Mordsradau in Bad Vöslau - Norbert Ruhrhofer - E-Book

Mordsradau in Bad Vöslau E-Book

Norbert Ruhrhofer

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Beschreibung

Humorvolle Mörderjagd im mondänen Kurstädtchen. Eigentlich wollten die Pokornys nach einer anstrengenden Tagestour durch Wien in Ruhe beim »Tatort« entspannen. Da steht plötzlich der Obmann des Triestingtaler Immobilienverbands vor der Tür und bittet das Ehepaar um Hilfe: Zwei Maklerkollegen haben unter mysteriösen Umständen das Zeitliche gesegnet. Kurz nachdem die »Freizeitpolizisten« die privaten Ermittlungen aufgenommen haben, stirbt eine weitere Maklerin, und sie soll nicht die Letzte sein …

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Norbert Ruhrhofer, geboren 1968 in Wien, arbeitete zunächst als kaufmännischer Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Er studierte im zweiten Bildungsweg Rechtswissenschaften und war danach bei einem namhaften österreichischen Informationsdienstleistungsunternehmen tätig. Im Alter von fünfundvierzig Jahren zog er von Wien aufs Land und entdeckte seine Leidenschaft fürs Schreiben. Er lebt mit seiner Frau in Bad Vöslau, südlich von Wien.

Ein Blick auf die Webpage des Autors zahlt sich schon während des Lesens dieses Krimis aus. Nehmen Sie anschließend das Buch zu den Schauplätzen mit, lernen Sie via Krimi-Geocaching verborgene Orte kennen und genießen Sie dabei so manche kostenlose Spezialität aus der Region. Mehr zu den teilnehmenden Unternehmen finden Sie im Blog der Website unter www.norbert-ruhrhofer.at.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind, außer in einem Fall, nicht gewollt und rein zufällig. Im Gegensatz dazu tragen alle Ortsteile, Sehenswürdigkeiten, Lokale und Geschäfte ihre tatsächlichen Namen. Die Protagonisten essen und trinken im Krimi, was es dort tatsächlich kulinarisch auszuprobieren gibt. Einzig den Bioladen vom Bio-Berti, die erwähnten Privatimmobilien sowie das Büro eines Maklers gibt es in Wirklichkeit nicht.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Hans Braxmeier/Pixabay.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Uta Rupprecht

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-986-0

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Literaturagentur Drews, Augsburg.

Für meine Testleserinnen und Testleser – die besten auf der Welt

Personenliste

Willi Pokorny: fünfundvierzig Jahre alt, faul, unsportlich und je nach Jahreszeit entweder mit seinem froschgrünen E-Bike oder einem dreißig Jahre alten Ford Escort unterwegs. Derzeit arbeitslos, unterstützt er seinen Freund bei der Auslieferung von Bioprodukten.

Toni Pokorny: Die allerbeste Ehefrau der Welt steht kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag, ist sportlich und engagiert sich, um Kindern Literatur näherzubringen. Sie arbeitet Teilzeit in der Gemeindebücherei, ernährt sich gesund und wünscht sich ein Kind.

Maxime (Beagledame): Die Hündin ist ein vollwertiges Familienmitglied der Pokornys und ihr derzeitiger Kinderersatz.

Gruppeninspektor Friedrich Sprengnagl: Kriminalbeamter im Bereich Leib und Leben in Bad Vöslau und langjähriger Schulfreund vom Pokorny. Er ist der Intimfeind der Chefinspektorin Wehli, die früher seine Chefin war und ihn jetzt für alle kriminalpolizeilichen Aktivitäten anfordert, welche die Stadtgemeinde betreffen.

Chefinspektorin Ottilia Wehli: fünfunddreißigjährige Kriminalbeamtin, gewöhnlich in schwarzer Ledermontur und schwarzem Helm mit einem silberreflektierenden Totenkopf auf ihrer 1200er BMW unterwegs. Sie will Leiterin des LKA werden, hat Probleme mit dem Sprengnagl wegen einer gemeinsam vergeigten Soko und einem gescheiterten Grundstückskauf.

Liesl Katzinger: eine neugierige alte Frau, weiß über alles und jeden in Bad Vöslau Bescheid, steht meist kettenrauchend vor dem Café Annamühle, spricht Wörter häufig falsch oder sinnentfremdet aus.

Bio-Berti: Schulfreund vom Pokorny und vom Sprengnagl, hat sich in Großau (einem Ortsteil der Stadtgemeinde Bad Vöslau) ein Geschäft aufgebaut, in dem er neben Bioprodukten mit Vorliebe Magic Mushrooms verkauft.

Tatjana Walcha: ehemalige Schulfreundin der Toni, jetzt Chefin der Stadtbücherei Bad Vöslau.

Die Hanifl: unbeliebte Doppelhausnachbarin der Pokornys.

Karl Mochacek: Immobilienmakler und Obmann des Triestingtaler Immobilienverbands.

Balduin Taschner: Mitarbeiter vom Mochacek.

René Vondrasek, Susanne Zangerle, Fritz Franter, Trude Smolle, Hans Buxeneder, Barbara Luckinger, Gustav Grebner: Immobilienmakler.

Dietmar Jäckel: Grünpolitiker, Vizebürgermeister der Stadtgemeinde Baden.

Friedrich Schlatzer: FPÖ-Gemeinderat der Stadtgemeinde Baden.

Familie Rottenschlager: Immobiliensuchende aus München.

Bernhard Wagner: Fahrer der Badner Bahn.

Jolanda Hasenbüffel: Pächterin des Campingplatzes in Berndorf.

Roswitha (Rosal) Fratelli: Putzfrau und Freundin der Katzinger.

Sonntag, 12. Dezember

»Sakrahaxn!« Ein heftiger Schlenker der Badner Bahn lässt den Pokorny zum wiederholten Mal aus dem Halbschlaf aufschrecken. Die Lokalbahn fährt von der Wiener Staatsoper bis nach Baden und wechselt während der knapp einstündigen Fahrt mehrmals von der einen auf die andere Seite der parallel zur Strecke verlaufenden Bundesstraße 17. Pflichtbewusst hat er mit der Toni, der allerbesten Ehefrau der Welt, sowie der Beagelin Maxime die alljährliche weihnachtliche Ochsentour über mehrere Wiener Christkindlmärkte absolviert. In diesem Jahr waren der Markt beim Rathausplatz, der beim Kunst- und Naturhistorischen Museum und der am Spittelberg an der Reihe. Überlebt hat er nur dank der Konsumation von vier Amaretto- und zwei Apfelpunschen, einem Bauernkrapfen, zwei Schaumbechern und einem fetten Langos. Müde und leicht berauscht lehnt er an der Fensterscheibe der Bahn. Bei jeder Weiche hebt sich sein Kopf kurz und knallt gleich darauf gegen die Scheibe. »Blöde Idee, mit der Badner Bahn zu fahren.«

»Dann hättest du halt nicht so viel getrunken«, sagt kichernd die Toni, selbst von mehreren Proseccos beschwipst. Sie greift nach der Gratiszeitung »Gestern«, deren Informationsgehalt gerade für zwei Haltestellen reicht und die beim Verlassen am Sitz liegen gelassen wird. »Vielleicht hält dich das Schmierblatt wach.«

Grantig greift er nach der verknitterten Zeitung und beginnt zu blättern. »Schau dir das an, Toni, schau dir das an!« Er tippt mehrmals mit dem Finger auf einen Artikel auf der dritten Seite. »Als hätten wir auf der Welt keine anderen Probleme.«

MORD ODER UNFALL?

(Baden bei Wien, Josefsplatz)

Knapp vor Mitternacht wurde gestern die Immobilienmaklerin Susanne Zangerle von einem Zug der Badner Bahn überrollt. Die Verunglückte, der laut einem Rettungssanitäter des Roten Kreuzes beide Beine abgetrennt wurden, verstarb noch an der Unfallstelle an ihren schweren Verletzungen. Nur wenige Minuten später war unser Reporter bei den mit Blut überschwemmten Gleisen der Lokalbahn, allerdings wurde er unter Missachtung der Pressefreiheit von der Polizei an einem Gespräch mit dem Unglückslenker W. gehindert. Laut einem Rettungssanitäter gab der Lenker bei der ersten Befragung zu Protokoll, dass die Verunglückte von einer dunkel gekleideten Gestalt vor die Badner Bahn gehetzt wurde. Die beliebte Maklerin dürfte auf dem Rückweg von einem Bankomat in ein bekanntes Badener Steaklokal gewesen sein. Wieso schließt die Polizei trotz der glaubhaften Angaben des Fahrers einen hinterhältigen Mordanschlag aus und spricht stattdessen von einem Unfall?

Unser Reporter bleibt selbstverständlich dran und wird in den Folgeausgaben unserer Zeitung weiter berichten.

»Was wunderst du dich über so etwas? Die Zeitung lebt von Inseraten, und die verkaufen sich mit reißerischen Artikeln am besten.«

»Trotzdem … so ein Geschwafel, ›mit Blut überschwemmte Gleise‹. Selbst wenn die dort ausgeblutet wäre, fünf bis sechs Liter Blut ergeben doch keine Überschwemmung.«

Die Toni schüttelt sich. »Brr, ist das nicht egal? Alleine die Vorstellung von abgetrennten Beinen reicht, um mir den Abend zu vermiesen.«

»Tja, Zuckerschnecke, dann hättest mir halt das Revolverblatt nicht geben dürfen. Endstelle ist der Josefsplatz. Dann können wir uns«, er zieht die Augenbrauen nach oben, »gleich mal den Ort der Bluttat ansehen.«

»Bärli, über einen Mordanschlag ventilieren die Sensationsreporter doch nur, um die Auflage zu steigern. Gib weg den Schund, es reicht. Blutlachen suche ich heute sicher keine mehr. Ich steige jetzt nur mehr in ein Taxi, und ab geht es in die Badewanne.«

»Auch recht, ich bin sowieso streichweich. Eine schnelle Dusche, und dann nichts wie auf die Couch. Mit dem Tatort wird’s eh knapp.« Nach einem raschen Blick auf die Uhr reißt er plötzlich einen Mörderstress auf. Weil am Sonntagabend zur Primetime wird bei den Pokornys immer Tatort angeschaut, und über dem Stress mit den Weihnachtsmärkten hat er vergessen, die Sendung aufzunehmen.

Zum Glück steht bei der Endstelle am Josefsplatz ein freies Taxi. Knapp fünfzehn Minuten später biegt der Fahrer in Bad Vöslau von der Hauptstraße ab und bleibt vor der Einfahrt zur Pokorny’schen Doppelhaushälfte stehen.

Gerade als sich der Pokorny, nach einer Blitzdusche, mit einem behaglichen Seufzer zurücklehnt und einen Schluck von seinem herrlich cremigen Espresso nimmt, läutet es an der Haustür.

»Wenn das wieder die Katzinger ist, zuck ich aus!« Prompt schwappt ihm der Kaffee auf die neue Couch.

Die Toni runzelt die faltenlose Stirn. »Du, Bärli, ich zucke auch gleich aus, schau dir den Fleck an!« Sie springt auf, um ein Tuch zum Reinigen zu holen.

»Ja, ja, ich weiß schon«, brummt er. »Aber das ist jetzt nicht meine Schuld … Ich mein, ehrlich, um die Zeit … Kannst du bitte nachschauen, wer …«

»Nein!«, wird er rüde unterbrochen. »Sicher nicht, mir reicht schon die Wirtschaft, die du da angerichtet hast. Außerdem war eure lautstarke Diskussion vom letzten Mal schlimm genug.«

Ja, das war vor knapp sechs Monaten schon eine unangenehme Sache. Nach der Aufklärung der Morde rund um das Ehepaar Lieblich saßen die Pokornys mit ihrem Freund, dem Gruppeninspektor Sprengnagl, am Sonntagmittag im Weingut Schlossberg gemütlich beim Mittagessen. Da wurde die an der Aufklärung des Falles nicht unwesentlich beteiligte alte Frau Katzinger, eine bekannte Gemeinde-Tratschtante, vom Huber-Bauern mit dem Traktor bei dem bekannten Heurigenlokal vorbeigebracht. Um das jetzt abzukürzen: Als sie wieder einmal ihre Hühneraugen herzeigen wollte, haben die drei sie allein am Tisch sitzen gelassen. Die Katzinger hatte sich für die Abfuhr auf ihre Art gerächt und just um zwanzig Uhr fünfzehn bei den Pokornys angeläutet und damit die Vorfreude auf den neuen Österreich-Tatort gestört. An die nachfolgende Auseinandersetzung erinnert sich das Ehepaar mit Schaudern.

Während die Toni zur Sicherheit den Tatort aufzeichnet, öffnet der Pokorny mit einem Ruck die Haustür. Beim Anblick von Karl Mochacek, eines alten Bekannten vom Sprengnagl, ist er zwar überrascht, aber nicht weniger verärgert. Den Obmann des »Triestingtaler Immobilienverbands« braucht er um diese Zeit genauso wenig wie die alte Frau Katzinger.

Nachdem er die bellende Beagelin beruhigt und auf ihren Platz geschickt hat, schnauzt er den unwillkommenen Besucher ohne Begrüßung an: »Kommen S’ morgen wieder, jetzt passt ’s grad gar nicht.« Damit wirft er die Tür ins Schloss.

Die Toni rollt die Augen. Noch bevor er sich wieder setzen kann, klopft es laut.

»Geh bitte«, grummelt der Pokorny in seinen Dreitagebart, »kann sich der nicht schleichen?«

»Glaubst du, dein kindisches Verhalten hilft uns weiter? Los, mach auf, ich nehm die Sendung auf.«

Kaum ist die Tür offen, redet der Mochacek los. »Entschuldigen Sie die späte Störung, ich weiß, Sie wollen um diese Zeit in Ruhe fernsehen …«

»In der Tat. Also?«

»Es ist ein Notfall.«

»Aha, ein Notfall. Wollen Sie mir jetzt mit der Mitleidstour kommen, oder was? Woher haben Sie überhaupt unsere Adresse?«

»Die … die hab ich vom Gruppeninspektor Sprengnagl bekommen. Er war mir noch was schuldig … also, er hat gemeint, ich kann mich an Sie wenden.«

»Nie und nimmer würde Sie der Sprengnagl am Sonntagabend zu uns schicken! Da müssen Sie sich schon eine bessere Ausrede einfallen lassen.«

»Aber … es handelt sich wirklich um einen Notfall!«, insistiert der sichtlich entnervte Besucher.

Mittlerweile hat sich die Toni zu den beiden gesellt. »Lass ihn doch erst einmal ausreden! Wenn es schon so ein Notfall ist.«

Der Pokorny ärgert sich, dass ihm die allerbeste Ehefrau der Welt in den Rücken fällt. »Eine Frage: Ist einer der Atomreaktoren in Mochovce, Paks, Dukovany oder Temelin in die Luft geflogen?« Als der ungebetene Besucher verneint, fährt er fort: »Sie haben auch weder ein Messer im Rücken stecken, noch scheinen Sie sonst in Bedrängnis zu sein. Ich seh also weit und breit keinen Notfall.«

»Willi, lass gut sein!« Die Toni schnaubt, was bei ihr ein Alarmzeichen für großen Ärger ist. »Kommen Sie doch rein. Wenn es so eilt, machen wir halt eine Ausnahme. Außerdem braucht Sie unsere Nachbarin, die Frau Hanifl, nicht zu sehen. Sonst ist Ihr Besuch morgen Tagesgespräch in Bad Vöslau.«

Als der Mochacek einen Schritt über die Schwelle macht, bremst sie ihn rasch ein: »Und ziehen Sie bitte die Schuhe aus.« Weil auch bei ihr gibt es Grenzen. Selbst wenn trotz der Adventszeit gerade frühlingshafte Temperaturen herrschen, den Feinsplitt vom letzten Schneefall braucht sie nicht im Haus.

Nachdem der Mochacek ein Achterl Zweigelt vom Brunngassenheurigen eingeschenkt bekommen hat, setzt er sich auf einen der gemütlichen hellgrauen Lederschwingsessel im Wohnzimmer. »Der Gruppeninspektor Sprengnagl hat mich natürlich über Ihre Vorliebe für die Tatort-Serie informiert und mich gebeten, erst morgen …« Er hält inne, zieht verkrampft die Mundwinkel auseinander und kramt aus seiner Manteltasche die ihnen schon bekannte Ausgabe der »Gestern« sowie das »Kronenblatt« heraus. »Aber … ich … wir, also …«

»Was jetzt …? Wenn’s geht, bitte in ganzen Sätzen«, drängelt der Pokorny.

»Der Vorstand des Triestingtaler Immobilienverbands hat ein Problem … Kennen Sie den Artikel über den Unfall mit der Badner Bahn?« Er fächert die »Gestern« bis zu dem reißerischen Artikel auf.

»Ja, kennen wir, und in der anderen Zeitung wird ähnlicher Müll drinnenstehen. Wenn Sie sachdienliche Hinweise haben, wenden Sie sich einfach an die Exekutive.«

Zu dem Schnauben der Toni gesellt sich ein Augenrollen, das ihn unmittelbar verstummen lässt, weil dann Feuer am Dach ist. Seine geliebte Ehefrau ist eine besonnene und ausgeglichene Frau, aber wenn bei ihr Schluss mit lustig ist, lässt der Pokorny Widerstand am besten bleiben. Es gibt da für ihn nichts zu gewinnen, und die Kombination Augenrollen mit Schnauben, mehr geht nicht.

»Ist schon gut, also reden Sie sich Ihr Problem so schnell wie möglich von der Seele«, fordert er daher den Besucher mit wedelnden Händen auf.

»Am 8. und 11. Dezember sind zwei Maklerkollegen aus unserem Vorstand unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Der René Vondrasek ist von einer Terrasse in Perchtoldsdorf gefallen, die Susi Zangerle wurde von einer Garnitur der Badner Bahn in Baden überrollt. Und ich glaube nicht, dass das Unfälle waren.«

Die Toni saugt Luft an und bläst sie zwischen den Lippen wieder aus. »Pfff, furchtbar. Sie kennen die arme Frau sogar! Aber wieso kommen Sie damit zu uns? Wenn Sie an der Unfallversion zweifeln, sollten Sie sich wirklich am besten an die Polizei wenden.« Ihr Ehemann nickt zustimmend.

»Das ist nicht so einfach. Ich meine … Sie kennen über den Gruppeninspektor Sprengnagl sicherlich die Probleme, die ich mit der Chefinspektorin Wehli habe? Wegen der Sache mit …«

»Soweit ich vom Sprengnagl weiß, haben Sie von ihm Schwarzgeld kassiert und sich dadurch den Ärger mit ihr zugezogen«, unterbricht ihn der Pokorny.

»Ja, ja, stimmt schon. Normal würde die Wehli von Ermittlungen durch andere Kollegen ja nichts mitbekommen. Allerdings hat sie laut dem Sprengnagl im Computersystem der Polizei eine Art Alarm eingerichtet. Sobald mein Name eingegeben wird, bekommt sie automatisch eine Nachricht. Verstehen Sie? Und dann hab ich die Furie am Hals.«

»Bei Ihnen auch?« Der Pokorny grinst das erste Mal, seitdem er die Tür geöffnet hat. »Ich dachte, nur bei mir macht sie das.«

»Sehen Sie die Bredouille, in der ich mich befinde?«, schnauft der ungebetene Gast und fährt sich hastig über die Glatze.

Der Pokorny beäugelt ihn belustigt. »Und der Sprengnagl als Ihr ehemaliger Kunde kann da gar nix für Sie machen?«

»Nein … er hat ja mit ihr selber genug Schwierigkeiten. Eben wegen des Grundstücks, das ich ihm und nicht der Chefinspektorin vermittelt hab … Aber das wissen Sie selbst am besten.«

Die Toni wird langsam ungeduldig. »Was können wir jetzt für Sie tun?«, fragt sie und negiert dabei den Blick des Mochacek von seinem leeren Weinglas zur noch gut gefüllten Flasche. Sie hat auch bald genug von der sonntäglichen Störung.

»Na ja, es gab … gibt Probleme mit einem Immobilieninteressenten, einem gewissen Rottenschlager aus München. Der Vorstand des Immobilienverbands hat wegen der Teambildung im November eine gemeinsame Wanderung von der Cholera-kapelle zum Eisernen Tor am Hohen Lindkogel gemacht. Im Schutzhaus sind wir dem Rottenschlager begegnet, da hat der mächtig Stunk gemacht und die Zangerle und den Vondrasek verprügelt. Warum, weiß ich nicht, aber er war dermaßen in Rage, dass wir ihn nur mit Hilfe anderer Gäste bis zum Eintreffen der Polizei festhalten konnten.«

»Haben die Beamten den Vorfall aufgenommen?«

»Ja. Anfänglich wollten meine Kollegen die Sache nicht groß aufbauschen und haben sogar auf eine Anzeige verzichtet. Der Rottenschlager hat aber darauf bestanden und sich dann selbst angezeigt. Da blieb beiden nichts anderes über, als wiederum ihn wegen Körperverletzung anzuzeigen.«

»Eine Selbstanzeige? Was war denn der Grund für seinen Auszucker?«, will der Pokorny wissen.

»Keine Ahnung.«

Er glaubt dem Mochacek kein Wort. »Sie müssen bei der Aufnahme der Anzeigen doch mitbekommen haben, warum er das gemacht hat? – Also, warum hat er Ihre Kollegen verprügelt?«

»Nein, ich kann Ihnen darüber nichts sagen. Die Polizei hat den Randalierer in einem separaten Raum vernommen.«

»Und Sie glauben, der Münchner hat die beiden später aus Rache ermordet und das Ganze wie Unfälle ausschauen lassen?«, erkundigt sich die Toni ungläubig. »Ein bisschen weit hergeholt, nicht wahr?«

»Was ist schon weit hergeholt? Der Vorfall im Schutzhaus hat sich im November abgespielt, ein paar Wochen später sind sie alle beide tot. Schon seltsame Zufälle, diese Unfälle, oder?«, ereifert sich der Obmann. »Ich hab mit dem Sprengnagl darüber gesprochen. Es gibt keine Hinweise auf Fremdverschulden und damit auch keine offiziellen Ermittlungen. Vielleicht sind es ja auch wirklich nur tragische Unfälle, ich wäre beruhigt, wenn Sie das feststellen könnten. Aber dieser Reporter schreibt, dass bei der Zangerle auch ein Mord nicht ausgeschlossen werden kann, und … Also, der rabiate Kunde ist immer noch auf Immobiliensuche in der Gegend, wer weiß … Der Gruppeninspektor wird Ihnen sicher mehr über die Unfälle erzählen können. Sie arbeiten mit Ihrem Freund … ja eng zusammen, oder?«

Ja, da hat der Mochacek schon recht. Die zwei Freunde kennen sich seit der Schulzeit und wollten beide Polizisten werden. Gut, der Sprengnagl hat es geschafft, anders als der immer schon ein wenig dickliche und unfitte Pokorny, der bei der Aufnahmeprüfung zur Polizeischule mehrmals gescheitert ist. Trotzdem ist er immer noch an der polizeilichen Tätigkeit seines Freundes interessiert, und so plaudern sie auch über den einen oder anderen Fall.

Klar setzt der Datenschutz den Freunden gewisse Grenzen, weil der Kripobeamte Sprengnagl verständlicherweise keine Akten aus der Hand geben kann. Außer der Pokorny ist, wie bei der Sache um das Ehepaar Lieblich, sowieso an vorderster Front dabei. Dann ist die stillschweigende Akteneinsicht garantiert und der Datenschutz auf Urlaub.

»Sie beide waren im Frühjahr bei den Vorfällen in der Bogengasse sehr erfolgreich und haben der Polizei gezeigt, wo der Bartel den Most herholt. Da habe ich mir gedacht, Sie könnten mir … also, dem Vorstand helfen.«

»Wie soll das gehen?«, wehrt sich der Pokorny beherzt. »Ich wüsste nicht einmal, wo wir anfangen sollten.«

»Sie könnten mit meinen Kollegen reden. Vielleicht finden Sie auch den Rottenschlager … was weiß ich?«

»Wissen Sie, wir sind aufgrund eigener Erfahrungen Maklern gegenüber eher misstrauisch«, sagt der Pokorny, und die Toni verzieht das Gesicht. Der Weg zur Doppelhaushälfte in Bad Vöslau war ein langer, mit einer Vielzahl unnötiger Besichtigungen. Trotz klar definierter Wünsche wurden den Pokornys von mehreren Maklern Häuser und Wohnungen präsentiert, die weit weg vom angeforderten Profil lagen. »Warum sollten wir für Sie etwas tun?«

»Ich zahle Ihnen fünfhundert Euro pro Tag und dazu noch die Spesen. Wäre das nicht ein guter Grund, um aktiv zu werden?« Der Mochacek schaut zögerlich zwischen den beiden hin und her.

Der Pokorny nickt. »Unabhängig vom Erfolg, versteht sich.« Er lässt dem ungebetenen Besucher keine Zeit, die Zahlung an eine Gegenleistung zu knüpfen. »Aber wir würden gerne vorher Ihre Kollegen kennenlernen und uns erst dann endgültig entscheiden. Geld ist schön und gut, wenn aber die Chemie nicht passt, lassen wir’s bleiben.«

»Der Vorstand trifft sich morgen Abend zu einer Sitzung in der Vöslauerhütte. Das wäre eine gute Möglichkeit, alle kennenzulernen. Passt neunzehn Uhr für Sie?«

»Warum ausgerechnet dort?«, fragt der Pokorny. »Würde es nicht auch der Bierhof tun?«

»Nein, zu viele Leute. In der Schutzhütte sind wir unter uns, am Montag ist dort geschlossen. Wir wechseln uns da mit der Harzberghütte ab. Ist eine langjährige Tradition. Also sehen wir uns?«

Die Toni zwinkert ihm zu. »Ich denke, ja.« Sie geht voran, öffnet die Eingangstür und verabschiedet den ungebetenen Gast.

»Ich danke Ihnen beiden, entschuldigen Sie noch einmal die Störung … Ja, und eines noch.« Er blickt unsicher drein. »Bitte kein Wort zur Polizei … also, außer zum Sprengnagl natürlich. Gute Nacht.«

Kopfschüttelnd setzt sich der Pokorny auf die Couch. »Der hat Nerven, scheißt sich wegen der Wehli an, und wir sollen die heißen Kohlen angreifen. Es wird nicht lange dauern, bis sie davon Wind bekommt und dann …«

»Dann kracht es wieder zwischen euch, meinst du, oder? Dann halte du dich halt ein wenig zurück und denk schneller, als du redest. Dann wird sie mit dir als ›Freizeitpolizisten‹ weniger ein Problem haben.«

Die Toni spielt auf ein weinlauniges Interview an, das der Pokorny einem Reporter des Kronenblattes im Badener Casino gegeben hat. Alkoholisiert hatte er damals der Chefinspektorin einige Fehler bei der Lösung der Soko Friedhof in Sankt Pölten unterstellt und war nur haarscharf an einer Verleumdungsklage vorbeigeschrammt. Seither hat die Wehli ein Auge auf den »Freizeitpolizisten«, wie sie ihn nennt.

»Hm, ich schreib dem Sprengi eine Nachricht, weil so geht’s ja auch nicht. Fragen, ob uns das passt, hätt schon drin sein müssen, nicht wahr?« Er nestelt grantig nach seinem uralten Nokia.

»Nein, lass mich das machen. Ich schick ihm eine diplomatische WhatsApp.« Die Toni grinst und drückt ihrem Bärli ein Busserl auf die Wange.

Was war das gerade mit dem Mochacek? We are not amused, you know, Tatort und so 

Auch wenn die WhatsApp der Toni spaßig gemeint ist, zaubert es den Pokorny ordentlich. Kämpft er doch rigoros gegen den Zerfall der deutschen Sprache durch die Welle der, wie er es nennt, Verenglischung. »Du wirst sehen, eines Tages reden wir alle nur mehr Englisch.« SMS, WhatsApp, Apps, Cloud, Facebook und so weiter sind ihm ein Gräuel.

Als hätte der Gruppeninspektor schon auf eine Nachricht gewartet, langt unverzüglich eine Antwort von ihm ein.

– So ein Vollidiot!! Ich habe ihm extra gesagt, er soll euch heute Abend in Ruhe lassen. Sorry

– Passt schon. Treffen wir uns morgen zu Mittag beim Heurigen Schachl?

– Zwölf Uhr dreißig, ich reserviere für uns einen Tisch.

– Bring die Anzeigen vom Eisernen Tor und die Unfallprotokolle Z. und V. mit. Und komm mir nicht mit Datenschutz, du hast uns die Sache eingebrockt!!!

– 

Montag, 13. Dezember

Der Pokorny wird um sechs Uhr dreißig ganz von allein wach. Na ja, wach ist jetzt nicht der richtige Ausdruck. Es ist eher ein diffuses Gefühl, das an ihm zerrt und ihn dem Schlaf zu entreißen versucht. Nach dem gestrigen Abend ist er wie gerädert und kann kaum klar denken. Als der Mochacek endlich bei der Tür draußen war, haben die Toni und er noch je eine Flasche Veltliner vom Schachl beziehungsweise Frizzantino vom Weingut Schlossberg getrunken. Ruhe ist in der Doppelhaushälfte erst gegen zwei Uhr eingekehrt.

Klar macht sich das jetzt bemerkbar. Ihm ist ein wenig schlecht, sogar auf den frühmorgendlichen Einkauf in seinem Stammcafé Annamühle verzichtet er heute. Bei der stark verkürzten Morgenrunde mit der Maxime lässt er das gestrige Gespräch noch einmal Revue passieren. Irgendwie hat er schon Lust, sich das Mysterium um die beiden toten Makler näher anzusehen. Andererseits wird dadurch sein bevorzugter Tagesablauf gehörig durcheinandergebracht werden, so wie schon im Frühjahr.

Bezüglich seiner täglichen Routine ist der Pokorny nicht wirklich flexibel. Morgens holt er Frühstücksgebäck aus dem Café Annamühle. An den Vormittagen wechseln sich Zeitunglesen, Bücher, Gartenarbeit oder, an einem guten Tag, auch einmal Hausarbeit ab. Zu Mittag wird an manchen Tagen in ausgewählten fixen Lokalen gegessen, nachmittags gibt’s noch einmal einen Espresso im Stammcafé. Danach fährt er, je nach Wetterlage, mit seinem froschgrünen E-Bike oder mit dem alten Ford Escort seines Vaters zum Bioladen seines Freundes Berti nach Großau. Mit genug Tagesfreizeit gesegnet, hilft er hie und da beim Ausliefern von Bioprodukten mit. Bis auf einen gemeinsamen Würfelpokerabend mit seinen Freunden ist es das so überblicksmäßig mit der wöchentlichen Planung des Pokorny. Und dieser gewohnte Ablauf wäre durch diesen ziemlich diffusen Auftrag wieder einmal gefährdet. Dementsprechend unsicher beendet er die Morgenrunde und trifft die allerbeste Ehefrau der Welt beim Abschluss der körperlichen Renovierungsarbeiten im Badezimmer an.

»Guten Morgen, Zuckerschnecke«, raunt er und küsst sie zärtlich in den Nacken.

»Morgen«, murmelt die Toni, sichtlich bemüht, einen geraden Lidstrich hinzubekommen. »Ich brauche heute früh nichts zu essen, mir ist flau im Magen.«

»Gibt eh nix, ich hab die Annamühle ausgelassen. Mir geht’s genauso.«

»Ah eh. Gut, ich muss los, hol mich mittags von der Bücherei ab. Die Kleine von der Tatjana wird heute da sein. Wir lassen die Maxime bei ihr und holen sie später ab. Bussi.«

Pünktlich um zwölf Uhr dreißig betreten die Pokornys den Heurigen Schachl. Sandra, die Frau vom Sprengnagl, ist die beste Freundin der Chefin, daher ist der hintere Teil der Gaststube ausschließlich für das konspirative Treffen reserviert.

Um den Pokornys gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, entschuldigt sich der Gruppeninspektor noch einmal. »Tut mir echt leid, aber das war mit dem Mochacek so nicht vereinbart. Ich hab ihn dezidiert auf die Kontaktsperre am Sonntagabend hingewiesen.« Er schmunzelt nur, um gleich wieder ernst zu werden. »Der muss ordentlich Schiss haben. Sonst hätte er das nicht gemacht.«

»Du hättest uns wenigstens vorwarnen können«, mault der Pokorny.

»Na du bist gut«, meint sein bester Freund. »Dann lass halt dein Handy eingeschaltet. Dann könnte ich dich auch anrufen und vorwarnen.«

Das übergeht der Pokorny. »Und was hast du uns mitgebracht?«, fragt er mit einem neugierigen Blick auf den Stapel Papier neben dem Sprengnagl.

Bevor der Gruppeninspektor antworten kann, kommt die Juniorchefin auf einen Plausch, während sie die Bestellung aufnimmt. Für den Pokorny, wie erwartet, einen Klassikburger mit extra Speck, Zwiebel und einem Spiegelei. Er ist da null flexibel, die Toni hat es mittlerweile aufgegeben, ihn zu mehr Abwechslung beim Essen zu überreden. In jedem Lokal isst er ausnahmslos das Gleiche, und das mit nicht enden wollender Leidenschaft. Im Bierhof sein Gulasch, im Weingut Schlossberg die Ei-Käse-Nockerl mit Speck und Zwiebel, am Freitag im Supermarktrestaurant eine panierte Scholle mit Erdäpfelsalat. Und beim Heurigen Schachl halt den Klassikburger. Die Toni lässt das Mittagessen aus, der Sprengnagl schlägt beim Hühner-Cordon-bleu mit Pommes frites zu.

»Wegen der Unterlagen …«

»Sprengi«, zischt die Toni, »vergiss es. Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du uns den Mochacek auf den Hals hetzt.«

»Also dann … aber passt halt bitte auf. Ich hab euch Kopien der wechselseitigen Anzeigen mitgebracht. Während die verletzten Makler einen grundlosen Angriff auf ihre körperliche Integrität sahen, wurde der Rottenschlager wesentlich konkreter.«

Gierig schluckt der Pokorny einen Bissen vom saftigen Fleischlaberl hinunter und vergisst in der Hektik ganz sein gewohntes genussvolles Schweigen beim Essen. »Und zwar? Was war im Schutzhaus Eisernes Tor wirklich los? Angeblich weiß der Mochacek nicht, warum der Rottenschlager ausgezuckt ist.«

»Blödsinn! Der Herr Obmann weiß ganz genau, warum. Bei der Makler-Wanderung waren neben den Toten namentlich noch der Buxeneder, der Franter, der Taschner – das ist ein Mitarbeiter vom Mochacek – sowie die Luckinger dabei, die Chefin einer Wiener Agentur. Die gehört nicht zum Vorstand. Der Rottenschlager hat ausgesagt, dass er mit seiner Ehefrau verschiedene Eigentumswohnungen in Baden, Mödling, Perchtoldsdorf und in der Hinterbrühl angesehen hat. Während der Besichtigungen sind bei zwei Immobilien die Zangerle und der Vondrasek als vermeintliche Kunden hereingeplatzt, in betrügerischer Absicht. Sie haben dem eigenen Vorstandskollegen überhöhte Kaufangebote mit knapper Fristsetzung überreicht und damit natürlich den Rottenschlager indirekt unter Druck gesetzt. Eh klar, wennst eine Wohnung haben willst, dann bist unter Zeitdruck bereit, mehr zu zahlen. Eine Zeit lang hat er noch mitgeboten, dann haben’s die Makler übertrieben, und er hat den Hut draufgehaut. So was ist ihm noch bei mehreren Wohnungen passiert, in unterschiedlicher Besetzung. Dann ist das Ehepaar Rottenschlager bei einer Wanderung zum Eisernen Tor hinauf im Schutzhaus eingekehrt. Und dort sind dann die als kaufinteressierte Kunden aufgetretenen Makler bestens gelaunt mit den restlichen Vorstandsmitgliedern zusammengesessen. Da hat der Rottenschlager kapiert, dass er verarscht worden ist.«

»Wahrscheinlich wollten die mehr Provision herausschlagen«, vermutet der Pokorny. »Je höher der Verkaufspreis, desto höher ist auch die Maklerprovision. Hast du ein Foto vom Rottenschlager im Akt?«

»Nein, es wurde lediglich die Anzeige aufgenommen. Fragt euren Auftraggeber danach.«

»Was für eine miese Nummer ist das denn?«, zürnt die Toni. »Dass der Buxeneder bei so linken Geschichten dabei ist, überrascht mich nicht.«

Der Sprengnagl schiebt ein Stück der verführerisch duftenden reschen Panier in die linke Wangenseite. »Der Buxeneder wurde von ihm nicht angezeigt, den hat er bis dahin gar nicht gekannt.«

»Woher kennst du den Buxeneder?« Der Pokorny schaut sie fragend an.

»Von den öffentlichen Gemeinderatssitzungen. Gegenüber dem Bierhof ist ein Wohnbau, und dahinter soll, im Sinne der Verkehrsberuhigung, eine Parkgarage gebaut werden. Das Grundstück gehört dem Buxeneder, diesem Unsympathler. Der verlangt dafür glatt den doppelten Preis, da kann die Gemeinde beim besten Willen nicht mit. Ohne das Grundstück kann aber die Verkehrsmisere in Vöslau nicht in Angriff genommen werden. Ein gieriger Kerl, dem traue ich alles zu!« Die ehrenamtlich tätige Mitarbeiterin der Bürgerliste »Neues Zentrum für Bad Vöslau« hat sich in Rage geredet.

Und ja, sie spricht da ein leidiges Thema der Stadtgemeinde an, nämlich die lange diskutierte Zentrumsumgestaltung vom Restaurant Bierhof bis zum Blumengeschäft Quwala. Es gibt sogar schon länger einen Masterplan, der durch die Technische Universität Wien ein paar Jahre später evaluiert wurde. Verkehrsberuhigung durch Begegnungszonen und weniger Parkplätze ist das Fazit. Aber außer ergebnislosen Diskussionen ist bisher nichts passiert, es scheitert am politischen Willen und an den horrenden Kosten für die Umsetzung. Dazu kommen noch Personen, die glauben, sich an dem Projekt bereichern zu können. Einer davon ist der Makler Buxeneder.

»Ich bin zwar grundsätzlich auch gegen die Parkgarage«, fährt die Toni fort. »Da aber der Bau einer Umfahrungsstraße verabsäumt wurde und jetzt nicht mehr möglich scheint, wird es für die Regelung der Verkehrs- und Parkplatzsituation keine andere Lösung geben.«

»Wie viele Wohnungen hat sich der Rottenschlager angesehen?« Kauend schielt der Pokorny zu den Akten und lenkt damit das Gespräch auf das eigentliche Thema zurück.

»Warte, hier steht’s: ein gutes Dutzend, aber zumeist haben die Wohnungen nicht in das Anforderungsprofil gepasst. Bei den vier Eigentumswohnungen, die von den besagten Maklern offeriert wurden, passte das Profil aber perfekt. Angeboten wurden Objekte in Perchtoldsdorf durch den Vondrasek, in Mödling durch die Luckinger, in Baden durch die Zangerle und in der Hinterbrühl durch den Franter.«

Der Pokorny grinst. »Einfach unglaublich, die bescheißen ihren potenziellen Kunden. Was hast du zu den Unfällen?«

»Wenig vom Vondrasek, Zeugen zum Sturz von der Terrasse gibt es keine. Der Weihnachtsmarkt ist nur ein paar Meter entfernt, trotzdem hat niemand was mitbekommen. Erst der Aufprall vom Vondrasek hat die Leute aufgeschreckt, da war nichts mehr zu machen. Mehr gibt es zum Tod der Zangerle. Vor allem die Aussage von Bernhard Wagner, dem Fahrer der Badner Bahn. Nach dem Unfall hatte er einen Nervenzusammenbruch, ist derzeit im Krankenstand. Den kenne ich noch von früher, er wurde mal von einem Fahrgast zusammengeschlagen.«

Während der Sprengnagl ein Stück vom knusprigen Cordon bleu in den Mund steckt, zeigt er auf die Unterlagen. »Da, Toni, blätter ruhig durch, du hast die Hände frei. Die Adresse des Fahrers steht im Protokoll. Ihr könnt das später in Ruhe durchlesen, auch seine Aussage. Die fasse ich mal kurz zusammen: Er ist dem Fahrplan entsprechend um dreiundzwanzig Uhr sechsundvierzig von der Endstelle am Josefsplatz weggefahren. Auf Höhe der Postfiliale ist die Zangerle plötzlich zwischen zwei Autos über die Straße gelaufen, gestolpert und vom Zug erfasst worden. Und jetzt wird es kurios: Angeblich wurde sie von einer dunklen Gestalt mit einer Clownsmaske verfolgt. An Details kann sich der Fahrer nicht erinnern, es sei alles so schnell gegangen. Jedenfalls hat er den Zug nicht mehr rechtzeitig stoppen können. Die Gestalt ist in Richtung Bahnhof geflüchtet.«

»Die dunkle Gestalt kennen wir aus den Zeitungen, aber dass das ein Clown gewesen sein soll? Merkwürdig.«

»Noch dazu zwei Wochen vor Weihnachten. War der Fahrer vorher am Weihnachtsmarkt auf einen Glühwein?«, fragt die Toni und kneift die Augenbrauen zusammen.

In der Weihnachtszeit putzt sich die Stadtgemeinde Baden – ihres Zeichens UNESCO-Weltkulturerbe – immer aufs Feinste heraus. Nicht nur der Adventsmarkt beim Casino strahlt und glitzert romantisch und zieht Jahr für Jahr Tausende Touristen in die Kurstadt. An nahezu jeder Ecke leuchten Kerzen, Punschstände und Maronibrater laden zum Verweilen ein, und andere üppige kulinarische Köstlichkeiten wie Langos, Hotdogs, gefüllte und überbackene Erdäpfel lassen die Herzen der Besucher höherschlagen und den Alkoholkonsum steigen.

Der Sprengnagl beantwortet Tonis Frage mit vollem Mund: »Nein, lediglich einen Kinderpunsch hatte er sich gegönnt. Der Test ergab null Komma null Promille, alkoholisiert wäre er auch sofort seinen Job los gewesen. Da es sonst keine Augenzeugen gegeben hat, wurde von den Kollegen der Streife die Kriminaldienstgruppe der Dienststelle in Baden gerufen. Die haben die Unfallstelle untersucht, aber außer dem normalen Müll auf der Straße keine Auffälligkeiten festgestellt. Die Alarmfahndung nach dem angeblichen Clown verlief ergebnislos, wobei ich glaube, der Fahrer hat sich das in der Stresssituation eingebildet.«

Der Pokorny nickt. »Glaub ich auch, zeitgemäßer wären momentan wohl Perchten- oder Krampuskostüme. Da fallst dann kaum auf, als Clown aber stehst in der Auslage.«

Die Toni liest eifrig im Protokoll. »Da steht, dass auch die Kellner im El Gaucho befragt wurden?«

»Ja, die Zangerle war dort mit ihrem Mann essen, zwei Flaschen Sekt wurden geleert. Anscheinend gab es etwas zu feiern. Das Lesegerät für die Kreditkarte war kaputt, und deshalb war nur Barzahlung möglich.« Der Sprengnagl erinnert sich an sein Essen zum Hochzeitstag im Mai. »Das Ehepaar hatte nicht genug dabei. Laut dem Tischkellner hat die Zangerle darauf bestanden, die Rechnung zu übernehmen, und ist alleine zum Bankomaten gegangen. Es hat deshalb sogar einen mordsmäßigen Streit zwischen den beiden gegeben.«

»Das war ein Riesenpech mit dem Lesegerät, sonst wäre der Unfall gar nicht passiert«, stellt der Pokorny fest.

»Nicht nur das. Der Automat bei der Bank Austria war auch kaputt, da ist viel zusammengekommen.«

»Doppeltes Pech für die Arme. Bei dem Alkoholkonsum wird die Staatsanwaltschaft keine weiteren Ermittlungen angeordnet haben, oder?«

»Ja, nur eine Blutauswertung. Die war ziemlich abgefüllt, eins Komma acht Promille. Sie wollte auf dem Rückweg wahrscheinlich den Abkürzer direkt über den Kaiser-Franz-Joseph-Ring nehmen und hat dabei die Badner Bahn übersehen.«

Die Toni schüttelt den Kopf. »Ihr Mann hat sie betrunken zum Bankomat gehen lassen? Was ist denn das für ein Dummkopf?«

»Ich hätte die Toni sicher nicht alleine gehen lassen«, bemerkt der Pokorny und drückt ihr ein würziges Busserl auf die Wange.

»Brr, Willi! Wisch dir bitte vorher den Mund ab. Lieb gemeint, aber grauslich.« Die allerbeste Ehefrau der Welt säubert die fette Kussstelle mit einer Serviette.

Der Pokorny zuckt mit den Schultern. »Siehst, wie’s mir geht. Herzhaftes Küssen wird nicht geschätzt, da muss sich der Herr vorher den Mund abwischen.«

»Ich misch mich in so was nicht ein, da kann ich nur verlieren«, stellt der Sprengnagl grinsend fest.

»Na, du bist ein Freund! Wie geht’s jetzt weiter? Du hast uns den Mochacek auf den Hals gehetzt … Also, Herr Gruppeninspektor. Irgendwelche Vorschläge?«

»Die Ermittlungen bei der Lieblich haben euch doch getaugt, oder?«

»Ja schon, aber das beantwortet meine Frage nicht.«

»Der Mochacek hat mir so nebenbei von einer Sitzung auf der Vöslauerhütte erzählt. Wo ihr unbedingt dabei sein müsst. Recht knapp der Termin, vielleicht wollte er deshalb nicht auf den nächsten Tag warten. Fahrt einfach einmal hin und hört euch an, was die schwafeln. Dann könnt ihr euch immer noch entscheiden.«

»Das muss der Willi schon alleine machen, heute Abend bin ich beim Spinning. Tja, leider … Andererseits erspare ich mir wenigstens den Buxeneder. Sag, die Wehli weiß von den beiden Toten wirklich nichts? Der Mochacek hat so was erwähnt.«

»Die Unfälle sind nicht in Bad Vöslau passiert. Deshalb braucht die ›Frau Wichtig‹ bei uns nicht nach dem Rechten zu sehen. Haltet den Ball trotzdem flach, es soll auch so bleiben.«

Beide Männer beenden nahezu zeitgleich ihr hastiges Mittagsmahl. Die Toni schüttelt über die Fressorgie den Kopf und packt den Stapel Unterlagen ein. »Ich schau noch auf einen Sprung zur Chefin. Sprengi, du zahlst, das ist nach gestern das Mindeste.«

»Ja, ja, alles klar, hätte ich eh gemacht. Ich muss auch los. Meldet euch, wenn’s was Neues gibt. Und bitte, auch wenn’s unnötig ist, das zu sagen: Passts mir bitte auf die Kopien auf. Servus.«

Als die Pokornys gegen fünfzehn Uhr zum Café Annamühle kommen, sehen sie schon von Weitem die Katzinger in ihren Moonboots vor dem Café stehen. An ihrem Stammstehtisch auf der rund zwanzig Quadratmeter großen Terrasse wirken die übergroßen Schuhe an ihr wie betonierte Schirmständer. Vor einer Woche, bei minus zehn Grad Celsius, haben sie perfekt zum Wetter gepasst. Seit aber am Samstag ein Föhnsturm den Osten Österreichs mit Frühlingstemperaturen von vierzehn Grad Celsius und mehr verwöhnt, können die knallroten Plastikschuhe mit weißspeckigen Kunstfellkrempen einfach nur zu warm sein. Während die Moonboots passend zur Vorweihnachtszeit an das Schuhwerk eines sehr in die Jahre gekommenen Weihnachtsmannes erinnern, schaut die knapp ein Meter sechzig große alte Frau in ihrem zotteligen schwarzen Wollmantel wie ein wandelnder Schwarzbär aus.

»Ah, meine Ermittlerfreunde«, nuschelt sie mit ihren falschen Zähnen und winkt freudig mit ihrem Gehstock. »Klasse Wetter, gell? Zwar tut mir mein Schädel weh ohne Ende, dafür kann ich aber mein Stammplatzerl genießen, draußen rauchen und riskier keine Lungenentzündung. Ja, ja, da soll sich noch einer wegen der Klimaerwärmung beschweren, hä, hä.« Die Kettenraucherin schiebt ihre riesige Siebziger-Jahre-Sonnenbrille von der Nasenspitze nach oben und zündet sich mit der gerade fertig gerauchten Zigarette gleich die nächste an. Irgendwie ist im Winter alles an der Katzinger mit Fell versehen, auch die warme Winterkappe mit Fellohren zum Hinunterklappen ist ein echter Hingucker.

»Ihnen auch einen schönen guten Tag«, grüßt die Toni. »Ist Ihnen nicht ein wenig warm? Weil in Ihren Plastikschuhen müssen doch Saunatemperaturen herrschen.«

»Ma, wie du redst. Plastikschuhe!«, grunzt die Katzinger, tritt einen Schritt zurück und dreht den rechten Schuh in alle Richtungen. »Sind doch pipifein, meine Mondschuhe. Glaubst, nur weil jetzt plötzlich ein warmes Lüfterl weht, räume ich meine Sommerschuhe raus?«

Der Pokorny lacht. »Hat auch einen Vorteil. Bei den Schweißfüßen tut sich die Fußpflegerin leichter mit Ihren Hühneraugen.«

»Ha, ha, kann ich da nur sagen. Ha, ha. Keine Ahnung von Mode. Toni, über dich bin ich ein bisserl enttäuscht. Dabei bist immer tipptopp angezogen, nicht so wie der Pokorny mit seinen altbackenen Holzfällerhemden.« Sie feixt über seinen grimmigen Blick. »Dass du von Plastikschuhen redst, tut mir in der Seele weh.« Während eines Husters, der an eine Tuberkulosekranke erinnert, dämpft sie ihre Zigarette aus. »Pokorny, gehst mir bitte eine Melange mit …«

»Schlagobers holen?«, wird sie von ihm unterbrochen. »Gerne. Toni, für dich einen Cappuccino?« Er öffnet die Tür und nimmt das Nicken der Toni als Bestätigung.

»Warum schicken Sie den Willi Kaffee holen?« Die Toni wundert sich über die Bitte. Sonst ist die rüstige alte Frau stolz auf ihre Selbstständigkeit.

»Na ja. Die Hanifl war gerade da, mit ihrem neuen Köter … apropos, wo ist denn dein Hunderl?« Sie bückt sich ächzend und blickt sich verwundert um.

»In der Bücherei, die Tochter von der Tatjana spielt so gerne mit der Maxime. Geht sie Ihnen leicht ab?« Eine Antwort erwartet sie nicht, genügt ihr doch ein Blick auf das eingekringelte halbe Speckstangerl auf dem Teller am Stehtisch. Klar wissen beide, der Rest wäre für die Maxime reserviert gewesen. Da die Toni streng auf das Gewicht der Beagelin achtet, ist sie froh, heute einmal unbeschwert ihren Cappuccino trinken zu können und nicht ständig auf Zufütterungsversuche der Katzinger achten zu müssen.

»Tja, weiß schon, worauf du anspielst, egal. Was ich dir erzählen wollt: Der Hanifl wurde ja vor der Kur-Apotheke ihr Wendulin gestohlen. Futsch war er plötzlich. Unter uns«, sie beugt sich zur Toni hin und zwinkert mit dem rechten Auge, »ich glaub ja immer noch, dass der dicke Mops freiwillig abgehaut ist. Da gehst doch lieber ins Tierheim, als zur Einzelhaft bei der Beißzange verdonnert zu sein. Egal, jedenfalls hat sie sich prompt einen neuen Hund gekauft, einen ganz kleinen Köter. Der kläfft in einer Tour, zum Weglaufen ist das. Einen Chi-Chiaua, oder so ähnlich.«

»Sie meinen wahrscheinlich den Chihuahua, oder?«, vermutet die Toni, kennt sie doch die sprachlichen Missgriffe der alten Frau zur Genüge. »Der nervt uns seit Tagen.«

»Wurscht, wichtig ist nur, die nennt den Köter ›Willi‹, ich hab geglaubt, ich mach mich an. Hihi, wenn das der Pokorny erfährt.«

»Was soll ich erfahren?« Zurück auf der Terrasse stellt er drei Kaffee auf den Stehtisch und sieht den enttäuschten Blick der Katzinger, welcher der zu kleinen Menge Schlagobers auf ihrem Kaffee geschuldet ist.

Die Toni räuspert sich und bringt ihm die schlechte Nachricht schonend bei. Die Reaktion fällt wie erwartet heftig aus.

»Spinnt die Hanifl jetzt komplett, oder was? Die macht das doch absichtlich, genau wie damals mit dem Wendulin.« Seine Ohren beginnen unkontrolliert zu wackeln, ein Zeichen, dass er in Rage ist.

Tatsächlich ist und war das zwischen den Doppelhausnachbarn immer wieder ein Streitthema. Zwar bemühen sich die Pokornys wirklich, doch die Maxime schafft es immer wieder, ihr kleines Geschäft vor dem Haus der Hanifl zu erledigen. Ein Streit ohne Ende.

Eines Tages ist die Nachbarin dann hämisch lächelnd mit einem Mops vor der Tür gestanden. »Wendulin heißt er, und ein reinrassiger Rüde ist er auch«, hat sie erzählt. Verbessert hat sich die Beziehung der Nachbarn dadurch nicht. Vor allem mit der Toni hat die Hanifl mächtig Probleme ausgefasst, schließlich musste die Toni nahezu täglich die Markierungen des asthmatischen Mopses beseitigen.

»Kaum ist der Wendulin Geschichte, hat sie schon Ersatz gefunden. Seit Tagen macht die Kanalratte Lärm, und jetzt noch der Name. Eine Frechheit! Da war ja der Mops ein Lercherlschas!« Er verschreckt durch sein Getobe eine herauskommende Kundin, die sich eilig entfernt.

»Willi … reg dich nicht auf.«

»Na du bist gut, wenn du zu Hause Willi rufst, kommt dann der Nachbarsköter zum Essen, oder was?«

Als wäre das nicht schon schlimm genug, blinzelte ihm die Katzinger schelmisch zu. »Stimmt das mit dem Mochacek, und dass Ihr als Ermittler wieder im Geschäft seid? Eure liebe Nachbarin hat so was fallen lassen. Angeblich gibt’s zwei Tote aus der Häuserbranche. Der glatzerte Obmann soll euch beim Tatort gestört haben? Da hat’s mich gleich gerissen, weißt eh, wegen unserem letzten Treffen bei euch.«

»Sie bohren beim Willi in offenen Wunden. Besser, Sie lassen das bleiben.«

Die alte Frau schlägt entrüstet mit ihrem Stock auf das Tischbein, das Schlagobers schwappt über und rinnt vom Tisch in den rechten Moonboot hinein. »Ma, mitten rein in meinen Mondschuh, krutzitürkn.«

Die Pokornys nutzen die Ablenkung, verabschieden sich und machen sich auf den Weg, um ihr Familienmitglied aus der Bücherei abzuholen.

»Halt, was ist jetzt? Das ist gemein, mich in meinem Elend zurücklassen, also …«, ruft sie den beiden nach. »Pfiat Gott.«

Zu Hause angekommen, fragt der Pokorny: »Magst mitfahren zum Berti?«

»Nein. Sei mir nicht böse, aber das sonnige Wetter genieße ich lieber im Liegestuhl auf der Terrasse. Der neue Rita-Falk-Krimi ist gestern mit der Post gekommen.«

»Auch gut, wennst die Hanifl siehst, frag sie, ob sie wegen der Namenswahl wo angelaufen ist«, bittet er sie, immer noch vergrämt.

»Sicher nicht! Ich hab kein gesteigertes Interesse, das mit ihr auszudiskutieren.«

Der Pokorny setzt die Maxime in die Transportbox seines E-Bikes. »Dank dir herzlich«, verabschiedet er sich raunzend und fährt ab nach Großau.

Sein alter Schulfreund Berti sitzt mit einem 2514er Traiskirchner Lagerbier unter der selbst gebauten Holzlaube, die von einem kahlen Blauregen umrankt wird. Im Sommer ist die Kletterpflanze mit den üppigen dunkelvioletten Blüten ein echter Hingucker. Mitte Dezember schlängelt sich die Pflanze wie tot in die Höhe.

»Hallo, Berti, Wahnsinnswetter.«

»Servus, Pokorny, ja, das kannst wohl sagen. Verrückte Zeit, Mitte Dezember bin ich noch nie unter der Laube gesessen. Die Blüten fehlen halt, sieht trostlos aus.«

»Alles kann man nicht haben. Die letzten Wochen waren kalt genug, und Freitag soll’s ja wieder so richtig grauslich werden. Weißt du schon, was uns der Sprengi eingebrockt hat?«

»Das mit dem Mochacek?«

»Ja, woher …?«

Der Berti schmunzelt. »Na ja, die Buschtrommeln sind bei uns schneller als dein E-Bike.« Er bemerkt den fragenden Blick seines Freundes. »Die Katzinger halt, wer sonst? Allerdings weiß sie nix Konkretes, wollte eher rausfinden, ob ich mehr Infos hab. Sie vermutet einen Zusammenhang mit der Maklerin Zangerle, die angeblich vor zwei Tagen von der Badner Bahn faschiert wurde.«

Der Pokorny schüttelt den Kopf wegen der derben Ausdrucksweise der neugierigen alten Frau und erzählt ihm vom gestrigen Auftritt des Mochacek sowie dem Lunch mit ihrem gemeinsamen Freund Sprengnagl.

»Ui, ui, der Mochacek traut sich was. Lebt er noch?«

»Ja, dank der Toni hat er die Tatort-Verhinderung knapp überlebt.«

»Glaubst du, dass was dran ist?«

»Kann ich dir nicht sagen. Alles hat er uns sicher nicht erzählt.«

»Wieso?«

»Schau, es gibt Probleme mit einem Ehepaar, den Rottenschlagers aus München. Einige Kollegen vom Mochacek haben das Ehepaar betrogen, jetzt glaubt er an einen Rachefeldzug des Deutschen. Den Grund für den Auszucker haben wir erst vom Sprengi erfahren. Ich frage mich, weshalb der Mochacek uns beauftragt und uns dann die Ursache des Problems verschweigt. Wo wir es doch sowieso erfahren werden.«

»Da geb ich dir recht, ergibt keinen Sinn und macht ihn unglaubwürdig.« Er geht in den Laden und bringt der Maxime eine Schüssel Wasser mit. »Magst du was trinken? Einen Espresso?«

»Nein, gestern ist’s spät geworden, ein Flascherl zu viel, ein Kaffee ist jetzt nicht das richtige Heilmittel.«

»Vielleicht eine Apfelschorle?« Der Berti sieht das angewiderte Gesicht seines Freundes und fängt schallend zu lachen an.

Noch fanatischer als bei der »Verenglischung« ist der Pokorny nur, wenn es um den Unterschied der gemeinsamen Sprache der Deutschen und Österreicher geht. Weil es sich seiner Meinung nach eben nur vermeintlich um die gleiche Sprache handelt. Wo immer also Tomate statt Paradeiser oder Sahne statt Schlagobers gesagt wird, macht er sofort auf Korrektorat und ersetzt den deutschen durch den österreichischen Begriff. Klar kommt er jetzt bei Apfelschorle statt Apfelsaft gespritzt ordentlich ins Schleudern.

Der Berti erklärt seinen anscheinend Freud’schen Versprecher: »Gerade war ein Deutscher da, der hat eine Apfelschorle gekauft. Da hab ich gleich an dich gedacht.«

»Ein Deutscher bei dir im Laden? Na bitte, wirst gar international.«

»Tja, mein guter Ruf eilt mir voraus. Sag, willst du dich wirklich mit dem Mochacek einlassen? Nach dem, was der mit dem Sprengi abgezogen hat? Was ist, wenn die Wehli davon Wind bekommt?«

»Ich muss mit dem Sprengi noch drüber reden, wie das damals mit seinem Grundstück genau gelaufen ist. Laut der Polizeiprotokolle handelt es sich bei den beiden Maklern um Unfälle ohne Fremdeinwirkung. Deshalb ist die Frau Chefinspektorin nicht mit im Boot. Und die Gefahr auf ein fröhliches Stelldichein ist nicht gegeben.« Er grinst und klopft sich auf die Schenkel. »Komm, Maxime, ab in die Box. Berti, ich muss los, wird gleich dunkel, und wenn’s schattig ist, dann merkt man den Dezember doch, egal, wie warm es untertags ist. Hoffentlich hält das Wetter, und ich kann mit dem Radl rauffahren. Baba.«

Der Berti betrachtet skeptisch die schwarzen Regenwolken, die sich über der Stadtgemeinde zusammengebraut haben. »Na dann, viel Glück, und überleg dir, ob’s die Makler wirklich wert sind. Servus.«

Leider hat es, kaum zu Hause angekommen, wie aus Schaffeln zu schütten begonnen. So steht der Pokorny um achtzehn Uhr dreißig mit seinem Ford Escort beim Parkplatz Waldandacht und starrt entgeistert auf den heruntergelassenen rot-weiß-roten Schranken. Er ärgert sich über seine vorschnelle Zusage zu dem Treffen auf der Vöslauerhütte. Auf einen Fußmarsch ist er nicht eingestellt und fragt sich, ob er den wahrscheinlich sehr beschwerlichen Weg überhaupt antreten oder lieber doch die gemütliche Couch vorziehen soll. Weil er sich halt möglichst wenig bewegt. Mit dem E-Bike wäre es ein Leichtes, da raufzufahren. Zwar hat es mittlerweile zu regnen aufgehört, aber sich so im Dunklen und bei dem aufgeweichten Waldboden raufzuquälen, muss ja nicht sein.

Als würde die Beagelin seinen Wankelmut spüren, bellt sie laut aus ihrer Transportbox im Kofferraum.

»Ja, ja, ist schon gut. Der Mochacek spinnt doch!«, quengelt er und überlegt noch einmal ernsthaft, alles hinzuschmeißen. Seufzend steigt er aus dem Auto, leint die Maxime an und geht bis zum Schranken, der trotz mehrmaligem Rütteln geschlossen bleibt.

Dahinter hängt an einer alten Eiche ein Schild. Er greift nach seinem vorsintflutlichen Nokia, das zwar keine Taschenlampen-App zur Verfügung hat, aber dafür ein leistungsstarkes Display. Wegen der langen, dunklen Winter im hohen Norden haben die Finnen immer auf eine starke Beleuchtung geachtet. Aber bei nahezu leerem Akku schalten die Nordländer sein Handy auf quasi Notstrom, und aus ist es mit dem leistungsstarken Display. So erkennt er lediglich, dass die Forststraße, der sogenannte Gradentalweg, zur Vöslauerhütte hinaufführt, und kaum lesbar steht da noch: »1 km« und »Hütte«.

Zu seiner Unsportlichkeit kommt dazu, dass der Pokorny halt immer noch mehr ein Stadtmensch als ein Naturbursche ist. Daher ist ihm der stockdunkle Wald mit seinen riesigen Bäumen unheimlich, er spürt, wie ihm die Gänsehaut über den Rücken hinaufkriecht. »Es waren doch lediglich zwei Unfälle, Pokorny«, redet er mit sich selbst und trottet los. »Du kassierst für ein bisschen Blabla fünfhundert Euro am Tag, also entspann dich. Mörder wird schon keiner auf dich warten.«

Trotz der gut gemeinten Worte kommt er nicht in den Entspannungsmodus. Durch die Überbleibsel des Föhnsturms der letzten Tage rauschen die Wipfel der Schwarzföhren, die Altholzbestände der Eichen knarren. Mehr, als ihm lieb ist, spürt er, dass der Wald lebt, rund um ihn ächzt und raschelt es. Fast scheint es, als wollten die Bäume den Städter in seine warme, kuschelige Doppelhaushälfte zurückscheuchen. Ein hektisches Keuchen identifiziert der ängstliche Hobbyermittler erst nach einem kurzen Augenblick als sein eigenes, das nervige Blimblim ordnet er schließlich dem hektisch blinkenden, an weihnachtliche Lichtketten erinnernden LED-Halsband von der Maxime zu. Alles in allem fühlt er sich in dieser Situation nicht wohl und weiß, dieses Gefühl wird er frühestens in der Vöslauerhütte wieder los.

»Idiot, was musst du dir auch so Räubergeschichten anhören. Unfälle, Mord, abgetrennte Beine und dann gehst da alleine hinauf. Wie weit ist es eigentlich noch …« Er verstummt mitten in seinem Selbstgespräch, als er die Kette beim herabgelassenen Schranken scheppern hört. Eine Autotür fällt ins Schloss, dann springt ein Dieselmotor an, langsam kriechen Autoscheinwerfer bergauf. Noch ist das Fahrzeug ein gutes Stück entfernt, doch für eine aufkeimende Panik reicht es allemal.

»Maxime, komm her … nein, nicht bellen, pssscht. Komm, da vorne ist schon die Vöslauer… nein … das ist jetzt nicht wahr! Was zur Hölle ist eine ›Pecherhütte‹, und wo ist die Vöslauerhütte?«

Angstvoll schaut er sich um und glaubt, den Motor des Autos lauter zu hören. »Das ist gar nicht gut, nein, gar nicht. Maxime, komm, wir verstecken uns hinter der Hütte.«

Doch die Beagelin achtet nicht auf ihn, sondern nutzt die acht Meter Leine gerade voll aus. Wenn der Pokorny die Scheinwerfer sehen kann, dann ist nicht auszuschließen, dass der unerwartete Besucher auch die Weihnachtsbeleuchtung um den Hals von der Maxime sieht. Ungewohnt ruppig zieht er an der Leine, die Beagelin bellt auf, und dem Pokorny fällt das Herz in die Hose. »Aus! Hier!«

Da sie keinerlei Anstalten macht, auf ihn zu hören, läuft er zu ihr, nimmt sie auf den Arm und versteckt sich hinter der kleinen Hütte. Dort versucht er mit einer Hand, hektisch die Weihnachtsbeleuchtung des Halsbandes abzudrehen, mit der anderen Hand hält er der Hündin die Schnauze zu.

Dann biegt tatsächlich ein Wagen ums Eck und bleibt knapp zehn Meter vor der Pecherhütte stehen. Beten ist nicht so die Sache vom Pokorny, aber schaden kann es jetzt auch nicht. Mitten im Stoßgebet entwischt ihm die Maxime und läuft schwanzwedelnd und freudig bellend auf das Auto zu. Der Pokorny hört, wie sich quietschend eine Wagentür öffnet. Was tun jetzt, weiter verstecken? Na ja, um ein Versteck handelt es sich nach dem Ausritt der Beagelin sowieso nicht mehr. Eher um einen Wegweiser von ihrem blinkenden Halsband, immer der Leine nach, bis hinter die Pecherhütte. Und der Pokorny weiß, wann er verloren hat.

»Wer ist da?«

»Der Salzer, der Wirt von der Vöslauerhütte. Bist du der Pokorny?«

»Ja.« Zur Sicherheit bleibt er im Schatten der Hütte stehen.

»Fürchtest du dich leicht vor mir?«

»Ha, ha, witzig. Ich quäl mich zur Vöslauerhütte rauf, und du hast’s lustig mit mir.«

»Ich wollte dich nicht über den Haufen fahren. Mir ist der Veltliner ausgegangen. Da dich der Mochacek schon sehnlichst erwartet, dachte ich mir, ich schau mal hier rauf. Vielleicht nimmst du ja den Fußweg, weil mit dem Auto kannst du als Privatperson da nicht rauf. Warum bist du nicht über die Straße von Gainfarn zur Vöslauerhütte gefahren?«

»Der Mochacek hat nichts von einer Straße erzählt. Deshalb wollte ich da rauffahren.«

»Das geht nicht. Der Gradentalweg ist mit Wurzeln und Steinen übersät, für normale Pkw nicht befahrbar. Der Schranken kann nur von Forstarbeitern und natürlich vom Pächter der Schutzhütte geöffnet werden.«

»Das hätte er mir auch sagen können.«

»Tja, was soll ich dazu sagen? Steig ein, ich nehm dich mit.«

»Danke dir. Komm, Maxime.«

»Du sollst also für den Immobilienverband ermitteln? Die sind doch sonst so gerne unter sich, passt gar nicht zum Mochacek.«

»Woher weißt du …«

»Na, von ihm. Er versucht gerade, euch seinen Kollegen als Ermittler zu verkaufen, war als Erster oben und hat mich mit der Gestern und dem Kronenblatt traktiert. Schundblätter, elende.«

»Ganz meine Meinung. Dann weißt du also über die zwei toten Makler Bescheid. Laut Polizei waren es Unfälle, aber der Mochacek scheißt sich in die Hose und glaubt nicht an die Unfallversion. An die Polizei mag er sich nicht wenden. Er hat von uns gelesen und uns um Hilfe gebeten.«

»Aha, so läuft der Hase. Pass nur auf, die sind nicht so lieb miteinander, wie sie tun«, sagt der Hüttenwirt kryptisch, während er, dank der guten Dämpfung seines Jeeps, problemlos den schmalen Hohlweg nach oben fährt. Linker Hand liegen meterhoch geschlägerte Schwarzföhren. Im letzten Stadtanzeiger, der hiesigen Gemeindezeitung, wurde von einem Pilz berichtet, der Dutzende von jahrzehntealten Schwarzföhren befallen und dermaßen geschwächt hat, dass die Bäume nur mehr umgeschnitten werden konnten.

»Was meinst du?«

»Na ja, der Schein trügt, gegenüber Fremden geben sie sich aufgeschlossen und nett. In Wahrheit herrscht untereinander ein Kampf um jede Immobilie, da werden die Messer gewetzt.« Der Salzer verzieht das Gesicht.

»Warum erzählst du mir das? Du kennst mich gar nicht, und deine Gäste …?«

»Geh«, der Wirt winkt mit der rechten Hand ab, »die ehrenwerte Gesellschaft bleibt mir auch so.«

»Nach Lieblingsgästen klingt das nicht grade.« Der Pokorny schaut den Wirt mit gerunzelter Stirn an. »Warum gibst du dir die überhaupt?«

»Schau, es geht nicht darum, ob ich die mag oder nicht. Montag hab ich sonst zu, die Makler bringen mir Umsatz, und den kann ich gut gebrauchen. Um mehr geht’s mir nicht. Auch wenn’s mit den Vorständlern immer wieder Streit wegen der Zeche gibt und ich langsam die Schnauze voll hab, brauch ich jeden Euro. Privat würde ich mit denen nicht mal auf ein Bier gehen.« Er zuckt mit den Schultern. »Und die brauchen mich, weil Alternativen für ruhige Gespräche mit Bewirtung gibt es in der Gegend nicht so viele. Aber lass dich von denen nicht einwickeln.«

»Du glaubst, die werden mir Theater vorspielen? So wie der Mochacek am Sonntagabend?«

»Ich weiß nicht, was er dir vorgespielt hat, aber …« Der Salzer hält auf einer Lichtung an. »Siehst eh, wie dich der Mochacek mit dem Weg verladen hat … Pass auf, weil du mir sympathisch bist. Bevor du ins offene Messer läufst, erzähl ich dir ein bisschen von der ehrenwerten Gesellschaft, die in meiner Hütte auf dich wartet. Dann kannst du dir nachher selber ein Bild machen.« Er kurbelt das Fenster hinunter, beide genießen trotz fortgeschrittener Stunde die immer noch moderaten Temperaturen.

»Der Vorstand besteht aus dem Franter, der Smolle, dem Buxeneder, dem Taschner, dem Mochacek, und früher waren noch die Zangerle und der Vondrasek dabei. In letzter Zeit kommt auch eine Wienerin mit, die Luckinger. Die ist eine wirkliche Schönheit, fast wie die Salma Hayek, aber sehr affektiert und glaubt, was Besseres zu sein. Die Smolle ist das Gegenteil, also nicht unhübsch, aber eher der biedere Hausmütterchentyp, kleiner und vollschlank. Sehr engagiert, dürfte eine der wenigen Maklerinnen sein, die das Interesse der Kunden in den Vordergrund stellt.«

»So was gibt’s?« Der Pokorny bezweifelt die soziale Ader der ihm unbekannten Immobilienmaklerin.

»Ja, es gab schon einige Male Streitereien wegen Objekten, die sie laut den anderen zu billig verkauft hat. Sie ruiniere den Markt, bla, bla, bla. Nicht leicht für sie. Der Buxeneder ist ein schleimiger Typ, so ein klein gewachsener Kugelblitz, aus dem werde ich nicht schlau. Angezogen wie einer aus den alten Mafiafilmen, mehr so der stille Beobachter. Redet fast nichts, so als würde ihn das alles nichts angehen.«

Der Pokorny nickt. »Meine Frau kennt den wegen der Probleme um die Zentrumsumgestaltung. Der will sich mit seinem Grundstück beim Schlosspark eine goldene Nase verdienen.«

»Nebenbei ist er auch ein Spanner und Grapscher. Immer mal wieder ist er der Zangerle hinterhergestiegen und hat sie am Klo betatscht. Der Franter ist der Macho im Team, schaut aus wie McDreamy aus dieser Ärzteserie, ›Grey’s Anatomy‹. Und hält sich natürlich auch für was Besseres. Dann gibt’s noch den Taschner, der ist ein Mitarbeiter vom Mochacek. Unauffälliger Typ, hat hie und da Streit mit dem Franter.«

»Weshalb?«, will der Pokorny wissen, schließlich braucht er später Stoff für die Gespräche mit den Maklern.

»Der Franter zieht die Smolle oft wegen ihrer Figur auf. Sie ist mehr der Birnentyp, sprich unten herum viel Sitzfleisch. Der Taschner mag das Gerede nicht, der verteidigt die Smolle immer wieder. Auch mit dem Buxeneder hatte er schon den einen oder anderen Streit, weil der die Zangerle ständig belästigt hat.«

»Wie waren die Zangerle und der Vondrasek?«

»Die Zangerle ist … war eine sauerstoffblonde Tussi, hat in der Agentur vom Gustav Grebner gearbeitet. Immer tiefer Ausschnitt, immer kurzer Rock, egal bei welchem Wetter. Die hat, glaube ich, nichts ausgelassen. Immer ordentlich Sekt getankt und dann … weiß nicht, mit wem die alles was hatte. Über Tote soll man ja nicht schlecht reden … Da schau«, flüstert er und hält der Beagelin die Schnauze zu, »die Rehe.«

Und wirklich, sechs Rehe grasen friedlich am Waldrand. Die Laubbäume und Gräser sind die Gewinner der Schlägerungen unter den Schwarzföhren. So haben sie wesentlich mehr Sonnenlicht und dienen dem Wild als Nahrung. Wieder befreit sich die Maxime und bellt die Rehe an. Die Idylle ist deshalb nur von kurzer Dauer, sie flüchten in den dichten Wald.

Ein finsterer Blick vom Pokorny bringt sie zum Schweigen. »Und der Vondrasek, der tote Makler in Perchtoldsdorf?«

»Der Kassier, ja. Beim letzten Jahresabschluss hat Geld in der Kasse gefehlt.« Der Hüttenwirt setzt den Wagen in Bewegung, langsam tasten sich die Scheinwerfer den Weg hinauf. »Da gab’s mordsmäßige Schwierigkeiten zwischen dem Vondrasek und dem Mochacek. Er wurde als Kassier abgewählt, blieb aber trotzdem Vorstandsmitglied.«

Aus der Dunkelheit schält sich die am Mariazellerzwickl im Augustinerwald gelegene Vöslauerhütte hervor. Die alte, einsam gelegene Schutzhütte der Naturfreunde hat der Salzer gepachtet, gemeinsam mit seiner Frau und einem Angestellten bewirtschaftet er sie ganzjährig. Die urige holzgetäfelte Gaststube mit ihrer gemütlichen Atmosphäre sorgt an den Wochenenden auch im Winter für gute Umsätze.

»So, da sind wir.« Der Salzer parkt den Jeep neben einem silbergrauen Porsche Cayenne mit dem Wiener Kennzeichen »WLucki1«. »Schon wieder die Luckinger. Sie weiß genau, dass sie ihren Wagen am Parkplatz abstellen soll. Aber nein, jedes Mal aufs Neue fährt sie bis vor den Hütteneingang. Das meinte ich mit ›sich für was Besseres halten‹. Verstehst du? Ihren Porsche stellt sie nicht einfach neben dem Fußvolk ab.« Er greift zur Türschnalle.

»Versteh ich gut, alleine das Kennzeichen: ›WLucki1‹. Ich finde personalisierte Kennzeichen eh ein bisschen schräg. Und den Cayenne kriegst in der Sparversion kaum unter hunderttausend Euro. Warte kurz.« Der Pokorny hält den Hüttenwirt am Arm zurück. »Traust du jemanden von dem illustren Haufen zu, dass er die zwei getötet und es als Unfälle getarnt hat?«

»Hm.« Der Salzer fühlt sich bei der Frage merklich unwohl. »Also … nein. Hunde, die bellen, beißen nicht, oder?«

»Na ja, manchmal schon.«

»Ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn ich diesen Gedanken wirklich weiterspinnen soll«, er kratzt sich nachdenklich am Kopf, »dann kommen eigentlich alle außer der Smolle in Frage. Aber wie gesagt, du bist da meiner Meinung nach am Holzweg. Eines noch … Was ich dir erzählt habe, bleibt unter uns. Okay?«

»Versteh schon, kein Problem. Und … danke für die Warnung.«

Der Pächter sperrt die Eingangstür hinter ihnen gleich wieder zu und geht vor in die Gaststube. Bis auf die Ausschank und den Stammtisch liegt der knapp vierzig Quadratmeter große Raum im Dunkeln. An der hinteren Wand ist mittig eine verglaste Tür, die einen diffusen Blick auf einen tiefer liegenden, etwa doppelt so großen Raum erahnen lässt. Der Pokorny kann sich gut vorstellen, was an Wochenenden hier los ist. Wenn dann auch noch die Küche passt, geht es wohl ordentlich rund. Und die Küche scheint zu passen, seine feine, auf Süßspeisen spezialisierte Nase meint, einen Topfenstrudel riechen zu können. Die Überprüfung dieser Vermutung bleiben ihm und der ewig hungrigen Beagelin vorerst verwehrt, kommt doch der Mochacek mit großen Schritten auf die beiden zu.

»Hallo, Pokorny, wie geht’s?«, fragt der Obmann jovial und weiß gar nicht, welchen Schiefer er sich damit eintritt.