherzt ergreift die Toni die Halsbänder der friedlichen, aber sehr nervösen anderen beiden Tiere und zieht sie keuchend hinter sich und dem Pokorny her. Sie fädelt die acht Meter lange Flexi-Leine der Beagelin durch die Halsbänder der zwei anderen Hunde und fixiert die Leine an einer massiven Schwarzföhre. Danach dreht sie sich um und läuft mit dem Pokorny zurück zum Hintereingang.

»Das hat keinen Sinn, da ist alles verraucht. Wer weiß, ob da überhaupt noch wer drinnen ist«, ruft er und hält die Toni an den Schultern zurück.

Sie nickt. »Der Mann am Fahrrad hat sicherlich etwas damit zu tun. Deswegen ist er so verrückt unterwegs gewesen. Ich ruf die Feuerwehr an, du den Sprengi. Er soll entscheiden, was weiter passiert.«

Beide zücken ihre Handys, also der Pokorny halt sein altes Nokia, die Toni ihr nigelnagelneues iPhone. Nach dem Abflug vom Harzbergturm hat sich die Bürgermeisterin nicht lumpen lassen und ihr das allerneueste Apple-Schmuckstück geschenkt. Natürlich mit dem heimlichen Wahrzeichen der Stadtgemeinde Bad Vöslau – der Linda – auf der Rückseite. Zum Glück gibt es jede Menge stylische Schutzhüllen, weil – bei aller Liebe und Dankbarkeit – auf dem coolen iPhone eine hellblaue Seekuh, nein, das geht für die stets modisch gekleidete allerbeste Ehefrau der Welt gar nicht.

Rasch ist die Situation geklärt, kaum aufgelegt, ertönt schon die Alarmsirene der Feuerwehr, wenig später rast das erste Löschfahrzeug die Straße zum Hotel hinauf.

Kurz vor dem Eintreffen der Feuerwehr quietscht sich ihr Freund, der Gruppeninspektor Sprengnagl, ein. »Zum Glück seid ihr da die Runde gegangen. Nicht auszudenken, wenn das Feuer auf den Wald übergreift.«

Rasch erzählt ihm der Pokorny von der seltsamen Begegnung mit dem Radfahrer. »Vielleicht hat der den Brand gelegt, keine Ahnung. Aber so wie der drauf war … Der ist nicht einfach so abgehaut, der war auf der Flucht.«

Der Sprengnagl rümpft die Nase. »Wieso stinkt’s denn hier so?« Er beugt sich zum Pokorny hin. »Bist du das? Ist ja nicht zum Aushalten.«

»Soll ich dir die Stelle zeigen?«, fragt der Pokorny genervt, ohne auf die Frage einzugehen.

Sein Freund sieht, wie sich die Toni grinsend den Hunden zuwendet. »Ja, bitte. Vielleicht stinkt’s dort weniger.«

Während die allerbeste Ehefrau der Welt hinter dem Rücken der beiden Männer schallend zu lachen beginnt, geht der Pokorny mit wackelnden Ohren zu der Unfallstelle. »Da hat’s ihn hineingebirnt.« Er zeigt seinem Freund die Mulde im Blätterhaufen, der den Aufprall des Fahrers gedämpft hat.

»Der hat mächtig Glück gehabt«, meint der Sprengnagl und deutet auf die beiden Bäume links und rechts der Mulde.

»Bis auf eine Schürfwunde am Kopf dürfte ihm nichts passiert sein. Zumindest hat er sich flott wieder aufs Rad geschmissen und war – ohne irgendwas zu sagen – weg.« Der Pokorny weist auf einen flachen Gegenstand. »Da hat er was vergessen.«

Bevor er danach greifen kann, hält ihn der Gruppeninspektor zurück. »Nicht berühren, die Spusi soll sich das anschauen. Ma, bitte, zieh dir dein Hemd aus, bist du in einen Hundehaufen gefallen, oder was?«

Je mehr sich der Pokorny ärgert, desto mehr beginnen seine Ohren zu wackeln. Gerade jetzt läuft er diesbezüglich zur Höchstform auf.

Die Toni sprintet ums Eck und entschärft unbewusst die angespannte Situation. »Schlechte Nachrichten, der Einsatzleiter hat einen Personenfund gemeldet und wollte die Polizei anrufen. Ich hab ihm gesagt, die ist schon da. Schnell!« Sie dreht sich um und eilt zurück zum Hotel.

In einiger Entfernung liegt ein Mann auf dem Waldboden. Zwar wirkt er äußerlich unverletzt, das verzerrte Gesicht mit dem verfilzten grauschwarzen Vollbart und die toten Augen sprechen aber Bände. Die Kleidung des Toten ist abgetragen, die Socken in den Sandalen haben ihre besten Tage hinter sich, mehrere Löcher geben den Blick auf ungepflegte Füße frei.

»Sieht nach einem Obdachlosen aus. Wahrscheinlich hat er da seinen Schlafplatz gehabt und wurde vom Feuer überrascht«, stöhnt der Gruppeninspektor, greift nach seinem Handy und ruft den Gerichtsmediziner an. »Guten Abend, Dr. Hammerschmied, wir haben eine Leiche beim Hotel Zur Waldandacht. Können Sie kommen?«

»Nicht gerne«, murrt der Mediziner. »Der Tatort fängt gleich an.«

Trotz des Ernstes der Lage kann sich der Sprengnagl ein Lachen nicht verkneifen. »Ja, ja, das trifft nicht nur Sie hart. Die Pokornys haben den Brand entdeckt.«

»Oje, oje«, schmunzelt jetzt auch der Pathologe. »Die Ehrenbürger sind schon wieder mit im Boot. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Bin am Weg. Ist das LKA schon verständigt?«

»Noch nicht, ich ruf die Tatortgruppe an, der Alterbauer kann’s der Wehli gerne weitererzählen. Also bis dann.« Der Sprengnagl seufzt, verzieht das Gesicht und deutet den Pokornys, mitzukommen. »Die O-Weh wird demnächst aufschlagen. Wollt ihr bleiben? Schließlich seid ihr Zeugen.«

Der Pokorny schüttelt den Kopf. »Du, ehrlich«, er dreht sich um und zeigt mit dem Daumen über seine Schulter. »Mir reicht die Scheiße auf meinem Hemd. Ihre blöden Kommentare geb ich mir heute sicher nicht. Und richte ihr aus, sie braucht heute auch keinen Hausbesuch mehr zu machen, wir öffnen nicht.«

Die Chefinspektorin Ottilia Wehli, hinter ihrem Rücken gerne O-Weh genannt, ist eine spezielle Freundin vom Pokorny. Da er als bester Freund vom Sprengnagl gut über die kriminellen Geschehnisse in Bad Vöslau informiert ist, gibt es öfters Reibereien. Speziell dann, wenn der Freizeitpolizist – wie sie ihn gerne nennt – wieder einmal in ihre Polizeiarbeit hineinfunkt. Sie besucht das Ehepaar regelmäßig, um ihren Unmut über die Einmischungen der Pokornys kundzutun. Mit Vorliebe macht sie das am Wochenende.

»Dachte ich mir. Ich melde mich später. Viel Spaß beim Tatort. Bei mir wird’s sicher länger dauern. Servus.«

»Warte!«, ruft die Toni und zeigt auf die beiden Hunde. »Was macht ihr mit ihnen?«

»Erst einmal abwarten, ob andere Hundebesitzer nach ihren vierbeinigen Freunden suchen, während wir hier sind. Falls nicht, müssen wir sie leider ins Tierheim bringen. Bis später.« Er dreht sich um und eilt zum Einsatzleiter der Feuerwehr.

Wieder einmal wird es mit dem Tatort knapp. Wobei die beiden für einen entspannten Fernsehabend sowieso zu aufgewühlt sind. Da die Wartezeit im Wald sie trotz der angenehmen Temperatur und der Hitze des Brandherdes hat auskühlen lassen, freuen sie sich umso mehr, dass der Whirlpool repariert wurde. Eine Flasche Frizzantino vom Weingut Schlossberg und ein Veltliner vom Schachl liegen immer gut gekühlt im Eiskasten und wandern mit ins Badezimmer. Die Tatort-Folge wird kurzerhand aufgezeichnet, damit steht einem entspannten Bad nichts im Weg. Der Pokorny duscht nach der Entsorgung seines ohnehin durchgewetzten, stinkenden Hemdes vorher sicherheitshalber.

Die Toni nippt an ihrem Frizzantino. »Wundert mich irgendwie nicht, also dass sich in dem Hotel jemand aufgehalten hat. Das steht schon ewig leer. So wie der arme Mann angezogen war, hat der keine eigene Bleibe und ist dort untergekommen.«

»Ein Obdachloser in Bad Vöslau?« Fragend zieht der Pokorny die Augenbrauen nach oben. »Gibt’s die bei uns auch?«

»Betroffene gibt es überall, mal ist es offensichtlich, mal versteckt. Anscheinend leben auch in Vöslau Menschen ohne festen Wohnsitz.«

»Der am Fahrrad hat auch nicht sonderlich gepflegt gewirkt. Zumindest das, was ich von ihm sehen konnte. Vielleicht hat der auch dort gehaust?« Der Pokorny schenkt sich nach und schnalzt mit der Zunge. »Das tut gut. Mir graust schon jetzt vor dem Gespräch mit der Wehli. Echt, da gehen wir lediglich spazieren und können uns von ihr sicher wieder anhören, dass wir uns in ihre Ermittlungen einmischen.«

Die Toni schneidet eine Grimasse. »Wieso Ermittlungen? Zuerst muss einmal die Ursache des Brands geklärt werden. Die zwei armen Hunde tun mir leid. Wenn wir mehr Platz hätten …«

»Dann täten wir ihnen Asyl anbieten, alles klar, und ich geh dann morgens mit drei Vierbeinern in die Annamühle. Da kann ich mir die Kugel geben, weil du stehst sicher nicht früher auf, oder?«, fragt er und kennt freilich die Antwort.

»War ja nur so eine Idee«, antwortet die Toni grinsend. Sie liebt ihren langen Schlaf. Wie ihr Liebster jeden Tag um fünf Uhr dreißig aufzustehen, käme ihr nie in den Sinn.

Gegen dreiundzwanzig Uhr kommt vom Sprengnagl eine Whatsapp.

– Melde mich morgen, dauert länger.

– ok

Montag, 23. September

Und wieder ist es passiert: Sobald sich ein potenzieller Kriminalfall in das Leben der Pokornys drängt, beginnt die Sache mit dem Trinken. Sonst halten sich die beiden mit dem Alkohol ja eher zurück. Wenn es aber irgendwo eine Leiche gibt, dauern die Abende immer länger, und die leeren Flaschen im Altglascontainer häufen sich.

Gähnend schlurft der Pokorny um sechs Uhr mit der Maxime ins Café Annamühle und stellt rasch fest, dass er besser liegen geblieben wäre. Seine persönliche Gewitterfront im Stammcafé, die Dagmar, ist heute noch schlechter drauf als sonst. Normalerweise grunzt sie den frühen Vogel zumindest an, an besseren Tagen verzieht sie das Gesicht, was er als angedeutetes Lächeln interpretiert. An diesem Morgen steckt sie die dunklen Semmerln für die Toni und seine Kürbiskernweckerln einfach in ein Sackerl, dreht sich um und verschwindet wortlos hinter der Tür mit der Aufschrift »Privat«. Eine gute Weile wartet der Pokorny gespannt, ob die lebensfrohe Mitarbeiterin doch noch zum Kassieren kommt. Nach einer gefühlten Ewigkeit legt er das Geld auf die Theke und verlässt grußlos das Lokal.

Die Toni fängt am Montag um acht Uhr in der Stadtbücherei an. Dementsprechend gesprächig ist sie nach der kurzen Nacht und der Flasche Frizzantino. Um sieben Uhr fünfundvierzig steigt sie langsam über die Treppe hinunter ins Wohnzimmer.

»Ah, mir platzt der Kopf. Ich bin nichts mehr gewohnt. Der Sprengi hat mir eine Whatsapp geschickt. Wir treffen ihn um zwölf Uhr fünfzehn beim Heurigen Sunk.«

»Beim Sunk? Der hat doch gar nicht offen.« Der Pokorny wundert sich über die Wahl. Normalerweise ist sein Freund über den Aussteckkalender der hiesigen Winzer bestens informiert.

»Er hat das mit der Chefin besprochen. Die kennt unsere Probleme mit der Wehli und sperrt extra für uns auf.« Die Toni grinst. »Ist doch klar, wenn der Sprengi mittags verschwindet, checkt sie den Aussteckkalender und sucht die geöffneten Heurigen nach uns ab. Der Sunk ist eine gute Idee, da vermutet sie uns garantiert nicht.«

»Alles klar, ich hol dich um zwölf Uhr ab.«

»Bussi.«

Da heute ein wunderschöner Spätsommertag und die Temperatur angenehm warm ist, setzen sich die Pokornys an einen freien Tisch auf der hinter dem Haus befindlichen Terrasse des Heurigen. Ungefragt wird dem Pokorny ein Grüner Veltliner und der Toni ein spritziger Spumante serviert.

Ein paar Minuten später hastet der Sprengnagl durchs Lokal hinaus. »Ah, da seid ihr ja.«

»Schon paranoid?«, fragt ihn der Pokorny. »Wegen der Wahl des Lokals?«

»Hm, du kennst doch die Wehli. Zwar mag sie kaum wer, trotzdem, Neider gibt’s überall. Ihr seids bekannt, würde mich nicht wundern, wenn sie auftaucht.« Er winkt der Kellnerin, bestellt einen gespritzten Traubensaft und atmet tief durch. »Alter Schwede, die O-Weh ist schlecht drauf. Ärger geht’s nicht.«

Der Pokorny grinst. »Quält sie leicht immer noch der Candida-Pilz?«

»Geh, die hat sich mit probiotischen Darmbakterien aufgepusht, quietschfidel sekkiert sie im Alleingang die PI. Nein, irgendeine Herz-Schmerz-Geschichte. Die hat gestern Abend die Kollegin Stabeldorfer damit zugetextet. Echt mühsam. Was esst ihr? Also du, Toni, weil dein Liebster wird ja wohl wieder beim Bauerntoast zuschlagen.«

Beim Sunk schwört der Pokorny auf den Bauerntoast mit saftigem Kümmel-Surbraten und einem Spiegelei. Da geht für ihn nichts drüber.

Die nette Kellnerin bringt dem Sprengnagl sein Getränk und nimmt die Bestellung der Speisen entgegen. Wie erwartet wählt der Pokorny den Toast, die Toni entscheidet sich für gegrillte Putenstreifen auf gemischtem Salat, und für den Gruppeninspektor werden es geröstete Knödel mit Ei.

Der Pokorny trommelt nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herum. »Erzähl, was war gestern los?«

»Der Tote heißt Helmut Grammel, ein Wiener, der nach dem Tod seiner Frau abgestürzt ist. Job weg, Wohnung weg, ist auf der Straße gelandet. Er hat in verschiedenen Obdachlosenunterkünften in Wien gewohnt. Vor einem knappen halben Jahr ist er von der Bildfläche verschwunden.«

»Vielleicht ist er zu diesem Zeitpunkt nach Vöslau gekommen und illegal ins Hotel eingestiegen«, mutmaßt der Pokorny.

Die Toni fragt: »Woran ist er gestorben?«

»Steht noch nicht fest. Äußere Verletzungen waren keine zu sehen. Eine Rauchgasvergiftung wäre möglich oder ein Herzinfarkt.«

»Könnt ihr ein Gewaltdelikt ausschließen?« Der Pokorny nippt an seinem Veltliner.

»Wir können zu diesem Zeitpunkt gar nichts ausschließen. Fix ist nur, dass der Brand gelegt wurde. Im Erdgeschoss waren zwei Holzstapel aufgeschichtet, die in Flammen aufgegangen sind. Ob es ein gezielter Anschlag auf die Obdachlosen war oder eine Art Kollateralschaden, wissen wir noch nicht.«

»Die Obdachlosen?«, fragt die Toni.

»Euer Radfahrer hat beim Sturz seinen Personalausweis verloren. Er heißt Kurt Ribitsch, hat zuletzt in derselben Unterkunft wie der Grammel gewohnt und ist ebenfalls seit sechs Monaten abgängig.«

»Und wo ist er jetzt?«

»Wissen wir nicht, wir suchen nach ihm. Möglich, dass er mit dem Zug nach Wien gefahren ist.«

»Wem gehört das Hotel?«, fragt die Toni.

»Dem Ehepaar Amalia und Dieter Schrott. Beide wohnhaft in der Holzmüllergasse in Bad Vöslau. Teure Gegend. Sie haben das Hotel vor mehreren Jahren aus der Konkursmasse gekauft und wollten das alte Gebäude abreißen und einen Wellness-Tempel mit allem Pipapo hinbauen. Angeblich gibt es schon lukrative Angebote für die Weinberge neben dem Hotel. Die Umwidmung ist im Gemeinderat strittig, die Anrainer laufen dagegen sowieso Sturm.«

Die Toni schnauft. »Das versteh ich gut. Die Gegend ist ein Traum, ruhig, saubere Luft. Und dann baut dir jemand eine Hotelanlage vor die Nase. Lärm, Staub und Schmutz sind da garantiert. Ich würde mich auch dagegen wehren.«

»Das Hotel steht unter Denkmalschutz und hätte nicht einfach so abgerissen werden dürfen. Ein Umbau allein hätte sich finanziell nicht gerechnet.« Der Sprengnagl trinkt einen Schluck von seinem Traubensaft.

»Die Eigentümer werden über den Brand also nicht traurig sein«, sagt die Toni. »Der Denkmalschutz ist Geschichte. Wart ihr schon bei ihnen?«

»Ja, laut einer Nachbarin sind sie gestern verreist. Telefonisch haben wir sie noch nicht erreicht.«

Der Pokorny schneidet eine Grimasse. »So ein Zufall aber auch. Die fahren weg, und grade da brennt das verfallene, denkmalgeschützte Hotel ab.«

»Das jetzt natürlich komplett neu gebaut werden kann. Weil, wo nix mehr ist, kann auch nix mehr geschützt werden …« Der Sprengnagl unterbricht sich, lauscht und seufzt. Bevor den Pokornys klar wird, warum er seufzt, hören sie schon das Geräusch eines Viertakt-Boxermotors.

Die Chefinspektorin Wehli bremst sich auf ihrer 1200er BMW neben der Terrasse ein, stellt den Motor ab, nimmt den Helm vom Kopf und lehnt sich auf den Lenker. »Was für eine Freude! Sie haben sicher noch ein Platzerl für das einzig wahre Auge des Gesetzes über«, stellt sie mehr fest, als dass sie fragt. Die Pokornys wissen damit, dass die amikale Plauderei bei der Geburtstagsfeier der Katzinger eine einmalige Sache war. Damals ist die Wehli plötzlich in Jeans beim Heurigen Riegler-Dorner aufgekreuzt, war leutselig, eigentlich ganz nett. Heute jedoch ist sie wie eh und je in ihrer schwarzen Ledergarnitur unterwegs, der silberne Totenkopf auf der Rückseite des schwarzen Helms grinst ihnen hässlich entgegen.

»Womit haben wir die Ehre verdient?«, fragt der Pokorny bemüht freundlich und rückt ihr sogar einen Sessel zurecht. Die Toni runzelt die Stirn, er zuckt entschuldigend mit den Schultern.

»Den freundlichen Hinweis mit dem Hausbesuchsverbot nehme ich Ihnen nicht übel. Ist eh sinnlos. Auch dass Sie gestern wieder einmal zufällig an meinem Tatort waren, anstatt den Tatort im Fernsehen zu verfolgen, war nicht anders zu erwarten. Aber sich hinter einem geschlossenen Heurigen zu verstecken, ist letztklassig.«

»Was wollen Sie?« Der Pokorny atmet tief durch.

Als der Chef die Speisen serviert, schiebt die Chefinspektorin die Unterlippe nach vorne. »Da wird ja ordentlich gevöllert, Mahlzeit, die Herrschaften.« Sie zeigt auf den Bauerntoast vom Pokorny. »Fangen Sie schon zu Mittag damit an? Weniger ist das Bäuchlein seit unserem letzten Treffen nicht geworden.«

»Und Sie kämpfen noch immer mit Ihrem Pilz? Oder weshalb schauen Sie so dürr aus der Wäsche?«, flachst der Pokorny zurück. Irgendwann reicht es auch ihm, und dass seine Zündschnur die Wehli betreffend sehr kurz ist, wissen alle Anwesenden.

»Papperlapapp, mir geht’s prächtig.«

»Freut mich, dass Sie bei bester Gesundheit sind. Wie läuft’s mit der Liebe?«, fragt der Pokorny und zieht beide Mundwinkel auseinander.

»Ich wüsste nicht, was Sie mein Liebesleben angeht.« Die Chefinspektorin kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Wie kommen Sie überhaupt auf so eine impertinente Frage?«

Bevor das Gespräch komplett aus dem Ruder läuft, schaltet sich die Toni ein. »Frau Chefinspektorin, auch ich würde gerne wissen, wieso Sie uns zum Mittagessen beehren?«

Die Wehli fixiert weiterhin den Pokorny. »Ich wollte sichergehen, dass Sie gleich im Anschluss für die Zeugenaussage auf die PI kommen. Sonst vergessen Sie eventuell relevante Details. Außerdem ist es mir wichtig, Sie darauf hinzuweisen, dass jedwede private Einmischung Ihrerseits verboten ist. Auch wenn Sie wieder einmal mittendrin stecken. Nur damit das klar ist.«

»Das ist doch selbstverständlich, wir sind doch gesetzestreue Bürger. In Ihre hochwertigen Ermittlungen mischen wir uns wie immer nicht ein«, meint der Pokorny süffisant grinsend. »Apropos, haben Sie die Schrotts schon erreicht? Die profitieren ja ordentlich von dem Brand. Vielleicht wäre eine Hausdurchsuchung angesagt?«

Die Wehli schwenkt ihren Blick zur Toni. »Sie haben mich gefragt, weshalb ich Sie beim Mittagessen beehre? Genau aus diesem Grund. Sie wollen wieder Freizeitpolizisten spielen und sich einmischen. Wenn es in unserer Beziehung eine Konstante gibt, dann das lose Mundwerk Ihres Ehemanns. Damit bringt er sich noch in Teufels Küche.« Sie atmet tief durch und steht auf. »Wir sehen uns um vierzehn Uhr auf der Inspektion. Und, Sprengnagl … das ist kein Vorschlag, sondern eine Anordnung. Bis später.«

»Was war denn das jetzt?«, fragt die Toni.

Der Pokorny winkt ab. »Ein klassischer Schuss vor den Bug, würde ich sagen. Mehr nicht.«

»Das mit ihrem Liebesleben hättest du dir sparen können«, stöhnt der Gruppeninspektor. »Sie wird das klarerweise mit mir in Verbindung bringen.«

»Und die Provokation bei der Frage nach dem Ehepaar Schrott und einer Hausdurchsuchung war auch nicht notwendig. Willi, bitte! Du machst es ihr zu leicht.« Die Toni verschränkt die Finger ineinander und rubbelt sich über den Kopf.

Der Pokorny geht nicht darauf ein. »Was hast du über die Schrotts?«

»Gut situiert, Geld spielt da wenig Rolle. Haben bis vor zwanzig Jahren in Berndorf gewohnt, dann sind sie nach Vöslau gezogen. In den letzten Jahren gab’s jede Menge Anzeigen der Nachbarin wegen angeblicher gefährlicher Drohungen und Verleumdungen. Sonst nichts.«

»Worum geht es da?«, fragt die Toni.

»Die Nachbarin, eine gewisse Claudia Folkert, wurde mehrfach vom Herrn Schrott bedroht. Angeblich wollte er sie und ihren Köter vergiften. Weil dieser den Vorgarten von dem Ehepaar vollkackt, was die Folkert natürlich bestreitet. Allerdings haben auch andere Nachbarn die Aussagen vom Herrn Schrott bestätigt. Die öffnet einfach die Haustür und lässt ihren Hund raus. Dann uriniert der Irische Wolfshund auf Autoreifen, Blumentöpfe und hinterlässt seine stinkenden Haufen.« Er schmunzelt. »Und wie das stinkt, weißt du ja spätestens seit gestern selber.«

Der Pokorny schüttelt sich. »Unglaublich, was da in Vöslau abgeht. Es ist doch kein Wunder, dass die Leute einen Hass auf Hunde haben. Dabei können die gar nix dafür. Ich geh vom Heurigen raus und bin quasi von Hundehaufen umzingelt. Da soll sich die Wehli mal drum kümmern!«

Der Sprengnagl schmunzelt, weil sich sein Freund so aufregt. »In Baden wurde in den Zeitungen groß von DNA-Tests der gemeldeten Hunde geschrieben. So könnten die Hundehaufen abgeglichen werden. Schau, es gibt einfach rücksichtslose Menschen, und dass manche Hundebesitzer Schweine sind, ist offenkundig.«

»Jeden Tag ärgere ich mich über den zugeschissenen Weg hinaus aufs Feld.« Der Pokorny redet sich in Rage.

»Ja, ja, ist schon gut«, sagt die Toni. »Spricht etwas dagegen, dass wir uns bei den Schrotts umschauen? Einfach so, wir können ja mit der Maxime am Sonnenweg spazieren gehen. Da würde sich dann leicht ein Gespräch einfädeln lassen.«

»Passt aber auf. Sie lässt Kollegen engmaschig patrouillieren. Nach eurer Unterhaltung gerade eben wird das noch engmaschiger passieren.«

»Schon, das sind aber Kollegen von dir. Würden die uns wirklich verpfeifen?«, fragt der Pokorny.

»Die O-Weh hat extra Kollegen aus Baden angefordert, und nicht überall hast du Freunde. Ich würde mich also nicht darauf verlassen. Falls ihr wirklich hinfahren wollt: Das rote Haus gehört den Schrotts, das blaue daneben der Folkert.«

»Warum lässt die Wehli das Haus nicht durchsuchen? Nach dem Leichenfund sollte es kein Problem sein, mit Gefahr im Verzug zu argumentieren.« Der Pokorny ruft die Kellnerin zum Zahlen.

Der Sprengnagl grinst. »Geredet hat die Wehli schon mit der Staatsanwältin, die hat abgewunken. Schließlich ist das Ehepaar laut der Nachbarin verreist. Es gibt vorerst keinen Grund, der für Gefahr im Verzug spricht und damit ein Aufbrechen der Haustür rechtfertigen würde. Die Schrotts können zum heutigen Stand der Ermittlungen nicht mit dem Brand in Verbindung gebracht werden. Ich denke doch, dass sie irgendwie davon erfahren, ihren Urlaub abbrechen und nach Hause kommen werden. Wenn das in den nächsten Tagen nicht passiert, checken wir Kreditkartenabrechnung, Gästeregistrierung und so weiter. Aufgemacht wird das Haus zuallerletzt.«

»Gut, wenn die Wehli keinen Stress hat, spielt uns das in die Hände«, stellt die Toni fest.

»Das Protokoll hab ich vorsorglich gestern noch geschrieben. Wenn wir gleich in die PI fahren, geht’s auch ohne die Chefinspektorin. Die ist noch unterwegs und hat sich für vierzehn Uhr angekündigt.«

Die Toni lacht. »Dann los, muss ja nicht sein, dass sie dabei ist.« Sie begleicht die Rechnung. Wenige Augenblicke später sind sie unterwegs zur PI.

Tatsächlich bleibt ihnen weiteres Ungemach erspart. Zwar sind die anwesenden Kollegen über den Kurzauftritt der Pokornys überrascht, letztendlich aber froh, dass es zu keinem direkten Zusammentreffen mit der Wehli kommt.

Pünktlich um vierzehn Uhr dreißig treffen die Pokornys nach einer entspannten Runde durch den Kurpark beim Café Annamühle ein. Seit letztem Jahr ist die Caféhausrunde größer geworden. Immer öfter taucht vor allem der Heini mit seinem Rollator auf. Nach dem gescheiterten Versuch von der Katzinger und dem Heini, via Tinder einen Partner zu finden, sind die alte Frau und er zusammengewachsen. Zwar weiß niemand so genau, was zwischen den beiden rüstigen Pensionisten läuft, aber sie verstehen sich sehr gut. Heute ist die Stimmung gedrückt. Die Katzinger sitzt mit roten Giesswein-Merino-Runners sowie einem schwarzen Hauskleid und farblich dazu passendem Kopftuch an einem Tisch vor dem Café und rührt murmelnd in ihrer Melange herum.

»Guten Tag«, grüßt die Toni und runzelt die Stirn. »Stimmt etwas nicht?«

Die Katzinger zuckt mit ihren zarten Schultern und löffelt wortlos das Schlagobers vom Kaffee.

»Keine Antwort ist auch eine Antwort«, stellt der Pokorny fest und wendet sich an den Heini. »Was ist los? Geht’s schon wieder um den Stehtisch?«

»Ja, schon … auch.«

»Du sagst gar nix. Das ist allein meine Sache!«, fährt die alte Frau dazwischen.

»Ist schon gut, Liesl, ich halt mich da raus«, meint er verzagt.

Die Toni zieht die Augenbrauen zusammen. »Wir haben das doch schon x-mal besprochen.«

Die Katzinger schnauft. »Ma, ihr redets euch leicht. Schauts euch doch um. Seit dem Umbau ist meine Annamühle nicht mehr das, was sie einmal war. Futsch ist mein Stammplatzerl, jeden Tag muss ich aufs Neue hoffen, dass ich überhaupt einen Platz bekomm.«

Irgendwie stimmt das schon. Vor der Renovierung und der Umgestaltung des Cafés und der Terrasse hatte die alte Frau einen eigenen Stammstehtisch links vom Eingang. Wer reinwollte, musste an ihr vorbei und hat von der »Ich weiß alles über jeden«-Gemeindebürgerin nicht selten einen Schlag mit dem Stock erhalten. Mal, weil ihr die Sicht verstellt wurde, mal, weil ein schiefer Blick auf ihre oft außergewöhnlichen Kleidungsstücke als Provokation aufgefasst wurde. Alles in allem war die zentrale Position strategisch gut. Gerüchte behaupten, der Chef der Caféhauskette habe den ständigen Beschwerden anderer Kunden nachgegeben und beim Umbau den Stehtisch der Katzinger einfach nicht mehr berücksichtigt. Der Eingang wurde von der linken auf die rechte Seite verlegt, und statt des Stehtischs zieren nun Sitzplätze den Bereich. Angeblich fiel der Tisch einer Behindertenrampe zum Opfer, was die alte Frau freilich nicht gelten lassen will. Bezieht sie doch immer alles auf sich.

»Sind Sie also immer noch verärgert? Irgendwann sollten Sie darüber weg sein«, stellt die Toni fest und legt der alten Frau verständnisvoll die rechte Hand auf die Schulter.

Dass die Katzinger die vermeintlich bösen Absichten des Chefs noch nicht verdaut hat, wird klar, als sie die Hand mit dem Griff ihres Stocks wegzieht. »Es ist ja nicht nur so, dass mich der geldgierige Millionär ins Ausgedinge geschickt hat. Nein, auch die griffigen Waschbetonplatten hat er exekutiert. Schaut euch das neue Zeug an, da rutsch ich wie Sau.« Sie steht auf, bewegt zur Demonstration den linken Fuß nach hinten und schleudert ihn ruckartig nach vorne. Prompt verliert sie das Gleichgewicht. Hätte nicht ihr ständiger Begleiter Heini seinen Rollator hastig hinter sie geschoben, wären die Auswirkungen noch schlimmer gewesen. Verletzungen unbestimmten Grades konnten so glücklicherweise verhindert werden. Allerdings stützt sie sich nun panisch auf das wackelige Tischchen, wodurch dieses kippt und alles darauf Befindliche hinunterfällt.

»Kruzitürken«, schimpft sie und entfernt unter Mithilfe der Maxime die Mischung aus Kaffee, Keksen und Schlagobers von ihrem nunmehr fleckigen schwarzen Hauskleid. »Ma, schau dir die schönen Laufschuhe vom Heini an. Hin sind die. Ma, alles wegen dem Chef.« Zusammen mit den hellen Haaren der süßen, aber ewig haarenden Beagle-Dame gibt das nunmehr befellte Hauskleid mit den Giesswein-Merinos ein Bild des Jammers ab.

Als wäre das nicht schon genug Ungemach, hat die empathiebefreite Dagmar auch am Nachmittag Dienst. Die schweigsame, ewig mürrische Angestellte ist schon unter normalen Umständen von Kundenfreundlichkeit ähnlich weit entfernt wie der Pokorny davon, einen Marathon unter vierundzwanzig Stunden zu laufen. Dass es noch unfreundlicher geht, hätte niemand erwartet. Kopfschüttelnd öffnet sie nun die Eingangstür, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und wirft Schaufel und Besen zum umgekippten Tisch am Rand der Terrasse. Dass sie mit diesem Wurf ein dazwischen sitzendes Ehepaar nur knapp verfehlt, interessiert sie wenig. Ohne Kommentar schließt sie die Tür und verschwindet wieder hinter der Theke.

Ihre Art, mit den Kunden umzugehen, ist schon grundsätzlich eine Frechheit. Dass sie aber jetzt gelangweilt im aktuellen Stadtanzeiger der Gemeinde blättert, ist der alten Frau zu viel des Guten.

Mühsam stemmt sie sich hoch, schlittert, auf den Rollator gestützt, mit Besen und Schaufel über die Schlagobersunterlage zur Tür des Lokals und reißt diese auf. »Sag, spinnst jetzt komplett, oder was? Kaum Gäste, blöd dreinschauen, als hättest grade einen Schlaganfall gehabt, und dann so ein Auftritt.« Mit einer heftigen Bewegung schleudert sie der Angestellten Besen und Schaufel über die Theke und verfehlt diese nur knapp. »Mir reicht’s mit dir. Das ist eine Frechheit sondergleichen. Wenn’s dir den Vogel raushaut, dann bitte privat, aber Kunden behandelt man so nicht. Und jetzt hopp, hopp raus mit dir, sonst ruf ich die Kieberei wegen nicht gelungenem Totanschlag an. Zeugen gibt’s ja genug. Außerdem ist es rutschig, und ein gebrochener Oberschenkel in meinem Alter … nicht auszudenken. Also hurtig!«

Spontaner Applaus des Ehepaars begleitet die resolute Frau zurück an ihren Platz. »Jetzt ist sie zu weit gegangen«, grunzt sie abschließend und winkt den Unterstützern huldvoll zu.

Der Pokorny wiegt den Kopf. »Kein schlechter Auftritt. Wird halt in der nächsten Zeit weniger Schlagobers auf Ihrer Melange geben.«

»Wehe, die traut sich, in mein ausgewogenes Ernährungskonzept einzugreifen. Dann ist ganz Schluss mit lustig«, brummt die Katzinger.

Freilich ist von einem überbordenden Engagement der Angestellten jetzt noch weniger auszugehen. Entsprechend werden die vier auch nicht enttäuscht. Langsam schlurft die Dagmar heran, lässt neben der alten Frau Besen und Schaufel fallen und stellt vor dem Chaos ein Schild mit der Aufschrift »Achtung! Rutschgefahr!« auf. Anschließend schleppt sie sich wieder in den Laden und beginnt, tiefgekühlte Semmeln auf das Backblech zu legen.

»Grr, ich glaub, die will mich veräppeln«, zischt die alte Frau und greift nach den Putzutensilien. »Na warte.«

Die Toni hält sie vorsichtig am Arm zurück. »Lassen Sie es gut sein.«

»Aber …«

»Nix, aber«, stimmt der Pokorny zu. »Das führt zu nichts. Wenn sich der Chef so eine Angestellte leisten möchte, dann müssen wir das akzeptieren.«

»Nur deshalb werden Sie aber nicht schwarz gekleidet ins Café kommen. Was liegt Ihnen sonst noch auf der Seele? Da stimmt doch was nicht, ich spüre das«, sagt die Toni und legt prüfend den Kopf schief.

»Mir geht’s gut, alles panetti. Reden wir lieber über die Leiche vom Sandler. Ich glaub nicht, dass das ein Unfall war. Der ist sicher gemeuchelt worden. Ich tipp auf eine Melö-Sache, also eine unter Sandlern.«

»Milieu heißt das«, wirft der Pokorny belehrend ein. »Und paletti.«

»Schauen die Sandler in deinem Milieu anders aus als bei mir?«

»Wieso?«

»Weilst schon wieder so oberlehrerhaft daherschwafelst und Melö oder Mil…«

Die Toni stoppt die Ausführungen. »Stopp! Bei allem, was recht ist. Ihn herabwürdigend als Sandler zu bezeichnen, nur weil er anscheinend illegal in dem Hotel gewohnt hat, ist nicht in Ordnung.«

»Tiefste Schublade«, stimmt der Pokorny zu.

»Bla, bla«, murmelt die Katzinger mit zusammengekniffenen Augen.

Der Heini versucht, die verfahrene Situation zu entschärfen. »Wir haben gehört, dass Sie wieder mittendrin in den Ermittlungen stecken. Soll ja eine ganz schlimme Sache sein. Die Liesl hat erzählt, der Tote wäre verbrutzelt gewesen wie ein Spanferkel am Grill.«

»Wieso erfinden Sie so grausliche Geschichten? Am Toten waren keinerlei Verletzungen zu sehen. Er dürfte knapp vor der Tür gestürzt und an einer Rauchgasvergiftung gestorben sein«, sagt die Toni.

Die Katzinger fühlt sich sichtlich unwohl. »Pah, mir hat’s wer erzählt. Wer absolut Zuverlässiger, ja, ja. Und falls ihr fragt, wer das war: Meine Informantin werde ich nicht preisgeben. Zeugenschutz und so, gell?«

»Dann sollten Sie mit Ihrer Informationsquelle ein ernstes Wort reden. Wir haben die Leiche gesehen, und sie war äußerlich unversehrt«, stellt der Pokorny fest.

Die alte Frau wiegt den Kopf. »Vielleicht hab ich’s auch falsch verstanden und er ist mehr von innen her verbrutzelt. Was weiß ich, ich hör ja nicht mehr besonders gut.« Sie greift sich ohne Vorwarnung ins rechte Ohr. Mit einem saftigen Plopp rauscht der grauslich anmutende Hörstöpsel heraus und klatscht in den Rest vom Schlagobers am Boden.

Sie bückt sich und stierlt ächzend mit ihren rheumatischen Fingern in der bräunlichen Suppe herum. »Ah, da ist er ja«, trällert sie freudestrahlend und legt den triefenden Stöpsel auf das angepatzte Tischchen.

Ruckartig drehen sich die drei weg, weil das Hörgerät noch einmal zu sehen, das muss nicht sein. Die Schlagobersflecken werden sicher nicht zur Aufhübschung beigetragen haben.

»Ma, seids ihr zart besaitet. Heini, von dir bin ich ein bisserl enttäuscht, sonst stört es dich doch auch nicht, wenn ich abends meine Zähne …«

»Passt schon, Liesl«, fährt er rasch dazwischen.

Ob das Gegenteil von Plopp ein Pff ist, kann der Pokorny nicht eindeutig ausmachen, froh ist er jedenfalls, als die Katzinger Entwarnung gibt. »Fertig! Hat was genutzt. Jetzt hör ich besser. Pokorny, Sprechprobe. Eins, zwei … na los! Worauf wartest du?« Zur Beschleunigung klopft sie ihm mit ihrem Stock auf den Knöchel.

Der Angesprochene tritt zur Seite und tippt sich zweimal mit dem Zeigefinger an die Stirn. Bevor die Situation abermals eskaliert, übernimmt die Toni. »Eins, zwei, drei. Und?«

»Fabelhaft, kann ich nur sagen. Fabelhaft. Wo waren wir?«

»Bei der angeblich verbrutzelten Leiche«, kann der Pokorny es nicht lassen.

»Frau Katzinger, Sie wissen doch über jeden in Bad Vöslau Bescheid«, süßelt die Toni in der Hoffnung, die neuerliche Provokation ihres Ehemanns zu übertünchen. »Kennen Sie das Ehepaar Schrott? Wohnt in der …«

»Holzmüllergasse, ich weiß«, fällt sie ihr prompt ins Wort und wirft dem Pokorny einen finsteren Blick zu. »Den Schnösel kenn ich von der Annamühle. Manchmal hat er sich auf ein Zigaretterl zum Stehtisch … also in der guten alten Zeit halt. Egal, er hat sich dazugestellt und wichtig dahergeredet. Sie ist eine Piefkinesin, er ein Steirer, meiner Meinung nach alle zwei ein bisserl gspritzt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, allein die Vorstellung von dem Schrott, wie das Hotel werden soll. Der spinnt doch. Den halben Wald will er abholzen, den Lausturm versetzen, nur damit er genug Platz für sein Sechs-Sterne-Wellenessen-Hotel hat. Nie und nimmer lassen wir uns die Föhren rausreißen. Na gut, mit einer Deutschen bist eh schon schlimm dran, da drehst halt durch, gell?«

Der Pokorny atmet tief ein und wieder aus. »Warum verunglimpfen Sie unsere Nachbarn so? Ich versteh das nicht. Wo liegt Ihr Problem?«

»Problem, Problem, ich hab gar kein Problem mit denen.«

Der Heini hebt die Hand. »Ihr müsst verstehen, die Liesl ist eigentlich in …«

»Die müssen gar nix, und jetzt los, wir haben zu tun. Pfiat euch«, nuschelt sie, hakt sich beim Heini unter, und weg sind die beiden.

Die Toni schaut auf die Uhr. »Mein Spinning-Training ist erst um achtzehn Uhr. Wir hätten also noch genug Zeit, nachzuschauen, ob das Ehepaar wirklich verreist ist.«

Nur wenige Augenblicke später bummeln die beiden mit der Maxime entlang des Sonnenwegs, der einen traumhaften Ausblick auf Bad Vöslau bis nach Großau bietet.

»Die Katzinger wird immer wunderlicher. Was war das grade eben?«

Die Toni zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung, der Heini wollte uns was sagen, da hat sie ihre Siebensachen gepackt und ist weg. Irgendwas verschweigt sie uns.«

Ein paar Minuten später erblicken sie vom Sonnenweg aus die Häuser in der Holzmüllergasse.

»Da dürfte Geld wirklich keine Rolle spielen. Lauter Luxusvillen. Von hier sehen wir nix, wir müssen runter.«

»Wäre fein, geht aber nicht«, murmelt die Toni. Sie zeigt auf eine Lücke zwischen zwei Häusern. »Da steht ein Streifenwagen. Die Wehli hat wirklich Aufpasser geschickt.«

»Das rote Haus müsste es sein, oder?«

»Ja, und das blaue daneben ist das von der Folkert. Los, versuchen wir, eine Lücke zu finden.«

Gerade als sie sich in Bewegung setzen, hören sie hinter sich eine bekannte Stimme. »Der Herr Pokorny samt Gattin. Müssen Sie eigentlich überall auftauchen, wo ich unterwegs bin?«

»Nicht wahr«, sagt der Pokorny, beide drehen sich um und sehen die Zwatzl in ihrem Trainingsanzug. »Haben Sie auch den Sonnenweg verwanzt, oder was? Am besten, Sie sagen jetzt gleich, wo was liegt, dann kann sich die Polizei die Suche sparen und muss auch bei Ihnen zu Hause nicht vorstellig werden. Außerdem können Sie damit Ihre Bürgerpflichten wahren und diesmal vielleicht wirklich zur Aufklärung einer Straftat beitragen.« Seitens der Beagelin herrscht, wann immer sie auf die ostdeutsche Zuwanderin trifft, ein Sturmtief. Bellend baut sie sich vor der Zwatzl auf. »Hör auf«, sagt der Pokorny. »Die seltsame Frau schaut nur böse, tut dir aber nichts.«

»Ich hab da gar nichts verwanzt. Auch wenn ich keine keifende Töle hab, kann ich spazieren gehen, wo ich will«, meint sie spöttisch.

Die keifende Töle lässt sich die Maxime nicht gefallen. Knurrend bewegt sie sich auf die Ostdeutsche zu und wird von der Toni rechtzeitig eingebremst. »Aus!« Im Gegensatz zu den eher laschen Kommandos vom Pokorny werden die vom Frauchen zumeist befolgt.

Weder ihre gewinnende Art noch ihre Stoppelfrisur noch die wuchtigen Militärstiefel und die Kleidung haben sich seit ihrer letzten Begegnung geändert. Den schwarz-rot-goldfarbenen Trainingsanzug der ehemaligen DDR hat sie bisher allerdings lediglich zu Hause getragen. Letztendlich ist sie seit ihren Bespitzelungsaktionen im Thermalbad Vöslau sowieso einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Da gibt es dann wenig zum Tarnen, und die Insignien der DDR-Flagge – Hammer, Zirkel und Ährenkranz – können stolz getragen werden.

»Scherz beiseite. Ist Ihnen hier beim Spazierengehen irgendetwas bei den Häusern aufgefallen?« Er deutet zu den beiden Gebäuden und schaut die stadtbekannte Spionin fragend an.

»Was meinen Sie?«

Die Toni nickt. »Sie haben sicher von dem Hotelbrand gehört. Die Eigentümer sind das Ehepaar …«

»Schrott, ich weiß.«

»Ah, Sie wissen. Obwohl Sie keine Wanzen im Einsatz haben. Wie das?« Der Pokorny legt den Kopf schief und wartet, welche Geschichte ihnen die Deutsche auftischen wird.

»Bei der Waldandacht war ich ja, wie Sie wissen, ganz gut im Geschäft. Ich war einige Zeit für den Schrott aktiv, der wollte, dass ich ein Auge auf sein Hotel hab. Es gab da immer wieder Jugendliche, die sich Saufgelage, Drogenexzesse und einiges mehr geliefert haben.«

»Sie waren aktiv? Jetzt nicht mehr?«, fragt die Toni. »Das kommt mir bekannt vor. Im Bad waren Sie doch auch lange aktiv, und gerade in der Mordnacht …«

»Da haben Sie mich damals mit Ihrem Auftauchen nervös gemacht. Vor einem knappen halben Jahr hat der Schrott ohne Angabe von Gründen den Observierungsvertrag gekündigt.«

Der Pokorny wundert sich über die Redefreudigkeit der Zwatzl. Sonst ist sie so verschlossen und streitet alles ab. Heute ist sie eine richtige Plaudertasche. »Sie mögen ihn nicht, oder?«

»Der hat mir Unfähigkeit und mangelnde Vertragserfüllung vorgeworfen und die Zusammenarbeit beendet«, brummt die Zwatzl. »Warum er nicht mehr wollte, kann ich nicht sagen. Ist mir auch egal. Normalerweise lass ich ja als Kundenservice gerne was zurück zum Beobachten. Bei dem nicht, sollen sich doch die Jugendlichen wieder austoben.«

»Haben Sie in der Zeit, in der Sie für ihn aktiv waren, irgendetwas beobachtet, das mit dem Brand in Zusammenhang stehen könnte? Waren damals schon die zwei Obdachlosen im Hotel?«, fragt die Toni.

»Mischen Sie sich schon wieder ein?«

»Wir sind diesmal direkt betroffen«, meint der Pokorny.

»Ich weiß …«

Der Pokorny grinst. »Ups, verraten. Also sind Sie dort doch noch aktiv. Bespitzeln Sie eigentlich immer noch Ihre Nachbarn?«

Die Zwatzl beschäftigt Bad Vöslau schon seit mehreren Jahren. Bei der Auflösung des ersten Falls konnte dank eines Hinweises vom Pokorny umfangreiches Abhörequipment bei ihr sichergestellt werden. Gartenzwerge mit Fernrohr, Kameras und Mikrofone in Steinimitaten wurden in ihrem Haus und dem Bunker im Garten gefunden. Als die Tochter eines ehemaligen Stasioffiziers die Abneigung der Vöslauer ihr gegenüber verspürte, fuhr sie auf längeren Heimaturlaub. Letztes Jahr ist sie dann wieder aufgetaucht, natürlich mit weiterentwickeltem Spionagematerial. Die nachgebaute Hummel und die Schnecke, ausgestattet mit WLAN, Kamera und Mikrofon, haben für einiges Aufsehen gesorgt.

»Das geht Sie gar nichts an. Tut mir echt leid, aber ich muss jetzt, tschüss.« Betont eilig läuft sie am Weg zurück, schlägt einen Haken nach links und verschwindet unter dem freudigen Gebell der Beagelin im dichten Gebüsch.

Der Pokorny übergeht seinen Ärger über die deutsche Verabschiedung und schreit: »Dann müssen wir Sie halt wieder zu Hause besuchen! Hätten wir uns gerne erspart.« Er bekommt keine Antwort mehr. Im dichten Wald hören sie ein leises Rascheln und sehen die goldene Reflexion des Trainingsanzuges, dann ist es ruhig. »So wie die drauf ist, weiß die genau, was beim Hotel gelaufen ist.«

»Und warum der den Vertrag wirklich gekündigt hat. Das muss ich dem Sprengi schreiben.«

– zwatzl getroffenhat fuer den schrott das Hotel ueberwachtvertrag wurde ueberraschend vor einem halben jahr gekuendigt

»Mal schauen, was er damit anfängt. Ist schon komisch, unter fadenscheinigen Gründen zu kündigen, und dann brennt die Hütte ab.«

»Gut möglich. Pst!« Die Toni kneift die Augen zusammen und lauscht. »Hörst du das auch?«

»Die Augen des Gesetzes kommen uns besuchen, schnell weg!«, bestätigt der Pokorny die Vermutung, und beide huschen ein paar Schritte den ausgetretenen Pfad, auf dem die Deutsche soeben verschwunden ist, hinauf.

Die Stimme der Wehli knarzt durch das Funkgerät eines heraneilenden Polizisten. »Bei dem roten Haus wurden sie gesichtet. Ja, aufs Revier mitnehmen, es sind noch Fragen offen.«

»Negativ, da ist niemand.«

»Die können nicht weit sein, der Pokorny schafft mit seiner Wampe keinen raschen Abflug. Einer bleibt stehen, die Kollegin schaut sich im Wald um. Ende!«

»Frechheit«, flüstert der Pokorny und hält der Maxime sicherheitshalber die Schnauze zu. Er weiß aus Erfahrung, dass sie auf die Stimme der Chefinspektorin gerne lautstark reagiert. »Rückweg versperrt, durch den dichten Wald finden wir nie raus. Wieso haben die uns überhaupt gesehen?«

»Wahrscheinlich ist den beiden die Zwatzl in ihrem abartigen Trainingsanzug aufgefallen. Noch dazu, wo die Sonne direkt herscheint, die goldene Farbe muss wie ein Scheinwerfer gewirkt haben.«

Der Pokorny tippt ihr auf die Schulter. »Oder sie haben die Maxime gehört. Schau, die hat den ausgetretenen Weg gesehen und kommt auf uns zu.« Er greift nach einem Holzstock.

»Willi, was soll das? Willst du sie niederschlagen? Lass das!«

»Unfug, ablenken.« Er holt aus und wirft den Stock in die Richtung, aus der die Polizistin kommt.

Die Finte funktioniert. Die Beamtin läuft zu der Stelle, wo der Stock aufgeschlagen ist.

»Jetzt los!«, flüstert die Toni. Langsam, um nur ja keine verdächtigen Geräusche zu machen, schleichen sie den Pfad entlang. »Schnell, die können uns nicht sehen.«

Gut, ein Kurzstreckenläufer ist der Pokorny nicht, also eher gar kein Läufer. Außer ausgedehnten Gassirunden mit der Maxime gibt es Bewegung für ihn nur mit seinem dunkelgrünen E-Bike. Bei seinem letzten heldenhaften Einsatz wurde die froschgrüne Vorgängerversion zerstört. Die Bürgermeisterin hat es sich nicht nehmen lassen, dem Ehrenbürger der Stadtgemeinde ein neues Rad zu schenken. Mit stärkerer Watt-Leistung. Allerdings hilft ihm das jetzt auch nicht weiter. Keuchend erreichen sie den Parkplatz Lange Gasse, der Pokorny lässt sich erschöpft auf eine Bank fallen.

»Meine Herren, kaum gibt’s eine Leiche, wird’s schon wieder stressig.«

Die Toni, fit wie ein Turnschuh, verzieht das Gesicht. »Dann beweg dich halt mehr, ehrlich. Die paar Meter sollten ohne Herzinfarkt schon gehen.«

»Gehen ja, aber nicht laufen. Scherz beiseite, ab nach Hause, ich fahr zum Berti, schauen, ob die Zwatzl noch bei ihm einkauft.«

Während die Toni vor ihrer anstrengenden Spinning-Stunde im Fitnesscenter noch rasch einige Einkäufe erledigt, steigt der Pokorny gut gelaunt auf sein E-Bike. Also eigentlich ja Elektrofahrrad, weil seine Abneigung gegen anglophile Ausdrücke ist pathologisch und wird sich in diesem Leben auch nicht mehr ändern. Der Maxime ist die Bezeichnung egal, lediglich die Transportbox, die am hinteren Kotflügel montiert ist, stört sie. Als stolze Beagelin ist es ihr peinlich, in einer Box transportiert zu werden. Aber wer kümmert sich schon um ihr Seelenleben?